SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PHILIPPE LÉGER

vom 18. Mai 1995 ( *1 )

1. 

Anläßlich einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und aufgrund kalendarischer Zufälle habe ich wieder einmal, wie bereits in der Rechtssache C-68/93 (Shevill u. a./Presse Alliance), meine Stellungnahme abzugeben, nachdem mein Vorgänger seine Schlußanträge vorgetragen hat.

2. 

Wie in jener Rechtssache werde ich nur sehr kurze Ausführungen machen, wobei ich mich der Auffassung anschließe, die Herr Darmon am 21. September 1994 vertreten hat. Ich weise im übrigen darauf hin, daß es erneut darum geht, zur Auslegung des Artikels 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens Stellung zu nehmen.

3. 

Erinnern wir uns an den Sachverhalt: Herr Marinari, der in Italien wohnt, hat vor dem Tribunale Pisa eine Schadensersatzklage gegen die Lloyds Bank erhoben, nachdem das Verhalten der Angestellten dieser Bank zu seiner Verhaftung in England und zur Beschlagnahme der Eigenwechsel geführt hatte, die er in dieser Bank hinterlegt hatte. Nachdem die Lloyds Bank die Unzuständigkeit des italienischen Gerichts mit der Begründung gerügt hatte, der Schaden sei in England eingetreten, wurde die Corte suprema di cassazione im Klagewege ersucht, vorab zu dieser Zuständigkeitsfrage Stellung zu nehmen.

4. 

Dieses oberste Gericht ersucht Sie deshalb, Artikel 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens ( 1 ) auszulegen und klarzustellen, ob die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, so zu verstehen ist, daß sie nur den Ort meint, an dem der physische Schaden, der Personen oder Sachen entstanden ist, eingetreten ist, oder ob sie auch den Ort bezeichnet, an dem die dem Kläger entstandenen Vermögensschäden eingetreten sind.

5. 

Herr Darmon vertritt die Auffassung ( 2 ), daß der Ort, an dem der finanzielle Schaden erlitten wurde (im vorliegenden Fall: Italien), der nur zu dem in einem anderen Vertragsstaat (hier: England) eingetretenen Erstschaden hinzutritt, keine gerichtliche Zuständigkeit gemäß Artikel 5 Nr. 3 begründen könne.

6. 

Ich schließe mich dieser Auffassung an, denn nach Ihrer Rechtsprechung ( 3 ) sind nur zwei Gerichtsstände zu berücksichtigen: derjenige des Ortes, an dem das schädigende Ereignis stattgefunden hat, und derjenige des Ortes des ursächlichen Geschehens unter Ausschluß des Ortes, an dem ein schädigendes Ereignis stattfindet, das in bezug auf den Erstschaden akzessorisch ist. Diese Überzeugung wird ganz gewiß nicht durch das nach dem Vortrag der Schlußanträge von Herrn Darmon ergangene Urteil vom 7. März 1995, Shevill u. a./Presse Alliance ( 4 ), erschüttert, da es diese doppelte Alternative bestätigt, dabei jedoch hervorhebt, daß im Fall von Verleumdungen durch die Presse die Gerichte jedes Vertragsstaats nur zur Entscheidung über die Erstschäden, die im Staat des angerufenen Gerichts verursacht wurden, zuständig sind.

7. 

Ich schließe mich deshalb dem Entscheidungsvorschlag in den am 21. September 1994 vorgetragenen Schlußanträgen an.


( *1 ) Originalsprache: Französisch.

( 1 ) Zu der Rechtmäßigkeit der Anrufung des Gerichtshofes vgl. Nrn. 6 bis 12 der Schlußanträge von Herrn Darmon.

( 2 ) Nrn. 27 bis 49 seiner Schlußanträge.

( 3 ) Die in Nrn. 14 bis 25 der Schlußanträge von Herrn Darmon genannte Rechtsprechung.

( 4 ) Slg. 1995, I-415.