61992C0320

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 15. Dezember 1993. - SOCIETA FINANZIARIA SIDERURGICA FINSIDER SPA (IN LIQUIDAZIONE) GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL IN EGKS-SACHEN - QUOTEN FUER DIE ERZEUGUNG UND LIEFERUNG VON STAHL INNERHALB DES GEMEINSAMEN MARKTES - UEBERSCHREITUNG. - RECHTSSACHE C-320/92 P.

Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-05697


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die Hohe Behörde ist nach Artikel 58 § 1 EGKS-Vertrag ermächtigt, ein Quotensystem für die Stahlerzeugung einzuführen.

2. Das durch die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS der Kommission vom 31. Oktober 1980(1) eingeführte Quotensystem für die Erzeugung bestimmter Stahlerzeugnisse wurde für die Jahre 1986 und 1987 durch die Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS der Kommission vom 27. November 1985(2) und für die ersten sechs Monate des Jahres 1988 durch die Entscheidung Nr. 194/88/EGKS der Kommission vom 6. Januar 1988(3) verlängert. Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88/EGKS bestimmt folgendes:

"Rechnet ein Unternehmen damit, daß es seine Quoten in dem Quartal, auf das sie sich beziehen, nicht ausnutzen wird, so kann die Kommission dem Unternehmen ... einen Vorgriff auf die Quoten des folgenden Quartals von höchstens 20 % der Quoten des laufenden Quartals erlauben."

3. Unter Berufung auf diesen Artikel beantragte die Finsider SpA am 9. Juni 1988 für das zweite Quartal des Jahres 1988 einen Vorgriff auf die Erzeugungsquoten des dritten Quartals bis zu einer Höhe von 20 %.

4. Obwohl dieser Antrag nie ausdrücklich beschieden wurde, überschritt die Erzeugung der Finsider SpA im zweiten Quartal 1988 die ihr zugeteilten Quoten.

5. Die Kommission stellte, gestützt auf die Artikel 58 § 4 und 92 EGKS-Vertrag und auf Artikel 12 der erwähnten Entscheidung Nr. 194/88(4), durch Entscheidung vom 21. März 1990 fest, daß die Finsider SpA im zweiten Quartal 1988 die Teile der Erzeugungsquoten, die innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden dürften, in der Gruppe Ia um 50 359 Tonnen und in der Gruppe Ib um 64 497 Tonnen überschritten habe, und belegte sie mit einer Geldbusse von 2 153 550 ECU.

6. Mit Urteil vom 5. Juni 1992 hat das Gericht erster Instanz die gegen diese Entscheidung erhobene Klage abgewiesen(5).

7. Mit Schriftsatz vom 28. Juli 1992 hat die Finsider SpA ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts eingelegt, die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission und hilfsweise die Herabsetzung der Geldbusse beantragt. Sie hat ausserdem beantragt, daß zur Beweiserhebung die Vorlage eines Vermerks angeordnet wird(6).

8. Diese Vorlage ist vom Gericht abgelehnt worden(7). Eine derartige Entscheidung zählt aber nicht zu den Entscheidungen, gegen die nach Artikel 49 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Das Rechtsmittel ist deshalb in diesem Punkt unzulässig.

9. Die Finsider SpA beruft sich zur Begründung ihres Rechtsmittels auf vier Rechtsmittelgründe.

10. Der erste wendet sich gegen das Verhalten der Kommission nach dem Antrag auf Quotenvorgriff.

11. Der zweite Rechtsmittelgrund wird darauf gestützt, daß der angefochtenen Entscheidung bei Berücksichtigung Ihres Urteils Hoogovens Gröp u. a./Kommission vom 14. Juni 1989(8), das durch Nichtigerklärung der Artikel 5 und 17 der Entscheidung Nr. 194/88 die Kriterien für die Beurteilung möglicher Quotenüberschreitungen rückwirkend beseitigt habe, die Rechtsgrundlage fehle.

12. Der dritte stützt sich auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wie er sich aus Artikel 36 Absatz 1 EGKS-Vertrag ergebe.

13. Gemäß dem vierten Rechtsmittelgrund ist die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich des Antrags auf Herabsetzung der Geldbusse unzureichend begründet.

