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Leitsätze

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1 Verfahren - Streithilfe - Vom Beklagten nicht erhobene Einrede der Unzulässigkeit - Unzulässigkeit

(Satzung [EG] des Gerichtshofes, Artikel 37 Absatz 3; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 3)

2 Nichtigkeitsklage - Natürliche oder juristische Personen - Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen - Entscheidung der Kommission, mit der ein selektives Vertriebssystem freigestellt wird - Drittunternehmen, in dem die Händler zusammengeschlossen sind, die erfolglos ihre Zulassung zu dem Vertriebssystem beantragt und an dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission teilgenommen haben - Zulässigkeit der Klage

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absätze 1 und 3 sowie Artikel 173 Absatz 4; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absatz 3)

3 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Objektive Beurteilung und Berücksichtigung des Verbraucherinteresses - Wirtschaftsbereiche, die die Einführung eines selektiven Vertriebssystems erlauben - Luxuskosmetika und -parfums

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

4 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Objektive Auswahlkriterien für Wiederverkäufer - Beurteilung durch die Kommission - Gerichtliche Kontrolle - Grenzen - Anwendung der Kriterien in konkreten Fällen - Zuständigkeit der nationalen Gerichte und Behörden - Möglichkeit für den einzelnen, Beschwerde bei der Kommission einzulegen

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1 und Artikel 173; Verordnung Nr. 17, Artikel 3)

5 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Luxuskosmetika und -parfums - Objektive Auswahlkriterien für Wiederverkäufer - Kriterien, die die fachliche Eignung betreffen - Beurteilung

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

6 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Luxuskosmetika und -parfums - Objektive Auswahlkriterien für Wiederverkäufer - Kriterien, die die Lage und Einrichtung der Verkaufsstelle betreffen - Beurteilung

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

7 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Luxuskosmetika und -parfums - Objektive Auswahlkriterien für Wiederverkäufer - Kriterium des Firmenschilds - Beurteilung

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

8 Wettbewerb - Kartelle - Selektives Vertriebssystem - "Einfache" Systeme - Anwendung solcher Systeme für den Vertrieb desselben Erzeugnisses durch alle Hersteller auf dem Markt - Zulässigkeit - Voraussetzung - Keine Hindernisse für den Zugang zum Markt gegenüber neuen Wettbewerbern, die zum Verkauf der Erzeugnisse in der Lage sind - Wahrung eines wirksamen Wettbewerbs, insbesondere im Bereich der Preise

(EG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

Leitsätze

9 Ein Streithelfer kann keine Einrede der Unzulässigkeit erheben, wenn eine solche von den Anträgen des Beklagten nicht umfasst ist.

10 Im Rahmen einer Entscheidung, mit der ein selektives Vertriebssystem freigestellt wird, ist eine Genossenschaft, in der als Wettbewerber der Vertragshändler in Betracht kommende Einzelhändler zusammengeschlossen sind, als von der Freistellungsentscheidung individuell und unmittelbar betroffen anzusehen, wenn sie erfolglos die Zulassung zumindest einiger ihrer Mitglieder zum Vertriebsnetz beantragt und an dem Verwaltungsverfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 beteiligt gewesen ist.

11 Selektive Vertriebssysteme stellen einen mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbaren Bestandteil des Wettbewerbs dar, wenn vier Voraussetzungen erfuellt sind: Erstens müssen die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses ein selektives Vertriebssystem in dem Sinne bedingen, daß ein solches System unter Berücksichtigung der besonderen Natur der betreffenden Erzeugnisse, insbesondere wegen ihrer hohen Qualität oder technischen Entwicklung, ein rechtmässiges Erfordernis darstellt, um ihre Qualität zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten. Zweitens muß die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden. Drittens muß das betreffende System auf die Erreichung eines Ergebnisses abzielen, das zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und damit einen Ausgleich für die mit selektiven Vertriebssystemen verbundene Wettbewerbsbeschränkung insbesondere im Bereich der Preise schafft. Viertens dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist. Die Frage, ob diese Bedingungen erfuellt sind, ist objektiv unter Berücksichtigung des Verbraucherinteresses zu prüfen.

