Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998. - The Queen gegen Commissioners of Customs and Excise, ex parte EMU Tabac SARL, The Man in Black Ltd, John Cunningham. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal, London - Vereinigtes Königreich. - Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren - Mitgliedstaat, in dem die Verbrauchsteuer geschuldet wird - Erwerb über einen Agenten. - Rechtssache C-296/95.
Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-01605
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
1 Gemeinschaftsrecht - Begriffe - Auslegung - Verweisung auf nationales Recht - Unzulässigkeit
2 Gemeinschaftsrecht - Auslegung - Mehrsprachige Vorschriften - Einheitliche Auslegung - Berücksichtigung der verschiedenen Sprachfassungen
3 Steuerrecht - Harmonisierung - Verbrauchsteuern - Richtlinie 92/12 - Verbrauchsteuerpflichtige Waren - Bestimmung des Mitgliedstaats, in dem die Steuer fällig ist - Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern - Begriff - Erwerb der Waren über einen Agenten - Ausschluß - Fälligkeit im Mitgliedstaat der Bestimmung
(Richtlinie 92/12 des Rates, Artikel 8)
4 Die Gemeinschaftsrechtsordnung will grundsätzlich ihre Begriffe nicht in Anlehnung an eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen definieren, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist.
5 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen verbietet es, im Fall von Zweifeln eine Bestimmung für sich allein zu betrachten, sondern zwingt vielmehr dazu, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen. Grundsätzlich ist allen Sprachfassungen der gleiche Wert beizumessen, der nicht je nach Umfang der Bevölkerung der Mitgliedstaaten, die die betreffende Sprache gebraucht, schwanken kann.
6 Die Richtlinie 92/12 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren ist so auszulegen, daß sie der Erhebung von Verbrauchsteuern in einem Mitgliedstaat A auf Waren nicht entgegensteht, die in einem Mitgliedstaat B in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt und dort bei einem Unternehmen X für den Bedarf im Mitgliedstaat A ansässiger Privatpersonen über ein entgeltlich als Agent für diese Privatpersonen tätig werdendes Unternehmen Y erworben worden sind, wobei die Beförderung der Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A ebenfalls von dem Unternehmen Y für die Privatpersonen organisiert und von einem entgeltlich tätigen Transporteur durchgeführt worden ist.
Artikel 8 der Richtlinie, wonach für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, die Verbrauchsteuern im Erwerbsmitgliedstaat erhoben werden, ist nicht anwendbar, wenn der Erwerb und/oder die Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren über einen Agenten erfolgt. Daher entsteht in einem Fall, in dem Waren aus einem Mitgliedstaat auf Betreiben eines entgeltlich tätigen Wirtschaftsbeteiligten, der zuvor die Kunden in einem anderen Mitgliedstaat angeworben hat und der die Einfuhr dieser Waren organisiert hat, in den anderen Mitgliedstaat verbracht werden, die Verbrauchsteuer in dem letztgenannten Mitgliedstaat.
1 Der Court of Appeal hat mit Beschluß vom 31. Juli 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 18. September 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, S. 1) in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 (ABl. L 390, S. 124) geänderten Fassung (im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der EMU Tabac SARL (im folgenden: EMU), der The Man in Black Ltd (im folgenden: MBL) und des John Cunningham, einem der Direktoren des letztgenannten Unternehmens, gegen die Commissioners of Customs and Excise (im folgenden: Commissioners) über die Erhebung von Verbrauchsteuern auf Zigaretten.
Die britischen Rechtsvorschriften
3 Nach Artikel 2 (1) des Tobacco Products Duty Act (Tabaksteuergesetz) 1979 werden "in ... das Vereinigte Königreich eingeführte Tabakwaren ... mit einer Verbrauchsteuer ... belegt". Die Excise Goods Regulations (Warenverbrauchsteuerverordnung) 1992 legen fest, wer steuerpflichtig ist und in welchem Zeitpunkt die Steuerpflicht entsteht. Die Excise Duties (Personal Reliefs) Order (Verordnung über Verbrauchsteuern [persönliche Befreiungen]) 1992 sieht bestimmte Befreiungen vor, die jedoch für die vorliegende Rechtssache unerheblich sind.