14. Der erste Rechtsmittelgrund (siehe Randnrn. 67 bis 103 des Urteils des Gerichts erster Instanz) gliedert sich in drei Teile: i) Die Kommission habe auf den Antrag auf Quotenvorgriff keine förmliche und mit Gründen versehene Antwort gegeben; ii) falls die angefochtene Entscheidung zwingend eine stillschweigende Ablehnung des Vorgriffsantrags voraussetze, sei Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 verletzt; iii) schließlich sei bei Berücksichtigung der von der Kommission bis dahin verfolgten Praxis der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt.

15. Kann das Schweigen der Kommission nach dem EGKS-Vertrag als stillschweigende Annahme eines Antrags auf Quotenvorgriff gelten?

16. Sie haben auf eine derartige Frage bereits in Ihrem Urteil Boël/Kommission(9) antworten müssen. Sie haben dort entschieden, daß

"... das System der Produktionsbeschränkung für Stahlunternehmen nur ausnahmsweise eine Anpassung der bestimmten Unternehmen zugeteilten individuellen Quoten zulässt und zu diesem Zweck notwendigerweise eine positive Entscheidung zur Gewährung zusätzlicher Quoten erfordert. Das Schweigen der Kommission - so bedauerlich es sein mag - kann deshalb nur einer stillschweigenden ablehnenden Entscheidung und nicht einer stillschweigenden Zustimmung gleichgesetzt werden."(10)

17. In jüngerer Zeit haben Sie im Zusammenhang mit der im zweiten Quartal 1983 geltenden Regelung der Stahlquoten ausgeführt, daß als stillschweigende Ablehnung eines Antrags auf Zuteilung von zusätzlichen jährlichen Vergleichsproduktionen, auf den die Kommission nicht ausdrücklich geantwortet hat, die erste nach Antragstellung erlassene Entscheidung anzusehen ist, mit der die Erzeugungsquoten festgesetzt wurden, ohne daß auf den Antrag eingegangen wurde. Und Sie haben klargestellt, daß allein diese letztere Entscheidung geeignet ist, den Antragsteller zu beschweren(11).

18. Daraus folgt zum einen, daß die Änderung einer Quote Gegenstand einer ausdrücklichen Entscheidung sein muß, zum anderen, daß eine Entscheidung, die für einen bestimmten Zeitraum eine Quotenüberschreitung feststellt und dem betroffenen Stahlunternehmen eine Geldbusse auferlegt, gegebenenfalls eine stillschweigende Ablehnung eines zuvor von diesem Unternehmen eingereichten Antrags auf Quotenerhöhung für diesen Zeitraum einschließen kann.

19. Vergeblich trägt die Rechtsmittelführerin jetzt vor(12), daß Artikel 15 EGKS-Vertrag über die Begründungspflicht keinen Raum für "stillschweigende" Entscheidungen lasse. Hier wird die Feststellung genügen, daß Artikel 35 Absatz 3 dieses Vertrages ausdrücklich solche Entscheidungen erwähnt, deren rechtliche Behandlung er überdies festlegt.

20. Für die Feststellung, daß der Finsider SpA die Begründung für diese Ablehnung gegeben worden war, hat das Urteil des Gerichts zu Recht auf die Begründungserwägungen der angefochtenen Entscheidung(13) Bezug genommen, die insbesondere hervorheben, daß "das Quotensystem auf Quartale abstellt und zwingend ist und daß es kein automatisches Recht auf Vorgriffe gibt" und daß bei einem Treffen der Vertreter der Parteien, das am 24. Mai 1989 stattgefunden habe, betont worden sei, daß der Vorgriff auf die Quoten im letzten Quartal der Anwendung des Quotensystems nicht mehr möglich sei. Das Urteil hat auch den Zusammenhang berücksichtigt, in dem es zu der Entscheidung gekommen ist(14), insbesondere ein Schreiben vom 2. August 1988, in dem die Kommission der Finsider SpA erläutert hat, warum sie für das zweite Quartal des Jahres 1988 die Gewährung von Quotenvorgriffen ablehne, und das Telex, mit dem Eurofer am 6. April 1988 seine Mitglieder darüber informiert hat, daß für das zweite Quartal des Jahres 1988 keine Vorgriffe auf die Quoten des dritten Quartals gewährt würden, weil das Quotensystem zum 30. Juni 1988 auslaufe.

