61994C0321

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 24. Oktober 1996. - Strafverfahren gegen Jacques Pistre (C-321/94), Michèle Barthes (C-322/94), Yves Milhau (C-323/94) und Didier Oberti (C-324/94). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Frankreich. - Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel - Artikel 30 und 36 EG-Vertrag - Nationale Rechtsvorschriften über die Verwendung der Bezeichnung 'montagne' für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel. - Verbundene Rechtssachen C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-02343


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Die vorliegenden Fälle betreffen die strafrechtliche Verfolgung von vier Personen in Frankreich wegen des Vertriebs verschiedener Erzeugnisse aus Schweinefleisch, deren Etikettierung die Worte "montagne" (Gebirge) oder "monts de Lacaune" ("Lacaune-Berge") enthielt. Die französischen Behörden beanstandeten, daß die Angeklagten nicht die nach französischem Recht erforderliche Genehmigung für die Verwendung dieser Worte besessen hätten. Die französische Cour de cassation, Kammer für Strafsachen, fragt, ob das Erfordernis einer solchen Genehmigung gegen die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel(1) (nachstehend: Ursprungsverordnung oder Verordnung) oder gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstösst. Zu den vom Rat erlassenen Richtlinien 83/189/EWG über die Übermittlung von Normen und technischen Vorschriften(2) und 79/112/EWG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür(3) wurden keine Fragen gestellt.

Sachverhalt und rechtlicher Hintergrund

2 Aus den Vorlagebeschlüssen geht hervor, daß alle vier Fälle französische Staatsangehörige und französische Erzeugnisse betreffen. Die französische Regierung bestätigt, daß die vier Angeklagten im Hauptverfahren - die Herren Pistre, Milhau und Oberti sowie Frau Barthes - sämtlich französische Staatsangehörige sind, daß sie Firmen mit Sitz in Lacaune (Frankreich) leiten und daß die in Rede stehenden Erzeugnisse von diesen Firmen in Frankreich hergestellt und lediglich auf dem französischen Markt vertrieben werden.

3 Bei den fraglichen Erzeugnissen handelt es sich um gekochtes Fleisch. Sie werden unter verschiedenen Bezeichnungen vertrieben, die sämtlich in der einen oder anderen Form das Wort "montagne" enthalten oder auf eine Gebirgsregion Bezug nehmen z. B. "saucisson de montagne pur porc ... séché à la montagne" und "saucisson Monts de Lacaune". Alle vier Angeklagten werden von den französischen Behörden strafrechtlich verfolgt, weil sie die fraglichen Erzeugnisse im Jahre 1991 ohne die nach französischem Recht für den Gebrauch dieser Bezeichnungen vorgeschriebene Genehmigung vertrieben hatten.

4 Die innerstaatlichen Vorschriften, um die es geht, sind die Artikel 11 und 13 des Gesetzes vom 1. August 1905(4), Artikel 3 des Dekrets Nr. 84-1147 vom 7. Dezember 1984(5), des Gesetzes Nr. 85-30 vom 9. Januar 1985 über die Entwicklung und den Schutz der Gebirgsregionen(6) und das Dekret Nr. 88-194 vom 26. Februar 1988 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Verwendung der Herkunftsangabe "provenance montagne" bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln(7). Zum Zeitpunkt der geltend gemachten Verstösse hatten diese Vorschriften folgenden Inhalt:

5 Artikel 3 des Dekrets Nr. 84-1147 enthielt u. a. das Verbot, Lebensmittel in einer den Käufer oder Verbraucher irreführenden Weise zu etikettieren, insbesondere was die Merkmale des Nahrungsmittels betraf, und zwar dessen Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Aufbewahrung, Ursprung oder Herkunft und Herstellungsverfahren.

6 Das Gesetz Nr. 85-30 und das Dekret Nr. 88-194 führten eine Genehmigungsregelung für Erzeugnisse ein, deren Etikettierung die Herkunftsangabe "montagne" enthielten. Artikel 3 des Gesetzes Nr. 85-30 enthielt eine nähere Bestimmung des Begriffes der Gebirgsregion. Im wesentlichen stellte er fest, daß solche Regionen durch erhebliche Nachteile gekennzeichnet seien, die sich aus schwierigen Wetterverhältnissen sowie daraus ergäben, daß steile Abhänge die Bearbeitung des Bodens erschwerten. Weiterhin ordnete er die Abgrenzung der einzelnen Regionen durch interministeriellen Erlaß vor. Artikel 4 legte die Gebirgsregionen der französischen Überseedepartements nach Maßgabe ihrer Höhe oder der Steilheit ihrer Abhänge fest.

7 Artikel 5 bestimmte, daß im französischen Mutterland jede Gebirgsregion und die ihr unmittelbar benachbarten Gebiete, die zusammen mit ihr eine geographische, wirtschaftliche und soziale Einheit darstellen, ein Massiv bilden. Er zählte diese Massive wie folgt auf: "Alpes du Nord, Alpes du Sud, Corse, Massif central, Massif jurassien, Pyrénées, et Massif vosgien". Die Abgrenzung eines jeden Massivs sollte durch Dekret erfolgen.

8 Artikel 34 sah den Schutz von Angaben über die Herkunft aus einer Gebirgsregion und spezifische geographische Bezugnahmen auf Gebirgsregionen vor. Bei allen auf den Markt gebrachten Erzeugnissen durften derartige Angaben und Bezugnahmen nur unter durch ein Dekret vorzuschreibenden Bedingungen verwendet werden. Mit diesem Dekret sollten insbesondere Herstellungsmethoden, Herstellungsort und Ursprung der Rohstoffe festgelegt werden.

