61995C0191(01)

Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas vom 17. Februar 1998. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Mit Gründen versehene Stellungnahme - Kollegialprinzip - Gesellschaftsrecht - Richtlinien 68/151/EWG und 78/660/EWG - Jahresabschluß - Sanktionen im Fall der Nichtoffenlegung. - Rechtssache C-191/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-05449


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Vorbemerkungen

Ich befinde mich in der - angenehmen oder unerfreulichen - Lage, ein zweites Mal in der Rechtssache C-191/95 Stellung zu nehmen, in der ich bereits am 5. Juni 1997 meine Schlussanträge vorgetragen hatte. Ich glaube nicht, daß die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung neue Gesichtspunkte hervorzubringen vermocht hat, die die Gedankenführung wie die Ergebnisse meiner ersten Schlussanträge erschüttern könnten, auf die ich hiermit verweise. Gleichwohl erscheint es mir angebracht, einige ergänzende Ausführungen insoweit zu machen, als die Kommission es in der Sitzung unternommen hat, eine Rechtslage zu skizzieren, die sich von derjenigen unterscheidet, die ich in meinen vorigen Schlussanträgen beschrieben hatte. Ich werde mich allerdings darauf beschränken, diejenigen Rechtsfragen zu behandeln, auf die sich die Diskussion in der Sitzung konzentrierte, d. h. diejenigen, die die formale Rechtmässigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission betreffen, die der vorliegenden Klage vorausging; in dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme warf die Kommission Deutschland vor, die Richtlinien 68/151/EWG und 78/66/EWG des Rates betreffend die Sanktionen, die die Mitgliedstaaten im Falle der Nichtveröffentlichung der Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften zu verhängen haben, nicht ordnungsgemäß umgesetzt zu haben.

II - Sachverhalt und Verfahren vor dem Gerichtshof

1 Hinsichtlich des Sachverhalts, der die Kommission dazu veranlasst hat, vor dem Gerichtshof Klage zu erheben, verweise ich auf Nummer 1 meiner Schlussanträge vom 5. Juni 1997. Hinsichtlich des Verfahrens, das vor dem Gerichtshof bis zu meinen ursprünglichen Schlussanträgen abgelaufen ist, verweise ich auf die Punkte 2 bis 6 dieser Schlussanträge. Es erscheint mir jedoch angebracht, kurz darauf hinzuweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland von Anfang an eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben hatte, mit der sie geltend machte, die Beschlüsse der Kommission, die zu der vorliegenden Klage geführt hätten, seien mit erheblichen Formfehlern behaftet. Insbesondere sei fraglich, inwieweit die mit Gründen versehene Stellungnahme und der Beschluß über die Erhebung der vorliegenden Klage unter Wahrung des Kollegialprinzips und unter Einhaltung der durch die Geschäftsordnung der Kommission vorgeschriebenen Förmlichkeiten erlassen worden seien. Sie verlangte ferner von der Kommission, anzugeben, ob diese Rechtsakte vom Kollegium der Kommissionsmitglieder oder aufgrund Ermächtigung erlassen worden seien, und bat um Abschriften dieser Beschlüsse. Da die Kommission auf diese Aufforderungen nicht antwortete, ersuchte die Beklagte den Gerichtshof, der Klägerin die Vorlage der verlangten einschlägigen Dokumente aufzugeben. Mit Beschluß vom 23. Oktober 1996 gab der Gerichtshof der Kommission auf, die von ihr als Kollegialorgan gefassten und in Übereinstimmung mit ihrer Geschäftsordnung festgestellten Beschlüsse, aufgrund deren sie erstens die an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete mit Gründen versehene Stellungnahme abgegeben und zweitens entschieden hatte, die vorliegende Klage zu erheben, vorzulegen. Die Kommission legte dem Gerichtshof einige Dokumente vor, auf die ich im einzelnen zurückkommen werde(1) und die meines Erachtens nicht denjenigen entsprechen, die der Gerichtshof in seinem Beschluß verlangt hatte. Unter Berücksichtigung der dem Gerichtshof vorgelegten Dokumente und des Parteivortrags in der mündlichen Verhandlung gab ich am 5. Juni 1997 Schlussanträge ab, in denen ich dem Gerichtshof vorschlug, die Klage wegen Nichteinhaltung des Kollegialprinzips bei Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme als unzulässig abzuweisen. Ich vertrat ferner die Auffassung, die mit Gründen versehene Stellungnahme könne jedenfalls auch nicht im Wege der Ermächtigung erlassen werden, so daß die von mir festgestellten Mängel, was die Einhaltung des Kollegialprinzips bei ihrem Erlaß angeht, auch nicht auf diesem Weg hätten geheilt werden können. Mit Beschluß vom 14. Oktober 1997 hat der Gerichtshof in Anbetracht der Bedeutung der Frage, unter welchen Bedingungen die mit Gründen versehene Stellungnahme erlassen wurde, für die Zulässigkeit der Klage die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeordnet und die Parteien aufgefordert, in einer neuen Verhandlung zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Während Deutschland bei seinem ursprünglichen Vorbringen blieb, vertrat die Kommission die Auffassung, die mit Gründen versehene Stellungnahme sei zwar ihrer Natur nach eine Maßnahme, die nicht im Wege der Ermächtigung getroffen werden könne und für die das Kollegialprinzip gelte, doch unterliege sie nicht den strengen Formvoraussetzungen, auf deren Nichteinhaltung ich in meinen Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 hingewiesen hatte.

2 Ich kann es nur begrüssen, wenn die Kommission - sei es auch lediglich im Prinzip - die Pflicht zur Einhaltung des Kollegialprinzips bei Erlaß der mit Gründen versehenen Stellungnahme proklamiert. Wie ich noch im einzelnen darlegen werde, habe ich jedoch im Hinblick auf die Frage, ob die Kommission nicht zwar rechtlich gesehen die Möglichkeit, eine mit Gründen versehene Stellungnahme im Wege der Ermächtigung zu erlassen, ausschließt, jedoch in der Praxis ein indirektes Ermächtigungsverfahren einführt, das den Regeln der kollegialen Zusammenarbeit zuwiderläuft.

Im Rahmen der Einleitung genügt jedenfalls der Hinweis, daß die Bedeutung der vorliegenden Rechtssache im wesentlichen in den formalen Vorschriften liegt, die sich aus dem Kollegialprinzip ergeben und die für die Entscheidungen der Kommission betreffend die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme maßgeblich sind.

III - Zur Zulässigkeit der Klage

A - Zum Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission

3 Nach der Rechtsprechung ist der Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission in der Gemeinschaftsrechtsordnung von vorrangiger Bedeutung und steht als Organisationsprinzip im Einklang mit dem institutionellen Gefüge der Gemeinschaft (und der Union). Er findet seinen Ausdruck in Artikel 17 des Fusionsvertrags und in Artikel 163 des Vertrages; letzterer bestimmt ausdrücklich: "Die Beschlüsse der Kommission werden mit der Mehrheit ... ihrer Mitglieder gefasst." Ferner bestimmt Artikel 1 der Geschäftsordnung der Kommission: "Die Kommission handelt als Kollegium nach Maßgabe dieser Geschäftsordnung."

4 Im PVC-Urteil(2) des Gerichtshofes wird zunächst der allgemeine Grundsatz(3) in Erinnerung gerufen, daß "die ... Kommission dem Kollegialprinzip [unterliegt]"(4). Weiter heisst es ausdrücklich: "Die Beachtung dieses Prinzips und insbesondere das Erfordernis, daß die Entscheidungen von den Mitgliedern der Kommission gemeinsam beraten werden, ist für die von den Rechtswirkungen dieser Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig insoweit von Interesse, als sie die Gewähr dafür haben müssen, daß die Entscheidungen tatsächlich vom Kollegium getroffen sind und dessen Willen genau entsprechen."(5) Zu den Entscheidungen der Kommission, die stets mit Gründen zu versehen sind, führt der Gerichtshof aus: "Nur im Lichte der Begründung ist es möglich, den verfügenden Teil einer derartigen Entscheidung zu verstehen und seine Tragweite einzuschätzen. Da der verfügende Teil und die Begründung einer Entscheidung somit ein unteilbares Ganzes darstellen, ist es nach dem Kollegialprinzip ausschließlich Sache des Kollegiums, beide zugleich anzunehmen."(6) Schließlich wird im PVC-Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die in Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission vorgesehene Ausfertigung der Rechtsakte der Kommission "die ... Rechtssicherheit gewährleisten [soll], indem sie den vom Kollegium angenommenen Wortlaut in allen verbindlichen Sprachen feststellt"(7).

