SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIUSEPPE TESAURO

vom 7. Mai 1996 ( *1 )

1. 

Mit der vorliegenden Klage beantragt die Kommission, festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, daß sie im aktiven Veredelungsverkehr die Einfuhr von Milcherzeugnissen bewilligt hat, obwohl deren Zollwert unter den durch die im Rahmen des GATT geschlossene und mit Beschluß 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979 über den Abschluß der multilateralen Übereinkommen, die im Zuge der Handelsverhandlungen von 1973—1979 ausgehandelt wurden ( 1 ), genehmigte internationale Übereinkunft über Milcherzeugnisse (im folgenden: Übereinkunft) vorgeschriebenen Preisen lag.

Im einzelnen wirft die Kommission der deutschen Regierung vor, sie habe a) die Pflicht zur Zusammenarbeit gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a des Anhangs I und den Artikeln 6 Buchstabe a der Anhänge II und III der Übereinkunft, b) die Verpflichtung gemäß den Artikeln 3 Absatz 1 der drei genannten Anhänge und c) die Artikel 5 bis 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr ( 2 ) insbesondere, was die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung des Zollverfahrens anbelange, verletzt bzw. nicht beachtet.

2. 

Um die Vorwürfe und ihre Beantragung durch die Beklagte richtig zu verstehen, sind an dieser Stelle die einschlägigen Bestimmungen der Übereinkunft und der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs sowie der Ablauf des vorgerichtlichen Verfahrens darzustellen.

Die anwendbaren Rechtsvorschriften

3.

Die am 1. Januar 1980 in Kraft getretene Übereinkunft setzt sich zum Ziel, eine Ausweitung und immer weitergehende Liberalisierung des Welthandels mit Milcherzeugnissen unter möglichst stabilen Marktbedingungen auf der Grundlage gegenseitiger Vorteile für die Ausfuhr- und Einfuhrländer zu bewirken (Artikel I). Sie gilt für folgende Erzeugnisse: Milch und Rahm, eingedickt oder gezuckert, Butter, Käse und Quark sowie Kasein (Artikel II). Vorgesehen sind allgemeine Pflichten zur Information (Artikel III) und zur Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern (Artikel IV), insbesondere auf dem Gebiete der Hilfe für Entwicklungsländer (Artikel V). Die Aufgaben, die zur Durchführung der Bestimmungen der Übereinkunft notwendig sind, werden vom Internationalen Rat für Milcherzeugnisse wahrgenommen, der durch die Übereinkunft eingeführt wird und dem Vertreter aller Teilnehmer an dieser Übereinkunft angehören (Artikel VII).

Der Übereinkunft sind als Anhänge drei Protokolle beigefügt, betreffend bestimmte Milchpulverarten (Anhang I), Milchfett (Anhang II) und bestimmte Käsearten (Anhang III). Diese Anhänge, die Bestandteil der Übereinkunft sind, begründen jeweils ähnliche Verpflichtungen: a) die Ausfuhrpreise dürfen nicht niedriger angesetzt werden als die aufgrund des Anhangs anwendbaren Mindestpreise (Artikel 3 Absatz 1 aller Anhänge); b) für jeden Teilnehmer finden die einzelnen Anhänge Anwendung auf die Ausfuhren der Erzeugnisse, die in seinem Zollgebiet hergestellt oder umgepackt wurden (Artikel 3 Absatz 7 des Anhangs I; Artikel 3 Absatz 6 der Anhänge II und III); c) die Einfuhr der unter die Anhänge fallenden Erzeugnisse darf soweit möglich nicht unter dem Zollwert erfolgen, der den vorgeschriebenen Mindestpreisen entspricht (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a des Anhangs I; Artikel 6 Buchstabe a der Anhänge II und III); d) die Teilnehmer verpflichten sich, geeignete Abhilfemaßnahmen für den Fall zu ergreifen, daß Einfuhren zu Preisen unter den Mindestpreisen die Anwendung des Anhangs gefährden (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c des Anhangs I; Artikel 6 Buchstabe c der Anhänge II und III), und e) auf Antrag eines Teilnehmers können Ausnahmen von der Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestpreise nach den Artikeln 3 Absatz 1 der einzelnen Anhänge zugelassen werden (Artikel 7 aller Anhänge) ( 3 ).

4.

Die Gemeinschaftsregelung für den aktiven Veredelungsverkehr erlaubt es gemäß Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1999/85, nach erteilter Bewilligung innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft folgende Waren einem oder mehreren Veredelungsvorgängen zu unterziehen: a) Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in Form von Veredelungserzeugnissen bestimmt sind, und zwar ohne daß für diese Waren Eingangsabgaben erhoben werden (Nichterhebungsverfahren) und b) in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführte Waren, für die die Eingangsabgaben erstattet oder erlassen werden, wenn diese Waren in Form von Veredelungserzeugnissen aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft wieder ausgeführt werden (Verfahren der Zollrückvergütung). Die in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe h der Verordnung definierten Veredelungsvorgänge umfassen die Bearbeitung, die Verarbeitung und die Ausbesserung von Waren sowie die Verwendung bestimmter Waren, die die Herstellung von Veredelungserzeugnissen ermöglichen oder erleichtern und hierbei vollständig verbraucht werden. Die für die Inanspruchnahme des aktiven Veredelungsverkehrs erforderliche Bewilligung wird gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 1999/85 erteilt, wenn der aktive Veredelungsverkehr „dazu beitragen kann, die günstigsten Voraussetzungen für die Ausfuhr der Veredelungserzeugnisse zu schaffen, sofern wesentliche Interessen von Herstellern in der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt werden (wirtschaftliche Voraussetzungen)“. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen liegen u. a. dann vor, wenn die zur Veredelung bestimmten Waren „in der Gemeinschaft erzeugt werden, jedoch nicht verwendet werden können, weil das beabsichtigte Handelsgeschäft wegen ihres Preises unwirtschaftlich wäre“ (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d).

