61995C0024

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 12. November 1996. - Land Rheinland-Pfalz gegen Alcan Deutschland GmbH. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland. - Staatliche Beihilfe - Rückforderung - Anwendung des nationalen Rechts - Grenzen. - Rechtssache C-24/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-01591


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das Bundesverwaltungsgericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung bestimmter Vorschriften des nationalen Verwaltungsrechts entgegensteht, aus denen sich die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme ergeben würde, mit der die Gewährung einer Beihilfe zurückgenommen und ihre Erstattung verlangt wird.

Sachverhalt und Fragen des nationalen Gerichts

2 Der einschlägige Sachverhalt und die streitigen Fragen sind im Vorlagebeschluß mit nachahmenswerter Klarheit dargestellt. Die Alcan Deutschland GmbH (im folgenden: Alcan) ist das deutsche Tochterunternehmen einer kanadischen Gesellschaft. Von 1979 an betrieb sie eine Aluminiumhütte in Ludwigshafen. Im Jahr 1982 beschloß die Gesellschaft nach erheblichen Strompreiserhöhungen, die Hütte zu schließen, aber die Schließung wurde später verschoben, als das Land Rheinland-Pfalz der Alcan mit Zustimmung der Bundesregierung eine Überbrückungshilfe von bis zu 8 Millionen DM anbot. Die Hütte wurde schließlich im Jahr 1987 geschlossen.

3 Nachdem die Kommission durch Presseberichte von der geplanten Beihilfe erfahren hatte, übersandte sie der Bundesregierung am 8. März 1983 ein Fernschreiben, in dem sie um vorherige Unterrichtung über die Beihilfe gemäß Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages bat und hinzufügte, daß die Beihilfe nicht ausgezahlt werden dürfe, bevor sich die Kommission hierzu abschließend geäussert habe. Das Fernschreiben wurde mit Schreiben vom 14. März 1983 an das Land Rheinland-Pfalz weitergeleitet. Dennoch bewilligte das Land Rheinland-Pfalz der Alcan mit Bescheid vom 9. Juni 1983 die Hälfte der geplanten Beihilfe, nämlich 4 Millionen DM.

4 Die Bundesregierung unterrichtete die Kommission durch eine Mitteilung vom 25. Juli 1983 über die Beihilfe. Nachdem die Kommission von der Bundesregierung weitere Einzelheiten über die Beihilfe erfahren hatte, begann sie am 11. Oktober 1983 ihre Vorprüfung, wobei sie sich eine Frist von einem Monat setzte. Mit Fernschreiben vom 24. November 1983 teilte die Bundesregierung der Kommission mit, daß die Beihilfe ausgezahlt werde, weil die Frist von einem Monat nunmehr abgelaufen sei. In einem Schreiben an die Bundesregierung vom 25. November 1983 führte die Kommission aus, daß die Gewährung der bereits gezahlten Beihilfe unzulässig gewesen sei und daß die restliche Beihilfe nicht gewährt werden dürfe, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen habe. Das Land Rheinland-Pfalz wurde am 28. November 1983 hierüber informiert. Trotzdem bewilligte es der Alcan mit Bescheid vom 30. November 1983 die restliche Beihilfe in Höhe von 4 Millionen DM.

5 In einer an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Entscheidung vom 14. Dezember 1985(1) stellte die Kommission fest, daß die der Alcan gewährte Beihilfe unzulässig sei, daß ihre Gewährung einen Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages darstelle und daß die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne des Artikels 92 des Vertrages unvereinbar sei; demgemäß ordnete sie die Rückforderung der Beihilfe an.

6 Mit Schreiben vom 12. Februar und 21. April 1986 teilte die Bundesregierung der Kommission mit, daß die Rückforderung der Beihilfe wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ausgeschlossen sei. Mit Schreiben vom 27. Juni 1986 antwortete das zuständige Kommissionsmitglied, daß es nicht in der Lage sei, eine Änderung der Kommissionsentscheidung vorzuschlagen, weil die Bundesregierung keine geeigneten Lösungsmöglichkeiten, wie etwa eine zeitlich gestaffelte Rückzahlung der Beihilfe oder deren Umwandlung in einen Kredit zu Marktbedingungen, vorgeschlagen habe.

7 Am 30. März 1987 erhob die Kommission in dieser Angelegenheit Klage beim Gerichtshof. Dieser stellte durch Urteil vom 2. Februar 1989 (Alcan I)(2) fest, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag verstossen hat, indem sie der Entscheidung der Kommission nicht nachgekommen ist.

8 Daraufhin nahm das Land Rheinland-Pfalz durch Bescheid vom 26. September 1989 die Bescheide über die Gewährung der Beihilfe zurück und verlangte die Rückzahlung des Betrages von 8 Millionen DM. Hiergegen erhob die Alcan Klage beim Verwaltungsgericht, das den Bescheid des Landes über die Rücknahme der Beihilfegewährung mit der Begründung aufhob, daß er gegen § 48 Absatz 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes verstosse(3). Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme von Verwaltungsakten nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, die eine solche Rücknahme rechtfertigen.