Selektive Vertriebssysteme, die durch die besondere Natur der Erzeugnisse oder die Erfordernisse ihres Vertriebes gerechtfertigt sind, können für andere Wirtschaftsbereiche als die der langlebigen Verbrauchsgüter ohne Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages errichtet werden.

Luxuskosmetika, insbesondere Luxusparfums, sind verfeinerte und hochwertige Erzeugnisse mit einem "Luxusimage", das sie in besonderer Weise heraushebt und in den Augen der Verbraucher wichtig ist. Die Eigenschaften dieser Erzeugnisse können nicht auf ihre materiellen Merkmale beschränkt werden, sondern umfassen auch die besondere Vorstellung, die die Verbraucher mit ihnen verbinden, namentlich ihre "Aura von Luxus".

Es liegt im Interesse der Verbraucher von Luxuskosmetika, daß diese in den Verkaufsstellen in angemessener Weise angeboten werden und damit ihr Luxusimage gewahrt bleibt.

Folglich werden im Bereich von Luxuskosmetika, insbesondere von Luxusparfums, qualitative Kriterien für die Auswahl der Einzelhändler, die nicht über das hinausgehen, was für den Verkauf dieser Produkte unter angemessenen Bedingungen für ihre Präsentation erforderlich ist, grundsätzlich nicht von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst, wenn diese Kriterien objektiv sind, einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden.

12 Die vom Gericht nach Artikel 173 des Vertrages vorzunehmende richterliche Kontrolle einer Entscheidung, mit der die Kommission feststellt, daß die Auswahlkriterien eines selektiven Vertriebssystems die erforderlichen Voraussetzungen erfuellen, um als nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zulässig angesehen werden zu können, beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Feststellungen der Kommission einen Mangel der Begründung, einen offensichtlichen Tatsachen- oder Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweisen. Es ist nicht Aufgabe des Gemeinschaftsrichters, zur Anwendung dieser Kriterien auf konkrete Sachverhalte Stellung zu nehmen.

Dagegen ist es Aufgabe der zuständigen nationalen Gerichte oder Behörden, die mit dem Rechtsbehelf eines Bewerbers befasst sind, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist, gegebenenfalls im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts über die Frage zu entscheiden, ob die betreffenden Kriterien in einem konkreten Fall diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit und damit unter Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angewandt worden sind. Sie haben insbesondere darauf zu achten, daß die betreffenden Kriterien nicht dazu gebraucht werden, den Zugang neuer Wirtschaftsteilnehmer zum Vertriebssystem zu verhindern, die in der Lage sind, die betreffenden Produkte in einer ihrem Ansehen nicht abträglichen Weise zu verkaufen.

Im übrigen kann ein Bewerber, dem der Zugang zum Vertriebssystem versagt worden ist, eine Beschwerde bei der Kommission nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einlegen, insbesondere wenn Zulassungsbedingungen planmässig in einer gemeinschaftsrechtswidrigen Weise angewandt worden sind.

13 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich der Luxuskosmetika stellt die Anwesenheit einer Person in der Verkaufsstelle, die in der Lage ist, den Verbraucher sachkundig zu beraten oder ihm Auskünfte zu geben, grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis für den Verkauf dieser Erzeugnisse dar, das zu einer angemessenen Präsentation solcher Produkte gehört.

14 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich der Luxuskosmetika wird ein Kriterium bezueglich der Umgebung, in der eine Verkaufsstelle für diese Erzeugnisse liegt, an und für sich nicht von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst, soweit es sicherstellen soll, daß solche Produkte nicht an hierzu völlig ungeeigneten Standorten verkauft werden.

Dagegen bieten Bestimmungen über die Aussenansicht der Verkaufsstelle wie ihre Fassade, Schaufenster und Dekoration die Möglichkeit einer diskriminierenden Anwendung gegenüber einer Verkaufsstelle - z. B. einem Supermarkt -, die nicht die gleiche Fassade wie ein traditionelles Geschäft, insbesondere keine Fassade mit Schaufenstern hat, die aber eine Abteilung oder eine Fläche innerhalb der Verkaufsräume in einer für den Verkauf von Luxuskosmetika geeigneten Weise eingerichtet hat. Ausserdem sind für eine angemessene Präsentation der Artikel in einer Abteilung oder auf einer Verkaufsfläche im Innern eines "Multiprodukt"-Geschäfts Schaufenster an der Vorderfront offensichtlich nicht erforderlich.

