61996C0149

Schlussanträge des Generalanwalts Saggio vom 25. Februar 1999. - Portugiesische Republik gegen Rat der Europäischen Union. - Gemeinsame Handelspolitik - Marktzugang für Textilwaren - Waren mit Ursprung in Indien und Pakistan. - Rechtssache C-149/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-08395


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Die Portugiesische Republik beantragt beim Gerichtshof mit einer bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 3. Mai 1996 eingegangenen Klage gemäß Artikel 173 EG-Vertrag die Nichtigerklärung des Beschlusses 96/386/EG des Rates vom 26. Februar 1996 über den Abschluß von Vereinbarungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan sowie zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Indien über den Marktzugang für Textilwaren(1) (im folgenden: Beschluß).

Rechtlicher Rahmen der Klage

Die völkerrechtlichen multilateralen Übereinkünfte

2 Der Textilsektor erfuhr seine erste allgemeine Regelung mit der multilateralen Vereinbarung vom 20. Dezember 1973 über den internationalen Handel mit Textilien ("Multifibervereinbarung")(2). Diese Übereinkunft trat am 1. Januar 1974 in Kraft und wurde bis zum 31. Dezember 1994 durch eine Reihe von Übereinkünften verlängert(3). Durch die Multifibervereinbarung sollen "die Handelsausweitung, der Abbau der Handelshemmnisse und die schrittweise Liberalisierung des Welthandels bei Textilerzeugnissen erreicht werden, bei gleichzeitiger Gewährleistung einer ungestörten und gerechten Entwicklung des Handels mit diesen Erzeugnissen sowie unter Vermeidung von Auswirkungen, die zur Zerrüttung der Märkte und Produktionszweige sowohl in den Einfuhr- als auch in den Ausfuhrländern führen" (Artikel 1 Absatz 2). "Nach den grundlegenden Zielen und Grundsätzen dieser Vereinbarung können die Teilnehmerstaaten jedoch bilaterale Abkommen zu gegenseitig annehmbaren Bedingungen abschließen, um einmal echte Gefahren einer Zerrüttung des Marktes ... der einführenden Staaten und einer Zerrüttung des Textilhandels der ausführenden Staaten abzuwenden und zum anderen die Expansion und planmässige Entwicklung des Textilhandels sowie die gerechte Behandlung der Teilnehmerstaaten zu gewährleisten" (Artikel 4 Absatz 2).

3 Nach der Erklärung von Punta del Este vom 20. September 1986 wurden internationale Verhandlungen geführt, um den Textil- und Bekleidungssektor in den Rahmen des GATT einzubeziehen, was die Anwendung der allgemeinen GATT-Regelung auf diesen Sektor mit dem Ziel einer entsprechenden Öffnung der nationalen Märkte voraussetzt.

Am 15. April 1994 wurde in Marrakesch die Schlussakte der Uruguay-Runde unterzeichnet, die das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation und eine Reihe multilateraler Übereinkünfte im Anhang zum WTO-Übereinkommen umfasst, wozu auch das Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung (im folgenden: ATC) gehört. Die Gemeinschaft trat diesem Übereinkommen mit dem Beschluß 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche bei(4).

4 Das ATC enthält die Regeln des internationalen Textilhandels für eine Übergangszeit von zehn Jahren bis zur endgültigen Einbeziehung dieses Sektors in das GATT (Artikel 1 ATC). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ATC müssen alle in bilateralen Abkommen vorgesehene mengenmässige Beschränkungen innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten des ATC dem nach diesem Übereinkommen eingesetzten Textilaufsichtsorgan notifiziert werden(5). Mit Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens muß jedes Mitglied Waren, auf die 1990 nicht weniger als 16 v. H. des Gesamtvolumens seiner Einfuhren von Waren dieses Sektors entfielen, in das GATT einbeziehen (Artikel 2 Absatz 6). Die übrigen Waren sind in drei Stufen, nämlich am ersten Tag des 37. Monats, am ersten Tag des 85. Monats und schließlich am ersten Tag des 121. Monats nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens, einzubeziehen. Zu dem letztgenannten Zeitpunkt "wird der Textil- und Bekleidungssektor vollständig in das GATT 1994 einbezogen, nachdem alle Beschränkungen nach diesem Übereinkommen aufgehoben sind" (Artikel 2 Absatz 8, insbesondere Buchstabe c). Zur Flexibilität bestimmt Artikel 2 Absatz 16 ATC im übrigen: "Die Flexibilitätsbestimmungen, d. h. Übertragungen zwischen Kategorien, Übertragungen auf das folgende Übereinkommensjahr und Ausnutzung im Vorgriff, die für alle nach diesem Artikel in Kraft bleibenden Beschränkungen gelten, entsprechen den Flexibilitätsbestimmungen, die nach den bilateralen MFV-Abkommen für den Zwölfmonatszeitraum vor dem Inkrafttreten des WTO-Abkommens galten."(6) Ferner darf "[e]ine mengenmässige Beschränkung der kumulierten Inanspruchnahme der Übertragung zwischen Kategorien, der Übertragung auf das folgende Übereinkommensjahr und der Ausnutzung im Vorgriff ... weder eingeführt noch beibehalten werden".

Die internationalen Übereinkünfte der Europäischen Gemeinschaft mit der Islamischen Republik Pakistan und der Republik Indien

5 Am 15. Oktober und 31. Dezember 1994 paraphierte die Kommission je eine Vereinbarung mit der Islamischen Republik Pakistan und mit der Republik Indien (im folgenden: Pakistan und Indien) "über den Marktzugang für Textilwaren".

Die Vereinbarung mit Pakistan enthält eine Reihe von Verpflichtungen sowohl der Gemeinschaft als auch Pakistans. Insbesondere verpflichtet sich Pakistan, alle mengenmässigen Beschränkungen für eine Reihe von Textilwaren, die in Anhang II der Vereinbarung spezifisch aufgeführt sind, aufzuheben. Die Kommission stellt ihrerseits sicher, "daß alle derzeit geltenden Beschränkungen für die Einfuhr von in Pakistan auf Handwebstühlen und in Handwerksbetrieben hergestellte Waren vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens aufgehoben werden" (Nr. 7), und ist bereit, "eventuelle Anträge der pakistanischen Regierung auf besondere Flexibilität bei den bestehenden Hoechstmengen (Übertragungen auf das folgende Kontingentsjahr, Übertragung zwischen Kategorien, Ausnutzung im Vorgriff) wohlwollend zu prüfen" (Nr. 6).

Die Vereinbarung mit Indien sieht vor, daß dessen Regierung die Zölle, die für die im Anhang der Vereinbarung ausdrücklich aufgeführten Textil- und Bekleidungswaren gelten, bindet und daß diese "Zollsätze dem WTO-Sekretariat innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens notifiziert [werden]". Ausserdem ist vorgesehen, daß die indische Regierung "für bestimmte Waren ... andere spezifische Zölle einführen" kann und daß diese Zölle "als Wertzölle oder als Betrag in INR pro Artikel/m /kg angegeben [werden]" (Nr. 2). Die Europäische Gemeinschaft beseitigt ihrerseits mit Wirkung vom 1. Januar 1995 alle Beschränkungen für indische Ausfuhren von auf Handwebstühlen und in Handwerksbetrieben hergestellten Waren, die in Artikel 5 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Indien aufgeführt sind (Nr. 5)(7). Die Gemeinschaft verpflichtet sich, "die Anträge der indischen Regierung auf Anwendung besonderer Flexibilität - zusätzlich zu der im Rahmen des bilateralen Textilabkommens vorgesehenen Flexibilität -" im Hinblick auf bestimmte, speziell in der Vereinbarung genannte Einfuhren wohlwollend zu prüfen (Nr. 6).

6 Auf Vorschlag der Kommission vom 7. Dezember 1995 erließ der Rat am 26. Februar 1996 den angefochtenen Beschluß über den Abschluß der genannten Vereinbarungen. Dieser Beschluß wurde mit qualifizierter Mehrheit gegen die Stimmen des Königreichs Spanien, der Hellenischen Republik und der Portugiesischen Republik angenommen.

7 Die Vereinbarungen mit Indien und Pakistan wurden somit am 8. bzw. am 27. März 1996 unterzeichnet.

8 Der genannte Beschluß des Rates vom 26. Februar 1996 wurde am 27. Juni 1996 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

Die Gemeinschaftsregelung für Einfuhrkontingente für Textilwaren

9 Die Verordnung (EWG) Nr. 3030/93 des Rates vom 12. Oktober 1993 über die gemeinsame Einfuhrregelung für bestimmte Textilwaren mit Ursprung in Drittländern(8) bestimmt die Grenzen für die Gemeinschaftseinfuhren von Textilwaren aus Drittländern. Gemäß Artikel 1 Absatz 1 in der geänderten Fassung der Verordnung (EG) Nr. 3289/94 des Rates vom 22. Dezember 1994(9) gilt diese Verordnung für "- Einfuhren von in Anhang I aufgeführten Textilwaren mit Ursprung in den in Anhang II aufgeführten Drittländern, mit denen die Gemeinschaft bilaterale Abkommen, Protokolle oder sonstige Vereinbarungen geschlossen hat; - Einfuhren von Textilwaren, die nicht in die Welthandelsorganisation (WTO) im Sinne von Artikel 2 Absatz 6 des WTO-Übereinkommens über Textilwaren und Bekleidung (ÜTB) einbezogen worden sind, in Anhang X aufgeführt und Ursprungswaren aus Drittländern - WTO-Mitglieder gemäß Anhang XI - sind."

Würdigung

Zum Vorwurf der Verletzung der allgemeinen Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung

10 Die portugiesische Regierung bestreitet die Rechtmässigkeit des Ratsbeschlusses, da er sowohl gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts als auch gegen die WTO-Regeln verstosse. Zur Stützung des ersten Klagegrundes beruft sie sich auf mehrere Nichtigkeitsgründe, und zwar auf die Verletzung folgender Grundsätze: a) der Öffentlichkeit von Gemeinschaftsnormen, b) der Transparenz, c) der loyalen Zusammenarbeit in den Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, d) des Vertrauensschutzes, e) des Verbotes der Rückwirkung von Rechtsvorschriften, f) des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und g) der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer.

Drei dieser Gründe sind unabhängig von den Argumenten zur Stützung der Rüge der Unvereinbarkeit zwischen dem Beschluß und den WTO-Regeln und können daher unmittelbar geprüft werden. Es handelt sich dabei um die unter a) genannte Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit, die unter b) aufgeführte Verletzung des Grundsatzes der Transparenz und die unter e) genannte Verletzung des grundsätzlichen Verbotes der Rückwirkung von Rechtsvorschriften. Anschließend werde ich mich nach Prüfung der Vereinbarkeit der Bestimmungen der bilateralen Übereinkünfte mit denjenigen des multilateralen WTO-Übereinkommens und dessen Anhängen mit den übrigen vier Rügen befassen.

11 So genügt zum Vorwurf der Verletzung des Grundsatzes der "Öffentlichkeit von Gemeinschaftsnormen" der Hinweis, daß Artikel 191 EG-Vertrag, der sich auf die Veröffentlichung der Rechtsakte der Gemeinschaft bezieht, keine Veröffentlichungsverpflichtung für Beschlüsse vorsieht, durch die internationale Übereinkünfte geschlossen werden. Nach einer nunmehr ständigen Übung werden indessen die Rechtsakte des Rates betreffend den Abschluß internationaler Übereinkünfte im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Der angefochtene Beschluß vom Februar 1996 wurde jedenfalls im Juni desselben Jahres, also zirka vier Monate nach seinem Erlaß, veröffentlicht. Eine Nichtigerklärung des Beschlusses lässt sich meines Erachtens nicht mit einer Verzögerung dieser Art rechtfertigen.

