Herr Präsident,meine Herren Richter!
1. Die Tätigkeit der Gemeinschaft umfaßt gemäß Artikel 3 EWG-Vertrag u. a. den freien Dienstleistungsverkehr und die Einführung
einer gemeinsamen Verkehrspolitik.Vor diesem Hintergrund darf man sich wohl ein wenig über den Sachverhalt wundern, der Anlaß zu der Vorabentscheidungsfrage
gegeben hat, die das Amtsgericht Emden dem Gerichtshof vorgelegt hat.Der tatsächliche und rechtliche Hintergrund der beiden dem Amtsgericht Emden vorliegenden Rechtssachen ist einfach. Einem
niederländischen und einem belgischen Staatsangehörigen, die beide im Besitz des niederländischen Schifferpatents
Groot vaarbewijs II sind, wurden im Zusammenhang mit dem Befahren der deutschen Binnenwasserstraßen im Jahre 1990 von der zuständigen deutschen
Behörde Bußgelder mit der Begründung auferlegt, der
Groot vaarbewijs II sei kein in Deutschland gültiges Schifferpatent.Dies gibt Anlaß zu weiterer Verwunderung darüber, daß es in Wirklichkeit ─ wie aus dem Folgenden hervorgehen wird ─ nicht
ganz einfach ist, festzustellen, welches der Inhalt der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften im Hinblick auf die Entscheidung
von Rechtssachen wie der vorliegenden ist.Das Amtsgericht Emden bringt in seinen Vorlagebeschlüssen zum Ausdruck, daß es nach seiner Auffassung keine objektiven Gründe
dafür gebe, das Befahren der deutschen Wasserstraßen, um die es in den vorliegenden Rechtssachen gehe, mit dem niederländischen
Patent nicht zuzulassen, und daß die Forderung der deutschen Behörden nach Vorlage eines deutschen Schifferpatents für die
betroffenen Schiffsführer, die Inhaber eines niederländischen Patents sind, eine mittelbare Diskriminierung darstelle.Die Vorabentscheidungsfrage lautet wie folgt:Ist Artikel 76 EWG-Vertrag dahin gehend auszulegen, daß es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, das Befahren der nationalen Wasserstraßen
vom Erwerb eines nach nationalem Recht erworbenen Binnenschifferpatents abhängig zu machen, ohne nach der Art der zu befahrenden
Binnenschiffahrtsreviere grundsätzlich zu differenzieren?
Zur Auslegung des Artikels 76 EWG-Vertrag
2. Nach Artikel 76 EWG-Vertrag darf ein Mitgliedstaatdie verschiedenen, bei Inkrafttreten dieses Vertrages auf diesem Gebiet geltenden Vorschriften in ihren unmittelbaren oder
mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern
nicht ungünstiger gestalten ...
(2)
Für die Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage ist es wichtig, festzustellen, daß Artikel 76 kein Verbot nationaler Vorschriften
mit einem näher bestimmten Inhalt enthält, zum Beispiel nationaler Vorschriften, die zu einer mittelbaren Diskriminierung
führen. Artikel 76 verbietet es den Mitgliedstaaten nur, bestehende Vorschriften in der Weise zu ändern, daß sie sie
in ihren unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den
inländischen Verkehrsunternehmern ... ungünstiger gestalten. Artikel 76 enthält das, was gewöhnlich als
Stillhalteverpflichtung bezeichnet wird.Deshalb kann aus Artikel 76 kein Verbot nationaler Vorschriften hergeleitet werden, die das Befahren der Binnenwasserstraßen
davon abhängig machen, daß der Schiffsführer ein Schifferpatent nach nationalem Recht erworben hat, wenn diese Vorschriften
bereits zur Zeit des Inkrafttretens des EWG-Vertrags existierten. Artikel 76 wäre dagegen verletzt, wenn die einschlägigen
deutschen Vorschriften nach Inkrafttreten des EWG-Vertrags mit den in dieser Bestimmung dargelegten Wirkungen geändert würden.
Artikel 76 begründet individuelle Ansprüche, auf die sich die Bürger der Mitgliedstaaten in Rechtsstreitigkeiten vor den nationalen
Gerichten berufen können.
3. Aus den Akten geht hervor, daß die deutschen Rechtsvorschriften über die Schifferpatente seit Inkrafttreten des Vertrages
mehrfach geändert worden sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Änderungen ausländische Schiffsführer
im Verhältnis zu inländischen Schiffsführern ungünstiger stellen als die ursprüngliche Regelung. Die Art der Änderungen ist
während des Verfahrens vor dem Gerichtshof erörtert worden, und die in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen scheinen
darauf hinzudeuten, daß die geänderten deutschen Vorschriften die ausländischen Schiffsführer jedenfalls nicht ungünstiger
stellen als zuvor.
4. Während des Verfahrens ist geltend gemacht worden, daß die Art und Weise der Anwendung der Vorschriften geändert worden sei
und daß diese Änderung der Verwaltungspraxis gegen Artikel 76 verstoße, da sie dazu führe, daß Schiffsführer mit niederländischen
Schifferpatenten in den letzten Jahren ungünstiger behandelt worden seien als früher
(3)
.Es ist während des Verfahrens ─ auch seitens der deutschen Regierung ─ kein Zweifel daran geäußert worden, daß wesentliche
Änderungen der Art und Weise der Anwendung eines Gesetzes einen Verstoß gegen Artikel 76 begründen können. Dies ist meines
Erachtens auch unzweifelhaft. Änderungen der Art und Weise der Anwendung eines Gesetzes können für ausländische Verkehrsunternehmen
genau so spürbar sein wie Änderungen der bestehenden Vorschriften und können deshalb auch eine Verwirklichung des Ziels verhindern,
das Artikel 76 anstrebt
(4)
.
5. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dazu Stellung zu nehmen, ob die Verwaltungspraxis auf eine für ausländische Verkehrsunternehmen
ungünstige Art und Weise geändert wurde. Das vorlegende Gericht muß ermitteln, ob früher eine Verwaltungspraxis bestand, wonach
die Inhaber des
Groot vaarbewijs II die deutschen Binnengewässer befahren durften, ohne im Besitz eines deutschen Schifferpatents zu sein, und ob jetzt eine
neue Verwaltungspraxis besteht, wonach diese Schiffsführer außerdem Inhaber eines deutschen Schifferpatents sein müssen.Im Zusammenhang mit den vorliegenden Rechtssachen ist es natürlich besonders wichtig, ob man davon ausgehen kann, daß ─ wie
namentlich die niederländische Regierung vorgetragen hat ─ früher eine Verwaltungspraxis bestanden hat, die sich hinreichend
verfestigt hatte und einen bestimmten Grad der Allgemeinheit aufwies
(5)
und nach der die Inhaber des niederländischen Schifferpatents tatsächlich die deutschen Binnenwasserstraßen befahren konnten,
ohne daß von ihnen verlangt wurde, daß sie zugleich im Besitz des deutschen Schifferpatents waren.
6. Im übrigen kann meiner Meinung nach kein Zweifel daran bestehen, daß Artikel 76 dahin auszulegen ist, daß eine Änderung der
Verwaltungspraxis wie die oben beschriebene einen Verstoß gegen Artikel 76 darstellt
(6)
.
