61996C0350

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 4. Dezember 1997. - Clean Car Autoservice GesmbH gegen Landeshauptmann von Wien. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich. - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Nationale Regelung, nach der juristische Personen verpflichtet sind, einen Geschäftsführer zu bestellen, der im Inland wohnt - Mittelbare Diskriminierung. - Rechtssache C-350/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-02521


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitung

1 Im vorliegenden Fall geht es um österreichische Rechtsvorschriften, nach denen der Geschäftsführer bei bestimmten Gewerben seinen Wohnsitz in Österreich haben muß. Die Rechtssache wirft die Vorfrage auf, inwieweit sich Arbeitgeber in innerstaatlichen Verfahren auf gemeinschaftsrechtliche Rechte von Arbeitnehmern (u. a. Geschäftsführern) berufen können. Sie wirft ferner die Frage einer mittelbaren Diskriminierung sowie ihrer möglichen Rechtfertigung durch die Notwendigkeit auf, die Zustellung der Verhängung sowie die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen sicherzustellen.

II - Rechtslage und Sachverhalt

2 Das Gewerbe ist in Österreich durch die Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) geregelt. Nach § 5 Absatz 1 GewO 1994 dürfen Gewerbe aufgrund einer Anmeldung (§ 339) ausgeuebt werden. Nach § 339 ist die Gewerbeanmeldung bei der Verwaltungsbehörde des Standorts zu erstatten. Gemäß § 340 GewO 1994 hat die Bezirksverwaltungsbehörde aufgrund der Anmeldung zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes an dem betreffenden Standort vorliegen. Liegen sie nicht vor, so ist dies mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen.

3 Nach § 9 Absatz 1 GewO 1994 können juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts sowie eingetragene Erwerbsgesellschaften Gewerbe ausüben, müssen jedoch einen Geschäftsführer oder Pächter (§ 39) bestellt haben.

4 § 39 Absätze 1 bis 3 GewO 1994 hat folgenden Wortlaut:

"(1) Der Gewerbeinhaber kann für die Ausübung seines Gewerbes einen Geschäftsführer bestellen, der dem Gewerbeinhaber gegenüber für die fachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes und der Behörde (§ 333) gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich ist; er hat einen Geschäftsführer zu bestellen, wenn er keinen Wohnsitz im Inland hat.

(2) Der Geschäftsführer muß den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen, seinen Wohnsitz im Inland haben und in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Handelt es sich um ein Gewerbe, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, so muß der gemäß § 9 Absatz 1 zu bestellende Geschäftsführer einer juristischen Person ausserdem

1. dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder

2. ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein.

Der gemäß Absatz 1 für die Ausübung eines Gewerbes, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, zu bestellende Geschäftsführer eines Gewerbeinhabers, der keinen Wohnsitz im Inland hat, muß ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 29/1993 geltenden Bestimmungen des § 39 Absatz 2 gelten für Personen, die am 1. Juli 1993 als Geschäftsführer bestellt sind, bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 weiter.

(3) In den Fällen, in denen ein Geschäftsführer zu bestellen ist, muß der Gewerbeinhaber sich eines Geschäftsführers bedienen, der sich im Betrieb entsprechend betätigt."

5 Gemäß § 370 Absatz 2 GewO 1994 sind, wenn die Bestellung eines Geschäftsführers angezeigt oder genehmigt wurde, Geldstrafen gegen den Geschäftsführer zu verhängen.

6 Die Fortreß Immobilien Entwicklungs Ges.m.b.H., nunmehr Clean Car Autoservice Ges.m.b.H. (Beschwerdeführerin), eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich, meldete mit Schriftsatz vom 13. Juni 1995 beim Magistrat der Stadt Wien, Mag. Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk, das Gewerbe "Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (Servicestation) unter Ausschluß jedweder handwerklicher Tätigkeit" an. Gleichzeitig teilte sie mit, daß sie Rudolf Henssen zum Geschäftsführer bestellt habe. Der bestellte Geschäftsführer, ein deutscher Staatsangehöriger, sei bemüht, eine Wohnung in Österreich anzumieten, weshalb der Meldezettel für den österreichischen Wohnsitz zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werde. Der bestellte Geschäftsführer ist wohl zwischenzeitlich nach Wien gezogen. Mit Bescheid vom 20. Juli 1995 untersagte der Magistrat der Stadt Wien, Mag. Bezirksamt für den 23. Bezirk, die Ausübung des Gewerbes mit der Begründung, der bestellte Geschäftsführer wohne in Berlin und entspreche somit nicht den persönlichen Voraussetzungen des § 39 Absatz 2 GewO 1994, daß er seinen Wohnsitz in Österreich habe und in der Lage sei, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen.

7 Am 10. August 1995 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Berufung beim Landeshauptmann von Wien. Sie machte geltend, der bestellte Geschäftsführer habe nunmehr seinen Wohnsitz in Wien; zudem sei ein Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union ausreichend, um den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Der Landeshauptmann wies die Berufung mit Bescheid vom 2. November 1995 mit der Begründung zurück, daß der Zeitpunkt der Anmeldung maßgeblich sei, als der bestellte Geschäftsführer noch keinen Wohnsitz in Österreich gehabt habe.