9 Zur Durchführung des Gesetzes Nr. 85-30 wurde das Dekret 88-194 erlassen. Sein Artikel 2 sah allgemein vor, daß die verschiedenen Produktionsstufen in den Gebirgsregionen liegen und die Rohstoffe aus diesen Zonen stammen mussten. Artikel 3 gestattete jedoch bestimmte Ausnahmen von der Verpflichtung, den Produktionsprozeß auf bestimmte Gebiete zu beschränken. So wurden z. B. aus Gebieten ausserhalb der festgelegten geographischen Zone stammende Rohstoffe zugelassen, wenn sie aus natürlichen Gründen nicht in dieser Zone erzeugt wurden. Artikel 4 sah im wesentlichen vor, daß die Erzeugnisse nach bestimmten, durch gemeinsame Erlasse des Landwirtschaftsministers und des Ministers für Verbraucherangelegenheiten festzulegenden Methoden hergestellt sein mussten. Vor deren Erlaß waren die Staatliche Kommission für Etikettierung und die Regionalen Kommissionen für Qualitätslebensmittel zu hören. Für gekochtes Fleisch waren mit diesen Verordnungen die Auswahl der Rohstoffe, die beim Zerlegen, Entbeinen, Hacken und Zubereiten verwendeten Verfahren, die Verfahren des Einsalzens, Trocknens oder Räucherns, das Mischungsverhältnis der Zutaten und die Kochmethode festzulegen.

10 Nach Artikel 5 bedurften die Herkunftsangabe "montagne" und sonstige auf eine solche Region hinweisende geographische Angaben einer Genehmigung durch gemeinsame Ministerialverordnung. Diese Verordnung war vom Landwirtschaftsminister und vom Minister für Verbraucherangelegenheiten nach Stellungnahme der Regionalen Kommission für Qualitätslebensmittel zu erlassen. Weiterhin verpflichtete Artikel 5 die Adressaten der Genehmigung, auf ihren Erzeugnissen ein vom Landwirtschaftsministerium festzulegendes Kennzeichen anzubringen.

11 Die französische Regierung räumt ein, daß die genannten Vorschriften theoretisch auf Einfuhren Anwendungen finden konnten; praktisch sei dies jedoch nicht der Fall gewesen.

Die Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten

12 Die Betroffenen wurden vor dem Polizeigericht Castres angeklagt, weil sie bestimmte Erzeugnisse mit einer Etikettierung, "die geeignet war, die Käufer oder Verbraucher irrezuführen, insbesondere was die Merkmale des Nahrungsmittels und vor allem ... dessen Qualität betrifft, [vertrieben] und hierdurch gegen Artikel 3 des Dekrets Nr. 84-1147 vom 7. Dezember 1984 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln(8) verstossen" hätten. Ausserdem liege ein Verstoß gegen das Gesetz Nr. 85-30 und das Dekret Nr. 88-194 vor. Nach Ansicht des Gerichts war die strafrechtliche Verfolgung unbegründet. Das Erfordernis einer Genehmigung für den Gebrauch der Worte "provenance montagne" stelle eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung von Einfuhren dar, die im Widerspruch zu den Artikeln 3, 5 und 30 des Vertrages stehe; es sei auch nicht zulässig, die Genehmigung auf einheimische Erzeugnisse zu beschränken, da andernfalls die Gefahr einer umgekehrten Diskriminierung bestehe. Daher sprach das Gericht die Angeklagten frei. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft stellte die Cour d'appel jedoch fest, obwohl die streitigen Bestimmungen den Gebrauch des Ausdrucks "provenance montagne" auf bestimmte einheimische Erzeugnisse beschränkten, seien sie, ungeachtet der unterschiedlichen Behandlung einheimischer und eingeführter Erzeugnisse, nicht geeignet, Einfuhren zu behindern. Die Cour d'appel kam daher zu dem Ergebnis, der Vorwurf einer umgekehrten Diskriminierung sei unbegründet.

13 Die Angeklagten riefen deshalb die Cour de cassation an. Diese entschied, die Cour d'appel habe zu Unrecht angenommen, Artikel 30 sei nicht verletzt: a) zum einen habe sie festgestellt, die französischen Vorschriften verfolgten das Ziel, die Interessen der Erzeuger gegen unlauteren Wettbewerb und die Verbraucher gegen möglicherweise irreführende Bezeichnungen zu schützen, ohne zu untersuchen, ob sich dieses Ziel nicht durch eine Überprüfung der Richtigkeit der Etikettierung erreichen lasse; b) zum andern verbiete es der Vertrag den Mitgliedstaaten, eingeführte Erzeugnisse zu diskriminieren, die Cour d'appel habe aber ausdrücklich eingeräumt, daß die in Rede stehenden Vorschriften eine solche Diskriminierung begründeten. Die Cour de cassation stellt ferner fest, die Ursprungsverordnung, die am 26. Juli 1993 in Kraft getreten sei, habe ein besonderes Verfahren für die Genehmigung bestehender geographischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen eingeführt. Sie zweifelt an der Vereinbarkeit des Gesetzes Nr. 85-30 und des Dekrets Nr. 88-194 mit dieser Verordnung, da die Voraussetzungen für den Schutz nach der Verordnung offenbar einschränkender seien als die für die Erteilung einer Genehmigung nach französischem Recht geltenden.

