URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

30. Januar 1992 ( *1 )

In der Rechtssache T-25/90

Richard Schönherr, Beamter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, wohnhaft in Brüssel, Belgien, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Marcel Slusny und Olivier Slusny, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Ernest Arendt, 4, avenue Marie-Thérèse, Luxemburg,

Kläger,

gegen

Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Rechtsberater Detlef Brüggemann, sodann durch Moisés Bermejo Garde, als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt Jean-François Bellis, Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: Roberto Hayder, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneter nationaler Beamter, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagter,

wegen Aufhebung der Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 1. August 1989 über die Ernennung von Herrn Giovanni Di Carlo auf eine Hauptübersetzerstelle,

erläßt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten C. P. Briët, der Richter H. Kirschner und J. Biancarelli,

Kanzler: B. Pastor, Verwaltungsrätin

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 1991,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1

Der Kläger, Beamter des Wirtschafts- und Sozialausschusses (im folgenden: WSA), wurde am 15. Mai 1979 als Hilfskraft eingestellt. Vom 1. Mai 1980 an war er Bediensteter auf Zeit. Am 1. Februar 1981 wurde er zum Beamten auf Probe und am 1. November 1981 zum Beamten auf Lebenszeit in der Besoldungsgruppe LA 7 ernannt. Am 1. Oktober 1984 wurde er nach Besoldungsgruppe LA 6 befördert.

2

Am 25. Mai 1989 veröffentlichte der WSA die Stellenausschreibung Nr. 10/89 für die Stelle eines Hauptübersetzers (LA 5/4) in der Generaldirektion, Direktion E, „Übersetzung, Abteilung der deutschen Sprache“. Auf die Veröffentlichung dieser Ausschreibung hin wurden drei Bewerbungen, darunter die des Klägers, eingereicht.

3

Am 12. Juni 1989 gab der paritätische Beförderungsausschuß eine Stellungnahme zu den Beförderungen in eine höhere Laufbahn für die Haushaltsjahre 1988 und 1989 ab, in der er einstimmig die Beförderung von Herrn Thomson sowie mehrheitlich und in dieser Reihenfolge die Beförderung von Herrn Schönherr und Herrn Vingborg (ex aequo) sowie von Herrn Anastassiadis und Frau Weiler (ex aequo) vorschlug.

4

Am 28. Juni 1989 richtete der Generalsekretär des WSA an den Direktor der Direktion E, Herrn Vermeylen, einen Vermerk über die Besetzung der freien Planstelle Nr. 10/89, in dem er die Namen der Beamten angab, die einen Antrag auf Beförderung gestellt hatten; er bat Herrn Vermeylen, ihm mitzuteilen, welcher dieser Beamten auf die freie Stelle ernannt werden könne.

5

Mit Vermerk vom 7. Juli 1989 teilte Herr Vermeylen dem Generalsekretär des WSA mit, daß er den Namen von Herrn Di Carlo vorschlage und daß der betroffene unmittelbare Vorgesetzte seine Ansicht teile.

6

Am 1. August 1989 füllte der Generalsekretär des WSA das Feld aus, das unten auf dem erwähnten Vermerk vom 28. Juni 1989 der Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Besetzung der freien Planstelle vorbehalten war, indem er dort den Namen von Herrn Di Carlo eintrug und unterschrieb. Herr Di Carlo wurde am selben Tag mit Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des WSA mit Wirkung vom 1. Juli 1989 nach Besoldungsgruppe LA 5 befördert. Mit Schreiben vom selben Tag teilte der Präsident des WSA dem Kläger mit, daß seine Bewerbung nicht habe berücksichtigt werden können.

7

Der Kläger legte mit Schreiben vom 26. Oktober 1989 an den Generalsekretär des WSA gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften Beschwerde gegen die Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des WSA ein. Mit Vermerk vom 12. Februar 1990, den der Kläger am 15. Februar 1990 erhielt, wies der Generalsekretär des WSA die Beschwerde zurück.

Verfahren

8

Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 8. Mai 1990 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

9

Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen.

10

Das Gericht (Fünfte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat ferner den Beklagten aufgefordert, bestimmte Unterlagen, einschließlich der gesamten Akte, auf deren Grundlage die Anstellungsbehörde ihre Entscheidung getroffen hatte, vorzulegen. Auf diese Aufforderung hat der WSA den bereits erwähnten Vermerk des Generalsekretärs des WSA an den Direktor der Direktion E vom 28. Juni 1989 eingereicht. Das Gericht hat den WSA ferner aufgefordert, schriftlich mehrere Fragen zur möglichen Bedeutung des Vermerks des Direktors der Direktion E vom 7. Juli 1989 an den Generalsekretär des WSA zu beantworten.

11

Die mündliche Verhandlung hat am 12. Juli 1991 stattgefunden und ist am Ende der Sitzung vom Präsidenten für geschlossen erklärt worden.

Anträge der Parteien

12

Der Kläger beantragt,

1)

die Ernennung von Herrn Di Carlo auf die Stelle eines Hauptübersetzers, die Gegenstand der Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des WSA war, aufzuheben;

hilfsweise,

2)

dem Beklagten die Vorlage folgender Unterlagen aufzugeben:

a)

den Vermerk des Direktors der Direktion E vom 14. März 1989 über die auf die Stellenausschreibung Nr. 4/89 eingereichten Bewerbungen;

b)

die Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses vom 12. Juni 1989;

c)

alle Unterlagen und insbesondere die Geschäftsordnung des paritätischen Beförderungsausschusses, die der Stellungnahme dieses Ausschusses vom 12. Juni 1989 allgemein als Grundlage und Rechtfertigung gedient haben;

d)

den Vermerk des Direktors der Direktion E an den Generalsekretär vom 7. Juli 1989;

3)

dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

13

Der Kläger hat in seiner Erwiderung beantragt, den Beklagten aufzufordern, außerdem die Akte des Beförderungsausschusses über die Stellenausschreibung Nr. 10/89 und insbesondere das von diesem Ausschuß erstellte Protokoll vorzulegen.

14

Der WSA beantragt,

1)

die Klage als unbegründet abzuweisen;

2)

über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

15

Der Kläger stützt seine Klageanträge auf sieben Gründe. Mit dem ersten Klagegrund macht er geltend, daß die Entscheidung vom 12. Februar 1990 über die Zurückweisung seiner Beschwerde nicht von der zuständigen Anstellungsbehörde ausgegangen sei. Den zweiten Klagegrund stützt er darauf, daß die Anstellungsbehörde nicht die Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses berücksichtigt habe. Mit dem dritten Klagegrund wird geltend gemacht, daß der Direktor der Direktion E am 7. Juli 1989 an den Generalsekretär des WSA einen Vermerk gerichtet habe, in dem er die Ernennung des Herrn Di Carlo empfohlen habe, ohne daß dieser Vermerk dem paritätischen Beförderungsausschuß übermittelt worden sei, der auf diese Weise zu dieser Empfehlung hätte Stellung nehmen können. Der vierte Klagegrund stützt sich darauf, daß die Richtigkeit der Äußerung in diesem Vermerk des Direktors der Direktion E, der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers teile seine Ansicht, nicht nachgewiesen sei und daß diese Äußerung zudem die Entscheidung der Anstellungsbehörde in maßgebender Weise habe beeinflussen können. Mit dem fünften Klagegrund legt der Kläger dar, daß der Hinweis in dem Vermerk vom 7. Juli 1989 auf die gleiche Ansicht seines unmittelbaren Vorgesetzten im Widerspruch zu einer Erklärung stehe, die dieser dem Kläger gegenüber gemacht habe. Mit dem sechsten Klagegrund führt der Kläger aus, daß die Anstellungsbehörde nicht die Verdienste der Beamten, die sich beworben hätten, abgewogen habe. Schließlich macht er mit dem siebten Klagegrund geltend, die Anstellungsbehörde habe nicht überprüft, ob die Bewerber die in der Stellenausschreibung Nr. 10/89 verlangten Qualifikationen erfüllt hätten.