8 Am 21. Dezember 1995 legte die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung ein, ihr gemeinschaftsrechtliches Vorbringen sei missachtet worden. Sie berief sich namentlich auf die Artikel 6 und 48 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) und auf das Verbot verdeckter Diskriminierung; ausserdem sei der bestellte Geschäftsführer ein Angestellter der Gesellschaft und damit ein Arbeitnehmer.

III - Fragen

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß Artikel 177 EG-Vertrag folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Artikel 48 EG-Vertrag und Artikel 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68(1) dahingehend auszulegen, daß daraus auch inländischen Arbeitgebern das Recht erfließt, Arbeitnehmer, die Angehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, ohne Bindung an Bedingungen zu beschäftigen, die - auch wenn sie auf die Staatsangehörigkeit nicht abstellen - typisch mit der Staatsbürgerschaft verbunden sind?

2. Wenn das im Punkt 1 genannte Recht inländischen Arbeitgebern zusteht: Sind Artikel 48 EG-Vertrag und Artikel 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dahin auszulegen, daß eine Regelung wie § 39 Absatz 2 GewO 1994, wonach der Gewerbeinhaber nur eine Person zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellen darf, die ihren Wohnsitz im (österreichischen) Inland hat, damit im Einklang steht?

10 Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, die erste Frage gehe dahin, ob aus Vorschriften, die primär die Rechtsstellung von Arbeitnehmern regeln, auch dem Arbeitgeber ein Rechtsanspruch erfließe. Bei der Beantwortung der zweiten Frage sei darauf Bedacht zu nehmen, daß der Geschäftsführer gegenüber der Behörde für die Einhaltung der österreichischen gewerberechtlichen Rechtsvorschriften hafte.

IV - Erklärungen

11 Die Beschwerdeführerin, der Landeshauptmann von Wien, die Republik Österreich und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Die Kommission hat sich in der mündlichen Verhandlung geäussert.

12 Die Beschwerdeführerin macht geltend, eine Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag und der Artikel 1 und 3 der Verordnung Nr. 1612/68 dahin, daß Arbeitgeber grundsätzlich nicht berechtigt seien, Arbeitnehmer ohne Bindung an Bedingungen zu beschäftigen, die typisch mit der Staatsbürgerschaft eines bestimmten Staates verbunden seien, würde das Freizuegigkeitsrecht in Frage stellen. Ausnahmen, wie sie Artikel 48 Absatz 3 EG-Vertrag vorsehe, sollten eng ausgelegt werden(2) und seien für die vorliegende Rechtssache nicht von Bedeutung. Insbesondere wäre eine Einschränkung mit dem öffentlichen Interesse nur dann schlüssig zu begründen, wenn ein Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaats einer Beschäftigung nachgehe, die dem nationalen Interesse widerspreche. Schließlich könne die Voraussetzung, daß der Geschäftsführer in der Lage sein müsse, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen, bei bestimmten Standorten leichter von einem Grenzgänger mit Wohnsitz in einem benachbarten Teil Deutschlands als von einer Person mit einem Wohnsitz in einem entfernten Teil Österreichs erfuellt werden.

13 Der Landeshauptmann von Wien gelangt zu dem Ergebnis, daß Arbeitgeber aus Artikel 48 EG-Vertrag und den Artikeln 1 und 3 der Verordnung Nr. 1612/68 Rechte herleiten könnten, meint aber, daß die fragliche Einschränkung aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei. Der Geschäftsführer sei den österreichischen Behörden anstelle des Inhabers des Gewerbes für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich und somit auch verwaltungsstrafrechtlich verfolgbar. Deshalb müsse er an einem Ort wohnen, in dem Strafbescheide zugestellt und erforderlichenfalls vollstreckt werden könnten. § 39 Absatz 2 GewO 1994 in der seit dem 1. Juli 1996 (nicht aber zur maßgeblichen Zeit) geltenden Fassung schreibe vor, daß der Geschäftsführer seinen Wohnsitz in Österreich haben müsse, sofern die Zustellung der Verhängung und die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen nicht durch ein internationales Übereinkommen sichergestellt seien. § 39 Absatz 2 GewO 1994 sei mit Artikel 38 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vergleichbar, wonach der in dieser Bestimmung vorgesehene Zustellungsbevollmächtigte über eine Zustellungsanschrift am Gerichtssitz verfügen müsse; dabei sei die Person zu benennen, die ermächtigt sei und sich bereit erklärt habe, die Zustellungen entgegenzunehmen. Die Funktion des Geschäftsführers beschränke sich jedoch nicht darauf, der Behörde eine Zustellmöglichkeit zu gewährleisten, sondern erstrecke sich auf die persönliche Verantwortlichkeit für die Gewerbeausübung.

