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Leitsätze

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1 Freizuegigkeit - Arbeitnehmer - Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Stellensuche - Dauer des Aufenthalts - Nationale Regelung, die arbeitsuchende Angehörige der Mitgliedstaaten verpflichtet, das Hoheitsgebiet automatisch nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen - Unzulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 48; Richtlinie 68/360 des Rates)

2 Freizuegigkeit - Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten - Arbeitnehmer, die für mehr als ein Jahr eingestellt worden sind - Nationale Regelung, nach der für die ersten sechs Monate des Aufenthalts die Erteilung und Verlängerung einer Registrierungsbescheinigung unter Erhebung einer Gebühr vorgesehen sind - Unzulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 48; Richtlinie 68/360 des Rates, Artikel 1, 4 und 9 Absatz 1)

3 Freizuegigkeit - Einreise- und Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten - Arbeitnehmer und Saisonarbeitnehmer, die für höchstens drei Monate eingestellt worden sind - Nationale Regelung, die die Erteilung eines Aufenthaltsdokuments unter Erhebung einer Gebühr vorsieht - Unzulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 48; Richtlinie 68/360 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstaben a und c und Artikel 8 Absatz 2)

Leitsätze

4 Zu dem in Artikel 48 Absätze 1 bis 3 des Vertrages verankerten Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, der weit auszulegen ist, gehört auch das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten, sich in den anderen Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort aufzuhalten, um eine Stelle zu suchen.

Die praktische Wirksamkeit des Artikels 48 ist gewahrt, wenn der Zeitraum angemessen ist, den das Gemeinschaftsrecht oder in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung das Recht eines Mitgliedstaats dem Betroffenen einräumt, um im jeweiligen Mitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können.

Da das Gemeinschaftsrecht nicht regelt, wie lange sich Gemeinschaftsangehörige zur Stellensuche in einem Mitgliedstaat aufhalten dürfen, sind die Mitgliedstaaten berechtigt, hierfür einen angemessenen Zeitraum festzulegen. Erbringt der Betroffene jedoch nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis, daß er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, so darf er vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden.

Ein Mitgliedstaat verstösst daher gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages, wenn er Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in seinem Hoheitsgebiet Arbeit suchen, verpflichtet, dieses automatisch nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen.

5 Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages und aus der Richtlinie 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, wenn er Arbeitnehmern, die für mindestens ein Jahr eingestellt worden sind, während der ersten sechs Monate ihres Aufenthalts nacheinander zwei Registrierungsbescheinigungen anstelle der in der Richtlinie vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis erteilt und hierfür jeweils eine Gebühr erhebt, die der Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer entspricht.

Die Mitgliedstaaten sind nämlich nach Artikel 4 der Richtlinie verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis jedem Arbeitnehmer zu erteilen, der durch geeignete Unterlagen - das Dokument, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist, und eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung - nachweist, daß er zu einer der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten Gruppen gehört. Eine solche Regelung betreffend die Registrierungsbescheinigung berücksichtigt nicht, ob der Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaats bereits bei der Stellung des ersten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis alle nach der Richtlinie erforderlichen Unterlagen vorlegt. Da ferner sechs Monate bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vergehen können, sind diese Verfahrensgestaltungen und die Dauer des Verfahrens als zu aufwendig und daher als - im Widerspruch zu Artikel 48 des Vertrages stehendes - tatsächliches Hindernis für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu betrachten.

Im übrigen ergibt sich eindeutig aus Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie, daß die Erteilung und die Verlängerung der Aufenthaltsdokumente für die Gemeinschaftsangehörigen unentgeltlich oder gegen Entrichtung eines Betrages erfolgen müssen, der die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht übersteigen darf. Das Verfahren der Registrierungsbescheinigungen ist so gestaltet, daß ein Gemeinschaftsangehöriger vor der Erteilung eines endgültigen Dokuments ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren durchlaufen muß und auf jeder Stufe eine Gebühr von ihm erhoben wird. Zwar übersteigt jede Gebühr für sich betrachtet die Ausstellungsgebühr von Personalausweisen für Inländer nicht, doch ist der Gesamtbetrag höher als diese Gebühr, so daß ein Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie gegeben ist.

6 Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 48 des Vertrages und aus der Richtlinie 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, wenn er Arbeitnehmern und Saisonarbeitnehmern, deren Tätigkeit voraussichtlich drei Monate nicht überschreiten wird, ein Aufenthaltsdokument erteilt und hierfür eine Gebühr erhebt.

Gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie gewähren nämlich die Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die bis zur Dauer von voraussichtlich höchstens drei Monaten eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben, das Aufenthaltsrecht ohne Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, da sich das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers insoweit aus dem Ausweis, mit dem er in das Hoheitsgebiet eingereist ist, und aus einer Erklärung des Arbeitgebers mit Angabe der vorgesehenen Beschäftigungszeit ergibt, und gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c besteht für Saisonarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit dem Vermerk der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats besitzen, in dessen Hoheitsgebiet sie sich begeben, um ihre Beschäftigung auszuüben. Aus Artikel 8 Absatz 1 ergibt sich daher, daß alles was über die Erklärung nach Artikel 8 Absatz 2 dieser Richtlinie hinausgeht, die die zuständigen Behörden des Aufnahmestaats von dem Arbeitnehmer zur Anzeige seiner Anwesenheit verlangen können, und den Charakter einer Aufenthaltserlaubnis oder -genehmigung hat, nicht mit der Richtlinie vereinbar ist. Zudem stellt die Erhebung einer Gebühr bei der Abgabe einer solchen Erklärung ein finanzielles Hindernis für die Freizuegigkeit dieser Arbeitnehmer dar und steht im Widerspruch zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften.