SITZUNGSBERICHT

in der Rechtssache C-132/90 P ( *1 )

I — Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht

Aus dem Urteil des Gerichts vom 8. März 1990 in der Rechtssache T-41/89 (Georg Schwedler/Europäisches Parlament, Slg. 1990, II-79) geht folgendes hervor:

„1.

Der Kläger, ein Beamter des Europäischen Parlaments, erhielt bis zum 1. September 1987 den Steuerfreibetrag, die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder und die Erstattung der Reisekosten für seinen Sohn Christoph, der als unterhaltsberechtigtes Kind gilt. Von diesem Zeitpunkt an gewährte ihm das Parlament für die Dauer des Wehrdienstes seines Sohnes Christoph die mit dessen Unterhalt verbundenen Vergünstigungen mit der Begründung nicht mehr, daß dieser seinen Wehrdienst in der Bundeswehr ableiste.

2.

Am 6. November 1987 stellte der Kläger beim Leiter der Generaldirektion ‚Personal, Haushalt und Finanzen‘ des Europäischen Parlaments einen Antrag gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Statuts auf Gewährung des Freibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder bei der Erhebung der Gemeinschaftssteuer. In diesem Antrag führte er aus, daß er seit dem 1. September 1987 den Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder nicht mehr erhalte, und er beantragte die Anwendung dieses Freibetrags auf ihn für September 1987 sowie für die Dauer des Wehrdienstes seines Sohnes Christoph.

3.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 1987 lehnte der Generaldirektor diesen Antrag mit der Begründung ab, daß Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 260/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 56, S. 8), der den Freibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder vorsieht, keine Anwendung finde, wenn das Kind seinen Wehrdienst ableiste, da diesem dann von der Armee Unterhalt zu gewähren sei.

4.

Mit Schreiben vom 12. Januar 1988 legte der Kläger beim Präsidenten des Europäischen Parlaments eine Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts gegen die oben aufgeführte Entscheidung vom 22. Dezember 1987 ein; mit dieser Beschwerde beantragte er zum einen den Steuerfreibetrag für September 1987, da sein Sohn seinen Wehrdienst erst am 1. Oktober 1987 begonnen habe, und zum anderen, seinen Sohn nicht für die Zeit des Wehrdienstes als nicht mehr unterhaltsberechtigtes Kind anzusehen. Hierzu verwies er auf folgende Tatsachen: Erstens habe sein Sohn seine Wochenenden und seine Urlaubszeiten am Wohnsitz des Klägers verbracht; während dieser Zeiten sei er für den gesamten Lebensunterhalt seines Sohnes aufgekommen. Zweitens habe sein Sohn einen monatlichen Wehrsold erhalten, der nicht ausgereicht habe, seinen persönlichen Bedarf, insbesondere seine Fahrtkosten, zu bestreiten. Drittens werde der Steuerfreibetrag in der Bundesrepublik Deutschland auch für Kinder gewährt, die ihren Wehrdienst ableisteten, und sollte deshalb auch nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung gewährt werden.

5.

Mit Schreiben vom 2. Mai 1988 wies der Generalsekretär des Europäischen Parlaments die Beschwerde des Klägers zurück. Zur Begründung verwies er zuerst darauf, daß Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 260/68 nur angewandt werden könne, wenn das Kind tatsächlich von dem Beamten unterhalten werde, was hier nicht der Fall sei. Sodann führte er aus, daß der Vergleich mit der deutschen Regelung nicht von Belang sei, da der Gerichtshof den Grundsatz aufgestellt habe, daß die Besteuerungsregelung der Gemeinschaften eigenständig und von den nationalen Regelungen unabhängig sei. Schließlich erklärte er, daß der Beschwerde insoweit stattgegeben werde, als sie den Freibetrag für September 1987 betreffe.“

Vor diesem Hintergrund erhob der Rechtsmittelführer mit Klageschrift, die am 1. August 1988 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen wurde, Klage mit folgenden Anträgen:

die Entscheidungen des Leiters der Generaldirektion ‚Personal, Haushalt und Finanzen‘ vom 22. Dezember 1987 und des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 2. Mai 1988 aufzuheben;

dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Das Europäische Parlament beantragte,

die Klage als unbegründet abzuweisen;

dem Kläger die Kosten des Verfahrens nach den Artikeln 69 § 2 und 70 der Verfahrensordnung aufzuerlegen.