14 Die Republik Österreich trägt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes vor, ein Arbeitgeber falle nicht in den persönlichen Schutzbereich des Artikels 48 EG-Vertrag(3). Demnach sei die Frage 1 zu verneinen, weswegen auf die zweite Vorlagefrage nicht mehr einzugehen sei.

15 Hilfsweise trägt die Republik Österreich vor, die materiellen Vorschriften des § 39 Absatz 2 GewO 1994 seien aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt(4). Die Zustellung der Verhängung sowie die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union seien, sofern nicht vereinzelt bilaterale Verträge bestuenden, nur sehr eingeschränkt möglich. Eine Erörterung der Artikel 1 und 3 der Verordnung Nr. 1612/68, die in Ausführung des Artikels 48 EG-Vertrag ergangen sei, erübrige sich.

16 Die Kommission führt aus, Artikel 48 EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 1612/68 erkannten nicht den Arbeitgebern, sondern den Arbeitnehmern Rechte zu. Daher sei zu prüfen, ob ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne dieser Bestimmungen in der Auslegung durch das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Lawrie-Blum angesehen werden könne(5). In dieser Rechtssache habe der Gerichtshof ausgeführt, daß der Begriff des Arbeitnehmers anhand objektiver Kriterien zu definieren sei, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichneten. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte(6). Da der Geschäftsführer in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Aufsichtsrat bzw. der Generalversammlung stehe, die ihn in der Absicht ernannten, daß er bestimmte Verwaltungsaufgaben in ihrem Namen und unter ihrer Weisung durchführe, da er wahrscheinlich mit der Gesellschaft einen Arbeitsvertrag habe und da er im Falle einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht als unabhängiger Dienstleistungserbringer angesehen werden könne, der unter Artikel 52 falle, wenn er nicht Alleineigentümer aller Gesellschaftsanteile sei, sei ein Geschäftsführer unter Umständen, wie sie hier vorlägen, Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EG-Vertrag.

17 Hauptsächlicher Effekt des Wohnsitzerfordernisses in § 39 Absatz 2 GewO 1994 sei es, Nicht-Österreicher auszuschließen. Ausserdem würden Gewerbebetriebe daran gehindert, Geschäftsführer zu bestellen, die für ihre Tätigkeit in mehr als einem Mitgliedstaat zuständig seien. Weiter finde Artikel 48 Absatz 3 EG-Vertrag keine Anwendung. Zwar könnten nationale Vorschriften, die keine unmittelbare Diskriminierung darstellten, mit Erwägungen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden(7); es gebe auch ein Allgemeininteresse daran, die Zustellung der Verhängung und die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen im Falle von Rechtsverstössen eines Gewerbebetriebes sicherzustellen. Jedoch schränkten die österreichischen Vorschriften die von Artikel 48 EG-Vertrag gewährleistete Freiheit unverhältnismässig ein. Es hätte genügt, den Geschäftsführer zu verpflichten, eine Geschäftsadresse in Österreich zu haben, die die Adresse der Gesellschaft sein könnte, wenn diese in Österreich ansässig sei, oder die Gesellschaft zu verpflichten, in Abstimmung mit den Behörden eine angemessene Garantie für die Bezahlung eventueller Geldstrafen zu hinterlegen.

V - Erörterung

Frage 1

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht die Frage aufgeworfen, ob der bestellte Geschäftsführer Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts sei. Im Vorlagebeschluß spricht er den Geschäftsführer als Angestellten an; diese Auffassung liegt sowohl der ersten wie der zweiten Frage zugrunde. Der Gerichtshof hat entschieden, daß Angestellte für gemeinschaftsrechtliche Zwecke als Arbeitnehmer zu behandeln seien(8). Ständige Rechtsprechung ist auch, daß Artikel 48 EG-Vertrag Rechte begründet, die vor nationalen Gerichten unmittelbar anwendbar sind(9). Die erste Frage geht dahin, ob auch Arbeitgeber, nicht nur Arbeitnehmer, vor nationalen Gerichten Rechte aus Artikel 48 EG-Vertrag und den Artikeln 1 und 3 der Verordnung geltend machen können. Da diese Artikel der Verordnung nur die bereits aus Artikel 48 EG-Vertrag folgenden Rechte verdeutlichen und sie durchführen(10), ist die erste Frage auf der Grundlage von Artikel 48 zu beantworten.

19 Die Republik Österreich hat vorgetragen, Arbeitgeber fielen nicht in den persönlichen Schutzbereich des Artikels 48 EG-Vertrag. Die Entscheidungen, auf die sie sich bezieht(11), definieren den Arbeitnehmer und das Arbeitsverhältnis, von dem sich dieser Status ableitet, und stellen fest, daß die Freizuegigkeit an diesen Status "anknüpft"(12). Weder ausdrücklich noch stillschweigend wird in diesen Entscheidungen die Erstreckung des Anwendungsbereichs der gemeinschaftlich-rechtlichen Vorschriften über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer auf andere Personen angesprochen, die gleichwohl eine erhebliche Beziehung zu einem Arbeitnehmer haben; sie wird aber auch nicht ausgeschlossen. Auch dem Wortlaut des EG-Vertrags und des Sekundärrechts lässt sich derartiges nicht entnehmen. So ist Artikel 49 EG-Vertrag die Rechtsgrundlage für die Verordnung einschließlich ihrer Bestimmungen über den Wohnsitz, die Wohnung, das Arbeitsverhältnis und die Erziehung von Familienangehörigen der Arbeitnehmer unabhängig von deren Staatsangehörigkeit.