12 Zur Stützung der zweiten Rüge - Verletzung des Grundsatzes der Transparenz - beruft sich die portugiesische Regierung auf die Entschließung des Rates vom 8. Juni 1993 über die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften(10). Wie der Rat vorgetragen hat, hat diese Entschließung jedoch keine Bindungswirkung(11) und verpflichtet die Organe nicht zur Befolgung spezieller Regeln für die Abfassung von Rechtsakten; sie beinhaltet vielmehr eine politische Verpflichtung, wonach solche Handlungen klar und verständlich für die Adressaten und darüber hinaus für alle Betroffenen sein müssen. Der Beschluß erscheint indessen sachlich in jeder Hinsicht klar, und zwar sowohl bezueglich des Wortlauts seiner Bestimmungen über den Abschluß der beiden internationalen Vereinbarungen als auch bezueglich der in den beiden Vereinbarungen enthaltenen Vorschriften, die eine Reihe gegenseitiger Verpflichtungen der Vertragsparteien zur schrittweisen Liberalisierung des Marktes für Textilwaren vorsehen. Die Rüge der portugiesischen Regierung, der Beschluß nenne nicht ausdrücklich die von ihm geänderten oder aufgehobenen Bestimmungen früherer Rechtsakte, kann nicht seine Nichtigkeit bewirken, da das Fehlen einer solchen Bezugnahme keine Verletzung einer Rechtsnorm darstellt, die zur Nichtigerklärung des Aktes führen kann. Diese Rüge ist demnach ebenfalls unbegründet.

13 Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ergibt sich auch nicht aus einer Verletzung des Verbotes der Rückwirkung von Gemeinschaftshandlungen. Der im Februar 1996 erlassene Beschluß bezieht sich zwar auf den Abschluß zweier Übereinkünfte, mit denen sich die Gemeinschaft verpflichtet hat, ihren Markt für Pakistan ab 1994 und für Indien ab 1995 schrittweise zu öffnen, solche Verpflichtungen bedeuten jedoch nicht, daß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots verstossen wurde, wie die portugiesische Regierung behauptet.

Der Rat bemerkt hierzu, die Vereinbarungen seien 1994 paraphiert worden, und es sei deshalb normal, daß sie Bestimmungen für die seit 1995 getätigten Textilwareneinfuhren enthielten. Da der angefochtene Beschluß den Tag der Unterzeichnung dieser Vereinbarungen durch die Vertragsparteien - den 8. bzw. 27. März 1996 - als Zeitpunkt für deren Inkrafttreten festlege, habe er nicht vorgesehen, daß die Vereinbarungen rückwirkend gelten sollten. Anscheinend verwechselt der Rat jedoch das Inkrafttreten mit der zeitlichen Geltung des Rechtsakts. Der Beschluß enthält keine besondere Vorschrift für sein Inkrafttreten; da er im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde, ist er also nach den allgemeinen Regeln am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung in Kraft getreten (Artikel 191 des Vertrages). Im übrigen sieht der betreffende Beschluß nicht ausdrücklich vor, daß seine Bestimmungen Rückwirkung haben sollen. Dies bedeutet hier indessen nicht, daß die angefochtene Handlung für die Gemeinschaft nicht hinsichtlich eines Zeitraums bindend war, der dem Abschluß der Vereinbarungen vorausging, da letztere ausdrücklich eine Reihe von Verpflichtungen der Gemeinschaft wie auch der übrigen Parteien enthalten, die bereits seit 1994/1995 gelten. Demgemäß lässt sich entgegen der Behauptung des Rates der tatsächliche Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses nicht anhand der allgemeinen Grundsätze für internationale Übereinkünfte - insbesondere des Artikels 24 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 22. Mai 1969, der das Inkrafttreten internationaler Übereinkünfte betrifft - bestimmen. Es muß vielmehr festgestellt werden, ob anhand der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts davon auszugehen ist, daß die Bestimmungen der streitigen Vereinbarungen seit 1994/1995 gelten.

Der allgemeine Grundsatz des Verbotes der Rückwirkung von Gemeinschaftshandlungen wird bekanntlich in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß eine Handlung im Ausnahmefall nur dann Rückwirkung haben darf, wenn es ihr Zweck rechtfertigt und dies nicht gegen den Vertrauensschutz der Betroffenen verstösst. Im vorliegenden Fall rechtfertigt sich die Rückwirkung der Handlung betreffend den Abschluß der Vereinbarungen offensichtlich dadurch, daß sich die Gemeinschaft gegenüber den übrigen Vertragsparteien ausdrücklich verpflichtet hat, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um den Zugang von Textilwaren mit Ursprung in diesen Staaten zu ihrem Markt ab 1994/1995 schrittweise zu liberalisieren, und daß daher ein etwaiger in dem Rechtsakt zum Abschluß der Vereinbarungen bewirkter Aufschub des Beginns des Prozesses für die Öffnung des Gemeinschaftsmarkts eine Änderung des Textes der Übereinkunft darstellen würde (wobei allerdings noch zu prüfen wäre, ob sich die in den Vereinbarungen vorgesehene Regelung praktisch auf den Handel der bereits vor Inkrafttreten der Vereinbarungen eingeführten Waren auswirken kann). Zum Vertrauensschutz der Betroffenen ist zu sagen, daß es keine speziellen Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer des betreffenden Sektors im Sinne einer Bindung der Einfuhrkontingente geben kann, da die Liberalisierung des Textilmarkts Gegenstand langer Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde gewesen ist und die Kommission zudem in Anwendung der Ende 1994 mit Indien geschlossenen Vereinbarung bereits zu Beginn des Jahres 1995 mit der Verordnung (EG) Nr. 3052/95(12) den Teil der Verordnung Nr. 3030/93 über die Einfuhr von Textilwaren in die Gemeinschaft aufgehoben hat, der die Festlegung von Zollkontingenten für handwerklich hergestellte Textilwaren aus Indien vorsah. Demnach ist auch diese Rüge zurückzuweisen.

Zum Vorwurf der Verletzung von Bestimmungen der Übereinkünfte der Welthandelsorganisation

- Zur Zulässigkeit der Rügen wegen Verletzung von Bestimmungen der Übereinkünfte der Welthandelsorganisation

a) Allgemeines: die Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung der GATT-Bestimmungen

14 Die portugiesische Regierung macht geltend, sie könne sich auf die Bestimmungen der Welthandelsorganisation berufen, weil der angefochtene Beschluß über den Abschluß der bilateralen Übereinkünfte mit Indien und Pakistan über die Einfuhr von Textilwaren eine Handlung zur Durchführung von GATT-Bestimmungen darstelle, so daß letztere, selbst wenn sie keine unmittelbare Wirkung hätten, nach dem bekannten Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994(13) im vorliegenden Verfahren herangezogen werden könnten. Der Rat bestreitet, daß der angefochtene Beschluß die WTO-Bestimmungen durchführe. Die portugiesische Regierung behaupte vielmehr einen Konflikt zwischen der bilateralen Vereinbarung der Gemeinschaft mit Indien und dem - bereits erwähnten - multilateralen Übereinkommen über Textilwaren (im Anhang zum Übereinkommen über die Welthandelsorganisation), mit dem sich ausschließlich das in diesem multilateralen Übereinkommen vorgesehene Textilaufsichtsorgan zu befassen habe. Die Kommission erklärt nur, daß die Bestimmungen der Welthandelsorganisation nicht als Grundlage für die Rechtmässigkeitskontrolle dienen könnten; sie hätten nämlich nach dem ausdrücklichen Willen des Rates keine unmittelbare Wirkung, da letzterer in dem Rechtsakt zum Abschluß des WTO-Übereinkommens und speziell in seinem Beschluß vom 22. Dezember 1994 ausdrücklich ausgeschlossen habe, daß die Bestimmungen dieses Übereinkommens und seiner Anhänge unmittelbar "vor den Rechtsprechungsorganen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten" angeführt werden könnten (elfte Begründungserwägung des Beschlusses 94/800).

Um über die Zulässigkeit der Nichtigkeitsgründe der portugiesischen Regierung zu entscheiden, ist festzustellen, welche Wirkung die internationalen Übereinkünfte in der Rechtsordnung der Gemeinschaft entfalten, wobei insbesondere die Rechtsprechung zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen zu beachten ist.

15 Gemäß Artikel 228 Absatz 7 EG-Vertrag sind die - nach Maßgabe dieses Artikels - geschlossenen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen "für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich". Die internationalen Übereinkünfte sind also Rechtsquellen, die die Organe zu beachten haben. Ein derartiges Abkommen stellt somit, wie im Urteil Hägeman von 1974 dargelegt, "für die Gemeinschaft die Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Artikels 177 Absatz 1 Buchstabe b dar. Die Bestimmungen des Abkommens bilden seit dessen Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung."(14) Die Organe müssen demgemäß bei Handlungen des abgeleiteten Rechts die Normen der internationalen Übereinkünfte beachten, und zwar ab dem Zeitpunkt ihres Abschlusses. Ein etwaiger Konflikt zwischen Gemeinschafts- und Übereinkunftsregeln macht die Gemeinschaftshandlung grundsätzlich so fehlerhaft, daß ihre Nichtigerklärung gerechtfertigt ist.

Der Gerichtshof hat sich in Wahrnehmung seiner Aufgabe als Garant für die Beachtung des Gemeinschaftsrechts und somit aller Rechtsnormen, denen eine Wirkung innerhalb dieser Rechtsordnung zukommt, gegebenenfalls einschließlich der von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Übereinkünfte, für zuständig erklärt, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung dieser Übereinkünfte zu entscheiden, um deren "einheitliche Anwendung innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen"(15). Er hat ferner in zahlreichen Urteilen zur Auslegung internationaler Übereinkünfte erklärt, daß für die Feststellung, ob eine Regel einer internationalen Übereinkunft unmittelbare Wirkungen in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten entfaltet, zum einen zu prüfen ist, ob sie einen klaren, genauen und unbedingten Inhalt hat, und zum anderen dieser Inhalt im Licht des Zweckes und des Zusammenhangs der Übereinkunft zu untersuchen ist(16).

16 Im besonderen Fall der Regeln des GATT und der im Rahmen des GATT geschlossenen Übereinkünfte hat der Gemeinschaftsrichter seine Zuständigkeit grundsätzlich verneint, und zwar sowohl für die Auslegung der GATT-Regeln als auch für die Beurteilung der Rechtmässigkeit von diesen entgegenstehenden Handlungen des Gemeinschaftsrechts, so daß er diesen internationalen Bestimmungen nicht den Charakter eines Maßstabs für die Rechtmässigkeit von Gemeinschaftshandlungen zugesprochen hat.

Ich komme nun zu den Erwägungen, die den Gerichtshof veranlasst haben, seine Zuständigkeit auszuschließen. In der Rechtssache International Fruit Company u. a. von 1972(17) ging es um die Gültigkeit von drei Verordnungen über die Gemeinsame Marktordnung für Obst und Gemüse, die angeblich im Widerspruch zu Artikel XI des GATT standen. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, daß er dafür zuständig sei, im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane zu entscheiden, auch wenn sich der Nichtigkeitsgrund daraus ergebe, daß die betreffende Handlung im Widerspruch zu einer Regel des Völkerrechts stehe; er hat jedoch erklärt, daß "die Unvereinbarkeit einer Gemeinschaftshandlung mit einer Bestimmung des Völkerrechts die Gültigkeit dieser Handlung nur dann beeinträchtigen [kann], wenn die Gemeinschaft an diese Bestimmung gebunden ist". Zudem hat der Gerichtshof bestätigt, daß er dafür zuständig sei, "die Ungültigkeitsgründe aufgrund des Völkerrechts" zu prüfen; er hat die Ausübung seiner Kontrollbefugnis indessen davon abhängig gemacht, daß die GATT-Regeln vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können: "Falls die Ungültigkeit vor einem staatlichen Gericht geltend gemacht wird, ist weiterhin erforderlich, daß diese Bestimmung ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen kann, sich vor Gericht auf sie zu berufen" (Randnrn. 4 bis 9).