5 Aus alledem folgt, daß der Grundsatz der kollegialen Beschlußfassung für die allgemeine Tätigkeit der Kommission die Regel darstellt. Insbesondere was Rechtsakte angeht, die aufgrund gesetzlicher Regelung oder aufgrund ihrer Natur begründet werden müssen, verlangt das Kollegialprinzip, daß der verfügende Teil und die Begründung des Rechtsakts gleichzeitig von der Kommission als Kollegialorgan angenommen werden. Die Einhaltung dieses Grundsatzes wird durch das Verfahren der verbindlichen Feststellung der von der Kommission gefassten Beschlüsse sichergestellt, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.

a) Auffassung der Kommission zum Kollegialprinzip

6 Die Kommission verweist in ihrem Vorbringen im Rahmen der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung auf ihre eigene Auslegung des Kollegialprinzips und beschränkt den Anwendungsbereich der PVC-Rechtsprechung auf Handlungen, die unmittelbare Wirkungen und zwingende Rechtsfolgen entfalten. Die Kommission stellt zutreffend fest, daß das PVC-Urteil den Erlaß einer Geldbusse, d. h. eines vollziehbaren Verwaltungsakts, betroffen habe und daß der Gerichtshof, bevor er endgültig Stellung bezogen habe, den Umstand erörtert habe, daß die fraglichen finanziellen Sanktionen Rechtswirkungen gegenüber einzelnen entfalteten(8). Ausgehend von dieser Feststellung trägt die Kommission vor, das Kollegialprinzip stelle nicht für sämtliche von ihr getroffenen Entscheidungen dieselben Formvoraussetzungen auf; sie schlägt eine Unterscheidung vor zwischen Handlungen, die unmittelbare Rechtswirkungen entfalteten - für die die strengen Voraussetzungen gölten, die der Gerichtshof in der PVC-Rechtsprechung aufgestellt habe -, und Handlungen, die diese Eigenschaften nicht aufwiesen - bei denen es genüge, wenn das Kommissionskollegium nach Unterrichtung eine "Grundsatzentscheidung" (sic)(9) betreffend den ihm vorgelegten Sachverhalt und dessen rechtliche Qualifizierung treffe. Die weitere Ausarbeitung von Handlungen der zweiten Kategorie, die vorbereitenden Charakter hätten, nach Erlaß der "Grundsatzentscheidung" (sic) durch das Kommissionskollegium obliege dann den zuständigen Dienststellen der Kommission(10). Der Erlaß allein der "Grundsatzentscheidung" (sic) durch das Kommissionskollegium erfuelle die Anforderungen des Kollegialprinzips, wie diese in Randnummer 63 des PVC-Urteils aufgestellt würden, d. h. die gemeinsame Beratung des Beschlusses und die kollektive Verantwortlichkeit der Kommission(11).

7 Wenn man diese Überlegungen auf den vorliegenden Fall übertrage, ergebe sich, daß den Kommissionsmitgliedern in dem Augenblick, als sie die "Grundsatzentscheidung" (sic) getroffen hätten, gegenüber Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme wegen nicht ordnungsgemässer Umsetzung der Richtlinien 68/151 und 78/660 des Rates abzugeben, zumindest die "fiche d'infraction" vorgelegen habe; diese enthalte einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig dokumentierten Vorschlag der zuständigen Dienststellen für die Abgabe der betreffenden mit Gründen versehenen Stellungnahme. Zwecks detaillierterer Dokumentation oder weitergehender Informationen hätten sie im übrigen auf die Verwaltungsakten betreffend die fragliche Vertragsverletzung Deutschlands zurückgreifen können. Als die Kommissionsmitglieder beschlossen hätten, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland zu richten, wie sich dies aus den Protokollen ihrer Sitzungen ergebe(12), hätten sie in voller Kenntnis dessen, worüber sie entschieden hätten, und damit auch des Tenors und der Begründung der mit Gründen versehenen Stellungnahme gehandelt. Aufgrund dessen seien die durch das Kollegialprinzip aufgestellten Verfahrensvoraussetzungen voll erfuellt; die allgemeine Praxis der Kommission (daß das Kommissionskollegium im Rahmen des Verfahrens des Artikels 169 des Vertrages nur eine "Grundsatzentscheidung" [sic] auf der Grundlage der "fiche d'infraction" und der Verwaltungsakten betreffend die fragliche Vertragsverletzung trifft, die Abfassung des Textes der mit Gründen versehenen Stellungnahme jedoch den Verwaltungsdienststellen unter der Aufsicht des zuständigen Kommissionsmitglieds überlassen bleibt) sei absolut rechtmässig und stehe in völliger Übereinstimmung mit dem Kollegialprinzip.

b) Meine Auffassung zu dem von der Kommission vertretenen Standpunkt

8 Ich kann mich dieser Auffassung keinesfalls anschließen.

i) Zur vorliegenden Klage

9 Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, daß die dargestellte Rechtsauffassung der Kommission, selbst wenn man ihr zustimmen wollte, meine Schlussanträge vom 5. Juni 1997, in denen ich feststellte, daß die Klage wegen der Formfehler, mit denen die mit Gründen versehene Stellungnahme behaftet ist, unzulässig ist, nicht widerlegt. Die Kommission hat dem Gerichtshof nicht, wie es ihr oblag, die "fiche d'infraction" oder die Akten vorgelegt, auf deren Grundlage die "Grundsatzentscheidung" (sic) vom Kommissionskollegium hätte getroffen werden müssen. Vor allem hat die Kommission diese Dokumente weder vorgelegt, als Deutschland die formale Rechtmässigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme in Frage stellte, noch als der Gerichtshof sie zur Vorlage der von ihr als Kollegium entsprechend den durch ihre Geschäftsordnung aufgestellten Formvorschriften erlassenen Beschlüsse betreffend die vorliegende Klage aufforderte. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Kommission es unter Verletzung der geltenden Verfahrensfristen unternommen, erstmals vor diesem Auditorium eine "fiche d'infraction" und eine Verwaltungsakte - wie er behauptete - vorzulegen. Nach der Wiedereröffnung des Verfahrens hat der Vertreter der Kommission in der zweiten mündlichen Verhandlung vorgeschlagen, diese Texte dem Gerichtshof zu übermitteln, falls dieser hiervon in diesem Stadium des Verfahrens Kenntnis nehmen wolle.

10 Aus den Dokumenten, die die Kommission fristgerecht vorgelegt hat - also denjenigen, die sie dem Gerichtshof gemäß dessen Beschluß vom 20. Oktober 1996(13) - und die Auszuege aus Protokollen einiger Sitzungen der Kommission sowie in diesen Protokollen erwähnte Dokumente enthielten, ergibt sich jedoch folgendes: In ihrer 1 071. Sitzung vom 31. Juli 1991 genehmigte die Kommission die im Dokument SEC(91) 1387 enthaltenen Vorschläge ihrer zuständigen Dienststellen. Dieses letztgenannte Dokument umfasst ein summarisches, anhand von EDV-Daten erstelltes Verzeichnis verschiedener Punkte, von denen einer die Angabe der vorliegend fraglichen Richtlinie und den (aus einem Wort bestehenden) Vorschlag enthält, an die Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu richten. In gleicher Weise wird im Protokoll der Sitzung der Kommission vom 18. Dezember 1991 (COM[91] PV 1087) erwähnt, daß die Kommission den im Dokument SEC(91) 2213 enthaltenen Vorschlag genehmigt; in diesem Dokument wurde vorgeschlagen, die vorgenannte Entscheidung der Kommission vom 31. Juli 1991 über die Zustellung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland sofort zu vollziehen. Schließlich hat die Kommission in ebenso knapper Form ausweislich des Protokolls ihrer Sitzung vom 13. Dezember 1994 (COM[95] PV 1227) den im Dokument SEC(94) 1808 enthaltenen Vorschlag genehmigt, beim Gerichtshof gemäß Artikel 169 des Vertrages Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland zu erheben.

11 Aus den genannten Dokumenten ergibt sich kurz gesagt, daß den Kommissionsmitgliedern in dem Augenblick, als sie ihre "Grundsatzentscheidung" (sic) trafen, ein Verwaltungsdokument vorlag, das erstens die Nummer der nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie, zweitens den Namen des Staates, der die Vertragsverletzung begangen hatte und drittens den (aus einem Wort bestehenden) Vorschlag der zuständigen Dienststellen enthielt, die Zustellung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme zu beschließen. Dies sind die einzigen Elemente, von denen mit rechtlicher Gewißheit feststeht, daß sie den Kommissionsmitgliedern bekannt waren und daß sie deren Beschluß zugrunde lagen. Selbst wenn man also der Auffassung der Kommission folgen würde, wonach das Kollegialprinzip nicht verletzt ist, wenn die Kommissionsmitglieder unter Bezugnahme auf die "fiche d'infraction" oder auf Elemente der Verwaltungsakte als Kollegium die Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme beschließen, ist der getroffene Beschluß im vorliegenden Fall gleichwohl fehlerhaft. Ich bleibe daher bei der von mir in meinen Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 vertretenen Auffassung, daß die Kommission gegenüber dem Gerichtshof nicht hinreichend nachgewiesen hat, daß das Kollegialprinzip eingehalten wurde, obwohl sie insoweit beweispflichtig war(14).