21. Aus diesen Unterlagen ergibt sich eindeutig, daß die Finsider SpA über die Gründe für die Ablehnung der Vorgriffsgewährung informiert war, so daß ein Gericht diese Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen konnte und die Betroffene so ausreichend unterrichtet war, daß sie erkennen konnte, ob die Entscheidung begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet war, der es erlaubte, ihre Gültigkeit anzuzweifeln(15).

22. Zu dem angeblichen Fehler des Gerichts bei der Auslegung von Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 ist folgendes festzustellen.

23. Wie das Gericht richtig dargelegt hat, setzt der Aufbau von Artikel 11 voraus, daß "... die während eines Quartals erfolgte Quotenüberschreitung durch die Nichtausschöpfung der Quote im folgenden Quartal ausgeglichen werden kann"(16). Demgemäß konnte die Finsider SpA keinerlei Vorgriff auf Quoten des Zeitraums nach dem 30. Juni 1988 beanspruchen, da, wie erwähnt, das Quotensystem mit dem dritten Quartal dieses Jahres beendet war.

24. Die Finsider SpA trägt Ihnen gleichwohl vor, daß die Bedingungen für die Gewährung des Vorgriffs erfuellt seien, da dieser durch eine tatsächliche Verringerung der Produktions- oder Liefermengen in dem auf das Quartal, für das der Vorgriff gewährt worden sei, folgenden Quartal ausgeglichen werde, selbst wenn die Quoten abgeschafft worden seien(17).

25. Ein solches Argument führt meiner Auffassung nach zu einem unlösbaren Problem. Wie soll man Quoten vorwegnehmen, die es nicht mehr geben wird? Konkreter, wie soll man Quoten für einen Zeitraum berücksichtigen, in dem der Markt völlig liberalisiert ist und die Erzeugung nicht mehr der Überwachungs- und Sanktionsbefugnis der Kommission unterliegt?

26. Die Finsider SpA macht ausserdem geltend, daß die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e die Wirkung habe, daß das Vorgriffssystem für die Hälfte der Geltungsdauer der Entscheidung Nr. 194/88 unanwendbar werde(18).

27. Ich möchte hier zum einen daran erinnern, daß der Vorgriff kein den Unternehmen automatisch gewährtes Recht ist, zum anderen daran, daß eine Quote nur dann von einem Quartal in ein anderes "verschoben" werden kann, wenn diese beiden Zeitabschnitte dem Quotensystem unterliegen. Daher ist die Übertragung - das Gegenteil des Vorgriffs - der Quoten vom vierten Quartal 1987 auf das erste Quartal 1988 nur möglich gewesen, weil für das vierte Quartal 1987 Quoten bestanden haben (siehe Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b der Entscheidung Nr. 194/88 und Artikel 18 Absatz 2 der erwähnten Entscheidung Nr. 3485/85).

28. Was den dritten Teil des Rechtsmittelgrundes anbelangt, so kann sich die Finsider SpA nicht auf die Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes berufen, da das Ende des Quotensystems die Gewährung von Vorgriffen nicht mehr gestattete, da dieses Ende bereits im Hinblick auf den Wortlaut der Entscheidung Nr. 194/88(19) völlig vorhersehbar war und da das Gericht unanfechtbar festgestellt hat, daß keineswegs nachgewiesen sei, daß die Kommission früher eine entgegengesetzte Praxis verfolgt habe.

29. Daraus folgt, daß der erste Rechtsmittelgrund in seinen drei Teilen zurückgewiesen werden muß.

30. Der zweite Rechtsmittelgrund stützt sich auf das Urteil Hoogovens vom 14. Juni 1989, in dem der Gerichtshof die Artikel 5 und 17 der Entscheidung Nr. 194/88 (im folgenden: Artikel 5 und Artikel 17) für nichtig erklärt hat. Artikel 5 erteilte der Kommission die Befugnis, für jedes Unternehmen die vierteljährlichen Erzeugungsquoten und den Teil dieser Quoten, der innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden darf, festzusetzen. Artikel 17 gestattete den Unternehmen, unter bestimmten Bedingungen in jedem Quartal einen Teil des Unterschieds zwischen ihren Produktionsquoten und ihren Quoten für Lieferungen in der Gemeinschaft im Verhältnis 1:0,85 - sogenannte I:P-Relation(20) - in Quoten, die innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden dürfen, umzuwandeln, und ermöglichte ihnen infolgedessen eine Erhöhung ihrer Lieferungen auf diesem Markt.