9 Nach erfolgloser Berufung beim Oberwaltungsgericht legte das Land Rheinland-Pfalz beim vorlegenden Gericht, dem Bundesverwaltungsgericht, Revision ein. Dieses Gericht bestätigte die Feststellung der Vorinstanzen, daß ein Verstoß gegen § 48 Absatz 4 vorliege; die Einjahresfrist sei nämlich spätestens im Juli 1986, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem das Land Rheinland-Pfalz über das Schreiben des zuständigen Kommissionsmitglieds vom 27. Juni 1986 unterrichtet worden sei, in Lauf gesetzt worden. Es vertritt weiter die Auffassung, daß die Rücknahmeentscheidung nach deutschem Recht aus zwei weiteren Gründen rechtswidrig sein könne. Erstens erscheine es wahrscheinlich, daß die Ermessensausübung des Landes bei seiner Entscheidung, die Beihilfemaßnahmen gemäß § 48 Absatz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen, gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen habe, weil in erster Linie das Land für die Rechtswidrigkeit der Beihilfeentscheidungen verantwortlich gewesen sei. In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverwaltungsgericht auf das Vorbringen der Alcan, daß sich das Land bereits im März 1983 der rechtlichen Bedenklichkeit der Beihilfe voll bewusst gewesen sei und die Alcan nicht eingeweiht habe, um sie nicht von der Fortführung des Betriebes der Hütte abzuhalten; das Land bestreite nicht, daß es die Alcan nicht über das Fernschreiben vom 8. März 1983 informiert habe, in dem die Kommission gefordert habe, die Beihilfe nicht auszuzahlen. Zweitens vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, daß sich die Alcan auf § 818 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches berufen könne, der gemäß § 48 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes anwendbar sei und die Rückforderung ausschließe, wenn die sich aus einem rechtswidrigen Verwaltungsakt ergebende Bereicherung weggefallen sei. Die Alcan trägt vor, daß dies hier der Fall sei, weil sie die in Rede stehende Hütte später nach weiteren Verlusten geschlossen habe. Es scheint jedoch, daß diese Einwendung nach § 48 Absatz 2 Satz 7 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht geltend gemacht werden kann, wenn die Alcan die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die die Rechtswidrigkeit der Beihilfeentscheidung begründeten.

10 Das Bundesverwaltungsgericht wirft die Frage auf, ob das Gemeinschaftsrecht dennoch die Rückforderung der Beihilfe vorschreibt, und ersucht den Gerichtshof deshalb um Entscheidung über folgende Fragen:

1. Ist die zuständige Behörde aufgrund des Gebots, das nationale Recht so anzuwenden, "daß die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird", verpflichtet, gemäß einer bestandskräftigen Rückforderungsentscheidung der EG-Kommission den betreffenden Bewilligungsbescheid selbst dann noch zurückzunehmen, wenn sie die nach nationalem Recht im Interesse der Rechtssicherheit dafür bestehende Ausschlußfrist hat verstreichen lassen?

2. Wenn die Frage zu 1 positiv zu beantworten sein sollte:

Ist die zuständige Behörde aufgrund des vorgenannten Gebots verpflichtet, gemäß einer bestandskräftigen Rückforderungsentscheidung der EG-Kommission den betreffenden Bewilligungsbescheid selbst dann zurückzunehmen, wenn die zuständige Behörde für dessen Rechtswidrigkeit in einem solchen Masse verantwortlich ist, daß die Rücknahme dem Begünstigten gegenüber als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheint?

3. Wenn die Fragen zu 1 und zu 2 positiv zu beantworten sein sollten:

Ist die zuständige Behörde aufgrund des vorgenannten Gebots verpflichtet, gemäß einer bestandskräftigen Rückforderungsentscheidung der EG-Kommission die Rückzahlung der gewährten Beihilfe selbst dann noch zu verlangen, wenn dies nach nationalem Recht wegen Wegfalls der Bereicherung mangels Bösgläubigkeit des Beihilfeempfängers ausgeschlossen ist?

11 Nur die Alcan schlägt eine negative Antwort auf die Fragen vor. Das Land Rheinland-Pfalz, die französische, die deutsche und die österreichische Regierung sowie die Kommission schlagen dem Gerichtshof vor, alle drei Fragen zu bejahen.

Einschlägige Vorschriften und Rechtsprechung der Gemeinschaft

12 Es erscheint mir zweckmässig, einige der in diesem Bereich geltenden Grundprinzipien darzulegen, bevor ich mich diesen Fragen zuwende. Nach Artikel 93 Absatz 3 Satz 1 des Vertrages ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, daß sie sich dazu äussern kann. Ist sie nach ihrer Vorprüfung der Auffassung, daß das Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, so muß sie gemäß Artikel 93 Absatz 3 Satz 2 unverzueglich das konsultative Prüfungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 2 einleiten. Nach Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 dürfen Beihilfemaßnahmen nicht durchgeführt werden, bevor das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 abgeschlossen ist. Maßnahmen, durch die unter Verstoß gegen das in dieser Vorschrift niedergelegte Verbot eine Beihilfe gewährt wird, sind rechtswidrig; auch hat die abschließende Entscheidung der Kommission über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nicht die Heilung solcher Maßnahmen zur Folge(4).