Zur Frage, ob aus den Vertragsvorschriften eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten hergeleitet werden kann, ausländische Schifferpatente
anzuerkennen
7. Das vorlegende Gericht ist, wie gesagt, der Auffassung, daß die Nichtanerkennung des niederländischen Schifferpatents eine
mittelbare Diskriminierung von Schiffsführern aus anderen Mitgliedstaaten darstellt. Deshalb erscheint es notwendig, auch
zu untersuchen, ob andere Vorschriften des Vertrages für die Frage von Bedeutung sein können, inwieweit niederländische Patente
von den deutschen Behörden anerkannt werden müssen. Diese Frage ist auch in den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen
behandelt worden.
8. Die Betroffenen der Ausgangsverfahren erbrachten Verkehrsdienstleistungen in Deutschland, und deshalb ist insbesondere zu
untersuchen, ob die Vorschriften des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr (Artikel 59 und 60) Anwendung finden
können. Die erste Frage, zu der in diesem Zusammenhang Stellung zu nehmen ist, ist die, welche Bedeutung der Bestimmung von
Artikel 61 Absatz 1 EWG-Vertrag beizumessen ist, nach der
für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs ... die Bestimmungen des Titels über den Verkehr gelten.
9. Es liegt bei unmittelbarer Betrachtung nahe, davon auszugehen, daß die Regelung über die Anforderungen, die an die Qualifikationen
der Schiffsführer zu stellen sind, in den besonderen Vorschriften über den Verkehr in Titel IV des Zweiten Teils des EWG-Vertrags
enthalten ist. Artikel 74 EWG-Vertrag bestimmt, daß die Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs die Ziele des Vertrages
im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik verfolgen, und Artikel 75 verleiht dem Rat eine umfassende Befugnis,
zweckdienliche Vorschriften dafür zu erlassen. In Übereinstimmung damit wurden die Richtlinien des Rates über die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine
für Transportmittel
(7)
aufgrund des Artikels 75 erlassen
(8)
.
10. Die deutsche Regierung macht dazu ebenfalls geltend, Artikel 61 EWG-Vertrag impliziere notwendigerweise, daß die Behinderungen
des freien Dienstleistungsverkehrs, die sich aus nationalen Anforderungen an die Schifferpatente ergäben, durch Vorschriften
beseitigt werden müßten, die aufgrund des Artikels 75 EWG-Vertrag erlassen würden, und zu dem für die Ausgangsverfahren entscheidenden
Zeitpunkt hätten keine Gemeinschaftsvorschriften über die Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Schifferpatente
existiert. Die Richtlinie 91/672/EWG des Rates über die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Schifferpatente für
den Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr sei am 16. Dezember 1991 erlassen worden und müsse von den Mitgliedstaaten erst
am 1. Januar 1993 umgesetzt werden. Nach Auffassung der deutschen Regierung besteht deshalb erst von diesem Zeitpunkt an eine
gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung für Deutschland, den niederländischen
Groot vaarbewijs II anzuerkennen
(9)
.
11. Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick überzeugend.Die niederländische Regierung und die Kommission haben jedoch vorgetragen, daß Artikel 61 nicht notwendigerweise die Rechtswirkung
habe, die die deutsche Regierung ihm beilege, und man kann nicht ausschließen, daß die Richtlinie 91/672 sich ─ jedenfalls
in einem bestimmten Umfang ─ darauf beschränkt, festzustellen, was schon aus den Vorschriften des Vertrages folgt. Läßt sich aus den Vorschriften des Vertrages über die Freizügigkeit, aus Artikel 5 EWG-Vertrag und aus den allgemeinen Zielsetzungen
des Vertrages ein allgemeiner Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Befähigungsnachweise herleiten?
12. Die Kommission ist grundsätzlich der Auffassung, daß auch bei Dienstleistungen eine Pflicht zur Anerkennung der Schifferpatente
aus anderen Mitgliedstaaten bestehe, obgleich die Vorschriften des Vertrages über Dienstleistungen infolge der Vorschrift
des Artikels 61 auf dem Gebiet des Verkehrs keine Anwendung fänden.Ausgangspunkt für die Kommission ist die Feststellung des Gerichtshofes, daß die grundlegenden Vorschriften über den freien
Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs Anwendung finden, wenn nichts anderes bestimmt
ist. Der Gerichtshof hat im Urteil vom 4. April 1974 in der Rechtssache 167/73 (Kommission/Französische Republik) ausgeführt:
Da diesen Grundsatzbestimmungen Geltung für den Gesamtbereich der Wirtschaft beizumessen ist, können sie nur dann außer Anwendung
bleiben, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt.
(10)
Zugleich hat der Gerichtshof betont, daß Artikel 61 eine ausdrückliche Vorschrift darstellt, die aufgrund der mit dem Verkehrswesen
verbundenen besonderen Probleme eine Abweichung von dem genannten Ausgangspunkt vorsieht.Die Kommission weist weiter darauf hin, daß der Gerichtshof für den Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Niederlassungsfreiheit
entschieden habe, daß eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestehe, die in den anderen Mitgliedstaaten erteilten Befähigungsnachweise
zu berücksichtigen; diese Verpflichtung gelte aufgrund des oben genannten Urteils auch auf dem Gebiet des Verkehrs.Die Kommission trägt vor, die Verpflichtung, in anderen Mitgliedstaaten erteilte Befähigungsnachweise zu berücksichtigen,
ergebe sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes im wesentlichen aus Artikel 5 EWG-Vertrag im Zusammenhang mit den allgemeinen
Zielsetzungen und dem Zweck des Vertrages. Dies impliziert nach Auffassung der Kommission, daß es sich um einen allgemeinen
Grundsatz handele, der folglich auch auf den Fall der Erbringung von Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs Anwendung
finde.Zur Stützung dieser Auffassung macht die Kommission geltend, daß es unangemessen wäre, wenn Erbringer von Dienstleistungen,
die nur zeitweilig eine Erwerbstätigkeit in einem Mitgliedstaat ausübten, einer anderen und restriktiveren Behandlung unterworfen
würden als Wirtschaftsteilnehmer, die durch ihre Niederlassung eine dauerhafte Integration in das Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats
anstrebten.
13. Meines Erachtens ist das Vorbringen der Kommission nicht stichhaltig.Zwar trifft es zu, daß der Gerichtshof in Rechtssachen, die die Vertragsvorschriften über Arbeitskräfte und über die Niederlassung
betrafen, auf Artikel 5 EWG-Vertrag verwiesen hat, um festzustellen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die in anderen
Mitgliedstaaten erteilten Befähigungsnachweise zu berücksichtigen und eine vergleichende Prüfung ihrer Gleichwertigkeit vorzunehmen
(11)
.Gleichzeitig betont der Gerichtshof jedoch, daß die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 haben, Verpflichtungen
für die Mitgliedstaaten sind, die Ziele des Vertrages zu verwirklichen. Zuletzt hat der Gerichtshof im Urteil vom 7. Mai 1992
in der Rechtssache C-104/91 (Borrell) ausgeführt, daß die Ziele des Vertrages und insbesondere die Niederlassungsfreiheit, soweit das Gemeinschaftsrecht hierzu selbst nichts
bestimmt, durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten verwirklicht werden können, denen es nach Artikel 5 des Vertrages obliegt,
alle geeigneten Maßnahmen ... zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ... ergeben, zu treffen und
alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden könnten zu unterlassen (Randnr. 9).Mit anderen Worten kann allein aus Artikel 5 keine Verpflichtung zur Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten erteilten
Befähigungsnachweisen hergeleitet werden. Die Pflichten der Mitgliedstaaten aus Artikel 5 beruhen insoweit auf den grundlegenden
Verpflichtungen, die in den Vertragsvorschriften über den freien Verkehr enthalten sind. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten,
in anderen Mitgliedstaaten erteilte Befähigungsnachweise anzuerkennen, haben deshalb ihre Grundlage letztlich in den besonderen
Vorschriften des Vertrages über die Verwirklichung des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs. Dieses Ergebnis ist auch
deshalb von Bedeutung, weil sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, daß die Vorschriften des Vertrages über
den freien Verkehr infolge der unterschiedlichen Natur der einzelnen Tätigkeiten unter Umständen verschiedene Verpflichtungen
für die Mitgliedstaaten mit sich bringen können
(12)
.Unter diesen Umständen darf meines Erachtens bei der Entscheidung über die vorliegenden Rechtssachen nicht unberücksichtigt
bleiben, daß die Frage nach der Anerkennung niederländischer Schifferpatente in Rechtssachen aufgeworfen wird, in denen die
Anerkennung von Personen gefordert wird, die Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs erbringen.
