61993A0015

URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 30. NOVEMBER 1993. - PHILIPPE VIENNE GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE/SONSTIGE BEDIENSTETE - TAGEGELDER - DREIMALIGER BEZUG ALS HILFSKRAFT, BEDIENSTETER AUF ZEIT UND BEAMTER AUF PROBE. - RECHTSSACHE T-15/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite II-01327


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


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1. Beamte ° Kostenerstattung ° Tagegeld ° Zweck ° Beamter auf Probe, der zunächst Hilfskraft und dann Bediensteter auf Zeit war ° Begrenzung der Dauer der Zahlung ° Ausschluß

(Beamtenstatut, Anhang VII Artikel 10; Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten)

2. Beamte ° Klage ° Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ° Zahlungsantrag ° Zulässigkeit

(Beamtenstatut, Artikel 91)

3. Beamte ° Klage ° Vorherige Verwaltungsbeschwerde ° Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen, der erstmals vor dem Gericht für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gestellt wird ° Zulässigkeit

(Beamtenstatut, Artikel 90 und 91)

Leitsätze


1. Das in Artikel 10 Absatz 1 des Anhangs VII des Statuts vorgesehene Tagegeld, auf das der neu eingestellte Beamte Anspruch hat, bevor er umzieht, um am Ort seiner dienstlichen Verwendung Wohnung zu nehmen, soll einen Ausgleich für die Kosten und Unannehmlichkeiten gewähren, die durch die Notwendigkeit entstehen, hin und her zu reisen und sich vorläufig am Dienstort einzurichten, zugleich aber vorläufig den früheren Wohnsitz beizubehalten.

Keine Bestimmung des Statuts oder der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten sieht eine restriktive Regelung für den Fall eines Beamten vor, der zum Beamten auf Probe ernannt wird, nachdem er zunächst Hilfskraft und dann Bediensteter auf Zeit war, und eine solche Restriktion ist auch nicht geboten. In einer solchen Lage, in der die Unsicherheit des Beschäftigungsverhältnisses ausser Frage stand, dient die Gewährung des Tagegeldes nämlich einem speziellen Zweck, der darin besteht, den Betroffenen von einem Umzug abzuhalten, der, falls der Betroffene nicht zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wird, verfrüht gewesen wäre und im Fall des Ausscheidens des Betroffenen aus dem Dienst zu einer doppelten Erstattung der Umzugskosten führen würde. In Anbetracht dessen muß der Betroffene aber im Gegenzug bis einen Monat nach Ablauf dieses Zeitraums der Unsicherheit das Tagegeld erhalten, und zwar unabhängig davon, daß er derartige Entschädigungen bereits während früherer Zeiträume erhalten hat, in denen diese Unsicherheit ebenfalls bestand.

2. Im Rahmen einer auf Artikel 91 des Statuts gestützten Klage, die eine Streitsache vermögensrechtlicher Art betrifft, verfügt der Gemeinschaftsrichter über eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, so daß ein Antrag auf Anordnung der Zahlung des den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Tagegeldes zulässig ist.

3. Bei Beamtenklagen setzt die Zulässigkeit eines beim Gericht gestellten Antrags auf Zahlung von Verzugszinsen für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht voraus, daß er in der vorherigen Verwaltungsbeschwerde ausdrücklich erwähnt wurde.

Entscheidungsgründe


Sachverhalt und Verfahren

1 Der Kläger, der seinerzeit in Brüssel-Anderlecht wohnte, wurde am 1. November 1990 vom Europäischen Parlament (im folgenden: Parlament) als Hilfskraft mit einem Vertrag auf unbestimmte Dauer eingestellt und in Luxemburg dienstlich verwendet. Er bezog auf der Grundlage des Artikels 69 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Beschäftigungsbedingungen) das in Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) vorgesehene Tagegeld. Bei seiner Einstellung nahm der Kläger in Messancy nahe der belgisch-luxemburgischen Grenze Wohnung, um dem Wohnsitzerfordernis gemäß den Artikeln 54 der Beschäftigungsbedingungen und 20 des Statuts nachzukommen, während seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder in Anderlecht blieben.

2 Am 1. Januar 1991 wurde der Kläger vom Parlament als Bediensteter auf Zeit mit einem Vertrag auf unbestimmte Dauer eingestellt, der eine Probezeit von sechs Monaten vorsah. Er bezog auf der Grundlage von Artikel 25 der Beschäftigungsbedingungen weiterhin das vorgenannte Tagegeld, das ihm von diesem Zeitpunkt an für die Dauer seiner Probezeit, d. h. sechs Monate lang, gezahlt wurde.

3 Am 16. Dezember 1991 wurde der Kläger vom Parlament als Beamter auf Probe der Besoldungsgruppe B 5 eingestellt und weiter in Luxemburg dienstlich verwendet. Nach seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit im Oktober 1992 schickte sich der Kläger an, den Wohnsitz seiner Familie in Anderlecht aufzugeben.