Die Bedingungen bezueglich des Inneren der Verkaufsstelle wie der Verkauf anderer Waren in dieser können einen Supermarkt nicht schon von einem Vertriebssystem ausschließen, da der Verkauf anderer in einem Supermarkt typischerweise anzutreffender Waren für sich genommen nicht geeignet ist, dem "Luxusimage" der betreffenden Produkte zu schaden, sofern die Abteilung oder die Fläche für den Verkauf von Luxuskosmetika so gestaltet ist, daß diese Produkte in einer anspruchsvollen Weise präsentiert werden.

Im Rahmen der die anderen Tätigkeiten innerhalb eines Geschäfts betreffenden Kriterien sind Erwägungen, die auf die Bedeutung dieser Tätigkeiten abstellen, unverhältnismässig, da sie für sich genommen in keinem Zusammenhang mit dem rechtmässigen Erfordernis der Wahrung des Luxusimages der betreffenden Produkte stehen. Im übrigen sind sie diskriminierend, da sie eine Fachparfümerie gegenüber einem "Multiprodukt"-Geschäft, das über eine Fachabteilung verfügt, deren Einrichtung den für den Verkauf von Luxuskosmetika angemessenen Qualitätsanforderungen genügt, im Falle einer Bewerbung begünstigen.

15 Im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für den Bereich Luxuskosmetika stellt ein Kriterium, das nur dafür sorgen soll, daß das Firmenschild des Einzelhändlers dem Luxusimage dieser Erzeugnisse nicht schadet, grundsätzlich ein rechtmässiges Erfordernis des Vertriebs solcher Produkte dar und fällt daher nicht notwendig unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages. Fehlt ein solches Kriterium, besteht nämlich die Gefahr, daß das Luxusimage der Luxuskosmetika und damit ihr Charakter selbst beeinträchtigt wird, indem diese Produkte durch Einzelhändler verkauft werden, deren Firmenschild in den Augen der Verbraucher dem Ansehen der Marke offensichtlich schadet. Das Kriterium darf allerdings nicht diskriminierend oder ohne Beachtung der Verhältnismässigkeit angewandt werden.

16 Zwar können "einfache" selektive Vertriebssysteme ein mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbarer Bestandteil des Wettbewerbs sein, doch kann es zu einer Beschränkung oder einer Ausschaltung des Wettbewerbs gleichwohl dann kommen, wenn die Zahl dieser Systeme keinen Raum mehr für Vertriebsformen lässt, denen eine andere Wettbewerbspolitik zugrunde liegt, oder wenn sie zu einer Starrheit der Preisstruktur führt, die nicht durch andere Faktoren des Wettbewerbs zwischen Erzeugnissen derselben Marke und durch das Bestehen eines echten Wettbewerbs zwischen verschiedenen Marken ausgeglichen wird. Daher lässt allein das Bestehen einer grossen Zahl selektiver Vertriebssysteme für ein bestimmtes Erzeugnis nicht den Schluß zu, daß der Wettbewerb im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages beschränkt oder verfälscht ist; vielmehr muß der relevante Markt ausserdem schon so starr und strukturiert sein, daß ein wirksamer Preiswettbewerb nicht mehr besteht.

Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ist nicht automatisch allein deshalb anzuwenden, weil sich alle Hersteller in dem betreffenden Bereich bei der Wahl ihrer Vertriebsmethoden gleich entschieden haben. An dem Ergebnis, daß bestimmte Auswahlkriterien eines Herstellers für sich genommen nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fallen, kann die kumulierende Wirkung anderer Vertriebssysteme nur dann etwas ändern, wenn nachgewiesen wird, daß erstens Hindernisse für den Zugang neuer Mitbewerber zum Markt bestehen, die zum Verkauf der betreffenden Produkte in der Lage sind, so daß die betreffenden selektiven Vertriebssysteme den Vertrieb zugunsten bestimmter bereits bestehender Vertriebswege abschotten, oder daß zweitens wegen der Natur der betreffenden Produkte ein wirksamer Wettbewerb insbesondere bei den Preisen nicht besteht.