Die anwendbare Gemeinschaftsregelung
4 Die Richtlinie musste von den Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 1992 umgesetzt werden.
5 Artikel 6 lautet:
"(1) Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder mit der Feststellung von Fehlmengen gemäß Artikel 14 Absatz 3.
Als Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr gelten
a) jede - auch unrechtmässige - Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung;
b) jede - auch unrechtmässige - Herstellung dieser Erzeugnisse ausserhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung;
c) jede - auch unrechtmässige - Einfuhr dieser Waren, sofern sie nicht einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind.
(2) Die Voraussetzungen für das Entstehen des Steueranspruchs und der maßgebende Verbrauchsteuersatz richten sich nach den Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr stattfindet oder die Fehlmengen festgestellt werden. Die Verbrauchsteuer wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bestimmungen erhoben und eingezogen, wobei die Mitgliedstaaten auf im Inland hergestellte Waren und auf Waren mit Herkunft aus anderen Mitgliedstaaten dieselben Bestimmungen für die Erhebung und die Einziehung anwenden."
6 Artikel 7 lautet:
"(1) Befinden sich verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat, so werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden.
(2) Werden Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr gemäß Artikel 6 übergeführt worden sind, innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder zur Lieferung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats bestimmt oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung bereitgestellt, so entsteht der Verbrauchsteueranspruch unbeschadet des Artikels 6 in diesem anderen Mitgliedstaat.
(3) Die Verbrauchsteuer wird je nach Fallgestaltung von der Person geschuldet, die die Lieferung vornimmt, oder die die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt, oder von der Person, dem gewerblichen Wirtschaftsbeteiligten oder der öffentlich-rechtlichen Einrichtung, bei der die Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem sie bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, bereitgestellt werden.
(4) Die in Absatz 1 genannten Waren werden zwischen den Hoheitsgebieten der einzelnen Mitgliedstaaten zusammen mit einem Begleitdokument befördert, das die wichtigsten Angaben des in Artikel 18 Absatz 1 genannten Dokuments enthält. Form und Inhalt dieses Dokuments werden nach dem Verfahren des Artikels 24 festgelegt.
(5) Die in Absatz 3 genannten Personen, beruflich Handelnden oder Einrichtungen haben folgende Verpflichtungen zu erfuellen:
a) Abgabe einer Erklärung vor dem Versand der Waren bei den Steuerbehörden des Bestimmungsmitgliedstaats und Gewährleistung der Zahlung der Verbrauchsteuer;
b) Entrichtung der Verbrauchsteuer des Bestimmungsmitgliedstaats nach dessen Vorschriften;
c) Duldung jeglicher Kontrolle, die es der Verwaltung des Bestimmungsmitgliedstaats ermöglicht, sich vom tatsächlichen Eingang der Waren und von der Zahlung der fälligen Verbrauchsteuer zu überzeugen.
(6) Die in dem ersten in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat entrichtete Verbrauchsteuer wird nach den Bestimmungen des Artikels 22 Absatz 3 rückerstattet."
7 Artikel 8 lautet:
"Für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, werden die Verbrauchsteuern nach dem Grundsatz des Binnenmarkts im Erwerbsmitgliedstaat erhoben."
8 Artikel 9 bestimmt in den Absätzen 1 und 2:
"(1) Unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 entsteht die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden.
In diesem Fall wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und von der Person, in deren Besitz sie sich befinden.
(2) Bei der Feststellung, ob die in Artikel 8 genannten Waren zu gewerblichen Zwecken bestimmt sind, haben die Mitgliedstaaten unter anderem folgende Kriterien zu berücksichtigen:
- handelsrechtliche Stellung und Gründe des Besitzers für den Besitz der Waren;
- Ort, an dem die Waren sich befinden, oder gegebenenfalls verwendete Beförderungsart;
- Unterlagen über die Waren;
- Beschaffenheit der Waren;
- Menge der Waren.