5.

Die Verordnung (EWG) Nr. 2228/91 der Kommission vom 26. Juni 1991 ( 4 ) setzt die Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 1999/85 fest. Nach Artikel 16 dieser Verordnung hat die Überführung von Waren in das Nichterhebungverfahren zur Folge, daß die für diese Waren geltenden besonderen handelspolitischen Maßnahmen bei der Einfuhr nicht angewendet werden ( 5 ). Die besonderen handelspolitischen Maßnahmen sind nichttarifäre Maßnahmen, die im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik durch Gemeinschaftsbestimmungen über die Regelungen für die Ein- und Ausfuhr von Waren getroffen worden sind, wie Überwachungs- oder Schutzmaßnahmen, mengenmäßige Beschränkungen, Höchstmengen sowie Ein- und Ausfuhrverbote (Artikel 1 Nr. 12).

Schließlich sieht die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ( 6 ) (die an die Stelle der Verordnung Nr. 1999/85 getreten, aber auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist) in Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a vor, daß es die Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs erlaubt, im Zollgebiet der Gemeinschaft „Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in Form von Veredelungserzeugnissen bestimmt sind, und zwar, ohne daß für diese Waren Einfuhrabgaben erhoben oder handelspolitische Maßnahmen ( 7 ) angewandt werden“, einem oder mehreren Veredelungsvorgängen zu unterziehen.

Das vorgerichtliche Verfahren

6.

Die Kommission hielt die Praxis der Bewilligung der aktiven Veredelungsvorgänge für Erzeugnisse, die zu Preisen unter den in der Übereinkunft vorgeschriebenen Mindestpreisen eingeführt wurden, für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und leitete mit Aufforderungsschreiben vom 26. März 1991 ein Vertragsverletzungs verfahren gegen Deutschland ein. Die deutsche Regierung bestritt mit Schreiben vom 8. Mai 1991, daß die dem aktiven Veredelungsverkehr unterzogenen Erzeugnisse Einfuhren im Sinne der Übereinkunft darstellten, und wies gleichwohl darauf hin, daß sie den nach Artikel 113 eingesetzten Ausschuß zur Klärung dieser Frage angerufen habe.

Da der Kommission die Erklärungen der deutschen Regierung nicht genügten, richtete sie am 3. Februar 1993 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an diese, in der sie an ihrer Auffassung festhielt und verlangte, den Verstoß binnen zwei Monaten abzustellen. Im Antwortschreiben auf die mit Gründen versehene Stellungnahme machte die deutsche Regierung zum einen geltend, daß in der Gemeinschaftsregelung für den aktiven Veredelungsverkehr selbst vorgesehen sei, daß die besonderen handelspolitischen Maßnahmen auf Waren, die diesem Verkehr unterlägen, nicht anzuwenden seien, und zum anderen, daß der Ausschuß nach Artikel 113 diese Frage noch nicht weiter vertieft habe.

7.

Wie sich aus einem von der Kommission auf Ersuchen des Gerichtshofes vorgelegten Papier ergibt, ist das von den deutschen Behörden aufgeworfene Problem tatsächlich in der Sitzung vom 15. Februar 1991 vor den Ausschuß nach Artikel 113 gebracht worden. Im Protokoll heißt es: „Die Kommission hat begonnen, gemeinsam mit den betroffenen Delegationen ein Problem zu untersuchen, das die deutsche Delegation unterbreitet hat und das die Schwierigkeiten aufgrund eines offensichtlichen Widerspruchs zwischen den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts betreffend den aktiven Veredelungsverkehr für Milcherzeugnisse und den Bestimmungen über die Mindestpreise in der Internationalen Übereinkunft über Milcherzeugnisse betreffen. Der Ausschuß hat beschlossen, auf diese Fragen zurückzukommen, sobald die Kommission die Situation geklärt hat.“ ( 8 )

Die Kommission hat den Ausschuß jedoch nicht mehr mit dieser Frage befaßt, wei sie, wie im Verfahren erklärt wurde, nach bilateralen Kontakten mit den verschiedenen Delegationen zu dem Ergebnis gelangt war, daß die deutsche Regierung mit ihrer Ansicht „isoliert“ geblieben sei. Sie hat daher am 26. Januar 1994 die vorliegende Klage erhoben.

Zur Zulässigkeit

8.

Deutschland hat zwar nicht förmlich die Einrede der Unzulässigkeit erhoben, jedoch die Ansicht geäußert, daß die Kommission vor Klageerhebung das Ergebnis der Arbeiten des Ausschusses nach Artikel 113 hätte abwarten müssen. Insbesondere sei dieser Ausschuß gerade deshalb eingesetzt worden, um die Auslegung und die Beachtung der internationalen Übereinkünfte zu gewährleisten und zu diesem Zweck eine einheitliche Stellungnahme der Gemeinschaft zu Problemen festzulegen, bei denen es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten oder zwischen diesen und der Kommission gebe. Daher könne man sich mit Recht fragen, ob die Kommission in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Ausschuß nach Artikel 113 — nachdem er mit der Frage befaßt worden sei — noch keine Stellungnahme abgegeben habe, eine Klage gemäß Artikel 169 auf Feststellung eines Verstoßes gegen eine internationale Übereinkunft hätte erheben dürfen.