14 Demgemäß hat die Cour de cassation dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt: Stehen die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 vom 14. Juli 1992 der Anwendung einer nationalen Regelung wie der des Gesetzes Nr. 85-30 vom 9. Januar 1985 und des zu dessen Durchführung erlassenen Dekrets Nr. 88-194 vom 26. Februar 1988 entgegen?

Die Ursprungsverordnung

15 Mit der auf Artikel 43 des Vertrages gestützten Ursprungsverordnung sollen ihren Begründungserwägungen zufolge besondere Vorschriften im Zusammenhang mit der Richtlinie 79/112 eingeführt werden, die die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür betrifft(9). Diese Richtlinie gleicht die Rechtsvorschriften über die Etikettierung einander an, um den freien Verkehr mit Lebensmitteln zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Die Mitgliedstaaten dürfen den Verkehr mit Erzeugnissen, die den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen, nicht verbieten, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, zu denen der Schutz der Herkunftsbezeichnungen und registrierten Ursprungsangaben gehört (Artikel 15). Die Mitgliedstaaten haben jedoch Vorschriften zum Schutz vor irreführenden Angaben einschließlich Angaben über Ursprung oder Herkunft des Erzeugnisses zu erlassen (Artikel 2). Bis zum Erlaß der Ursprungsverordnung unterlagen Ursprungsbezeichnungen und Herkunftsangaben nicht dem Gemeinschaftsrecht; Einfuhren konnten unter dem alleinigen Vorbehalt der Artikel 30 und 36 des Vertrages zum Schutz derartiger Bezeichnungen und Angaben unterbunden werden.

16 Wie aus Artikel 2 Absatz 1 der Ursprungsverordnung hervorgeht, besteht deren wesentlicher Zweck darin, eine Registrierungsregelung auf Gemeinschaftsebene einzuführen, um "Ursprungsbezeichnungen und geographische Angaben von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln ... auf Gemeinschaftsebene [zu schützen]".

17 Artikel 2 Absatz 2 enthält eine allgemeine Definition der Begriffe "Ursprungsbezeichnung" und "geographische Angabe" für die Zwecke der Verordnung(10):

"a) $Ursprungsbezeichnung` der Name einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in Ausnahmefällen eines Landes, der zur Bezeichnung eines Agrarerzeugnisses oder eines Lebensmittels dient,

- das aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem Land stammt und

- das seine Güte oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geographischen Verhältnissen einschließlich der natürlichen und menschlichen Einfluesse verdankt und das in dem begrenzten geographischen Gebiet erzeugt, verarbeitet und hergestellt wurde;

b) $geographische Angabe` der Name einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in Ausnahmefällen eines Landes, der zur Bezeichnung eines Agrarerzeugnisses oder eines Lebensmittels dient,

- das aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem Land stammt und

- bei dem sich eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft aus diesem geographischen Ursprung ergibt und das in dem begrenzten geographischen Gebiet erzeugt und/oder verarbeitet und/oder hergestellt wurde."

18 Artikel 5 Absatz 1 legt fest, wer einen Antrag auf Eintragung stellen kann:

"Ein Antrag auf Eintragung kann nur von einer Vereinigung oder - unter bestimmten Bedingungen, die nach dem Verfahren des Artikels 15 festzulegen sind - von einer natürlichen oder juristischen Person gestellt werden.

$Vereinigung` im Sinne dieses Artikels bedeutet ungeachtet der Rechtsform oder Zusammensetzung jede Art des Zusammenschlusses von Erzeugern und/oder Verarbeitern des gleichen Agrarerzeugnisses oder Lebensmittels. Andere Beteiligte können sich der Vereinigung anschließen."

19 Gemäß Artikel 1 der Durchführungsverordnung der Kommission(11) kann jedoch in "ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen ... die Eintragung ... von einer anderen ... natürlichen oder juristischen Person beantragt werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Beantragung in dem jeweiligen begrenzten Gebiet der einzige Erzeuger ist".

20 Anträge auf Eintragung sind über den beteiligten Mitgliedstaat an die Kommission zu richten.(12) Gelangt die Kommission zu dem Ergebnis, daß eine mitgeteilte Bezeichnung schutzwürdig ist, so hat sie die Einzelheiten des Antrags im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zu veröffentlichen.(13) Jeder Mitgliedstaat und jede "in ihrem berechtigten Interesse betroffene natürliche oder juristische Person" kann gegen die beabsichtigte Eintragung Einspruch einlegen.(14) Für das Verfahren nach Eingang eines solchen Einspruchs gelten ins einzelne gehende Regeln.(15)

21 Artikel 8 der Ursprungsverordnung lautet: "Die Angaben $g. U.` [geschützte Ursprungsbezeichnung] und $g. g. A.` [geschützte geographische Angabe] oder die entsprechenden traditionellen einzelstaatlichen Angaben dürfen nur für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel verwendet werden, die dieser Verordnung entsprechen."