Begründetheit

Zum zweiten, sechsten und siebten Klagegrund sowie zur Begründung der angefochtenen Entscheidung

16

Der Kläger führt im Rahmen seines zweiten Klagegrunds aus, daß die Anstellungsbehörde nicht die Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses vom 12. Juni 1989 berücksichtigt habe, in dem dieser einstimmig die Beförderung von Herrn Thomson sowie mehrheitlich und in dieser Reihenfolge die Beförderung von Herrn Schönherr und Herrn Vingborg (ex aequo) sowie von Herrn Anastassiadis und Frau Weiler (ex aequo) vorgeschlagen habe. Mit seinem sechsten Klagegrund macht der Kläger geltend, daß der WSA Artikel 45 des Statuts nicht beachtet habe. Dazu trägt er vor, es sei nicht nachgewiesen, daß die Anstellungsbehörde die Verdienste der Beamten abgewogen habe; außerdem sei der Kläger älter als Herr Di Carlo, habe ein höheres Dienstalter und sei in einer höheren Besoldungsgruppe als dieser. Außerdem macht der Kläger geltend, er übersetze aus vier Sprachen ins Deutsche, habe eine Bankausbildung, verfüge über ein staatliches Dolmetscher- und Übersetzerdiplom und habe ein wirtschaftswissenschaftliches Studium an der Universität Köln absolviert. Mit dem siebten Klagegrund legt der Kläger dar, daß die Anstellungsbehörde nicht geprüft habe, ob die Bewerber die in der Stellenausschreibung Nr. 10/89 verlangten Qualifikationen aufgewiesen hätten.

17

Auf den zweiten Klagegrund antwortet der WSA, daß nach dem Statut keine Verpflichtung bestehe, bei Beförderungen ein Anhörungsverfahren durchzuführen. Die Entscheidung, ein solches Verfahren einzuführen, sei fakultativ. Wenn die Anstellungsbehörde beschließe, der Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses nicht zu folgen, sei sie nicht verpflichtet, die Beförderungsentscheidungen besonders zu begründen; diese Entscheidungen brauchten, ebenso wie die Entscheidungen über die Einweisung eines Beamten in eine neue Planstelle, nicht begründet zu werden. Die Anstellungsbehörde verfüge insoweit über ein Ermessen. Was den sechsten Klagegrund angehe, so erbringe der Kläger keinen Beweis dafür. Außerdem stehe die Bewertung der Befähigung der Bewerber im Ermessen der Anstellungsbehörde. Auf den siebten Klagegrund antwortet der WSA, daß der Kläger für ihn nichts anführe.

18

Das Gericht stellt fest, daß sich diese drei Klagegründe im wesentlichen auf einen Verstoß gegen Artikel 45 des Statuts stützen, und hält es daher für angebracht, sie zusammen und in Verbindung mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu untersuchen, da das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob der WSA seiner Begründungspflicht nachgekommen ist (Urteil des Gerichts vom 20. September 1990 in der Rechtssache T-37/89, Hanning/Europäisches Parlament, Slg. 1990, II-463, Randnr. 38).

19

Das Gericht erinnert daran, daß nach Artikel 45 Absatz 1 des Statuts die Beförderung ausschließlich aufgrund einer Auslese unter den Beamten vorgenommen wird, die in ihrer Besoldungsgruppe eine Mindestdienstzeit abgeleistet haben; die Auslese erfolgt nach Abwägung der Verdienste der Beamten, die für die Beförderung in Frage kommen, sowie der Beurteilungen über diese Beamten.