13 Der Gerichtshof hat entschieden, daß die Rückforderung der Beihilfe die logische Folge ihrer Rechtswidrigkeit ist(5). Ziel der Rückforderung ist die Wiederherstellung der früheren Lage; durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Empfänger den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besaß, und die vor der Zahlung der Beihilfe bestehende Lage gilt als wiederhergestellt(6). Folglich wird die Kommission, wenn sie nach Abschluß des konsultativen Prüfungsverfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 zu der Auffassung gelangt, daß die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei, dem betreffenden Mitgliedstaat normalerweise die Rückforderung der Beihilfe aufgeben. Ein Mitgliedstaat ist verpflichtet, einer solchen Entscheidung nachzukommen, sofern dies für ihn nicht absolut unmöglich ist. Finanzielle Schwierigkeiten des Beihilfeempfängers stellen keine absolute Unmöglichkeit dar; erforderlichenfalls muß ein Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Aktionär oder Gläubiger ein Liquidationsverfahren gegen den Beihilfeempfänger einleiten, um die Rückzahlung sicherzustellen(7).

14 Obwohl die Kommission bis zum Erlaß ihrer abschließenden Entscheidung durch eine Zwischenentscheidung die Einstellung der Beihilfezahlung anordnen (und erforderlichenfalls die Angelegenheit als Eilsache ohne Durchführung des vorprozessualen Verfahrens vor den Gerichtshof bringen) kann, ist sie nicht befugt, die Rückzahlung der Beihilfe allein deshalb anzuordnen, weil das Verfahren nach Artikel 93 Absätze 2 und 3 des Vertrages nicht eingehalten wurde; vor der Anordnung der Rückforderung muß sie die Feststellung treffen, daß die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist(8). Doch steht einem Konkurrenten des Beihilfeempfängers die Möglichkeit offen, bei den nationalen Gerichten Klage auf Rückforderung der Beihilfe zu erheben, da Maßnahmen, durch die unter Verstoß gegen das Verbot des Artikels 93 Absatz 3 eine Beihilfe gewährt wird, rechtswidrig sind. Aufgabe der nationalen Gerichte ist es, die Rechte des einzelnen bis zur abschließenden Entscheidung der Kommission zu gewährleisten. Ein nationales Gericht ist nicht befugt, eine Feststellung hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu treffen; diese Befugnis ist der Kommission vorbehalten. Stellt ein nationales Gericht jedoch fest, daß ein Mitgliedstaat eine Beihilfe unter Verstoß gegen das Verbot des Artikels 93 Absatz 3 des Vertrages gewährt hat, so ist es grundsätzlich verpflichtet, ihre Rückforderung anzuordnen(9).

15 Die Rückforderung einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe findet, ob sie nun auf Veranlassung der Kommission oder eines Konkurrenten erfolgt, nach Maßgabe des einschlägigen nationalen Verfahrensrechts statt; jedoch darf dessen Anwendung die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich machen(10). Diese Betrachtungsweise steht im Einklang mit dem in einer langen Reihe von Rechtssachen(11) aufgestellten allgemeinen Grundsatz, daß es mangels einer Gemeinschaftsregelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Verfahrensmodalitäten für die Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sind, daß sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren.

16 In der Rechtssache Deutsche Milchkontor(12) hat der Gerichtshof anerkannt, daß die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, wie sie in § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Ausdruck gefunden haben, Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft sind und deshalb nicht als dieser Rechtsordnung widersprechend angesehen werden können. Demgemäß entschied er, daß "das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die für den Ausschluß einer Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Beihilfen auf Kriterien wie den Vertrauensschutz, den Wegfall der ungerechtfertigten Bereicherung, den Ablauf einer Frist oder den Umstand abstellen, daß die Verwaltung wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, daß sie die fraglichen Beihilfen zu Unrecht gewährte, jedoch unter dem Vorbehalt, daß dabei die gleichen Voraussetzungen gelten wie für die Wiedereinziehung rein nationaler Geldleistungen und daß das Interesse der Gemeinschaft voll berücksichtigt wird"(13).

17 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es in der Rechtssache Deutsche Milchkontor nicht um staatliche Beihilfen, sondern um Beträge ging, die zu Unrecht aufgrund der Gemeinschaftsvorschriften über Beihilfen für die Verarbeitung von Magermilchpulver gezahlt worden waren. Anzeichen für eine strengere Haltung bezueglich der Rückforderung rechtswidriger staatlicher Beihilfen zeigte der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Alcan I, in dem er betonte, daß "die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften so anzuwenden sind, ... daß bei der Anwendung einer Vorschrift, die wie die von der Bundesregierung angeführte die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts von der Abwägung der verschiedenen streitigen Interessen abhängig macht, das Interesse der Gemeinschaft in vollem Umfang berücksichtigt wird"(14). Bei der fraglichen Vorschrift handelte es sich um § 48 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, nach dessen Satz 1 ein Verwaltungsakt, durch den ein finanzieller Vorteil gewährt wird, nicht zurückgenommen werden kann, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung der Beihilfe schutzwürdig ist. Es ist bemerkenswert, daß das Bundesverwaltungsgericht in seinem Vorlagebeschluß in dieser Rechtssache zu dem Schluß gelangt, daß sich die Alcan nicht auf den in dieser Vorschrift niedergelegten Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen könne, weil das Gemeinschaftsinteresse Vorrang vor einem etwaigen Vertrauen der Alcan habe; es hat dem Gerichtshof deshalb keine Frage zu diesem Punkt vorgelegt.