Artikel 169 räumt aber der Kommission ein weites Ermessen ( 9 ) sowohl im Hinblick auf die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens — es genügt, daß „nach [ihrer] Auffassung... ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen“ hat — als auch in bezug auf die Klageerhebung ein, da sie „den Gerichtshof anrufen [kann]“. Die Ausübung dieses Ermessens kann daher nicht von weitergehenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden, als sie in Artikel 169 aufgestellt sind, insbesondere nicht von der Stellungnahme des Ausschusses nach Artikel 113. Daher läßt sich zwar, was das vorliegende Verfahren angeht, darüber streiten, ob die Entscheidung der Kommission angebracht war, die Klage zu erheben, ohne die Stellungnahme des Ausschusses, die sie doch angefordert hatte, abzuwarten. Dies ist jedoch für die Zulässigkeit der Klage unerheblich.

Zur Begründetheit

9.

Die Kommission wirft, wie ausgeführt, Deutschland vor, Bewilligungen für aktive Veredelungsvorgänge auch dann erteilt zu haben, wenn die in der Übereinkunft vorgesehenen Mindesteinfuhrpreise nicht eingehalten worden seien. Hierin liege ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Einhaltung der in der Übereinkunft festgesetzten Mindest- ausfuhrpreise sowie ein Verstoß gegen die Verordnung, da bereits die Erteilung von Bewilligungen im vorliegenden Fall bedeute, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen im Sinne der Artikel 5 bis 8 der Verordnung nicht beachtet worden seien.

Die deutsche Regierung bestreitet nicht, im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs die Einfuhr von Milcherzeugnissen zu Preisen unter den in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreisen zu bewilligen. Die Zulassung der in Rede stehenden Erzeugnisse zum aktiven Veredelungsverkehr falle jedoch nicht in den Anwendungsbereich der Übereinkunft. Zur Begründung führt die deutsche Regierung aus, daß a) die Begriffe Einfuhr und Ausfuhr im Sinne der Übereinkunft nur Waren erfassen sollten, die sich im freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft befänden, und nicht Waren, die sich im aktiven Veredelungsverkehr befänden, und daß b) die Anwendung handelspolitischer Maßnahmen — und damit auch der Übereinkunft — auf in den aktiven Veredelungsverkehr übergeführte Waren ausdrücklich durch Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91 (die mit Artikel 16 der früheren Verordnung Nr. 3677/86 wörtlich übereinstimme) und seit dem 1. Januar 1994 durch Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe b des Zollkodexes der Gemeinschaft ausgeschlossen sei.

10.

Angesichts dieser Argumentation ist vor allem zu prüfen, ob die Übereinkunft, die keine entsprechende ausdrückliche Bestimmung enthält, auf den Handelsverkehr mit Drittländern im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs anwendbar ist.

11.

Der Wortlaut der Übereinkunft, auf den sich die Parteien berufen, ist nicht ausschlaggebend. Zwar sehen, wie die Kommission dargetan hat, die Artikel 3 Absatz 7 des Anhangs I und 3 Absatz 6 der Anhänge II und III, die ihren Anwendungsbereich auf die Ausfuhren der entsprechenden Erzeugnisse, unabhängig davon erstrecken, ob sie im Zollgebiet eines der Teilnehmer und somit der Gemeinschaft „hergestellt“ oder „umgepackt“ wurden, keine Ausnahme vor. Andererseits brauchen die im Zollgebiet der Gemeinschaft „hergestellten“ oder „umgepackten“ Erzeugnisse zumindest nicht zwangsläufig mit den Erzeugnissen übereinzustimmen, die durch die Bearbeitung, Verarbeitung oder Ausbesserung im Sinne der Regelung für den aktiven Veredelungsverkehr hergestellt werden. Allenfalls läßt sich aus der Auslegung der Kommission — ihre Richtigkeit unterstellt — herleiten, daß die Übereinkunft auch auf Ausfuhren nach einem Vorgang der aktiven Veredelung anwendbar ist, jedoch sicherlich nicht auf Einfuhren von Waren, die dieser Regelung unterliegen.

Die Kommission macht jedoch geltend, daß eine andere Auslegung nicht nur dem Zweck der Übereinkunft widerspräche, sondern auch einen Anreiz für die Nichtbeachtung der Übereinkunft selbst schaffte, indem die Vertragsstaaten die in Rede stehenden Erzeugnisse aus Drittländern zu Preisen unter den in der Übereinkunft festgesetzten beziehen und sie nach der Verarbeitung im aktiven Veredelungsverkehr sogar wieder ausführen könnten, ohne dabei auch nur die Mindestpreise bei der Ausfuhr einzuhalten.

12.