22 Die Art des aufgrund der Eintragung gewährten Schutzes ist in Artikel 13 Absatz 1 geregelt, wo es u. a. heisst:

"Eingetragene Bezeichnungen werden geschützt gegen

a) jede direkte oder indirekte kommerzielle Verwendung einer eingetragenen Bezeichnung für Erzeugnisse, die nicht unter die Eintragung fallen, sofern diese Erzeugnisse mit den unter dieser Bezeichnung eingetragenen Erzeugnissen vergleichbar sind oder sofern durch diese Verwendung das Ansehen der geschützten Bezeichnung ausgenutzt wird;

b) jede widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung, selbst wenn der wahre Ursprung des Erzeugnisses angegeben ist oder wenn die geschützte Bezeichnung in Übersetzung oder zusammen mit Ausdrücken wie $Art`, $Typ`, $Verfahren`, $Fasson`, $Nachahmung` oder dergleichen verwendet wird;

c) alle sonstigen falschen oder irreführenden Angaben, die sich auf Herkunft, Ursprung, Natur oder wesentliche Eigenschaften der Erzeugnisse beziehen und auf der Aufmachung oder der äusseren Verpackung, in der Werbung oder in Unterlagen zu den betreffenden Erzeugnissen erscheinen, sowie die Verwendung von Behältnissen, die geeignet sind, einen falschen Eindruck hinsichtlich des Ursprungs zu erwecken;

d) alle sonstigen Praktiken die geeignet sind, das Publikum über den wahren Ursprung des Erzeugnisses irrezuführen.

..."

23 Gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, "innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten [der] Verordnung ... der Kommission [mitzuteilen], welche ihrer gesetzlich geschützten oder, falls in einem Mitgliedstaat ein Schutzsystem nicht besteht, durch Benutzung üblich gewordenen Bezeichnungen sie nach Maßgabe dieser Verordnung eintragen lassen wollen". Weiterhin bestimmt Artikel 17 Absatz 3, daß "die Mitgliedstaaten ... den einzelstaatlichen Schutz der gemäß Absatz 1 mitgeteilten Bezeichnungen bis zu dem Zeitpunkt beibehalten [können], zu dem über die Eintragung entschieden worden ist".

24 Die Verordnung ist am 26. Juli 1993 in Kraft getreten.

25 Dafür, daß die Verordnung die Anwendung der fraglichen französischen Rechtsvorschriften nicht ausschließt, sind drei Gründe denkbar:

- erstens ist die Verordnung erst am 26. Juli 1993 in Kraft getreten, d. h., nachdem die geltend gemachten Verstösse begangen wurden;

- zweitens könnte - wie die italienische Regierung argumentiert - die Verordnung lediglich ein fakultatives zusätzliches Schutzsystem auf Gemeinschaftsebene einführen, so daß die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert wären, nationale Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten;

- drittens könnte das von der Verordnung geregelte Sachgebiet nicht unter die französichen Rechtsvorschriften fallen.

26 Die Erheblichkeit der Verordnung kann nicht einfach mit der Begründung abgetan werden, sie sei zur Zeit der behaupteten Verstösse nicht in Kraft gewesen. Es ist nämlich denkbar, daß das französische Recht eine Norm enthält, wonach einem nach einer vermeintlichen Straftat erlassenen Gesetz, das für den Angeklagten günstiger ist, zu seinen Gunsten rückwirkende Kraft beigelegt werden kann. Die französische Regierung hat in Beantwortung einer in den vorliegenden Rechtssachen gestellten schriftlichen Frage des Gerichtshofes bestätigt, daß dies für das französische Recht zutreffe.(16) Sie führt aus, daß das Inkrafttreten der Verordnung die gleiche rechtliche Wirkung haben würde wie der Erlaß milderer Strafbestimmungen, wenn es dazu führen sollte, daß das Gesetz Nr. 85-30 und das Dekret Nr. 88-194 unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht wären. Es ist daher erforderlich, die rechtliche Wirkung der Verordnung zu untersuchen.(17)

27 Was den zweiten, das angebliche Recht auf Beibehaltung des nationalen Schutzes betreffenden Punkt angeht, so ist Artikel 17 der Ursprungsverordnung von Bedeutung. Wie oben in Abschnitt 23 dargelegt, schreibt dieser Artikel den Mitgliedstaaten vor, innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung die Eintragung innerstaatlich geschützter Bezeichnungen zu beantragen, und bestimmt, daß der innerstaatliche Schutz bis zu dem Zeitpunkt beibehalten werden kann, zu dem über die Eintragung entschieden wurde. Die Kommission scheint dem zu entnehmen, daß die Verordnung keinen Raum für nationale Maßnahmen lasse. In ihrer Mitteilung über die Anwendung der Verordnung(18) stellt die Kommission fest, daß "auf nationaler Ebene geschützte Bezeichnungen, die nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist mitgeteilt werden, sowie die mitgeteilten, jedoch als nicht schutzwürdig befundenen Bezeichnungen ... danach nicht mehr geschützt [sind]". Die italienische Regierung ist jedoch gegenteiliger Meinung. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß "die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Verordnung und dem nationalen Schutz geographischer Bezeichnungen in der Verordnung nicht geregelt ist und daher offenbleibt".(19)

28 Ich halte es in den vorliegenden Fällen jedoch nicht für notwendig, diese Frage zu entscheiden, abgesehen von der Feststellung, daß die Verordnung meines Erachtens nicht automatisch die Ungültigkeit jeder geographischen Bezeichnung bewirkt, die nicht unter die in der Verordnung enthaltenen Difinitionen der Begriffe "Ursprungsbezeichnung" und "geographische Angabe" fällt. Meiner Meinung nach ist klar - und dies ist auch die Auffassung der französischen Regierung und der Kommission -, daß die französischen Vorschriften nicht in den Regelungsbereich der Verordnung fallen, da sie sich unter keine dieser Definitionen subsumieren lassen.