20 Artikel 48 Absatz 3 EG-Vertrag gewährt nach seinem Wortlaut Rechte, die ihrem Wesen nach Arbeitnehmern zustehen: sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck frei zu bewegen, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um eine Beschäftigung auszuüben. Ähnlich spricht Artikel 1 der Verordnung vom Recht jedes Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, ungeachtet seines Wohnsitzes eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats mit dem gleichen Vorrang wie die eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen und auszuüben. Artikel 48 Absätze 1 und 2 nennt andererseits keine spezifischen Begünstigten der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, die "spätestens bis zum Ende der Übergangszeit ... innerhalb der Gemeinschaft ... hergestellt [wird]" und "die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen [umfasst]". Dementsprechend schreibt Artikel 3 der Verordnung nur vor, daß Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats "keine Anwendung finden", wenn sie das Stellenangebot und das Arbeitsgesuch, den Zugang zur Beschäftigung und deren Ausübung einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, die für Inländer nicht gelten oder die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, daß Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden.

21 Die Wirksamkeit dieser Rechte und Verbote würde erheblich gesteigert, wenn sich neben den Arbeitnehmern auch andere Wirtschaftsteilnehmer darauf berufen könnten, deren Freiheit, sich an Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten zu wenden, beschränkt wird. So könnte das Recht der Arbeitnehmer nach Artikel 48 Absatz 3 EG-Vertrag, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, umgangen werden, wenn sich Arbeitgeber nicht gegen nationale Beschränkungen der Abgabe solcher Angebote wenden könnten. Von Belang ist auch, daß die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zwar zum Teil als Ausdruck subjektiver Rechte der Arbeitnehmer betrachtet werden kann und durch ihre Bemühungen, diese Rechte u. a. vor nationalen Gerichten zu sichern, verstärkt wird, daß sie aber letztlich dem in Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag genannten, im Allgemeininteresse liegenden Ziel der Errichtung eines Binnenmarktes dient, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.

22 Der Gerichtshof hat zur Befugnis von Arbeitgebern, sich auf Rechte zu berufen, die generell als Arbeitnehmerrechte bezeichnet werden, bereits in der Rechtssache Agegate(13) direkt Stellung genommen. In dieser Rechtssache ging es um die Auslegung der Artikel 55 und 56 - Freizuegigkeit der Arbeitnehmer - der Akte über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften. Der Gerichtshof wurde gefragt, ob das Recht des Vereinigten Königreichs, das Voraussetzungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes und der Sozialversicherungsbeiträge zur sozialen Sicherheit von Besatzungsmitgliedern aufstellte, die die meisten spanischen Staatsangehörigen ausschlossen, gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen verstosse, und ob sich der Eigentümer eines Fischereifahrzeugs mit einer zum Teil spanischen Besatzung vor nationalen Gerichten auf diese Bestimmungen berufen könne. Der Gerichtshof führte aus, daß der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 55 der Beitrittsakte mit dem Arbeitnehmerbegriff des Artikels 48 EG-Vertrag identisch sei(14) und daß die Besatzungsmitglieder ungeachtet der Art ihrer Bezahlung als Arbeitnehmer betrachtet werden könnten. Der Gerichtshof entschied weiter, daß die in Artikel 56 Absatz 1 der Beitrittsakte vorgesehene Ausnahme von der sofortigen Anwendung des Artikels 48 EG-Vertrag zwischen Spanien und den bisherigen Mitgliedstaaten eng auszulegen sei(15). Insbesondere erlaube sie nicht die Einführung neuer Beschränkungen, wie sie einige der Voraussetzungen darstellten, die das Recht des Vereinigten Königreichs aufstellte(16). In Beantwortung der Frage nach der Berechtigung der Schiffseigentümer und Arbeitgeber, sich auf diese Bestimmungen zu berufen, antwortete der Gerichtshof schlicht, daß keine der genannten Vorschriften ohne unmittelbare Wirkung sei und daß sich die einzelnen folglich vor einem nationalen Gericht auf diese Vorschriften berufen könnten(17).

23 In der Rechtssache Merci Convenzionali Porto di Genova entschied der Gerichtshof, daß Artikel 48 auch im Rahmen des Artikels 90 unmittelbare Wirkung habe und für den einzelnen Rechte begründe, die die nationalen Gerichte zu wahren hätten(18). In dieser Rechtssache führte ein Importeur Beschwerde darüber, daß die Besatzung seines eigenen Schiffes im Hafen von Genua die Ladung nicht entladen durfte, weil derartige Arbeiten einem Unternehmen vorbehalten waren, dessen Angehörige italienischer Staatsangehörigkeit zu sein hatten. Weiter ging der Gerichtshof auf dem Gebiet der Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz, das wohl auch in erster Linie Arbeitnehmerrechte betrifft, in der Rechtssache Stöckel(19) vom Recht eines Arbeitgebers aus, sich gegen eine Strafverfolgung nach nationalem Arbeitsrecht, das Nachtarbeit verbot, auf die unmittelbare Wirkung von Bestimmungen der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen(20) zu berufen.