4 Ab dem 16. Dezember 1991 erhielt der Kläger in seiner Eigenschaft als Beamter auf Probe wiederum das vorgenannte Tagegeld, und zwar für einen Zeitraum von 128 Tagen, also bis zum 21. April 1992. Damit begrenzte die Verwaltung den gesamten Zeitraum, in dem sie ihm das Tagegeld gewährte, auf zwölf Monate (oder 365 Tage), wobei sie folgende Berechnung vornahm:

° gesamter Zeitraum der Gewährung vor der Ernennung des Klägers

° als Hilfskraft vom 5. November 1990 bis 31. Dezember 1990 (zwei Monate oder 57 Tage)

° als Bediensteter auf Zeit vom 1. Januar 1991 bis 30. Juni 1991 (sechs Monate oder 180 Tage),

also acht Monate oder 237 Tage

° verbleibender Rest bei einer Hoechstdauer von 12 Monaten (oder 365 Tagen):

365 Tage ° 237 Tage = 128 Tage.

5 Aus der Abrechnung der Dienstbezuege des Klägers für Juni 1992 ging erstmals hervor, daß die Zahlung des Tagegeldes rückwirkend ab 22. April 1992 eingestellt worden war. Auf die Bitte des Klägers bei der Abrechnungsstelle um mündliche Erläuterungen dazu wurde ihm erklärt, daß es eine Verwaltungspraxis des Generalsekretariats des Parlaments gebe, nach der die verschiedenen Zeiträume zusammengezählt würden, die der Empfänger als Hilfskraft, als Bediensteter auf Zeit und als Beamter auf Probe zurückgelegt habe; somit zahle die Verwaltung das Tagegeld nur für höchstens zwölf Monate.

6 Mit Schreiben vom 7. Juli 1992, das am 13. Juli 1992 in das Register des Generalsekretariats des Parlaments eingetragen wurde, legte der Kläger gegen die Abrechnung seiner Bezuege für Juni 1992 Beschwerde ein, mit der er die Zahlung des Tagegeldes bis 15. Oktober 1992 (Dauer seiner Probezeit und ein Monat nach deren Ablauf) verlangte. Hierbei berief sich der Kläger insbesondere auf den Wortlaut des Artikels 10 des Anhangs VII des Statuts und machte geltend, daß die Praxis des Parlaments, die Gesamtdauer für die Zahlung des Tagegeldes unter Berücksichtigung der verschiedenen früheren Dienstverhältnisse auf ein Jahr zu begrenzen, weder dem Wortlaut noch dem Geist des Statuts entspreche. Er machte ferner geltend, daß das Tagegeld gewährt werde, damit der Beamte die aussergewöhnlichen Kosten tragen könne, die die gleichzeitige Unterhaltung zweier Wohnsitze mit sich bringe. Des weiteren führte er aus, daß die beanstandete Begrenzung bei anderen Gemeinschaftsorganen nicht vorgenommen werde und somit die Beamten des Parlaments durch die einschlägige Praxis des Generalsekretariats benachteiligt würden.

7 Mit Schreiben vom 3. Dezember 1992 teilte der Generalsekretär des Parlaments dem Kläger mit, daß seine Beschwerde zur Zeit geprüft werde und daß die aufgeworfene Frage dem Kollegium der Verwaltungschefs vorgelegt worden sei, um eine einheitliche Lösung zu suchen, da das Problem bei den verschiedenen betroffenen Organen unterschiedlich gehandhabt werde.

8 Nachdem der Kläger am 28. Januar 1993 ein Erinnerungsschreiben an den Generalsekretär des Parlaments geschickt hatte, erhielt er am 2. Februar 1993 eine Entscheidung, durch die seine Beschwerde ausdrücklich zurückgewiesen wurde. Der Generalsekretär erklärte in dieser Entscheidung zunächst, er verfüge noch nicht über die Stellungnahmen der anderen Organe im Hinblick auf eine gemeinsame Lösung, und bemerkte sodann, daß die Bestimmungen des Artikels 10 des Anhangs VII des Statuts gemäß Artikel 25 der Beschäftigungsbedingungen auch auf die den Beschäftigungsbedingungen unterliegenden Bediensteten Anwendung fänden, so daß die Vorschriften über die Gewährung des Tagegeldes einheitlich und stimmig ausgelegt und angewendet werden müssten. Eine Hoechstdauer von einem Jahr für die Gewährung des Tagegeldes sei aber sowohl in Artikel 25 der Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten auf Zeit als auch in Artikel 65 der Beschäftigungsbedingungen für die Hilfskräfte vorgesehen, d. h. bei den sowohl in rechtlicher als auch in materieller Hinsicht unsichersten Beschäftigungsverhältnissen bei den Gemeinschaften. Letztlich ergebe sich aus all diesen Bestimmungen, daß die Gewährung des Tagegeldes als eine Maßnahme der ersten Hilfe gedacht sei, die eben vorübergehender Natur sei und ausserdem präsumtiven Charakter habe, da man von dem Betroffenen keinen Nachweis der entstandenen Kosten verlange. Die Zahlung dieses Betrages erfolge auch nicht nach Maßgabe der dienstrechtlichen Stellung des Empfängers; daher könne sie nicht über die in den Verordnungsvorschriften vorgesehene günstigste Grenze hinaus verlängert werden, nur weil sich die Art des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Empfänger und dem Organ ändere.

9 Unter diesen Umständen hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, die am 9. Februar 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist. Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen. Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat jedoch den Parteien und den Gemeinschaftsorganen Fragen gestellt.

10 In Beantwortung der Frage des Gerichts nach ihrer Verwaltungspraxis in Fällen der vorliegenden Art haben der Gerichtshof, der Rat, die Kommission und der Rechnungshof übereinstimmend erklärt, daß ihre Praxis in einem solchen Fall dahin gehe, bei jedem Wechsel des Beschäftigungssystems das gesamte Tagegeld zu gewähren, so daß ein Beamter auf Probe das Tagegeld für die gesamte im Statut vorgesehene Dauer erhalte, selbst wenn er es bereits in seiner früheren Eigenschaft als Hilfskraft und als Bediensteter auf Zeit bezogen habe. Sie haben jedoch hinzugefügt, daß die Gewährung des Tagegeldes ausgeschlossen sei, wenn der Betroffene vorher eine Einrichtungsbeihilfe erhalten habe, und eingestellt werde, sobald er umgezogen sei. Der Rat, die Kommission und der Rechnungshof haben ferner mitgeteilt, daß die höheren Beträge für die ersten fünfzehn Tage bei einem Wechsel des Beschäftigungssystems nur einmal gezahlt würden, nämlich anläßlich der ersten Einrichtung des Betroffenen an seinem Dienstort, und daß das neue Tagegeld somit vollständig nach dem ab dem sechzehnten Tag vorgesehenen verminderten Satz bemessen werde.

