61991C0067

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 10. Juni 1992. - DIRECCION GENERAL DE DEFENSA DE LA COMPETENCIA GEGEN ASOCIACION ESPANOLA DE BANCA PRIVADA UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE DEFENSA DE LA COMPETENCIA - SPANIEN. - WETTBEWERBSRECHT - VERORDNUNG NR. 17 - VERWERTUNG VON INFORMATIONEN, DIE DIE KOMMISSION ERLANGT HAT, DURCH DIE NATIONALEN BEHOERDEN. - RECHTSSACHE C-67/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-04785
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00087
Finnische Sonderausgabe Seite I-00087


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. In dieser Rechtssache hat das spanische Tribunal de Defensa de la Competencia den Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag um Vorabentscheidung darüber ersucht, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die für Wettbewerbssachen zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Informationen verwerten dürften, die ihnen von der Kommission gemäß der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 ° Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) ° mitgeteilt werden. Artikel 86 ist auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar, aber Artikel 85 verbietet (Absatz 1) und erklärt für nichtig (Absatz 2) "alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken ..."

2. Im Ausgangsverfahren wenden sich eine Reihe von Bankinstituten gegen die Einleitung einer Untersuchung ihrer Tätigkeiten nach spanischem Recht durch die Dirección General de Defensa de la Comptencia (DGDC). Sie behaupten, die Entscheidung, diese Untersuchung einzuleiten, beruhe auf Informationen, die die Kommission der DGDC gemäß der Verordnung Nr. 17 übermittelt habe. Sie machen geltend, die DGDC sei nicht befugt, diese Informationen zu ihrem Nachteil zu verwerten, um eine Verletzung des spanischen Wettbewerbsrechts festzustellen.

Der Sachverhalt

3. Ausgangspunkt des Streits zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist ein Schreiben vom 3. März 1987, mit dem die Kommission die Direktoren einer Reihe spanischer Banken darüber unterrichtete, daß sie sie verdächtige, an bestimmten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen beteiligt zu sein, und mit dem sie sie aufforderte, ihr gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 bestimmte Auskünfte zu erteilen. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"Die Kommission kann zur Erfuellung der ihr in Artikel 89 und in Vorschriften nach Artikel 87 des Vertrages übertragenen Aufgaben von den Regierungen und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Auskünfte einholen."

4. Nachdem weitere Kontakte zwischen der Kommission und den betroffenen Banken stattgefunden hatten, teilte die Kommission mit Schreiben vom 16. Dezember 1987 der Asociación Española de Banca Privada (ÄBP), einem Verband von acht führenden spanischen Banken, mit, es läge im Interesse ihrer Mitglieder, im Hinblick auf bestimmte Aspekte ihres Verhaltens bei der Kommission die Erteilung eines Negativattests oder eine Freistellung zu beantragen. Die Kommission warnte die ÄBP, daß anderenfalls formelle Ermittlungen über die Tätigkeiten ihrer Mitglieder eingeleitet werden könnten. Dementsprechend reichte die ÄBP am 30. März 1988 im Namen ihrer Mitglieder bei der Kommission einen Antrag auf Erteilung eines Negativattests sowie eine Anmeldung mit dem Ziel einer Freistellung ein, und zwar auf einem Formblatt A/B, dessen Verwendung nach Artikel 4 der Verordnung Nr. 27 der Kommission vom 3. Mai 1962 ° Erste Ausführungsverordnung zur Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 (ABl. 1962, Nr. 35, S. 1118) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2526/85 der Kommission vom 5. August 1985 (ABl. L 240, S. 1) ° vorgeschrieben ist.

5. Gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 besteht ein Negativattest in der Feststellung der Kommission, daß "nach den ihr bekannten Tatsachen für sie kein Anlaß besteht, gegen eine Vereinbarung, einen Beschluß oder eine Verhaltensweise aufgrund von Artikel 85 Absatz 1 oder von Artikel 86 des Vertrages einzuschreiten". Eine Freistellungsentscheidung kann von der Kommission nach vorheriger Anmeldung der Vereinbarung, des Beschlusses oder der Verhaltensweise, um die oder den es geht, gemäß den Artikeln 4 und 5 der Verordnung getroffen werden. Eine solche Entscheidung ergeht in Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages, nach dem Artikel 85 Absatz 1 für nicht anwendbar auf Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen erklärt werden kann, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen. Nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung ist die Kommission ausschließlich dafür zuständig, Artikel 85 Absatz 1 nach Artikel 85 Absatz 3 für nicht anwendbar zu erklären.

6. Gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 übermittelte die Kommission der DGDC eine Abschrift des von der ÄBP eingereichten Formblatts A/B. Artikel 10 trägt die Überschrift "Verbindung mit den Behörden der Mitgliedstaaten". Die ersten drei Absätze lauten wie folgt:

"1. Die Kommission übermittelt den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unverzueglich eine Abschrift der Anträge und Anmeldungen sowie der wichtigsten Schriftstücke, die zur Feststellung von Verstössen gegen Artikel 85 oder 86 des Vertrages, zur Erteilung eines Negativattests oder zur Abgabe einer Erklärung nach Artikel 85 Absatz 3 bei ihr eingereicht werden.

2. Sie führt die in Absatz 1 genannten Verfahren in enger und stetiger Verbindung mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durch; diese sind berechtigt, zu diesem Verfahren Stellung zu nehmen.

3. Ein Beratender Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen ist vor jeder Entscheidung, die ein Verfahren nach Absatz 1 abschließt, sowie vor jeder Entscheidung über Erneuerung, Änderung oder Widerruf einer nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages abgegebenen Erklärung anzuhören."

