BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 4. OKTOBER 1991. - JEAN-MARC BOSMAN GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-117/91.
Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-04837
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
1. Nichtigkeitsklage - Anfechtbare Handlungen - Begriff - Handlungen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen - Blosse Kenntnisnahme der Kommission von dem beabsichtigten Verhalten einer privaten Vereinigung
(EWG-Vertrag, Artikel 173)
2. Schadensersatzklage - Klage gegen die Kommission wegen einer Handlung ohne Rechtswirkung - Unzulässigkeit
(EWG-Vertrag, Artikel 178 und 215 Absatz 2)
1. Nur Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen, stellen Handlungen oder Entscheidungen dar, gegen die die Nichtigkeitsklage gegeben ist.
Eine solche Handlung liegt nicht vor, wenn aus einer von der Kommission herausgegebenen Pressemitteilung hervorgeht, daß sie sich darauf beschränkt hat, zum einen zur Kenntnis zu nehmen, welche Änderungen eine private Vereinigung, die auf europäischer Ebene den Berufsfußball koordiniert, an ihrer Satzung vorzunehmen beabsichtigt, um die Freizuegigkeit der Berufsfußballspieler innerhalb der Gemeinschaft zu vergrössern, und zum anderen festzustellen, welche Pläne in der Frage des Spielertransfers bestehen, denn die Kommission hat dadurch weder eine einseitige Entscheidung mit Rechtswirkung gegenüber Dritten erlassen, noch eine gerichtlich nachprüfbare Vereinbarung geschlossen.
2. Eine Haftungsklage auf Ersatz eines Schadens, der sich nur aus der behaupteten Rechtswidrigkeit einer Handlung eines Organs ergibt, ist unzulässig, sofern diese Handlung keine Rechtswirkungen erzeugt.
1 Jean-Marc Bosman, Berufsfußballspieler, hat mit Klageschrift, die am 23. April 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung einer am 17. April 1991 von der Kommission erlassenen Entscheidung betreffend eine Vereinbarung zwischen dieser und der Europäischen Vereinigung der Fußballverbände (im folgenden: UEFA) über die für die nationalen Meisterschaften geltenden Nationalitätsklauseln und das für den Transfer von Berufsspielern von einem Verein zu einem anderen geltende System der Transferentschädigungen beantragt, so wie sich diese Entscheidung insbesondere aus der Pressemitteilung IP(91)316 der Kommission vom 18. April 1991 ergibt. Der Antragsteller hat ausserdem gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag Ersatz des ihm aus dieser Entscheidung entstehenden Schadens verlangt.
2 Aus der vom Antragsteller angeführten Pressemitteilung geht hervor, daß sich die UEFA nach Gesprächen mit dem Vizepräsidenten und Beauftragten der Kommission, Bangemann, zu einer Änderung ihrer Satzung dahin verpflichtet habe, daß von der Spielzeit 1992/93 an die Aufstellung von mindestens drei ausländischen Spielern und darüber hinaus von zwei ausländischen Spielern, die in einem Land fünf Jahre ununterbrochen - davon drei Jahre in Jugendmannschaften - gespielt haben, für Meisterschaftsspiele der Erstligen zugelassen sind, wobei diese Regelung spätestens zum Ende der Spielzeit 1996/97 auf die anderen Ligen mit Berufsspielern ausgedehnt werden soll. In dieser Pressemitteilung wird ausserdem darauf hingewiesen, daß im Bereich der vertraglichen Bindungen zwischen den Vereinen und den Berufsspielern Fortschritte in der Transferfrage erzielt worden seien und daß die bisherigen Verhandlungen zu einer Einigung dahin geführt hätten, daß es einem Berufsspieler grundsätzlich freistehe, nach Ablauf seines Vertrags bei einer neuen Mannschaft zu spielen, unbehindert durch die üblichen Verhandlungen zwischen abgebendem und erwerbendem Verein hinsichtlich der an den abgebenden Verein zu zahlenden Entschädigungen. Die Mitteilung schließt mit der Feststellung, daß in der Frage des "Mustervertrags" zwischen Vereinen und Berufsspielern mit allen Beteiligten eingehendere Gespräche zu führen seien.