31. Dieser Rechtsmittelgrund (siehe Randnrn. 42 bis 66 des angefochtenen Urteils) gliedert sich in zwei Teile.

32. Mit dem ersten Teil macht die Rechtsmittelführerin geltend, daß das Urteil vom 14. Juni 1989 die Kriterien für die Feststellung und Beurteilung eventueller Quotenüberschreitungen rückwirkend beseitigt habe. Jede Überschreitung sei daher "völlig ausgeschlossen"(21). Da Artikel 5 für nichtig erklärt worden sei, könne er nicht verletzt werden. Der strittigen Entscheidung der Kommission fehle demzufolge die rechtliche Grundlage.

33. Im Urteil vom 14. Juni 1989 ist für die Nichtigerklärung von Artikel 5 nur folgende Begründung gegeben worden:

"Artikel 5 der Entscheidung Nr. 194/88/EGKS [hat] denselben Wortlaut ... wie Artikel 5 der Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS. Deshalb ist er aus den gleichen Gründen für nichtig zu erklären, wie sie zur Nichtigerklärung dieser Vorschrift im Urteil vom 14. Juli 1988 geführt haben."(22)

34. Daraus folgt, daß, wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat(23), zur Bestimmung der Tragweite des Urteils vom 14. Juni 1989 auf die Gründe des Urteils Peine-Salzgitter u. a./Kommission vom 14. Juli 1988(24) abzustellen ist.

35. Sie haben aber entschieden, daß

"Artikel 5 der Entscheidung Nr. 3485/85 ... insoweit für nichtig erklärt [wird], als er es der Kommission nicht gestattet, von ihr als angemessen angesehene Lieferquoten für die Unternehmen festzusetzen, bei denen das Verhältnis zwischen den Produktionsquoten und der jeweiligen Lieferquote erheblich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegt"(25).

36. Da die einzige Begründung, die im Urteil vom 14. Juni 1989 für die Nichtigerklärung des Artikels 5 der Entscheidung Nr. 194/88 gegeben wird, auf die Gründe des Urteils vom 14. Juli 1988 verweist, ist das Gericht mit Recht davon ausgegangen, daß die zuletzt ausgesprochene Nichtigerklärung nicht weiter reichen könne als die zuvor erfolgte(26) und daß "... der Gerichtshof Artikel 5 nicht insoweit für nichtig erklärt hat, als er die Rechtsgrundlage für die vierteljährliche Festsetzung der Quoten der Stahlunternehmen durch die Kommission bildet, sondern nur insoweit, als es die in ihm für die Festsetzung dieser Quoten enthaltenen Grössen nicht erlaubten, Lieferquoten auf einer Grundlage festzusetzen, die nach Ansicht der Kommission für Unternehmen angemessen ist, bei denen die I:P-Relation deutlich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegt"(27).

37. Diese Auslegung wird im übrigen durch die Tatsache bestätigt, daß Artikel 6 der Entscheidung Nr. 194/88 nicht für nichtig erklärt worden ist. Dieser Artikel kann aber nicht von Artikel 5, dessen Tatbestandsmerkmale er näher bestimmt, getrennt werden. Artikel 5 besteht daher notwendig "... als Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Quoten durch die Kommission"(28) fort.

38. Da die Rechtsmittelführerin nicht zu der Gruppe von Unternehmen gehört, bei denen die I:P-Relation erheblich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegt(29), kann sie sich nicht auf die Nichtigerklärung - mit begrenzter Tragweite, wie wir gesehen haben - von Artikel 5 berufen, und die Kommission ist ihr gegenüber nicht verpflichtet, gemäß Artikel 34 EGKS-Vertrag "... in einer allgemeinen Entscheidung Maßstäbe für die Festsetzung der Quoten neu festzulegen oder neue Einzelentscheidungen zu erlassen"(30).

39. Die Einzelentscheidungen, die die Quoten der Rechtsmittelführerin für das zweite Quartal 1988 festsetzten, blieben daher gültig, und es konnte "... bei der Berechnung der der Klägerin von der Kommission zur Last gelegten Quotenüberschreitungen von diesen Entscheidungen ausgegangen werden"(31).