Der Gerichtshof hat demgemäß geprüft, ob die Bestimmungen des GATT "ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründen, sich vor Gericht auf sie zu berufen, um die Gültigkeit einer Handlung der Gemeinschaft in Frage zu stellen". Er führt weiter aus: "Hierzu muß auf Sinn, Aufbau und Wortlaut dieses Abkommens zurückgegriffen werden" (Randnrn. 19 und 20). Nach einer Untersuchung der GATT-Merkmale ist der Gerichtshof zu dem Schluß gelangt, daß sich die Gemeinschaftsangehörigen vor den nationalen Gerichten nicht auf die GATT-Bestimmungen berufen könnten, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen. Der erste Grund liegt in der grossen Flexibilität der GATT-Bestimmungen, die zahlreiche Ausnahmemöglichkeiten zulassen und es den Staaten insbesondere erlauben, einseitige Maßnahmen zu ergreifen, wenn aussergewöhnliche Schwierigkeiten auftreten. Der zweite Grund beruht auf dem unvollständigen Charakter des Systems zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien. Selbst wenn also die Gemeinschaft aufgrund des EG-Vertrags die Zuständigkeiten übernommen hat, die zuvor von den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Anwendung der GATT-Bestimmungen ausgeuebt wurden, und letztere als bindend innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft anzusehen sind, können sich die Gemeinschaftsangehörigen nach Auffassung des Gerichtshofes somit als solche vor den nationalen Gerichten nicht auf das Allgemeine Abkommen berufen, so daß der Gerichtshof nicht über die Unvereinbarkeit einer Gemeinschaftshandlung mit einer GATT-Bestimmung entscheiden kann, wenn die Gültigkeitsfrage gemäß Artikel 177 des Vertrages aufgeworfen wird(18). In den Urteilen SIOT, SPI und SAMI sowie Chiquita Italia(19) hat sich der Gerichtshof auf dieselben Erwägungen gestützt und sich bei Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 177 des Vertrages ebenfalls für unzuständig erklärt, die GATT-Bestimmungen auszulegen.

17 Im von den Parteien herangezogenen Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994 wurde dieser Grundsatz der begrenzten Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters auch auf die Verfahren nach Artikel 173 des Vertrages ausgedehnt. Hierbei hat der Gerichtshof bekräftigt, daß die weitgehende Flexibilität der GATT-Bestimmungen und des Streitbeilegungssystems bewirke, "daß sich ein Gemeinschaftsangehöriger vor Gericht nicht auf [die GATT-Bestimmungen] berufen kann, um die Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu bestreiten, [und auch ausschließt], daß der Gerichtshof die Bestimmungen des GATT für die Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Verordnung im Rahmen einer von einem Mitgliedstaat nach Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag erhobenen Klage berücksichtigt" (Randnr. 109). Der Umstand, daß das GATT-Abkommen im ganzen nicht unmittelbar anwendbar ist, hat also nicht nur zur Folge, daß es den nationalen Gerichten versagt ist, die GATT-Bestimmungen anzuwenden und dem Gerichtshof eine Vorabentscheidungsfrage über einen etwaigen Konflikt zwischen den beiden Rechtsquellen vorzulegen, sondern auch, daß der Gerichtshof nicht im Rahmen einer unmittelbaren Nichtigkeitsklage über die Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung entscheiden kann, die angeblich im Widerspruch zu einer GATT-Bestimmung steht. Nach Auffassung des Gerichtshofes lassen "die verschiedenen Besonderheiten [der GATT-Bestimmungen] erkennen, daß die Vorschriften des GATT keinen unbedingten Charakter haben", was nichts damit zu tun hat, daß diese Bestimmungen gegebenenfalls unbedingten Inhalt haben, und daß "die Verpflichtung, ihnen die Bedeutung von Vorschriften des internationalen Rechts beizumessen, die in den internen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar anwendbar sind, nicht auf Sinn, Aufbau oder Wortlaut des Abkommens gestützt werden kann". Der Gerichtshof schließt daraus, daß er in Ermangelung einer derartigen Verpflichtung nicht gehalten sei, die Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung nachzuprüfen, die als mit den GATT-Bestimmungen unvereinbar gerügt wird. In dem genannten Urteil Deutschland/Rat erklärt sich der Gerichtshof ferner unter Bezugnahme auf zwei frühere Urteile(20) in nur zwei Fällen für zuständig, diese Rechtmässigkeitskontrolle auszuüben, nämlich "wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung erfuellen wollte oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen dieses Abkommens verweist" (Randnr. 111). Somit hat der Gerichtshof unter Heranziehung einer Rechtsprechung, die anscheinend nicht völlig mit der herkömmlichen Rechtsprechung zur fehlenden unmittelbaren Wirkung der GATT-Bestimmungen und demzufolge ihrer Nichtanwendbarkeit durch den Gemeinschaftsrichter übereinstimmt, erklärt, daß diese Bestimmungen nur dann bindende Wirkungen in der Rechtsordnung der Gemeinschaft entfalteten, wenn zum einen die angefochtene Handlung das Allgemeine Abkommen durchführe, wenn also ein funktioneller Zusammenhang zwischen den GATT-Bestimmungen und den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bestehe, und wenn zum anderen die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf die internationalen Regeln verweise.

18 Die vorgenannte Rechtsprechung ist verwirrend. Damit nämlich das GATT ebenso wie die darauf beruhenden Übereinkünfte Rechtsquellen darstellen können und somit als Maßstab für die Rechtmässigkeit der Gemeinschaftshandlungen in der Rechtsordnung der Gemeinschaft anzusehen sind, wird verlangt, daß sich die Gemeinschaftsangehörigen vor Gericht auf die GATT-Bestimmungen berufen können. Dieses Erfordernis wurde erstmals in einem Urteil aufgestellt, das eine Gültigkeitsfrage im Rahmen der Vorabentscheidung betraf, also in einem Verfahren, das in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fiel. Der Gerichtshof hat die Anwendbarkeit der GATT-Bestimmungen im Urteil International Fruit Company u. a. ausgehend von dem Grundsatz ausgeschlossen, daß diese Bestimmungen nicht vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden konnten und es daher nicht gerechtfertigt sei, eine Vorabentscheidungsfrage über die Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung gegenüber dem GATT vorzulegen. Hierzu genügt der Hinweis, daß die Nachprüfung der Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung grundsätzlich nicht davon abhängt, ob die als Legitimitätskriterien geltend gemachten Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind, wenn gegenüber einer Gemeinschaftshandlung der Vorwurf erhoben wird, sie verstosse gegen ranghöhere Gemeinschaftsnormen oder Regeln des Völkerrechts, abgesehen vom GATT(21). Noch verwirrender ist die Unmöglichkeit, sich auf die GATT-Bestimmungen als Maßstab für die Rechtmässigkeit zu berufen, wenn es sich dabei um privilegierte Kläger wie die Mitgliedstaaten bei unmittelbaren Klagen nach Artikel 173 des Vertrages handelt. Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum die Inanspruchnahme einer internationalen Übereinkunft als Maßstab für die Rechtmässigkeit von Gemeinschaftshandlungen von Voraussetzungen abhängen soll, die im speziellen Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung gewöhnlich erforderlich sind, um die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen der von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Übereinkünfte anzuerkennen. Meines Erachtens kann vielmehr eine Regel aus einer internationalen Übereinkunft aufgrund ihres klaren, genauen und unbedingten Inhalts grundsätzlich ein Kriterium für die Kontrolle der Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung darstellen. Dies bedeutet - im Hinblick auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht - nicht, daß eine mit diesen Merkmalen ausgestattete Regel den einzelnen notwendigerweise die Stellung von Rechtssubjekten verleiht, die die betreffenden Rechte vor Gericht geltend machen können. Damit diese Wirkung in der Rechtsordnung der Gemeinschaft eintritt und die Gemeinschaftsangehörigen die Bestimmungen des Abkommens vor Gericht geltend machen können, muß sich aus dem allgemeinen Zusammenhang des Abkommens ergeben, daß sich der einzelne vor Gericht auf seine Regeln berufen kann. Daher ist es meines Erachtens möglich, daß eine Regel einer internationalen Übereinkunft nicht unmittelbar anwendbar ist, ohne daß es deshalb gerechtfertigt ist, ihr jede bindende Wirkung gegenüber den Gemeinschaftsorganen und somit eine Funktion als (gemeinschaftsrechtlicher) Maßstab für die Rechtmässigkeit abzusprechen.

Wollte man zudem die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters bei der Auslegung und Anwendung der GATT-Bestimmungen allein auf den Fall reduzieren, daß die betreffenden Handlungen diese Bestimmungen durchführen oder sich ausdrücklich auf letztere beziehen, so würde dies bedeuten, daß die Anwendung der GATT-Bestimmungen davon abhinge, daß die Rechtsordnung der Gemeinschaft dem internationalen Abkommen mittels einer Durchführungs- oder Umsetzungshandlung angepasst wurde; damit würde die Bedeutung der Vorschriften des Artikels 228 Absatz 7 des Vertrages eingeschränkt, der gerade nach der Auslegung des Gerichtshofes vorsieht, daß die internationalen Übereinkünfte ab dem Zeitpunkt ihres Abschlusses Wirkungen in der Rechtsordnung der Gemeinschaft entfalten.

b) Die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Regeln und die Tragweite der elften Begründungserwägung des Beschlusses 94/800

19 Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen komme ich nun zur Untersuchung der Wirkung und damit der etwaigen unmittelbaren Anwendung der WTO-Regeln in dem vorbezeichneten Sinne. Es wurde im Schrifttum zu Recht betont, daß sich die Regeln der Welthandelsorganisation ihrer Natur nach von denjenigen des vorhergehenden GATT-Abkommens unterscheiden. Letzteres war ein Abkommen vorübergehenden Charakters mit einem flexiblen System für die Kompetenzen der Vertragsstaaten, das die bindende Wirkung seiner verschiedenen Bestimmungen begrenzte, und es enthielt demgemäß (der Gerichtshof hat dies hervorgehoben) kein genau umrissenes und geschlossenes Streitbeilegungssystem. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist allerdings festzustellen, daß solche Merkmale nicht grundsätzlich die Möglichkeit ausschließen, daß eine bestimmte Regel eines internationalen Abkommens spezielle bindende Wirkungen für die Völkerrechtssubjekte - und damit für deren Organe - mit sich bringt, die das Abkommen ratifiziert haben oder (wie es bei der Gemeinschaft im Rahmen des GATT von 1947 der Fall ist) mittelbar gebunden sind. Jedenfalls ist dem Änderungsprozeß bei den Übereinkünften hinsichtlich der schrittweisen Liberalisierung des internationalen Handels Rechnung zu tragen, der zu einem internationalen Organismus institutioneller Art wie der Welthandelsorganisation mit einer ausgewogeneren und gefestigteren Struktur geführt hat, als sie die sich aus dem Abkommen von 1947 ergebende Struktur hatte. Vor allem aber ist nicht zu übersehen, daß sehr zahlreiche Bestimmungen der Übereinkünfte im Anhang zum WTO-Übereinkommen Verpflichtungen und Verbote unbedingter Art begründen und präzise Verbindlichkeiten für die Vertragsparteien in deren gegenseitigen Beziehungen beinhalten.

Hinzu kommt noch die viel beachtete Reform des Streitbeilegungssystems, für die zu Recht betont wurde, daß das betreffende System einem Staat, der einer anderen Vertragspartei unerlaubte Handlungen vorwirft, nunmehr nur noch einen begrenzten Reaktionsspielraum einräumt. Das allgemeine System(22) sieht die Einsetzung eines Allgemeinen Rates vor, der sich aus Vertretern aller Mitglieder zusammensetzt und u. a. die Aufgabe eines Streitbeilegungsgremiums wahrnimmt (Artikel IV Absatz 3 des WTO-Übereinkommens). Das Streitbeilegungsgremium setzt ein Panel ein, das völlig unabhängig über einen etwaigen Verstoß gegen die Regeln des WTO-Übereinkommens entscheidet (Artikel 6 Absatz 1 der Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten). Der Bericht des Panels wird von diesem Organ mit der Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder angenommen. Einstimmigkeit ist nur erforderlich, wenn der Bericht abgelehnt wird, mit der Folge, daß ein etwaiges Veto des Mitgliedstaats, dem der Verstoß gegen eine WTO-Regel vorgeworfen wird, nicht genügt, um die Annahme des Berichts zu verhindern (Artikel 16 Absatz 4 der genannten Streitbeilegungsvereinbarung)(23).

20 Der Rat erklärte im Beschluß 94/800 über den Abschluß des WTO-Übereinkommens in der letzten Begründungserwägung: "Das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation einschließlich seiner Anhänge ist nicht so angelegt, daß es unmittelbar vor den Rechtsprechungsorganen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angeführt werden kann." Er wollte damit wohl die Wirkungen des Übereinkommens begrenzen und sich der Haltung anderer Vertragsparteien anschließen, die ausdrücklich den Willen zum Ausdruck gebracht haben, die Möglichkeit einer Geltendmachung der Übereinkommensbestimmungen vor den nationalen Gerichten einzuschränken.

