BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 10. DEZEMBER 1991. - C. GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-60/91.
Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite II-01395
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
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1. Beamte - Klage - Klagerecht - Personen, die die Eigenschaft eines Beamten oder eines anderen als örtlichen Bediensteten für sich in Anspruch nehmen
2. Beamte - Klage - Klage eines in die Eignungsliste aufgenommenen Teilnehmers an einem allgemeinen Auswahlverfahren dagegen, daß ihm keine Stelle angeboten wird - Vorherige Verwaltungsbeschwerde - Fehlen - Unzulässigkeit
(Beamtenstatut, Artikel 90 und 91)
1 Die Klägerin, erfolgreiche Bewerberin des Auswahlverfahrens KOM/R/C/1 der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, hat Klage auf Anordnung ihrer Einstellung durch die Kommission unter Androhung eines Zwangsgeldes von 100 000 BFR täglich ab Erlaß des Urteils, hilfsweise, auf Anordnung einer Untersuchung zur Feststellung der tatsächlichen Gründe für ihre Nichteinstellung erhoben.
2 Im März 1989 wurde die Klägerin in die Reserveliste aufgenommen, die aufgrund des Ende 1987 von der Kommission durchgeführten allgemeinen Auswahlverfahrens KOM/R/C/1 zur Bildung einer Einstellungsreserve von Schreibkräften französischer Sprache (Laufbahn C 4/C 5) erstellt wurde. Die Gültigkeit der Reserveliste, die am 31. Dezember 1989 auslaufen sollte, wurde bis zum 31. Dezember 1990 verlängert.
3 Die Klägerin arbeitete einige Monate lang als Aushilfsschreibkraft bei der Kommission. Am 16. Oktober 1989 wurde sie für einen Zeitraum von drei Monaten als Hilfskraft eingestellt und der Generaldirektion X "Information, Kommunikation, Kultur" zugewiesen. Sie wurde während der Gültigkeitsdauer der Reserveliste trotz mehrerer von ihrem Dienstvorgesetzten unternommener Vorstösse nicht als Beamtin eingestellt.
4 Die Klägerin macht geltend, der tatsächliche Grund für die unterbliebene Einstellung durch die Kommission, auf die sie Anspruch habe, sei der Umstand, daß ihr Bruder im Jahre 1985 wegen Beteiligung an den "Cellules communistes combattantes" verurteilt worden sei. Sie habe aber niemals zu dieser terroristischen Gruppe gehört oder diese politische Ideologie geteilt; die Kommission habe sie deshalb wegen eines nicht fundierten Sicherheitsgrundes nicht eingestellt.
5 Mit Schreiben vom 29. März 1990 wandte sich die Klägerin an den Kommissionspräsidenten und bat ihn, einzugreifen, damit ihre Akte bei der Kommission nicht weiter unbeachtet bleibe und festgestellt werde, daß sie sich nichts vorzuwerfen habe und die Kommission mit ihrer Einstellung keinerlei Sicherheitsrisiko eingehe. Sie bedankte sich für die ihrem Schreiben gewidmete Aufmerksamkeit und für ein Tätigwerden in ihrem Sinne.
6 Der Rechtsbeistand der Klägerin sandte am 9. Juli 1990 ein weiteres Schreiben an den Kommissionspräsidenten, in dem er ihn bat, in die Personalakte der Klägerin Einsicht zu nehmen und ihn über die tatsächlichen Gründe zu informieren, die zu der Weigerung geführt hätten, die Klägerin einzustellen, obwohl sie eine in die Eignungsliste aufgenommene Teilnehmerin an einem von der Kommission durchgeführten Auswahlverfahren sei.
7 Die Kommission antwortete dem Rechtsbeistand der Klägerin am 11. September 1990 über den Generaldirektor für Personal und Verwaltung Hay. In ihrem Schreiben erklärte sie, aufgrund von Problemen der Kommission hinsichtlich freier Stellen sei es bis jetzt nicht möglich gewesen, dem Einstellungsersuchen der Klägerin zu entsprechen. Die Klägerin sei seinerzeit darüber unterrichtet worden, daß die Aufnahme in eine Eignungsliste aufgrund eines Auswahlverfahrens ihr nur die Möglichkeit eröffne, auf eine freie Stelle ernannt zu werden, ohne einen unbedingten Anspruch für sie oder eine Verpflichtung der Kommission ihr gegenüber zu begründen. Die Gültigkeit der Reserveliste des Auswahlverfahrens KOM/R/C/1 sei bis zum 31. Dezember 1990 verlängert; der Name der Klägerin sei natürlich weiter vermerkt.