24 Die Erstreckung des Rechts, sich auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu berufen, auf Arbeitgeber und andere Betroffene entspricht auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum persönlichen Anwendungsbereich anderer Binnenmarktsfreiheiten. In den Rechtssachen Luisi und Carbone(21) und Cowan(22) entschied der Gerichtshof, daß sich auf die Vorschriften des EG-Vertrags über Dienstleistungen, die nur von der Freiheit zur Erbringung von Dienstleistungen sprechen, auch Empfänger von Dienstleistungen berufen können, weil dies die notwendige Ergänzung hierzu sei(23) und tatsächlich von Anfang an ausdrücklich beabsichtigt gewesen sei(24). In der Rechtssache Bachmann(25) entschied der Gerichtshof in einer Rechtssache, die von einem Versicherten angestrengt worden war, sogar, daß die beanstandeten Bestimmungen des belgischen Steuerrechts für den Versicherer eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellten. Von Belang ist hier, daß Artikel 59 ebenso wie Artikel 48 Absätze 1 und 2 eine Bestimmung ist, die keiner bestimmten Gruppe von Personen Rechte gewährt, sondern die Beschränkungen abschafft. Es ist daher mit den einschlägigen Vorschriften vereinbar, den Personenkreis, der Rechte aus den Bestimmungen des EG-Vertrags über grundlegende wirtschaftliche Freiheiten ableitet, weit zu ziehen. Das entspricht den Ausführungen des Gerichtshofes in der Rechtssache Van Gend en Loos(26), daß das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, das das Ziel des EG-Vertrags sei, die einzelnen Gemeinschaftsangehörigen unmittelbar betreffe. Daher könnten einzelne selbst aus einer Bestimmung des EG-Vertrags, die ein Verbot enthalte, unmittelbar wirksame Rechte ableiten; ihre Wachsamkeit stelle eine wirksame Kontrolle der Durchführung von Gemeinschaftsrecht dar, welche die Kontrolle gemäß den Artikeln 169 und 170 EG-Vertrag ergänze(27).

25 Es wäre eigenartig, könnten die Verbraucher aus dem Gemeinschaftsrecht ein unmittelbar wirksames Recht herleiten, in andere Mitgliedstaaten zu reisen, um dort Dienstleistungen u. a. des Fremdenverkehrs zu empfangen oder Waren zu kaufen(28), Arbeitgeber aber kein entsprechendes Recht hätten, in andere Mitgliedstaaten zu reisen, um Arbeitnehmer einzustellen. Es wäre auch sinnwidrig, wenn ein Arbeitgeber keine Beschwerde über diskriminierende Beschränkungen seiner Fähigkeit führen könnte, im Ausland Arbeitnehmer anzuwerben, während eine von ihm beauftragte Arbeitsvermittlungsstelle vor den nationalen Gerichten gegen eine solche Beschränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit klagen könnte(29). Arbeitgeber haben ein unmittelbares, reelles wirtschaftliches Interesse an der Wirksamkeit des Artikels 48. Arbeitgeber sind notwendige Teilnehmer an der Ausübung der den Arbeitnehmern garantierten Freiheiten. Als Betroffene können sie eine wirksame Kontrolle der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes ausüben, welche die von der Kommission gemäß Artikel 169 EG-Vertrag ausgeuebte Kontrolle ergänzt.

26 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß Arbeitgeber im Gaststaat aus Artikel 48 EG-Vertrag das unmittelbar anwendbare Recht ableiten können, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer zu beschäftigen, ohne durch nationale Rechtsvorschriften gebunden zu sein, die diese Arbeitnehmer aus Gründen ihrer Staatsangehörigkeit unmittelbar oder mittelbar diskriminieren.

Frage 2

27 Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für Arbeitsverhältnisse aufstellen, die mittelbar oder verdeckt aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminieren, verstossen gegen Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag und gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung. Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß nationale Rechtsvorschriften, die nach dem Wohnsitz unterscheiden, in der Regel Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten benachteiligen. Personen mit Wohnsitz im Ausland sind in der Mehrzahl Ausländer(30).

28 Offenkundig kann daher die Voraussetzung, daß von bestimmten Gesellschaften in Österreich bestellte Geschäftsführer dort ihren Wohnsitz haben müssen, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellen. Eine solche Diskriminierung kann jedoch mit Erfordernissen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden(31). Im vorliegenden Fall wurden zwei mögliche Rechtfertigungen angesprochen, die beide mit dem Umstand zusammenhängen, daß der Geschäftsführer nach österreichischem Recht für die Ausübung des Gewerbes verantwortlich ist.