18 In der Rechtssache BUG-Alutechnik(15) entschied der Gerichtshof, daß die in der Rechtssache Deutsche Milchkontor aufgestellten Grundsätze auch für die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten staatlichen Beihilfen gelten, fügte aber folgende Einschränkung hinzu:

"Da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Artikel 93 EWG-Vertrag zwingend vorgeschrieben ist, darf ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe jedoch grundsätzlich nur dann vertrauen, wenn diese unter Beachtung des dort vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde. Einem sorgfältigen Gewerbetreibenden ist es regelmässig möglich, sich zu vergewissern, ob dieses Verfahren beachtet wurde.

Zudem hat die Kommission durch Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die potentiellen Empfänger einer staatlichen Beihilfe davon unterrichtet, daß sie bei Beihilfen, die ihnen mißbräuchlich gewährt worden seien, insofern mit Schwierigkeiten zu rechnen hätten, als sie diese gegebenenfalls zurückzahlen müssten (ABl. 1983, C 318, S. 3).

Sicherlich ist nicht auszuschließen, daß der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe sich ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe geschützt ist, so daß er sie nicht zurückzuerstatten braucht. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, so es befasst wird, alle Umstände zu würdigen und dem Gerichtshof gegebenenfalls Auslegungsfragen vorzulegen."(16)

19 Der Gerichtshof führte weiter aus, daß "eine Bestimmung, die die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur binnen einer bestimmten Frist zulässt, wie alles andere nationale Recht dergestalt angewandt werden [muß], daß die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird"(17).

Beurteilung der streitigen Fragen

20 Die Alcan hat in diesem Verfahren geltend gemacht, daß sich der Gerichtshof in den Rechtssachen Alcan I und BUG-Alutechnik mit den Verpflichtungen des vertragsbrüchigen Mitgliedstaats befasst habe; dagegen enthielten die Urteile keine Ausführungen zu den Rechten des Beihilfeempfängers. Ich teile diese Auffassung nicht. In der Rechtssache BUG-Alutechnik hat der Gerichtshof klargestellt, daß sich der Beihilfeempfänger in Rückforderungsverfahren vor den nationalen Gerichten nur dann auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen konnte, wenn er von der Ordnungsmässigkeit der Beihilfe hatte ausgehen dürfen; im Grundsatz war ein solches Vorbringen nur möglich, wenn das im Vertrag vorgesehene Verfahren eingehalten worden war. Zwar schien der Gerichtshof mit seiner Feststellung, daß sich ein Mitgliedstaat nicht unter Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen kann, "Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet", zwischen dem vertragsbrüchigen Mitgliedstaat und dem Beihilfeempfänger zu unterscheiden; der Gerichtshof wies darauf hin, daß, wenn ein Mitgliedstaat so handeln könnte, "die Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag insoweit wirkungslos [wären], als die nationalen Behörden sich auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten, um Entscheidungen der Kommission nach diesen Bestimmungen ihrer Wirkung zu berauben"(18). Doch kann aus dem Urteil nicht geschlossen werden, daß es trotz der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen keine Einschränkungen bei der Anwendung von nationalen Vorschriften gibt, die die Rückforderung ausschließen. Es wäre sinnlos, den Mitgliedstaaten eine strenge Verpflichtung zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen aufzuerlegen und zugleich hinsichtlich der Anwendung solcher Vorschriften eine großzuegige Haltung einzunehmen. Die Verpflichtung eines Mitgliedstaats zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen und die Rechte des Empfängers sind offensichtlich zwei Seiten derselben Medaille.