Laut Artikel 10 Absatz 4 setzt sich der Beratende Ausschuß aus Beamten zusammen, die die Mitgliedstaaten vertreten. Zu den Anträgen und Anmeldungen, von denen in Artikel 10 Absatz 1 die Rede ist, gehören die Anträge auf Erteilung eines Negativattests nach Artikel 2 der Verordnung sowie die Anmeldungen, die aufgrund der Artikel 4 und 5 der Verordnung in der Absicht vorgenommen werden, eine Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages zu erlangen. Bei den "in Absatz 1 genannten Verfahren" sowie dem "Verfahren nach Absatz 1", von denen im zweiten und dritten Absatz des Artikels 10 die Rede ist, handelt es sich um die Verfahren, auf die sich Absatz 1 bezieht. Dies ergibt sich klar aus der französischen Fassung dieser beiden Absätze, in der von "les procédures visées au paragraphe 1" und von "une procédure visée au paragraphe 1" die Rede ist. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Kommission anscheinend in der Folgezeit weitere Auskunftsverlangen nach Artikel 11 Absatz 1 an die Beteiligten gerichtet hat.

7. Nach spanischem Recht ist die DGDC sowohl für die Verbindung mit der Kommission bei der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages in Spanien als auch für die Ermittlung wegen angeblicher Verstösse gegen das inländische Wettbewerbsrecht zuständig. Dem vorlegenden Gericht zufolge führte die DGDC 1987 Vorermittlungen über die Tätigkeiten von fünfzehn führenden spanischen Banken durch. Diese Ermittlungen hätten, so das vorlegende Gericht, dazu geführt, daß die DGDC am 29. September 1988 ein förmliches Verfahren gegen eine Reihe der betroffenen Banken auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 110/1963 vom 20. Juli 1963 über wettbewerbswidrige Praktiken eingeleitet habe. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts waren die betroffenen Banken diejenigen, in deren Namen die ÄBP bei der Kommission das Formblatt A/B eingereicht hatte. Von der ÄBP unternommene Versuche, die Aussetzung des von der DGDC eingeleiteten Verfahrens bis zum Erlaß einer Entscheidung durch die Kommission zu erreichen, sind bisher erfolglos geblieben. Die DGDC kam zu dem Ergebnis, daß die betroffenen Banken sich hinsichtlich ihrer Gebühren und Provisionen dreier Arten von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen schuldig gemacht hätten, schlug jedoch vor, eine dieser Verhaltensweisen zu genehmigen. Sie unterbreitete dem vorlegenden Gericht, daß für die endgültige Entscheidung in Wettbewerbssachen nach spanischem Recht zuständig ist, einen entsprechenden Vorschlag. Es sei darauf hingewiesen, daß das vorlegende Gericht auch für die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 des Vertrages in Spanien zuständig ist.

Die Vorlagefragen

8. Sowohl vor der DGDC als auch vor dem vorlegenden Gericht machten die ÄBP und deren Mitglieder geltend, das von der DGDC eingeleitete Verfahren stütze sich auf Informationen, die in dem bei der Kommission eingereichten Formblatt A/B enthalten seien. Sie wiesen darauf hin, daß ein förmliches Verfahren lediglich gegen diejenigen Banken eingeleitet worden sei, in deren Namen das Formblatt eingereicht worden sei, obwohl sich die Vorermittlungen auf eine Anzahl anderer Banken erstreckt hätten. Sie vertreten die Auffassung, die Verwertung dieser Informationen in Verfahren, die wie hier zur Verhängung einer Geldbusse führen könnten, sei mit der Verordnung Nr. 17 unvereinbar.

9. Das mit dem Ausgangsrechtsstreit befasste Gericht hat deshalb den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1) Darf die nationale Behörde, der in einem Mitgliedstaat die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag übertragen ist, Informationen, die die Dienststellen der EWG-Kommission

a) gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates oder

b) durch eine freiwillige Anmeldung, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen gemäß Artikel 2, 4 und 5 der Verordnung Nr. 17 vorgelegt haben,

erlangt haben, in einem Sanktionsverfahren verwerten, das allein nach den Artikeln 85 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag durchgeführt wird?

2) Darf diese Behörde die unter 1a und 1b genannten Informationen in einem Sanktionsverfahren verwerten, das zugleich nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft und dem nationalen Wettbewerbsrecht durchgeführt wird?

3) Darf diese Behörde die unter 1a und 1b genannten Informationen in einem Sanktionsverfahren verwerten, das allein nach nationalem Wettbewerbsrecht durchgeführt wird?

4) Darf diese Behörde die unter 1a und 1b genannten Informationen in einem Verfahren zur Genehmigung von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen verwerten, das allein nach ihrem nationalen Recht durchgeführt wird?"

Die Befugnis des vorlegenden Gerichts, nach Artikel 177 vorzugehen

10. Vor der materiellrechtlichen Untersuchung der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen ist es erforderlich, kurz zu prüfen, ob das vorlegende Gericht ein "Gericht eines Mitgliedstaats" im Sinne von Artikel 177 ist. Diese Frage stellt sich, weil das vorlegende Gericht verwaltungsmässig dem spanischen Handelsministerium angegliedert ist.

11. Laut Vorlagebeschluß sind die Aufgaben des vorlegenden Gerichts nicht administrativer, sondern richterlicher Natur; das Gericht ist auf bestimmten Gebieten ausschließlich zuständig. Ausserdem übt es seine Aufgaben in völliger Unabhängigkeit aus; seine Mitglieder können nicht abgesetzt werden. Es behandelt die Rechtssachen, mit denen es befasst wird, in einem kontradiktorischen Verfahren und unter Anwendung des spanischen Wettbewerbsrechts.