Anträge der Parteien

11 Der Kläger beantragt,

° die vorliegende Klage für formal zulässig zu erklären;

° das Vorliegen eines Verstosses gegen Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts festzustellen;

° das Vorliegen eines Verstosses gegen den Grundsatz der Trennung der Befugnisse zwischen den ausführenden und den gesetzgebenden Organen der Europäischen Gemeinschaften festzustellen;

° daher die Aufhebung der Entscheidung des Generalsekretärs des Parlaments vom 2. Februar 1993 anzuordnen, die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen, mit der er beantragt hatte, ihm das Tagegeld gemäß Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts weiterzuzahlen;

° anzuordnen, daß das Parlament dem Kläger das nicht gezahlte Tagegeld in Höhe von 170 239 BFR zuzueglich Verzugszinsen ab dem Tag der Einlegung der Beschwerde auszahlt;

° dem Parlament sämtliche Auslagen und Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

12 Das Parlament beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verfahrensordnung zu entscheiden.

Gegenstand der Klage und geltend gemachte Klagegründe

13 Da der Kläger die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung seiner Beschwerde, die Zahlung des ausstehenden, von ihm beanspruchten Tagegeldes zuzueglich Verzugszinsen sowie die Feststellung gewisser angeblich rechtswidriger Handlungen des Parlaments beantragt hat, ist zunächst festzustellen, daß der Aufhebungsantrag den wesentlichen Klagegegenstand darstellt, während der Zahlungsantrag im Verhältnis zum erstgenannten Antrag eher Folge- und Annexcharakter besitzt. Daher ist zunächst der Aufhebungsantrag zu prüfen. Bezueglich der Anträge auf Feststellung gewisser angeblich rechtswidriger Handlungen ist darauf hinzuweisen, daß derartige Anträge, mit denen in Wirklichkeit begehrt wird, daß das Gericht bestimmte Klagegründe, auf die der Aufhebungsantrag gestützt wird, für berechtigt erklärt, unzulässig sind (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 108/88, Jänicke Cendoya/Kommission, Slg. 1989, 2711, Randnrn. 8 und 9).

14 Der Kläger hatte sich zur Stützung seiner Klage ursprünglich auf drei Gründe berufen, nämlich auf einen Verstoß gegen Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts, auf die Anwendung einer in den Rechtsvorschriften nicht vorhandenen Bestimmung und schließlich auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Trennung der Befugnisse. In Beantwortung einer vom Gericht im schriftlichen Verfahren gestellten Frage hat der Kläger jedoch ausdrücklich erklärt, er verzichte auf den letztgenannten dritten Klagegrund. Zum ersten und zweiten Klagegrund ist festzustellen, daß beide, wie das Parlament zu Recht bemerkt hat, auf einem gemeinsamen Grundargument beruhen: Nach Ansicht des Klägers darf die Verwaltung keine weite analoge Auslegung der verschiedenen Vorschriften über die Gewährung des Tagegeldes vornehmen, sondern muß sich darauf beschränken, jede einschlägige Bestimmung wörtlich anzuwenden. Unter diesem Blickwinkel erscheint es zweckmässig, dieses Vorbringen im Rahmen eines einzigen Klagegrundes zu prüfen.

Zum Aufhebungsantrag

Zum alleinigen Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts und der Anwendung einer nicht bestehenden Vorschrift

Vorbringen der Parteien

15 Der Kläger macht geltend, Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe b sehe vor, daß ein Beamter auf Probe Anspruch auf Tagegeld bis zu einem Monat nach Ablauf der Probezeit habe. Da sich seine Probezeit vom 16. Dezember 1991 bis 15. September 1992 erstreckt habe und da das Parlament die Zahlung des Tagegeldes ab 22. April 1992 eingestellt habe, habe es nicht den klaren und genauen Wortlaut der vorgenannten Bestimmung angewendet, sondern eine Auslegung vorgenommen, die auf den verschiedenen Rechtsvorschriften über die Zahlung des Tagegeldes an die Beamten auf Probe, die Hilfskräfte und die Bediensteten auf Zeit beruhe, und eine nicht bestehende Vorschrift angewendet, nämlich eine durch eine analoge weite Auslegung geschaffene "Norm", die die Gesamtdauer für die Zahlung des Tagegeldes auf zwölf Monate beschränke.

16 Der Kläger führt weiter aus, das Parlament verleihe dem nahtlosen Übergang von einem Beschäftigungssystem zu einem anderen zu Unrecht eine rechtliche Bedeutung und spreche von einer "Kumulierung des Tagegeldes". Es bestehe aber keine rechtliche Kontinuität zwischen den drei Beschäftigungsverhältnissen, die zwischen einem Bediensteten und den Gemeinschaftsorganen entstehen könnten. Sie seien durch die Gemeinschaftsregelung streng voneinander abgegrenzt, und es gebe keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen ihnen.