Für die Anwendung des fünften Gedankenstrichs von Unterabsatz 1 können die Mitgliedstaaten Richtmengen festlegen, jedoch nur, um einen Anhaltspunkt zu gewinnen. Diese Richtmengen dürfen folgende Werte nicht unterschreiten:
a) Tabakwaren Zigaretten 800 Stück Zigarillos (Zigarren mit einem Hoechstgewicht von 3 g/Stück) 400 Stück Zigarren 200 Stück Rauchtabak 1,0 kg
b) Alkoholische Getränke Spirituosen 10 Liter Zwischenerzeugnisse 20 Liter Wein (davon höchstens 60 Liter Schaumwein) 90 Liter Bier 110 Liter
Irland kann bis zum 30. Juni 1997 Richtmengen festlegen, die für Wein 45 Liter (davon höchstens 30 Liter für Schaumwein) und für Bier 55 Liter nicht unterschreiten dürfen."
9 Artikel 10 bestimmt:
"(1) Verbrauchsteuerpflichtige Waren, die von Personen erworben werden, bei denen es sich weder um zugelassene Lagerinhaber noch um registrierte oder nicht registrierte Wirtschaftsbeteiligte handelt, und die vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr direkt oder indirekt versandt oder befördert werden, unterliegen der Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat. Im Sinne dieses Absatzes gilt als Bestimmungsmitgliedstaat der Mitgliedstaat, in dem die Sendung eingeht oder die Beförderung endet.
(2) Demzufolge entsteht bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind und die vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr direkt oder indirekt an eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Person nach Absatz 1 versandt oder befördert werden, die Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat.
(3) Die Verbrauchsteuer des Bestimmungsmitgliedstaats entsteht gegenüber dem Verkäufer im Zeitpunkt der Lieferung. Die Mitgliedstaaten können allerdings zulassen, daß die Verbrauchsteuer von einem steuerlichen Beauftragten, der nicht mit dem Empfänger der Waren identisch sein darf, geschuldet wird. Dieser steuerliche Beauftragte muß in dem Bestimmungsmitgliedstaat niedergelassen und von den Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats zugelassen sein.
Der Mitgliedstaat, in dem der Verkäufer niedergelassen ist, hat sich zu vergewissern, daß dieser folgende Vorschriften erfuellt:
Er muß
- die Zahlung der Verbrauchsteuer nach Maßgabe der vom Bestimmungsmitgliedstaat festgelegten Bedingungen vor Versendung der Waren gewährleisten und die Zahlung der Verbrauchsteuer nach Eingang der Waren sicherstellen;
- Aufzeichnungen über die Warenlieferungen führen.
(4) In dem in Absatz 2 genannten Fall werden die im erstgenannten Mitgliedstaat entrichteten Verbrauchsteuern nach den Bestimmungen des Artikels 22 Absatz 4 zurückerstattet.
(5) Die Mitgliedstaaten können unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts besondere Durchführungsbestimmungen zu dieser Vorschrift erlassen, die für verbrauchsteuerpflichtige Waren gelten, für deren Vertrieb eine innerstaatliche Sonderregelung gilt, die mit dem Vertrag vereinbar ist."
Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens
10 Die EMU ist eine Gesellschaft des luxemburgischen Rechts und Tochtergesellschaft der The Enlightened Tobacco Co. (im folgenden: ETC), die sich auf den Verkauf von Tabakwaren im Großherzogtum Luxemburg spezialisiert.
11 Die MBL ist eine Gesellschaft des britischen Rechts und ebenfalls Tochtergesellschaft der ETC. Sie nimmt seit 1994 von Privatpersonen, bei denen sie im Vereinigten Königreich wirbt und die dort wohnen, Bestellungen für Zigaretten und Tabak entgegen, die bei der EMU anzukaufen sind. Diese Bestellungen werden von den Privatpersonen für ihren Eigenbedarf nach einem in Luxemburger Franken festgesetzten Tarif über die MBL erteilt, die die Waren kauft und die Einfuhr in das Vereinigte Königreich über ein privates Beförderungsunternehmen im Namen und für Rechnung der Privatpersonen gegen eine Provision organisiert. Kein Kunde darf mehr als 800 Zigaretten auf einmal kaufen.
12 Die Bedingungen, nach denen diese Geschäfte getätigt werden, wurden am 14. November 1994 in einer Vereinbarung zwischen der EMU und der MBL festgelegt.
13 Neben anderen Einzelheiten ist vorgesehen, daß die EMU im Namen der MBL ein Einkaufskreditkonto für alle Käufe einzurichten und zu unterhalten hat, die Privatpersonen über die MBL tätigen.