Vor allem aber würde die mit der Übereinkunft angestrebte Stabilität des Marktes durch die Gewährleistung der Ausweitung und Liberalisierung des Welthandels mit den in Rede stehenden Erzeugnissen gefährdet, wenn es den Wirtschaftsteilnehmern in der Gemeinschaft möglich wäre, die in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreise nicht einzuhalten, und sei es auch nur im Bereich des aktiven Veredelungsverkehrs. Berücksichtigt man ferner, daß die Preise in der Gemeinschaft viel höher als die Weltmarktpreise sind, wird nur zu deutlich, daß die Herausnahme der dem aktiven Veredelungsverkehr unterliegenden Waren aus dem Anwendungsbereich der Übereinkunft unausweichlich den Belangen der Erzeuger in der Gemeinschaft schaden würde.

Ich bin daher der Ansicht, daß in Ermangelung einer ausdrücklichen entgegenstehenden Bestimmung der Übereinkunft der Ansicht der Kommission zu folgen ist. Dies bedeutet natürlich, daß dann, wenn der Zollwert unter den in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreisen liegt, die Bewilligung von Vorgängen des aktiven Veredelungsverkehrs selbst grundsätzlich einen Verstoß gegen die Übereinkunft darstellt.

13.

Die deutsche Auffassung, die in Rede stehende Verpflichtung stelle nur eine solche zur Zusammenarbeit dar, ändert an dem Problem nichts. Die einschlägige Bestimmung verpflichtet die Parteien zwar nur, „bei der Verwirklichung der Mindestpreisziele dieses Protokolls zusammen[zu] arbeiten und soweit möglich sicher[zu]stellen, daß die ... Erzeugnisse nicht unter dem Zollwert eingeführt werden, der den vorgeschriebenen Mindestpreisen entspricht“ ( 10 ). Wie die Kommission vorträgt, ist die Formulierung dieser Bestimmung aber darauf zurückzuführen, daß die vertragschließenden Staaten manchmal nicht in der Lage sind, die Einfuhr der in Rede stehenden Erzeugnisse zu Preisen unter den in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreisen zu verhindern.

Im vorliegenden Fall ist offensichtlich, daß der Staat in der Lage ist, die Einfuhr zu verhindern: Er braucht nur die Erteilung der unerläßlichen Bewilligung abzulehnen.

14.

Hingegen halte ich den Vorwurf der Nichteinhaltung der Mindestausfuhrpreise für unbegründet. Hierzu führt die Kommission nur aus, daß die Nichtbeachtung der Mindestpreise bei der Einfuhr automatisch zur Folge habe, daß auch die Wiederausfuhr der in Rede stehenden Erzeugnisse zu Preisen unter den Mindestpreisen erfolge. Deutschland erwidert, daß die Kosten der aktiven Veredelungsvorgänge (Be- und Verarbeitung oder Ausbesserung) zusammen mit den Transportkosten dazu führten, daß die in Rede stehenden Erzeugnisse zu höheren als den in der Übereinkunft festgesetzten Preisen wieder ausgeführt würden.

Angesichts dieser Behauptung, die von der Kommission nicht substantiiert bestritten worden ist, obwohl dieser die Beweislast für das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung obliegt ( 11 ), ist dieser Vorwurf jedoch zurückzuweisen.

15.

Die deutsche Regierung macht jedoch, wie bereits ausgeführt, einen Widerspruch zwischen der Übereinkunft und der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs geltend: Nach Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91 und, seit dem 1. Januar 1994, nach Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodexes der Gemeinschaft habe die Überführung in den aktiven Veredelungsverkehr, im vorliegenden Fall in das Nichterhebungsverfahren, zur Folge, daß die für solche Waren vorgesehenen handelspolitischen Maßnahmen nicht anwendbar seien.

16.

Die Kommission macht geltend, daß sich die Beklagte nicht auf Artikel 16 der Durchführungsverordnung der Kommission berufen könne, da dieser besondere handelspolitische Maßnahmen bei der Einfuhr betreffe, während es sich im vorliegenden Fall nicht um spezifische Maßnahmen bei der Einfuhr, sondern um ergänzende Maßnahmen zur Regelung bei der Ausfuhr handele. Zumindest deshalb könne sich die deutsche Regierung nicht auf die in Rede stehenden Bestimmungen berufen, weil diese in einer Durchführungsverordnung der Kommission und nicht in der Grundverordnung des Rates enthalten seien.

Die Kommission räumt sodann ein, daß ihr Vorbringen nach dem Inkrafttreten des Zollkodex an Überzeugungskraft verloren habe, dessen Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a Waren im aktiven Veredelungsverkehr von handelspolitischen Maßnahmen schlechthin freistelle. Sie sucht zwar darzutun, daß diese Bestimmung mit der Übereinkunft vereinbar sei, hat sich aber in der mündlichen Verhandlung auf das Vorbringen beschränkt, daß diese Bestimmung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei, da der Zollkodex erst nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist in Kraft getreten sei.

17.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes erfolgt die Feststellung der Vertragsverletzung bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist ( 12 ). Daraus folgt für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens, daß die Deutschland zur Last gelegte Vertragsverletzung streng genommen nicht nach Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex beurteilt werden darf, da dieser am 1. Januar 1994 in Kraft trat, während die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist im April 1993 ablief.