12. Angesichts dieser Merkmale habe ich keinerlei Zweifel daran, daß das vorlegende Gericht als Gericht im Sinne von Artikel 177 anzusehen und die Vorlage daher zulässig ist: Siehe das Urteil vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 61/65 (Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 584). Keiner der Beteiligten, die Bemerkungen eingereicht haben, hat die Befugnis des Gerichts bestritten, nach Artikel 177 vorzugehen.

Die materiellrechtlichen Fragen

13. Schriftliche Erklärungen sind von der spanischen Regierung, der Kommission, der ÄBP und den betroffenen Banken eingereicht worden, von denen zwei 1991, nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens, fusioniert haben. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Darstellung des Sachverhalts durch das vorlegende Gericht von der ÄPB und fast allen Banken bestritten wird. Es wird geltend gemacht, es sei irreführend zu behaupten, daß der Entscheidung der DGDC, ein förmliches Verfahren einzuleiten, Ermittlungen vorausgegangen seien, da dies bedeuten würde, daß sich das förmliche Verfahren auf die im Zuge dieser Ermittlungen getroffenen Feststellungen stütze. In Wahrheit beruhe die Entscheidung, ein förmliches Verfahren zu eröffnen, auf den Informationen, die die Kommission der DGDC gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 übermittelt habe. Dies werde dadurch bewiesen, daß das förmliche Verfahren lediglich diejenigen Banken betreffe, in deren Namen das Formblatt A/B bei der Kommission eingereicht worden sei, während sich die sogenannten Vorermittlungen auf eine Reihe anderer Banken erstreckt.

14. Meiner Meinung nach hat diese Meinungsverschiedenheit keinerlei Einfluß auf die Beantwortung der Vorlagefragen. Ob die Entscheidung der DGDC, ein förmliches Verfahren einzuleiten, sich auf die ihr von der Kommission übermittelten Informationen oder auf die Ergebnisse ihrer eigenen Ermittlungen stützte, ist eine reine Tatsachenfrage. Das vorlegende Gericht ist bei seinen Fragen offensichtlich von der Annahme ausgegangen, daß das Vorgehen der DGDC in erheblichem Umfang auf den ihr durch die Kommission übermittelten Informationen beruhte; von dieser Annahme hat der Gerichtshof auszugehen. Es wird dann Sache des vorlegenden Gerichts sein, die Antworten des Gerichtshofes auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anzuwenden.

15. Wie aus dem Vorlagebeschluß ersichtlich, geht es in dem nationalen Verfahren einzig und allein um die Anwendung spanischen Wettbewerbsrechts. Die beiden ersten Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen jedoch zumindestens teilweise die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 des Vertrages durch innerstaatliche Behörden. Mehrere Beteiligte, die Bemerkungen eingereicht haben, meinen daher, der Gerichtshof brauche nicht alle Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten. Ich werde mich im folgenden auf die dritte und vierte Frage des vorlegenden Gerichts konzentrieren, da diese genauer auf den Sachverhalt zugeschnitten zu sein scheinen. Es wäre jedoch meines Erachtens unangebracht, sich nicht mit den beiden ersten Fragen des vorlegenden Gerichts zu befassen; ich werde daher meine Ausführungen mit einigen kurzen Bemerkungen zur Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 des Vertrages durch innerstaatliche Behörden abschließen.

a) Die Anwendung innerstaatlichen Wettbewerbsrechts

16. Wie der Gerichtshof anerkannt hat, kann "[g]rundsätzlich ... ein Kartell ... Gegenstand zweier paralleler Verfahrens sein, von denen das eine nach Artikel 85 EWGV vor den Gemeinschaftsbehörden, das andere nach staatlichem Recht vor den nationalen Behörden stattfindet": Siehe das Urteil vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68 (Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1, Randnr. 3). Der Gerichtshof kam zu diesem Ergebnis aufgrund folgender Überlegungen: "Das Kartellrecht der Gemeinschaft und das staatliche Kartellrecht beurteilen die Kartelle nicht nach den gleichen Gesichtspunkten. Artikel 85 stellt darauf ab, ob ein Kartell den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern kann, während jede der staatlichen Kartellgesetzgebungen von ihren eigenen Erwägungen ausgeht und die Kartelle lediglich nach ihnen beurteilt" (a. a. O.). Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, daß "Normenkonflikte zwischen Gemeinschafts- und innerstaatlichem Kartellrecht ... nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu lösen [sind]" (a. a. O., Randnr. 6). So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. Juli 1980 in den verbundenen Rechtssachen 253/78 und 1 bis 3/79 (Procureur de la République/Giry und Guerlain, Slg. 1980, 2327, Randnr. 16) betont, "daß eine gleichzeitige Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts nur statthaft ist, soweit sie die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts und die volle Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen Maßnahmen auf dem gesamten Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt".

17. Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß das vorlegende Gericht diese Rechtsprechung kennt und daß es nicht um Auskunft darüber ersucht, bis zu welchem Punkt Parallelverfahren nach Gemeinschaftsrecht zulässig sind. Zwar hat eine der Banken, die Bemerkungen eingereicht haben, nämlich die Banco Español de Crédito, den Gerichtshof aufgefordert, sich hierzu näher zu äussern, jedoch ist dies meines Erachtens nicht erforderlich.

18. Vor diesem Hintergrund wende ich mich nunmehr den beiden ersten Absätzen von Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 zu, die sich auf die Verwertung und der Preisgabe von Kenntnissen beziehen, die die Kommission aufgrund anderer Bestimmungen dieser Verordnung erlangt hat. Diese Absätze lauten wie folgt:

"1. Die bei Anwendung der Artikel 11, 12, 13 und 14 erlangten Kenntnisse dürfen nur zu dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck verwertet werden.