17 Wenn man von dem Grundsatz ausgehe, daß es drei Systeme gebe, müssten auch alle Folgen daraus akzeptiert werden. Jedes System bringe für den ihm unterliegenden Bediensteten spezielle Rechte und Pflichten mit sich. So könne sich dieser den Pflichten, die sein neues System vorsehe, nicht mit der Begründung entziehen, er habe entsprechende Pflichten im Rahmen seines früheren Systems übernommen (z. B. sei ein Beamter auf Probe verpflichtet, eine Probezeit abzuleisten, selbst wenn er eine solche bereits gemäß Artikel 14 der Beschäftigungsbedingungen bei seiner früheren Anstellung als Bediensteter auf Zeit abgeleistet habe). In der gleichen Weise müssten die Organe die Belastungen übernehmen, die mit dem jeweiligen System verbunden seien; im übrigen falle jedes System unter eine andere Haushaltslinie.

18 Das Parlament entgegnet, daß die Gemeinschaftsverwaltung im Rahmen eines Verfahrens, durch das einem Bediensteten die ihm beim Dienstantritt möglicherweise entstandenen Kosten in Form eines Tagegeldes erstattet werden sollten, gegebenenfalls berücksichtigen müsse, daß der Betroffene bereits dem Wohnsitzerfordernis des Artikels 20 des Statuts nachgekommen sei, da er, wenngleich im Rahmen eines anderen Beschäftigungssystems, schon im Dienst des Organs stehe, und daß er nach diesem System bereits das entsprechende Tagegeld erhalten habe. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts könne die grundsätzliche Trennung der drei verschiedenen Systeme der Beschäftigung bei den Gemeinschaften ° als Hilfskraft, als Bediensteter auf Zeit und als Beamter ° für sich genommen nicht rechtfertigen, daß ein Bediensteter, der nacheinander Dienstverhältnisse gemäß jedem dieser drei Systeme durchlaufen habe (und zwar nahtlos und ohne daß sich seine dienstliche Verwendung und sein "Dienstwohnsitz" geändert hätten), das gleiche Tagegeld gegebenenfalls dreimal hintereinander vollständig und automatisch in Anspruch nehmen könne.

19 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes finde das Tagegeld seine Rechtfertigung im wesentlichen in der Pflicht des Beamten, eine andere als seine bisherige Wohnung zu beziehen, ohne jedoch letztere aufgeben zu können, und solle einen Ausgleich für die Kosten und Unannehmlichkeiten gewähren, die durch die Beibehaltung dieser beiden Wohnungen entstuenden (Urteile vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 148/73, Louwage/Kommission, Slg. 1974, 81, und vom 5. Februar 1987 in der Rechtssache 280/85, Mouzourakis/Parlament, Slg. 1987, 589). Wenn dies somit der Zweck des Tagegeldes sei, gebe es keinen wirklich plausiblen Grund, es nochmals vollständig an dieselbe Person zu zahlen, die weiter im Dienst der Gemeinschaften stehe, aber dort "ein zweites Mal" ihren Dienst antrete. Zu diesem Zeitpunkt sei nämlich dem Gedanken, den Betroffenen nicht mit etwaigen Kosten zu belasten, die sich aus der Pflicht zur Wohnungnahme am Ort der dienstlichen Verwendung ergäben, bereits Rechnung getragen worden, und zwar genau dann, als der Betroffene dem Wohnsitzerfordernis des Artikels 20 des Statuts nachgekommen sei, dem er natürlich bei seinem "zweiten" Dienstantritt nicht mehr nachzukommen brauche. Mit anderen Worten könne also die theoretische Selbständigkeit jedes der drei Beschäftigungssysteme der Gemeinschaften niemals die Verpflichtung rechtfertigen, zwei- oder sogar dreimal das gleiche Tagegeld an dieselbe Person aus demselben Grund zu zahlen.

20 Das Parlament unterstreicht sodann den präsumtiven Charakter der Tagegeldregelung, bei der der Beamte nicht nachweisen müsse, daß ihm tatsächlich Kosten entstanden seien oder daß er materielle Bindungen an seinen ursprünglichen Wohnsitz beibehalten habe. Es betont auch den vorläufigen Charakter des Tagegeldes, dessen Zahlung auf einen vorbestimmten Zeitraum beschränkt sei, während dessen die Höhe des Tagegeldes überdies nach und nach geringer werde. Dieser letztgenannte Gesichtspunkt lasse darauf schließen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Zahlung eines Tagegeldes auch dann nicht mehr für gerechtfertigt halte, wenn am Ende dieses Zeitraums die Lage des Empfängers rechtlich (gleiches Arbeitsverhältnis) und tatsächlich (mehrere Wohnsitze) unverändert sei. Der Gesetzgeber sei also mit anderen Worten von dem Gedanken ausgegangen, daß nach Ablauf einer bestimmten Anzahl von Tagen seit dem Zeitpunkt der Einstellung die Verpflichtung der Gemeinschaften zu einer ersten Hilfe für alle in ihren Dienst tretenden Personen ipso facto ende, selbst wenn die "Unsicherheit" des Arbeitsverhältnisses und der Bindung an den Dienstort nach wie vor bestehe. Im übrigen hänge der Betrag des Tagegeldes nicht von der dienstrechtlichen Stellung des Empfängers ab, wodurch dem Tagegeld ein neutraler und objektiver Charakter verliehen werde.