3 Mit besonderem Schriftsatz, der ebenfalls am 23. April 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Kläger gemäß den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag eine einstweilige Anordnung beantragt. Mit Beschluß vom 27. Juni 1991 hat der Präsident des Gerichtshofes diesen Antrag zurückgewiesen.
4 Die Kommission hat mit besonderem Schriftsatz, der am 29. Mai 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung erhoben und beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden.
5 Am 1. Juli 1991 hat der Kläger gemäß Artikel 91 § 2 der Verfahrensordnung zu der Einrede der Unzulässigkeit schriftlich Stellung genommen.
6 Der Gerichtshof hat gemäß Artikel 91 § 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, da er die sich aus den schriftlichen Stellungnahmen der Parteien ergebenden Angaben für ausreichend hält.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
7 Zur Begründung der Einrede der Unzulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung macht die Kommission geltend, daß dieser gegen eine inexistente Handlung oder zumindest gegen eine Handlung gerichtet sei, die keine Rechtswirkungen erzeugen könne. Die angefochtene Handlung sei eine für eine Übergangszeit getroffene, formlose Abmachung, mit der die erzielten Fortschritte hin zu einer völligen Liberalisierung der Satzungen der nationalen Fußballverbände und der UEFA festgestellt wurden.
8 Insbesondere habe die angefochtene Handlung nicht den ihr vom Kläger zugeschriebenen Inhalt. Sie könne nicht als stillschweigende "Entscheidung" über die vom Kläger unter anderem gegen die UEFA wegen Verletzung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag geführte Beschwerde betrachtet werden, weil die Ermittlungen in dieser Sache noch liefen. Da von der UEFA keine Vereinbarung angemeldet worden sei, stelle die angegriffene Handlung auch keine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag und kein Negativattest nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 (ABl. 1962, 13, S. 204) dar.
9 Auch wenn man annehme, daß es sich um eine "Entscheidung" handle, so sei sie doch nicht an den Kläger ergangen und dieser sei durch sie nicht individuell, sondern nur aufgrund seiner objektiven Eigenschaft als Berufsfußballspieler betroffen.
10 Nach Ansicht des Klägers hat die angefochtene Handlung dagegen verbindliche Rechtswirkungen, die seine Interessen berühren könnten, da sie seine Rechtsstellung änderten. Die fragliche Handlung sei wegen der Gültigkeitsvermutung, die für Handlungen der Gemeinschaften bestehe, nicht als inexistent anzusehen. Sie sei auch weder eine formlose Abmachung, da sie sich auf die Rechtsstellung Dritter auswirke, noch eine Vorbereitungshandlung, weil sich aus dem Wortlaut der zwischen der Kommission und der UEFA getroffenen Vereinbarung deren Endgültigkeit ergebe.
11 Insbesondere könne die angefochtene Handlung als Maßnahme zur Durchführung der Wettbewerbsregeln des Vertrages angesehen werden, die die stillschweigende Zurückweisung einer vom Kläger am 20. November 1990 an die Kommission gerichteten Beschwerde wegen Unvereinbarkeit der Nationalitätsklauseln und des Systems des Transfers von Fußballspielern mit Artikel 85, eine Freistellungsentscheidung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag oder ein Negativattest gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 beinhalte. Treffe dies nicht zu, so könne sie eine Handlung sein, die die Wirkungen einer gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossenden Absprache verstärke, eine Mitteilung betreffend Artikel 48 EWG-Vertrag oder eine Handlung, durch die die Kommission auf die Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag verzichte.
12 Die angefochtene Handlung betreffe ihn auch unmittelbar im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag, da sie keiner Durchführungsmaßnahme seitens der Mitgliedstaaten bedürfe. Die Handlung betreffe ihn auch individuell, da sie die Antwort auf die Beschwerde, die er bei der Kommission eingereicht habe, sowie auf die Informationen darstelle, die er der Kommission über seine Ablehnung einer Vereinbarung gegeben habe. Die Kommission habe auf seine Klage vor den belgischen Gerichten die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der UEFA beschlossen und die Lösung seines persönlichen Falles sei Gegenstand einer Klausel der Vereinbarung. Er sei der einzige Spieler in der Gemeinschaft, der in einem Rechtsstreit mit seinem Verband stehe, und die Entscheidung der Kommission drohe den Ausgang seines Verfahrens zu beeinflussen. Schließlich werde seine Lage durch die Besonderheit und Schwere des erlittenen Schadens individuell herausgehoben.