14. Für eine Stellungnahme zu diesen Rechtssachen ist deshalb entscheidend, ob die Vorschriften des Vertrages über die Dienstleistungen
auf diesem Gebiet unmittelbar oder mittelbar anwendbar sind. Ist Artikel 61 EWG-Vertrag einschränkend dahin auszulegen, daß er die Anwendung der Artikel 59 und 60 in dem besonderen Bereich,
um den es in den vorliegenden Rechtssachen geht, nicht ausschließt?
15. Wie oben ausgeführt, liegt es bei unmittelbarer Betrachtung nahe, anzunehmen, daß Artikel 61 auch die Frage der Anerkennung
von Befähigungsnachweisen auf dem Gebiet des Verkehrs behandelt. Diese Auffassung kann vermutlich eine Stütze in der Rechtsprechung
des Gerichtshofes finden.Der Gerichtshof hat im Urteil vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83 (Europäisches Parlament/Rat)
(13)
, in der es um das angebliche Untätigbleiben des Rates auf dem Gebiet des Verkehrs ging, folgendes ausgeführt:Zunächst ist festzustellen, daß gemäß Artikel 61 Absatz 1 für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs
die Bestimmungen des Titels über den Verkehr gelten. Die Anwendung der insbesondere in den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag
niedergelegten Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit muß daher nach dem Vertrag durch die Verwirklichung der gemeinsamen
Verkehrspolitik erreicht werden ... (Randnr. 62)
(14)
.
16. Es gibt jedoch meines Erachtens gute Gründe, zu prüfen, ob es nicht möglich ist, Artikel 61 so eng auszulegen, daß diese Vorschrift
die Anwendung der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag auf die Frage der Anerkennung von Befähigungsnachweisen bei der Erbringung
von Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs nicht ausschließt
(15)
.
17. Mit Sicherheit sieht der Vertrag vor, daß die Dienstleistungsfreiheit auch auf dem Gebiet des Verkehrs verwirklicht werden
soll
(16)
. Man kann auch davon ausgehen, daß auf dem Gebiet des Verkehrs besondere Gegebenheiten vorliegen ─ die
Besonderheiten des Verkehrs
(17)
─, die die Regel gerechtfertigt haben, daß dieses Ziel durch die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik zu verwirklichen
ist. Die besonderen Gegebenheiten, die auf dem Gebiet des Verkehrs bestehen, standen im Mittelpunkt der Entscheidung des Gerichtshofes
in der Rechtssache Pinaud Wieger, die die Kabotage betraf. Der Gerichtshof hat das Ergebnis, zu dem er gekommen ist, mit der
Komplexität des Straßenkabotagesektors begründet und ausgeführt, die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs könne
nur im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik geordnet erfolgen, bei der die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen
Probleme berücksichtigt und gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden
(18)
. Man kann vor diesem Hintergrund die Auffassung vertreten, daß Artikel 61 nur zum Ziel hat, die Anwendung der Artikel 59
und 60 auf dem Gebiet des Verkehrs auszuschließen, wenn die zuvor genannten Probleme bewirken, daß es für die Mitgliedstaaten
zu besonderen Schwierigkeiten führen kann, wenn sie zulassen, daß Dienstleistende aus anderen Mitgliedstaaten Verkehrsdienstleistungen
in ihrem Gebiet erbringen.
18. Ich halte es für sicher, daß die besonderen Gegebenheiten auf dem Gebiet des Verkehrs, die die Vorschrift des Artikels 61
EWG-Vertrag begründet haben, in dem Bereich, um den es hier geht, nicht vorliegen. Meiner Meinung nach ist es wesentlich,
daß die einschlägigen nationalen Vorschriften nicht bezwecken, den Zugang ausländischer Schiffsführer zur Erbringung von Verkehrsdienstleistungen
im Gebiet der Mitgliedstaaten aus wirtschaftlichen, sozialen oder mit der Umwelt oder dem Wettbewerb zusammenhängenden Erwägungen
einzuschränken, sondern allein, zu gewährleisten, daß die Sicherheit der Binnenwasserschiffahrt gewahrt wird. Die deutschen
Vorschriften eröffnen gerade die Möglichkeit der Anerkennung ausländischer Schifferpatente, und es kann wohl davon ausgegangen
werden, daß bei dieser Entscheidung allein Erwägungen der Verkehrssicherheit eine Rolle gespielt haben.Eine enge Auslegung des Artikels 61 würde, kurz gesagt, den Vorteil haben, daß die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet
des Verkehrs nicht aufgrund dieser Bestimmung durch nationale Vorschriften behindert wird, die eindeutig gegen die Vertragsvorschriften
über den freien Dienstleistungsverkehr verstoßen können und nicht durch die besonderen Gegebenheiten auf dem Gebiet des Verkehrs
gerechtfertigt sind.
19. Diese enge Auslegung läßt sich weiter darauf stützen, daß, wie bereits ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
die Vorschriften des Vertrages über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die Niederlassungsfreiheit auf dem Gebiet
des Verkehrs anwendbar sind und daß sich aus diesen Vorschriften eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten herleiten läßt,
in anderen Mitgliedstaaten erteilte Befähigungsnachweise unter bestimmten Voraussetzungen anzuerkennen. Meiner Meinung nach
läßt sich nur schwer begründen, weshalb Vorschriften für die Leistungserbringer, die nur zeitweilig in einem Mitgliedstaat
eine Erwerbstätigkeit ausüben, auf diesem Gebiet einschränkender sein sollen als die Vorschriften über die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer und die Niederlassungsfreiheit, die eine dauerhafte Integration in das Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats
ermöglichen sollen
(19)
.
20. Eine enge Auslegung des Artikels 61 ist aus diesen Gründen insoweit gerechtfertigt. Wenn ich gleichwohl zögere, dem Gerichtshof
vorzuschlagen, dem zu folgen, so hat dies zwei Ursachen. Die erste ist die, daß geltend gemacht werden kann, daß eine enge
Auslegung schwer vereinbar ist zum einen mit dem Wortlaut des Artikels 61, in dem ganz allgemein bestimmt wird, daß
für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die besonderen Bestimmungen des Vertrages über den Verkehr gelten, und zum anderen mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes,
die am natürlichsten so zu verstehen ist, daß die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des Verkehrs
auf jeden Fall im Rahmen der Vertragsvorschriften über den Verkehr erfolgen muß
(20)
.Die zweite Ursache ist die, daß es meiner Meinung nach möglich ist, aufgrund der besonderen Vorschriften des Vertrages über
den Verkehr zu einem Ergebnis zu kommen, das sicherstellt, daß das grundlegende Ziel des Vertrages bezüglich des freien Dienstleistungsverkehrs
auch auf dem hier in Rede stehenden Gebiet erreicht wird. Enthalten die besonderen Vorschriften des Vertrages über den Verkehr eine unmittelbar geltende Verpflichtung, den freien Dienstleistungsverkehr
sicherzustellen?