21 Es gebe zwar offenbar keine Rechtsvorschrift, die für die Gewährung des Tagegeldes in gewisser Weise eine Koordinierung zwischen den drei verschiedenen Beschäftigungssystemen der Gemeinschaften herstelle; diese Gesetzeslücke könne jedoch für sich genommen keine automatische mehrfache Gewährung des Tagegeldes rechtfertigen. Denn erstens stellten die Bestimmungen über die Gewährung des Tagegeldes, auch wenn jede von ihnen im normativen Kontext des entsprechenden Beschäftigungssystems stehe, nach ihrer konkreten Zweckbestimmung einen einheitlichen, homogenen und zusammenhängenden Normenkomplex dar. Zweitens stehe fest, daß die Gewährung des Tagegeldes vom "materiellen" Dienstantritt des Bediensteten bei den Gemeinschaften abhänge und vom rechtlichen Status dieses Bediensteten unabhängig sei. Somit "erneuere" sich dieser Dienstantritt auf "materieller" Ebene nicht wirklich bei jedem etwaigen Wechsel des Beschäftigungssystems; die "physische" Verwendung am Arbeitsplatz bleibe die gleiche. Drittens habe der Gemeinschaftsgesetzgeber die Dauer der Gewährung des Tagegeldes bei den sowohl rechtlich als auch materiell unsichersten Beschäftigungsverhältnissen (wie etwa bei einem kurzfristig beschäftigten Bediensteten auf Zeit und einer Hilfskraft) auf zwölf Monate begrenzt. Daraus ergebe sich, daß das Tagegeld über diese Hoechstdauer hinaus nicht mehr gewährt werden könne, selbst wenn der betroffene Bedienstete nach Ablauf dieser Frist seine Tätigkeit auf derselben Grundlage bei demselben Organ und unter denselben unsicheren Bedingungen weiter ausübe.

22 Im Hinblick auf dieses Kontinuitätskriterium habe der Gerichtshof den Grundsatz aufgestellt, daß die Bestimmungen über die verschiedenen im Statut vorgesehenen Entschädigungen in solchen Fällen wie dem hier in Rede stehenden im Sinne der funktionellen Einheit der Europäischen Gemeinschaften auszulegen seien, die neben der Zahlung eines Abgangsgeldes durch die Dienststellen eines Organs die Zahlung einer Einrichtungsbeihilfe durch ein anderes Organ nicht zulasse (Urteil vom 15. Juli 1960 in den Rechtssachen 27/59 und 39/59, Campolongo/Hohe Behörde, Slg. 1960, 821).

23 Zum Vorwurf des Klägers, das Parlament habe eine weite analoge Auslegung vorgenommen und dadurch eine neue Norm geschaffen, erklärt das Parlament, Artikel 25 der Beschäftigungsbedingungen sehe im Unterschied zu den meisten anderen Bestimmungen der Beschäftigungsbedingungen nicht vor, daß die Vorschriften in Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts, auf die er verweise, "entsprechend" ("par analogie") anzuwenden seien, sondern daß sie "gelten" ("sont applicables"). Diese Formulierung, die keineswegs als Versehen des Gemeinschaftsgesetzgebers angesehen werden könne, beweise, daß die Bestimmungen des Artikels 25 der Beschäftigungsbedingungen in der allgemeinen Systematik des Rechts des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaften Bestandteil des Kapitels E (Tagegeld) von Abschnitt 3 (Kostenerstattung) des Anhangs VII des Statuts seien. Die gleichen Erwägungen träfen wohl auch auf Artikel 69 der Beschäftigungsbedingungen zu, der für die Hilfskräfte gelte.

24 In einer solchen Situation müsse die Verwaltung die verschiedenen einschlägigen Bestimmungen systematisch auslegen. Unter diesem Gesichtspunkt müsse man sich bei der konkreten Anwendung dieser Bestimmungen vor allem auf objektive Kriterien stützen, um für jeden Begünstigten eine nicht diskriminierende und zeitlich konstante Behandlung zu gewährleisten. Im übrigen hätten das Statut und die Beschäftigungsbedingungen zwar zwei unterschiedliche persönliche Anwendungsbereiche, sachlich stimmten aber viele Vorschriften und sogar ganze Kapitel (vgl. z. B. die Kapitel 7 und 8 der Beschäftigungsbedingungen) überein.

25 In der Sitzung hat das Parlament die einschlägige Verwaltungspraxis der übrigen Gemeinschaftsorgane (siehe oben, Randnr. 10) mit dem Hinweis kommentiert, daß sich diese Praxis zwar offenbar von der des Parlaments unterscheide, daß die anderen Organe aber wohl doch nicht vollständig der vom Kläger vertretenen These der Selbständigkeit der drei Beschäftigungssysteme folgten. Die Tatsache, daß dem Beamten auf Probe, der vorher als Bediensteter auf Zeit die Einrichtungsbeihilfe erhalten habe, das Tagegeld verweigert werde, und die Tatsache, daß das höhere Tagegeld nur einmal gezahlt werde (während der ersten fünfzehn Tage der Einrichtung am Ort der dienstlichen Verwendung), zeigten, daß die anderen Organe ebenfalls der früheren Lage des Empfängers Rechnung trügen und demnach auch einen Kontinuitätsaspekt berücksichtigten, der alle Beschäftigungsverhältnisse bei den Gemeinschaften umfasse.

26 Das Parlament hat ferner ausgeführt, daß die Gewährung des Tagegeldes seines Erachtens nicht auf dem Gedanken der Unsicherheit des betreffenden Beschäftigungsverhältnisses beruhe, sondern daß es sich dabei nur um eine pauschale Kostenerstattung handele. Der Beweis hierfür liege darin, daß es auch den Beamten gezahlt werde, die sofort als Beamte auf Lebenszeit eingestellt würden (die Beamten der Besoldungsgruppe A 1 und A 2, die nach Artikel 34 Absatz 1 des Statuts keine Probezeit ableisten müssten). Schließlich bemerkt das Parlament noch, daß sein Standpunkt, wonach die Gewährung des Tagegeldes auf höchstens ein Jahr zu begrenzen sei, auch für den umgekehrten Fall eines Beamten auf Probe gelte, der ° z. B. infolge der vom Gericht angeordneten Aufhebung seiner Ernennung ° zum Bediensteten auf Zeit werde.