Der Kläger stützte seine Klage auf zwei Rügen: Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 260/68 des Rates sei falsch ausgelegt worden, und das Europäische Parlament hätte bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts bestimmte nationale Rechtsvorschriften berücksichtigen müssen.

Der Kläger vertrat in seiner Gegenerwiderung und in der mündlichen Verhandlung auch die Ansicht, daß Gegenstand der Klage die Gewährung nicht nur des Steuerfreibetrags, sondern auch die Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder sei.

Zur ersten Rüge führte das Gericht in dem mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteil folgendes aus:

„14.

Der Kläger macht geltend, bei der Auslegung der Begriffe ‚unterhaltsberechtigtes Kind‘ und tatsächlicher Unterhalt sei jeder Einzelfall zu prüfen und es sei den besonderen Bedingungen Rechnung zu tragen, unter denen die einzelnen jungen Männer ihren Wehrdienst ableisteten. Der Gedanke der tatsächlichen Unterhaltsgewährung, der in der Definition des unterhaltsberechtigten Kindes in Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts zum Ausdruck komme, sei dazu bestimmt, eine zu enge Anwendung der Verordnung Nr. 260/68 zu korrigieren. Das Europäische Parlament habe nicht aufmerksam genug die besondere Situation seines Sohnes geprüft, die durch folgende vier Umstände gekennzeichnet sei: Erstens habe sein Sohn, wie aus den Bescheinigungen der Militärbehörden hervorgehe, beinahe die Hälfte seiner Wehrdienstzeit außerhalb der Kaserne am Wohnsitz seines Vaters verbracht. Zweitens habe der Monatssold von 294,50 DM, den sein Sohn erhalten habe, nicht ausgereicht, um den Bedarf seines Sohnes außerhalb der Kaserne, insbesondere unter Berücksichtigung der ihm entstehendenen Reisekosten, zu befriedigen. Drittens seien die Kosten einer fortgesetzten medizinischen Behandlung seines Sohnes in Luxemburg nur zu 85 % erstattet worden. Schließlich führt der Kläger aus:‚Da es sich um einen Heranwachsenden handelte, der beinahe das Erwachsenenalter erreicht hatte, sich in einem bestimmten gesellschaftlichkulturellen Umfeld entwickelt und über ein gewisses geistiges Rüstzeug verfügt, erweitert sich der Inhalt des Begriffs [Unterhalt] und überschreitet den engen Rahmen des Bedarfs an Wohnraum, Nahrung oder Kleidung‘.

15.

Das Europäische Parlament vertritt unter Berufung auf Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts und die Rechtsprechung des Gerichtshofes die Ansicht, daß unbestreitbar der deutsche Staat für den Lebensunterhalt des Sohnes des Klägers aufkomme. Da dieser somit gegenüber seinem Herkunftsland unterhaltsberechtigt sei, könne er nicht gleichzeitig tatsächlich von seinem Vater unterhalten werden. Außerdem handele es sich hier um einen grundsätzlichen Standpunkt und es dürfe nicht jeder Einzelfall eines Wehrdienst leistenden Kindes geprüft werden, um zu ermitteln, ob es tatsächlich gegenüber seinen Eltern unterhaltsberechtigt sei. Jedenfalls habe der Kläger nicht den Beweis dafür erbracht, daß er im Ergebnis die gesamten Kosten für den Unterhalt seines Sohnes während dessen Wehrdienstzeit oder zumindest deren größten Teil getragen habe, da die häufigen Aufenthalte außerhalb der Kaserne auf dessen persönliche Entscheidung zurückgegangen seien. Schließlich stützt das Europäische Parlament seinen Standpunkt auf die ‚Anweisung betreffend die Anwendung von Artikel 2 des Anhangs VII‘, von Herrn Nord vom 31. Oktober 1963 und auf die Entscheidung 49/80 der Versammlung der Leiter der Verwaltung vom Juli 1980.