21. Die Antwort auf diese Frage findet sich im Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83
(21)
.Der Gerichtshof hat dort ausgeführt,... daß der Rat gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b unter anderem zur Einführung der Dienstleistungsfreiheit auf
dem Gebiet des Verkehrs verpflichtet ist und daß der Umfang dieser Verpflichtung durch den Vertrag eindeutig bestimmt wird.
Aufgrund der Artikel 59 und 60 umfassen nämlich die zwingenden Erfordernisse der Dienstleistungsfreiheit, wie der Gerichtshof
in seinem Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 (Webb, Slg. 1981, 3305) entschieden hat, das Gebot der Beseitigung
sämtlicher Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands, daß er in einem
anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll (Randnr. 64).Der Gerichtshof hat weiter festgestellt,
─
daß der
Rat ... verpflichtet [war], die Dienstleistungsfreiheit gemäß Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 vor Ablauf der
Übergangszeit auf den Verkehrssektor zu erstrecken, soweit dies den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaats oder den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten betraf ...,
─
daß die
hierfür erforderlichen Maßnahmen ... unstreitig noch nicht ergriffen worden [sind] und
─
daß in
diesem Punkt ... also die Untätigkeit des Rates festzustellen [ist], denn der Rat hat es unterlassen, Maßnahmen zu ergreifen,
die vor Ablauf der Übergangszeit hätten ergriffen werden müssen und deren Gegenstand und Wesen mit hinreichender Genauigkeit
bestimmt werden können.
Der Gerichtshof hat schließlich in Randnr. 69 ausgeführt, daß der Rat nach Artikel 176 die sich aus jenem Urteil ergebenden
Maßnahmen zu ergreifen hat und daß er
hierfür über einen angemessenen Zeitraum verfügt.
22. Meine Meinung zu der Bedeutung dieses Urteils für die vorliegenden Rechtssachen läßt sich am einfachsten auf folgende Weise
formulieren:Der
angemessene Zeitraum, über den der Rat für die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des Verkehrs verfügte, war, was
die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten erteilten Befähigungsnachweisen angeht,
zu dem in den vorliegenden Rechtssachen entscheidungserheblichen Zeitpunkt, d. h. im Jahre 1990, jedenfalls abgelaufen. Die
Frage nach der Länge dieses Zeitraums ist konkret im Hinblick darauf zu prüfen, um welche Maßnahmen es sich handelt. Das Urteil
des Gerichtshofes vom 7. November 1991 in der Rechtssache C-17/90 (Pinaud Wieger) kann meiner Meinung nach als Ausdruck dafür
angesehen werden, daß der Gerichtshof eine solche konkrete Prüfung vornimmt. Er hat dem Rat wegen der
Besonderheiten des Verkehrs
(22)
einen angemessenen Zeitraum zur Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs einräumen wollen. Wie bereits gesagt, finde
ich nicht, daß es auf dem Gebiet, um das es in den vorliegenden Rechtssachen geht, irgendwelche ─ wie auch immer gearteten
─ besonderen Schwierigkeiten gibt, die es rechtfertigen können, daß der freie Dienstleistungsverkehr nicht verwirklicht worden
ist.
23. Die Verpflichtung, den freien Dienstleistungsverkehr auf dem so abgegrenzten Gebiet zu verwirklichen, folgt nach Ablauf des
Zeitraums unmittelbar aus den Vorschriften des Vertrages über den Verkehr.Der Inhalt der Verpflichtung ergibt sich aus den Artikeln 59 und 60 in der Auslegung des Gerichtshofes (vgl. den Hinweis in
der oben zitierten Randnr. 64 des Urteils in der Rechtssache Webb).
24. Die Verpflichtung gilt ebenso wie die Artikel 59 und 60 unmittelbar.
25. Diese Auslegung ist meiner Meinung nach richtig und im übrigen auch notwendig, da ein anderes Ergebnis, wie Generalanwalt
Darmon es ausgedrückt hat
(23)
,
Gefahren für die Autorität Ihrer Urteile, die Strenge, mit der ihr Vollzug betrieben werden muß, und letztlich für die Beachtung
ihrer Verpflichtungen durch die Organe mit sich bringen würde.Die im vorhergehenden Abschnitt angeführten Gründe für eine enge Auslegung des Artikels 61 sprechen entschieden für das hier
dargelegte Ergebnis.
26. Für das Gebiet, um das es hier geht, ist nicht erheblich, daß der Gerichtshof in Randnummer 65 des Urteils in der Rechtssache
Parlament/Rat ausgeführt hat, daß der Rat hinsichtlich der Ausgestaltung der für die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs
auf dem Gebiet des Verkehrs notwendigen Maßnahmen
ein gewisses Ermessen ausüben kann.Auf anderen Gebieten mag weiter Anlaß bestehen, anzunehmen, daß der Rat über ein gewisses Ermessen verfügt, und die Auffassung
zu vertreten, daß der angemessene Zeitraum noch nicht abgelaufen ist. Dies war, wie gesagt, der Hintergrund des Urteils in
der Rechtssache Pinaud Wieger, in dem der Gerichtshof ausgeführt hat, daß in Anbetracht der Komplexität des Straßenkabotagesektors
der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs in diesem Bereich noch erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen.Derartige Schwierigkeiten machen sich im Zusammenhang mit der Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten erteilten Befähigungsnachweisen
durch die Mitgliedstaaten nicht bemerkbar. Es besteht kein Zweifel daran, welche Verpflichtungen sich auf diesem Gebiet aus
dem Vertrag im Hinblick auf die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs ergeben, und es kann kein Grund genannt
werden, der dazu führen kann, daß die sich aus dem Vertrag ergebenden allgemeinen Verpflichtungen auf diesem Gebiet für den
Verkehrssektor nicht gelten sollten.
27. Die Verpflichtung, entsprechend den Vorschriften des Vertrages über den Verkehr den freien Dienstleistungsverkehr sicherzustellen
(vgl. Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag), ist deshalb, soweit es sich um die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten erteilten
Befähigungsnachweisen handelt, jedenfalls zu dem für die vorliegenden Rechtssachen entscheidungserheblichen Zeitpunkt unmittelbar
anwendbar geworden.
Die Konsequenzen der Verpflichtung, den freien Dienstleistungsverkehr auf dem in Rede stehenden Gebiet sicherzustellen
28. Aus dem Vorhergehenden folgt, daß die nationalen Anforderungen an Schifferpatente anhand der Rechtsprechung zu prüfen sind,
die der Gerichtshof im Wege der Auslegung der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag entwickelt hat.Nach dieser Rechtsprechung verbieten die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag nicht nur jede Diskriminierung des Leistungserbringers
aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern fordern auch die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs
(24)
. Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß Artikel 60 Absatz 3, wonach der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine
Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben kann, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen,
die dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt, nicht impliziert,... daß jede für die Staatsangehörigen dieses Staats geltende nationale Regelung, die normalerweise eine Dauertätigkeit von
in diesem Staat ansässigen Unternehmen zum Gegenstand hat, in vollem Umfang auf zeitlich begrenzte Tätigkeiten angewandt werden
könnte, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen ausgeübt werden
(25)
.Selbstverständlich ist nicht jede Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs mit den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag unvereinbar.
Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Urteilen entschieden:In Anbetracht der für bestimmte Dienstleistungen charakteristischen Erfordernisse kann es allerdings nicht als unvereinbar
mit den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat für die Erbringung dieser Dienstleistungen
gemäß den für diese Art von Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet geltenden Regelungen Anforderungen an die Qualifikation des
Leistungserbringers stellt. Jedoch darf der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrages nur durch
Regelungen beschränkt werden, die durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind und die für alle im Hoheitsgebiet des Bestimmungsstaats
tätigen Personen oder Unternehmen gelten, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften
Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist. Diese Anforderungen müssen
außerdem sachlich geboten sein, um die Einhaltung der Berufsregelungen und den Schutz der Interessen, den diese bezwecken,
zu gewährleisten ...
(26)
29. Das Erfordernis des Erwerbs eines nationalen Schifferpatents stellt zweifellos eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
dar. Indessen ist das Interesse an der Sicherheit auf den Binnenwasserstraßen zweifellos ein allgemeines Interesse, das es
rechtfertigen kann, von den Leistungserbringern zu verlangen, daß sie gewisse Voraussetzungen bezüglich ihrer Befähigung erfüllen.
Inwieweit das umstrittene Erfordernis mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wird somit davon abhängen, ob dem Interesse
an der Sicherheit bereits durch die Vorschriften Rechnung getragen wird, denen der Leistungserbringer im Niederlassungsstaat
unterliegt, und ob das Erfordernis zum Schutz dieses Interesses objektiv notwendig ist.Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes steht fest, daß die Behörden bei der Prüfung der Frage, ob ein Wirtschaftsteilnehmer
rechtmäßig Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaats erbringen kann, in anderen Mitgliedstaaten erworbene Befähigungen
und Nachweise zu berücksichtigen haben.Ebenso steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes fest, daß ein Mitgliedstaat verlangen kann, daß ein ausländischer Schiffsführer
die Qualitätsanforderungen erfüllt, die denjenigen Anforderungen entsprechen, die für die Erteilung des nationalen Schifferpatents
vorausgesetzt werden. Zum einen sind die Binnenwasserstraßen der Mitgliedstaaten verschiedenartig, und das Befahren dieser
Wasserstraßen setzt deshalb verschiedene Befähigungen voraus. Zum anderen müssen die Mitgliedstaaten mangels einer Harmonisierung
der Voraussetzungen für die Erteilung von Schifferpatenten grundsätzlich befugt sein, selbst den Sicherheitsstandard festzusetzen,
dessen Einhaltung sie anstreben.
30. Aus den einschlägigen deutschen Vorschriften ergibt sich, daß das Erfordernis, daß ein Schiffsführer Inhaber eines deutschen
Schifferpatents ist, nur dann aufgestellt wird, wenn das fragliche ausländische Schifferpatent nicht als gleichwertig anerkannt
wird.Unter diesen Umständen ist zu untersuchen, ob die deutschen Behörden verlangen können, daß der Leistungserbringer die Anerkennung
seines ausländischen Schifferpatents als gleichwertig
beantragt ,
bevor er beginnt, Dienstleistungen in Deutschland zu erbringen.
31. Falls diese Frage zu bejahen ist, wird die fehlende Beantragung der Anerkennung des ausländischen Schifferpatents dazu führen,
daß es rechtswidrig ist, die deutschen Binnenwasserstraßen zu befahren, selbst wenn der Leistungserbringer im Besitz eines
Schifferpatents ist, das sich im konkreten Fall als dem deutschen Patent gleichwertig erweisen kann. Die Kontrolle durch die
deutschen Gerichte, ob die Behörden die Gleichwertigkeit der Patente zutreffend beurteilt haben, wird in dieser Situation
nur erfolgen können, wenn der Betroffene eine eventuelle Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung vor Gericht anficht.Kann man dagegen nicht verlangen, daß der Leistungserbringer zuvor die Anerkennung seines Nachweises beantragt, so müßte ein
deutsches Gericht in einer Strafsache gegen einen Leistungserbringer, der nur im Besitz eines ausländischen Schifferpatents
ist, konkret zu der Frage Stellung nehmen, ob dieses ausländische Patent dem deutschen gleichwertig ist. Ist dies der Fall,
so muß der Leistungserbringer freigesprochen werden. In den vorliegenden Rechtssachen führt dies dazu, daß das vorlegende
Gericht die Argumente der deutschen Behörden zur Begründung der Nichtanerkennung der Gleichwertigkeit des niederländischen
Schifferpatents prüfen muß.
32. Die erstgenannte Situation entspricht der Rechtslage auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit, wonach der Mitgliedstaat verlangen
kann, daß der Niedergelassene den nationalen Befähigungsnachweis erwirbt oder die Anerkennung seines ausländischen Nachweises
beantragt
(27)
.
33. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum freien Dienstleistungsverkehr ist jedoch meines Erachtens dahin zu verstehen, daß
es von der konkreten Prüfung der Natur der fraglichen Erwerbstätigkeit, darunter des allgemeinen Interesses, das die festgesetzten
Qualifikationserfordernisse schützen sollen, abhängt, ob es erforderlich ist, daß ein Leistungserbringer vor Beginn der Erbringung
der Dienstleistungen im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats bei den Behörden die Anerkennung der tatsächlichen Gleichwertigkeit
seines Befähigungsnachweises beantragt.
34. Der Gerichtshof hat Gelegenheit gehabt, über Fälle zu entscheiden, in denen ein Mitgliedstaat die Erbringung bestimmter Dienstleistungen
von gewissen Qualifikationen des Leistungserbringers abhängig macht und bestimmt, daß die fragliche Tätigkeit nicht ausgeübt
werden darf, bevor der Betroffene die Zulassung dazu durch die Erteilung einer Genehmigung oder eines anderen gleichwertigen
Dokuments erhalten hat, in deren Rahmen die Behörden entscheiden, ob die Qualifikationserfordernisse erfüllt sind.Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zeigt, daß es überhaupt gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen kann, zu verlangen, daß
der unter die Vertragsvorschriften über die Dienstleistungen fallende Leistungserbringer die in dem betreffenden Mitgliedstaat
geltenden Anforderungen hinsichtlich seiner Befähigung erfüllen muß
(28)
.Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zeigt jedoch auch, daß das Allgemeininteresse, das die Qualifikationserfordernisse rechtfertigt,
normalerweise schwerwiegend genug ist, um auch von den unter die Vertragsvorschriften über die Dienstleistungen fallenden
Erbringern von Dienstleistungen die Erfüllung dieser Erfordernisse zu verlangen. Die Mitgliedstaaten haben in diesen Fällen
die bereits erwähnte Pflicht, die Qualifikationen, die der Betreffende schon in seinem Heimatland erworben hat, zu berücksichtigen.
35. Die Frage ist in diesen Fällen, ob außerdem verlangt werden kann, daß der betreffende Leistungserbringer eine vorherige Zulassung
im Dienstleistungsland beantragt, um den Behörden dieses Landes die Möglichkeit zu geben, zuvor zu entscheiden, ob er die
bestehenden Qualifikationserfordernisse dank im Niederlassungsstaat erworbener gleichwertiger Qualifikationen erfüllt.Es ist klar, daß das Erfordernis der vorherigen Stellung eines Antrags auf Anerkennung der Gleichwertigkeit der im Niederlassungsstaat
erworbenen Qualifikationen bereits als solches eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt.Deshalb ist auch klar, daß das Erfordernis der vorherigen Anerkennung nur dann aufgestellt werden kann, wenn es die Bedingungen
erfüllt, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gegeben sein müssen, damit Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs
als rechtmäßig angesehen werden können
(29)
.
36. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, hervorzuheben, daß das Erfordernis der vorherigen Anerkennung eine spürbare Beschränkung
des durch den Vertrag gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehrs darstellt. Erbringer von Dienstleistungen verrichten
grundsätzlich zeitlich begrenzte Tätigkeiten im Aufnahmestaat und werden es deshalb als besonders beschwerlich und vermutlich
als starke Behinderung der tatsächlichen Ausübung des Dienstleistungsrechts empfinden, wenn verlangt wird, daß sie vor Beginn
ihrer Tätigkeit die Anerkennung ihrer Befähigung beantragen und die damit verbundenen Verzögerungen und Kosten auf sich nehmen.
37. Deshalb muß meiner Meinung nach ein besonderes Allgemeininteresse vorliegen, damit von Leistungserbringern, die unter die
Vorschriften des Vertrages fallen, verlangt werden kann, daß sie eine Anerkennung beantragen, bevor sie Dienstleistungen im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erbringen
(30)
. Dem Allgemeininteresse, das die Aufstellung derartiger Qualifikationserfordernisse rechtfertigt, wird normalerweise dadurch
hinreichend Rechnung getragen, daß gegen Leistungserbringer, die die bestehenden Qualifikationserfordernisse nicht erfüllen,
Sanktionen verhängt werden können. Meines Erachtens liegt kein solches besonderes Allgemeininteresse vor, das das Erfordernis rechtfertigt, daß die niederländischen
Schiffsführer eine Anerkennung ihres
Groot vaarbewijs II beantragen, bevor sie Dienstleistungen in Deutschland erbringen.
38. Somit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Inhaber des
Groot vaarbewijs II über Befähigungen verfügen, die als den Befähigungen, die bei der Erteilung eines deutschen Schifferpatents vorhanden sein
müssen, gleichwertig anzusehen sind
(31)
.
39. Ich werde vor dem Hintergrund der oben angeführten Gesichtspunkte dem Gerichtshof vorschlagen, zu entscheiden, daß die Verpflichtung,
den freien Dienstleistungsverkehr, so wie dieser auf dem Gebiet des Verkehrs gilt, sicherzustellen, impliziert, daß ein Mitgliedstaat
von einem Dienstleistungserbringer nicht den Erwerb eines nationalen Schifferpatents verlangen kann, wenn dieser Inhaber eines
Schifferpatents ist, das in einem anderen Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen wie den im Dienstleistungsmitgliedstaat
zu erfüllenden erteilt wurde und wenn seine Qualifikationen deshalb als denen, die für die Erteilung der nationalen Schifferpatente
erforderlich sind, gleichwertig anzusehen sind. In diesem Zusammenhang kann nicht verlangt werden, daß der Dienstleistungserbringer
zuvor die Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Schifferpatents seitens des Mitgliedstaats erreicht hat.
Entscheidungsvorschlag
40. Ich schlage deshalb dem Gerichtshof vor, die vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:Artikel 76 EWG-Vertrag verbietet es, daß ein Mitgliedstaat seine Rechtsvorschriften in einer Weise ändert, die dazu führt,
daß Schiffsführer aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber inländischen Schiffsführern ungünstiger gestellt werden, als dies
nach den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages geltenden Vorschriften der Fall war.Artikel 76 EWG-Vertrag verbietet es ebenfalls, daß ein Mitgliedstaat die Art und Weise, in der die fraglichen Vorschriften
angewandt werden, so ändert, daß Schiffsführer, die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erteilten Schifferpatenten sind,
im Gegensatz zu früher die Binnenwasserstraßen des betreffenden Mitgliedstaats nicht länger befahren dürfen, ohne zugleich
im Besitz eines von den Behörden dieses Mitgliedstaats erteilten Schifferpatents zu sein.Die Verpflichtung, den freien Dienstleistungsverkehr, so wie dieser auf dem Gebiet des Verkehrs gilt, sicherzustellen, impliziert,
daß ein Mitgliedstaat von einem Dienstleistungserbringer nicht den Erwerb eines nationalen Schifferpatents verlangen kann,
wenn dieser Inhaber eines Schifferpatents ist, das in einem anderen Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen wie den im
Dienstleistungsmitgliedstaat zu erfüllenden erteilt wurde und wenn seine Qualifikationen deshalb als denen, die für die Erteilung
der nationalen Schifferpatente erforderlich sind, gleichwertig anzusehen sind. In diesem Zusammenhang kann nicht verlangt
werden, daß der Dienstleistungserbringer zuvor die Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Schifferpatents seitens des Mitgliedstaats
erreicht hat.
Das Verbot in Artikel 76 gilt nur
bis zum Erlaß der in Artikel 75 Absatz 1 genannten Vorschriften und wenn der Rat nicht einstimmig etwas anderes billigt. Dieser Vorbehalt hat in den vorliegenden Rechtssachen keine Bedeutung.
Der Rat hatte zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch keinen Gebrauch von seiner Gesetzgebungskompetenz gemacht, um die
Probleme zu lösen, zu denen die fehlende gegenseitige Anerkennung von Schifferpatenten führt (vgl. die nachfolgenden Ausführungen
zu der 1991 erlassenen Richtlinie).
Es ist geltend gemacht worden, die deutschen Behörden hätten früher darüber hinweggesehen, daß Inhaber des
Groot vaarbewijs II die deutschen Binnenschiffahrtsstraßen befahren hätten, ohne im Besitz eines deutschen Schifferpatents zu sein. Aus dem Vorlagebeschluß
in der Rechtssache C-221/91 geht zum Beispiel hervor, daß der Betroffene des Ausgangsverfahrens vorgetragen hat, daß er, obwohl
er schon mehrfach kontrolliert worden sei, früher in Deutschland wegen des Fahrens mit seinem niederländischen Patent nie
Probleme gehabt habe. In der mündlichen Verhandlung in den vorliegenden Rechtssachen hat die niederländische Regierung erklärt,
daß die tatsächlichen Probleme für Schiffsführer, die im Besitz des
Groot vaarbewijs II seien, zu der Zeit aufgetreten seien, als in den deutschen Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Anerkennung ausländischer
Patente eröffnet worden sei, das heißt im Jahre 1981, und daß es ungefähr in den letzten drei Jahren 30 bis 40 Fälle gegeben
habe, in denen niederländische Flußkähne angehalten worden seien, die ihre Fahrt nur mit einem Schiffsführer hätten fortsetzen
können, der im Besitz eines deutschen Schifferpatents gewesen sei.
Der Gerichtshof hat im Urteil vom 19. Mai 1992 in der Rechtssache C-195/90 (Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-3141, Randnrn. 20
und 21) ausgeführt, mit Artikel 76 solle
verhindert werden, daß die Einführung der gemeinsamen Verkehrspolitik durch den Rat dadurch erschwert oder behindert wird,
daß ohne Billigung des Rates nationale Maßnahmen erlassen werden, die unmittelbar oder mittelbar bewirken würden, daß die
Lage, in der sich in einem Mitgliedstaat die Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten befinden, im Vergleich zu den
inländischen Verkehrsunternehmen in einem für erstere ungünstigen Sinne verändert wird.