14 Die MBL wiederum verpflichtete sich, die von den Kunden eingenommenen Beträge unmittelbar auf Bankkonten in London oder in Luxemburg einzuzahlen. Sie bürgt unwiderruflich für die Zahlung bei Empfang der monatlichen Auszuege zum Einkaufskreditkonto entsprechend den üblichen Zahlungsbedingungen der EMU. Ferner verpflichtete sich die MBL, sämtliche Änderungen der Warenpreise in UKL aufgrund von Wechselkursschwankungen durch Erhöhungen oder Kürzungen der Provision auszugleichen, die sie bei den Privatpersonen erhebt.
15 Die Kaufverträge über die Waren werden im Großherzogtum Luxemburg geschlossen, wo auch der Eigentumsübergang erfolgt. Anwendbar ist das englische Recht.
16 Die Verbrauchsteuern im Vereinigten Königreich sind allgemein höher als im Großherzogtum Luxemburg.
17 Im Lauf des Jahres 1995 beschlagnahmten die Commissioners in Dover bestimmte Mengen Tabakwaren bei der Einfuhr entsprechend einer Ermächtigung durch das Recht ihres Staates für den Fall, daß dabei Verbrauchsteuern geschuldet sind.
18 Die EMU, die MBL und John Cunningham beantragten die Einleitung eines Verfahrens zur gerichtlichen Überprüfung dieser Beschlagnahme. Sie beantragten bei dem angerufenen Gericht die Feststellung, daß die Verbrauchsteuern des Vereinigten Königreichs nicht geschuldet waren und daß die Beschlagnahme der betroffenen Tabakwaren rechtswidrig war sowie eine Anordnung, die es den Commissioners untersagt, die im Rahmen ihres Systems eingeführten Waren zu beschlagnahmen. Sie sind nämlich der Ansicht, daß die Verbrauchsteuern im Großherzogtum Luxemburg geschuldet und die betreffenden Erzeugnisse daher von diesen Steuern im Vereinigten Königreich befreit sind, was eine erhebliche Senkung ihrer Preise, in bestimmten Fällen um bis zu 40 %, bewirke.
19 Nachdem die Klage abgewiesen worden war, legten die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens mit Rechtsmittelschrift vom 30. Mai 1995 Rechtsmittel beim Court of Appeal ein.
20 Das nationale Gericht ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie und insbesondere ihres Artikels 8 abhänge. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Bewirkt die Richtlinie 91/12/EWG und insbesondere deren Artikel 8 die Befreiung von Waren von der Verbrauchsteuer im Mitgliedstaat A, wenn
i) die Waren für den Bedarf einer Privatperson im Mitgliedstaat A erworben worden sind;
ii) diese Waren im Mitgliedstaat B von einem Agenten erworben worden sind, der für diese Privatperson tätig geworden ist;
iii) die Beförderung der Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A vom Agenten organisiert worden ist und
iv) die Privatperson nicht selbst mit den Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A gereist ist?
2. Wenn ein System gewerblich konzipiert und betrieben wird, wonach Einkäufe im Mitgliedstaat B für den persönlichen Bedarf einer Privatperson im Mitgliedstaat A von einem Agenten für diese Privatperson getätigt werden und diese Einkäufe aufgrund von Vorkehrungen solcher Agenten vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A befördert werden, bewirkt dann die Richtlinie 92/12/EWG die Befreiung dieser Einkäufe von der Verbrauchsteuer im Mitgliedstaat A?
21 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß das nationale Gericht mit seinen beiden Fragen im wesentlichen Auskunft darüber begehrt, ob die Richtlinie so auszulegen ist, daß sie der Erhebung von Verbrauchsteuer in einem Mitgliedstaat A auf Waren entgegensteht, die in einem Mitgliedstaat B in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt und dort bei einem Unternehmen X für den Bedarf im Mitgliedstaat A ansässiger Privatpersonen über ein entgeltlich als Agent für diese Privatpersonen tätig werdendes Unternehmen Y erworben worden sind, wobei die Beförderung der Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A ebenfalls von dem Unternehmen Y für die Privatpersonen organisiert und von einem entgeltlich tätigen berufsmässigen Transporteur durchgeführt worden ist.