40. Mit dem zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes macht die Finsider SpA geltend, daß sie durch die Anwendung von Artikel 17 geschädigt worden sei und daß die Überschreitung, die ihr vorgeworfen werde, ausgeglichen werden müsse, um die Verringerung ihrer Lieferquoten, die durch die Anwendung dieses Artikels in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 30. Juni 1988 verursacht worden sei, zu berücksichtigen(32). Sie fügt hinzu, daß alle Konsequenzen aus der Nichtigerklärung von Artikel 17 auch für andere Stahlerzeugnisse als die, mit denen sich die angefochtene Entscheidung befasse, gezogen werden müssten.

41. Die Anwendung von Artikel 17 habe die Wirkung gehabt, daß die Mengen, die auf dem Gemeinsamen Markt geliefert werden dürften, zum Nachteil der Unternehmen, deren Produktion im wesentlichen auf diesem Markt abgesetzt worden sei(33), und insbesondere auch zum Nachteil der Finsider SpA erhöht worden seien.

42. In dem erwähnten Urteil Hoogovens haben Sie festgestellt, daß die Anpassung der I:P-Relation, wie sie sich aus Artikel 17 der Entscheidung Nr. 194/88 ergebe - der nur Artikel 1 der Entscheidung Nr. 1433/87/EGKS übernehme -, nicht die von Artikel 58 § 2 EGKS-Vertrag geforderte angemessene Verteilung der Quoten gewährleiste, und Sie haben Artikel 17 für nichtig erklärt.

43. Die Geldbusse wurde der Finsider SpA wegen einer Quotenüberschreitung im zweiten Quartal 1988 auferlegt. Es steht fest, daß für diesen Zeitraum und für die Gruppe der von der Entscheidung erfassten Erzeugnisse "... die Kommission ... die für die Klägerin günstigen Folgerungen aus dieser Nichtigerklärung dadurch gezogen hat, daß sie bei den beiden fraglichen Erzeugnisgruppen die ursprünglich errechneten Überschreitungen herabgesetzt hat"(34).

44. Musste die Kommission die für die Rechtsmittelführerin günstigen Folgerungen aus der Nichtigerklärung von Artikel 17 für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 31. März 1988 und für andere Erzeugnisgruppen als die Gruppen Ia und Ib berücksichtigen?

45. Hier möchte ich zwei Vorbemerkungen machen: Zum einen kann man vor Ihnen nicht, wie es die Finsider SpA verlangt(35), die Berechnung der Quoten erneut erörtern, da es sich um eine reine Tatsachenfrage handelt. Zum anderen nimmt die Rechtsmittelführerin eine rechtlich unzutreffende Analyse vor, wenn sie vorträgt, daß das Gericht ultra petita entschieden habe(36), weil es sich auf eine "völlig neue Begründung", d. h. auf eine nicht von den Parteien vorgetragene Begründung, gestützt habe.

46. Die Argumentation der Rechtsmittelführerin lässt sich hier in drei Punkten zusammenfassen:

- Es müsse der Ausgleich zwischen den Wirkungen der Nichtigerklärung von Artikel 17 und der im zweiten Quartal 1988 festgestellten Quotenüberschreitung vorgenommen werden(37);

- die Überschreitung könne nur durch eine Gesamtbeurteilung der Quoten während des ganzen Krisenzeitraums festgestellt werden(38);

- das angefochtene Urteil stelle unrichtigerweise fest, daß sich die Erzeugnisse, auf die sich die Quotenüberschreitung beziehe, von denen unterschieden, in bezug auf die Artikel 17 für nichtig erklärt worden sei(39).

47. Dieser letzte Punkt setzt eine Tatsachenbewertung voraus, die nicht in Ihre Zuständigkeit fällt. Beschränken wir uns daher auf die Prüfung der beiden anderen Punkte.

48. Was den ersten Punkt betrifft, so dürfen die beiden Verfahren, die im Mittelpunkt der Erörterung stehen, nicht miteinander vermengt werden.

49. Die Entscheidung, mit der eine Geldbusse auferlegt wird, bezieht sich auf eine Quotenüberschreitung während des zweiten Quartals 1988(40), wobei klargestellt wird, daß die Auswirkungen der Nichtigerklärung von Artikel 17 für diesen Zeitraum (und daher die Neufestsetzung bestimmter Quoten zugunsten der Finsider SpA) von der Kommission berücksichtigt worden sind(41).