29 Hier ist das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Van Binsbergen(32) von Belang. Die dortige Erörterung der Berufsregelungen, die Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Dienstleistungserbringern entgegenhalten, lässt sich für bestimmte Zwecke auf die Lage von Arbeitnehmern erstrecken, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, aber in einem anderen Leitungsfunktionen wahrnehmen. Der Gerichtshof führte aus:

"In Anbetracht der Besonderheiten der Dienstleistungen dürfen jedoch diejenigen an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem [EG-]Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen - namentlich der Vorschriften über Organisation, Befähigung, Berufspflichten, Kontrolle, Verantwortlichkeit und Haftung - ergeben und die für alle im Gebiet des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, ansässigen Personen verbindlich sind; dies insoweit, als der Leistende dem Zugriff dieser Regelungen nur deshalb entgehen würde, weil er in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist."(33)

30 Im vorliegenden Fall lässt sich das Wohnsitzerfordernis zunächst möglicherweise mit der Überlegung rechtfertigen, es sichere die Beachtung der Voraussetzung, daß der Geschäftsführer in der Lage sein muß, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen, daß er also eine wirkliche, nicht nur eine formale Rolle zu spielen hat. Da der Geschäftsführer den Behörden für die Ausübung des Gewerbes verantwortlich ist, ist dies ein legitimes Ziel, das der Kategorie der Berufsregelungen über die Organisation im Sinne des Urteils Van Binsbergen zugeordnet werden kann. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann das Wohnsitzerfordernis für die Erreichung dieses Zieles jedoch entweder überfluessig oder - grundsätzlicher - ungeeignet sein. Es ist überfluessig, wenn ein Grenzgänger, wie vorgetragen wurde, seine Aufgaben als Geschäftsführer wahrnehmen kann, ohne seinen Wohnsitz in einem Nachbarmitgliedstaat aufzugeben. Zur maßgeblichen Zeit scheint der bestellte Geschäftsführer jedoch in Berlin gewohnt zu haben. Dem vorliegenden Fall entspricht es besser, zu überlegen, wie das Wohnsitzerfordernis das angestrebte Ziel zu erreichen sucht. Es ist ungenügend, wenn ein Geschäftsführer trotz seines Wohnsitzes in Österreich an der tatsächlichen Führung der Gesellschaft nicht teilnimmt oder nicht teilnehmen kann. Daher läge eine geringere Einschränkung vor, wenn die nationalen Behörden direkt die Voraussetzung der entsprechenden Betätigung aufstellten und dabei erforderlichenfalls, wie es die GewO 1994 für bestimmte Betriebe tut, die Arbeitszeit regelten, und es dem Geschäftsführer überließen, im Lichte geographischer und anderer Umstände seinen Wohnsitz mit dieser Voraussetzung in Einklang zu bringen.

31 Vorgetragen wurde auch, daß der Geschäftsführer seinen Wohnsitz in Österreich haben müsse, damit im Falle des Verstosses gegen gewerberechtliche Rechtsvorschriften die Verhängung von Verwaltungsstrafen zugestellt und diese vollstreckt werden können. Das ist ein legitimes Ziel. Die Mitgliedstaaten haben offenkundig ein Interesse daran, daß Gewerbetreibende, die nach Rechtsvorschriften wie der GewO 1994 angemeldet sind, sich in der Öffentlichkeit ordnungsgemäß verhalten, und damit auch an der Beibehaltung wirksamer Aufsichtsregelungen. Eine solche Aufsicht kann ebenso wie die Steueraufsicht und eine Reihe anderer zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses eine Beschränkung der Ausübung von Grundfreiheiten rechtfertigen, die der EG-Vertrag gewährleistet(34). Angesichts der zutage liegenden Schwierigkeiten der Vollstreckung von Verwaltungsstrafen im Ausland können Vorschriften erlassen werden, die sicherstellen sollen, daß Geschäftsführer sich den österreichischen Berufsregelungen nicht durch eine Wohnsitznahme ausserhalb Österreichs entziehen.

32 Es bleibt jedoch zu prüfen, ob es weniger beschränkende Vorgehensweisen gibt, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann(35). Was die Zustellung der Verhängung von Verwaltungsstrafen betrifft, so hat es der Gerichtshof im Urteil Van Binsbergen im Zusammenhang mit dem Erfordernis, die Einhaltung von Berufsregelungen zu gewährleisten, die sich auf das Funktionieren der Rechtspflege und die Erfuellung von Standespflichten beziehen, für angemessen gehalten, wenn ein in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafter Rechtsanwalt eine Zustellungsanschrift im fraglichen Mitgliedstaat benennt(36). Im vorliegenden Zusammenhang könnte dies entweder die Geschäftsadresse des Geschäftsführers oder, wie die Kommission vorgeschlagen hat, der Sitz der juristischen Person sein, bei der er beschäftigt ist, wenn diese ihren Sitz in Österreich hat.