Hinsichtlich der Erfordernisse der Verfestigung und Allgemeinheit der Verwaltungspraxis wird auf das Urteil des Gerichtshofes
vom 9. Mai 1985 in der Rechtssache 21/84 (Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 1355, Randnr. 13) hingewiesen, in dem der Gerichtshof
ausgeführt hat:
Eine Verwaltungspraxis kann jedoch nur dann eine nach Artikel 30 verbotene Maßnahme darstellen, wenn sie sich hinreichend
verfestigt hat und einen bestimmten Grad der Allgemeinheit aufweist. Diese Allgemeinheit ist unterschiedlich zu beurteilen,
je nachdem, ob es sich um einen Markt mit zahlreichen Wirtschaftsteilnehmern oder um einen Markt wie den für Frankiermaschinen
handelt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß dort nur wenige Unternehmen tätig sind. In diesem Fall kann bereits das Verhalten
einer nationalen Verwaltung gegenüber nur einem einzigen Unternehmen eine mit Artikel 30 unvereinbare Maßnahme darstellen.
Ich meine in der Tat, daß das Erfordernis, daß ausländische Schiffsführer Inhaber eines deutschen Schifferpatents sind, diese
wirklich ungünstiger stellt als deutsche Schiffsführer und deshalb nicht nur Ausdruck einer Gleichstellung der ausländischen
Schiffsführer mit deutschen Schiffsführern ist. Meines Erachtens geben die vorliegenden Rechtssachen deshalb dem Gerichtshof
keinen Anlaß, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Artikel 76 es den Mitgliedstaaten lediglich verbietet, ausländische Unternehmen
schlechter zu stellen als inländische, oder ob diese Vorschrift es den Mitgliedstaaten auch untersagt, Wirtschaftsteilnehmern
aus anderen Mitgliedstaaten einen relativen Vorteil zu entziehen, den sie bislang gegenüber den inländischen Wirtschaftsteilnehmern
gehabt haben. Siehe zu dieser Problemstellung die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs vom 13. März 1992 in der Rechtssache
C-195/90 (Kommission/Deutschland, a. a. O., I-3141, I-3158, Nrn. 14 bis 17).
Siehe die Erste Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4. Dezember 1980 zur Einführung eines EG-Führerscheins (ABl. 1980, L 375,
S. 1) und die Richtlinie 91/672/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 über die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen
Schifferpatente für den Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr (ABl. 1991, L 373, S. 29).
Das Urteil des Gerichtshofes vom 28. November 1978 in der Rechtssache 16/78 (Choquet, Slg. 1978, 2293), das die Zulässigkeit
deutscher Rechtsvorschriften, wonach die Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis verpflichtet sind, die deutsche Fahrerlaubnis
zu erwerben, wenn sie länger als ein Jahr in Deutschland gewohnt haben, nach Gemeinschaftsrecht betraf, steht nicht im Widerspruch
zu dieser Auffassung. Zwar hat der Gerichtshof ausgeführt, daß derartige nationale Rechtsvorschriften unter bestimmten Bedingungen
eine mittelbare Behinderung der Ausübung nicht nur der in den Artikeln 48 und 52 EWG-Vertrag verankerten Rechte, sondern auch
der in Artikel 59 verankerten Rechte auf freien Dienstleistungsverkehr bilden können. Das Urteil könnte somit scheinbar zur
Stützung der Auffassung herangezogen werden, daß Artikel 59 trotz der Vorschrift des Artikels 61 allgemein auf nationale Rechtsvorschriften
über Fahrerlaubnisse anwendbar ist. Dies zeugt jedoch nicht von einem richtigen Verständnis des Urteils. Dieses betrifft nicht
die Erbringer von Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs, sondern vielmehr alle anderen, die als Arbeitnehmer oder Selbständige
─ ob sich diese letzteren nun niederlassen oder Dienstleistungen erbringen wollen ─ im Rahmen ihres Haupterwerbs Transportmittel
benutzen und für die deshalb die Fahrerlaubnisse im Hinblick auf ihre Tätigkeit wichtig sind. So hat der Gerichtshof in Randnr.
4 dieses Urteils ausgeführt,
daß die innerstaatlichen Bestimmungen über die Erteilung und die gegenseitige Anerkennung der Fahrerlaubnis durch die Mitgliedstaaten
sowohl unmittelbaren als auch mittelbaren Einfluß auf die Ausübung der Rechte haben, welche die Vertragsvorschriften hinsichtlich
der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassung und ─
vorbehaltlich der Verweisung in Artikel 61 Absatz 1 des Vertrages ─ sämtlicher Dienstleistungen gewährleistet (Hervorhebung von mir).
Die Richtlinie enthält eine Liste mit einer Reihe von Schifferpatenten, darunter dem
Groot vaarbewijs II, die im Hinblick auf Artikel 3 der Richtlinie als gültig für das Befahren näher bezeichneter Wasserstraßen, darunter gewisser
deutscher Wasserstraßen, anerkannt werden. Die gegenseitige Anerkennung der Schifferpatente wurde beschlossen, ohne daß es
vorher notwendig war, die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Erteilung von Schifferpatenten zu harmonisieren. So bestimmt
Artikel 5 der Richtlinie, daß eine solche Harmonisierung spätestens am 31. Dezember 1994 durchgeführt sein muß. Die Richtlinie
ist deshalb ein Ausdruck dafür, daß die Mitgliedstaaten der Auffassung waren, daß bei Erteilung der fraglichen Schifferpatente
Anforderungen an die Qualifikation gestellt werden müssen, um die Zulassung zum Befahren der fraglichen Gewässer verantworten
zu können.
Urteile des Gerichtshofes vom 28. April 1977 in der Rechtssache 71/76 (Thieffry, Slg. 1977, 765, Randnrn. 15 bis 19), vom
15. Oktober 1987 in der Rechtssache 222/86 (Heylens, Slg. 1987, 4097, Randnr. 12), vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89
(Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357, Randnr. 14) und vom 7. Mai 1992 in der Rechtssache C-104/91 (Borrell, Slg. 1992, I-3003,
Randnr. 9).
Wie sich aus der folgenden Prüfung ergeben wird, bin ich nicht der Auffassung, daß Artikel 5 EWG-Vertrag eine notwendige Begründung
für die Feststellung einer Pflicht zur Anerkennung von Befähigungsnachweisen im Dienstleistungssektor darstellt.
Siehe die entsprechenden Ausführungen in Randnr. 7 des Urteils des Gerichtshofes vom 7. November 1991 in der Rechtssache C-17/90
(Pinaud Wieger, Slg. 1991, I-5253).
Wie bereits dargelegt, folgt aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 4. April 1974 in der Rechtssache 167/73 (Kommission/Frankreich,
Slg. 1974, 359), daß die grundlegenden Vorschriften des Vertrages über die Freizügigkeit auf dem Gebiet des Verkehrs unmittelbar
Anwendung finden, sofern der Vertrag diese Anwendung nicht ausdrücklich ausschließt.
Siehe Randnr. 65 des in Fußnote 15 genannten Urteils. Vergleiche weiterhin Urteil des Gerichtshofes vom 4. April 1974 in der
Rechtssache 167/73 (Kommission/Frankreich, Slg. 1974, 359), in dem der Gerichtshof ausgeführt hat:
Indessen wurde es als notwendig angesehen, insoweit den Verkehr, der hauptsächlich im Dienstleistungsbereich anzusiedeln ist,
mit Rücksicht auf die Besonderheiten dieses Wirtschaftszweiges einer Sonderregelung zu unterstellen. Dementsprechend schreibt
Artikel 61 Absatz 1 für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs abweichend ausdrücklich vor ... (Randnrn. 27 und 28).