21 Bevor ich auf die spezifischen Probleme eingehe, die durch die Fragen des nationalen Gerichts aufgeworfen werden, möchte ich zwei Vorbemerkungen machen, zu denen der Vorlagebeschluß Anlaß gibt. Erstens scheint das Bundesverwaltungsgericht anzunehmen, daß die Rechtmässigkeit der Beihilfemaßnahmen zum Zeitpunkt ihres Erlasses nur fraglich gewesen sei; ihre Rechtswidrigkeit habe sich erst dann klar herausgestellt, als die Kommission ihre abschließende Entscheidung erlassen habe oder als das Land Kenntnis von dem Schreiben vom 27. Juni 1986 erhalten habe, in dem es das zuständige Kommissionsmitglied abgelehnt habe, Änderungen dieser Entscheidung vorzuschlagen. Diese Beurteilung beruht jedoch auf einem falschen Verständnis der Gemeinschaftsvorschriften. Zwar war es bis zum Erlaß der abschließenden Kommissionsentscheidung ungewiß, ob die Kommission die Beihilfe als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ansehen würde und ob sie in diesem Fall ausnahmsweise davon absehen würde, ihre Rückforderung anzuordnen. Doch liegt es auf der Hand, daß die Beihilfe unter Verstoß gegen das Verbot des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 des Vertrages ausgezahlt wurde. Wie oben dargelegt (Nrn. 3 und 4), erfolgte die erste Zahlung, bevor die Kommission über die Beihilfe unterrichtet wurde, und die zweite kurz nach dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission eine Zwischenentscheidung über die Aussetzung der Beihilfezahlung erlassen und das konsultative Prüfungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages eingeleitet hatte. Zwar hat die Kommission die Frist von einem Monat, die sie sich für den Abschluß der Vorprüfung gesetzt hatte, um zwei Wochen überschritten. Doch muß ein Mitgliedstaat, wenn die Kommission nach der Unterrichtung nicht Stellung nimmt, der Kommission die Durchführung eines Beihilfevorhabens im voraus anzeigen(19). Im vorliegenden Fall hat die Kommission sofort nach Eingang der Mitteilung der Bundesregierung, daß das Land Rheinland-Pfalz die Zahlung der Beihilfe beabsichtige, das konsultative Prüfungsverfahren eingeleitet und eine Zwischenentscheidung erlassen, mit der die Zahlung untersagt wurde. Obwohl das Land von der Bundesregierung über die Zwischenentscheidung der Kommission informiert wurde, hat es den Restbetrag der Beihilfe noch ausgezahlt. Somit waren die Maßnahmen zur Gewährung der Beihilfe eindeutig rechtswidrig; zudem wäre ihre Rechtswidrigkeit auch dann nicht geheilt worden, wenn die Kommission später die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hätte(20).

22 Zweitens hat das Bundesverwaltungsgericht, wie ich bereits dargelegt habe, keine Fragen zur etwaigen Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes gestellt. Aus dem Urteil in der Rechtssache BUG-Alutechnik geht eindeutig hervor, daß die Alcan grundsätzlich nicht auf die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe vertrauen durfte, da das im Vertrag vorgesehene Verfahren nicht beachtet wurde; von einem sorgfältigen Gewerbetreibenden kann erwartet werden, daß er prüft, ob das im Vertrag vorgesehene Verfahren eingehalten wurde. Ich werde später auf die Frage eingehen, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes dennoch Anwendung finden kann, da der Gerichtshof entschieden hat, daß es aussergewöhnliche Umstände geben kann, unter denen die Rückforderung der Beihilfe selbst dann ausgeschlossen ist, wenn sie unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 des Vertrages gewährt wurde.

23 Die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts betreffen im besonderen drei deutsche Regelungen: a) die Einjahresfrist für die Rücknahme von Verwaltungsakten, b) den Grundsatz von Treu und Glauben, den eine Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich der Rücknahme einer rechtswidrigen Entscheidung beachten muß, und c) die Regel, nach der die Rückforderung ausgeschlossen ist, wenn der Begünstigte nicht mehr bereichert ist. Die Alcan trägt vor, daß solche Regelungen, die in vielen Rechtssystemen zu finden seien, Belangen wie der Rechtssicherheit, der materiellen Gerechtigkeit und der Verhältnismässigkeit dienten.

24 An der Richtigkeit dieses Vorbringens besteht kein Zweifel. Tatsächlich hat der Gerichtshof, wie bereits ausgeführt, im allgemeinen die Schranken respektiert, die die Mitgliedstaaten der Einleitung von gerichtlichen Verfahren aus solchen Gründen gesetzt haben. Der Gerichtshof hat jedoch auch betont, daß nationale Vorschriften die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren dürfen. Wie ich im folgenden darlegen werde, ist es auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen erforderlich, die Anwendung von nationalen Vorschriften, die die Rückforderung von Beihilfen beschränken, mit besonderer Sorgfalt zu untersuchen.

Die Einjahresfrist nach § 48 Absatz 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes

25 Die Alcan trägt vor, daß für ihre Verpflichtung zur Rückzahlung der Beihilfe irgendeine Grenze bestehen müsse; selbst die Verfolgung von schweren Straftaten unterliege in vielen Rechtsordnungen Verjährungsfristen.

26 Ich bin jedoch der Auffassung, daß Fristen wie diejenige, die in § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes festgelegt ist, inhärente Probleme aufwerfen, wenn sie im Bereich staatlicher Beihilfen angewandt werden. Eine solche Vorschrift setzt offensichtlich voraus, daß die Interessen der Behörde und des einzelnen gegensätzlich sind. Hat die Behörde festgestellt, daß eine Entscheidung über die Gewährung einer finanziellen Vergünstigung rechtswidrig war, so hat sie normalerweise ein Interesse daran, die gezahlten Beträge so schnell wie möglich zurückzufordern, während es im Interesse des einzelnen liegt, die Vergünstigung zu behalten. Begeht eine staatliche Behörde durch die Gewährung einer Beihilfe bewusst einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, so ist diese Annahme nicht gültig. Die Interessen der Behörde und des einzelnen stimmen überein. Die Behörde, die die Rückforderung anstrebt, ist mit derjenigen identisch, die das Gemeinschaftsrecht bewusst verletzt hat. Sofern sie ihre Einstellung nicht abrupt geändert hat, liegt es in ihrem Interesse, dafür zu sorgen, daß der Empfänger die Vergünstigung im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht behält. Daher wird sie normalerweise kein Interesse an der Einhaltung der Frist für die Einleitung des Verfahrens haben.