Prozeßökonomische Erwägungen sprechen jedoch für eine andere Lösung. Zum einen würde das zu erlassende Urteil nur für die Vergangenheit gelten, so daß sich das hier erörterte Problem erneut für die Zeit nach dem 1. Januar 1994 stellen würde. Zum anderen hat die Kommission selbst in der Klageschrift erstmals Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex zitiert und geprüft, ob dieser die gerügte Vertragsverletzung Deutschlands beseitigen könnte. Die Kommission hat weiter in ihrer schriftlichen Antwort auf eine entsprechende Frage des Gerichtshofes ausgeführt, falls das beanstandete Verhalten der deutschen Regierung durch eine Verordnung des Rates gestattet sein sollte, wäre eine Klage nach Artikel 173 gegen den Rat auf Nichtigerklärung seiner Maßnahme sicherlich angemessener als eine Klage nach Artikel 169 gegen den „den Vertrag verletzenden“ Mitgliedstaat.

Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex übernimmt und erweitert den Inhalt des Artikels 16 der Verordnung Nr. 2228/91. Wenn dieser Artikel der Übereinkunft widersprechen sollte, würde daher die genannte Bestimmung des Zollkodex der Übereinkunft erst recht widersprechen. Somit ist in erster Linie zu prüfen, ob die Übereinkunft als besondere handelspolitische Maßnahme bei der Einfuhr im Sinne von Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91 anzusehen ist.

18.

Das knappe Vorbringen der Kommission, in Wirklichkeit handele es sich um eine ergänzende Maßnahme bei der Ausfuhr, erscheint nicht als überzeugend und wird jedenfalls nicht hinreichend begründet. Wenn es sich auf den Umstand bezieht, daß die Verpflichtung, die Mindestpreise einzuhalten, nur für die Ausfuhren uneingeschränkt gilt, während den Parteien bei der Einfuhr nur vorgeschrieben werde, „bei der Verwirklichung der Mindestpreisziele dieses Protokolls zusammen [zu] arbeiten und soweit möglich sicher[zu]stellen, daß die ... Erzeugnisse nicht unter dem Zollwert eingeführt werden, der den vorgeschriebenen Mindestpreisen entspricht“ ( 13 ), so steht es im Widerspruch sowohl zum Wortlaut der Übereinkunft als auch zur Ansicht der Kommission.

Die Kommission hat nämlich im Verfahren vorgetragen, daß die Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestpreise bei der Einfuhr nur deshalb nicht umfassend geregelt sei, weil die Vertragsstaaten nicht immer die rechtliche Möglichkeit hätten, Einfuhren zu niedrigeren als den festgesetzten Preisen zu verhindern. Das weist darauf hin, daß die Übereinkunft zumindest in ihrer Zielsetzung und grundsätzlich eine Regelung eingeführt hat, die für Ein-wie für Ausfuhren gilt; dies wird durch die Ziele der Übereinkunft, wie sie dargestellt worden sind (s. Nrn. 11 und 12) bestätigt. Als Regelung, die für Ein-und Ausfuhren gilt, gehört die Übereinkunft in vollem Umfang zu den besonderen handelspolitischen Maßnahmen, die in Artikel 1 Nr. 12 der Verordnung Nr. 2228/91 definiert sind ( 14 ).

19.

Entschieden eigenartig, wenn nicht geradezu überraschend, ist daher das Vorbringen der Kommission, daß Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91 für die hier erheblichen Zwecke nicht herangezogen werden könne, da diese Bestimmung in einer von ihr erlassenen Durchführungsverordnung und nicht in einer Grundverordnung des Rates enthalten sei. Es ist nicht recht klar, ob die Kommission vortragen will, daß sie Durchführungsverordnungen erlassen dürfe, deren Bestimmungen im Widerspruch zu einer internationalen Übereinkunft stehen, an der die Gemeinschaft beteiligt sei, und gleichzeitig geg en diejenigen Mitgliedstaaten vorgehen dürfe, die diese Verordnungen beachteten, oder daß ein Verstoß gegen eine internationale Übereinkunft durch gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen nur dann erheblich sei, wenn er vom Rat begangen werde.

Ganz offensichtlich ist die Ansicht der Kommission nicht nur unverständlich, sondern auch unzutreffend, da nicht geltend gemacht wird, daß Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91 gegen die Grundverordnung verstieße. Jedoch steht Artikel 16 bereits dadurch im Widerspruch zur Übereinkunft, daß er Waren im aktiven Veredelungsverkehr von deren Geltungsbereich ausnimmt; dieser Widerspruch wird mit dem Inkrafttreten des Zollkodex der Gemeinschaft noch verschärft. Der Wortlaut des Artikels 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex läßt nämlich keinen Zweifel daran, daß handelspolitische Maßnahmen auf die dem in Rede stehenden Verfahren unterliegenden Waren nicht anwendbar sind, so daß die vorstehenden Ausführungen erst recht für diese Bestimmung gelten: Der festgestellte Widerspruch zwischen der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs und der Übereinkunft wird hierdurch bestätigt und geradezu verschärft.

20.

Somit ist zu klären, ob Deutschland trotz dieses Widerspruchs verpflichtet ist, die Übereinkunft zu beachten, und ob die Klage trotz der besonderen Umstände des vorliegenden Falles Erfolg haben kann.