13 Zur Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage ist zunächst die Rechtsnatur der angefochtenen Handlung zu untersuchen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes stellen nämlich nur Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen, Handlungen oder Entscheidungen dar, gegen die die Nichtigkeitsklage gegeben ist (vgl. insbesondere Urteil vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639).
14 Dies ist bei der angefochtenen Handlung nicht der Fall. Schon aus dem Wortlaut der vom Kläger angeführten Pressemitteilung und anderer von ihm eingereichter Unterlagen geht hervor, daß sich die Kommission am Ende der Verhandlungen zwischen ihrem Vizepräsidenten und der UEFA über die Lage der Berufsfußballspieler in der Gemeinschaft darauf beschränkt hat, zum einen zur Kenntnis zu nehmen, welche Änderungen die UEFA an ihrer Satzung vorzunehmen beabsichtigte, um die Freizuegigkeit der Spieler innerhalb der Gemeinschaft zu vergrössern, und zum anderen festzustellen, welche Pläne in der Frage des Spielertransfers bestanden. Sie hat also weder eine einseitige Entscheidung mit Rechtswirkung gegenüber Dritten erlassen, noch mit der UEFA einen Vertrag oder eine Vereinbarung gleich welcher Natur geschlossen, die dem Gerichtshof zur Nachprüfung vorgelegt werden könnten.
15 Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß die angefochtene Handlung nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann und daß die Klage als unzulässig abzuweisen ist.
Zum Antrag auf Schadenersatz
16 Nach Ansicht der Kommission ist der Antrag auf Schadensersatz unzulässig, weil zum einen die in Frage stehende formlose Abmachung noch nicht definitiv abgeschlossen worden sei und jedenfalls keine Rechtswirkungen habe. Zum anderen sei der vom Kläger behandelte Schaden nur hypothetisch.
17 Der Kläger hält die Klage dagegen für zulässig, da die Handlung der Kommission Rechtswirkungen erzeuge und ihm ein tatsächlicher und gegenwärtiger Schaden entstanden sei.
18 Hierzu ist festzustellen, daß der Kläger behauptet, mehrere verschiedene Schäden erlitten zu haben; diese sind getrennt zu prüfen. Daher ist die Zulässigkeit des Schadensersatzantrags in bezug auf die einzelnen geltend gemachten Schäden zu prüfen.
19 Zunächst führt der Kläger aus, er sei der Gefahr einer Niederlage in seinem Prozeß vor den belgischen Gerichten oder einer tiefgreifenden Störung des prozessualen Gleichgewichts ausgesetzt worden; ausserdem drohe ihm der Verlust seiner gegenwärtigen Beschäftigung und eine Restriktion auf dem Arbeitsmarkt, auf dem er seinen Dienste anbieten können müsse. Diese Schäden ergäben sich aus dem Amtsfehler, den die Kommission durch Erlaß der rechtswidrigen Entscheidung vom 17. April 1991, die ebenfalls Gegenstand des Nichtigkeitsantrags sei, begangen habe.
20 Wie bereits festgestellt, erzeugt diese Handlung jedoch keine Rechtswirkungen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe Beschluß vom 13. Juni 1991 in der Rechtssache C-50/90, Sunzest/Kommission, Slg. 1991, 2917) ergibt sich, daß eine Haftungsklage auf Ersatz eines Schadens, der sich nach dem Vorbringen des Klägers nur aus der Rechtswidrigkeit einer Handlung eines Organs ergibt, unzulässig ist, sofern diese Handlung keine Rechtswirkungen erzeugt.
21 Der auf Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag gestützte Antrag ist folglich als unzulässig abzuweisen.
22 Gemäß Artikel 91 § 4 der Verfahrensordnung ist die Klage daher insgesamt als unzulässig abzuweisen.
Kosten
23 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
beschlossen:
1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2) Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Luxemburg, den 4. Oktober 1991.