16.

Gemäß Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 260/68 des Rates wird ‚... für jedes unterhaltsberechtigte Kind des Steuerpflichtigen sowie für jede Person, die im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften einem unterhaltsberechtigten Kind gleichgestellt ist, ... außerdem ein Betrag abgesetzt, der der doppelten Höhe der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder entspricht‘. Die Prüfung dieser Vorschrift ergibt, daß die Verordnung Nr. 260/68 des Rates auf diese Weise für die Definition des Begriffs des unterhaltsberechtigten Kindes auf Artikel 2 des Anhangs VII des Statuts verweist, der die Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder regelt.

17.

Nach Artikel 2 des Anhangs VII des Statuts erhält ein Beamter, der ein oder mehrere unterhaltsberechtigte Kinder hat, eine monatliche Zulage in einer bestimmten Höhe für jedes unterhaltsberechtigte Kind. In Absatz 2 dieses Artikels heißt es: ‚... als unterhaltsberechtigtes Kind gilt das eheliche, das uneheliche oder das an Kindes Statt angenommene Kind des Beamten oder seines Ehegatten, wenn es von dem Beamten tatsächlich unterhalten wird‘, somit ist der Begriff des tatsächlichen Unterhalts auszulegen, um die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Vorschriften der Verordnung Nr. 260/68 festlegen zu können.

18.

Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 27. November 1980 in den verbundenen Rechtssachen 81, 82 und 146/79 (Sorasio Alio u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1980, 3557) ergibt, sind hierzu vorab Zweck und Aufbau der Regelung über den Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder zu prüfen. Diese Regelung hat nur dann einen Sinn, wenn der Freibetrag aus sozialen Gründen, die mit dem Vorhandensein des Kindes und den Kosten für seinen tatsächlichen Unterhalt in Zusammenhang stehen, gewährt wird, d. h. wenn er demjenigen gewährt wird, der faktisch die Kosten des gesamten wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreitet.

19.

Somit kann nicht angenommen werden, daß ein Kind gleichzeitig von mehreren verschiedenen Personen oder Einrichtungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts tatsächlich unterhalten wird; ein Kind kann deshalb nicht letzteren gegenüber gleichzeitig als unterhaltsberechtigt angesehen werden.

20.

Wie aus den Akten hervorgeht und auch nicht bestritten worden ist, kommt die Bundeswehr für den Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer, insbesondere in bezug auf Wohnung, Nahrung, medizinische Versorgung, Krankheitskosten, Stellung von Wäsche, Kleidung und Uniformen, Waschen der Wäsche und Zahlung eines monatlichen Wehrsoldes von etwa 300 DM zur Deckung ihres persönlichen Bedarfs, auf.

21.

Da somit feststeht, daß die Bundeswehr im wesentlichen für den gesamten Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer aufkommt, kann der Kläger nicht von sich behaupten, er habe in dem Zeitraum, während dessen sein Sohn den Wehrdienst ableistete, gleichzeitig dessen tatsächlichen Unterhalt bestritten, ohne daß es erforderlich wäre, in jedem einreinen Fall die besonderen Bedingungen zu prüfen, unter denen die einzelnen jungen Männer ihren Wehrdienst abzuleisten haben.

22.

Dieses Ergebnis wird durch die Prüfung der Voraussetzungen bestätigt, unter denen die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder gewährt wird. Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts legt sie unter anderem wie folgt fest:

‚...

3.

Die Zulage wird gewährt:

a)

ohne weiteres für ein Kind unter 18 Jahren;

b)

auf begründeten Antrag des Beamten für ein Kind von 18 bis 26 Jahren, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet.

4.

Dem unterhaltsberechtigten Kind kann ausnahmsweise durch besondere mit Gründen versehene und auf beweiskräftige Unterlagen gestützte Verfügung der Anstellungsbehörde jede Person gleichgestellt werden, der gegenüber der Beamte gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist und deren Unterhalt ihn mit erheblichen Ausgaben belastet.

...

6.

Für ein unterhaltsberechtigtes Kind im Sinne dieses Artikels wird die Kinderzulage nur einmal gewährt, auch dann, wenn die Eltern zwei verschiedenen Organen der drei Europäischen Gemeinschaften angehören ...‘

23.