Die Kommission schickt voraus, daß gemäß Artikel 228 Absatz 7 EG-Vertrag die zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Staaten geschlossenen Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich seien, und macht geltend, wenn die deutschen Behörden die Gemeinschaftsregelung über den aktiven Veredelungsverkehr und die Übereinkunft richtig anwenden würden, würde es in diesen Fällen überhaupt nicht zu einer Erteilung der Bewilligung zur aktiven Veredelung kommen, so daß sich das Problem der Unvereinbarkeit nicht stellen würde. Die Kommission ist der Ansicht, daß die Einfuhrbewilligungen dann, wenn die Preise unter den in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreisen lägen, abgelehnt und/oder, wenn sie bereits erteilt worden seien, zu widerrufen seien, da in diesen Fällen die in der in Rede stehenden Regelung für die Erteilung der Bewilligungen vorgeschriebenen wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Dies sei im wesentlichen deshalb erforderlich, weil die Gemeinschaft in dem Umfang, in dem die durch die Übereinkunft festgesetzten Mindestpreise nicht eingehalten würden, höhere Agrarausgaben hätte, was sich auf die Erzeuger in der Gemeinschaft nachteilig auswirken würde.

21.

Die Auffassung der Kommission scheint dahin zu gehen, daß die Vertragsverletzung auch dann vorlägen, wenn es die Übereinkunft, insbesondere die durch diese geschaffene Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestpreise, nicht gäbe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Kommission wendet sich nämlich tatsächlich nicht gegen die deutsche Ansicht, daß die Bewilligungen in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1999/85 ( 15 ) erteilt worden seien. Sie räumt im Gegenteil ein, daß der durch diese Bestimmung geregelte Fall bei den in Rede stehenden Erzeugnissen häufig eintrete und daß daher unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens der wirtschaftlichen Voraussetzungen streng genommen kein Verstoß gegen die Verordnung gegeben sei. Allerdings könne die Gemeinschaft keinesfalls hinnehmen, daß Geschäfte zu niedrigeren als den Mindesteinfuhrpreisen schutzwürdig seien, und zwar wegen der einschlägigen Bestimmungen der Übereinkunft und ihrer Wirkung nach Artikel 228 Absatz 7 EWG-Vertrag.

Alles in allem würde nach der Ansicht der Kommission eine mit der Übereinkunft im Einklang stehende Auslegung der Gemeinschaftsregelung bedeuten, daß eine Berufung auf die in der Übereinkunft festgesetzten wirtschaftlichen Voraussetzungen auch dann unmöglich wäre, wenn sie tatsächlich vorlägen, da gemäß Artikel 228 Absatz 7 die Übereinkunft der Verordnung vorgeht. Dies bedeutet weiter, daß der Widerspruch zwischen der Übereinkunft und der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs weit über die Abgrenzung der beiderseitigen Geltungsbereiche hinausgeht und daß es das Kriterium der konformen Auslegung letztlich nicht ermöglicht, ihn zu beseitigen.

22.

Mehr noch. Die Überlegungen der Kommission, die letztlich einen Zirkelschluß darstellen, führen unausweichlich zu dem Ergebnis, daß der Vorwurf eines Verstoßes gegen die Verordnung unbegründet ist. Die Erteilung von Bewilligungen auch in Fällen, in denen die Preise der in Rede stehenden Waren unter den in der Übereinkunft festgesetzten Mindestpreisen liegen, könnte tatsächlich auf deren Nichtbeachtung schließen lassen, jedoch sicherlich nicht — zumindest nicht ohne weiteres — darauf, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Artikel 5 bis 8 der Verordnung Nr. 1999/85 nicht beachtet worden sind. Im vorliegenden Fall bestreitet die Kommission ja nicht, daß diese Voraussetzungen im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung erfüllt sind.

Damit ist der Vorwurf eines Verstoßes gegen die Verordnung zurückzuweisen. Es bleibt jedoch zu untersuchen, ob der festgestellte Widerspruch zwischen der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs und der Übereinkunft wegen des Vorrangs der Übereinkunft gegenüber der Regelung zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland, beschränkt — dies sei wiederholt — auf die Verletzung der Verpflichtung, die Mindesteinfuhrpreise einzuhalten, führen kann oder muß.

23.

Das ist nicht der Fall. Ich beabsichtige freilich nicht, den Vorrang der Übereinkunft vor dem abgeleiteten Recht in Frage zu stellen. Jedoch verkennt die Kommission offensichtlich, daß nach Artikel 228 Absatz 7 EG-Vertrag die internationalen Abkommen, an denen sich die Gemeinschaft beteiligt, nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Organe und somit auch für den Rat und die Kommission selbst verbindlich sind. Zwar ist der Standpunkt der Kommission folgerichtig, daß die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus dem GATT nicht selbst auslegen und selbständig darüber bestimmen können, ob sie sie einhalten oder nicht, und daß sie sich nicht auf ihre eigene Auslegung berufen können, um die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts mit diesen Verpflichtungen zu rügen. In beiden Fällen macht die Kommission ihr Recht geltend, selbst zu entscheiden, da nach außen hin nur die Gemeinschaft für die richtige „gemeinschaftliche“ Auslegung der aufgrund des GATT übernommenen Verpflichtungen verantwortlich sein könne.

Das hat zwangsläufig zur Folge, daß die Überwachung der Einhaltung eines Abkommens, das sowohl für die Gemeinschaft als auch für die Mitgliedstaaten verbindlich ist, vom Gerichtshof nur dann vorgenommen werden kann, wenn die Verletzung durch den Mitgliedstaat erfolgt ist, jedoch nicht, wenn die Verletzung des Abkommens auf ein Verhalten der Organe zurückzuführen ist. In diesem zuletzt genannten Fall unterliegt nämlich eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem GATT nur den völkerrechtlichen Sanktionen. Diese höchst überraschende Ansicht hat der Gerichtshof kürzlich bestätigt ( 16 ): Die Verpflichtungen aus dem GATT stellen kein Kriterium für die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Organe dar, auch wenn dieses zu einem Rechtsakt geführt hat, den die Mitgliedstaaten grundsätzlich beachten müssen ( 17 ).