50. Im übrigen stand es gemäß Artikel 34 Absatz 1 EGKS-Vertrag allein der Kommission zu, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil vom 14. Juni 1989, durch das Artikel 17 für nichtig erklärt wurde, ergaben.

51. Denn aus diesem Artikel 34 ergibt sich, daß der Gemeinschaftsrichter der Kommission, die den für nichtig erklärten Rechtsakt erlassen hat, nicht die Maßnahmen vorschreiben kann, die sie ergreifen muß.

52. So haben Sie im Urteil vom 23. Februar 1961, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde(42), nachdem Sie an den Wortlaut von Artikel 34 EGKS-Vertrag erinnert hatten, folgendes entschieden:

"Sollte der Gerichtshof der Klage stattgeben, so wäre er nicht befugt, der Hohen Behörde die Entscheidungen vorzuschreiben, die sie aufgrund des Nichtigkeitsurteils zu ergreifen hat; vielmehr dürfte er lediglich die Sache an die Hohe Behörde zurückverweisen."(43)

53. Es ist klar, daß, wenn das Gericht entsprechend dem Antrag der Finsider SpA die Quotenüberschreitung des zweiten Quartals 1988 durch die Quoten, die nach der Nichtigerklärung von Artikel 17 der Entscheidung Nr. 194/88 durch den Gerichtshof für die vorhergehenden Quartale zugunsten der Finsider SpA neu festgesetzt wurden, ausgeglichen hätte, es eine Zuständigkeit ausgeuebt hätte, die Artikel 34 EGKS-Vertrag ihm abspricht.

54. Das Gericht hat es also mit Recht abgelehnt, diesen Ausgleich vorzunehmen(44).

55. Was schließlich den zweiten Punkt angeht, so macht die Finsider SpA zu Unrecht geltend, daß die Kommission vor der Feststellung einer Überschreitung die Quoten "während des ganzen Krisenzeitraums" hätte berücksichtigen müssen. Denn das Quotensystem schreibt, mit Ausnahme der Übertragung, des Vorgriffs oder der ausserordentlichen Zuteilung zusätzlicher Quoten, die Einhaltung der Quoten Quartal für Quartal(45) vor.

56. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund (siehe Randnrn. 104 bis 111 des Urteils) macht die Finsider SpA die Verletzung von Artikel 36 Absatz 1 und Artikel 34 Absatz 1 EGKS-Vertrag geltend und trägt vor, daß ihr keine Gelegenheit gegeben worden sei, zu den Berechnungen Stellung zu nehmen, die die Kommission vor der Entscheidung, ihr eine Geldbusse wegen Quotenüberschreitung aufzuerlegen, vorgenommen habe.

57. Aus Ihrer ständigen Rechtsprechung ergibt sich, daß die "Gewährung des rechtlichen Gehörs ... in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbussen oder zu Zwangsgeldern führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar[stellt], der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muß"(46).

58. Im Urteil Belgien/Kommission vom 10. Juli 1986(47) haben Sie ausgeführt, daß "[dieser Grundsatz es] erfordert ..., demjenigen, gegen den die Kommission ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat, im Laufe dieses Verfahrens Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission für ihre Behauptung einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen".

59. Aufgrund einer Tatsachenbewertung, die vor Ihnen nicht wieder in Frage gestellt werden kann, hat das Gericht erster Instanz unanfechtbar festgestellt, 1. daß die Kommission mit ihrem Schreiben vom 23. Februar 1989 der klagenden Gesellschaft Gelegenheit gegeben habe, zu der behaupteten Überschreitung Stellung zu nehmen, und 2. daß diese tatsächlich mehrfach habe Stellung nehmen können(48).

60. Zwar steht fest, daß die letzten Berechnungen, die bei der Bewertung der Quotenüberschreitung berücksichtigt wurden, bei einem Treffen der Parteien zur Sprache kamen, ohne daß sie der Rechtsmittelführerin förmlich mitgeteilt wurden(49).

61. Diese mangelnde Mitteilung könnte eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen, die zur Nichtigerklärung des Rechtsaktes führen könnte, wenn nachgewiesen wäre, daß das Verfahren ohne diese Unregelmässigkeit ein anderes Ergebnis hätte haben können(50).