29 Die Begriffe "montagne" und "provenance montagne" sind völlig allgemeiner Natur. Sie können deshalb nicht einer bestimmten geographischen Zone (in den Worten der Verordnung dem Namen "einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in Ausnahmefällen eines Landes") zugeordnet werden. Überdies gehen die französischen Rechtsvorschriften davon aus, daß diese Begriffe sich auch auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel aller in Betracht kommenden Arten erstrecken. Das Dekret Nr. 88-194 erfasst alle Arten von Fleisch- und Milcherzeugnissen, alkoholische Getränke, Obst, Gemüse, Pflanzen und Honig. Es trifft zu, daß Genehmigungen aufgrund der genannten Vorschriften für im einzelnen bezeichnete Erzeugnisse erteilt werden, aber die Bezeichnungen "montagne" oder "provenance montagne" behalten dennoch ihre allgemeine Natur. Sie sind also ihrem Wesen nach weit von den Sachverhalten entfernt, die die Ursprungsverordnung regeln sollen, wie ein Blick auf die erste Liste der Bezeichnungen zeigt, die aufgrund der Ursprungsverordnung eingetragen wurden(20). All diese Bezeichnungen sind sehr spezifisch wie z. B. - zufällig herausgegriffen - Orkney beef (Vereinigtes Königreich) Jambon d'Ardennes (Belgien), Roquefort (Frankreich) und Jersey Royal potatös (Vereinigtes Königreich). Der Begriff "montagne" oder "Berg" könnte, auch wenn man ihn auf spezifische Arten von Erzeugnissen anwendet, vernünftigerweise nicht in einer solchen Liste vorkommen.

30 Wie die Kommission und Frankreich ausführen, dürften die in den französischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Maßnahmen ihrer Art nach eher Qualitätskontrollen darstellen, als daß sie auf den Ursprung im herkömmlichen Sinne bezogen wären. Sicherlich bezeichnet der Name "Monts de Lacaune" eine bestimmte Gebirgsregion und könnte dementsprechend Gegenstand einer Registrierung gemäß der Verordnung sein, wenn die Beziehung zwischen den Merkmalen eines bestimmten Erzeugnisses und dieser Region die Voraussetzungen der Verordnung erfuellten.(21) Eine solche Beziehung ist nicht notwendigerweise Vorbedingung für die Genehmigung einer derartigen Bezeichnung gemäß den französischen Rechtsvorschriften. In der Tat ist die Bezeichnung "Monts de Lacaune" nicht als solche, sondern nur insoweit geschützt, als sie den Eindruck des Ursprungs in einer Gebirgsregion erweckt.

31 Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß die Ursprungsverordnung in den vorliegenden Fällen nicht anwendbar ist.

Artikel 30

32 Das vorlegende Gericht fragt weiterhin, ob die in Rede stehenden Rechtsvorschriften im Widerspruch zu Artikel 30 des Vertrages stehen. Die französische Regierung räumt ein, daß die französischen Vorschriften theoretisch, jedoch nicht praktisch auf eingeführte Erzeugnisse Anwendung finden. Die Kommission trägt vor, diese Vorschriften seien so gestaltet, daß die erforderlichen Genehmigungen unmöglich für Erzeugnisse nichtfranzösichen Ursprungs erlangt werden könnten; eine Verletzung des Gemeinschaftsrecht durch ein Gesetz könne nicht durch eine blosse Verwaltungspraxis geheilt werden.

33 Es ist jedoch von vornherein zu bemerken, daß sich der den vorliegenden Fällen zugrunde liegende Sachverhalt offensichtlich völlig auf das Inland beschränkt. In allen vier Fällen werden französische Staatsangehörige strafrechtlich verfolgt, weil ihnen in bezug auf in Frankreich hergestellte und lediglich dort vertriebene Erzeugnisse die erforderliche Genehmigung fehlte. Wie die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung bemerkt hat, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß irgendwelche Zutaten aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Nach ständiger Rechtsprechung liegt kein Verstoß gegen Artikel 30 vor, wenn es sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt. So hat der Gerichtshof z. B. im Urteil Waterkeyn(22) entschieden, daß eine frühere Entscheidung in der Rechtssache Kommission/Frankreich(23), wonach ein französisches Gesetz gegen Artikel 30 verstieß, lediglich insoweit anwendbar war, als dieses Gesetz Einfuhren betraf, und daß Artikel 30 das Gesetz unberührt ließ, soweit es für einheimische Erzeugnisse galt. Entsprechend stellte er im Fall Oosthök's Uitgeversmaatschappij(24), in dem es um zum Teil von Oosthök in den Niederlanden und zum Teil von einer mit Oosthök verbundenen Gesellschaft in Belgien gesetzte und hergestellte Nachschlagewerke ging, fest, daß "die Anwendung der niederländischen Rechtsvorschriften auf den Verkauf von in den Niederlanden hergestellten Nachschlagewerken in den Niederlanden in der Tat nicht in einem Zusammenhang mit der Wareneinfuhr oder -ausfuhr steht und daher nicht von den Artikeln 30 und 34 erfasst wird". Weiter heisst es dort: "Beim Verkauf von in Belgien hergestellten Nachschlagewerken in den Niederlanden und von den Niederlanden hergestellten Nachschlagewerken in anderen Mitgliedstaaten handelt es sich jedoch um Vorgänge des innergemeinschaftlichen Handels."(25)