24.

Diese Rechtsprechung schließt es, auf den vorliegenden Fall übertragen, aus, daß der Gerichtshof das deutsche Verhalten unter dem Gesichtspunkt des behaupteten Widerspruchs zwischen der Regelung des aktiven Veredelungsverkehrs und der Übereinkunft würdigt, da dieser Widerspruch unzweideutig bedeuten würde, daß zunächst die Kommission (Artikel 16 der Verordnung Nr. 2228/91) und sodann der Rat (Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex der Gemeinschaft) die Übereinkunft verletzt hätten. Ein solches Ergebnis wäre jedoch nicht hinnehmbar, insbesondere, weil es dazu führen würde, daß der Gerichtshof das Verhalten des beklagten Staates nur in bezug auf die Übereinkunft beurteilen dürfte, ohne den Umstand zu berücksichtigen, daß das von der Kommission heute beanstandete Verhalten durch eine ihrer Verordnungen gestattet wurde, die somit unter Verletzung der Übereinkunft erlassen wurde.

Der Ausschluß der Möglichkeit, sich auf die GATT-Bestimmungen zu berufen, um die Gültigkeit gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften anzufechten, und das weite Ermessen, das sich daraus für den Rat und die Kommission in bezug auf den Inhalt und die Wirkungen der entsprechenden Verpflichtungen ergibt, darf nicht dazu führen, daß der betroffene Mitgliedstaat verurteilt werden könnte, weil er die Verordnung beachtet hat, hingegen der Übereinkunft nicht nachgekommen ist. Es ist nämlich nicht hinnehmbar, daß ein solcher Widerspruch zwischen der Gemeinschaftsregelung und der Übereinkunft unerheblich sein soll.

25.

Schließlich müssen Rechtsakte der Gemeinschaft, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, „eindeutig sein“; „ihre Anwendung muß für die Betroffenen vorhersehbar sein“ ( 18 ) und dies gilt gerade nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft ist ( 19 ).

Dies gilt erst recht in einem Fall der vorliegenden Art, in dem die Mehrdeutigkeit und die Konfusion, zu der offensichtlich widersprüchliche Bestimmungen geführt haben, mit den Schwierigkeiten zusammentreffen, die der betroffene Staat bei der Suche nach einer internen (Gemeinschafts-)Lösung des Problems hatte, die er aber über den Ausschuß nach Artikel 113 versuchte.

26.

Eine letzte Bemerkung. Sollte der Gerichtshof — aus den gleichen Gründen, die ihn dazu veranlaßt haben, die Möglichkeit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Rechtshandlungen der Gemeinschaft zu verneinen — feststellen, daß die Verpflichtungen aus dem GATT auch in bezug auf das Verhalten der Mitgliedstaaten nicht als Rechtmäßigkeitskriterium dienen können, läge die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache auf der Hand und wäre daher einfach. Die Klage müßte zumindest hinsichtlich des Gesichtspunkts des Verstoßes gegen die Übereinkunft unabhängig von der Sachprüfung für offensichtlich unbegründet, strenggenommen sogar für unzulässig erklärt werden.

27.

Im Lichte der angestellten Erwägungen schlage ich daher vor,

die Klage abzuweisen und

der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


( *1 ) Originalsprachc: Italienisch.

( 1 ) ABl. 1980, L71, S. 1.

( 2 ) ABl. L 188, S. 1.

( 3 ) Beispielsweise ist eine Ausnahme für Milchpulver zu Futterzwecken vorgesehen (Artikel 3 Absatz 5 des Anhangs I).

( 4 ) ABl. L 210, S. 1.

( 5 ) Diese Bestimmung ist gleichlautend mit Artikel 16 der Verordnung Nr. 3677/86 (ABl. L 351, S. 1), die in die Verordnung Nr. 2228/91 übernommen und daher aufgehoben wurde.

( 6 ) ABl. L 302, S. 1.

( 7 ) Hervorhebung nur hier.

( 8 ) Hervorhebung von mir. Es handelt sich um eine inoffizielle Übersetzung; soweit hier erheblich, spricht der französische Text von einer „contradiction évidente“ und der englische von einer „apparent discrepancy“.

( 9 ) Das Ermessen, über das die Kommission in diesem Zusammenhang verfügt, ist vom Gerichtshof mehrfach, wenn auch in anderem Zusammenhang, hervorgehoben worden. Vgl. z.B. Urteil vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87 (Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnr. 11).

( 10 ) Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a des Anhangs I und die entsprechenden Bestimmungen der beiden anderen Anhänge. Nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c des Anhangs I und nach den entsprechenden Bestimmungen der anderen beiden Anhänge sind die Teilnehmer ferner verpflichtet, „Vorschläge für geeignete Abhilfemaßnahmen für den Fall, daß Einfuhren zu Preisen, die mit den Mindestpreisen nicht vereinbar sind, die Anwendung dieses Protokolls gefährden, wohlwollend [zu] prüfen“.

( 11 ) Vgl. zuletzt Urteil vom 27. April 1993 in der Rechtssache C-375/90 (Kommission/Griechenland, Slg. 1993, I-2055, Randnr. 33).