Würdigung durch das Gericht

27 Einleitend ist festzustellen, daß sich der vorliegende Rechtsstreit auf die Frage beschränkt, ob der Kläger in seiner Eigenschaft als Beamter auf Probe, der noch nicht umgezogen ist und noch keine Einrichtungsbeihilfe erhalten hat, für den letzten Teil seiner Probezeit und für einen Monat nach deren Ablauf Anspruch auf die Zahlung des in Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe b des Anhangs VII des Statuts vorgesehenen Tagegeldes hat. Die Artikel 25 und 69 der Beschäftigungsbedingungen ° insbesondere die darin vorgesehenen zeitlichen Schranken ° sind auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar; diese Artikel galten nämlich für die Zahlung des Tagegeldes in der Zeit vor dem in Rede stehenden Zeitraum. Ihre Auswirkung auf die Entscheidung des Rechtsstreits beschränkt sich daher auf die Frage, ob die vorher auf Grund dieser Bestimmungen geleisteten Zahlungen Einfluß auf die Auslegung der in Artikel 10 festgelegten speziellen zeitlichen Schranke ausüben können.

28 Zu der vom Parlament vertretenen Auffassung, wonach die Vorschriften des Statuts und der Beschäftigungsbedingungen über das Tagegeld einen einheitlichen, homogenen und zusammenhängenden Normenkomplex bildeten, dessen systematische und zweckgerichtete Auslegung zur Festlegung einer Gesamtgewährungsdauer von höchstens einem Jahr führen müsse, ist zunächst festzustellen, daß die Auslegung der einschlägigen Vorschriften nicht zu Ergebnissen führen darf, die in Widerspruch zu ihrer Zweckbestimmung stehen. Daher kann die Regelung, die ein höheres Tagegeld während der ersten fünfzehn Tage vorsieht ° ein Fall, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist °, in der Regel nur bei der ersten Einrichtung des Betroffenen am Ort seiner dienstlichen Verwendung Anwendung finden. Die Gewährung dieses höheren Satzes als pauschale Kostenerstattung ist nämlich durch die Erfahrung gerechtfertigt, daß der Bedienstete in der allerersten Zeit seiner Einrichtung aussergewöhnliche Kosten tragen muß (wie z. B. Kosten für Hotel, Kaution, Wohnungsmakler und häufige Reisen). Dieser spezielle Zweck, der mit der Gewährung eines höheren Tagegeldes verfolgt wird, greift nicht mehr ein, wenn sich die dienstrechtliche Stellung des betroffenen Bediensteten ändert, ohne daß er seinen Dienstort wechselt. Der Anspruch auf eine derartige Entschädigung kann also für einen solchen Bediensteten nicht "wiederaufleben", nur weil er von einem Beschäftigungsverhältnis als Hilfskraft/Bediensteter auf Zeit zu dem als Beamter auf Probe gewechselt hat.

29 Nach diesen Erwägungen ist festzustellen, daß der in der Rechtsprechung aufgestellte förmliche Grundsatz der Trennung zwischen dem Beamtenverhältnis und dem Dienstverhältnis der sonstigen Bediensteten (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 6. Juni 1985 in der Rechtssache 146/84, De Santis/Rechnungshof, Slg. 1985, 1723, Randnr. 17, und vom 19. April 1988 in der Rechtssache 37/87, Sperber/Gerichtshof, Slg. 1988, 1943, Randnrn. 8 und 12, sowie Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1991 in der Rechtssache T-30/90, Zoder/Parlament, Slg. 1991, II-207, Randnr. 22) für sich genommen zum Nachweis der Begründetheit des Standpunkts des Klägers nicht ausreicht. Deshalb ist eine Auslegung der betreffenden Vorschriften unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und ihrer Zweckbestimmung vorzunehmen.

30 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß keine Bestimmung des Statuts oder der Beschäftigungsbedingungen ausdrücklich eine restriktive Regelung für den vorliegenden Fall vorsieht. Insbesondere steht der Wortlaut des Artikels 10 des Anhangs VII des Statuts einer kumulativen Gewährung der Tagegelder, wie sie vom Kläger begehrt wird, nicht entgegen.

31 Bei dem auf eine wörtliche Auslegung gestützten Einwand des Parlaments, daß der Beamte nach Artikel 10 Absatz 1 des Anhangs VII des Statuts nachzuweisen habe, daß er "seinen Wohnsitz ändern muß", und daß der Kläger diese Bedingung nicht erfuelle, da er seinen Wohnsitz bereits vorher, bei seiner Einstellung als Hilfskraft, geändert habe, wird der kontinuierliche und dauerhafte Charakter der Entschädigungspflicht verkannt, die die genannte Bestimmung den Organen gegenüber ihren Beamten auferlegt. Im übrigen hat das Parlament selbst die ihm auf Grund dieser Bestimmung gegenüber dem Kläger obliegende Verpflichtung grundsätzlich anerkannt, da es ihm das darin vorgesehene Tagegeld in den ersten vier Monaten seiner Probezeit gezahlt hat.