2. Die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie ihre Beamten und sonstigen Bediensteten sind verpflichtet, Kenntnisse nicht preiszugeben, die sie bei Anwendung dieser Verordnung erlangt haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen; die Artikel 19 und 21 bleiben unberührt."

Um die Tragweite dieser Absätze des Artikels 20 ermitteln zu können, muß man unterscheiden zwischen Kenntnissen, die aufgrund der Artikel 2, 4 und 5 der Verordnung, und solchen, die aufgrund deren Artikel 11 erlangt wurden.

i) Aufgrund der Artikel 2, 4 und 5 der Verordnung Nr. 17 erlangte Kenntnisse

19. Es ist festzustellen, daß Artikel 20 Absatz 1 von Kenntnissen handelt, die aufgrund spezieller Bestimmungen der Verordnung Nr. 17 erlangt wurden, während Artikel 20 Absatz 2 Kenntnisse betrifft, die bei der Anwendung beliebiger Bestimmungen der Verordnung erlangt wurden. Hieraus könnte man folgern, daß Informationen, die aufgrund anderer Bestimmungen der Verordnung als der Artikel 11 bis 14 erlangt wurden, so z. B. solche, die der Kommission auf dem Formblatt A/B übermittelt wurden, zu beliebigen Zwecken verwertet werden dürfen, sofern die Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheimnisses beachtet wird.

20. Die Kommission weist jedoch darauf hin, daß nach Artikel 15 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 Betroffene, die einen Antrag auf Freistellung eingereicht haben, von der Kommission nicht mit Geldbussen für Handlungen belegt werden dürfen, die zwischen dem Zeitpunkt der Anmeldung und der aufgrund von Artikel 85 Absatz 3 ergangenen Entscheidung der Kommission begangen werden, soweit sie in den Grenzen der in der Anmeldung dargelegten Tätigkeit liegen. Wollte man es den innerstaatlichen Behörden gestatten, in einem Formblatt A/B enthaltene Informationen als Beweis dafür zu verwerten, daß die Wettbewerbsvorschriften ihres Staates verletzt worden sind, so würde dies, so die Kommission, das Gleichgewicht aufs Spiel setzen, das die Verordnung zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen geschaffen habe, da ein Unternehmen, das eine Freistellung beantrage, auf diese Weise Gefahr laufen könnte, von den nationalen Behörden aufgrund der Wettbewerbsvorschriften ihres Staates mit Geldbussen belegt zu werden.

21. Meines Erachtens kann Artikel 20 Absatz 1 nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß er Kenntnisse betrifft, die im Zuge der Anwendung anderer Bestimmungen der Verordnung als derjenigen, auf die er ausdrücklich verweist, erlangt wurden, und daß er somit auch die Verwertung solcher Informationen einschränkt. Jedoch sollte diese Bestimmung nicht dahin verstanden werden, daß die Verwertung von Informationen, die auf der Grundlage anderer als der erwähnten Bestimmungen, so z. B. der Artikel 2, 4 und 5 der Verordnung, übermittelt wurden, keinerlei Beschränkungen unterlägen, sofern die Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheimnisses beachtet wird.

22. Meines Erachtens wäre es ein Fehler, aus den Abweichungen zwischen dem Wortlaut des Artikels 20 Absatz 1 einerseits und des Artikels 20 Absatz 2 andererseits zuviel herauslesen zu wollen, denn es handelt sich um zwei unterschiedliche Absätze. Zwar trägt Artikel 20 die Überschrift "Berufsgeheimnis", aber nur sein zweiter Absatz beschäftigt sich mit diesem Thema. Dieser Absatz will lediglich Artikel 214 des Vertrages, der die Gemeinschaft und deren Bedienstete verpflichtet, Auskünfte nicht preiszugeben, die unter das Berufsgeheimnis fallen, auf die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erstrecken: Siehe das Urteil vom 24. Juni 1986 in der Rechtssache 53/85 (Akzo Chemie/Kommission, Slg. 1986, 1965, Randnr. 26). Absatz 2 von Artikel 20 betrifft daher nur die Preisgabe von Kenntnissen, die infolge der Anwendung der Verordnung erlangt wurden. Demgegenüber befasst sich der erste Absatz von Artikel 20 nicht mit der Preisgabe, sondern mit der Verwertung von Kenntnissen die infolge der Anwendung der Artikel 11 bis 14 der Verordnung erlangt wurden. Auch wenn er speziell auf diese Artikel verweist, kann hieraus meiner Meinung nach nicht der Schluß gezogen werden, daß Kenntnisse, die aufgrund anderer Bestimmungen der Verordnung erlangt wurden, für beliebige Zwecke verwertet werden dürften.

23. Ich meine, daß derartige Kenntnisse nur in einer Weise verwertet werden dürfen, die mit den Zielen der Verordnung vereinbar ist. Zu diesen Zielen gehört es, die Anmeldung von Vereinbarungen, Beschlüssen und Verhaltensweisen zu fördern und es ganz allgemein zu erleichtern, daß sich Unternehmen an die Kommission wenden. Dies ergibt sich eindeutig aus der sechsten Begründungserwägung, die wie folgt lautet: "Die Unternehmen können ein Interesse daran haben zu erfahren, ob Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen, an denen sie beteiligt sind oder sich zu beteiligen beabsichtigen, der Kommission Anlaß geben können, auf Grund des Artikels 85 Absatz 1 oder des Artikels 86 einzuschreiten."