33 Das Urteil Van Binsbergen betraf jedoch einen Rechtsanwalt, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem eigenen Dienstleistungen erbrachte. Der Gerichtshof hat diesen Fall deutlich gegenüber demjenigen niedergelassener Personen abgegrenzt. Die Analogie zur Erbringung von Dienstleistungen ist weniger überzeugend, wenn es um die Durchsetzung materieller Berufsregelungen im Falle eines Arbeitnehmers geht, der ausschließlich in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist. Ich habe keinen Zweifel daran, daß Österreich berechtigt ist, ein wirksames Verfahren für die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen zu fordern. Es ist daher zu prüfen, ob es zu diesem Zweck weniger einschneidende Mittel als das Wohnsitzerfordernis gibt. Im Urteil Bachmann(37) führte der Gerichtshof aus, die Schwierigkeiten, die die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats mit der Vollstreckung einer Selbstverpflichtung eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherers zur Zahlung einer Steuer auf Beträge haben könnten, die an einen Steuerpflichtigen im ersteren Mitgliedstaat zu zahlen sind, könnten eine Besteuerung der Versicherungsbeiträge dieses Steuerpflichtigen rechtfertigen, die diesen indirekt diskriminierte. Der Gerichtshof erklärte jedoch auch, daß "sich eine solche Verpflichtung grundsätzlich mit der Leistung einer Sicherheit durch den Versicherer koppeln [ließe]"(38), wenn dem auch damals die damit verbundenen Kosten entgegenstanden.

34 Aufgrund derselben Überlegung würde die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer weniger beschränkt, wenn ein im Ausland wohnhafter bestellter Geschäftsführer die Wahl hätte, entweder seinen Wohnsitz zu wechseln oder den österreichischen Behörden die Beachtung allfälliger Verwaltungsstrafen durch eine Kaution, die Einrichtung eines Sperrkontos, einen Bürgen oder andere Mittel zu garantieren. Die Akten erlauben nicht, zu entscheiden, ob solche finanziellen Mittel das österreichische Ziel garantieren könnten. Es mag Aspekte der Verpflichtungen eines angemeldeten Gewerbetreibenden geben, die wirksam nur gegen einen Geschäftsführer vollstreckt werden können, der mit seiner Person verantwortlich ist. Daher sollte dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung überlassen bleiben, ob bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände unter Einschluß der Ziele der GewO 1994 eine finanzielle Garantie den Anforderungen des Falles entspräche. Bejahendenfalls ist die österreichische Regelung übermässig beschränkend, verneinendenfalls aber in Ermangelung anderer Möglichkeiten, das Ziel der Verantwortlichkeit des Geschäftsführers sicherzustellen, gerechtfertigt.

35 Freilich ist auch das lästige Erfordernis, daß ein Geschäftsführer eine Garantie stellt, nur veranlasst, wenn die Vollstreckung der Verwaltungsstrafen im Wohnsitzmitgliedstaat nicht anders sichergestellt werden kann. Auch eine Zustellungsanschrift ist nur erforderlich, wenn die Zustellung am Wohnsitz nicht gewährleistet ist. Beide Beschränkungen ließen sich vermeiden, wenn die Zustellung der Verhängung und die Vollstreckung von Verwaltungsstrafen sich beispielsweise durch ein völkerrechtliches Übereinkommen sichern ließe. Das wird in der geänderten Fassung des § 39 GewO 1994 anerkannt, nach der ab 1. Juli 1996 das Wohnsitzerfordernis für Geschäftsführer entfällt, wenn Österreich und der Wohnsitzstaat Parteien eines solchen Übereinkommens sind. Ein solches Übereinkommen ist wohl zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland geschlossen worden, also dem Mitgliedstaat, an dem der bestellte Geschäftsführer zur maßgeblichen Zeit seinen Wohnsitz hatte; es war damals wohl auch anwendbar(39). Es ist jedoch Sache des Verwaltungsgerichtshofs, dies zu ermitteln. War ein solches Übereinkommen in Kraft, so ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Wielockx(40), daß das zwingende Erfordernis des Allgemeininteresses - in jenem Fall die steuerliche Kohärenz - durch den möglichen Rückgriff auf dieses Übereinkommen hinreichend gesichert war. Auch wenn vielleicht nicht alle Mitgliedstaaten solche Übereinkommen geschlossen haben, können diese doch herangezogen werden, um Beschränkungen der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer weitestmöglich zu reduzieren, selbst wenn dies zu unterschiedlichen Anforderungen des Gaststaates an die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten führt. War also das fragliche Übereinkommen anwendbar, dann war die Vorschrift, daß der bestellte Geschäftsführer seinen Wohnsitz in Österreich haben musste, unverhältnismässig, so daß die durch sie bewirkte mittelbare Diskriminierung nicht mit Erfordernissen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden konnte.

VI - Antrag

36 Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Verwaltungsgerichtshofs wie folgt zu beantworten:

1. Arbeitgeber im Gaststaat können aus Artikel 48 EG-Vertrag das unmittelbar anwendbare Recht ableiten, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer zu beschäftigen, ohne durch nationale Rechtsvorschriften gebunden zu sein, die diese Arbeitnehmer aus Gründen der Staatsangehörigkeit mittelbar oder unmittelbar diskriminieren.