( 12 ) Diese Rechtsprechung zu Verhaltensweisen und/oder Rcchtsändcrungcn nach diesem Zeitpunkt entfaltet ihre Wirkungen jedoch in zweierlei Hinsicht: entweder zugunsten des Interesses der Kommission an der Feststellung einer Vertragsverletzung, auch wenn diese inzwischen abgestellt wurde (so z. B. Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 283/86, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 3271, Randnr. 6, sowie Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-433/93, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2303, Randnr. 15), oder zugunsten des Interesses des Mitgliedstaats, daß ihm nur solche Vorwürfe zur Last gelegt werden, die bereits im vorprozessualen Verfahren vorgebracht worden sind, dessen wesentliche Zwecke — insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs — sonst vereitelt würden (s. u. a. Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 16, sowie Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 298/86, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 4343, Randnr. 10). Diese letzte These wird jedoch nicht als absolut verstanden. Der Gerichtshof hat nämlich in Fällen, in denen zwischen dem vorgerichtlichen Verfahren und der Klageerhebung eine Rcchtsändcrung eintritt, neue Vorwürfe zugelassen, wenn „die Regelung, die mit den im vorprozessualen Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften eingeführt wurden, durch die neuen Maßnahmen, die der Mitgliedstaat nach der mit Gründen verschenenen Stellungnahme erlassen hat und die mit der Klage angegriffen werden, insgesamt aufrechterhalten worden ist“ (Urteil vom 17. November 1992 in der Rechtssache C-105/91, Kommission/Griechenland, Sie. 1992, I-5871, Randnr. 13). Nimmt man den gleichen Standpunkt auch in bezug auf erfolgte Änderungen der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft ein, so verdienen die auf Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodcxcs gestützten Rügen der deutschen Regierung Berücksichtigung.

( 13 ) Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c des Anhang I und die entsprechenden Artikel der anderen beiden Anhänge.

( 14 ) Daß handelspolitische Maßnahmen auf Waren im aktiven Vcrcdclungsvcrkchr, im vorliegenden Fall im Nichtcrhcbungsverfahren, nicht anwendbar sind, wird indirekt durch Artikel 51 der Verordnung Nr. 2228/91 bestätigt, wonach die Überführung von Einfuhrwaren in den zollrechtlich freien Verkehr „davon abhängig [ist], daß die Zollbehörde die für die Einfuhrwaren zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zum zollrcchtlich freien Verkehr geltenden besonderen handelspolitischen Maßnahmen anwendet“.

( 15 ) Nach dieser Bestimmung liegen die wirtschaftlichen Voraussetzungen vor, wenn die zur Veredelung bestimmten Waren in der Gemeinschaft erzeugt werden, jedoch nicht verwendet werden können, weil das beabsichtigte Handelsgeschäft wegen ihres Preises unwirtschaftlich wäre.

( 16 ) Ich beziehe mich insbesondere auf das Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93 (Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973), in dem der Gerichtshof davon ausgegangen ist, daß die GATT-Bcstimmungcn keine unmittelbare Wirkung entfalten, und es ausgeschlossen hat, daß er sie „für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung im Rahmen einer von einem Mitgliedstaat nach Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag erhobenen Klage berücksichtigt“ (Randnr. 109); weiter hat er ausgeführt: „[Der Gerichtshof hat] die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftshandlung nur dann im Hinblick auf die Vorschriften des GATT zu prüfen, wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die Gcmcinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen dieses Abkommens verweist“ (Randnr. 111).

( 17 ) Dicse Rechtsprechung ist nicht frei von Kritik geblieben: siehe z. B. Vellano, „Osservazioni in tema di diretta applicabilità dcl GATT: l'opportunità di una svolta interpretativa“, in Giurisprudenza italiana, 1995, Scz. I, col. 1145 ff.; Hahn und Schuster, „Le droit des Etats membres de sc prévaloir en justice d'un accord liant la Communauté“ in Revue générale de droit international public, 1995, S. 367 ff. Diese Autoren schicken voraus, daß die Abwägung, ob eine Berufung auf das GATT möglich sei, auf diese Weise völlig in die Hände des Rates gegeben worden sei, und führen insbesondere aus: „Der Gerichtshof muß sich fragen, ob dieser Standpunkt mit seiner in Artikel 164 EG-Vertrag festgesetzten Aufgabe, die Wahrung des Rechts zu sichern, vereinbar ist“ (S. 377).

( 18 ) Siehe u. a. Urteil vom 22. Februar 1984 in der Rechtssache 70/83 (Kloppenburg, Sig. 1984, 1075, Randnr. 11), Urteile vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 325/85 (Irland/Kommission, Slg. 1987, 5041, Randnr. 18), in der Rechtssache 326/85 (Niederlande/Kommission, Slg. 1987, 5091, Randnr. 24), in der Rechtssache 332/85 (Deutschland/Kommission, Slg. 1987, 5143, Randnr. 23), in der Rechtssache 336/85 (Frankreich/Kommission, Slg. 1987, 5173, Randnr. 17) und in der Rechtssache 348/85 (Dänemark/Kommission, Slg. 1987, 5225, Randnr. 19); ferner zuletzt im Urteil vom 16. Juni 1993 in der Rechtssache C-325/91 (Frankreich/Kommission, Slg. 1993, I-3283, Randnr. 26).

( 19 ) Urteil vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2633, Randnr. 30).