34 Da wir es in den vorliegenden Rechtssachen ausschließlich mit nationalen Erzeugnissen zu tun haben, ist zu prüfen, ob der Gerichtshof die Artikel 30 betreffende Frage beantworten soll, soweit sie sich auf Einfuhren erstreckt. Eindeutig kann und muß der Gerichtshof entscheiden, daß Artikel 30 nicht auf Sachverhalte anwendbar ist, die rein innerstaatlich in dem Sinne sind, daß sie lediglich einheimische, im Inland vertriebene Erzeugnisse betreffen. Die Frage des vorlegenden Gerichts ist indessen allgemein gefasst und nicht ausdrücklich auf die besonderen Umstände der vorliegenden Fälle beschränkt. Dem Gerichtshof stuende es daher frei, die Frage auf der gleichen Linie zu beantworten wie in den Fällen Waterkeyn und Oosthök's Uitgeversmaatschappij, d. h., die Anwendbarkeit von Artikel 30 im Hinblick sowohl auf einheimische Erzeugnisse als auf Einfuhren in Betracht zu ziehen. Im Unterschied zu der jenen Fällen zugrunde liegenden tatsächlichen Situation wird jedoch keines der hier betroffenen Erzeugnisse eingeführt. Die gestellte Frage ist anscheinend durch die für das vorlegende Gericht bestehende Notwendigkeit veranlasst, sich mit dem Vorbringen der Angeklagten hinsichtlich der umgekehrten Diskriminierung auseinanderzusetzen, das dahin geht, daß, wenn die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf Einfuhren ausgeschlossen ist, weil sie Artikel 30 verletzen würde, das gleiche für einheimische Erzeugnisse gelten müsse, weil sich diese andernfalls in einer ungünstigeren Lage befinden würden als eingeführte Waren.

35 Es steht fest, daß das Gemeinschaftsrecht eine derartige umgekehrte Diskriminierung nicht verbietet. Wie der Gerichtshof in Randnummer 9 seines Urteils in der Rechtssache 98/86 (Ministère public/Mathot)(26) festgestellt hat, "[fällt] es nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ..., wenn ein Mitgliedstaat in einem Bereich, für den keine Gemeinschaftsregelung gilt und in dem die nationalen Rechtsvorschriften nicht harmonisiert sind, im Inland hergestellte Erzeugnisse und eingeführte Erzeugnisse ungleich behandelt und dabei erstere benachteiligt". Die Ausführungen der Angeklagten vor dem vorlegenden Gericht stützen sich jedoch möglicherweise auf einen Grundsatz des nationalen Rechts, der umgekehrte Diskriminierungen verbietet. Obgleich sich der Vorlagebeschluß nicht zur Grundlage des auf umgekehrte Diskriminierung gestützten Vorbringens äussert, scheint sich dieser Grundsatz aus einer früheren Entscheidung der Kammer für Strafsachen der Cour de cassation zu ergeben.(27) Es fragt sich, ob der Gerichtshof von seiner Zuständigkeit Gebrauch machen soll, wenn die Vertragsbestimmungen lediglich mittelbar Anwendung finden und der Sachverhalt rein interner Natur ist.

36 Im Fall Smanor(28) war der Gerichtshof bereit, angesichts eines Sachverhalts, der dem vorliegenden ähnlich war, über die Anwendung von Artikel 30 auf Einfuhren zu entscheiden. Wie in Randnummer 7 des Urteils festgestellt, hatte die französische Regierung vorgetragen, der dem Hauptverfahren zugrunde liegende Sachverhalt falle nicht unter Artikel 30 des Vertrages, so daß es nicht notwendig sei, die zu diesem Artikel gestellte Frage zu beantworten. Der Gerichtshof stellte fest, dieses Vorbringen sei darauf gestützt, daß es in dem genannten Fall um die Anwendung französischen Rechts auf eine französische Gesellschaft gehe, die tiefgefrorenen Joghurt in Frankreich herstelle und vertreibe. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß derartige Erzeugnisse nach Frankreich eingeführt würden und dann unter französisches Recht fielen.(29) Zu der Frage, "ob die Smanor SA sich vor dem vorlegenden Gericht mit Erfolg auf eine etwaige Behinderung der Einfuhr von tiefgefrorenem Joghurt durch die französischen Vorschriften berufen kann, ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, der zufolge es nach dem System des Artikels 177 EWG-Vertrag Sache des innerstaatlichen Gerichts ist, anhand des Sachverhalts, der dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zugrunde liegt, zu beurteilen, ob eine Entscheidung über die dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen für den Erlaß seines Urteils erforderlich ist".(30) Der Gerichtshof befasste sich entsprechend mit der Artikel 30 betreffenden Frage und stellte fest, dieser Artikel stehe nationalen Rechtsvorschriften wie denjenigen, um die es sich handele, insoweit entgegen, als sie auf Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten anwendbar seien.

37 Anscheinend geht die Tendenz des Gerichtshofes dahin, die Beantwortung von Fragen zu Artikel 30 nur dann mit der Begründung abzulehnen, sie beträfen einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, wenn die nationale Vorschrift ausschließlich einheimische Erzeugnisse betrifft und unter keinen Umständen auf eingeführte Erzeugnisse angewendet werden kann.(31)