22 Wie aus der Richtlinie hervorgeht, bezweckt diese, in bestimmtem Umfang den Besitz, den Verkehr und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu regeln, und zwar insbesondere um zu gewährleisten, daß der Verbrauchsteueranspruch in allen Mitgliedstaaten unter gleichen Umständen gegeben ist.
23 Wie aus der dritten, der fünften, der sechsten und der elften Begründungserwägung hervorgeht, trifft die Richtlinie eine Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Waren einerseits, die bei ihrer Beförderung von Dokumenten begleitet werden müssen, und persönlichen Zwecken dienenden Waren andererseits.
24 Für die letztgenannten Waren sieht Artikel 8 vor, daß die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat geschuldet werden, in dem die Waren erworben wurden, und verlangt damit kein Dokument für deren Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat.
25 Für die Anwendung des Artikels 8 müssen jedoch mehrere Voraussetzungen erfuellt sein. So müssen die verbrauchsteuerpflichtigen Waren von einer Privatperson für ihren Eigenbedarf erworben worden sein und die Beförderung muß durch diese Privatperson erfolgen.
26 Diese Voraussetzungen sollen die Feststellung des rein persönlichen Charakters des Besitzes von verbrauchsteuerpflichtigen Waren ermöglichen, die in einem Staat erworben und dann in einen anderen befördert werden.
27 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen erstens geltend, die erwähnte Bestimmung sei auf einen Sachverhalt wie denjenigen des Ausgangsverfahrens anwendbar, bei dem der Erwerb der verbrauchsteuerpflichtigen Waren über einen Agenten erfolgt sei, der auch deren Beförderung organisiert habe.
28 Zur Untermauerung ihres Standpunkts machen die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend, der aus dem römischen Recht hervorgegangene Spruch qui facit per alium facit per se, wonach eine Person, die über einen Bevollmächtigten handele, in gleicher Weise behandelt werden müsse, wie wenn sie selbst gehandelt hätte, stelle ein Grundprinzip in einer Reihe von Rechtsordnungen, insbesondere im englischen Recht dar, das erst recht im vorliegenden Fall gelte, da weder die englische Fassung der Richtlinie noch die französische, italienische, spanische, deutsche, niederländische oder portugiesische Fassung die Möglichkeit ausschlössen, sich eines Bevollmächtigten zu bedienen.
29 Dieser Überlegung kann nicht gefolgt werden.
30 Zunächst will nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Gemeinschaftsrechtsordnung grundsätzlich ihre Begriffe nicht in Anlehnung an eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen definieren, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist (Urteil vom 14. Januar 1982 in der Rechtssache 64/81, Corman, Slg. 1982, 13, Randnr. 8). Artikel 8 der Richtlinie enthält jedoch keine ausdrückliche Verweisung auf die nationalen Rechtsordnungen.
31 Ferner ist selbst dann, wenn man davon ausgeht, daß der erwähnte Grundsatz allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist, mit dem Generalanwalt darauf hinzuweisen, daß es sich dabei um einen Grundsatz des Zivilrechts, genauer: des Schuldrechts, handelt, der sich nicht notwendigerweise für die Anwendung im Steuerrecht eignet, das eigenständigen Zwecken dient.
32 Schließlich hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn er im Rahmen der Richtlinie das Tätigwerden eines Dritten hätte vorsehen wollen, dies ausdrücklich durch eine entsprechende Formulierung getan. So verhält es sich bei Artikel 9 Absatz 3 und Artikel 10 Absatz 1.
33 Bei Artikel 8 sieht keine der Sprachfassungen ausdrücklich ein solches Tätigwerden vor; im Gegenteil lassen die dänische und die griechische Fassung besonders deutlich hervortreten, daß die Verbrauchsteuern nur dann im Erwerbsstaat geschuldet werden, wenn die Beförderung durch den Erwerber der verbrauchsteuerpflichtigen Waren persönlich erfolgt.