32 Nach Ansicht des Parlaments hängt die Gewährung des Tagegeldes von dem allerersten "materiellen" Dienstanstritt des Bediensteten bei den Gemeinschaften ab, wobei sich dieser Dienstantritt nicht bei jeder Änderung der Beschäftigungsbedingungen "erneuere". Artikel 71 des Status sieht aber vor, daß der Beamte nach den in Anhang VII festgelegten Regelungen Anspruch auf Erstattung der Kosten hat, die ihm u. a. "beim Dienstantritt" entstanden sind. Das von einem Beamten ausgeuebte Amt lässt sich indessen rechtlich von dem von einem Bediensteten auf Zeit oder einer Hilfskraft ausgeuebten Amt unterscheiden, da sich die Betroffenen in einer unterschiedlichen dienstrechtlichen Stellung befinden (vgl. Urteil Sperber/Gerichtshof, a. a. O., Randnr. 8). Der vorgenannte Begriff "Dienstantritt" kann demnach dahin ausgelegt werden, daß er sich nur auf den Dienstantritt infolge der förmlichen Ernennung auf eine Beamtenstelle bezieht. Auch das Vorbringen des Parlaments, wonach Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts gemäß den Artikeln 25 und 69 der Beschäftigungsbedingungen unmittelbar und nicht nur entsprechend anwendbar sei, genügt nicht, um auszuschließen, daß Bedienstete auf Zeit oder Hilfskräfte, die Beamte werden, selbst dann das in dem genannten Artikel 10 vorgesehene Tagegeld erhalten, wenn dieser Artikel auf sie während ihrer vorausgegangenen Dienstzeiten gemäß den Artikeln 25 und 69 der Beschäftigungsbedingungen unmittelbar angewendet wurde.

33 Hinzu kommt, daß die dienstrechtliche Stellung eines Beamten auf Probe durch die Unsicherheit seines Beschäftigungsverhältnisses gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß eine Hoechstdauer für die Gewährung der Tagegelder, wie sie das Parlament auf die Probezeit anwenden will, Artikel 34 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Statuts zuwiderlaufen würde, der bei Krankheit oder Unfall des Betroffenen eine zeitlich unbegrenzte Verlängerung der Probezeit zulässt. Dieser Fall zeigt bereits, daß die Unsicherheit des Beschäftigungsverhältnisses auch nach dem vom Parlament als Obergrenze angewendeten Zeitraum von zwölf Monaten fortdauern kann. Aus dem zwischen dem vorgenannten Artikel 34 des Statuts und Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts herzustellenden Zusammenhang ergibt sich das Erfordernis, in diesem Artikel 10 in bezug auf die Beamten auf Probe keinen festen Zeitraum für die Gewährung des Tagegeldes festzulegen. Die Dauer der Gewährung muß vielmehr an den (flexiblen) Zeitraum bis einen Monat nach Ablauf der Probezeit geknüpft werden. Diese Wechselbeziehung zeigt erneut, daß die Unsicherheit des Beschäftigungsverhältnisses einen wichtigen Gesichtspunkt bei der Auslegung von Artikel 10 darstellt.

34 Im vorliegenden Fall hat die dienstrechtliche Stellung des Klägers nacheinander drei Stadien durchlaufen: Nachdem er zunächst Hilfskraft und dann Bediensteter auf Zeit war, wurde er zum Beamten auf Probe ernannt. Während dieser ganzen Zeit dauerte die Unsicherheit seines Beschäftigungsverhältnisses an; dies gilt auch für das letzte Stadium, da er die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit anstrebte und wusste, daß er darauf keinen Anspruch hatte. In einer solchen Lage dient die Gewährung des Tagegeldes einem speziellen Zweck: Es erscheint vernünftig, den Betroffenen von einem Umzug abzuhalten, der, falls der Betroffene nicht zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wird, verfrüht gewesen wäre und nach Artikel 9 Absätze 1 und 2 des Anhangs VII des Statuts im Fall des Ausscheidens des Betroffenen aus dem Dienst zu einer doppelten Erstattung der Umzugskosten führen würde. In Anbetracht dessen muß der Betroffene aber im Gegenzug in Anwendung von Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts bis einen Monat nach Ablauf dieses Zeitraums der Unsicherheit das Tagegeld erhalten, und zwar unabhängig davon, daß er derartige Entschädigungen bereits während anderer früherer Zeiträume erhalten hat, in denen diese Unsicherheit ebenfalls bestand.

35 Im vorliegenden Fall hat der Kläger unstreitig während dieses gesamten Zeitraums auf Grund seiner dienstlichen Verwendung als Beamter in Luxemburg zwei Wohnsitze beibehalten, nämlich den Wohnsitz seiner Familie in Brüssel-Anderlecht und einen vorläufigen Wohnsitz in Messancy in der Nähe seines Dienstortes. Somit entsprechen die Umstände des vorliegenden Falles durchaus dem mit der Gewährung des Tagegeldes verfolgten Zweck, nämlich einen Ausgleich für die Kosten und Unannehmlichkeiten zu gewähren, die durch die Notwendigkeit entstehen, hin und her zu reisen und sich vorläufig am Dienstort einzurichten, zugleich aber vorläufig den früheren Wohnsitz beizubehalten (vgl. Urteil Mouzourakis/Parlament, a. a. O., Randnr. 9, und Urteil des Gerichts vom 10. Juli 1992 in der Rechtssache T-63/91, Benzler/Kommission, Slg. 1992, II-2095, Randnr. 20).

36 Daher ist festzustellen, daß die in Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts vorgesehenen Bedingungen für die Gewährung des Tagegeldes hier erfuellt sind. Nach diesem Artikel hat der Kläger demnach Anspruch auf Zahlung dieses Tagegeldes. Durch den Erlaß der Entscheidung vom 2. Februar 1993, mit der seine Beschwerde zurückgewiesen wurde, hat das Parlament somit diesen statutarischen Anspruch des Klägers verletzt.