62. Die Finsider SpA hat aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht erster Instanz anerkannt, daß die Berechnungen richtig seien, die die Bestimmung des Umfangs der Quoten, die ihr aufgrund von Artikel 17 vorenthalten worden seien, ermöglichten, und sie hat nichts vorgetragen, was zu Zweifeln an der Richtigkeit der Berechnungen, die die Feststellung ihrer Quotenüberschreitung erlaubten, Anlaß geben konnte(51).

63. Das Gericht hat daher mit Recht die Ansicht vertreten können, daß Artikel 36 Absatz 1 EGKS-Vertrag nicht verletzt sei, "... obwohl es besser gewesen wäre, wenn der Klägerin die zuletzt genannten Berechnungen ... förmlich mitgeteilt worden wären"(52).

64. Mit einem letzten Rechtsmittelgrund (siehe Randnrn. 112 bis 116 des Urteils) trägt die Finsider SpA vor, daß das Urteil unzureichend begründet sei, soweit es den Antrag auf Herabsetzung der Geldbusse zurückweise.

65. Im Urteil vom 1. Oktober 1991, Vidrányi/Kommission(53), haben Sie als Rechtsmittelgrund das Vorbringen zugelassen, der erstinstanzliche Richter habe die Verpflichtung zur Begründung seiner Entscheidungen verletzt(54).

66. Um die Herabsetzung der Geldbusse abzulehnen, stellt das Gericht zum einen fest, daß die Rechtsmittelführerin das Vorbringen der Kommission nicht habe bestreiten können, sie habe aus der Rechtswidrigkeit des Artikels 5 einen Vorteil gezogen, der "... mit der angemessenen Verteilung der Lasten der Krise auf die Unternehmen nicht vereinbar [sei]"(55), und zum anderen, daß der Betrag der auferlegten Geldbusse "weit unter" der durch Artikel 12 der Entscheidung Nr. 194/88 festgesetzten Norm liege(56).

67. Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hätte das Gericht bei der Begründung der Entscheidung den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die früher verfolgte Praxis berücksichtigen müssen(57).

68. Abgesehen davon, daß das Gericht zur Genüge aufgezeigt hat(58), daß dieser Grundsatz nicht beeinträchtigt wurde, erläutert die Rechtsmittelführerin aber nicht, warum der Hinweis auf diesen Grundsatz in der Begründung der Entscheidung, mit der die Herabsetzung der Geldbusse abgelehnt wurde, hätte enthalten sein müssen.

69. Daraus folgt, daß das Gericht keineswegs gehalten war, sich zu diesem Grundsatz zu äussern. Es hat die Finsider SpA so ausreichend unterrichtet, daß diese erkennen konnte, ob seine Entscheidung gut begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet war, der ihre Anfechtung ermöglichte, und es hat dem Gerichtshof die Ausübung seiner Rechtmässigkeitskontrolle ermöglicht.

70. Hilfsweise ersucht Sie die Finsider SpA, den Betrag der Geldbusse herabzusetzen.

71. Da insoweit in erster Instanz kein Rechtsirrtum begangen worden ist, steht es Ihnen nicht zu, das Ermessen des Gerichts durch Ihr eigenes Ermessen zu ersetzen.

72. Ich schlage Ihnen daher vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof aufzuerlegen.

(*) Originalsprache: Französisch.

(1) - Entscheidung zur Einführung eines Systems von Erzeugungsquoten für Stahl für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 291, S. 1).

(2) - Entscheidung zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 340, S. 5). Siehe insbesondere Artikel 18 Absatz 2.

(3) - Entscheidung zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 25, S. 1). Siehe insbesondere Artikel 18 Absatz 2.

(4) - Nach diesem Artikel ist die Kommission berechtigt, bei einer Überschreitung von Erzeugungsquoten Geldbussen zu verhängen.

(5) - Rechtssache T-26/90 (Slg. 1992, II-1789).

(6) - Rechtsmittelschrift, S. 45 der französischen Übersetzung.

(7) - Randnr. 103 des angefochtenen Urteils.

(8) - Rechtssachen 218/87, 223/87, 72/88 und 92/88, Slg. 1989, 1711.

(9) - Urteil vom 16. Februar 1984 in der Rechtssache 76/83 (Slg. 1984, 859), erlassen unter der Geltung des durch die Entscheidung Nr. 1831/81/EGKS der Kommission vom 24. Juni 1981 zur Einführung eines Überwachungssystems und eines neuen Systems von Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 180, S. 1) eingeführten Quotensystems.

