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Leitsätze

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1 Nichtigkeitsklage - Entscheidung über staatliche Beihilfen - Im Verwaltungsverfahren nicht erhobene Rügen - Zulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 93 Absatz 2 und 173)

2 Staatliche Beihilfen - Begriff - Finanzhilfen eines Mitgliedstaats für ein Unternehmen - Beurteilungskriterium - Lage des Unternehmens im Hinblick auf die privaten Kapitalmärkte - Zu einem günstigen Zinssatz gewährtes Darlehen - Rückzahlung der Differenz zwischen den marktüblichen und den tatsächlich gezahlten Zinsen

(EG-Vertrag, Artikel 92 Absatz 1)

3 Staatliche Beihilfen - Entscheidung der Kommission, mit der die Unvereinbarkeit einer nicht angemeldeten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird - Begründungspflicht - Umfang

(EG-Vertrag, Artikel 92, 93 Absatz 3 und 190)

Leitsätze

1 Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen gibt es keine Vorschrift, nach der das Recht einer unmittelbar und individuell betroffenen Person zur Anfechtung einer gegenüber einem Dritten ergangenen Handlung davon abhängig wäre, daß diese Person schon im Verwaltungsverfahren alle in der Klageschrift vorgebrachten Rügen erhoben hat. Mangels einer derartigen Vorschrift kann die Klagebefugnis einer solchen Person nicht allein deshalb eingeschränkt sein, weil sie sich im Verwaltungsverfahren nicht zu einer ihr bei Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages mitgeteilten und später in die Entscheidung aufgenommenen Beurteilung geäussert hat, obwohl sie dies hätte tun können.

2 Um zu ermitteln, ob Finanzhilfen, die ein Mitgliedstaat einem Unternehmen gewährt, den Charakter staatlicher Beihilfen haben, ist auf das Kriterium abzustellen, nach dem es darauf ankommt, ob das begünstigte Unternehmen die Möglichkeit gehabt hätte, sich die betreffenden Geldbeträge auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen. Insbesondere ist zu klären, ob ein privater Kapitalgeber den fraglichen Vorgang zu den gleichen Bedingungen abgewickelt hätte; hätte er dies nicht getan, so ist zu prüfen, zu welchen Bedingungen er ihn hätte abwickeln können.

Handelt es sich um ein Darlehen, das zu einem günstigen Zinssatz gewährt wird, so ist die Kommission berechtigt, die Differenz zwischen den marktüblichen und den tatsächlich gezahlten Zinsen - und nicht den Darlehensbetrag - als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe einzustufen.

Das Kriterium des privaten Kapitalgebers ermöglicht der Kommission ferner die Ermittlung der Maßnahmen, die gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit zu treffen sind, um die festgestellten Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der rechtswidrigen Beihilfe wiederherzustellen. Es kann zwar nicht grundsätzlich danach unterschieden werden, ob eine Beihilfe als Darlehen oder als Kapitalbeteiligung gewährt wird, aber die einheitliche Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in beiden Fällen kann in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit gleichwohl den Erlaß unterschiedlicher Maßnahmen erfordern, um die festgestellten Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der rechtswidrigen Beihilfe wiederherzustellen.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit sind die zur Gewährleistung eines gesunden Wettbewerbs im Binnenmarkt erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft fördern.

Da eine als Kapital eingebrachte Summe dauerhaft bereitgestellt wird, während sie im Fall eines Darlehens - das zurückzuzahlen ist - nur zeitweise zur Verfügung steht, erfordert der Grundsatz der Verhältnismässigkeit in der Regel für beide Fälle den Erlaß unterschiedlicher Maßnahmen. Bei einer Kapitalbeteiligung kann die Kommission davon ausgehen, daß die Beseitigung des eingeräumten Vorteils die Rückerstattung des eingebrachten Kapitals voraussetzt. Besteht bei einem Darlehen der Wettbewerbsvorteil in einem günstigen Zinssatz und nicht im Wert der zur Verfügung gestellten Mittel selbst, so kann die Kommission dagegen verlangen, daß anstelle der schlichten Rückzahlung der Hauptschuld ein Zinssatz angewandt wird, der unter normalen Marktbedingungen vereinbart worden wäre, und daß die Differenz zwischen den Zinsen, die unter solchen Bedingungen gezahlt worden wären, und den auf der Grundlage des eingeräumten Vorzugssatzes tatsächlich gezahlten Zinsen zurückgezahlt wird.

3 Die gemäß Artikel 190 des Vertrages erforderliche Begründung muß die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß es den Betroffenen möglich ist, zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme zu erfahren, und daß der Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle ausüben kann. In der Begründung brauchen jedoch nicht alle einschlägigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen von Artikel 190 des Vertrages genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

Die Kommission braucht in der Begründung von Entscheidungen, die sie erlässt, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen, die ihr die Betroffenen vortragen. Es reicht aus, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt.

Wird dieser Grundsatz auf die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe angewandt, so müssen die Gründe angegeben werden, aus denen die fragliche Beihilfemaßnahme nach Ansicht der Kommission unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages fällt.