Der Wortlaut der Begründungserwägung ist zwar klar, es bestehen jedoch Zweifel hinsichtlich der Wirkungen, die eine derartige Erklärung auf internationaler Ebene - in den Beziehungen zu Drittländern - und auf Gemeinschaftsebene zeitigen kann. Es ist klar, daß die einseitige Auslegung des Übereinkommens im Rahmen des innergemeinschaftlichen Genehmigungsverfahrens seine Wirkungen - über den Vorbehaltsmechanismus hinaus - nicht beschränken kann. Diese Auslegung, die dem objektiven Inhalt der Übereinkommensbestimmungen Vorrang gegenüber dem Ausdruck des Willens in übereinkommensfremden einseitigen Erklärungen einräumt, entspricht dem Gewohnheitsrecht für die Auslegung von Verträgen, das im Wiener Übereinkommen vom 22. Mai 1969, insbesondere in den Artikeln 31 bis 33, niedergelegt ist(24). Danach gilt folgendes: "Embodying customary international law, article 31 provides that a treaty must be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given its terms in their context and in light of its object and purpose. The text of the treaty is the primary source for interpretation, while external aids, such as $travaux préparatoires`, constitute a supplementary source"(25).

Zur Tragweite einer derartigen Erklärung innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft genügt der Hinweis, daß die WTO-Übereinkünfte als internationale Übereinkünfte (aufgrund des bereits mehrfach genannten Artikels 228 Absatz 7 des Vertrages) alle Organe binden und somit eine Rechtsquelle des Gemeinschaftsrechts darstellen, so daß zum einen der Gerichtshof gehalten ist, ihre Beachtung sowohl durch die Gemeinschaftsorgane als auch durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, und zum anderen der Rat nicht durch eine Handlung des abgeleiteten Rechts diese Zuständigkeit des Gerichtshofes begrenzen und auch nicht beschließen kann, die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Anwendung der genannten Übereinkünfte auszuschließen(26).

Die Erklärung in der elften Begründungserwägung hat daher meines Erachtens entgegen der Auffassung der Kommission rein politischen Charakter und kann sich als solche nicht auf die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters oder der nationalen Gerichte für die Auslegung der Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte auswirken.

21 Ebenso unerheblich sind etwaige Erklärungen anderer WTO-Mitglieder, die die unmittelbare Wirkung der Übereinkommensbestimmungen verneinen; sie wirken sich nicht auf die Tragweite dieser Bestimmungen aus und somit auch nicht auf deren bindende Wirkung innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft. Es ist also schwerlich vorstellbar, daß allein solche Erklärungen den zwingenden Charakter der WTO-Übereinkünfte im ganzen gegenüber allen anderen Vertragsstaaten beschränken können. Ein Fehlen bindender Wirkung der WTO-Bestimmungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit der international eingegangenen Verpflichtungen ließe sich hingegen mit einer tatsächlichen Nichtbeachtung einer oder mehrerer Übereinkommensbestimmungen durch einen Vertragsstaat rechtfertigen, wenn zugleich effektive geeignete Mittel zum Schutz gegen etwaige Verstösse und Versäumnisse der betreffenden staatlichen Stellen fehlen. Hier wird nämlich nach der Regel des Völkergewohnheitsrechts inadimplenti non est adimplendum die Auffassung vertreten, daß die Verletzung einer Abkommensbestimmung durch einen Drittstaat, sofern sie erheblich ist, eine Suspendierung oder gar die Beendigung des Abkommens im Verhältnis zu allen Vertragsparteien oder nur zu dem vertragsbrüchigen Staat rechtfertigen kann (Artikel 60 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge)(27). Eine derartige Nichtbeachtung der Vorschriften könnte also eine Aussetzung des WTO-Übereinkommens und somit die Nichtanwendung der Übereinkommensbestimmungen durch die Gerichte rechtfertigen(28).

22 Die Nichterfuellung durch eine Vertragspartei ist indessen nicht der einzige Grund, der die Suspendierung und somit die gerichtliche Nichtanwendung des WTO-Übereinkommens rechtfertigen könnte. Letzteres - ebenso wie die sonstigen internationalen Übereinkünfte im Anhang zu diesem Übereinkommen - schließt nämlich nicht die Möglichkeit aus, auf alle Gründe für die Beendigung oder Suspendierung eines Vertrages zurückzugreifen, die das Gewohnheitsrecht vorgibt und die in den Artikeln 54 bis 64 des Wiener Übereinkommens niedergelegt sind (wie etwa die Regel rebus sic stantibus).

Die Nichtanwendung und somit das Fehlen einer bindenden Wirkung der internationalen Bestimmungen könnte, selbst in Ermangelung einer Entscheidung zur Suspendierung oder Beendigung der betreffenden Übereinkunft, auch dann geboten sein, wenn die Erfuellung einer WTO-Verpflichtung für die Gemeinschaft eine Gefährdung des ausgewogenen Funktionierens der Gemeinschaftsrechtsordnung und der damit verbundenen Ziele mit sich bringt. Wenn die Durchführung der WTO-Übereinkünfte einen Verstoß gegen die Regeln des primären Gemeinschaftsrechts oder gegen die allgemeinen Grundsätze darstellt, die in der Gemeinschaftsrechtsordnung den Stellenwert konstitutioneller Regeln erlangt haben, kann der Gerichtshof also meines Erachtens die Verpflichtung aus dem Übereinkommen als rechtswidrig ansehen und die Anwendung der Übereinkommensbestimmungen im konkreten Fall ausschließen. Selbst wenn dies zu einem unerlaubten internationalen Verhalten der Gemeinschaft führen kann, wäre der Gerichtshof, der die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisten muß, gehalten, die Anwendung der Bestimmungen abzulehnen, die den Organen Handlungen auferlegen, die nicht mit dem reibungslosen Funktionieren und den Zielen des Vertrages vereinbar sind.

23 Nach der Ansicht des Rates, die in seinen Verteidigungsschriftsätzen zum Ausdruck kommt, enthalten die WTO-Übereinkünfte ein selbständiges Streitbeilegungssystem, das der Rechtsprechung der Gemeinschaft die Zuständigkeit für die Auslegung und Anwendung der Übereinkunftsbestimmungen entzieht. Meines Erachtens bringt das System, das im WTO-Übereinkommen und insbesondere in der Vereinbarung über die Beilegung von Streitigkeiten vorgesehen ist, keine Begrenzung der Befugnisse des Gerichtshofes mit sich, da es zum einen nicht die Einsetzung eines Rechtsprechungsorgans vorsieht, sondern sich als eine Regelung zur Einigung von Völkerrechtssubjekten darstellt (das Entscheidungs- und Empfehlungsorgan ist nämlich politischer Natur und den Rechtssubjekten des einzelstaatlichen Rechts nicht zugänglich), und da zum anderen die Einsetzung eines Rechtsprechungsorgans, dessen Zuständigkeit nicht auf die Auslegung und Anwendung des Übereinkommens begrenzt wäre, sondern auch die Befugnis zur Nichtigerklärung von Gemeinschaftshandlungen und -entscheidungen umfassen würde, offensichtlich im Widerspruch zu Artikel 164 EG-Vertrag stuende und somit unvereinbar mit der Rechtsordnung der Gemeinschaft wäre(29). Es ist jedenfalls klar, daß die innere Kontrolle der Beachtung der Übereinkunftsregeln durch die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten gewiß eine grössere Gewähr für die Erfuellung der international eingegangenen Verpflichtungen bietet und somit im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens steht. Wenn sich ferner die Vertragsparteien zur Inanspruchnahme des Streitbelegungssystems des WTO-Übereinkommens verpflichtet haben, um Streitfälle wegen einer Verletzung dieser Übereinkünfte und wegen etwaiger Retorsionsmaßnahmen beizulegen, so schließt dies nicht aus, daß diese Vertragsparteien innere Handlungen, die gegebenenfalls im Widerspruch zu den Übereinkommensbestimmungen stehen, aufheben oder sanktionieren können.

24 Angesichts der vorstehenden Erwägungen wirft die Berufung auf die WTO-Übereinkünfte im vorliegenden Fall einer auf Artikel 173 des Vertrages beruhenden unmittelbaren Klage eines Mitgliedstaats gegen eine Handlung des Rates meines Erachtens kein Zulässigkeitsproblem auf.

- Zur Begründetheit: a) Zur Begründetheit der Rügen eines Verstosses gegen die Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte und b) zur Begründetheit der Rügen im Zusammenhang mit dem angeblichen Widerspruch zwischen den Bestimmungen der Übereinkünfte

25 a) Die portugiesische Regierung erklärt, der angefochtene Beschluß verstosse aus vier Gründen gegen die WTO-Bestimmungen. Sie bestreitet die Rechtmässigkeit der der indischen Regierung eingeräumten Möglichkeit, spezifische Alternativzölle wieder einzuführen und Ausfuhrlizenzen zu Bedingungen zu erteilen, die nicht in den WTO-Übereinkünften vorgesehen seien; dies verstosse sowohl gegen Artikel II des GATT als auch gegen die Bestimmungen des Übereinkommens über Einfuhrlizenzverfahren (in Anhang I A des WTO-Übereinkommens). Rechtswidrig sei auch das Ungleichgewicht zwischen den von der Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen und den von Indien und Pakistan eingegangenen Verpflichtungen bei der Öffnung der jeweiligen Textilmärkte und insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, Anträgen auf besondere Flexibilität stattzugeben. Überdies sei gegen die Verpflichtung zur Veröffentlichung internationaler Übereinkünfte nach Artikel X des GATT verstossen worden.

26 Vor einer Prüfung der Begründetheit dieses Vorbringens ist kurz auf den Inhalt der Vereinbarungen hinzuweisen.

Die Vereinbarung mit Pakistan enthält eine Reihe von Verpflichtungen sowohl der Gemeinschaft als auch dieses Drittlandes. Pakistan verpflichtet sich insbesondere, alle mengenmässigen Beschränkungen für zahlreiche in Anhang II der Vereinbarung spezifisch aufgeführte Textilwaren aufzuheben. "Sollte jedoch ... hinsichtlich der pakistanischen Zahlungsbilanz eine kritische Situation entstehen, so hat die pakistanische Regierung gemäß dem GATT 1994 und dem WTO-Übereinkommen das Recht, nach Konsultationen mit der Europäischen Kommission mengenmässige Beschränkungen wiedereinzuführen" (Nr. 4). Die Kommissions stellt ihrerseits sicher, "daß alle derzeit geltenden Beschränkungen für die Einfuhr von in Pakistan auf Handwebstühlen und in Handwerksbetrieben hergestellte Waren vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens aufgehoben werden" (Nr. 7), und ist bereit, "eventuelle Anträge der pakistanischen Regierung auf besondere Flexibilität bei den bestehenden Hoechstmengen (Übertragung auf das folgende Kontingentsjahr, Übertragung zwischen Kategorien, Ausnutzung im Vorgriff) wohlwollend zu prüfen" (Nr. 6).

Die Vereinbarung mit Indien sieht vor, daß dessen Regierung die Zölle, die für die im Anhang de Vereinbarung ausdrücklich aufgeführten Textil- und Bekleidungswaren gelten, bindet und diese "Zollsätze dem WTO-Sekretariat innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens notifiziert [werden]". Wird jedoch "der in Artikel 2 Absätze 6 und 8 des WTO-Übereinkommens über Textilwaren und Bekleidung genannte Einbeziehungsprozeß" nicht "in vollem Umfang und ohne Verzögerungen abgeschlossen", so "werden die am 1. Januar 1990 gültigen Zollsätze wiedereingeführt". Ausserdem ist vorgesehen, daß die indische Regierung "für bestimmte Waren ... andere spezifische Zölle einführen" kann und diese Zölle "als Wertzölle oder als Betrag in INR pro Artikel/m2/kg angegeben [werden]" (Nr. 2). "Ist die EG der Auffassung, daß sich derartige Zölle nachteilig auf ihre Ausfuhren der betreffenden Waren auswirken, so willigt die indische Regierung auf Antrag in umgehende Konsultationen mit der EG ein, um die betreffenden Fragen auf eine für beide Seiten annehmbare Weise zu lösen" (Nr. 2). Die Europäische Gemeinschaft beseitigt ihrerseits mit Wirkung vom 1. Januar 1995 alle Beschränkungen für indische Ausfuhren von auf Handwebstühlen und in Handwerksbetrieben hergestellten Waren gemäß Artikel 5 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Indien (Nr. 5). Die Gemeinschaft verpflichtet sich, "die Anträge der indischen Regierung auf Anwendung besonderer Flexibilität - zusätzlich zu der im Rahmen des bilateralen Textilabkommens vorgesehenen Flexibilität -" für bestimmte, in der Vereinbarung genannte Einfuhren wohlwollend zu prüfen. Schließlich ist vorgesehen, daß die indische Regierung diese besondere Flexibilität in Form von Übertragungen auf das folgende Kontingentsjahr, Übertragung zwischen Kategorien und Ausnutzung im Vorgriff im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten bis zur Ausschöpfung der Hoechstmengen nutzt (Nr. 6).