20

Die Anstellungsbehörde verfügt bei der Bewertung des dienstlichen Interesses und der im Rahmen der Beförderungsentscheidung nach Artikel 45 des Statuts zu berücksichtigenden Verdienste über einen weiten Ermessensspielraum, und die Nachprüfung durch den Gemeinschaftsrichter auf diesem Gebiet hat sich auf die Frage zu beschränken, ob die Anstellungsbehörde, nach der Art und Weise zu urteilen, wie sie möglicherweise zu ihrer Entscheidung gelangt ist, die Grenzen des Zulässigen nicht überschritten hat und bei der Ausübung ihres Ermessens nicht einem offensichtlichen Irrtum unterlegen ist (u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 3. Dezember 1981 in der Rechtssache 280/80, Bakke-d'Aloya/Rat, Slg. 1981, 2887, Randnr. 10).

21

Die Anstellungsbehörde ist zwar gemäß Artikel 45 des Statuts nicht verpflichtet, die Beförderungsentscheidungen insbesondere den nicht beförderten Bewerbern gegenüber zu begründen (u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juli 1972 in der Rechtssache 90/71, Benardi/Parlament, Slg. 1972, 603, vom 30. Oktober 1974 in der Rechtssache 188/73, Grassi/Rat, Slg. 1974, 1099, vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 233/75, Bonino/Kommission, Slg. 1987, 739, und vom 16. Dezember 1987 in der Rechtssache 111/86, Delauche/Kommission, Slg. 1987, 5345); sie muß jedoch nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eine Entscheidung über die Zurückweisung einer Beschwerde, mit der eine Beförderung angefochten wird, begründen. Da aber nach Artikel 45 des Statuts die Beförderungen „aufgrund einer Auslese“ vorgenommen werden, kann sich die Begründung nur darauf beziehen, daß die rechtlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, von denen das Statut die Ordnungsmäßigkeit der Beförderung abhängig macht. Dies bedeutet deshalb nicht, daß das betreffende Organ im einzelnen darzulegen hat, wie es zu der Auffassung gelangt ist, daß der ernannte Bewerber die in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt (u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 30. Oktober 1974 in der Rechtssache 188/73, Grassi, a. a. O., Randnrn. 13 und 14, und vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 151/80, De Hoe/Kommission, Slg. 1981, 3161, Randnr. 13).

22

Diese Verpflichtung, zumindest im Stadium der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde eine angefochtene Beförderungsentscheidung zu begründen, soll es dem Gemeinschaftsrichter ermöglichen, seine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Beförderungsentscheidung auszuüben, und dem Betroffenen ausreichende Hinweise für die Feststellung geben, ob die Entscheidung begründet ist oder ob sie unter einem Mangel leidet, aufgrund dessen ihre Rechtmäßigkeit in Frage gestellt werden kann. Die Begründungspflicht stellt also ein wesentliches Prinzip des Gemeinschaftsrechts dar, von dem nur aufgrund zwingender Erwägungen abgewichen werden kann (siehe zuletzt Urteil des Gerichts vom 20. März 1991 in der Rechtssache T-1/90, Perez-Minguez Casariego/Kommission, Slg. 1991, II-143, Randnr. 73, und Urteil des Gerichtshofes vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991, I-5469, Randnr. 26).

23

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, daß das Schreiben vom 1. August 1989, mit dem der Präsident des WSA dem Kläger mitteilte, daß seine Bewerbung nicht habe berücksichtigt werden können, keine Begründung enthält, und der Vermerk vom 12. Februar 1990, mit dem der Generalsekretär des WSA die Beschwerde des Klägers zurückwies, nur die allgemeine Feststellung enthält, daß alle Bewerbungen einschließlich der des Klägers, die auf die Veröffentlichung der Stellenausschreibung Nr. 10/89 hin eingereicht worden seien, gemäß Artikel 45 des Statuts Gegenstand einer gründlichen Abwägung gewesen seien und daß die Anstellungsbehörde sodann entschieden habe, daß sie der unverbindlichen Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses nicht habe folgen können und einem Kollegen des Klägers, der nach ihrer Ansicht die Beförderung auf die freie Stelle am meisten verdient habe, den Vorzug gegeben habe. Dieser Vermerk enthält also ebenfalls keinerlei Begründung im Hinblick auf den Kläger.

24

In der mündlichen Verhandlung befragt, wie die Abwägung der Verdienste der Beamten, die für die Beförderung in Frage kamen, sowie der Beurteilungen über diese Beamten vor sich gegangen sei, hat der Vertreter des WSA geltend gemacht, daß die Anstellungsbehörde ihre Entscheidung auf sämtliche Angaben gestützt habe, über die die Verwaltung verfügt habe, einschließlich der Beurteilungen über die Bewerber, und daß die Anstellungsbehörde Herrn Vermeylen aufgefordert habe, eine vergleichende Prüfung der einzelnen Beurteilungen über die Bewerber vorzunehmen. Dieser habe jedoch dem Generalsekretär nur seine Schlußfolgerungen übermittelt, ohne eine ins einzelne gehende, gründliche und vergleichende Prüfung der Beurteilungen vorzunehmen, so daß diese Beurteilungen die einzigen schriftlichen Unterlagen in den Akten gewesen seien, auf die sich die Anstellungsbehörde gestützt habe. Unter Hinweis darauf, daß der WSA ein kleines Organ mit einer — wie der WSA selbst sage — „Ein-Personen-Anstellungsbehörde“ sei, die ihre Entscheidungen ohne unnötigen Formalismus treffen könne, hat der Vertreter des WSA außerdem erklärt, die Anstellungsbehörde habe vor ihrer Entscheidung Stellungnahmen eingeholt, mehrere Unterredungen geführt und den zuständigen Direktor gehört.

25

Auch wenn der Anstellungsbehörde bei Beförderungen ein weites Ermessen zusteht, so setzt dessen Ausübung doch eine aufmerksame Prüfung der Akten voraus, die Gegenstand einer Abwägung sein müssen. Liegt jedoch eine Reihe hinreichend übereinstimmender Indizien vor, die das Vorbringen des Klägers stützen, daß keine wirkliche Abwägung der Bewerbungen stattgefunden habe, so hat das beklagte Organ anhand objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Tatsachen den Beweis zu erbringen, daß es die Garantien, die Artikel 45 des Statuts zugunsten der für die Beförderung in Frage kommenden Beamten enthält, beachtet und eine solche Abwägung vorgenommen hat.

26

Das Gericht ist der Ansicht, daß die tatsächlichen Erklärungen des Beklagten und die bloße, rein abstrakt geäußerte und nicht durch irgendein Schriftstück in den dem Gericht vorgelegten Akten gestützte Behauptung, daß die Anstellungsbehörde anhand der Akte über die Stellenausschreibung Nr. 10/89 die Verdienste der Bewerber habe abwägen können und dies auch getan habe, reichen für den Nachweis nicht aus, daß die Anstellungsbehörde im vorliegenden Fall tatsächlich eine Abwägung der Verdienste der Bewerber vorgenommen hat.

27

Was das Verzeichnis angeht, das der paritätische Beförderungsausschuß am 12. Juni 1989 gemäß Artikel 4 des Beschlusses Nr. 2903/81 A des WSA vom 1. Dezember 1981 über die Zusammensetzung und Befugnisse des Beförderungsausschusses aufstellte, so ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 5 dieses Beschlusses die Anstellungsbehörde nach Kenntnisnahme von einem solchen Verzeichnis die Beförderungen vornimmt und daß, wenn ein Organ bei sich einen vom Statut nicht vorgeschriebenen beratenden Ausschuß bildet, um für die Besetzung bestimmter Stellen über eine Stellungnahme zur Befähigung und Eignung der Bewerber im Hinblick auf die erforderlichen Qualifikationen zu verfügen, diese Maßnahme dem Organ als Anstellungsbehörde eine bessere Grundlage für die von Artikel 45 des Statuts geforderte Abwägung der Verdienste der Bewerber sichern soll (Urteil des Gerichtshofes vom 9. Juli 1987 in den verbundenen Rechtssachen 44/85, 77/85, 294/85 und 295/85, Hochbaum und Rawes/Kommission, Slg. 1987, 3259, Randnr. 16).

28

Daraus ergibt sich, daß ein vom Beförderungsausschuß aufgestelltes Verzeichnis zu den Faktoren gehören muß, auf die das Organ seine eigene Beurteilung der Bewerber stützt, und daß die Anstellungsbehörde im vorliegenden Fall verpflichtet war, das Verzeichnis des Beförderungsausschusses zu berücksichtigen, auch wenn sie der Ansicht war, von ihm abweichen zu müssen. Im übrigen war es besonders wichtig, dieses Verzeichnis zu Rate zu ziehen, weil der Ausschuß in seiner Stellungnahme einstimmig die Beförderung von Herrn Thomson sowie mehrheitlich und in dieser Reihenfolge die Beförderung von Herrn Schönherr und Herrn Vingborg (ex aequo) sowie von Herrn Anastassiadis und Frau Weiler (ex aequo) vorgeschlagen hatte.

29

Das Gericht stellt fest, daß weder in der Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des WSA über die Beförderung von Herrn Di Carlo noch im Schreiben des Präsidenten, mit dem dem Kläger mitgeteilt wurde, daß seine Bewerbung nicht habe berücksichtigt werden können, noch im Vermerk des Generalsekretärs des WSA vom 12. Februar 1990, mit dem die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen wurde, eine Berücksichtigung der Stellungnahme des paritätischen Beförderungsausschusses erwähnt wird. Außerdem kann nicht anhand der Akten, die dem Gericht auf sein Verlangen vorgelegt worden sind, festgestellt werden, daß die Anstellungsbehörde ihrer Verpflichtung, diese Stellungnahme zu berücksichtigen, nachgekommen ist. Folglich kann das Gericht nur davon ausgehen, daß eine solche Berücksichtigung nicht nachgewiesen ist und daß der angefochtenen Entscheidung jede Begründung fehlt, obwohl eine solche Begründung im vorliegenden Fall, in dem die Anstellungsbehörde meinte, von den Vorschlägen in der Stellungnahme des paritätischen Ausschusses völlig abweichen zu müssen, besonders notwendig gewesen wäre.

30

Im übrigen stellt das Gericht fest, daß der WSA, wie sein Vertreter in der Sitzung eingeräumt hat, nicht, wozu er vom Gericht ausdrücklich aufgefordert worden ist, sämtliche Akten vorgelegt hat, auf deren Grundlage die Anstellungsbehörde die angefochtene Entscheidung traf. Indem der WSA dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist, hat er gegen eine Verpflichtung verstoßen, die ihm gegenüber dem Gemeinschaftsrichter obliegt, da er es diesem nicht ermöglicht, seine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung vollständig auszuüben.

31

Aus all dem folgt, daß in einem solchen Zusammenhang, in dem der Kläger genaue und belegte Behauptungen vorgetragen hat, in dem das Organ gegen seine Verpflichtung zur Vorlage der Akten, aufgrund deren es sich geäußert hatte, verstoßen hat, in dem das Gericht nicht beurteilen kann, ob wirklich die Anstellungsbehörde, nämlich der Präsident, ihre Befugnisse ausgeübt hat oder ob, wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, eine unzuständige Stelle, der Generalsekretär des WSA, zunächst die streitige Ernennung vorgenommen hat, und in dem keine mit Gründen versehene Entscheidung an den Kläger als Antwort auf seine Beschwerde gerichtet worden ist, die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist, ohne daß die anderen Gründe, auf die der Kläger seine Klage stützt, geprüft und die von ihm beantragten Beweiserhebungen angeordnet werden müßten.

Kosten

32

Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der WSA mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1)

Die Entscheidung Nr. 259/89 A des Präsidenten des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 1. August 1989 über die Ernennung von Herrn Giovanni Di Carlo auf die Stelle eines Hauptübersetzers aufgrund der Stellenausschreibung Nr. 10/89 wird aufgehoben.

 

2)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Briet

Kirschner

Biancarelli

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. Januar 1992.

Der Kanzler

H. Jung

Der Präsident

C. P. Briet


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.