24. Die Wirksamkeit des von der Verordnung geschaffenen Systems hängt in beträchtlichem Maß von der Bereitschaft der Unternehmen ab, bei der Kommission freiwillig Anmeldungen einzureichen und Anträge zu stellen. Aus diesem Grund gewährt Artikel 15 Absatz 5 der Verordnung denjenigen, die eine Anmeldung vornehmen, in begrenztem Umfang Schutz gegen die Verhängung von Geldbussen. Es trifft zu, daß diese Immunität nach Artikel 15 Absatz 6 nicht solchen Unternehmen zugute kommt, denen die Kommission mitgeteilt hat, sie sei aufgrund vorläufiger Prüfung der Auffassung, die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages lägen vor und eine Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 sei nicht gerechtfertigt. Diese Bestimmung, von der bisher sehr selten Gebrauch gemacht worden ist, soll jedoch lediglich Mißbräuche verhindern und entkräftet nicht die der Verordnung zugrunde liegende allgemeine Politik, Unternehmen zur freiwilligen Einschaltung der Kommission zu ermutigen. Obwohl sich Artikel 15 Absatz 5 nicht ausdrücklich auf die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bezieht, wäre es meines Erachtens mit dem Zweck dieser Bestimmung unvereinbar, es diesen Behörden zu erlauben, aufgrund ihres nationalen Wettbewerbsrechts Unternehmen für Handlungen mit Geldbussen zu belegen, derentwegen die Kommission nach Artikel 15 Absatz 5 keine Geldbussen verhängen darf.

25. Es trifft zu, daß Artikel 15 Absatz 5 Unternehmen nicht schützt, die lediglich ein Negativattest beantragen, aber das System der Verordnung würde untergraben, wenn solche Unternehmen durch die Möglichkeit, sich dadurch von den innerstaatlichen Behörden verhängten Geldbussen auszusetzen, davon abgeschreckt würden, bei der Kommission Anträge einzureichen. Ich meine daher, daß man nicht zwischen der Verwertung von Kenntnissen, die die innerstaatlichen Behörden durch eine auf die Erlangung einer Freistellung zielende Anmeldung erlangen, und der möglichen Verwertung von Informationen unterscheiden sollte, die in einem Antrag auf Erteilung eines Negativattests enthalten sind.

26. Ich räume ein, daß in Ermangelung einer ausdrücklichen Einschränkung der Verwertung solcher Informationen durch die innerstaatlichen Behörden eine etwaige stillschweigende Beschränkung nur in den Grenzen des unbedingt Notwendigen angenommen werden sollte. Es wäre jedoch meines Erachtens unvereinbar mit der Politik, die der Verordnung Nr. 17 im allgemeinen und ihrem Artikel 15 Absatz 5 im besonderen zugrunde liegt, es den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten zu gestatten, der Kommission freiwillig erteilte Auskünfte als Grundlage für innerstaatliche Verfahren zu verwerten, die mit der Verhängung von Geldbussen enden könnten. Natürlich können derartige Auskünfte die innerstaatlichen Behörden im Hinblick auf eventuelle Verstösse gegen ihr nationales Recht aufmerksam machen. In diesem Fall können sie meiner Meinung nach, wie auch die ÄBP einzuräumen scheint, der Sache nachgehen und zu gegebener Zeit die beteiligten Unternehmen sogar mit Geldbussen belegen. Es wäre praktikabel, von diesen Behörden zu fordern, daß sie die Informationen, die sie von der Kommission erhalten haben, aus ihrem Gedächtnis tilgen, wenn sie prüfen, ob sie Anlaß zur Anwendung ihres inländischen Rechts haben. Gestattet man es den genannten Behörden, die in Rede stehenden Informationen in dieser Weise zu verwerten, so dürfte dies die Unternehmen schwerlich stärker von einer Befassung der Kommission abschrecken als die folgende Feststellung, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Oktober 1989 in der Rechtssache 85/87 (Dow Benelux/Kommission, Slg. 1989, 3137, Randnr. 19) getroffen hat:

"Dies bedeutet jedoch nicht, daß es der Kommission verwehrt wäre, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, um Informationen, die sie bei einer früheren Nachprüfung zufällig erlangt hat, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder zu vervollständigen, wenn diese Informationen einen Hinweis auf Verhaltensweisen liefern, die gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages verstossen."

Die innerstaatlichen Behörden müssen jedoch ihre eigenen Untersuchungen durchführen und ihre eigenen Beweise sammeln. Sie dürfen sich nicht einfach auf die ihnen von der Kommission übermittelten Informationen verlassen und diese Informationen als Beweise in innerstaatlichen Verfahren verwerten, die mit der Verhängung einer Geldbusse gegen die betroffenen Unternehmen enden können.

27. Wie mir scheint, bringt diese Lösung die Interessen der Unternehmen, die der Kommission freiwillig Auskünfte erteilen, und das Interesse der Behörden der Mitgliedstaaten an der Durchsetzung ihres nationalen Rechts miteinander in das richtige Gleichgewicht. Sie wird überdies durch den oben wiedergegebenen Wortlaut des Artikels 10 gestützt, der die Annahme nahelegt, daß die der Kommission durch Absatz 1 dieser Bestimmung auferlegte Verpflichtung den Zweck hat, es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich dazu zu äussern, in welcher Weise die Kommission die Artikel 85 und 86 des Vertrages anwenden sollte, nicht aber, sie in die Lage zu versetzen, ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht anzuwenden.