27 Die portugiesische Regierung macht mit diesem ersten Nichtigkeitsgrund geltend, der Umstand, daß Indien nach Nummer 2 der Vereinbarung mit diesem Land "für bestimmte Waren andere spezifische Zölle einführen" und diese Zölle anhand des Warenwerts oder der "Angaben der EG über die jeweiligen Exportpreise" auferlegen könne, stelle ein Recht dar, das offensichtlich im Widerspruch zu der Zollbindungsverpflichtung nach Artikel II des GATT stehe. Die Möglichkeit, daß die indische Regierung das Zollsystem ändere, wenn sich derartige Zölle "nachteilig" auf die Ausfuhr der Gemeinschaft "auswirken", könne den rechtswidrigen Charakter dieses Systems nicht ausräumen.

Die zweite Rüge der portugiesischen Regierung betrifft, wie bereits dargelegt, das Verfahren für die Einfuhrlizenzerteilung. Es ergebe sich nämlich aus dem Anhang zur Vereinbarung mit Indien, daß dieses Land weiter Sondereinfuhrlizenzen (LSI) erteile. Diese Lizenzen erteile die Regierung normalerweise indischen Exporteuren, die sie an Interessenten anderer Länder oder an indische Importeure veräusserten. Sie würden also nicht ausländischen Firmen erteilt, die nach Indien ausführen wollten, sondern einheimischen Wirtschaftsteilnehmern, die sie sodann zu einem Preis veräusserten, der von den staatlichen Behörden nicht überwacht werde. Dieses System widerspreche den Verfahrensregeln des Übereinkommens in Anhang 1 A des WTO-Übereinkommens.

Das genannte Übereinkommen sieht zwei Verfahren für die Erteilung von Einfuhrlizenzen vor. Bei dem ersten Verfahren handelt es sich um die automatische Erteilung an alle Wirtschaftsteilnehmer, die einen entsprechenden Antrag stellen (Artikel 2), das zweite sieht nicht die Erteilung vor, sondern verpflichtet den Staat, in den Warenhandel keine grösseren Beschränkungen einzuführen, als sie sich aus einer bestimmten mengenmässigen Grenze ergeben. Hierbei ist vorgesehen, daß die Staaten die Gesamthöhe der Einfuhrkontingente in Mengen und/oder Werten sowie Beginn und Ende des Kontingentszeitraums und alle etwaigen Änderungen bekanntgeben (Artikel 3 Absatz 5 Buchstabe b). Wenn das System für die Lizenzerteilung festgelegt ist, ist "jede Person, Firma oder Einrichtung, die die gesetzlichen und administrativen Voraussetzungen des Einfuhrmitglieds erfuellt, gleichermassen berechtigt, eine Lizenz zu beantragen und zu erhalten". Wird ein Antrag abgelehnt, so sind dem Antragsteller auf Ersuchen die Gründe hierfür mitzuteilen; dieser kann nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Verfahren des Einfuhrmitglieds Rechtsmittel einlegen (Artikel 3 Absatz 5 Buchstabe e).

28 Der dritte Grund für die Unvereinbarkeit mit den WTO-Regeln betrifft das Gleichgewicht zwischen den Verpflichtungen der Vertragsparteien. Die portugiesische Regierung erklärt nämlich, Indien und Pakistan hätten in Wahrheit nur einer "aleatorischen" Öffnung ihrer Märkte zugestimmt, da sich Indien seinerseits die Möglichkeit vorbehalten habe, willkürlich und nach eigenem Ermessen spezifische Zölle wiedereinzuführen und das Sonderlizenzsystem aufrechtzuerhalten, während sich die Gemeinschaft verpflichtet habe, eine besondere Flexibilität zu gewähren und Anträgen auf Abweichung von den Zollkontingenten für die Einfuhr von Textilwaren aus diesen Gebieten stattzugeben. Dieses Flexibilitätssystem schaffe ein Gesamteinfuhrkontingent für alle Kategorien von Textilwaren, wodurch die mengenmässigen Begrenzungen je Textilart zum Schutz der Gemeinschaftshersteller zunichte gemacht würden und zudem eine starke Beschleunigung des Liberalisierungsprozesses im Rahmen des Textilübereinkommens im Anhang zum WTO-Übereinkommen in Gang gesetzt werde. Ein derartiges Ungleichgewicht widerspreche zweifellos den Artikeln 4 und 7 des ATC.

Artikel 4 Absatz 2 des ATC sieht vor, daß "Änderungen der Praxis, der Vorschriften [und] der Verfahren" "in der Anwendung oder Verwaltung von nach [dem ATC] notifizierten oder angewendeten Beschränkungen ... nicht zur Folge haben dürften, daß das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Mitglieder nach diesem Übereinkommen gestört ... oder der ... Handel [mit Textilwaren] zerrüttet wird". Ausserdem bestimmt Artikel 7 Absatz 1, daß alle Mitglieder "die erforderlichen Maßnahmen [treffen], um Regeln und Disziplinen des GATT 1994 ... nachzukommen". Sie haben u. a. eine "Diskriminierung der Einfuhren im Textil- und Bekleidungssektor" zu vermeiden (Absatz 1 Buchstabe c).

29 Vor einer Prüfung dieser Rügen, die ich in Anbetracht des Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Argumenten in einem untersuchen werde, ist zu betonen, daß die WTO-Bestimmungen, die als Maßstab für die Rechtmässigkeit der Gemeinschaftshandlungen geltend gemacht werden, einen klaren, genauen und unbedingten Inhalt haben. Artikel II des GATT enthält ein ausdrückliches Verbot, neue Einfuhrbeschränkungen einzuführen, und das Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren im Anhang zum WTO-Übereinkommen enthält für die Vertragsstaaten genaue Verpflichtungen bezueglich der innerstaatlichen Regelung für die Lizenzerteilung. Die Artikel 4 bis 7 ATC verbieten ausdrücklich Maßnahmen, die das "harmonisierte" System im Rahmen der WTO und den im WTO-Übereinkommen vorgesehenen Liberalisierungsprozeß beeinträchtigen können.

Angesichts des vorstehend dargelegten Inhalts der Regeln der angefochtenen bilateralen Vereinbarungen - insbesondere der Vereinbarung mit Indien - und der Bestimmungen der multilateralen Übereinkünfte lässt sich ein Mißverhältnis zwischen den WTO-Bestimmungen, auf die sich die Portugiesische Republik beruft, und den Bestimmungen der bilateralen Vereinbarungen unter allen von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkten nicht leugnen. Ein derartiger inhaltlicher Unterschied bewirkt jedoch meines Erachtens keine Unvereinbarkeit zwischen den multilateralen WTO-Übereinkünften und den streitigen bilateralen Vereinbarungen, sondern stellt lediglich eine Änderung der erstgenannten dar. Nach dem Völkergewohnheitsrecht können die Parteien einer multilateralen Übereinkunft ihre eigenen gegenseitigen Beziehungen grundsätzlich durch eine spätere bilaterale Vereinbarung ändern, wenn, wie in Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, der eine Gewohnheitsregel wiedergibt, vorgesehen, die Änderung "i) die anderen Vertragsparteien in dem Genuß ihrer Rechte aufgrund des Vertrags oder in Erfuellung ihrer Pflichten nicht beeinträchtigt und ii) sich nicht auf eine Bestimmung bezieht, von der abzuweichen mit der vollen Verwirklichung von Ziel und Zweck des gesamten Vertrags unvereinbar ist". Damit eine bilaterale Vereinbarung als unvereinbar mit einer früheren multilateralen Übereinkunft angesehen werden kann, ist es also - soweit hier von Bedeutung - erforderlich, daß die Vereinbarung die Wirkungen der ersten Übereinkunft und insbesondere die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, die nicht an der nachfolgenden Vereinbarung teilgenommen haben, erheblich beeinträchtigt. Eine derartige Unvereinbarkeit wäre, wie die Kommission zu Recht bemerkt, unter dem Gesichtspunkt des Völkerrechts kein Grund für die Nichtigkeit der späteren bilateralen Vereinbarung, sondern könnte gegebenenfalls zu einer unerlaubten internationalen Verhaltensweise der Gemeinschaft gegenüber den Parteien der vorhergehenden multilateralen Übereinkunft führen.

Im vorliegenden Fall beeinträchtigt die Vereinbarung der Gemeinschaft mit Indien, ebenso wie mit Pakistan, offensichtlich nicht die Beziehungen zwischen den Parteien der beiden bilateralen Vereinbarungen und den Parteien der WTO-Übereinkünfte, und sie gefährdet auch nicht die gegenseitigen Verpflichtungen, die im Rahmen der internationalen Verhandlungen übernommen wurden. Dabei ist der Umstand, daß für einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft, wie die Portugiesische Republik, aufgrund des Inhalts der bilateralen Vereinbarungen Nachteile entstehen, entgegen der Behauptung der portugiesischen Regierung bei der Prüfung dieses Gesichtspunkts der Rechtmässigkeit der beiden bilateralen Vereinbarungen nicht von Bedeutung. Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind zwar den WTO-Übereinkünften als gemischtem Übereinkommen Vertragswerken selbständig beigetreten, sie können jedoch nicht als Dritte gegenüber einer bilateralen Vereinbarung wie der hier in Rede stehenden angesehen werden, die von der Gemeinschaft nach Inkrafttreten der multilateralen Übereinkünfte geschlossen wurde. Die angefochtenen Vereinbarungen wurden vom Rat nämlich aufgrund seiner ausschließlichen Zuständigkeit auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik geschlossen. Diese Zuständigkeit ist ihm ausdrücklich vom EG-Vertrag (Artikel 113) verliehen und wurde ihm somit unmittelbar von den Mitgliedstaaten übertragen. Demgemäß ist die Portugiesische Republik als Vertragspartei nicht nur der multilateralen WTO-Übereinkünfte, sondern auch der bilateralen Vereinbarungen mit Indien und Pakistan anzusehen.

Zum Inhalt der Bestimmungen der in Betracht kommenden Übereinkünfte ist meines Erachtens festzustellen, daß die bilateralen Vereinbarungen entgegen der Behauptung der Klägerin die Integration der Textilmärkte der Vertragsstaaten stärken und somit im Einklang mit den Zielen der angeführten multilateralen Übereinkünfte stehen, und zwar sowohl in den beiderseitigen Beziehungen als auch in den Beziehungen mit den anderen WTO-Drittländern. Aus den Erklärungen der Parteien ergibt sich, daß Indien und Pakistan als Zugeständnis für den Liberalisierungsprozeß winzige Quoten angeboten haben und die Aushandlung der bilateralen Vereinbarungen mit diesen Staaten gerade beschlossen wurde, um das Ziel des WTO-Übereinkommens zu erreichen, das in einer schrittweisen und vollständigen Öffnung der jeweiligen Märkte liegt. So sind die bescheidenen ursprünglichen Zugeständnisse, die Indien einzuhalten hat, jedenfalls wohl geringer als die Konzessionen, die in der bilateralen Vereinbarung vorgesehen sind. Der Umstand, daß Indien trotz seiner Verpflichtung zur Bindung der bestehenden Zölle (die bisher dem WTO-Sekretariat notifiziert wurden) aufgrund der Vereinbarung neue Zölle einführen und somit seine Zollbindungsverpflichtung ausser acht lassen kann, entspricht gewiß nicht der allgemeinen Logik der WTO-Regelung. Die Einführung dieser Zölle beeinträchtigt jedoch in Anbetracht des eventuellen und vorläufigen Charakters dieser Maßnahmen nicht den mit der multilateralen Übereinkunft eingeleiteten Prozeß der Liberalisierung des Textilwarenhandels. Desgleichen richtet sich die in der Vereinbarung mit Indien vorgesehene Möglichkeit, daß dieses Land "Sondereinfuhrlizenzen" nach einem - von der portugiesischen Regierung ohne Widerspruch seitens der übrigen Parteien beschriebenen - Verfahren erteilt, wonach die Lizenzen an indische Wirtschaftsteilnehmer und nicht an die Exporteure vergeben werden, nicht nach den allgemeinen Verfahrensregeln des genannten multilateralen Übereinkommens. Eine derartige Klausel beeinträchtigt jedoch nicht die Wirkungen des WTO-Übereinkommens. Die Lizenzen werden nämlich für einen bestimmten Zeitraum beantragt (siehe die Spalte LSI im Anhang der Vereinbarung) und betreffen nicht die Gesamtheit der Waren.

