1 Rechtsangleichung - Urheberrecht und verwandte Schutzrechte - Richtlinie 92/100 - Vermietung und Verleihen von Originalen und Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke - Mit der Richtlinie eingeführtes ausschließliches Vermietrecht - Keine Verletzung des Grundsatzes der Erschöpfung des Verbreitungsrechts
(EG-Vertrag, Artikel 36; Richtlinie 92/100 des Rates)
2 Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Grundrechte - Eigentumsrecht - Recht auf freie Berufsausübung - Beschränkungen - Richtlinie 92/100, mit der ein ausschließliches Vermietrecht auch zugunsten der Tonträgerhersteller eingeführt wird - Durch das Gemeinwohl gerechtfertigte Beschränkung - Keine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit
(EG-Vertrag, Artikel 36 und 128; Richtlinie 92/100 des Rates)
3 Die Einführung eines ausschließlichen Rechts zur Vermietung urheberrechtlich geschützter Werke durch die Richtlinie 92/100 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums kann keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts darstellen, das einen anderen Gegenstand und einen anderen Anwendungsbereich hat.
Der Grundsatz, daß die Verbreitungsrechte erschöpft werden, wenn urheberrechtlich geschützte Werke durch den Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung zum Kauf angeboten werden, leitet sich nämlich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes her, wonach das durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die gewerblichen Schutzrechte garantierte Ausschließlichkeitsrecht erschöpft ist, wenn ein Erzeugnis auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaats vom Rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmässig in den Verkehr gebracht worden ist. Die Werke der Literatur und Kunst können jedoch in anderer Weise gewerblich verwertet werden als durch den Verkauf von Bild- und Tonträgern.
Es wäre nicht möglich, den Urhebern der Werke eine Vergütung zu sichern, die der Zahl der tatsächlich erfolgten Vermietungen entspricht und ihnen einen angemessenen Anteil am Vermietungsmarkt sichert, wenn ein Anspruch auf Vergütung lediglich bei Verkäufen an private Verbraucher oder auch an Vermieter von Videokassetten eingeräumt würde. Daher können durch das Inverkehrbringen eines Tonträgers andere Handlungen der Nutzung des geschützten Werkes - wie etwa als die Vermietung -, die sich vom Verkauf oder irgendeiner anderen erlaubten Verbreitungshandlung unterscheiden, per definitionem nicht freigegeben werden. Wie das Recht an der Darbietung eines Werkes durch öffentliche Aufführung verbleibt ungeachtet des Verkaufs des das Werk verkörpernden materiellen Trägers auch das Vermietrecht dem Urheber und dem Hersteller.
4 Die freie Berufsausübung gehört wie auch das Eigentumsrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine allgemeine Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die freie Berufsausübung ebenso wie die Ausübung des Eigentumsrechts Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.
Die Zwecke der Richtlinie 92/100 entsprechen dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft. Zum einen stellt nämlich der Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst, das zum gewerblichen und kommerziellen Eigentum im Sinne von Artikel 36 des Vertrages gehört, einen der Gründe des Gemeinwohls dar, die Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen können; zum anderen gehört die kulturelle Entwicklung der Gemeinschaft zu den Zielen des Artikels 128 des Vertrages in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union, der u. a. die Förderung des künstlerischen und literarischen Schaffens bezweckt.
Was speziell die Einbeziehung der Tonträgerhersteller in den Kreis der Inhaber des ausschließlichen Vermietrechts angeht, so ist sie durch den Schutz der äusserst hohen und risikoreichen Investitionen gerechtfertigt, die für die Herstellung von Tonträgern erforderlich und für die weitere Schaffung neuer Werke durch die Urheber unerläßlich sind. So stellt die Einführung eines ausschließlichen Rechts für den Hersteller unter Berücksichtigung insbesondere der Entwicklung neuer Technologien und der zunehmenden Bedrohung durch die Piraterie, die noch dadurch gefördert wird, daß sich Tonträger äusserst leicht vervielfältigen lassen, sicher die wirksamste Form des Schutzes dar. Ohne ein solches Recht bestuende die Gefahr, daß die Vergütung derjenigen, die Investitionen in die Herstellung dieser Erzeugnisse tätigen, nicht mehr angemessen gewährleistet werden könnte, was auf jeden Fall Auswirkungen auf die Tätigkeit der Schaffung neuer Werke hätte.
Ausserdem entspricht die Verpflichtung, für Hersteller von Tonträgern und sonstige Inhaber der Rechte an Tonträgern ein ausschließliches Recht einzuführen, die gewerbliche Vermietung dieser Erzeugnisse zu gestatten oder zu verbieten, den Bestimmungen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS), das dem Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation als Anhang beigefügt ist.
Da nicht zu erkennen ist, daß die verfolgten Ziele durch Maßnahmen hätten erreicht werden können, die die freie Berufsausübung von auf die gewerbliche Vermietung von Tonträgern spezialisierten Personen oder Unternehmen stärker schützen, können die Folgen der Einführung eines ausschließlichen Vermietrechts nicht als unverhältnismässig und nicht tragbar angesehen werden.