28. Die von der spanischen Regierung gegen diese Auffassung vorgebrachten Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Die Regierung hatte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, wenn es den innerstaatlichen Behörden nicht freistuende, die ihnen von der Kommission gemäß Artikel 10 Absatz 1 übermittelten Informationen so zu verwerten, wie sie es für richtig hielten, könnten sich die Unternehmen einen Schutz gegen die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts ganz einfach dadurch verschaffen, daß sie eine Vereinbarung bei der Kommission anmeldeten. Wie ich jedoch dargelegt habe, hindert eine solche Anmeldung die innerstaatlichen Behörden nicht daran, wegen der in Rede stehenden Vereinbarung ihre eigenen Ermittlungen einzuleiten. Überdies sind die Mitgliedstaaten auch durch nichts daran gehindert, dem Beispiel der Verordnung Nr. 17 zu folgen und die Anmeldung von Vereinbarungen bei ihren innerstaatlichen Behörden zu fördern. Es lässt sich daher nicht sagen, daß die Durchsetzung des nationalen Rechts unangemessen behindert würde, wenn die Verwertung der den innerstaatlichen Behörden übermittelten Informationen durch diese Behörden in der von mir dargelegten Weise eingeschränkt würde.

29. Ich bin daher der Meinung, daß Informationen, die in einem von der Kommission den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten übermittelten Formblatt A/B enthalten sind, von diesen Behörden in Verfahren, die zur Verhängung einer Geldbusse führen können, nicht als Beweis für Verstösse gegen ihr inländisches Wettbewerbsrecht verwertet werden dürfen. Dagegen steht es diesen Behörden frei, aufgrund der genannten Informationen eigene Ermittlungen einzuleiten.

30. Da sich die oben dargelegte Auffassung aus der Systematik und den Zielen der Verordnung selbst ergibt, ist es nicht unbedingt notwendig, zu prüfen, ob es einen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu entnehmenden allgemeinen Grundsatz gibt, der die innerstaatlichen Behörden unter derartigen Umständen daran hindern würde, in einem Formblatt A/B enthaltene Informationen zu verwerten, oder ob eine solche Verwertung unvereinbar mit den Grundrechten wäre, die sich aus den den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungstraditionen sowie aus völkerrechtlichen Verträgen ableiten lassen, an denen die Mitgliedstaaten wie im Fall der Europäischen Menschenrechtskonvention mitgearbeitet oder die sie unterzeichnet haben (siehe z. B. das Urteil vom 21. September 1989 in den verbundenen Rechtssachen 46/87 und 227/88, Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859). Selbst wenn es notwendig sein sollte, auf diese Frage einzugehen, scheint es doch in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine allgemeinen Grundsätze für vergleichbare Bereiche zu geben, z. B. solche, die die Verwertung von Informationen regeln, die einer Regierungsstelle von einer anderen zugegangen sind, obwohl für besondere Sachverhalte eine Reihe solcher Regeln bestehen. Jedenfalls erscheint es zweifelhaft, ob sich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Tatbestände finden lassen, die eine echte Analogie zu den Umständen des vorliegenden Falls aufweisen, in dem es um die parallele Anwendung unterschiedlicher, jedoch untereinander in Zusammenhang stehender Regelungen durch eine supranationale Einrichtung auf der einen und eine innerstaatliche Behörde auf der anderen Seite geht. Weiterhin dürfte es weder irgendwelche Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention noch irgendeine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geben, die die Auffassung stützen könnten, daß die Verwertung von in einem Formblatt A/B enthaltenen Informationen durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten für die Zwecke ihres eigenen nationalen Rechts mit der Europäischen Konvention unvereinbar wäre. In der Tat haben diejenigen Beteiligten, die im vorliegenden Fall Erklärungen eingereicht haben, nicht vorgetragen, daß eine derartige Verwertung mit der Konvention unvereinbar wäre.

ii) Aufgrund von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 erlangte Auskünfte

31. Ich wende mich nunmehr der Verwertung von Informationen zu, die der Kommission bei der Ausübung ihrer Befugnis aus Artikel 11 der Verordnung, Auskünfte zu verlangen, zugegangen sind. Artikel 10 Absatz 1 verlangt nicht ausdrücklich die Übermittlung derartiger Informationen an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, aber solche Informationen können eindeutig unter die in dieser Bestimmung enthaltene Wendung "der wichtigsten Schriftstücke" fallen. Die Kommission hat in dieser Rechtssache vorgetragen, sie übermittle derartige Informationen, falls sie sie für hinreichend wichtig halte, normalerweise den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wenn sie im Sinne von Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 ein Verfahren einleite. Sie betont, dies dürfe nicht mit der Anlage einer Akte in einer bestimmten Sache verwechselt werden. In der mündlichen Verhandlung ist vorgetragen worden, obwohl die Kommission im vorliegenden Fall noch kein Verfahren eingeleitet gehabt habe, habe sie die Antworten, die sie auf zwei Auskunftverlangen nach Artikel 11 erhalten habe, den zuständigen innerstaatlichen Behörden übermittelt. Zwar behauptet die Kommission, die erfolgte Verwertung dieser Informationen werde von den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht beanstandet; da das vorlegende Gericht Artikel 11 jedoch eigens erwähnt, erscheint es aber eindeutig angebracht, daß sich der Gerichtshof mit der Frage befasst, bis zu welchem Punkt die innerstaatlichen Behörden von nach dieser Bestimmung erlangten Kenntnissen Gebrauch machen dürfen.