27 Dies bedeutet jedoch nicht, daß für die Empfänger staatlicher Beihilfen keine Rechtssicherheit gegeben ist. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal von Verfahren auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen liegt darin, daß es nach dem Vertrag Aufgabe der Kommission ist, Beihilfen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu überprüfen und im Falle der Unvereinbarkeit ihre Rückforderung anzuordnen. Den nationalen Behörden kommt nur die Aufgabe zu, die Entscheidung der Kommission durchzuführen. Wie die Kommission ausführt, steht die Rechtslage ab dem Zeitpunkt fest, zu dem sie ihre abschließende Entscheidung erlässt, oder spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Entscheidung aufgrund des Ablaufs der in Artikel 173 des Vertrages festgelegten Frist für die Anfechtung der Entscheidung bestandskräftig wird.

28 Zwar kann es Umstände geben, unter denen die Rückforderung der unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 gezahlten Beihilfe ausgeschlossen ist, weil die Kommission ihre abschließende Entscheidung mit unangemessener Verzögerung erlassen hat. In der Rechtssache RSV/Kommission(21) hat der Gerichtshof entschieden, daß bei der in diesem Fall gegebenen Sachlage der Umstand, daß die Kommission ihre abschließende Entscheidung erst nach 26 Monaten erließ, bei dem Empfänger der nicht angemeldeten Beihilfe ein berechtigtes Vertrauen begründete, das es der Kommission verwehrte, den niederländischen Behörden die Rückforderung der Beihilfe aufzugeben.

29 Doch scheint der Gerichtshof in dieser Rechtssache durch eine Reihe aussergewöhnlicher Umstände beeinflusst worden zu sein. Die fragliche Beihilfe betraf einen Sektor, der seit mehreren Jahren von den niederländischen Behörden bezuschusst worden war, und sollte die Mehrkosten einer Maßnahme decken, für die die Kommission zuvor eine Beihilfe genehmigt hatte. Die Kommission hatte für die Verzögerung keine Entschuldigung, weil ihr die Situation bekannt war und weil die Gründe, die eine Überschreitung der durch die frühere Beihilfe gedeckten Kosten verursachten, keine eingehenden Nachforschungen erforderten.

30 In der vorliegenden Rechtssache scheinen keine Umstände dieser Art vorzuliegen. Es ist auch nicht vorgetragen worden, daß die abschließende Entscheidung der Kommission, die etwas mehr als zwei Jahre nach der Einleitung der Vorprüfung erlassen wurde, angesichts der Umstände dieses Falles mit unangemessener Verzögerung getroffen worden sei.

31 Aus den oben in Nummer 26 aufgeführten Gründen bin ich nicht der Auffassung, daß die Rückforderung deshalb durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit ausgeschlossen werden kann, weil die nationalen Behörden der abschließenden Entscheidung der Kommission mit Verzögerung nachkommen; andernfalls würden die Gemeinschaftsvorschriften ihrer Wirksamkeit beraubt.

32 Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, daß das Gemeinschaftsrecht unter Umständen, wie sie hier gegeben sind, der Anwendung der in § 48 Absatz 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für die Rücknahme von Verwaltungsakten festgelegten Einjahresfrist entgegensteht.

Der Grundsatz von Treu und Glauben

33 Auch für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben scheint in Fällen wie dem vorliegenden wenig Raum zu sein. Nach § 48 Absatz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes stand dem Land bei der Entscheidung über die Rücknahme der rechtswidrigen Beihilfeentscheidungen ein Ermessen zu. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zu dem Ergebnis, daß das Land bei der Ausübung dieses Ermessens gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen habe, da es die Entscheidung zurückgenommen habe, obwohl es den Empfänger der Beihilfe vorher nicht über ihre rechtliche Bedenklichkeit unterrichtet habe. Die Entscheidung über die Rückforderung von rechtswidrigen staatlichen Beihilfen steht jedoch, wie bereits ausgeführt, nach dem Vertrag der Kommission zu. Die nationalen Behörden sind verpflichtet, diese Entscheidung durchzuführen, und verfügen bei der Rücknahme von Beihilfeentscheidungen über kein Ermessen. Ordnet die Kommission in Ausübung ihres Ermessens die Rückforderung an, so kann der Beihilfeempfänger dagegen natürlich durch Klageerhebung beim Gericht erster Instanz innerhalb der im Vertrag vorgesehenen Frist vorgehen.