34 Die Kläger des Ausgangsverfahrens räumen ein, daß die beiden letztgenannten Fassungen das Tätigwerden eines Dritten als Bevollmächtigten ausschließen. Sie sind jedoch der Ansicht, soweit diese beiden Sprachfassungen im Widerspruch zu den anderen Sprachfassungen stuenden, hätten sie unberücksichtigt zu bleiben, denn die Bevölkerung der beiden betroffenen Mitgliedstaaten habe im Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie insgesamt nur 5 % der Bevölkerung der zwölf Mitgliedstaaten ausgemacht, und ihre Sprache sei für die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten nicht leicht zu verstehen.
35 Hierzu ist festzustellen, daß zwischen der dänischen und der griechischen Fassung einerseits und den übrigen Sprachfassungen andererseits nur dann ein Widerspruch besteht, wenn man den von den Klägern des Ausgangsverfahrens vorgetragenen Überlegungen folgt.
36 Ferner würde die Nichtbeachtung zweier Sprachfassungen, wie dies die Kläger des Ausgangsverfahrens vorschlagen, im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes stehen, wonach es die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen verbietet, im Fall von Zweifeln eine Bestimmung für sich allein zu betrachten, sondern vielmehr dazu zwingt, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 9/79, Koschniske, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6). Schließlich ist grundsätzlich allen Sprachfassungen der gleiche Wert beizumessen, der nicht je nach Umfang der Bevölkerung der Mitgliedstaaten, die die betreffende Sprache gebraucht, schwanken kann.
37 Nach allem ist Artikel 8 der Richtlinie nicht anwendbar, wenn der Erwerb und/oder die Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren über einen Agenten erfolgt. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 8 liegen daher bei dem vom vorlegenden Gericht untersuchten Sachverhalt nicht vor.
38 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen ferner geltend, der Grundsatz der Rechtssicherheit, wie er insbesondere im Urteil vom 13. März 1990 in der Rechtssache C-30/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-691) bestätigt worden sei, setze voraus, daß die Richtlinie so auszulegen sei, daß jede Mehrdeutigkeit den Privatpersonen zugute komme, soweit sie finanzielle Auswirkungen haben könne.
39 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß eine mögliche Mehrdeutigkeit einer Bestimmung nur unter Berücksichtigung des Zusammenhangs dieser Bestimmung festgestellt werden kann (vgl. insbesondere Urteil vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/82, Merck, Slg. 1983, 3781, Randnr. 12).
40 Wie im vorliegenden Urteil im einzelnen in Randnummer 33 bereits aufgezeigt worden ist, geht aus der Richtlinie eindeutig hervor, daß der Gesetzgeber im Rahmen des Artikels 8 niemals das Tätigwerden eines Agenten vorsehen wollte. Daher weist diese Bestimmung keine Mehrdeutigkeit auf.
41 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen zweitens geltend, wenn Artikel 8 so auszulegen sei, daß er auf das Tätigwerden eines Agenten keine Anwendung finde, so sei Artikel 6 anzuwenden, mit der Folge, daß die Verbrauchsteuern im vorliegenden Fall ausschließlich im Großherzogtum Luxemburg entstanden seien, wo die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr stattgefunden habe.
42 Hierzu ist zu bemerken, daß zwar nach Artikel 6 die Verbrauchsteuer mit der Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr entsteht, dies jedoch nicht ausschließt, daß die Verbrauchsteuern gemäß den Artikeln 7, 9 oder 10 anschließend in einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden, wobei die gegebenenfalls im ersten Mitgliedstaat entrichteten Verbrauchsteuern dann gemäß Artikel 7 Absatz 6 oder Artikel 10 Absatz 4 erstattet werden können.
43 Ein Sachverhalt, wie er vom vorlegenden Gericht beschrieben worden ist, kann jedoch sowohl von Artikel 7 als auch von Artikel 10 der Richtlinie erfasst werden.
44 Zunächst entsteht gemäß Artikel 10 Absatz 2 bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind und die vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr direkt oder indirekt an eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Person, bei der es sich weder um einen zugelassenen Lagerinhaber noch um einen registrierten oder nicht registrierten Wirtschaftsbeteiligten handelt, versandt oder befördert werden, die Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat.
45 Die letztgenannte Bestimmung wurde so formuliert, daß sie nicht nur den Fall der Beförderung oder des Versandes durch den Verkäufer selbst, sondern auch und in viel weiterem Sinne sämtliche Fälle des Versandes oder der Beförderung auf Gefahr des Verkäufers umfasst.