Die Vorschriften des Statuts, insbesondere Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe b und Absatz 4 von dessen Anhang VII, enthalten somit zwar eine besondere Regelung für Kinder von 18 bis 26 Jahren, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden, und eine Ausnahmeregelung über die Gleichstellung mit einem unterhaltsberechtigten Kind für Personen, denen gegenüber der Beamte gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist und deren Unterhalt ihn mit erheblichen Ausgaben belastet; sie umfassen jedoch keine besondere Regelung für die Kinder, die ihren Wehrdienst ableisten und für die ein Anspruch auf die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder besteht. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 6. Mai 1982 in den verbundenen Rechtssachen 146/81, 192/81 und 193/81 (Baywa/BALM, Slg. 1982, 1503) festgestellt hat, sind Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, durch die Ansprüche auf Geldleistungen begründet werden, eng auszulegen.

24.

Ferner ist auf jeden Fall das folgende Vorbringen zurückzuweisen, auf das der Kläger diese Rüge stützt: erstens, daß sein Sohn ungefähr die Hälfte seiner Wehrdienstzeit am Wohnsitz seiner Eltern verbracht habe, wobei dieser Umstand auf eine persönliche Entscheidung des Betroffenen zurückzuführen ist, zweitens, daß seinem Sohn in Luxemburg Arztkosten entstanden seien, wobei es sich hier ebenfalls um eine persönliche Entscheidung handelt und zudem nicht bestritten wird, daß diese Kosten unter den allgemein geltenden Voraussetzungen der Regelung der Europäischen Gemeinschaften erstattet wurden, und drittens, daß der tatsächliche Unterhalt eines Kindes, das wie sein Sohn 20 Jahre alt sei, unter BeI - 5750 rücksichtigung seines gesellschaftlichkulturellen Umfelds und seines geistigen Niveaus sich nicht auf die engen Bedürfnisse an Wohnung, Nahrung und Kleidung beschränkten, sondern bedeutende zusätzliche Kosten verursache. Derartige Umstände können bei der Prüfung der Frage, welche Steuerregelung allgemein für die Gemeinschaftsbeamten gilt, deren Kind seinen Wehrdienst ableistet, nicht berücksichtigt werden.“

II — Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens und Anträge

Der Rechtsmittelführer hat mit Schriftsatz, der am 8. Mai 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Rechtsmittel gegen das genannte Urteil des Gerichts, das ihm am 8. März 1990 zugestellt worden ist, eingelegt mit der Begründung, daß dieses Urteil unter Verletzung des Gemeinschaftsrechts ergangen sei.

Der Recbtsmittelßihrer beantragt,

das Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 8. März 1990 in der Rechtssache T-41/89 über die Anträge auf Gewährung eines Steuernachlasses aufzuheben;

dem Rechtsmittelgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Das Europäische Parhment beantragt,

1)

die Rechtsmittelgründe tatsächlicher Art als unzulässig zurückzuweisen, die gegen

die Feststellung des Gerichts, daß die Bundeswehr im wesentlichen für den gesamten Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer aufkomme und

gegen die Feststellung des Gerichts, daß die Abwesenheit des Kindes des Klägers von der Kaserne auf dessen persönliche Entscheidung zurückzuführen sei,

gerichtet sind;

2)

das Rechtsmittel im übrigen als unbegründet zurückzuweisen;

3)

infolgedessen über die Kosten gemäß Artikel 122 der Verfahrensordnung in der mit Wirkung vom 7. Juni 1989 geänderten Fassung zu entscheiden.

III — Vorbringen der Beteiligten

A — Zur Zulässigkeit

1.

Das Europäische Parlament führt aus, daß die Begründung des Rechtsmittels nicht auf Rechtsfragen beschränkt sei, wie dies in den Vorschriften des Vertrages über das Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof vorgesehen sei.

Zu dem Teil der ersten Rüge, wonach das Gericht zu Unrecht festgestellt habe, daß die Bundeswehr im wesentlichen für den gesamten Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer aufkomme, sei auszuführen, daß das Vorbringen zu diesem Punkt vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden dürfe, da hiermit nichts anderes bezweckt sei, als eine reine Tatsachenfeststellung des Gerichts in Frage zu stellen.