32. Es sei daran erinnert, daß Artikel 11 einer der Artikel ist, die in Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung erwähnt werden, wo es heisst, daß die genannten Kenntnisse "nur zu dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck verwertet werden [dürfen]". Die Kommission hat sich mit dem Anwendungsbereich von Artikel 20 Absatz 1 in ihrem Dokument IV/382/90 befasst, das sie für die vom 25. zum 28. September 1990 in Brüssel abgehaltene 37. Konferenz der Regierungssachverständigen der Mitgliedstaaten über wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen vorbereitet hatte und das sie auf Verlangen des Gerichtshofes vorgelegt hat. In diesem Dokument führt sie aus, daß Artikel 20 Absatz 1 insofern auf drei verschiedene Weisen ausgelegt werden könne. Die erste Auslegung gehe dahin, daß die einleitenden Worte von Artikel 11 Absatz 1 ("Die Kommission kann zur Erfuellung der ihr in Artikel 89 und in Vorschriften nach Artikel 87 des Vertrages übertragenen Aufgaben ...") besagten, daß die erlangten Informationen nur von der Kommission bei der Anwendung der Artikel 85 und 86 verwertet werden könnten. Danach wären die innerstaatlichen Behörden nicht befugt, die zu diesem Zweck erlangten Informationen zu verwerten. Die zweite Auslegung wäre, daß Artikel 20 Absatz 1 es den innerstaatlichen Behörden gestatte, die in Rede stehenden Informationen bei der Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 zu verwerten. Nach der dritten Auslegung, die im vorliegenden Fall von der spanischen Regierung und anscheinend vom vorlegenden Gericht vertreten werde, sollten die in Artikel 11 bezeichneten Auskunftsverlangen sicherstellen helfen, daß der Wettbewerb nicht verfälscht werde. Da dies auch der Zweck des innerstaatlichen Wettbewerbsrechts sei, dürften nach Artikel 11 Absatz 1 erlangte Kenntnisse auch von den innerstaatlichen Behörden bei der Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts verwertet werden.

33. Meines Erachtens zeigt der oben wiedergegebene Wortlaut von Artikel 11 Absatz 1, daß diese Vorschrift es der Kommission ermöglichen soll, die Artikel 85 und 86 des Vertrages anzuwenden. Es wäre daher mit Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung unvereinbar, zuzulassen, daß von der Kommission aufgrund von Artikel 11 erlangte Informationen als Beweismittel in von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Wettbewerbsrecht eingeleiteten Verfahren verwertet werden. Jedenfalls teile ich nicht die Meinung der spanischen Regierung, wonach nationales Wettbewerbsrecht auf der einen und die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des Vertrages auf der anderen Seite notwendigerweise den gleichen Ziele dienen; wie der Gerichtshof in seinem bereits zitierten Urteil in der Rechtssache Wilhelm/Bundeskartellamt ausgeführt hat, kann eine bestimmte Verhaltensweise gerade deswegen Gegenstand paralleler Verfahren sein, weil beide Regelungen von unterschiedlichen Ausgangspunkten her an die wettbewerblichen Probleme herangehen. Angesichts des Wortlauts von Artikel 11 Absatz 1 meine ich auch, daß die Verwertung von Auskünften, die die Kommission aufgrund von Artikel 11 erlangt hat, in sämtlichen innerstaatlichen Verfahren verboten ist, nicht nur in denjenigen, die zur Verhängung einer Geldbusse führen können. Der erweiterte Anwendungsbereich des Verbots lässt sich mit den ausgedehnten Befugnissen rechtfertigen, die der Kommission durch Artikel 11 verliehen werden.

34. Weiterhin ist festzustellen, daß die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wenn ihnen die Kommission nach Artikel 11 erlangte Kenntnisse übermittelt, nachdem sie im Sinne von Artikel 9 Absatz 3 ein Verfahren eingeleitet hat, durch diese Bestimmung daran gehindert werden, Artikel 85 Absatz 1 und 86 selbst auf das oder die betroffenen Unternehmen anzuwenden. Die Praxis der Kommission bei der Übermittlung solcher Informationen an die innerstaatlichen Behörden steht daher in Einklang mit der weiter oben vertretenen Auffassung, daß die der Kommission durch Artikel 10 Absatz 1 auferlegte Verpflichtung bezweckt, die innerstaatlichen Behörden darüber zu unterrichten, in welcher Weise die Kommission die Artikel 85 Absatz 1 und 86 anwendet, und es ihnen zu ermöglichen, sich hierzu zu äussern, nicht aber, sie in die Lage zu versetzen, ihr nationales Wettbewerbsrecht anzuwenden. Diese Auffassung bildet eine weitere Stütze für das Ergebnis, zu dem ich bezueglich der angemessenen Auslegung von Artikel 20 Absatz 1 gelangt bin.

35. Informationen, die die Kommission aufgrund von Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung erlangt und gemäß Artikel 10 Absatz 1 den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten übermittelt hat, dürfen daher von diesen Behörden nicht als Beweise dafür verwertet werden, daß eine Verletzung ihres nationalen Rechts vorliegt. Ich glaube jedoch nicht, daß es sinnvoll wäre, zu versuchen, den innerstaatlichen Behörden ein Verbot aufzuerlegen, aufgrund solcher Informationen eigene Ermittlungen einzuleiten. Was in einem Formblatt A/B enthaltene, diesen Behörden von der Kommission übermittelte Informationen betrifft (siehe oben, Nr. 26), so wäre es nicht praktikabel, den innerstaatlichen Behörden die Verpflichtung aufzuerlegen, die Informationen, nachdem sie ihnen zugegangen sind, zu ignorieren, wenn sie Überlegungen darüber anstellen, ob sie ihr nationales Wettbewerbsrecht anwenden sollen.

b) Die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 durch die innerstaatlichen Behörden

36. Gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17, wie ihn der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 127/73 (BRT/SABAM, Slg. 1974, 51) und vom 30. April 1986 in den verbundenen Rechtssachen 209/84 bis 213/84, (Ministère public/Asjes, Slg. 1986, 1425) ausgelegt hat, bleiben die mit der Anwendung des innerstaatlichen Wettbewerbsrecht betrauten Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie die Gerichte, die speziell mit dieser Aufgabe betraut sind, so lange für die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 gemäß Artikel 88 des Vertrages zuständig, wie die Kommission kein Verfahren eingeleitet hat. Bei der Ausübung der ihnen durch Artikel 88 verliehenen Zuständigkeiten haben diese Behörden und Gerichte von Gemeinschaftsrechts wegen keine Befugnis, gegen die betroffenen Unternehmen Geldbussen zu verhängen, sondern lediglich, ein Verhalten zu verbieten, das mit den Artikeln 85 Absatz 1 und 86 unvereinbar ist. Soweit sich die Zuständigkeiten der innerstaatlichen Behörden auf diejenigen Befugnisse beschränken, die ihnen das Gemeinschaftsrecht verleiht, bin ich daher der Meinung, daß es ihnen freisteht, in einem Formblatt A/B enthaltene Auskünfte als Beweise für die Feststellung zu verwerten, daß die Artikel 85 Absatz 1 und Artikel 86 verletzt worden sind. Soweit die innerstaatlichen Behörden aber aufgrund nationalen Rechts befugt sind, Geldbussen gegen Unternehmen zu verhängen, die die Artikel 85 Absatz 1 und 86 verletzt haben ° ein Tatbestand, der in der ersten Frage des vorlegenden Gerichts anscheinend als gegeben vorausgesetzt wird °, dürfen sie derartige Informationen nicht für diesen Zweck verwenden; wäre ihnen dies nämlich gestattet, so könnte dies den Beteiligten von einer freiwilligen Fühlungnahme mit der Kommission abschrecken. Ausserdem sind die innerstaatlichen Behörden unter keinen Umständen befugt, von der Kommission aufgrund von Artikel 11 erlangte Informationen als Beweise für einen Verstoß gegen die Artikel 85 Absatz 1 und 86 zu verwerten, da dies meines Erachtens nach Artikel 20 Absatz 1 ausdrücklich verboten ist. Diese Behörden sind jedoch nicht daran gehindert, auf der Grundlage von in einem Formblatt A/B enthaltenen oder gemäß Artikel 11 erlangten Informationen in Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 des Vertrages eigene Ermittlungen einzuleiten, selbst wenn es ihnen nicht gestattet ist, derartige Informationen als Beweise dafür zu verwerten, daß diese Vertragsbestimmungen verletzt worden sind.

37. Diese Lösung hat den Vorteil, daß die Grenzen, innerhalb deren die innerstaatlichen Behörden von Informationen Gebrauch machen dürfen, die ihnen durch die Kommission übermittelt worden sind, in Fällen, in denen es um die Anwendung der Artikel 85 Absatz 1 und 86 geht, dieselben sind wie in denjenigen Fällen, bei denen es sich um die Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts handelt. Es muß jedoch zwischen der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages aufgrund von Artikel 9 Absatz 3 und der Anwendung dieser Vorschriften durch die ordentlichen innerstaatlichen Gerichte gemäß der Lehre von der unmittelbaren Wirkung unterschieden werden. Die Befugnisse dieser Gerichte in derartigen Fällen werfen besondere Probleme auf, die im vorliegenden Fall nicht behandelt zu werden brauchen.

Ergebnis

38. Ich bin daher der Meinung, daß die Vorlagefragen wie folgt beantwortet werden sollten:

1) Informationen, die in einem Antrag nach Artikel 2 oder in einer Anmeldung nach den Artikeln 4 oder 5 der Verordnung Nr. 17 enthalten sind und von der Kommission gemäß Artikel 10 Absatz 1 dieser Verordnung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten übermittelt worden sind, dürfen von diesen Behörden in Verfahren, die zur Verhängung einer Geldbusse gegen die betroffenen Unternehmen führen könnten, nicht als Beweise dafür verwertet werden, daß die Vorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts verletzt worden sind. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind jedoch nicht daran gehindert, als Folge davon, daß ihnen diese Informationen zugegangen sind, eigene Ermittlungen auf der Grundlage dieses Rechts einzuleiten.

2) Informationen, die die Kommission aufgrund von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 erlangt und gemäß Artikel 10 Absatz 1 dieser Verordnung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten übermittelt hat, dürfen von diesen Behörden nicht als Beweise dafür verwertet werden, daß die Vorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts verletzt worden sind. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind jedoch nicht daran gehindert, als Folge davon, daß ihnen diese Informationen zugegangen sind, eigene Ermittlungen auf der Grundlage dieses Rechts einzuleiten.

3) Wenden die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 88 EWG-Vertrag und Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 die Artikel 85 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag an, so sind sie in Verfahren, die zur Verhängung einer Geldbusse gegen die betroffenen Unternehmen führen können, nicht befugt, in einem Antrag nach Artikel 2 oder in einer Anmeldung nach Artikel 4 oder 5 der Verordnung Nr. 17 enthaltene Informationen als Beweise für die Feststellung zu verwerten, daß die genannten Vorschriften des Vertrages verletzt worden sind. Diese Behörden sind jedoch nicht daran gehindert, als Folge davon, daß ihnen diese Informationen zugegangen sind, eigene Ermittlungen auf der Grundlage der genannten Vorschriften des Vertrages einzuleiten.

4) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dürfen Informationen, die die Kommission aufgrund von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 erlangt hat, nicht als Beweise dafür verwerten, daß die Artikel 85 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag verletzt worden sind. Diese Behörden sind jedoch nicht daran gehindert, als Folge davon, daß ihnen diese Informationen zugegangen sind, eigene Ermittlungen auf der Grundlage der genannten Vorschriften des Vertrages einzuleiten.

(*) Originalsprache: Englisch.