61991B0022

BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (FUENFTE KAMMER) VOM 14. JULI 1993. - INES RAIOLA-DENTI UND ANDERE GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - AUSLEGUNG. - RECHTSSACHE T-22/91 INT.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite II-00817


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Verfahren ° Urteilsauslegung ° Zulässigkeitsvoraussetzungen

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 129)

Leitsätze


Ein Antrag auf Auslegung eines Urteils muß, um zulässig zu sein, den Tenor des Urteils, dessen Auslegung beantragt wird, in Verbindung mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zum Gegenstand haben und die Beseitigung einer Unklarheit oder Mehrdeutigkeit bezwecken, die möglicherweise Sinn und Tragweite des Urteils selbst insoweit berührt, als es den dem Gericht vorgelegten Fall zu entscheiden hatte.

Ein solcher Antrag ist daher unzulässig, wenn er Fragen betrifft, die in dem Urteil, dessen Auslegung beantragt wird, nicht entschieden worden sind, oder wenn durch ihn eine Stellungnahme des angerufenen Gerichts zur Anwendung und Durchführung oder zu den Folgen des Urteils erlangt werden soll.

Entscheidungsgründe


1 Mit Antragsschrift, die am 2. Juni 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, haben Inès Raiola-Denti und acht andere Beamtinnen des Rates der Europäischen Gemeinschaften, die Klägerinnen in der Rechtssache T-22/91 gewesen waren, gemäß Artikel 129 der Verfahrensordnung die Auslegung des Urteils des Gerichts (Fünfte Kammer) vom 11. Februar 1993 in der genannten Rechtssache (Slg. 1993, II-69) beantragt.

2 Mit diesem Urteil hatte das Gericht die Klage der Klägerinnen, mit der diese die Aufhebung der "Entscheidungen des Prüfungsausschusses ..., die nach der Zulassung zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens ergangen sind", beantragt hatten, als begründet erachtet und daher die "Maßnahmen, die in dem vom Rat durchgeführten, in den Personal-Nachrichten Nr. 100/90 vom 26. Oktober 1990 veröffentlichten internen Auswahlverfahren B/228 nach der Zulassung der Bewerber zu den Prüfungen getroffen wurden", aufgehoben.

3 Mit ihrem Auslegungsantrag beantragen die Antragstellerinnen, das Gericht möge angeben, "welche Maßnahmen, die nach der Zulassung der Bewerber zu den Prüfungen getroffen wurden, aufgehoben worden sind". Die Antragstellerinnen begründen ihren Antrag damit, daß ein auslegendes Urteil (Artikel 129 § 3 Absatz 2 der Verfahrensordnung) des Gerichts es ihnen erlauben würde, "zu prüfen, ob die Maßnahmen des Rates zur Durchführung des Urteils vom 11. Februar 1993 in der Rechtssache T-22/91 Artikel 176 EWG-Vertrag entsprechen".

4 Der Rat, dessen Stellungnahme am 30. Juni 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, macht geltend, der Antrag auf Auslegung sei unzulässig, und beantragt, ihn deshalb abzuweisen und die Antragstellerinnen zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

5 Nach Auffassung des Rates, der sich auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes beruft, hängt die Zulässigkeit eines Antrags auf Auslegung eines Urteils in erster Linie vom Vorliegen von Zweifeln bezueglich des Sinnes und der Tragweite des auszulegenden Urteils und somit von der Notwendigkeit ab, eine etwaige Unklarheit oder Mehrdeutigkeit zu beseitigen. Im vorliegenden Fall sei aber klar, daß die vom Gericht in der Rechtssache T-22/91 verfügte Aufhebung alle Maßnahmen betreffe, die der Prüfungsausschuß nach Aufstellung des Verzeichnisses der Bewerber getroffen habe, die zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens zugelassen worden seien. Zweitens müsse ein Auslegungsantrag die Auslegung des betroffenen Urteils bezwecken und nicht eine Stellungnahme des Gerichtshofes oder des Gerichts zur Anwendung und Durchführung oder zu den Folgen dieses Urteils. Da die Antragstellerinnen erklärten, ihr Auslegungsantrag solle ihnen die Prüfung ermöglichen, ob die zur Durchführung des betroffenen Urteils ergangenen Maßnahmen des Rates den Erfordernissen des Artikels 176 EWG-Vertrag entsprächen, sei der genannte Antrag demnach unzulässig, zumal der Rat noch keine Maßnahmen zur Durchführung des in Rede stehenden Urteils getroffen habe.