(10) - Randnr. 11, Hervorhebung von mir.

(11) - Randnr. 21 des Urteils vom 10. Juni 1986 in den Rechtssachen 81/85 und 119/85 (Usinor/Kommission, Slg. 1986, 1777).

(12) - S. 13 der französischen Übersetzung der Rechtsmittelschrift.

(13) - Randnr. 71 des angefochtenen Urteils.

(14) - Randnr. 72 des angefochtenen Urteils.

(15) - In diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 1992 in der Rechtssache C-181/90 (Consorgan/Kommission, Slg. 1992, I-3557, Randnr. 14).

(16) - Randnr. 83 des angefochtenen Urteils.

(17) - Siehe S. 17 der französischen Übersetzung der Rechtsmittelschrift.

(18) - Erwiderung, S. 9 der französischen Übersetzung.

(19) - Siehe Begründungserwägung Nr. 1 und Artikel 18 Absatz 2 der Entscheidung sowie Randnr. 97 des Urteils des Gerichts erster Instanz.

(20) - Verhältnis zwischen Produktionsquoten und Lieferquoten.

(21) - Rechtsmittelschrift, S. 29 der französischen Übersetzung.

(22) - Randnr. 26, zitiert in Randnr. 53 des Urteils des Gerichts erster Instanz.

(23) - Randnr. 53 des angefochtenen Urteils.

(24) - Rechtssachen 33/86, 44/86, 110/86, 226/86 und 285/86 (Slg. 1988, 4309).

(25) - Nr. 1 des Tenors (Hervorhebung von mir). Siehe auch Randnr. 28 des Urteils.

(26) - Randnr. 55 des angefochtenen Urteils.

(27) - Randnr. 57 des angefochtenen Urteils (Hervorhebung von mir).

(28) - Randnr. 56 des angefochtenen Urteils.

(29) - Randnr. 58 des angefochtenen Urteils.

(30) - Randnr. 59 des angefochtenen Urteils.

(31) - Randnr. 62 des angefochtenen Urteils.

(32) - Vgl. Randnr. 46 des angefochtenen Urteils.

(33) - Siehe in diesem Sinne Randnr. 18 des Urteils Hoogovens (Fußnote 8).

(34) - Randnr. 65 des angefochtenen Urteils.

(35) - Rechtsmittelschrift, S. 34 und 35 der französischen Übersetzung.

(36) - Ibidem, S. 36.

(37) - Ibidem, S. 37.

(38) - Ibidem, S. 38.

(39) - Ibidem, S. 39.

(40) - Artikel 1 der Entscheidung.

(41) - Siehe oben, Nr. 43, und Randnr. 65 vorletzter Satz des angefochtenen Urteils sowie die dritte Begründungserwägung der Entscheidung vom 21. März 1990.

(42) - Rechtssache 30/59, Slg. 1961, 1.

(43) - A. a. O., S. 40. Dem entspricht Ihre ständige Rechtsprechung zu Artikel 176 EWG-Vertrag, der das Pendant zu Artikel 34 EGKS-Vertrag ist. Siehe z. B. Urteil vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 141/84 (De Compte/Parlament, Slg. 1985, 1951, Randnr. 22) und Urteil Hoogovens (a. a. O., Randnr. 21).

(44) - Randnr. 65 des angefochtenen Urteils.

(45) - Artikel 5 Absatz 1 der Entscheidung Nr. 194/88.

(46) - Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnrn. 9 und 14). Siehe auch Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81 (Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461).

(47) - Rechtssache 234/84 (Slg. 1986, 2263, Randnr. 27).

(48) - Randnr. 108 des angefochtenen Urteils.

(49) - Randnr. 109 des angefochtenen Urteils.

(50) - In diesem Sinne Randnr. 48 des Urteils vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87 (Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959).

(51) - Randnr. 110 des angefochtenen Urteils.

(52) - Randnr. 109 des angefochtenen Urteils.

(53) - Rechtssache C-283/90 P, Slg. 1991, I-4339.

(54) - A. a. O., Randnr. 29.

(55) - Randnr. 114 des angefochtenen Urteils.

(56) - Randnr. 115 des angefochtenen Urteils.

(57) - Siehe S. 44 dritter Absatz der französischen Übersetzung der Rechtsmittelschrift.

(58) - Siehe oben, Nr. 28.