2. Eine nationale Vorschrift, nach der ein Gewerbeinhaber für gewerberechtliche Zwecke nur einen Geschäftsführer bestellen darf, der seinen Wohnsitz im Gaststaat hat, ist eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

3. Eine solche Vorschrift kann durch das Interesse des Mitgliedstaats gerechtfertigt werden, die Beachtung nationalen Rechts oder nationaler Verwaltungsentscheidungen über die Ausübung eines angemeldeten Gewerbebetriebs zu sichern, wenn dieses Ziel nicht durch eine finanzielle Garantie oder durch ein einschlägiges völkerrechtliches Übereinkommen gesichert werden kann.

(1) - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2; Verordnung).

(2) - Urteil vom 4. Dezember 1974 in der Rechtssache 41/74 (Van Duyn, Slg. 1974, 1337).

(3) - Urteil vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81 (Levin, Slg. 1982, 1035, Randnr. 9), Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85 (Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 ff.), Urteil vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089, Randnr. 25).

(4) - Urteil vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249), Urteil vom 20. Mai 1992 in der Rechtssache C-106/91 (Ramrath, Slg. 1992, I-3351, Randnrn. 29 ff.), Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225) und Rechtssache Asscher (a. a. O.).

(5) - Zitiert in Fußnote 3.

(6) - Zitiert in Fußnote 3, Randnr. 17.

(7) - Urteil Bachmann (zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 21 ff.), Urteil vom 16. Juni 1992 in der Rechtssache C-351/90 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1992, I-3945, Randnrn. 19 ff.).

(8) - Urteil Lawrie-Blum (zitiert in Fußnote 3, Randnr. 17).

(9) - Vgl. z. B. Urteil vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache 36/74 (Walrave, Slg. 1974, 1405).

(10) - Urteil vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-419/92 (Scholz, Slg. 1994, I-505, Randnr. 6).

(11) - Siehe die Zitate in Fußnote 3.

(12) - Siehe insbesondere Urteil Levin (zitiert in Fußnote 3, Randnr. 9).

(13) - Urteil vom 14. Dezember 1989 in der Rechtssache C-3/87 (Slg. 1989, I-4459).

(14) - A. a. O., Randnr. 34.

(15) - A. a. O., Randnr. 39; siehe auch Urteil vom 23. März 1983 in der Rechtssache 77/82 (Peskeloglou, Slg. 1983, 1085).

(16) - Urteil Agegate (zitiert in Fußnote 13, Randnr. 40).

(17) - A. a. O. (Randnr. 42).

(18) - Urteil vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90 (Slg. 1991, I-5889, Randnr. 23 und Punkt 2 des Tenors).

(19) - Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-345/89 (Slg. 1991, I-4047).

(20) - Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40).

(21) - Urteil vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Slg. 1984, 377, Randnrn. 10 und 16).

(22) - Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Slg. 1989, 195, Randnr. 15).

(23) - Urteil Luisi und Carbone (zitiert in Fußnote 21, Randnr. 10).

(24) - A. a. O., Randnrn. 12 bis 14.

(25) - Zitiert in Fußnote 4, Randnr. 31.

(26) - Urteil vom 5. Februar 1963 in der Rechtssache 26/62 (Slg. 1963, 1, 24).

(27) - A. a. O., S. 25 f.

(28) - Vgl. Urteil vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88 (GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, Randnr. 8).

(29) - Zum Verhältnis von Arbeitsvermittlung zu den Dienstleistungsvorschriften des EG-Vertrags vgl. Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89 (Rush Portugüsa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 16), siehe auch Urteil vom 23. April 1991 in der Rechtssache C-41/90 (Höfner und Elster, Slg. 1991, I-1979, Randnrn. 35 bis 40).

(30) - Vgl. etwa Urteil Schumacker (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 28).

(31) - A. a. O., Randnr. 39.

(32) - Urteil vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74 (Slg. 1974, 1299).

(33) - A. a. O., Randnr. 12.

(34) - Urteil vom 20. Februar 1978 in der Rechtssache 120/78 (Rewe-Zentral [Cassis de Dijon], Slg. 1979, 649, Randnr. 8), Urteil vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-250/95 (Futura Participations SA, Slg. 1997, I-2471, Randnr. 31).

(35) - Es wurde nicht vorgetragen, daß Geschäftsführer ihren Wohnsitz in Österreich haben müssten, um die Verhängung von Verwaltungsstrafen zu ermöglichen. Die folgende Erörterung beschränkt sich deshalb auf die praktischen Probleme, die die Zustellung der Verhängung und die Vollstreckung solcher Verwaltungsstrafen mit sich bringt.

(36) - Siehe Fußnote 32, Randnrn. 14 und 16.

(37) - Zitiert in Fußnote 4, Randnr. 24.

(38) - A. a. O., Randnr. 25.

(39) - Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, (österreichisches) BGBl. Nr. 526/1990.

(40) - Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94 (Slg. 1995, I-2493, Randnr. 25).