Was schließlich das angebliche "Ungleichgewicht" zwischen den Leistungen der Vertragsparteien anbelangt, so lässt der Wortlaut der beiden Vereinbarungen einen offensichtlichen Unterschied zwischen den Zeitpunkten erkennen, die für die Öffnung der jeweiligen Märkte vorgesehen sind. Nach den Vereinbarungen muß die Gemeinschaft nämlich die derzeitigen Einfuhrbeschränkungen für Textilwaren aus Handwerksbetrieben vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens beseitigen und etwaige Anträge auf Anwendung besonderer Flexibilität, also Abweichungen von der Einfuhrkontingentregelung der Gemeinschaft, wohlwollend prüfen. In Anbetracht dieser Verpflichtungen ist Pakistan bereit, alle mengenmässigen Beschränkungen für eine Reihe im Anhang der Vereinbarung aufgeführter Textilwaren zu beseitigen, während Indien sich lediglich verpflichtet, keine neuen Zölle einzuführen und somit die Textilwareneinfuhr künftig nicht zu beschränken, allerdings mit dem Vorbehalt, gegebenenfalls spezifische Wertzölle wiedereinzuführen und u. a. die vorgenannten Sondereinfuhrlizenzen zu vergeben. Ein derartiges Ungleichgewicht ist jedoch kein Grund für die Nichtigerklärung der Vereinbarung, da das Völkerrecht für Verträge keine genaue Entsprechung der Leistungen der Vertragsparteien vorschreibt und überdies die WTO-Regeln - insbesondere die Artikel 4 und 7 des ATC, auf die sich die portugiesische Regierung beruft, - selbst nicht implizit den Abschluß bilateraler Übereinkünfte mit einem derartigen Inhalt verbieten, sondern nur Maßnahmen untersagen, die die Wirkungen des multilateralen Übereinkommens beeinträchtigen, indem sie den nach den WTO-Übereinkünften vorgesehenen Prozeß der Liberalisierung der Märkte behindern. Aus den vorstehend dargelegten Gründen bin ich indessen der Auffassung, daß die Vereinbarungen, deren Rechtmässigkeit bestritten wird, keine derartige Wirkung entfalten(30). Ferner verbieten die geltend gemachten WTO-Bestimmungen entgegen der Behauptung der portugiesischen Regierung nicht ein System der Flexibilität und somit von Abweichungen von den Einfuhrkontingenten, wie es in den Vereinbarungen mit Indien und Pakistan vorgesehen ist.

30 Bezueglich des letzten Nichtigkeitsgrundes der portugiesischen Regierung wegen Nichtbeachtung der Verpflichtung zur Veröffentlichung internationaler Übereinkünfte nach Artikel X des GATT(31) verweise ich auf die vorstehende Darlegung zur fehlenden Begründetheit des Vorbringens der Klägerin zur angeblichen Verletzung der entsprechenden Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht. Der Beschluß mit den beiden Vereinbarungen wurde zwar erst nach seiner Anfechtung durch die Portugiesische Republik vier Monate nach seinem Erlaß veröffentlicht; eine derartige Verzögerung, die nicht besonders erheblich ist, rechtfertigt jedoch nicht die Nichtigerklärung des Beschlusses wegen eines Verstosses gegen die angeführten internationalen Regeln.

31 b) Ich komme nun zu den Rügen der Verletzung von Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Vorbringen zur Darlegung des angeblichen Widerspruchs zwischen den bilateralen Vereinbarungen mit Indien und Pakistan und den WTO-Übereinkünften. Es handelt sich dabei um die Verletzung der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit in den Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, des Vertrauensschutzes, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und schließlich der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer.

32 Zur Rüge betreffend die loyale Zusammenarbeit in den Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten erklärt die portugiesische Regierung, die bilateralen Vereinbarungen seien geschlossen worden, ohne daß ihr eigener Standpunkt zur Öffnung des Gemeinschaftsmarkts gegenüber Indien und Pakistan berücksichtigt worden ware. Die Klägerin weist darauf hin, daß sie mehrfach ihren Willen bekundet habe, den WTO-Übereinkünften nur beizutreten, wenn die Gemeinschaft nicht von den im multilateralen Rahmen übernommenen Verpflichtungen abweiche, indem sie diesen beiden Staaten Zugeständnisse bei der Marktöffnung für grössere Mengen anbiete, als im WTO-Rahmen vorgeschlagen. Dieser Standpunkt sei insbesondere in der Sitzung des Rates vom 15. Dezember 1993, in der der Beitritt zu den WTO-Übereinkünften beschlossen worden sei, und im Schreiben des portugiesischen Aussenministers vom 7. April 1994 an den Rat förmlich zum Ausdruck gebracht worden(32). Trotz der Erklärungen der Klägerin habe der Rat die Vereinbarungen mit Indien und Pakistan geschlossen und dabei eine Beschleunigung des Prozesses der Marktöffnung für Textilwaren und somit einen Abbau der Zollkontingente der Gemeinschaft für diese Erzeugnisse vorgesehen.

Der Rat bestreitet nicht die Sachdarlegung der portugiesischen Regierung, er betont indessen, daß deren Standpunkt, insbesondere im Schreiben des Aussenministers vom 7. April 1994, politischen Charakter habe und dem Erlaß der Verordnung (EG) Nr. 852/95(33) zugrunde liege, mit der der Rat eine Reihe von Subventionen zugunsten der portugiesischen Textilindustrie gewährt habe. Da der angefochtene Beschluß ein Rechtsakt der Handelspolitik sei, könne er mit qualifizierter Mehrheit der Mitglieder des Rates angenommen werden (Artikel 113 Absatz 4 des Vertrages). Wollte man diesem Standpunkt Portugals Bedeutung für die Annahme des Beschlusses beimessen, so würde dadurch die Rechtsgrundlage der angefochtenen Handlung in Frage gestellt, da dann für die Annahme des betreffenden Rechtsakts nicht mehr die qualifizierte Mehrheit, sondern Einstimmigkeit erforderlich sei.

Die Argumente des Rates sind begründet. Der Standpunkt der portugiesischen Regierung, insbesondere die vorgenannte Erklärung des Ministers vom 7. April 1994, hat nämlich rein politischen Charakter und kann daher als solcher für die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Beschlusses nicht erheblich sein. Selbst wenn man davon ausginge, daß diese Stellungnahme rechtliche Wirkung zeitigt, wäre sie eher ein Vorbehalt zum Beitritt der Portugiesischen Republik zu den WTO-Übereinkünften und könnte somit nicht die Gültigkeit der angefochtenen bilateralen Vereinbarungen in Frage stellen. Zudem soll der geltend gemachte Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen Organen und Staaten die Erreichung der Ziele des EG-Vertrags gewährleisten; er berührt jedoch nicht die Wahl der Rechtsgrundlage für die Rechtsakte der Gemeinschaft und somit das Gesetzgebungsverfahren für deren Annahme(34). Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluß zweifellos ein Akt der Gemeinsamen Handelspolitik, der nach Maßgabe des Artikels 113 Absatz 4 des Vertrages der qualifizierten Mehrheit bedarf. Der Widerspruch eines Mitgliedstaats begründet demnach keinen Mangel, der zur Nichtigkeit des Rechtsakts führen kann. Demgemäß ist dieser Nichtigkeitsgrund als unbegründet zurückzuweisen.

33 Ferner hat der Rat nach Ansicht der portugiesischen Regierung mit der Annahme des angefochtenen Beschlusses den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt. Die Vereinbarungen mit Indien und Pakistan bewirkten nämlich eine starke Beschleunigung des Liberalisierungsprozesses für den Handel mit den in diesen Staaten hergestellten Waren und widersprächen daher den Erwartungen, zu denen die Wirtschaftsteilnehmer dieses Sektors in der Gemeinschaft dank der in den WTO-Übereinkünften, insbesondere im ATC, vorgesehenen Progressivität des Marktöffnungsprozesses und durch die geltende Gemeinschaftsregelung, insbesondere die Verordnung Nr. 3030/93 in der geänderten Fassung der Verordnung Nr. 3289/94, die die ATC-Vereinbarungen in Gemeinschaftsrecht umsetze, gelangt seien. Der Rat macht hierzu geltend, daß sich die bilateralen Vereinbarungen nicht erheblich auf den Inhalt der im multilateralen Rahmen eingegangenen Verpflichtungen auswirkten, da weder die schrittweise Öffnung der Märkte der Vertragsparteien noch die Möglichkeit der Gewährung besonderer Flexibilität, also von Abweichungen von den quantitativen Begrenzungen der Einfuhren, eine erhebliche Änderung des in den WTO-Übereinkünften vorgesehenen Rahmens mit sich bringe. Es sei im übrigen zu bezweifeln, daß den Wirtschaftsteilnehmern dieses Sektors die Eröffnung bilateraler Verhandlungen der Gemeinschaft mit Indien und Pakistan für den Abschluß von Vereinbarungen über den Textilwarenhandel entgangen sei, da der Generaldirektor des GATT die Gemeinschaft bereits im Dezember 1993 aufgefordert habe, die Verhandlungen mit diesen beiden Ländern abzuschließen.

Hierzu ist zweierlei zu bemerken. Erstens kann eine Regelung wie die hier vorliegende, die die allgemeine Einfuhrmengen für bestimmte Warenkategorien betrifft, bei einzelnen Wirtschaftsteilnehmern nicht zu konkreten und spezifischen Erwartungen führen, die ein berechtigtes Vertrauen darauf auslösen können, daß die geltende Regelung nicht geändert wird. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich nämlich der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht auf die Unveränderbarkeit einer Regelung stützen, insbesondere in Sektoren - wie der Textilwareneinfuhr -, in denen eine ständige Anpassung der geltenden Vorschriften an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage erforderlich und somit vernünftigerweise vorhersehbar ist(35). Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut der bilateralen Vereinbarungen zwar, daß die Gemeinschaft dank anderer Zeitpunkte für die Öffnung des Gemeinschaftsmarkts und der ausdrücklichen Möglichkeit einer Gewährung von Ausnahmen bei den Einfuhrkontingenten eine schnellere Marktöffnung akzeptiert hat, als in den multilateralen Übereinkünften vorgesehen; unter Berücksichtigung des Unterschieds bei den Zeitpunkten für die Liberalisierung begründet dies jedoch, wie bereits gezeigt wurde, keinen echten Widerspruch zu den WTO-Bestimmungen und insbesondere den ATC-Vorschriften. Daraus ergibt sich, daß sich keine erheblichen Unterschiede bei der Behandlung indischer und pakistanischer Waren im Vergleich zu Waren aus anderen WTO-Staaten feststellen lassen und solche Unterschiede die Erwartungen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer jedenfalls nicht beeinträchtigen können.

34 Die portugiesische Regierung beruft sich ferner auf eine Verletzung des Grundsatzes des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nach den Artikeln 2 und 3 Buchstabe j sowie 130a bis 130e EG-Vertrag. Sie führt aus, der Umstand, daß die Gemeinschaft sich nicht an die Politik gehalten habe, die bei den Verhandlungen über die multilateralen Übereinkünfte zum Ausdruck gebracht worden sei, in deren Verlauf die Interessen der Wirtschaftsteilnehmer der verschiedenen Gemeinschaftsregionen gegeneinander abgewogen worden seien, habe zur Schädigung einer bestimmten Gruppe von Betroffenen, insbesondere der portugiesischen Textilindustrie, geführt. Dadurch sei die Verordnung Nr. 852/95 erforderlich geworden, um Finanzierungen zugunsten der portugiesischen Wirtschaftsteilnehmer dieses Sektors zu ermöglichen.