Die vorliegende Klage ist daher auch unter Zugrundelegung der Ausführungen der Kommission zum Inhalt des Kollegialprinzips als unzulässig abzuweisen.

ii) Allgemeines

12 Meine Untersuchung der hier entscheidenden Rechtsfrage muß über den Rahmen der vorliegenden Klage hinausgehen. Zu prüfen ist, ob es (unabhängig vom Verhalten der Bevollmächtigten der Kommission im vorliegenden Verfahren, was die rechtzeitige Vorlage der "fiche d'infraction" und der Verwaltungsakte betreffend die streitige mit Gründen versehene Stellungnahme) rechtlich vorstellbar ist, daß - wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen - der Beschluß über die Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme im Rahmen eines Verfahrens ergangen ist, in dem die Kommissionsmitglieder den Text der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht als Kollegium ausarbeiten und ihre Entscheidung auch nicht auf der Grundlage eines Entwurfs treffen, der ihnen zuvor von den zuständigen Dienststellen zugeleitet worden ist; mit anderen Worten, ob davon auszugehen ist, daß die Kommissionsmitglieder allein auf der Grundlage der "fiche d'infraction" und der Verwaltungsakte zu dem Vorgang eine aus einem Wort bestehende "Grundsatzentscheidung" (sic), betreffend die mit Gründen versehene Stellungnahme treffen und die Sorge um die Vorbereitung und Abfassung des Textes dieser Entscheidung den Verwaltungsdienststellen unter der Aufsicht des zuständigen Kommissionsmitglieds überlassen. Wie bereits ausgeführt, vertritt die Kommission die Auffassung, dieses von ihr ständig angewandte Verfahren sei mit dem Grundsatz ihres kollegialen Tätigwerdens vereinbar.

13 Meiner Ansicht nach ist der Standpunkt der Kommission zunächst einmal rechtlich zweifelhaft. Er findet weder im bestehenden primären und sekundären Gemeinschaftsrecht noch in den Erkenntnissen der Rechtsprechung des Gerichtshofes eine Grundlage. So haben weder der Gemeinschaftsgesetzgeber noch die Gemeinschaftsrechtsprechung den Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission absolut und einheitlich niedergelegt. Die Unterscheidung zwischen den getroffenen Beschlüssen danach, ob sie unmittelbare und verbindliche Rechtswirkungen entfalten oder nicht, als Kriterium dafür, wie der Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens in spezifische Verfahrensregeln umzusetzen ist, läuft dem, was bisher als gemeinschaftsrechtlich vertretbar angesehen wurde, zuwider. Bisher hat sich nämlich noch nicht die Auffassung durchgesetzt, daß dieser Grundsatz zweifache Gestalt hat, nämlich für den Erlaß von Entscheidungen mit unmittelbarer Rechtswirkung ein strenges, förmliches Verfahren vorsieht und für die übrigen Entscheidungen der Kommission ein weniger strenges Verfahren. Der Umstand, daß der Gerichtshof im PVC-Urteil über einen vollziehbaren Verwaltungsakt der Kommission zu entscheiden hatte, bedeutet nicht, wie von der Kommission fälschlich angenommen, daß die vom Gemeinschaftsrichter in dieser Rechtssache aus dem Kollegialprinzip abgeleiteten wesentlichen Verfahrensvoraussetzungen lediglich das Zustandekommen von vollziehbaren Verwaltungsakten betreffen. Eine solche Auffassung ist meines Erachtens unzutreffend, wie ich noch im einzelnen zeigen werde.

14 Wenn man im übrigen den Standpunkt vertritt, ein Kollegialorgan, das eine "Grundsatzentscheidung" (sic) trifft, die sich nicht in einem konkreten Text niederschlägt, und dessen Ausarbeitung anderen Stellen überlässt, das allgemeine Kollegialprinzip beachtet, nach dem die Entscheidungsformel und die Gründe der Entscheidung gleichzeitig verabschiedet werden müssen, führt dies unweigerlich zu logischen Widersprüchen. Wie die Bevollmächtigten der Kommission in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung ausgeführt haben, überlässt das Kommissionskollegium, wenn es die "Grundsatzentscheidung" (sic) betreffend eine mit Gründen versehene Stellungnahme trifft, der Verwaltung lediglich die "Ausformulierung des Wortlauts", d. h. die Aufgabe, "den Text auszuarbeiten, letzte Hand an ihn zu legen und die letzten Einzelheiten zu kontrollieren"(15). Wenn die Verwaltungsdienststellen sich tatsächlich auf die genannten sekundären Tätigkeiten beschränkten, könnte sich das Problem eines Verstosses gegen das Kollegialprinzip nicht stellen. Wie soll es diesen Stellen jedoch möglich sein, sich auf eine solche sekundäre Funktion zu beschränken, wenn nicht einmal ein Text vorliegt, der diese "Grundsatzentscheidung" (sic) des Kommissionskollegiums enthält?

15 In Wirklichkeit ist das, was die Vertreter der Kommission "Grundsatzentscheidung" nennen, eine Entscheidung ohne Substanz, ohne Inhalt, d. h. eine "Phantom-Entscheidung". Das Kollegialprinzip enthält in Wirklichkeit, wie der Gemeinschaftsrichter zutreffend feststellt, die Verpflichtung des Gemeinschaftsorgans, das eine Entscheidung erlässt, selbst als Kollegium den Inhalt seiner Entscheidung festzustellen, was die wesentlichen und unverzichtbaren Punkte angeht, und den Verwaltungsdienststellen lediglich eine absolut sekundäre Rolle einzuräumen. Mit anderen Worten - wenn mir dieser Vergleich erlaubt ist: Das, was die Verwaltungsdienststellen der getroffenen Entscheidung hinzufügen, muß wenn nicht Null, so doch unbedeutend sein. Wenn jedoch der erwähnten und von der Kommission beschriebenen Praxis gefolgt wird, kann die Beteiligung der Verwaltungsdienststellen weder unbedeutend noch auch nur sekundär sein. Wie könnte im übrigen das Verhältnis zwischen dem von den Verwaltungsdienststellen ausgearbeiteten Text und der ursprünglichen, vom Kommissionskollegium erlassenen Entscheidung gerichtlich nachgeprüft werden, wenn diese ursprüngliche Entscheidung (oder "Grundsatzentscheidung", wenn Sie wollen) weder als solche noch in Form eines Entwurfs besteht?

16 Insbesondere was die Entscheidungen angeht, die mit Gründen versehen sein müssen, hat der Gerichtshof eine klare Auffassung vertreten, die keine weitere Auslegung zulässt: "Da der verfügende Teil und die Begründung einer Entscheidung somit ein unteilbares Ganzes darstellen, ist es nach dem Kollegialprinzip ausschließlich Sache des Kollegiums, beide zugleich anzunehmen"(16). Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß der Gerichtshof keine Unterscheidung zwischen mit Gründen zu versehenden Entscheidungen, die unmittelbare Rechtswirkungen entfalten, und mit Gründen zu versehenden Entscheidungen, die vorbereitenden Charakter haben, vornimmt. Diese Regel gilt für die mit Gründen versehene Stellungnahme, wie schon ihr Name selbst sagt. Wie soll es jedoch möglich sein, die Gründe der getroffenen Entscheidung in konkreter Form zu beschließen, wenn vor der Sitzung der Kommissionsmitglieder kein ihnen zur Billigung vorgelegter Entscheidungsentwurf vorliegt, der diese Bestandteile enthält, noch nach der Sitzung ein gebilligter Text mit den fraglichen Bestandteilen?

17 Genau hier liegt meiner Auffassung nach der Fehler der Kommission, wenn sie versucht, den semantischen Inhalt des Kollegialprinzips zu definieren. Die Pflicht der Kommission zum kollegialen Tätigwerden beschränkt sich nicht auf das Erfordernis, über die getroffenen Entscheidungen im Kollegium zu diskutieren, und auf die kollegiale Verantwortung der Kommissionsmitglieder, sondern sie umfasst auch die Pflicht, die Einhaltung des Kollegialprinzips zu bestätigen. Mit anderen Worten, die Kommission als Kollegialorgan ist an spezielle Verfahrensregeln gebunden, die sich aus dem Kollegialprinzip ergeben und die gewährleisten und bestätigen sollen, daß dieses Prinzip gewahrt worden ist. Diese Grundsätze fallen somit zusammen und gewährleisten die Transparenz und letztlich die "Moralia", da nach der von den Historikern überlieferten Maxime Cäsars Frau nicht nur ehrenhaft sein muß, sondern auch so erscheinen muß(17). Anderenfalls, d. h. wenn nicht nachgewiesen werden kann, daß eine bestimmte Entscheidung tatsächlich im Kollegium getroffen worden ist, ist dieser allgemeine Grundsatz lediglich toter Buchstabe ohne jegliche rechtliche Wirkung. Die einzig sichere Art, um nachzuweisen, daß dieser Grundsatz eingehalten worden ist, ist die Aufnahme des Inhalts der getroffenen Entscheidung in einem Text, der das Ergebnis der gemeinsamen Erörterung der Sache durch das Kommissionskollegium wiedergibt und den Umfang der kollegialen Verantwortung der daran beteiligten Kommissionsmitglieder festlegt(18). Darüber hinaus muß zwischen diesem Text und der entsprechenden Erörterung im Kollegium, in deren Rahmen er gebilligt oder ausgearbeitet wurde, ein Zusammenhang bestehen. Aus diesem Grund sieht die Geschäftsordnung der Kommission das Verfahren der verbindlichen Feststellung des Originals der getroffenen Entscheidung vor; dieses Verfahren ist am besten geeignet, um nachzuweisen, daß das Kollegialprinzip eingehalten worden ist.