34 Selbst wenn man annehmen würde, daß das Land über ein solches Ermessen verfügte, könnte der Grundsatz von Treu und Glauben keine Anwendung finden. Das Land hat, wie bereits ausgeführt, gegen Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 verstossen, indem es die Beihilfe ohne Einhaltung des im Vertrag vorgesehenen Verfahrens gewährt hat. Die Entscheidungen über die Gewährung der Beihilfe waren deshalb nicht, wie das Bundesverwaltungsgericht meint, lediglich rechtlich bedenklich; sie waren von Anfang an offensichtlich rechtswidrig. Würde die Auffassung hingenommen, daß für die Rücknahme einer Entscheidung guter Glaube erforderlich ist, so könnte eine Behörde wohl kaum jemals eine Entscheidung zurücknehmen, deren Rechtswidrigkeit sie beim Erlaß tatsächlich oder vermutlich kannte. Zudem könnte eine Behörde selbst dann, wenn man von der Auffassung ausgehen würde, die das Bundesverwaltungsgericht zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im vorliegenden Fall vertreten hat, in einfacher Weise dafür sorgen, daß Beihilfeentscheidungen wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht in Frage gestellt werden können; es würde ausreichen, den Empfänger der Beihilfe über deren Rechtswidrigkeit im dunkeln zu lassen. In beiden Fällen würde die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen durch diesen Grundsatz unterlaufen.

Wegfall der Bereicherung

35 Abschließend befasse ich mich mit der in § 818 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches niedergelegten Regel, daß die Rückforderung nicht mehr möglich ist, wenn die Bereicherung weggefallen ist. Zur Feststellung eines etwaigen Wegfalls der Bereicherung ist zu prüfen, "ob das ... Gesamtvermögen des Schuldners unter Einbeziehung aller relevanten Faktoren doch noch einen Überschuß aufweist, der dem Wert des Erlangten ganz oder teilweise entspricht"(22).

36 Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz ist diese Vorschrift unter bestimmten Voraussetzungen in Verwaltungsverfahren anwendbar. Doch kann sich der Begünstigte nach § 48 Absatz 2 Satz 7 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht auf § 818 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die die Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Gewährung der Vergünstigung begründet haben. Wäre die Vorschrift im vorliegenden Fall anwendbar, so könnte das nationale Gericht daher zur Prüfung der Frage verpflichtet sein, ob eine grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, weil die Alcan nicht nachgeprüft hat, ob das Verfahren nach Artikel 93 Absätze 2 und 3 des Vertrages eingehalten worden war.

37 Ich habe jedoch grundlegendere Einwände gegen die Anwendung einer Vorschrift wie § 818 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches in Verfahren zur Rückforderung staatlicher Beihilfen. Meiner Auffassung nach stuende eine solche Vorschrift - selbst wenn sie einheitlich als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts angewandt würde - nicht im Einklang mit dem Ziel der Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen, eine Verfälschung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt zu verhindern. Es steht ausser Zweifel, daß die Gewährung einer Beihilfe an ein Unternehmen, das nur noch für einen begrenzten Zeitraum tätig ist, die Wettbewerbsbedingungen beeinflussen kann. Es würde dem Ziel der Gemeinschaftsvorschriften zuwiderlaufen, wenn eine Beihilfe, deren Rückzahlung kaum zu erwarten ist, unter solchen Umständen von nationalen Behörden gewährt werden könnte.

38 Vom Standpunkt des Beihilfeempfängers aus handelt es sich jedenfalls um eine gewisse Vereinfachung, wenn vorgetragen wird, daß die Vorteile der Beihilfe weggefallen seien, wenn der Empfänger nach seinen gegenwärtigen Bilanzwerten nicht mehr bereichert sei. Dies gilt selbst dann, wenn der Empfänger, wie dies hier der Fall sein soll, durch die Beihilfe veranlasst wurde, den Betrieb länger fortzuführen, als er geplant hatte, und wenn er dabei weitere Verluste erlitt. Das zeitweilige Fortbestehen des Betriebes kann dem Empfänger dennoch bedeutsame fortwirkende Vorteile hinsichtlich der Behauptung seiner Marktposition, seines Rufes, seines Goodwills und der Weiterbeschäftigung von Schlüsselpersonal bringen, wobei sich diese Vorteile aus der Wettbewerbsverfälschung ergeben, die durch die Beihilfe verursacht wurde.

39 Diese Auffassung steht im Einklang mit den Grundsätzen, die der Gerichtshof zur Rückforderung von Beihilfen aufgestellt hat. Es wird davon ausgegangen, daß die Rückforderung eines Betrages in Höhe der gewährten Beihilfe, gegebenenfalls zuzueglich Zinsen, den Wettbewerbsvorteil beseitigt, den der Empfänger der Beihilfe erlangt hat, und die frühere Lage wiederherstellt. Jede andere Regel wäre schwierig anzuwenden und würde, sofern sie zur Rückforderung eines geringeren Betrages führen sollte, die Erreichung der mit den Vertragsvorschriften verfolgten Ziele gefährden.