8 Am 16. August 1991 hat die Klägerin die vorliegende Klage gegen die Kommission erhoben.
9 Mit Schriftsatz, der am 20. September 1991 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben und beantragt, daß das Gericht über diese Einrede entscheide, ohne auf die Begründetheit einzugehen. Die Kommission ist der Auffassung, das Gericht sei zur Entscheidung über diese Rechtssache nicht zuständig. Die Anordnung, die das Gericht ihr gegenüber erlassen solle, überschreite die dem Gemeinschaftsrichter im Bereich der Streitsachen im Sinne des Artikels 179 EWG-Vertrag durch das Statut eingeräumten Befugnisse. Die Klage sei auch nicht auf die Aufhebung irgendeiner Maßnahme der Beklagten gerichtet, deren Rechtmässigkeit das Gericht überprüfen sollte. Nach ständiger Rechtsprechung sei der Gemeinschaftsrichter nicht befugt, den Gemeinschaftsbehörden im Rahmen der Rechtsmässigkeitskontrolle belastender Maßnahmen Weisungen zu erteilen (siehe z. B. das Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juni 1971 in den verbundenen Rechtssachen 63/70 bis 75/70, Bode u. a./Kommission, Slg. 1971, 549), da die der Verwaltung obliegenden Verpflichtungen sich gemäß Artikel 176 EWG-Vertrag nur aus der Aufhebung einer ihrer Maßnahmen ergeben können (Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-137/88, Schneemann u. a./Kommission, Slg. 1990, I-369).
10 Zu der Einrede der Unzulässigkeit der Kommission hat die Klägerin innerhalb der vorgesehenen Frist keine Erklärungen eingereicht.
11 Gemäß Artikel 113 in Verbindung mit Artikel 114 der Verfahrensordnung kann das Gericht jederzeit von Amts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen. Gemäß Artikel 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine bei ihm erhobene Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch mit Gründen versehenen Beschluß entscheiden. Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht aufgrund der Aktenlage für ausreichend unterrichtet und beschließt, daß das Verfahren nicht fortzusetzen ist.
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind Personen, auf die dieses Statut Anwendung findet, im Sinne der Artikel 90 und 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften nicht nur aktive Beamte, sondern auch frühere Beamte und etwaige Bewerber für ein Amt (Urteil vom 29. Oktober 1975 in den verbundenen Rechtssachen 81/74 bis 88/74, Marenco u. a./Kommission, Slg. 1975, 1247, Randnr. 5). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, daß sich vor dem Gemeinschaftsrichter nicht nur Personen auf das Statut berufen können, die die Eigenschaft eines Beamten oder Bediensteten der Gemeinschaften haben, sondern auch Personen, die diese Eigenschaften für sich in Anspruch nehmen (Urteile vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 123/84, Klein/Kommission, Slg. 1985, 1907, Randnr. 10, und vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 87/77, 130/77, 22/83, 9/84 und 10/84, Slg. 1985, 2523, Randnr. 24). Somit ist die Klägerin als in die Eignungsliste aufgenommene Teilnehmerin an einem Auswahlverfahren vor dem Gericht klageberechtigt.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes gelten weiter die Artikel 90 und 91 des Statuts, wonach Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage der ordnungsgemässe Verlauf des in diesen Artikeln vorgesehenen Verwaltungsverfahrens ist, nicht nur für aktive Beamte, sondern auch für die Bewerber um ein Amt (Beschluß vom 23. September 1986 in der Rechtssache 130/86, Du Besset/Rat, Slg. 1986, 2619, Randnr. 7).
14 Gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Statuts kann "jede Person, auf die dieses Statut Anwendung findet, ... einen Antrag auf Erlaß einer sie betreffenden Entscheidung an die Anstellungsbehörde richten". Das an den Kommissionspräsidenten gerichtete Schreiben der Klägerin vom 29. März 1990 ist als ein Antrag im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 des Statuts anzusehen. Mit dem an ihren Rechtsberater gerichteten Schreiben des Generaldirektors für Personal und Verwaltung Hay vom 11. September 1990, in dem mitgeteilt wird, daß es aufgrund von Problemen hinsichtlich freier Stellen bis jetzt nicht möglich gewesen sei, ihrem Einstellungsersuchen zu entsprechen, hat die Klägerin eine Antwort der Verwaltung auf diesen Antrag erhalten.
15 Nach Artikel 91 Absatz 2 des Statuts ist jedoch die Klage nur zulässig, wenn bei der Anstellungsbehörde zuvor eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 innerhalb der dort vorgesehenen Frist eingereicht worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 3. Februar 1977 in der Rechtssache 91/76, Lacroix/Gerichtshof, Slg. 1977, 225, Randnr. 10, und des Gerichts vom 22. Februar 1990 in der Rechtssache T-72/89, Bocos/Kommission, Slg. 1990, II-58).
16 Die Klägerin hat die Klage jedoch ohne Einhaltung irgendeiner Frist erhoben und zudem zuvor keine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 gegen die ablehnende Entscheidung der Anstellungsbehörde eingereicht. Die Klage ist demgemäß offensichtlich unzulässig und somit abzuweisen.
Kosten
17 Gemäß Artikel 87 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
beschlossen:
1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 10. Dezember 1991.