18 Ferner ist hervorzuheben, welche Stellung dem Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission in der Gemeinschaftsrechtsordnung zukommt. Es kommt nicht von ungefähr, daß der Gerichtshof seine Erörterung im PVC-Urteil mit der Feststellung begonnen hat, daß "... die Tätigkeit der Kommission dem Kollegialprinzip [unterliegt]"(19). Dieser Grundsatz ist nicht nur für die Adressaten der getroffenen Entscheidung, auf deren Rechtsstellung diese sich unmittelbar auswirkt, von Bedeutung, sondern auch für die ordnungsgemässe Tätigkeit der Kommission als Gemeinschaftsorgan und damit für die ordnungsgemässe Anwendung des Gemeinschaftsrechts ganz allgemein. Aus diesem Grunde unterliegen entsprechende verfahrensrechtliche Fragen formeller Art und etwaige Mängel, die die Rechtmässigkeit der Tätigkeit der Kollegialorgane beeinträchtigen, in den meisten Rechtsordnungen einer gerichtlichen Kontrolle von Amts wegen. Die strikten rechtlichen Voraussetzungen, die sich aus dem fundamentalen Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission ergeben, betreffen somit nicht lediglich die Ausarbeitung der vollziehbaren Verwaltungsakte, zu deren Erlaß dieses Organ befugt ist, sondern sämtliche Entscheidungen, die den endgültigen politischen und rechtlichen Willen dieses Organs zum Ausdruck bringen. Meines Erachtens entstuende eine mit den allgemeinen Grundsätzen der Rechtstheorie und der Rechtslogik unvereinbare Situation, wenn das Kollegialprinzip umfassender in einem Fall angewandt würde, in dem die Kommission beschließt, einem Unternehmen eine Geldbusse nach Artikel 85 f. des Vertrages aufzuerlegen, als in einem Fall, in dem sie sich in wichtigen politischen und rechtlichen Fragen festlegt und z. B. einen Vorschlag für eine Verordnung oder eine Empfehlung annimmt. Es mag sein, daß die letztgenannten Entscheidungen die Rechtsunterworfenen nicht unmittelbar binden; sie binden jedoch die Kommission, so daß das Kollegialprinzip aus diesem Grunde eingehalten werden muß. Dieser Grundsatz steht im übrigen in unmittelbarem Zusammenhang nicht nur mit dem institutionellen Funktionieren des Vertrages, sondern auch mit der Rechtssicherheit; aus diesem Grund muß der Nachweis, daß er eingehalten worden ist, leicht und zuverlässig erbracht werden können. Aus diesem Grund muß das kollegiale Tätigwerden unabhängig von der Natur der getroffenen Entscheidung an genaue und absolut zwingende Verfahrensregeln gebunden sein. Die Kommission muß ihren Entscheidungen somit einen "strikten prozeduralen Anstrich" geben und nicht ein "Feigenblatt", wie dies offensichtlich ihre Vertreter in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung getan haben.

19 Ich bin ferner der Auffassung, daß der vorstehend geschilderte Standpunkt der Kommission nicht nur mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Kollegialprinzip unvereinbar ist, sondern auch mit der Gemeinschaftsrechtsprechung betreffend die Übertragung von Befugnissen. Mit ihren Ausführungen zur Unterscheidung zwischen Rechtsakten mit unmittelbaren Rechtsfolgen, bei denen ein striktes Verfahren einzuhalten sei, und Entscheidungen vorbereitender Art, bei denen der Erlaß einer "Grundsatzentscheidung" (sic) durch das Kollegialorgan dem Kollegialprinzip Genüge tü, versucht die Kommission in Wirklichkeit, ein indirektes Verfahren der Übertragung von Befugnissen einzuführen. Es sei daran erinnert, daß das kollegiale Tätigwerden der Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes(20) die Regel ist, während die Erteilung einer Ermächtigung zum Erlaß von Entscheidungen zwar möglich ist, jedoch Ausnahmecharakter hat(21). Ein Verstoß gegen das Kollegialprinzip kann nur dann vermieden werden, wenn dem Ermächtigten keine autonome Befugnis übertragen wird und wenn die Ermächtigung per definitionem für "Grundsatzentscheidungen" ausgeschlossen ist. In jedem Fall gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit und der Transparenz der Verwaltungsakte die Veröffentlichung der Ermächtigungsentscheidungen.

20 Das von der Kommission als ständige Praxis beim Erlaß einer mit Gründen versehenen Stellungnahme bezeichnete Verfahren enthält noch weniger Garantien hinsichtlich der Rechtssicherheit als das Ausnahmeverfahren der Ermächtigung. Insbesondere müsste die Kommission, wenn der Erlaß einer mit Gründen versehenen Stellungnahme im Wege der Ermächtigung erfolgen könnte(22), zumindest kollegial eine Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung treffen, in der die Grenzen für das Tätigwerden des ermächtigten Organs festgelegt und Leitlinien hierfür vorgegeben werden und die veröffentlicht werden müsste. Im Rahmen der vorstehend geschilderten Praxis dagegen, die von der Kommission ständig für den Erlaß von mit Gründen versehenen Stellungnahmen angewandt wird, stellen ihre Bevollmächtigten dagegen, auch wenn sie das Kollegialprinzip verteidigen, in Wirklichkeit dessen Anwendung in Frage; sie ersetzen die Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung, die unter Einhaltung bestimmter prozeduraler und formeller Voraussetzungen kollegial getroffen werden müsste, durch eine obskure "Grundsatzentscheidung" (sic), die nicht veröffentlicht ist und weder Substanz noch Inhalt hat, auf deren Grundlage die Handlungen der Verwaltungsdienststellen, die zu ihrer Konkretisierung berufen sind, kontrolliert werden könnten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Praxis, auf die sich die Vertreter der Kommission berufen, d. h. die Ausarbeitung einer "Grundsatzentscheidung" (sic) durch die Kommission als Kollegium noch bedenklicher als das Ermächtigungsverfahren.

21 Im Ergebnis bin ich der Auffassung, daß der Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission als eines der Fundamente des Gemeinschaftssystems untrennbar mit dem Grundsatz der Verkörperung des wirklichen Willens des Kommissionskollegiums in einem Text verbunden ist, der die wesentlichen Punkte, die Gründe und den verfügenden Teil der getroffenen Entscheidung enthält; ferner muß der Zusammenhang zwischen diesem Text und den entsprechenden Sitzungen des Kollegialorgans erkennbar sein, in denen die Entscheidung getroffen worden ist. Diese für jede Rechtsordnung selbstverständliche Regel ist in Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission enthalten, wie er im Zeitpunkt der Entscheidung über die streitige mit Gründen versehene Stellungnahme galt. Meiner Auffassung nach hätte die Kommission diese spezielle prozedurale Formvorschrift der Geschäftsordnung einhalten müssen, bevor sie die vorliegende Klage erhob, und der Gerichtshof hat die Kommission in seinem Zwischenbeschluß zu Recht zur Vorlage der erforderlichen Unterlagen aufgefordert, aus denen sich ergibt, daß die fragliche Bestimmung eingehalten worden ist. Aber auch wenn man davon ausginge, daß die in der Geschäftsordnung der Kommission vorgesehene Ausfertigung nicht für den Erlaß der mit Gründen versehenen Stellungnahme gilt(23), erlegen der Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens und der akzessorische Verkörperungsgrundsatz der Kommission entsprechende Verpflichtungen auf. Jedenfalls ist es beim Erlaß einer mit Gründen versehenen Stellungnahme unerläßlich, daß der Entwurf dem Kommissionskollegium zuvor zwecks Billigung mitgeteilt worden ist oder daß zumindest nach Abschluß der Arbeiten des Kollegiums ein gebilligter Text vorliegt, der die vorgenannten unverzichtbaren Bestandteile der mit Gründen versehenen Stellungnahme enthält; überdies muß dieser Text im Protokoll der entsprechenden Sitzung enthalten sein oder mit diesem in einem leicht nachzuvollziehenden Zusammenhang stehen.

22 Zu den praktischen Schwierigkeiten, die dieses Verfahren für den normalen Arbeitsablauf der Kommission mit sich führen könnte, wie ihre Vertreter vorgetragen haben, verweise ich auf einen späteren Abschnitt dieser Schlussanträge(24). Allerdings ist auf die besondere Bedeutung hinzuweisen, die der Einhaltung der genannten prozeduralen Förmlichkeiten (und damit des Kollegialprinzips) zukommt, insbesondere für den Erlaß und die Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Artikels 169 des Vertrages.

B - Zur Natur der mit Gründen versehenen Stellungnahme

23 In meinen bereits erwähnten Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 hatte ich die Natur der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Artikels 169 des Vertrages daraufhin untersucht, ob sie eine "Maßnahme der Geschäftsführung oder Verwaltung" oder eine "Grundsatzentscheidung" ist, um festzustellen, ob sie im Wege der Ermächtigung getroffen werden kann(25). Die Kommission stellt zwar nicht mehr in Abrede, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht Gegenstand einer Ermächtigung sein kann, trägt jedoch vor, das Kollegialprinzip gebiete - insbesondere im Zusammenhang mit dem Erlaß einer mit Gründen versehenen Stellungnahme - nicht die Einhaltung der strengen prozeduralen Formvorschriften, wie sie für den Erlaß von Handlungen mit verbindlicher Rechtswirkung gelten. Ich muß daher auf die Frage der Rechtsnatur der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch einmal zurückkommen.