38 Meines Erachtens sollte der Gerichtshof es jedoch ablehnen, sich zur Anwendung von Artikel 30 auf Einfuhren zu äussern, wenn sich aus den tatsächlichen Umständen klar ergibt, daß sich der Sachverhalt völlig auf das Inland beschränkt. Wie Generalanwalt Cosmas in seinen Schlussanträgen in der Sache Belgapom(32) dargelegt hat, könnte die Auffassung vertreten werden, daß "das Element der Verbindung eines bestimmten Sachverhalts mit dem Anwendungsbereich des Artikels 30 des Vertrages im Ursprung der Waren zu suchen wäre, die im konkreten Fall als durch eine bestimmte Maßnahme erfasst gelten". Weiter führte der Generalanwalt aus: "Damit würde die Anwendung des Artikels 30 ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt, in dessen Rahmen der bei dem nationalen Gericht anhängige Rechtsstreit entstand, ausschließlich und allein Erzeugnisse betraf, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie verkauft wurden und in dem dieser Rechtsstreit entstanden ist, hergestellt oder angefertigt worden sind."(33)

39 Ich verkenne nicht, daß - wie Generalanwalt Elmer in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache CIA Security/Signalson und Securitel(34) ausgeführt hat - Erzeugnisse oft aus zahlreichen Teilen zusammengesetzt sind und ihre einzelnen Bestandteile dementsprechend aus mehreren Mitgliedstaaten stammen können, auch wenn sie in dem betroffenen Mitgliedstaat zusammengesetzt worden sind. In manchen Fällen mag sich aus dem Vorlagebeschluß nicht eindeutig ergeben, ob die Erzeugnisse im Inland hergestellt oder aber eingeführt wurden, geschweige denn, woher ihre Bestandteile stammen. Wenn jedoch, wie hier, nicht vorgetragen wird, Artikel 30 sei in bezug auf die unmittelbar streitigen Erzeugnisse oder deren Bestandteile verletzt, sondern lediglich, er könne insoweit verletzt sein, als die nationalen Maßnahmen auf sonstige, eingeführte Erzeugnisse angewandt werden könnten, meine ich, daß der Gerichtshof den Sachverhalt als rein innerstaatlich betrachten und entscheiden sollte, daß Artikel 30 auf dieser Grundlage keine Anwendung findet.

40 Im übrigen scheint mir dies auch dann die korrekte Betrachtungsweise zu sein, wenn die Erheblichkeit der Frage klar feststeht, z. B. weil das vorlegende Gericht darlegt, eine innerstaatliche Norm verbiete umgekehrte Diskriminierungen. Meines Erachtens ist es wichtig, daß der Gerichtshof Entscheidungen nach Artikel 177 des Vertrages im Rahmen des passenden tatsächlichen Zusammenhangs trifft, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Leur-Blöm und Giloy ausgeführt habe(35). Ich verkenne nicht, daß es für den Gerichtshof in manchen Fällen leicht sein mag, sich zu einer gemeinschaftsrechtlichen Frage zu äussern, die, obwohl aus Gründen des nationalen Rechts erheblich, sich nicht unmittelbar aus dem Sachverhalt des fraglichen Einzelfalles ergibt: z. B. in Fällen wie denjenigen, die dem Gerichtshof gegenwärtig vorliegen und in denen die nationalen Rechtsvorschriften offensichtlich insoweit gegen Artikel 30 verstossen, als sie auf aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse Anwendung finden. Es könnte sogar unnötig unfreundlich wirken, wenn der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht in solchen Fällen keine Hilfe leistete. Aus den Gründen, die ich in meinen Schlussanträgen in den Rechtssachen Leur-Blöm und Giloy dargelegt habe, wäre es jedoch häufig gewagt, eine das Gemeinschaftsrecht betreffende Frage ausserhalb des gegebenen Zusammenhangs zu beantworten. Es ist leicht erkennbar, daß sogar in Fällen wie dem vorliegenden komplizierte Probleme auftreten können. Nehmen wir z. B. an, ein Mitgliedstaat würde behaupten, eine bestimmte Herkunftsangabe müsse gegen Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten geschützt werden. Dies könnte schwierige Fragen aufwerfen wie die, 1. ob die fragliche Herkunftsangabe in den Anwendungsbereich der Ursprungsverordnung fällt; 2. bejahendenfalls, ob die Verordnung eine Berufung auf Artikel 36 ausschließt; 3. ob jedenfalls die Berufung auf Artikel 36 durch die Umstände des Falles gerechtfertigt sein könnte. Für mich liegt es auf der Hand, daß derartige Fragen nur im Rahmen eines Tatsachenzusammenhangs beantwortet werden können und sollten, in dem sie wirklich aufgeworfen werden.

41 Es ist wichtig, daß der Gerichtshof eine konsistente Haltung in der Frage einnimmt, ob er von seiner Rechtsprechungsbefugnis Gebrauch machen soll. Am konsequentesten wäre es, die Entscheidung über eine gemeinschaftsrechtliche Frage stets dann abzulehnen, wenn die Erheblichkeit der Frage sich daraus ergibt, daß durch innerstaatliches Recht Normen des Gemeinschaftsrechts in einem rein innerstaatlichen Kontext umgesetzt worden sind, in dem sie nicht als Gemeinschaftsrecht Anwendung finden. Ob diese Umsetzung im Wege spezifischer nationaler Rechtsvorschriften erfolgt, die den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Norm widerspiegeln oder ausweiten, wie in den Rechtssachen Leur-Blöm und Giloy, oder im Wege einer nationalen Rechtsvorschrift, die ganz allgemein umgekehrte Diskriminierungen oder unlauteren Wettbewerb verbietet, wie es hier der Fall sein könnte, sollte keinen Unterschied machen.

42 Nach meiner Auffassung sollte der Gerichtshof es daher ablehnen, sich über eine hypothetische Frage auszusprechen, und wie folgt entscheiden: Artikel 30 des Vertrages ist auf innerstaatliche Rechtsvorschriften insoweit nicht anwendbar, als diese auf einheimische Erzeugnisse Anwendung finden.