46 Im übrigen bescheinigt die in dieser Bestimmung verwendete Formulierung deutlich, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber eher auf die objektive Natur der Vorgänge als auf die ihnen verliehene rechtliche Form abstellt.
47 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß im vorliegenden Ausgangsverfahren die EMU und die MBL Tochtergesellschaften ein und derselben Gesellschaft sind und daher als Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit zu betrachten sind, obwohl sie getrennte juristische Personen darstellen (vgl. Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 170/83, Hydrotherm, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11).
48 Auch geht aus dem Vorlagebeschluß hervor, daß die MBL nicht auf Betreiben der von ihr vertretenen Privatpersonen tätig wird, sondern von diesen Bestellungen von Tabakwaren und Zigaretten entgegennimmt, die dann ausschließlich bei der EMU, der Verkäuferin, aufgegeben werden. Schließlich haben die MBL und die EMU den Rahmen ihrer Zusammenarbeit in einer Vereinbarung von 1991 allgemein festgelegt; aus dieser Vereinbarung geht insbesondere hervor, daß die Risiken der Entwicklung der Wechselkurse von der MBL und nicht von den Käufern selbst getragen werden.
49 Daher ist davon auszugehen, daß die Waren, um die es im Ausgangsverfahren geht, im Sinne von Artikel 10 der Richtlinie vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr direkt oder indirekt versandt oder befördert worden sind und daß die Verbrauchsteuern im Vereinigten Königreich entstanden sind.
50 Zu der Doppelbesteuerung, die sich nach Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrens aus der Erhebung der Verbrauchsteuern im Vereinigten Königreich ergibt, ist festzustellen, daß Artikel 10 Absatz 4 für den Fall der Anwendung von Absatz 2 ausdrücklich die Erstattung der Verbrauchsteuern vorsieht, die im Mitgliedstaat der Überführung der Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr entstanden sind.
51 Zu Artikel 7 ist zu bemerken, daß nach seinem Absatz 1 die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dem sich Waren zu gewerblichen Zwecken befinden, die in einem ersten Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind. Artikel 7 Absatz 2 stellt klar, daß in diesem Rahmen dann, wenn diese Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder zur Lieferung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats bestimmt oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung bereitgestellt werden, der Verbrauchsteueranspruch in diesem anderen Mitgliedstaat entsteht.
52 In einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, in dem Waren aus einem Mitgliedstaat auf Betreiben eines entgeltlich tätigen Wirtschaftsbeteiligten, der zuvor die Kunden in einem anderen Mitgliedstaat angeworben hat und der die Einfuhr dieser Waren organisiert hat, in den anderen Mitgliedstaat verbracht werden, entsteht die Verbrauchsteuer in dem letztgenannten Mitgliedstaat.
53 Daher ist die Richtlinie so auszulegen, daß sie der Erhebung von Verbrauchsteuern in einem Mitgliedstaat A auf Waren nicht entgegensteht, die in einem Mitgliedstaat B in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt und dort bei einem Unternehmen X für den Bedarf im Mitgliedstaat A ansässiger Privatpersonen über ein entgeltlich als Agent für diese Privatpersonen tätig werdendes Unternehmen Y erworben worden sind, wobei die Beförderung der Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A ebenfalls von dem Unternehmen Y für die Privatpersonen organisiert und von einem entgeltlich tätigen Transporteur durchgeführt worden ist.
Kosten
54 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der dänischen, der deutschen, der griechischen, der französischen, der irischen, der italienischen, der niederländischen, der österreichischen, der finnischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Court of Appeal mit Beschluß vom 31. Juli 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung ist so auszulegen, daß sie der Erhebung von Verbrauchsteuern in einem Mitgliedstaat A auf Waren nicht entgegensteht, die in einem Mitgliedstaat B in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt und dort bei einem Unternehmen X für den Bedarf im Mitgliedstaat A ansässiger Privatpersonen über ein entgeltlich als Agent für diese Privatpersonen tätig werdendes Unternehmen Y erworben worden sind, wobei die Beförderung der Waren vom Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A ebenfalls von dem Unternehmen Y für die Privatpersonen organisiert und von einem entgeltlich tätigen Transporteur durchgeführt worden ist.