24 Auf den ersten Blick ist die mit Gründen versehene Stellungnahme, wie schon die Auswahl dieses Begriffes durch den Gemeinschaftsgesetzgeber erkennen lässt, gar kein "Rechtsakt". Im übrigen sind nach Artikel 189 Absatz 4 des Vertrages "die Empfehlungen und Stellungnahmen ... nicht verbindlich"; wenn also angenommen würde, daß die "mit Gründen versehene Stellungnahme" des Artikels 169 eine "Stellungnahme" im Sinne des Artikels 189 ist, ließe sich somit argumentieren, daß ein Text ohne verbindliche Wirkung begrifflich nicht zu denjenigen gehören kann, die zu den Zuständigkeiten der Kommission gehören, im Zusammenhang mit denen das Kollegialprinzip ganz streng eingehalten werden muß.

25 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß der Gemeinschaftsrichter sich mit diesem grammatikalischen Kriterium nicht begnügt und es auch nicht als ausschlaggebend ansieht. Erkenntnisfördernder ist auf diesem Gebiet die Rechtsprechung, die sich im Zusammenhang mit der Festlegung derjenigen Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane entwickelt hat, gegen die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 gegeben ist; der Gerichtshof prüft nicht so sehr die äussere Form des jeweils zu prüfenden Rechtsakts, sondern besteht darauf, den Inhalt und die Rechtswirkungen des Rechtsakts zu bewerten(26).

26 Was das letztgenannte Kriterium angeht, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme des Artikels 169 des Vertrages nach den Erkenntnissen der Rechtsprechung keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt, so daß sie nicht mit dem Rechtsmittel der Klage nach Artikel 173 des Vertrages angefochten werden kann(27). Dies bedeutet jedoch weder, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme keine Rechtswirkungen entfaltet, noch daß diese keine oder lediglich zweitrangige Bedeutung hätten.

27 Aufschlüsse in dieser Frage bringt das Urteil Essevi und Salengo(28). In diesem Urteil wurde festgestellt, "daß den von der Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag abgegebenen Stellungnahmen eine rechtliche Wirkung nur im Hinblick auf die Anrufung des Gerichtshofes im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren zukommt; durch Äusserungen im Rahmen dieses Verfahrens kann die Kommission einen Mitgliedstaat nicht von seinen Verpflichtungen entbinden oder die den einzelnen aus dem Vertrag zustehenden Rechte beschränken"(29). Zugleich wurde die mit Gründen versehene Stellungnahme als "Vorverfahren" bezeichnet, das für den Fall, daß der betroffene Mitgliedstaat der Stellungnahme nicht nachkommt, "der Bestimmung des Streitgegenstands [dient]"(30). Jedoch vermied der Gerichtshof es, die mit Gründen versehene Stellungnahme ausdrücklich als nicht verbindliche interne Maßnahme zu bezeichnen oder die Auffassung zu vertreten, daß diese Handlung zur Kategorie der "Stellungnahmen" und "Empfehlungen" im Sinne von Artikel 189 des Vertrages gehört, obwohl die Parteien diesbezuegliche Ausführungen gemacht hatten(31). Meiner Ansicht nach ist es richtiger, die mit Gründen versehene Stellungnahme nach Artikel 169 des Vertrages nicht mit den nicht verbindlichen Stellungnahmen und Empfehlungen nach Artikel 189 des Vertrages gleichzustellen, sondern sie als Handlung sui generis mit eigener Stellung und Funktion in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu betrachten(32).

28 In jedem Fall bedeutet der Umstand, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt, nicht, daß sie automatisch in die zweite Kategorie gehört und damit auf die Formstrenge, die Handlungen der Kommission auszeichnen muß, verzichtet werden kann. Entgegen dem Vortrag der Kommission ist der Umstand, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme keine unmittelbaren Rechtswirkungen für ihre Adressaten entfaltet, kein ausreichender Grund, eine das Kollegialprinzip in den fraglichen Fällen für die Kommission weniger strikt anzuwenden, d. h. ohne die diesem allgemeinen Grundsatz untrennbar verbundenen Regeln einzuhalten.

29 Von Bedeutung ist, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme im Falle der Erhebung einer Klage nach Artikel 169 beim Gerichtshof zumindest im Hinblick auf bestimmte Fragen die abschließende Beurteilung der Kommission enthält und endgültige Rechtsfolgen im Rahmen dieses Verfahrens herbeiführt. Insbesondere werden durch die mit Gründen versehene Stellungnahme die Punkte festgelegt, hinsichtlich deren die Pflichtverletzung des betreffenden Mitgliedstaats vorliegt, sowie die jeweiligen Gründe, auf die die Kommission ihre Rügen stützt; damit wird der Gegenstand des vor den Gerichtshof gebrachten Rechtsstreits festgelegt. Die Kommission kann diesen Gegenstand nicht ändern; sie kann lediglich entweder die Klageerhebung beim Gerichtshof unterlassen oder das eingelegte Rechtsmittel zurücknehmen.

30 Die rechtliche Bedeutung der mit Gründen versehenen Stellungnahme ergibt sich nicht so sehr aus den unmittelbaren Folgen, die ihre Zustellung zum Nachteil ihres Adressaten bewirkt(33), sondern aus den Rechtswirkungen, die sie im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 169 entfaltet, indem sie die Kommission im Hinblick auf den Inhalt und den Umfang der Rügen bindet, die diese vor Gericht erheben kann, und damit den Umfang der gerichtlichen Kontrolle einschränkt(34). Zusätzlich ist die besondere Bedeutung und Stellung hervorzuheben, die dem Verfahren des Artikels 169 innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung sowohl aus rechtlicher als auch aus politischer Sicht zukommt. Es würde der Systematik des Vertrages zuwiderlaufen, wenn man die Rolle, die die Kommission in diesem Verfahren spielt, unterschätzen würde, indem man die mit Gründen versehene Stellungnahme als akzessorische Maßnahme einstufen würde.

31 Meiner Meinung nach wird die söben vertretene Auffassung durch die Rechtsprechung betreffend die Rechtswirkungen der mit Gründen versehenen Stellungnahme bestätigt. Wie bereits ausgeführt, legt diese den Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Gerichtshof in der Weise fest, daß sowohl die Klage als auch die mit Gründen versehene Stellungnahme auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein müssen(35); die Erhebung neuer Rügen durch die Kommission oder auch nur die Erweiterung ihres Vorbringens durch die Berufung auf neue Elemente im Rahmen derselben Rügen ist unzulässig(36). Entsprechend sind die Befugnisse des Gerichtshofes im Zusammenhang mit der Entscheidung über eine Klage nach Artikel 169 eindeutig festgelegt; sie sind auf die Kontrolle der Rechtmässigkeit der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme enthaltenen und in der Klageschrift wiederholten Angaben beschränkt(37). Von Bedeutung für das Verständnis der Funktion der mit Gründen versehenen Stellungnahme im Verfahren des Artikels 169 ist die Rechtsprechung, nach der auch dann, wenn der Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme nach Ablauf der in dieser gesetzten Frist Folge leistet, die Vertragsverletzung bereits eingetreten ist und der Gegenstand des eröffneten Verfahrens unverändert bleibt(38). Bezeichnend ist schließlich die vom Gerichtshof vorgenommene Gegenüberstellung der schriftlichen Aufforderung zur Äusserung und der mit Gründen versehenen Stellungnahme. Während erstere nicht als strikte Förmlichkeit behandelt wird, muß letztere in formeller und prozessualer Hinsicht korrekt sein, da sie "das Vorverfahren nach Artikel 169 ab[schließt]"(39). Auch aus diesem Grund übt der Gerichtshof über die mit Gründen versehene Stellungnahme eine strengere Kontrolle aus als über die schriftliche Aufforderung zur Äusserung(40).

32 Aus alledem folgt, daß die Formulierung der mit Gründen versehenen Stellungnahme, was die politische Bedeutung und die Rechtswirkungen angeht, der wichtigste Beitrag der Kommission im Verfahren des Artikels 169 ist. Ein Text, der endgültiger rechtlicher Ausdruck des politischen Willens der Kommission in einem Verfahren ist, das einen vorrangigen Platz im institutionellen System des Vertrages einnimmt und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rolle der Kommission als "Hüterin der Verträge"(41) steht, kann nicht zu einem Rechtsakt zweiter Klasse herabgestuft werden. Wie bereits ausgeführt(42) betreffen die strengen Formvoraussetzungen, die sich aus dem fundamentalen Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission ergeben, nicht nur die Ausarbeitung der vollziehbaren Verwaltungsakte, zu deren Erlaß dieses Organ befugt ist, sondern sämtliche Entscheidungen, die den endgültigen politischen und rechtlichen Willen dieses Organs ausdrücken.

33 Insbesondere was die mit Gründen versehene Stellungnahme angeht, bedarf es einer angemessenen Prüfung, welche Bedeutung die für einen Mitgliedstaat mit der vollständigen Durchführung des in den Artikeln 169 ff. des Vertrages vorgesehenen Verfahrens verbundenen Folgen haben können. Wenn die mit Gründen versehene Stellungnahme sich auf eine bereits gerichtlich festgestellte Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats bezieht, und diesem vorwirft, dem Urteil des Gerichtshofes, durch das er im Rahmen einer Klage nach Artikel 169 verurteilt wurde, nicht Folge geleistet zu haben, kann dieser Staat sich im Falle einer etwaigen neuen Verurteilung nach Artikel 171 des Vertrages(43) einer Klage auf Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds ausgesetzt sehen. Mit anderen Worten riskiert ein Mitgliedstaat, an den eine mit Gründen versehene Stellungnahme gerichtet wird, nicht lediglich eine vage und folgenlose Verurteilung, sondern die mit Gründen versehene Stellungnahme kann für ihn erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Selbst wenn die mit Gründen versehene Stellungnahme im übrigen keine rechtlich verbindliche Feststellung der von einem Mitgliedstaat begangenen Vertragsverletzung darstellt, kann sie die von dem angenommenen rechtswidrigen Verhalten dieses Mitgliedstaats betroffenen Rechtssubjekte dazu veranlassen, entsprechend der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofes ein auf den Ersatz des durch dieses Verhalten verursachten Schadens gerichtetes Verfahren einzuleiten(44).