In demselben Bereich der Dienstleistungen findet sich ein entsprechendes Beispiel für eine schwer erklärbare Ungleichbehandlung,
die sich daraus ergeben würde, daß die Artikel 59 und 60 auf dem Gebiet des Verkehrs nicht anwendbar sind, soweit es um die
Frage der Anerkennung der Nachweise der Befähigung zum Führen von Fahrzeugen geht. Wie gesagt hat der Gerichtshof in dem in
Fußnote 7 genannten Urteil in der Rechtssache Choquet ausgeführt, daß Personen, die Dienstleistungen außerhalb des Gebiets
des Verkehrs erbringen, wie zum Beispiel Handwerker oder Angehörige freier Berufe, und in diesem Zusammenhang ein Transportmittel
benutzen, sich auf die Artikel 59 und 60 berufen können, wenn die Erbringung der Dienstleistung in dem Staat, in dem sie erfolgt,
mittelbar durch das sachlich nicht begründete Erfordernis behindert wird, die Befähigung zum Fahren der benutzten Transportmittel
nachzuweisen. Es ist nicht leicht zu begründen, weshalb diese Personengruppe auf diesem Gebiet durch die Artikel 59 und 60
geschützt sein soll, während Personen, für die die fraglichen Befähigungsnachweise eine unmittelbare Voraussetzung für die
Ausübung ihres Berufs darstellen, dies nicht sind.
Dazu kommt, daß der Gerichtshof im Urteil Choquet einen ausdrücklichen Vorbehalt hinsichtlich des Artikels 61 gemacht hat,
der kaum anders zu verstehen ist als dahin, daß Artikel 61 auch auf dem in den vorliegenden Rechtssachen in Rede stehenden
Gebiet anwendbar ist.
Parlament/Rat (Slg. 1985, 1513). Ich möchte insoweit auf die Schlußanträge des Generalanwalts Darmon vom 2. Juli 1991 in der
Rechtssache C-17/90 (Pinaud Wieger, a. a. O., I-5253, I-5262) hinweisen.
Urteile des Gerichtshofes vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74 (Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Randnr. 10) und
vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-154/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-659, Randnr. 12).
Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 (Webb, Slg. 1981, 3305, Randnr. 16). Vgl. die entsprechenden
Urteile des Gerichtshofes vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr.
26) und vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-154/89 (a. a. O., Randnr. 12).
Siehe u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-154/89 (Kommission/Frankreich,
Fremdenführer, Slg. 1991, I-659, Randnr. 14).
Siehe z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1992 in der Rechtssache C-104/91 (Borrell, zitiert in Fußnote 10), in dem
in Randnr. 19 ausgeführt wird: ... so stehen die Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die
rechtswidrige Ausübung eines reglementierten Berufs durch einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats zu ahnden, vor allem
dann nicht, wenn der Gemeinschaftsbürger es versäumt hat, die Prüfung der Gleichwertigkeit des in seinem Herkunftsstaat ausgestellten
beruflichen Diploms oder Befähigungsnachweises mit dem im Aufnahmestaat vorgeschriebenen Diplom oder Befähigungsnachweis zu
beantragen, oder wenn der Nachweis für diese Gleichwertigkeit nicht erbracht worden ist.
Das Urteil des Gerichtshofes vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78 (Van Wesemael, Slg. 1979,
35) enthält eine Bestätigung dafür. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil die Artikel 59 und 60 im Hinblick auf die Prüfung
der Rechtmäßigkeit einer belgischen Vorschrift ausgelegt, wonach Stellenvermittlungsbüros für Bühnenkünstler einer Genehmigung
bedurften. Die dem Gerichtshof vorgelegte Frage stellte sich in Strafverfahren gegen Personen, die angeklagt worden waren,
gegen diese belgische Vorschrift verstoßen zu haben. Der Gerichtshof kam zu der Auffassung, daß das Genehmigungserfordernis
objektiv nicht notwendig ist,
wenn die Leistung von einem zur öffentlichen Verwaltung eines Mitgliedstaats gehörenden Stellenvermittlungsbüro erbracht wird
oder wenn der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Leistende dort eine Genehmigung besitzt, die unter Voraussetzungen
erteilt worden ist, welche mit denen des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, vergleichbar sind ... (Randnr. 30). Deshalb hatte der nationale Strafrichter konkret zu prüfen, ob es sich um gleichwertige Genehmigungen handelte,
und die betreffenden Leistungserbringer gegebenenfalls freizusprechen.
Meines Erachtens enthält das Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 (Webb, Slg. 1981, 3305)
eine Bestätigung für diese Auffassung. Dort ging es um ein niederländisches Genehmigungserfordernis für die Überlassung von
Arbeitnehmern. Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß es um
einen besonders sensiblen Bereich geht, und hingewiesen auf die
Unterschiede, die zwischen den Arbeitsmarktverhältnissen der verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen können, sowie ... [die]
Verschiedenheit der Beurteilungsmaßstäbe, die an diese Art von Tätigkeit angelegt werden. Aus diesem Grund hat er in Randnr. 21 entschieden,
daß Artikel 59 EWG-Vertrag es einem Mitgliedstaat, der Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen einer Genehmigungspflicht unterwirft,
nicht verbietet, einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringer von Dienstleistungen, der diese Tätigkeit in seinem
Hoheitsgebiet ausübt, zur Erfüllung dieser Voraussetzung zu verpflichten, selbst wenn der Leistungserbringer über eine vom
Staat der Niederlassung erteilte Genehmigung verfügt; dies gilt jedoch nur, wenn der Mitgliedstaat ... die Nachweise und Sicherheiten
berücksichtigt, die der Leistungserbringer bereits für die Ausübung seiner Tätigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung beigebracht
hat.
In diesem Zusammenhang kann auf die Erklärungen der niederländischen Regierung hingewiesen werden, daß der
Groot vaarbewijs II das niederländische Schifferpatent ist, das zum Nachweis der höchsten Befähigung dient, da er seinem Inhaber das Recht verleiht,
alle Arten von Schiffen zu führen. Außerdem hat die niederländische Regierung, wie bereits gesagt, vorgetragen, daß es keinen
sachlichen Grund dafür gebe, das Befahren der deutschen Kanäle, um die es in den vorliegenden Rechtssachen gehe, nicht zu
gestatten, da diese mit den niederländischen Binnenwasserstraßen weitgehend vergleichbar seien. Die deutsche Regierung hat ihrerseits darauf hingewiesen, daß die deutschen Rechtsvorschriften die Möglichkeit einer Anerkennung
ausländischer Schifferpatente eröffneten und daß tatsächlich Verhandlungen mit der niederländischen Regierung über die Anerkennung
des niederländischen Schifferpatents geführt worden seien, eine solche Anerkennung aber zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt
nicht für möglich gehalten worden sei, da die Regierung der Auffassung gewesen sei, daß die niederländische Regelung der Erteilung
der Schifferpatente nicht genug Garantien enthalte, insbesondere da in Holland eine eigentliche Verpflichtung zum Besitz eines
gültigen Schifferpatents erst seit dem 1. April 1991 bestehe und da bestimmte, bis 1984 geltende Übergangsregeln es den Schiffsführern
ermöglicht hätten, ein Schifferpatent allein aufgrund der Erklärung zu erhalten, daß sie die erforderlichen Voraussetzungen
bezüglich ihrer Eignung und Erfahrung erfüllten. Meines Erachtens muß in den vorliegenden Rechtssachen dem Umstand entscheidendes Gewicht beigelegt werden, daß in der Richtlinie
91/672/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 über die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Schifferpatente für den
Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr der niederländische
Groot vaarbewijs II als für Fahrten auf einer Reihe deutscher Wasserstraßen gültig anerkannt wird. Aufgrund dieses Umstands erscheint die Argumentation
der deutschen Regierung wenig überzeugend.