Diese Rüge ist zweifellos unbegründet. Die Gemeinschaft hat zwar, wie ausdrücklich in den Artikeln 2 und 3 des Vertrages vorgesehen, bei ihren Handlungen, insbesondere gesetzgeberischer Art, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu wahren; ein derartiges politisches Ziel stellt jedoch kein Rechtsprinzip und somit auch keinen Maßstab für die Rechtmässigkeit von Gemeinschaftshandlungen dar. Somit kann der Beschluß im vorliegenden Fall nicht allein deshalb für nichtig erklärt werden, weil er sich nachteilig auf die Marktstellung einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern in einer bestimmten Region der Gemeinschaft auswirkt.

35 Aufgrund dieser Erwägungen ist auch die letzte Rüge der Klägerin als unbegründet anzusehen, die die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer betrifft. Die portugiesische Regierung vertritt die Auffassung, der angefochtene Beschluß begünstige die Hersteller von Wollwaren gegenüber den Herstellern von Baumwollwaren, da die Öffnung des indischen Marktes in der bilateralen Vereinbarung nur für die erstgenannte Warengruppe akzeptiert werde. Ein Beschluß wie der vorliegende betreffend Einfuhrkontingente, der sich dahin auswirkt, daß eine bestimmte Gruppe von Herstellern begünstigt wird und diejenigen benachteiligt werden, die in demselben Sektor, aber auf anderen Märkten tätig sind, kann meines Erachtens nicht wegen einer angeblichen Ungleichbehandlung der von der Handlung Betroffenen als rechtswidrig angesehen werden. Das Diskriminierungsverbot verlangt nämlich vom Gemeinschaftsgesetzgeber, daß "gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre"(36). Im vorliegenden Fall sind die Wirtschaftsteilnehmer des Sektors auf zwei unterschiedlichen Märkten tätig, dem Woll- und dem Baumwollmarkt, so daß eine etwaige wirtschaftliche Schädigung der einen Gruppe von Herstellern nicht zu einer Verletzung des Diskriminierungsverbots führt.

Ergebnis

36 Aufgrund all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

- die Klage abzuweisen,

- der Portugiesischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

- zu entscheiden, daß die Streithelfer ihre eigenen Kosten tragen.

(1) - ABl. L 153, S. 47.

(2) - Die Gemeinschaft ist der Multifibervereinbarung mit dem Beschluß 74/214/EWG des Rates vom 21. März 1974 über den Abschluß der Vereinbarung über den internationalen Handel mit Textilien (ABl. L 118, S. 1) beigetreten.

(3) - Die Protokolle zur Verlängerung der Multifibervereinbarung wurden am 14. Dezember 1977, 22. Dezember 1981, 31. Juli 1986, 31. Juli 1991, 9. Dezember 1992 und letztlich am 9. Dezember 1993 geschlossen. Die Gemeinschaft trat all diesen Protokollen bei.

(4) - ABl. L 336, S. 1.

(5) - Artikel 8 Absatz 1 ATC bestimmt: "Zur Überwachung der Durchführung dieses Übereinkommens, zur Prüfung der nach diesem Übereinkommen getroffenen Maßnahmen und deren Konformität mit diesem Übereinkommen sowie zur Ausübung der in diesem Übereinkommen ausdrücklich vorgesehenen Befugnisse wird das Textilaufsichtsorgan ('TMB') eingesetzt. Das TMB besteht aus einem Vorsitzenden und zehn Mitgliedern. Die Zusammensetzung des TMB soll ausgewogen und möglichst repräsentativ sein, und ein regelmässiger Wechsel der Mitgliedschaft in angemessenen Zeitabständen ist vorgesehen. Die Mitglieder des TMB werden von den vom Rat für Warenverkehr für die Mitgliedschaft in dem TBM bezeichneten Mitgliedern dieses Übereinkommens benannt und üben ihre Funktion ad personam aus."

(6) - Unter Flexibilität oder Erleichterung ist die Möglichkeit einer Lizenzerteilung für die Einfuhr von Waren über die Einfuhrkontingente hinaus zu verstehen.

(7) - Artikel 5 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und der Republik Indien (Beschluß 88/495/EWG des Rates vom 11. Dezember 1986 über die vorläufige Inkraftsetzung des zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Indien geschlossenen Abkommens über den Handel mit Textilwaren (ABl. 1988, L 267, S. 1) sieht unter Bezugnahme auf Artikel 12 Absatz 3 der Genfer Vereinbarung über den internationalen Handel mit Textilien (von der Gemeinschaft mit Beschluß 74/214 [siehe oben, Fußnote 2] geschlossen) vor, daß die Einfuhrkontingente "nicht für auf Handwebstühlen hergestellte Waren, daraus hergestellte handgefertigte Erzeugnisse oder herkömmliche in Handwerksbetrieben hergestellte Brauchtumstextilwaren gelten".

(8) - ABl. L 275, S. 1.

(9) - ABl. L 349, S. 85.

(10) - ABl. C 166, S. 1.

(11) - Zu den Entschließungen, die aufgrund ihres Inhalts bindende Wirkung haben, siehe die Urteile des Gerichtshofes vom 10. April 1984 in der Rechtssache 108/83 (Luxemburg/Parlament, Slg. 1984, 1945, Randnr. 23) und vom 28. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-213/88 und C-39/89 (Luxemburg/Parlament, Slg. 1991, I-5643, Randnrn. 25 bis 27).

(12) - Verordnung vom 20. Dezember 1995 zur Änderung der Anhänge I, II, III,V, VI, VII, VIII, IX und XI der Verordnung Nr. 3030/93 (ABl. L 323, S. 1). Diese Verordnung wurde von der Portugiesischen Republik mit Klageschrift angefochten, die am 21. März 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist (C-89/96).

(13) - Rechtssache C-280/93 (Slg. 1994, I-4973).

(14) - Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 181/73 (Slg. 1974, 449, insbesondere Randnrn. 2 bis 6).

(15) - Siehe hierzu das Urteil Hägeman, Randnr. 6.

(16) - Siehe die Urteile vom 5. Februar 1976 in der Rechtssache 87/75 (Bresciani, Slg. 1976, 129, Randnr. 16), vom 9. Februar 1982 in der Rechtssache 270/80 (Harlequin und Simons, Slg. 1982, 329, Randnrn. 14 f.), vom 29. April 1982 in der Rechtssache 17/81 (Pabst & Richard, Slg. 1982, 1331, Randnrn. 26 und 27), vom 26. Oktober 1982 in der Rechtssache 104/81 (Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Randnrn. 11 bis 14 und 23), vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86 (Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 14), vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89 (Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 15), vom 31. Januar 1991 in der Rechtssache C-18/90 (Kziber, Slg. 1991, I-199, Randnr. 15) und vom 5. Juli 1994 in der Rechtssache C-432/92 (Anastasiou u. a., Slg. 1994, I-3087).

(17) - Urteil vom 12. Dezember 1972 in den verbundenen Rechtssachen 21/72 bis 24/72 (Slg. 1972, 1219).

(18) - Siehe in diesem Sinn das Urteil vom 24. Oktober 1973 in der Rechtssache 9/73 (Schlüter, Slg. 1973, 1135, Randnr. 27).

(19) - Urteile vom 16. März 1983 in der Rechtssache 266/81 (SIOT, Slg. 1983, 731, Randnr. 12) und in den verbundenen Rechtssachen 267/81 bis 269/71 (SPI und SAMI, Slg. 1983, 801, Randnrn. 23 und 24) sowie vom 12. Dezember 1995 in der Rechtssache C-469/93 (Chiquita Italia, Slg. 1995, I-4533, Randnrn. 25 bis 29).

(20) - Das Urteil Deutschland/Rat verweist ausdrücklich auf zwei Urteile, die auf den ersten Blick Ausnahmen gegenüber der allgemeinen Rechtsprechung zu den Rechtswirkungen der GATT-Bestimmungen darstellen. Das erste Urteil erging am 22. Juni 1989 in der Rechtssache 70/87 (Fediol/Kommission, Slg. 1989, 1781). In dieser Rechtssache hat die Firma Fediol die Rechtmässigkeit einer Entscheidung der Kommission angefochten, mit der ihr Antrag aufgrund des Artikels 3 Absatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2641/84 des Rates vom 17. September 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken (ABl. L 252, S. 1) abgelehnt wurde. Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung bestimmt, daß als unerlaubte Handelspraktiken alle Praktiken von Drittländern anzusehen sind, die, was den internationalen Handel betrifft, mit dem Völkerrecht oder den allgemein anerkannten Regeln unvereinbar sind. Der Gerichtshof hat entschieden, daß die Bestimmungen des Artikels 2 in Verbindung mit Artikel 3 der Verordnung den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern das Recht verleihen, "sich in dem von ihnen bei der Kommission eingereichten Antrag auf die Bestimmungen des GATT zu berufen, und darzulegen, daß die Handelspraktiken, durch die sie sich für geschädigt halten, unerlaubt sind". In einem solchen Fall hält sich der Gerichtshof für zuständig, "die Rechtmässigkeit der Entscheidung [nachzuprüfen], mit der die Kommission diese Bestimmungen angewandt hat" (Randnr. 22). Der Gerichtshof stellt demnach fest, daß die GATT-Bestimmungen zwar allgemein keine unmittelbare Wirkung entfalteten, die ausdrückliche Bezugnahme in der Verordnung Nr. 2641/84 den Gemeinschaftsangehörigen jedoch das Recht verleihe, sich vor Gericht auf diese Bestimmungen zu berufen. Dieses Urteil dürfte sich in die allgemeine Linie der Rechtsprechung dahingehend einreihen, daß den GATT-Bestimmungen keine unmittelbare Wirkung zuerkannt wird. Dies lässt sich bei dem anderen Urteil nicht behaupten, das der Gerichtshof in der Rechtssache Deutschland/Rat angeführt hat, nämlich dem Urteil vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69/89 (Nakajima/Rat, Slg. 1991, I-2069). Dort ist der Gerichtshof nämlich von dem Grundsatz ausgegangen, daß die Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens für die Gemeinschaft bindend seien, ebenso wie der Antidumping-Kodex, der "zur Durchführung des Artikels VI des GATT ausgearbeitet wurde". Demgemäß erklärt der Gerichtshof angesichts der Infragestellung einer Handlung zur Erfuellung der völkerrechtlichen Verpflichtungen aufgrund dieses Kodex, daß er "die Einhaltung der Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens und seiner Durchführungsmaßnahmen sicherstellen" müsse und demnach nachzuprüfen habe, "ob ... der Rat über den somit festgelegten rechtlichen Rahmen hinausgegangen ist und durch die beanstandete Bestimmung gegen ... den Antidumping-Kodex verstossen hat". In dieser Rechtssache berief sich die Firma Nakajima auf die Unvereinbarkeit der Antidumpingverordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 209, S. 1) mit dem Antidumping-Kodex, also dem Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, das im Namen der Gemeinschaft mit Beschluß 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979 über den Abschluß der multilateralen Übereinkommen, die im Zuge der Handelsverhandlungen von 1973-1979 ausgehandelt wurden (ABl. 1980, L 71, S. 1), genehmigt worden war. Dieses Urteil entspricht meines Erachtens mehr der allgemeinen Rechtsprechung zu den internationalen Übereinkünften und entfernt sich von den Kriterien für die Beurteilung der Wirkungen der GATT-Übereinkünfte gegenüber den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts.

(21) - Der Gerichtshof hat unlängst in Beantwortung einer Gültigkeitsfrage betreffend den Konflikt zwischen einer Verordnung zur Aussetzung eines internationalen Abkommens mit Jugoslawien und einer Regel des Völkergewohnheitsrechts aus Artikel 65 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge erklärt, daß die Möglichkeit, sich auf die Regeln des Völkergewohnheitsrechts zu berufen, als unabhängig von deren unmittelbarer Wirkung anzusehen sei, da diese Regeln die Gemeinschaft bänden, die gehalten sei, ihre Befugnisse unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, daß sich die Betroffene "gegenüber der in Anwendung dieser Regeln erlassenen streitigen Verordnung, durch die ihr Ansprüche auf Zollbegünstigung genommen werden, ... auf Regeln des Völkergewohnheitsrechts von grundlegendem Charakter" berufen könne (Urteil vom 16. Juni 1998 in der Rechtssache C-162/96, Racke, Slg. 1998, I-3655, Randnr. 48).