34 Dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall von besonderem Interesse. Ich erinnere daran, daß die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vorwirft, die Richtlinien 68/151 und 78/660 des Rates betreffend die Sanktionen, die die Mitgliedstaaten den Kapitalgesellschaften aufzuerlegen haben, die ihre Jahresabschlüsse nicht ordnungsgemäß veröffentlichen, nicht ordnungsgemäß umgesetzt zu haben. Zu dieser Frage hat der Gerichtshof mit dem jüngst ergangenen Urteil Daihatsu Deutschland(45) festgestellt, daß nicht ausgeschlossen ist, daß die nicht ordnungsgemässe Umsetzung der genannten Vorschriften für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung begründeten, den Schaden zu ersetzen, der dem einzelnen durch diese Vertragsverletzung entsteht(46). Dementsprechend ist die Übermittlung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme insoweit, als sie förmlich die Auffassung der Kommission als "Hüterin der Verträge" zum Ausdruck bringt, daß ein Mitgliedstaat gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen hat, geeignet, den einzelnen dazu zu veranlassen, vor Gericht Schadensersatz für diese Rechtsverletzung zu verlangen, auch wenn die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht auf Verurteilung des Mitgliedstaats durch den Gerichtshof im Rahmen einer Klage nach Artikel 169 des Vertrages gerichtet ist.

35 Die mit Gründen versehene Stellungnahme hat, kurz gesagt, eine Auswirkung auf die rechtliche Situation ihres Adressaten und kann für ihn erhebliche finanzielle Folgen haben. Auch wenn die mit Gründen versehene Stellungnahme also keine unmittelbaren nachteiligen Rechtsfolgen für ihren Adressaten hat wie etwa eine nach Artikel 85 oder 86 des Vertrages verhängte Geldbusse, beeinträchtigt sie doch die Interessen des Mitgliedstaats, und zwar mit vielleicht grösseren Folgen, als sie Rechtsakte der Kommission, mit denen der Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln oder die Rechtswidrigkeit einer staatlichen Beihilfe festgestellt wird, für ihre Adressaten haben.

36 Zusammenfassend lässt sich sagen, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme - selbst wenn man unterstellt, daß dem Kollegialprinzip, wie von der Kommission vorgetragen, auf zweifache Weise, einmal strenger, einmal elastischer, Genüge getan werden kann - zur Gruppe der Entscheidungen der Kommission gehört, für die die Schlußfolgerungen, zu denen der Gerichtshof im PVC-Urteil gelangt ist, volle Gültigkeit haben.

C - Mit der strikten Einhaltung des Kollegialprinzips verbundene Schwierigkeiten

37 Die Bevollmächtigten der Kommission haben an vielen Stellen ihres Vortrags auf die mit der Durchführung der Verfahren wegen Verstössen der Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht verbundene Arbeitsbelastung hingewiesen. In den letzten Jahren seien ständig ungefähr 5 000 derartige Verfahren anhängig gewesen, allein 1996 seien mehr als 1 000 schriftliche Aufforderungen zur Äusserung an die Mitgliedstaaten gerichtet worden und 93 Rechtssachen seien beim Gerichtshof anhängig. Die Anwendung der PVC-Rechtsprechung auf das Verfahren des Erlasses mit Gründen versehener Stellungnahmen würde Verzögerungen nach sich ziehen, da sie die Vorlage des Entwurfs dieser Entscheidung in den drei Arbeitssprachen des Kommissionskollegiums und sodann ihre Übertragung in die elf Sprachen der Union erfordern würde.

38 Ich könnte davon absehen, mich mit der Frage der mit der Zahl der Vertragsverletzungen verbundenen Arbeitsbelastung zu befassen. Nach einem Hinweis darauf, daß die offizielle Zahl der erlassenen mit Gründen versehenen Stellungnahmen nicht so hoch ist wie von den Bevollmächtigten der Kommission angegeben(47), möchte ich lediglich eine Selbstverständlichkeit äussern, nämlich daß, wenn die bis heute übliche Praxis der Kommission in bezug auf den Erlaß mit Gründen versehener Stellungnahmen rechtswidrig ist, auch die Häufigkeit der Verstösse und die mit der Wahrung der Rechtmässigkeit verbundenen Probleme nicht zur Rechtmässigkeit dieses Vorgehens führen können. Im übrigen sind die angeblich mit der Übersetzung der Texte in die verschiedenen Sprachen verbundenen Verzögerungen in Wirklichkeit ein falsches Problem.

39 Hierzu einige Erläuterungen: Die Bevollmächtigten der Kommission haben versucht, dem Gerichtshof zu zeigen, daß die Kommissionsmitglieder beim Erlaß einer von ihnen sogenannten "Grundsatzentscheidung" (sic) betreffend eine mit Gründen versehene Stellungnahme in völliger Kenntnis der Gegebenheiten der Sache handeln, da ihnen die "fiche d'infraction" und gegebenenfalls die vollständige Verfahrensakte vorliege. Nach der Geschäftsordnung der Kommission müssten diese Unterlagen den Kommissionsmitgliedern jedoch in den drei Arbeitssprachen des Kollegiums, d. h. auf Französisch, Englisch und Deutsch, vorgelegt werden. Selbst wenn man also davon ausginge, daß der Wortlaut der erlassenen mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht vorliegen muß, sondern daß es genügt, wenn den Kommissionsmitgliedern die "fiche d'infraction" vorliegt, müsste diese jedenfalls in die drei Arbeitssprachen der Kommission übersetzt werden, was mehr Zeit und Mühe erforderlich macht. Was die Bevollmächtigten der Kommission jedoch in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen haben, ist, daß die "fiche d'infraction" auch nicht in drei Sprachen, sondern nur in einer, nämlich Englisch oder Französisch, vorgelegt wird. Selbst bei dieser Annahme kann man also nicht annehmen, daß die Kommissionsmitglieder volle Kenntnis von der "Grundsatzentscheidung" (sic) haben, die sie erlassen!

40 Mit anderen Worten, auch auf der Grundlage der von den Bevollmächtigten der Kommission beschriebenen Praxis kann die Vorbereitungsarbeit, die in der Übersetzung der "fiche d'infraction" besteht und die eine Voraussetzung für die Einhaltung des Kollegialprinzips ist, nicht vermieden werden. Ich sehe daher nicht, inwieweit das, was als bisherige ständige Praxis bezeichnet wird, weniger Schwierigkeiten aufweisen soll als die ordnungsgemässe und sichere Einhaltung der prozeduralen Förmlichkeiten.

41 In Wirklichkeit verlangen das Kollegialprinzip und das damit verbundene Prinzip der Aufnahme der Entscheidungen der Kommission in einem Dokument lediglich, daß der Inhalt der mit Gründen versehenen Stellungnahme, der in der "fiche d'infraction" in der Anlage bereits enthalten ist, in einen Entwurf der mit Gründen versehenen Stellungnahme übertragen wird, bevor das Kommissionskollegium seine Entscheidung erlässt. Die zuständigen Dienststellen der Kommission müssen lediglich die Arbeit, die sie ohnehin tun müssen, nämlich die Abfassung des Textes der mit Gründen versehenen Stellungnahme, früher erledigen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ich glaube daher nicht, daß eine Arbeit, die ohnehin getan werden muß, den Arbeitsablauf der Kommission lahmlegen kann, wenn sie im Interesse der Rechtmässigkeit zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommen wird. Was die Übersetzungen angeht, weise ich lediglich darauf hin, daß sie statt aus der Übersetzung der "fiche d'infraction" in die Arbeitssprachen der Kommission (wie dies ohnehin geschehen müsste) aus der Übersetzung des Entwurfs der mit Gründen versehenen Stellungnahme bestehen werden, wie dies aus Gründen der Rechtssicherheit vorzuziehen ist, wobei diese in diese Sprachen und ausserdem - worüber gewiß kein Streit besteht - in die Sprache des von der mit Gründen versehenen Stellungnahme betroffenen Mitgliedstaats zu übersetzen ist.

42 Kurz gesagt, der Grundsatz des kollegialen Tätigwerdens der Kommission verlangt, richtig angewandt, lediglich, daß der Entwurf der mit Gründen versehenen Stellungnahme so vorbereitet wird, daß er die wesentlichen Gründe und den verfügenden Teil enthält, bevor die Kommissionsmitglieder zu der Sitzung zusammentreffen, auf der sie hierüber entscheiden, so daß der fragliche Text am Ende dieser Sitzung verabschiedet wird und dies in den Sitzungsprotokollen vermerkt werden kann. Dieser Text, der in drei oder vier Sprachen vorliegen wird, kann natürlich später - unter der Verantwortung des zuständigen Kommissionsmitglieds - von den zuständigen Dienststellen der Kommission umformuliert und vervollkommnet werden, sofern an seinem wesentlichen Inhalt nichts geändert wird(48).