40 Ich bin deshalb der Auffassung, daß im Bereich der staatlichen Beihilfen besondere Kriterien gelten, die die Anwendung der Vorschriften über den Wegfall der Bereicherung ausschließen. Dies lässt sich auch anhand des Urteils verdeutlichen, das das Bundesverwaltungsgericht(23) im Anschluß an die Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Deutsche Milchkontor erlassen hat, in der der Gerichtshof festgestellt hatte, daß das Gemeinschaftsrecht der Anwendung der Vorschrift über den Wegfall der Bereicherung unter Umständen wie in dieser Rechtssache nicht entgegensteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens gelten lassen, daß sie nicht mehr um die Gemeinschaftsbeihilfe für Magermilchpulver bereichert sei, weil sie die Beihilfe in ihren Rechnungen an ihren Kunden weitergegeben habe. Meiner Auffassung nach ist der Gerichtshof in diesem Zusammenhang zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß über die Angelegenheit nach nationalem Recht zu entscheiden ist, da es kein überwiegendes Gemeinschaftsinteresse gab, das einen Eingriff in die Verfahrensautonomie des betreffenden Mitgliedstaats rechtfertigte. Würde sich dagegen eine ähnliche Situation in bezug auf staatliche Beihilfen ergeben, so würde es die Erreichung der mit den Vertragsvorschriften verfolgten Ziele gefährden, wenn dem Beihilfeempfänger gestattet würde, der Rückforderung entgegenzutreten, weil er die Beihilfe durch Senkung seiner Preise an seine Kunden weitergegeben habe. Unter solchen Umständen würde er einen bedeutsamen Wettbewerbsvorteil erlangen, ohne daß damit Sanktionen verbunden wären.

41 Ich komme deshalb zu dem Schluß, daß das Gemeinschaftsrecht unter Umständen wie den vorliegenden der Anwendung einer Vorschrift wie § 818 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches entgegensteht.

Ergebnis

42 Die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts sind daher meines Erachtens wie folgt zu beantworten:

Eine nationale Behörde ist nach dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet, gemäß einer bestandskräftigen Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe angeordnet wurde, ihre Entscheidung über die Gewährung der Beihilfe selbst dann zurückzunehmen, wenn eine solche Rücknahme nach den nationalen Rechtsvorschriften ausgeschlossen ist, weil die Behörde die im nationalen Recht vorgesehene Frist hat verstreichen lassen oder weil die Behörde für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung in einem solchen Masse verantwortlich war, daß die Rücknahme dem Begünstigten gegenüber als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheint, oder weil die Bereicherung nach dem nationalen Recht als weggefallen gilt.

(1) - ABl. 1986, L 72, S. 30.

(2) - Rechtssache 94/87 (Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 175).

(3) - Es ist darauf hinzuweisen, daß das Land Rheinland-Pfalz das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz auch in Angelegenheiten anwendet, die in die Zuständigkeit des Landes fallen (vgl. Ferdinand Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage, C.H. Beck, S. 17).

(4) - Urteil vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires u. a., Slg. 1991, I-5505, Randnr. 16).

(5) - Vgl. z. B. Urteil vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87 (Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 66).

(6) - Vgl. z. B. Urteil vom 4. April 1995 in der Rechtssache C-350/93 (Kommission/Italien, Slg. 1995, I-699).

(7) - Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 52/84 (Kommission/Belgien, Slg. 1986, 89, Randnr. 14).

(8) - Vgl. das sogenannte Boussac-Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87 (Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnrn. 19 bis 22). Vgl. jedoch meine Schlussanträge in der Rechtssache C-42/93 (Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4175, Nrn. 37 bis 39).

(9) - Vgl. aus letzter Zeit Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94 (SFEI u. a., Slg. 1996, I-0000, Randnr. 67).

(10) - Vgl. Urteil Belgien/Kommission (zitiert in Fußnote 5, Randnr. 61) und das sogenannte BUG-Alutechnik-Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 12).

(11) - Urteile vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76 (Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5) und in der Rechtssache 45/76 (Comet, Slg. 1976, 2043, Randnr. 13), Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82 (San Giorgio, Slg. 1983, 3595, Randnr. 12), Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90 (Emmott, Slg. 1991, I-4269, Randnr. 16), Urteil vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 43), Urteil vom 27. Oktober 1993 in der Rechtssache C-338/91 (Steenhorst-Neerings, Slg. 1993, I-5475, Randnr. 15), Urteil vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache C-410/92 (Johnson, Slg. 1994, I-5483, Randnr. 21), Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93 (Peterbröck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12), Urteil vom 14. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-430/93 und C-431/93 (Van Schijndel und Van Veen, Slg. 1995, I-4705, Randnr. 17).

(12) - Urteil vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2633, Randnr. 30).

(13) - Randnr. 33 des Urteils.

(14) - Randnr. 12 des Urteils.

(15) - Zitiert in Fußnote 10.

(16) - Randnrn. 14, 15 und 16 des Urteils.

(17) - Randnr. 19 des Urteils. Vgl. auch Nr. 32 der Schlussanträge von Generalanwalt Darmon.

(18) - Randnr. 17 des Urteils.

(19) - Urteil vom 11. Dezember 1973 in der Rechtssache 120/73 (Lorenz, Slg. 1973, 1471, Randnr. 4).

(20) - Vgl. Urteil in der Rechtssache Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires u. a. (zitiert in Fußnote 4).

(21) - Urteil vom 24. November 1987 in der Rechtssache 223/85 (Slg. 1987, 4617).

(22) - Vgl. Lieb, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Auflage 1986, § 818, Randnr. 70.

(23) - BVerwG, NJW 1992, S. 703, 704.