37 Soweit das Parlament unter Berufung auf das oben genannte Urteil Campolongo/Hohe Behörde geltend macht, daß der Grundsatz der funktionellen Einheit der Gemeinschaften keine Kumulierung von Tagegeldern zulasse, ist festzustellen, daß dieses Urteil des Gerichtshofes einen völlig anderen als den vorliegenden Fall betrifft. Der Kläger Campolongo hatte nämlich bei einem Gemeinschaftsorgan gekündigt, um in den Dienst eines anderen Organs zu treten. Der Gerichtshof hat seinen Antrag auf Gewährung einer Wiedereinrichtungsbeihilfe mit der Begründung zurückgewiesen, daß aus dem gleichen Grund bereits eine Zahlung erfolgt war. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, daß die funktionelle Einheit der Gemeinschaften neben der Zahlung eines Abgangsgeldes durch die Dienststellen eines Organs die Zahlung einer Einrichtungsbeihilfe durch ein anderes Organ nicht zulässt. Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich in der Rechtssache Campolongo um den Versuch der Kumulierung mehrerer Leistungen für einen punktüllen und einmaligen Vorgang, während die vorliegende Rechtssache durch den kontinuierlichen und dauerhaften Charakter der Situation gekennzeichnet ist, auf Grund deren der Kläger die Gewährung des Tagegeldes begehrt und bei der weiterhin die insoweit vorgesehenen statutarischen Voraussetzungen erfuellt sind, auch wenn sie schon in der Vergangenheit zur Zahlung eines solchen Tagegeldes geführt hat.

38 Zu der vom Parlament in der Sitzung aufgeworfenen Frage, welche Vorschriften für die Zahlung eines Tagegeldes an einen Beamten gelten, der nach Aufhebung seiner Ernennung Bediensteter auf Zeit wird, ist zu sagen, daß dieser Fall, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, eine Ausnahmesituation betrifft und daher bei der Auslegung der für den hier zu prüfenden umgekehrten Fall geltenden Regelung nicht berücksichtigt werden kann.

39 Schließlich ist zum Vorbringen des Parlaments, daß die Zahlung des Tagegeldes selbst bei den unsichersten Beschäftigungsverhältnissen (vor allem bei Hilfskräften und "kurzzeitigen" Bediensteten auf Zeit) auf zwölf Monate begrenzt sei und daß dadurch die Rechtfertigung für jede Verlängerung entfalle, die über diesen Zeitpunkt hinaus zugunsten eines Bediensteten erfolge, der ° wie der Kläger ° nacheinander mehrere Beschäftigungssysteme durchlaufe, ohne daß sich sein Dienstort ändere, zu sagen, daß diese Billigkeitserwägung nach den vorstehenden Ausführungen von der derzeit geltenden einschlägigen Regelung nicht gestützt wird.

40 Nach alledem greift der vom Kläger geltend gemachte Klagegrund durch, so daß dem Aufhebungsantrag stattzugeben ist. Die Entscheidung vom 2. Februar 1993 über die Zurückweisung der Beschwerde des Klägers ist demnach aufzuheben.

Zum Zahlungsantrag

41 Der Antrag des Klägers, dem Parlament aufzugeben, ihm das nicht gezahlte Tagegeld in Höhe von 170 239 BFR auszuzahlen, ist für zulässig zu erklären, da es sich hier um eine Streitsache vermögensrechtlicher Art handelt, bei der der Gemeinschaftsrichter gemäß Artikel 91 Absatz 1 Satz 2 des Statuts über eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung verfügt. Bezueglich der Höhe des geforderten Betrages hat der Kläger auf Ersuchen des Gerichts im schriftlichen Verfahren eine Berechnung des nicht gezahlten Tagegeldes vorgelegt. Das Parlament hat in der Sitzung in Beantwortung einer Frage des Gerichts erklärt, daß es keine Einwände gegen diesen Betrag erhebe. Dem Zahlungsantrag ist daher stattzugeben.

42 Zum Antrag des Klägers, dem Parlament aufzugeben, ihm ab dem Tag der Einlegung seiner Beschwerde Verzugszinsen zu zahlen, ist festzustellen, daß ° wie sich aus der Klageschrift ergibt ° die Zahlung von Zinsen nur für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wurde, so daß dieser Antrag, der im übrigen nur Annexcharakter hat, nicht schon ausdrücklich in der Beschwerde erwähnt zu werden brauchte, die der Kläger an das Parlament gerichtet hat (Urteil des Gerichts vom 30. März 1993 in der Rechtssache T-4/92, Vardakas/Kommission, Slg. 1993, II-357, Randnr. 50). Da dieser Antrag ebenfalls unter die Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung fällt, ist ihm in der Sache stattzugeben, wobei die Verzugszinsen auf 8 % pro Jahr festzusetzen sind (vgl. z. B. Urteil Vardakas/Kommission, a. a. O., Randnr. 49). Da die Beschwerde am 13. Juli 1992 in das Register des Generalsekretariats des Parlaments eingetragen wurde, sind die Verzugszinsen von diesem Tag an zu zahlen.

Kostenentscheidung


Kosten

43 Gemäß Artikel 87 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da das Parlament im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die gesamten Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung vom 2. Februar 1993, durch die das Parlament die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen hat, mit der er beantragt hatte, ihm für seine gesamte Probezeit und für einen Monat nach deren Ablauf das Tagegeld nach Artikel 10 des Anhangs VII des Statuts zu gewähren, wird aufgehoben.

2) Das Parlament zahlt dem Kläger 170 239 BFR zuzueglich 8 % Verzugszinsen pro Jahr ab 13. Juli 1992.

3) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4) Das Parlament trägt sämtliche Kosten des Verfahrens.