D - Antrag auf zeitliche Beschränkung der Wirkungen des vorliegenden Urteils

43 Die Kommission beantragt schließlich, der Gerichtshof möge für den Fall, daß dieser der von ihr vorgetragenen Auffassung nicht folgen und die Klage wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften beim Erlaß der mit Gründen versehenen Stellungnahme als unzulässig zurückweisen sollte, die Wirkungen seines Urteils in der Weise beschränken, daß sie nur ex nunc und nur in Fällen anhängiger Verfahren eintreten, in denen im Rahmen des Vorverfahrens die Rechtmässigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme aus denselben Gründen in Frage gestellt wurde(49).

44 Ich verstehe die Besorgnis der Kommission, glaube aber nicht, daß die von ihr heraufbeschworene Gefahr tatsächlich besteht oder daß es jedenfalls erforderlich wäre, ihr durch eine Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils zu begegnen. Wie der Bevollmächtigte Deutschlands in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist es verfahrensrechtlich nicht möglich, die Wirkungen von Urteilen, die der Gerichtshof im Zusammenhang mit Klagen betreffend eine nicht ordnungsmässig erlassene mit Gründen versehene Stellungnahme bereits erlassen hat, in Frage zu stellen. Dasselbe gilt für beim Gerichtshof anhängige Klagen, für die das mündliche Verfahren bereits abgeschlossen ist. Nach der meines Erachtens zutreffendsten Auslegung der Verfahrensregeln ist in diesen Fällen weder eine Wiedereröffnung des Verfahrens noch ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig. Insoweit verweise ich auf die eingehende Untersuchung, die ich im Rahmen der "Polypropylen"-Sachen vorgenommen habe(50).

45 Ich halte es daher - ohne es als fehlerhaft ansehen zu wollen - nicht für zwingend, die Wirkungen des vorliegenden Urteils in der Weise zeitlich zu beschränken, daß sie nur ex nunc eintreten.

IV - Vorschlag

46 Aufgrund dessen schlage ich dem Gerichtshof vor,

1. die Klage als unzulässig abzuweisen,

2. der Kommission sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

(1) - Siehe unten, Nr. 10 meiner Schlussanträge.

(2) - Urteil vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Randnr. 62).

(3) - Da die Tätigkeit der Kommission grundsätzlich dem Kollegialprinzip unterliegt, vermeidet der Gerichtshof es, dessen Geltungsbereich genau festzulegen. Aus diesem Grunde stellt der Gerichtshof auch bei seiner Bezugnahme auf das Kollegialprinzip fest, dieses gelte "insbesondere" für vollziehbare Verwaltungsakte der Kommission wie diejenigen, mit denen aufgrund der Verordnung Nr. 17 eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber diesen Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können (Randnr. 65). Daher ist vielleicht der Hinweis angebracht, daß in Fällen, in denen die Tätigkeit der Kommission sich nicht in der Form des Erlasses von vollziehbaren Verwaltungsakten abspielt, die Beachtung des Kollegialprinzips nicht erforderlich ist.

(4) - Urteil Kommission/BASF u. a. (zitiert in Fußnote 2, Randnr. 62).

(5) - Urteil Kommission/BASF u. a. (zitiert in Fußnote 2, Randnr. 64).

(6) - A. a. O., Randnr. 67.

(7) - A. a. O., Randnr. 75.

(8) - Tatsächlich führt der Gerichtshof aus, die Beachtung des Kollegialprinzips sei für die von den Rechtswirkungen von Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig von Interesse, und gestattet denjenigen, die ein rechtliches Interesse haben, sich auf den Verstoß gegen die wesentliche Formvorschrift, wie sie die Ausfertigung der Rechtsakte der Kommission nach Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung darstellt, zu berufen, um zu verhindern, daß die von der Kommission rechtswidrig getroffene Entscheidung Rechtsfolgen entfaltet (Urteil Kommission/BASF u. a., zitiert in Fußnote 2, Randnr. 75).

(9) - Der vom Vertreter der Kommission in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung verwendete Begriff lautet auf Französisch "décision de base". Es sei darauf hingewiesen, daß dieser Begriff in keiner einschlägigen Gemeinschaftsvorschrift oder der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit dem Inhalt und der Bedeutung verwendet wird, die ihm hier die Vertreter der Kommission beilegen. Wenn der Gemeinschaftsrichter diesen Begriff verwendet, bezieht er sich auf eine völlig ordnungsmässige, unter Einhaltung der im Vertrag und den einschlägigen Geschäftsordnungen vorgesehenen Formerfordernisse getroffene Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans, die den rechtlichen Rahmen einer zu regelnden Frage festlegt und auf die andere, speziellere oder spätere Gemeinschaftshandlungen gestützt werden (vgl. z. B. Nr. 2 der Schlussanträge des Generalanwalts F. Jacobs in der Rechtssache C-177/96, Banque Indosüz u. a., Slg. 1997, I-5659, und Randnr. 62 des Beschlusses des Gerichts vom 9. August 1995 in der Rechtssache T-585/93, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2205). Die unübliche Verwendung dieses Begriffes durch die Vertreter der Kommission darf daher nicht zu falschen Schlußfolgerungen führen.

(10) - Nach den eigenen Worten der Vertreter der Kommission in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung "[trifft] das Kollegium auf der Grundlage vorbereitender Akte ... [der] Dienststellen [der Kommission] nur die Grundsatzentscheidungen ... und [überlässt] die Ausführung oder Ausfertigung den Dienststellen und der Verantwortlichkeit des zuständigen Kommissionsmitglieds".

(11) - In Randnummer 63 des in Fußnote 2 zitierten Urteils heisst es, daß das "Kollegialprinzip auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Teilnahme an der Entscheidungsfindung beruht und voraussetzt, daß die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und daß alle Mitglieder des Kollegiums für sämtliche erlassenen Entscheidungen politisch gemeinsam verantwortlich sind".

(12) - Genauer gesagt nimmt die Kommission auf den Erlaß der von ihr sogenannten "Grundsatzentscheidung" (sic) betreffend die fragliche mit Gründen versehene Stellungnahme Bezug.

(13) - Siehe Nr. 4 meiner Schlussanträge vom 5. Juni 1997.

(14) - Im vorliegenden Fall tritt eine Umkehr der Regel ein, daß jede Partei für die von ihr aufgestellten Tatsachenbehauptungen beweispflichtig ist. Nach der Rechtsprechung tritt eine Umkehr der Beweislast ein, wenn die Beweismittel sich im alleinigen Besitz der Gegenpartei befinden (vgl. Urteil vom 1. Dezember 1965 in der Rechtssache 45/64, Kommission/Italien, Slg. 1965, 1126) oder wenn letztere den Zugang zu diesen Beweismitteln durch ihr eigenes Verhalten unmöglich gemacht hat (Urteil vom 28. April 1966 in der Rechtssache 49/65, Ferriere e Acciaierie Napoletane/Hohe Behörde der EGKS, Slg. 1966, 105). Aus diesen Gründen trägt die Kommission die Beweislast dafür, daß sie das Kollegialprinzip und die damit verbundenen Formerfordernisse eingehalten hat.

(15) - Dies sind die Worte des Bevollmächtigten der Kommission in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung.

(16) - Urteil Kommission/BASF u. a. (zitiert in Fußnote 2, Randnr. 67).

(17) - Diese Maxime wird Cäsar selbst zugeschrieben, der hiermit seine Entscheidung rechtfertigte, seine Frau Pompeia zu verstossen, obwohl er sie in seiner Aussage vor Gericht in dem Verfahren gegen den als ihren Liebhaber beschuldigten Claudius nicht des Ehebruchs bezichtigt hatte. Diese Begebenheit wird u. a. in "Moralia" des Plutarch wiedergegeben. "Ðïìðçßáí äaa ôçí ãõíáßêá êáêþò áêïýóáóáí aaðß Êëùäßù ðáñáéôçóÜìaaíïò, aaßôá ôïõ Êëùäßïõ öaaýãïíôïò aaðß ôïýôù äßêçí ìÜñôõò aaéóá÷èaaßò ïõäÝí aaßðaa öáýëïí ðaañß ôçò ãõíáéêüò· aañïìÝíïõ äaa ôïõ êáôçãüñïõ $äéÜ ôß ôïßíõí aaîÝâáëaaò áõôÞí`, $üôé ôçí Êáßóáñïò` Ýöç $ãõíáßêá êáé äéáâïëÞò Ýäaaé êáèáñÜí aaßíáé`." (ÐëïõôÜñ÷ïõ ÇèéêÜ, ÂáóéëÝùí áðïöèÝãìáôá êáé óôñáôçãþí, 59, 206á). "Ayant répudié sa femme Pompéia, taxée d'inconduite pour relations avec Clodius, et ce dernier étant ensuite poursuivi à ce sujet, il fut cité comme témoin, mais ne fit aucune déclaration défavorable sur le compte de sa femme; l'accusateur lui posant la question $Alors pourquoi l'as-tu chaßée?`, $Parce que la femme de César, répondit-il, devait être à l'abri même de la calomnie`." (Plutarque, Öuvres Morales, Tome III, Trad. F. Fuhrmann, Éd. "Les Belles Lettres", Paris, 1988.) (Plutarch, Moralia, Äusserungen von Königen und Feldherren, 59, 206a) ["Nachdem er seine Frau Pompeia wegen ihrer Beziehungen zu Claudius als lasterhaft verstossen hatte, und letzterer deswegen angeklagt wurde, wurde er als Zeuge gehört, äusserte sich aber nicht nachteilig über seine Frau; auf die Frage des Anklägers $Warum hast du sie dann davongejagt?` antwortete er: $Weil Cäsars Frau auch nicht Gegenstand von Verleumdungen sein darf`.].