6 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muß ein Antrag auf Auslegung eines Urteils, um zulässig zu sein, den Tenor des betroffenen Urteils in Verbindung mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zum Gegenstand haben und die Beseitigung einer Unklarheit oder Mehrdeutigkeit bezwecken, die möglicherweise Sinn und Tragweite des Urteils selbst insoweit berührt, als es den dem Gericht vorgelegten Fall zu entscheiden hatte. Nach dieser Rechtsprechung ist daher ein Antrag auf Auslegung eines Urteils unzulässig, wenn er Fragen betrifft, die in diesem Urteil nicht entschieden worden sind, oder wenn durch ihn eine Stellungnahme des angerufenen Gerichts zur Anwendung und Durchführung oder zu den Folgen des von diesem Gericht erlassenen Urteils erlangt werden soll (vgl. Urteile vom 28. Juni 1955 in der Rechtssache 5/55, Assider/Hohe Behörde, Slg. 1955, 275, vom 7. April 1965 in der Rechtssache 70/63a, Hohe Behörde/Collotti und Gerichtshof, Slg. 1965, 373, und vom 13. Juli 1966 in der Rechtssache 110/63a, Willame/Kommission der EAG, Slg. 1966, 411; Beschlüsse vom 29. September 1983 in den Rechtssachen 9/81 ° Auslegung, Rechnungshof/Williams, Slg. 1983, 2859, und 206/81a, Alvarez/Parlament, Slg. 1983, 2865, vom 11. Dezember 1986 in der Rechtssache 25/86, Suß/Kommission, Slg. 1986, 3929, und vom 20. April 1988 in den Rechtssachen 146/85 und 431/85 ° Auslegung, Maindiaux u. a./WSA u. a., Slg. 1988, 2003).

7 Im vorliegenden Fall beantragen die Antragstellerinnen, das Gericht möge den Tenor seines Urteils vom 11. Februar 1993 auslegen, indem es angibt, welche Maßnahmen durch diesen Tenor aufgehoben wurden.

8 Zunächst ist zu bemerken, daß die Antragstellerinnen zur Stützung ihres Antrags keine Unklarheit oder Mehrdeutigkeit geltend machen, mit der der Tenor des Urteils vom 11. Februar 1993, gegebenenfalls in Verbindung mit dessen wesentlichen Entscheidungsgründen, behaftet wäre.

9 Ferner ist festzustellen, daß die Antragstellerinnen mit ihrer gegen die Arbeiten des Prüfungsausschusses für das interne Auswahlverfahren B/228 des Rates gerichteten Anfechtungsklage die Aufhebung der "Entscheidungen des Prüfungsausschusses ..., die nach der Zulassung zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens ergangen sind", beantragt hatten. Die Antragstellerinnen haben somit das Gericht aufgefordert, alle Maßnahmen des streitigen Auswahlverfahrens aufzuheben, die nach dem Erlaß der Entscheidungen des Prüfungsausschusses über die Zulassung der Bewerber zu den Prüfungen dieses Auswahlverfahrens ergangen sind. Ihre Aufhebungsanträge betrafen also nicht die Zulassungsentscheidungen. Da die Antragstellerinnen in der vorgenannten Weise die Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die durch das Gericht aufgehoben werden sollten, selbst näher bezeichnet hatten, kannten sie demgemäß die Entscheidungen, die im Rahmen des streitigen Auswahlverfahrens getroffen worden waren, das, "wie es in Anhang III des Statuts ausgestaltet ist, ... mit der Aufstellung des Verzeichnisses der geeigneten Bewerber und dessen Übermittlung, zusammen mit dem mit Gründen versehenen Bericht des Prüfungsausschusses, an die Anstellungsbehörde [endet]" (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 6. Juli 1993 in der Rechtssache C-242/90 P, Kommission/Albani, Slg. 1993, I-3839, Randnr. 10), Entscheidungen, deren Aufhebung sie beantragt hatten, und wussten, welche in dem streitigen Auswahlverfahren ergangenen Entscheidungen hiernach durch das Urteil vom 11. Februar 1993 aufgehoben worden sein konnten, durch das die "Maßnahmen, die in dem ... internen Auswahlverfahren B/228 nach der Zulassung der Bewerber zu den Prüfungen getroffen wurden, [aufgehoben wurden]". Der Tenor des in Rede stehenden Urteils ist daher mit keiner Unklarheit oder Mehrdeutigkeit behaftet, weder in seinem Sinn noch in seiner Tragweite, weder für sich betrachtet noch in Verbindung mit den Anträgen der Antragstellerinnen (siehe zu diesem letzten Punkt Urteil Willame/Kommission der EAG, a. a. O.).

10 Folglich erfuellt der vorliegende Auslegungsantrag nicht die Zulässigkeitsvoraussetzung bezueglich des Vorliegens einer Sinn und Tragweite des Urteils, dessen Auslegung beantragt wird, berührenden Unklarheit oder Mehrdeutigkeit.

11 Nach alledem ist ° durch Beschluß ° nur über die Zulässigkeit des Auslegungsantrags zu entscheiden, ohne in die mündliche Verhandlung einzutreten und ohne daß es erforderlich wäre, die Parteien um zusätzliche Ausführungen zu ihren Anträgen zu ersuchen, und der Antrag als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung


Kosten

12 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

beschlossen:

1) Der Auslegungsantrag wird als unzulässig abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 14. Juli 1993