(22) - Das Textilübereinkommen enthält, wie bereits erwähnt, ein eigenes Streitbeilegungssystem mit Vorrang vor der allgemeinen Regelung (gemäß Artikel 1 Absatz 2 der vorgenannten Vereinbarung über die Beilegung von Streitigkeiten bezueglich der WTO-Übereinkünfte). Es wird ein Textilaufsichtsorgan (TMB) eingesetzt, das anhand der "Notifikationen" und "Mitteilungen" der Mitglieder des Übereinkommens und in Ermangelung einer "in bilateralen Konsultationen" nach diesem Übereinkommen "einvernehmlich vereinbarten Lösung" auf Ersuchen einer der beiden Mitglieder "Empfehlungen an die betreffenden Mitglieder" richtet (Artikel 8 ATC).

(23) - In Streitsachen, in denen die auf einem Widerspruch zu den WTO-Regeln beruhenden Rügen für unzulässig erklärt wurden, hat der Gerichtshof seine Zuständigkeit in zweierlei Hinsicht festgestellt. Zum einen hat er sich für zuständig erklärt, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Artikel 50 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Anhang I C des WTO-Übereinkommens) auszulegen, wonach die nationalen Gerichte befugt sind, einstweilige Maßnahmen anzuordnen, wenn die Gefahr einer Verletzung der Rechte des Rechtsinhabers besteht. Da die Beurteilung der Notwendigkeit solcher Maßnahmen nur dem nationalen Gericht obliegt, sieht sich der Gerichtshof gehalten, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegungsfragen zu entscheiden, die diese Beurteilung aufwirft. Der Gerichtshof hat ferner erklärt: "Zum andern besteht, wenn eine Vorschrift sowohl auf dem innerstaatlichen Recht unterliegende als auch auf dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Sachverhalte anwendbar ist, ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, daß diese Vorschrift unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, einheitlich ausgelegt wird, um in der Zukunft voneinander abweichende Auslegungen zu verhindern" (Urteil vom 16. Juni 1998 in der Rechtssache C-53/96 (Hermès, Slg. 1998, I-3603, Randnrn. 30 und 31). Im folgenden Urteil über eine unmittelbare Klage der Italienischen Republik gegen eine Artikel XXIV Absatz 6 des GATT und insbesondere den Nrn. 5 f. der Vereinbarung über die Auslegung von Artikel XXIV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 angeblich zuwiderlaufende Verordnung des Rates über Zollkontingente für die Einfuhr von Reis hat der Gerichtshof die Einrede der Unzulässigkeit dieses Anfechtungsgrundes zurückgewiesen und dazu erklärt, daß die Gemeinschaft mit dem Erlaß der Verordnung "eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung erfuellen" wollte und daher "der Gerichtshof die Rechtmässigkeit der streitigen Verordnung im Hinblick auf die Vorschriften des GATT zu prüfen hat" (Urteil vom 12. November 1998 in der Rechtssache C-352/96, Italien/Rat, Slg. 1998, I-6937, insbesondere Randnrn. 19 bis 21).

(24) - Siehe zuletzt das Urteil Racke, Randnrn. 45 bis 48.

(25) - Siehe insbesondere die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom 3. Februar 1994, Libyan Arab Jamahiriya/Tschad.

(26) - Siehe hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 13. November 1997 in der Rechtssache Hermès, Nr. 24.

(27) - Nach Artikel 60 des Wiener Übereinkommens "berechtigt" eine erhebliche Verletzung eines mehrseitigen Vertrages durch eine Vertragspartei eine andere "durch die Vertragsverletzung besonders betroffene Vertragspartei", diese Vertragsverletzung als Grund für die Suspendierung des Vertrages im Verhältnis zwischen ihr und dem vertragsbrüchigen Staat geltend zu machen (Absatz 2 Buchstabe b). Diese Ausnahme erlaubt es somit den Gemeinschaftsorganen, zu beschließen, daß das Übereinkommen ausgesetzt wird und gegenüber Staaten, die gegen die WTO-Bestimmungen verstossen haben, Maßnahmen und Verhaltensweisen zum Zuge kommen, die im Gegensatz zu den betreffenden Übereinkommensbestimmungen stehen.

(28) - Eine Nichtanwendung der internationalen Regeln aus Übereinkünften durch die Gerichte von Drittländern wird in der Rechtsprechung der Gemeinschaft nicht als Grund angesehen, der den bindenden Charakter dieser Bestimmungen ausschließen kann. Im Urteil Kupferberg hat der Gerichtshof nämlich entschieden: "Wenn somit jede Vertragspartei für die vollständige Erfuellung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen verantwortlich ist, steht es ihr doch zu, die rechtlichen Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung dieses Zieles innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind ..." Jedoch "ist in dem Umstand, daß die Gerichte der einen Partei möglicherweise einigen Bestimmungen des Abkommens unmittelbare Geltung zuerkennen [so daß die Betroffenen sich darauf berufen können], während die Gerichte der anderen Partei diese unmittelbare Geltung möglicherweise ablehnen, für sich allein noch keine fehlende Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkommens zu sehen" (Randnr. 18). Der Gerichtshof hat somit wohl ausgeschlossen, daß die von den Gerichten eines Vertragsstaats abgelehnte Möglichkeit, sich auf die Regeln des Abkommens zu berufen, eine Nichterfuellung darstellt, die die Nichteinhaltung derselben Übereinkunft durch die Gemeinschaftsorgane rechtfertigt und demgemäß für die Gemeinschaftsangehörigen das Recht ausschließt, sich innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft auf die betreffende Übereinkunft zu berufen. Wie im Schrifttum zu Recht festgestellt wird, ist diese Auffassung des Gemeinschaftsrichters nicht dahin auszulegen, daß dadurch in der Rechtsordnung der Gemeinschaft schlicht jede Möglichkeit genommen ist, das Recht zu berücksichtigen, sich vor den Gerichten eines Drittlandes auf die Übereinkunftsbestimmungen zu berufen, und daß eine mangelnde gerichtliche Beachtung der internationalen Regel die Nichteinhaltung derselben internationalen Bestimmungen durch die Rechtsprechungsorgane der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft rechtfertigen könnte. Diese Erwägung ist vielmehr so zu verstehen, daß die fehlende Möglichkeit, sich vor Gericht auf die Übereinkunftsbestimmungen zu berufen, nicht ausschließt, daß ein Drittland andere Mittel zum Schutz der Belange und Rechte der Betroffenen bereitstellt und daher das Vorhandensein eines alternativen Systems für den Schutz dieser Rechte die tiefgreifendsten Folgen des etwaigen Versäumnisses des Drittlandes beseitigt. Siehe hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Hermès, Nrn. 31 ff.

(29) - Zur Möglichkeit, im Rahmen einer internationalen Übereinkunft Streitbeilegungssysteme parallel zum System des Vertrages vorzusehen, siehe das Urteil Kupferberg, in dem der Gerichtshof entschieden hat, daß die Einsetzung Gemischter Ausschüsse im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik vom 22. Juli 1972 zu dessen Durchführung und ordnungsgemässen Erfuellung nicht ausreicht, um "jegliche Anwendung dieses Abkommens durch die Gerichte auszuschließen" (siehe Randnrn. 19 und 20); siehe auch Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991 zum Entwurf eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft einerseits und den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation andererseits über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (Slg. 1991, I-6079), in dem der Gerichtshof erklärt hat: "Die Zuständigkeit der Gemeinschaft im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluß internationaler Abkommen notwendig die Fähigkeit [umfasst], sich den Entscheidungen eines durch solche Abkommen geschaffenen oder bestimmten Gerichts zu unterwerfen, was die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen angeht." Demgemäß ist ein internationales Abkommen, das ein Rechtsprechungssystem vorsieht, grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Schafft dieses Abkommen indessen ein Rechtsprechungssystem, dessen Entscheidungen den Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung von Normen binden, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, so legt das Abkommen die Auslegung der Gemeinschaftsnormen fest und "[beeinträchtigt daher] Artikel 164 EWG-Vertrag und allgemeiner die Grundlagen der Gemeinschaft selbst" (siehe Nr. IV, Slg. 1991, I-6107).

(30) - Zur Stützung der Argumente bezueglich der Rechtswidrigkeit des Ungleichgewichts zwischen den Zugeständnissen der Parteien der beiden angefochtenen Vereinbarungen beruft sich die Klägerin in ihrer Erwiderung auf eine Verletzung des Artikels XXVIII des GATT. Dies ist nicht nur verspätet und damit unzulässig, sondern auch unbegründet, da die Bezugnahme auf "Zugeständnisse auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gegenseitigen Nutzen" in Absatz 1 dieses Artikels meines Erachtens nicht auf die Entsprechung der Leistungen abzielt, sondern auf die Gegenseitigkeit bei der Erfuellung der im Rahmen des GATT übernommenen Verpflichtungen, also unter völliger Beachtung der aufgrund dieses Abkommens eingeräumten Zugeständnisse.

(31) - Artikel X des GATT bestimmt insbesondere: "Internationale handelspolitische Vereinbarungen, die zwischen der Regierung oder einer Regierungsstelle eines Mitglieds und der Regierung oder einer Regierungsstelle eines anderen Mitglieds in Kraft sind, werden ebenfalls veröffentlicht."

(32) - Im Schreiben des portugiesischen Aussenministers vom 7. April 1994 heisst es: "Die Annahme dieses Kompromisses durch die Portugiesische Republik, einschließlich des Abbaus der Multifibervereinbarung, war eng an die Erfuellung von drei Bedingungen gebunden, nämlich die effektive und allgemeine Öffnung aller Märkte, die Stärkung der Regeln und der Disziplin des GATT und die Verwendung des Gemeinschaftssystem der allgemeinen Präferenzen als Gleichgewichtsinstrument gegenüber etwaigen Abweichungen durch Drittländer. Mit Sorge stelle ich gerade auf dem Textilsektor eine nachteilige Entwicklung fest, da einige Vertragsparteien nicht den Verpflichtungen nachkommen, die sie eingegangen sind, indem sie eine Öffnung ihrer Märkte verweigern. Ich beziehe mich konkret auf Indien und Pakistan, die bisher immer noch nicht ihre Angebote vorgelegt haben. Die Europäische Union, die hier von der Kommission vertreten wird, muß anhand der vom Rat vorgegebenen Ausrichtung von unseren Partnern verlangen, daß diese voll und ganz die Verpflichtungen einhalten, die sie am 15. Dezember übernommen haben. Sie werden verstehen, daß diese Verpflichtungen nicht verhandelbar sind und kein weiteres Zugeständnis der Europäischen Union hingenommen werden kann, insbesondere in den sensibelsten Bereichen, wie dem Textilwaren- und Bekleidungssektor."

(33) - Verordnung des Rates vom 10. April 1995 über einen finanziellen Beitrag zugunsten Portugals für ein spezifisches Programm zur Modernisierung der Textil- und Bekleidungsindustrie (ABl. L 86, S. 10).

(34) - Zur Anwendung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit nach Artikel 5 EG-Vertrag auf die Handlungen der Gemeinschaftsorgane siehe die Urteile vom 10. Februar 1983 in der Rechtssache 230/81 (Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 255, Randnrn. 36 bis 38) und vom 22. September 1988 in den verbundenen Rechtssachen 358/85 und 51/86 (Frankreich/Parlament, Slg. 1988, 4821, Randnrn. 34 bis 36) sowie Beschluß vom 13. Juli 1990 in der Rechtssache C-2/88 (Zwartveld u. a., Slg. 1990, I-3365, Randnrn. 17 bis 21).

(35) - Siehe hierzu meine Schlussanträge vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-159/96 (Portugal/Kommission, Urteil vom 19. November 1998, Slg. 1998, I-7379, Nrn. 79 bis 81).

(36) - Siehe insbesondere das Urteil Deutschland/Rat, zitiert in Fußnote 13, Randnr. 67.