(18) - Mangels eines Textes ist es im Falle der Überprüfung unmöglich, den tatsächlichen Willen des Kollegialorgans festzustellen. Wie es das bekannte lateinische Sprichwort sagt: "Verba volant scripta manent".

(19) - Urteil Kommission/BASF u. a. (zitiert in Fußnote 2, Randnr. 62; Hervorhebungen durch mich).

(20) - Siehe insbesondere Urteil vom 23. September 1986 in der Rechtssache 5/85 (AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585).

(21) - Siehe auch Urteil vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82 (VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19).

(22) - Was meines Erachtens rechtlich nicht möglich ist, wie ich in meinen zitierten Schlussanträgen vom 5. Juni 1997 ausführlich dargelegt habe.

(23) - Diese Auslegung lässt sich womöglich im Rahmen der Geschäftsordnung in ihrer heutigen Fassung vertreten.

(24) - Siehe Nrn. 37 ff.

(25) - Siehe Nrn. 17 bis 26 meiner Schlussanträge vom 5. Juni 1997.

(26) - Mit dieser Begründung sind oft Klagen gegen "interne Richtlinien" oder "Mitteilungen" zugelassen worden, vgl. z. B. die Urteile vom 9. Oktober 1990 in der Rechtssache C-366/88 (Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-3571), vom 13. November 1991 in der Rechtssache C-303/90 (Frankreich/Kommission, Slg. 1991, I-5315), vom 16. Juni 1993 in der Rechtssache C-325/91 (Frankreich/Kommission, Slg. 1993, I-3283) und die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 16. Januar 1997 in der Rechtssache C-57/95 (Frankreich/Kommission, Slg. 1997, I-1627, Nrn. 8 bis 11).

(27) - Urteil vom 27. Mai 1981 in den verbundenen Rechtssachen 142/80 und 143/80 (Essevi und Salengo, Slg. 1981, 1413). Aus demselben Grunde ist im übrigen die Klage gegen eine Weigerung der Kommission, das Verfahren des Artikels 169 gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, unzulässig (Urteil vom 1. März 1966 in der Rechtssache 48/65, Lütticke u. a./Kommission, Slg. 1966, 27); siehe auch zuletzt den Beschluß vom 12. November 1996 in der Rechtssache T-47/96 (SDDDA, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht): Die Kommission kann nicht verpflichtet werden, eine nicht vollziehbare Handlung vorzunehmen.

(28) - Urteil Essevi und Salengo, zitiert in Fußnote 26.

(29) - A. a. O., Randnr. 18.

(30) - A. a. O., Randnr. 15.

(31) - A. a. O., S. 1420.

(32) - Mit dieser Charakterisierung der mit Gründen versehenen Stellungnahme als Handlung sui generis scheinen auch die Parteien bei ihren Ausführungen in der neuen mündlichen Verhandlung einverstanden gewesen zu sein.

(33) - Wie bereits ausgeführt, ergibt sich die Pflichtverletzung eines Mitgliedstaats nicht allein aus der Übermittlung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme dieses Inhalts durch die Kommission. Diese ist jedoch nicht ohne Folgen, da der Mitgliedstaat sie in der Praxis nicht ignorieren kann (siehe unten Nrn. 33 ff.). Aus diesem Grunde ist der Gerichtshof im übrigen besonders anspruchsvoll, wenn sich die Frage der Wahrung der Verteidigungsrechte des Staates gegenüber den Rügen stellt, die die Kommission ihm gegenüber in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhoben hat.

(34) - Siehe dazu sogleich Nr. 31.

(35) - Siehe z. B. Urteile vom 7. Februar 1987 in der Rechtssache 166/82 (Kommission/Italien, Slg. 1984, 459, Randnr. 16), vom 1. Dezember 1993 in der Rechtssache C-234/91 (Kommission/Dänemark, Slg. 1993, I-6273, Randnr. 16) und vom 12. Januar 1994 in der Rechtssache C-296/92 (Kommission/Italien, Slg. 1994, I-1, Randnr. 11).

(36) - Urteil Kommission/Italien (zitiert in Fußnote 35).

(37) - So kann der Gemeinschaftsrichter nicht die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist ersetzen (vgl. Urteile vom 10. November 1981 in den Rechtssachen 28/81 und 29/81, Kommission/Italien, Slg. 1981, 2577 bzw. 2585).

(38) - Urteile vom 7. Februar 1973 in der Rechtssache 39/72 (Kommission/Italien, Slg. 1973, 101), vom 5. Juni 1986 in der Rechtssache 103/84 (Kommission/Italien, Slg. 1986, 1759), vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 283/86 (Kommission/Belgien, Slg. 1988, 3271) und vom 12. Dezember 1990 in der Rechtssache C-263/88 (Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-4611).

(39) - Urteil vom 31. Januar 1984 in der Rechtssache 74/82 (Kommission/Irland, Slg. 1984, 317, Randnr. 13).

(40) - Siehe z. B. das Urteil vom 28. März 1985 in der Rechtssache 274/83 (Kommission/Italien, Slg. 1985, 1077, Randnrn. 20 f.): "Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 11. Juli 1984 in der Rechtssache 51/83 (Kommission/Italien, Slg. 1984, 2793) festgestellt hat, ist die Gelegenheit zur Äusserung für den betroffenen Mitgliedstaat

selbst wenn er glaubt, von ihr keinen Gebrauch machen zu sollen

eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie und die Beachtung dieser Garantie eine Voraussetzung für die Ordnungsgemäßheit des Vertragsverletzungsverfahrens. Daraus folgt zwar, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme im Sinne von Artikel 169 EWG-Vertrag eine detaillierte und zusammenhängende Darlegung der Gründe enthalten muß, aus denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt ist, daß der betreffende Mitgliedstaat gegen eine ihm nach dem EWG-Vertrag obliegende Verpflichtung verstossen hat. Der Gerichtshof kann jedoch an die Genauigkeit des Mahnschreibens, das zwangsläufig nur in einer ersten knappen Zusammenfassung der Beanstandungen bestehen kann, keine so strengen Anforderungen stellen." Siehe auch Urteil vom 17. September 1996 in der Rechtssache C-289/94 (Kommission/Italien, Slg. 1996, I-4405).

(41) - Nach Artikel 155 des Vertrages hat die Kommission "für die Anwendung dieses Vertrages sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrages getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen".

(42) - Siehe oben Nr. 18.

(43) - Artikel 228 der konsolidierten Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, die auf der Konferenz von Amsterdam verabschiedet wurde, aber noch nicht ratifiziert ist.

(44) - Die Mitgliedstaaten sind nach Gemeinschaftsrecht verpflichtet, die dem einzelnen durch die nicht oder fehlerhaft erfolgte Umsetzung einer Richtlinie entstandenen Schäden zu ersetzen. Siehe Urteile vom 5. März 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 51) und vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93 (British Telecomunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 39).

(45) - Urteil vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Slg. 1997, I-6843).

(46) - Urteil Daihatsu Deutschland (zitiert in Fußnote 45, Randnr. 25).

(47) - Die Kommission hat 1991 411, 1992 248, 1993 352, 1994 546 und 1995 192 mit Gründen versehene Stellungnahmen erlassen und übersandt. Diese statistischen Angaben stammen von den Dienststellen der Kommission und sind im "Dreizehnten Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (1995)", KOM(96) 600 endg. vom 29. Mai 1996, enthalten.

(48) - Insoweit hätte ich keine Einwände, wenn der Gerichtshof den mit der endgültigen Formulierung der mit Gründen versehenen Stellungnahme betrauten Dienststellen der Kommission einen grösseren Spielraum überließe als im Fall individueller Verwaltungsakte, die unmittelbare Rechtswirkungen erzeugen. An letzteren dürfen dem Gerichtshof zufolge nur grammatikalische und orthographische Änderungen vorgenommen werden (siehe das "Legehennen-Urteil" des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 131/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 905). In jedem Fall werden umso weniger Einwände möglich sein, je näher der Text der dem Mitgliedstaat übersandten mit Gründen versehenen Stellungnahme dem vom Kommissionskollegium verabschiedeten Text ist.

(49) - Insoweit erinnern mich die Bevollmächtigten der Kommission an den König in dem Märchen von Hans Christian Andersen, der sich seinen Untertanen nackt gezeigt hatte, da er von Geschäftemachern getäuscht worden war, die ihm vorgemacht hatten, er habe seine schönsten Kleider an. So begehren die Bevollmächtigten der Kommission wie ein nackter König vom Gerichtshof, so wenig förmlich wie möglich zu reagieren, wenn er die Unregelmässigkeit entdeckt.

(50) - Siehe meine Schlussanträge vom 15. Juli 1997, insbesondere in der Rechtssache C-199/92 P (Hüls/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nrn. 70 ff.).