Ergebnis

43 Nach alledem meine ich, daß die Frage der Cour de cassation, Kammer für Strafsachen, wie folgt beantwortet werden sollte:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92/EWG des Rates zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel steht der Anwendung innerstaatlicher Maßnahmen nicht entgegen, die die Bezeichnung "montagne" oder "provenance montagne" für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsmittel schützen.

2. Artikel 30 des Vertrages ist auf innerstaatliche Rechtsvorschriften insoweit nicht anwendbar, als diese auf einheimische Erzeugnisse Anwendung finden.

(1) - ABl. L 208, S. 1.

(2) - Richtlinie des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 8).

(3) - Richtlinie des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 1979, L 33, S. 1).

(4) - Inzwischen durch Gesetz Nummer 93-949 vom 26. Juli 1993 (Amtsblatt der Französischen Republik, JORF, vom 27. Juli 1993) in den "Code de la Consommation" eingefügt.

(5) - JORF vom 21. Dezember 1984, S. 3925.

(6) - JORF vom 10. Januar 1985, S. 320.

(7) - JORF vom 27. Februar 1988, S. 2747

(8) - A. a. O., Fußnote 5.

(9) - A. a. O., Fußnote 3.

(10) - Vgl. die Erläuterung der Begriffe "Herkunftsangaben" und "Ursprungsbezeichnung" im Urteil des Gerichtshofes vom 10. November 1992 in der Rechtssache C-3/91 (Exportur, Slg. 1992, I-5529, Randnr. 11).

(11) - Verordnung (EWG) Nr. 2037/93 der Kommission vom 27. Juli 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 2081/82 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. L 185, S. 5).

(12) - Artikel 5 der Ursprungsverordnung.

(13) - Artikel 6 der Ursprungsverordnung.

(14) - Artikel 7 der Ursprungsverordnung.

(15) - Artikel 7 Absatz 5, Artikel 15 der Ursprungsverordnung.

(16) - Hierbei bezog sie sich auf Urteile der Cour de cassation, Kammer für Strafsachen, vom 25. Januar 1988, 8. Februar 1988, 10. Oktober 1988, 13. Februar 1989 und 8. März 1993.

(17) - Daß eine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung somit aufgrund innerstaatlichen Rechts rückwirkende Kraft haben könnte, hindert den Gerichtshof nicht daran, eine Frage nach der Tragweite dieser Bestimmung zu beantworten; der Gerichtshof wird damit nicht aufgefordert, die Bestimmung ausserhalb ihres sachgemässen Zusammenhangs auszulegen, so wie dies unten, Abschnitte 32 bis 42, erörtert wird. Daß der Gerichtshof in einer Situation wie der vorliegenden zuständig ist, wird durch die Urteile in den verbundenen Rechtssachen C-358/93 und C-416/93 (Bordessa u. a., Slg. 1995, I-361, Randnrn. 8 bis 10) sowie C-163/94, C-165/94 und C-250/94 (Sanz de Lera u. a., Slg. 1995, I-4821, Randnrn. 13 bis 15) bestätigt. Vgl. auch das Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-341/94 (Allain, Slg. 1996, II-0000, Randnrn. 9 bis 13).

(18) - Mitteilung an die von Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel betroffenen Wirtschaftsbeteiligten bezueglich des vereinfachten Eintragungsverfahrens auf Gemeinschaftsebene gemäß Artikel 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 (ABl. 1993, C 273, S. 4).

(19) - Beier und Knaak, "The Protection of Direct and Inderect Geographical indications of source in Germany and the European Community", IIC, Band 25, Nr. 1/1994.

(20) - Vgl. Anhang zur Verordnung (EG) Nr. 1107/96 der Kommission vom 12. Juni 1996 über die Eintragung geographischer Angaben und Gebietsbezeichnungen nach dem Verfahren des Artikels 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates (ABl. L 148, S. 1).

(21) - Vgl. z. B. die Eintragung der Bezeichnung "Cerezas de la Montaña de Alicante" (PGI) (ABl. 1996, L 148, S. 8).

(22) - Verbundene Rechtssachen 314/81 bis 316/81 und 83/82, Slg. 1982, 4337.

(23) - Urteil in der Rechtssache 152/78, Slg.1980, 2299.

(24) - Urteil in der Rechtssache 286/81, Slg. 1982, 4575.

(25) - Randnr. 9 des Urteils.

(26) - Slg. 1987, 809.

(27) - Vgl. den dem Schriftsatz von Herrn Pistre beigefügten Artikel in RJDA 1/95, Nr. 96.

(28) - Urteil in der Rechtssache 298/87, Slg. 1988, 4489.

(29) - Randnr. 8 des Urteils.

(30) - Randnr. 9 des Urteils.

(31) - Vgl. Nr. 13 der Schlussanträge von Generalanwalt Cosmas in der Rechtssache C-63/94 (Belgapom/ITM und Vocarex, Slg. 1995, I-2467).

(32) - Siehe oben, Fußnote 31.

(33) - Nr. 14 der Schlussanträge (Hervorhebungen im Original).

(34) - Schlussanträge vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C-194/94, Nr. 28.

(35) - Schlussanträge vom 17. September 1996 in den Rechtssachen C-28/95 (Leur-Blöm/Inspecteur der Belastungsdienst/Ondemingen Amsterdam 2) und C-130/95 (Giloy/Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost).