Rechtssache C-177/90

Ralf-Herbert Kühn

gegen

Landwirtschaftskammer Weser-Ems

Vorabentscheidungsersuchen des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein

„Zusätzliche Abgabe für Milch“

Schlußanträge des Generalanwalts Jean Mischo vom 26. September 1991   I-47

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 10. Januar 1992   I-58

Leitsätze des Urteils

  1. Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Milch und Milcherzeugnisse – Zusätzliche Abgabe für Milch – Festsetzung der nicht der Abgabe unterliegenden Referenzmengen – Erzeuger, der im Referenzjahr begonnen hat, Milch zu liefern – Berücksichtigung eines anderen als des vom betreffenden Mitgliedstaat gewählten Referenzjahrs – Unzulässigkeit – Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes – Verstoß gegen das Eigentumsrecht und die Berufsfreiheit – Keine Diskriminierung

    (Verordnung Nr. 857/84 des Rates; Verordnimg Nr. 1371/84 der Kommission)

  2. Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Milch und Milcherzeugnisse – Zusätzliche Abgabe für Milch – Festsetzung der nicht der Abgabe unterliegenden Referenzmengen – Pächter, der einen Betrieb vor dem Inkrafttreten der Zusatzabgabenregelung übernimmt – Berücksichtigung der im Referenzjahr vom Vorpächter erbrachten Lieferungen durch den Mitgliedstaat – Fakultativer Charakter

    (Verordnung Nr. 857/84 des Rates, Artikel 7 Absätze 1 und 4, in der Fassung der Verordnung Nr. 590/85; Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission, Artikel 5 Absatz 2)

  1.  Die Verordnung Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der zusätzlichen Abgabe für Milch, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 mit den Durchführungsbestimmungen für diese Abgabe, schließt es aus, daß ein Erzeuger, der in dem vom betreffenden Mitgliedstaat gwählten Referenzjahr begonnen hat, Milch zu liefern, und der deshalb in diesem Jahr keine repräsentative Liefermenge vorweisen kann, allein aus diesem Grund die Berücksichtigung eines anderen Referenzjahres erwirken kann. Eine solche Möglichkeit ist in der Regelung, die eine erschöpfende Aufzählung der Situationen enthält, in denen Referenzmengen zugeteilt werden können, und die genaue Regeln für die Festsetzung dieser Mengen aufstellt, nämlich nicht vorgesehen.

    Die so ausgelegte Regelung verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, da es diesem nicht zuwiderläuft, daß ein Erzeuger nach einer Regelung wie der über die Zusatzabgabe deswegen Beschränkungen unterworfen wird, weil er in einem bestimmten Zeitraum vor dem Inkrafttreten dieser Regelung infolge einer Entscheidung, die er frei getroffen hat, ohne durch eine Handlung der Gemeinschaft dazu veranlaßt worden zu sein, keine oder nur eine geringe Menge Milch vermarktet hat.

    Sie verletzt auch nicht die Grundrechte, da das Eigentumsrecht und das Recht auf freie Berufsausübung, deren Ausübung Beschränkungen unterworfen werden kann, sofern diese dem Gemeinwohl dienenden Zielen wie der Beseitigung der Überschußsituation auf dem Milchmarkt entsprechen, in ihrem Wesensgehalt unangetastet sind, da es den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern unbenommen bleibt, in ihrem Betrieb etwas anderes als Milch zu erzeugen.

    Schließlich verstößt sie nicht gegen das Diskriminierungsverbot, da die unterschiedliche Behandlung derjenigen Erzeuger, deren Lieferungen im Referenzjahr begonnen haben, objektiv gerechtfertigt ist durch das Erfordernis, die Zahl der Situationen, die die Berücksichtigung eines anderen Referenzjahres' rechtfertigen, so weit als möglich zu begrenzen, damit sowohl die Rechtssicherheit als auch die Wirksamkeit der Zusatzabgabenregelung gewahrt bleiben.

  2.  Artikel 7 Absätze 1 und 4 der Verordnung Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der zusätzlichen Abgabe für Milch in der Fassung der Verordnung Nr. 590/85 in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1371/84 mit den Durchführungsbestimmungen für diese Abgabe ist so auszulegen, daß er die Mitgliedstaaten ermächtigt, aber nicht verpflichtet, einem Pächter, der einen Betrieb vor dem Inkrafttreten der Zusatzabgabenregelung übernommen hat, eine Referenzmenge zuzuteilen, in der die Milchlieferungen berücksichtigt sind, die der Vorpächter dieses Betriebs im Referenzjahr erbracht hat.