Das gleiche gelte für die zweite Rüge, mit der sich der Rechtsmittelführer dagegen wende, daß das Gericht das Argument, sein Sohn habe ungefähr die Hälfte seiner Wehrdienstzeit am Wohnsitz seiner Eltern verbracht, mit der Begründung zurückgewiesen habe, daß „dieser Umstand auf eine persönliche Entscheidung des Betroffenen zurückzuführen ist“.

2.

Der Rechtsmittelfiihrer vertritt in bezug auf den Antrag des Europäischen Parlaments, die „Rechtsmittelgründe tatsächlicher Art“, die gegen die Feststellung des Gerichts gerichtet seien, daß die Bundeswehr im wesentlichen für den gesamten Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer aufkomme, als unzulässig zurückzuweisen, die Ansicht, das Parlament verkenne, daß das Gericht, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, die Kette der einschlägigen Rechtsbestimmungen in ihrem Zusammenhang und Begriff für Begriff habe auslegen müssen.

Auch irre sich das Europäische Parlament, wenn es die Ansicht vertrete, daß er die Feststellung des Gerichts in Zweifel gezogen habe, daß die Bundeswehr im wesentlichen für den gesamten Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer aufkomme. Er wende sich vielmehr gegen die Feststellung des Gerichts, daß er „nicht von sich behaupten [könne], er habe in dem Zeitraum, während dessen sein Sohn den Wehrdienst ableistete, gleichzeitig dessen tatsächlichen Unterhalt bestritten“.

Zu den Rechtsmittelgründen angeblich tatsächlicher Art, die gegen die Feststellung des Gerichts gerichtet seien, daß die Abwesenheit seines Sohnes von der Kaserne auf dessen persönliche Entscheidung zurückzuführen sei, vertritt der Rechtsmittelführer die Ansicht, daß sein Rechtsmittel in diesem Zusammenhang keine Tatsachenfrage betreffe, sondern die Rechtsfrage nach der Auslegung des Begriffs des tatsächlichen Unterhalts seines Kindes im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII, der sich auf die Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder beziehe.

Durch die Verwendung des Begriffs „persönliche Entscheidung“ lege das Gericht den Begriff „tatsächlicher Unterhalt des Kindes“ in einer rechtlichen Weise aus, indem es die Tatsache, d. h. die Anwesenheit am Wohnsitz der Eltern, als für die rechtliche Beurteilung des Begriffs „tatsächlicher Unterhalt“ im vorliegenden Fall erheblich ansehe.

B — Zur Begründetheit

Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf drei Rügen, mit denen er die Definition des Begriffs unterhaltsberechtigtes Kind im angefochtenen Urteil, die Feststellung des Gerichts, daß die Abwesenheit seines Sohnes von der Kaserne auf dessen persönliche Entscheidung zurückzuführen sei, und die zusätzliche Begründung in den Randnummern 23 und 24 des Urteils des Gerichtes beanstandet.

a) Zur ersten Rüge

1.

Im Rahmen seiner ersten Rüge macht der Rechtsmittelfiihrer geltend, daß die Art und Weise, in der das Gericht in Randnummer 18 seines Urteils das Urteil des Gerichtshofes vom 27. November 1980 anführe, dessen Bedeutung in unzulässiger Weise beschränke.

In Randnummer 15 des angeführten Urteils des Gerichtshofes heiße es, daß „der Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder nur dann einen Sinn [habe], wenn er aus sozialen Gründen gewährt wird, die mit dem Vorhandensein des Kindes und den Kosten für seinen Lebensunterhalt im Zusammenhang stehen“. Der Rechtsmittelführer schließe sich dieser Feststellung voll und ganz an, da sie, positiv ausgedrückt, implizit bestätige, daß der Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder demjenigen gewährt werde, der die Kosten des Unterhalts eines Kindes getragen habe, was hier unbestreitbar der Fall sei.

Das Gericht füge dem angeführten Wortlaut des Urteils des Gerichtshofes in Randnummer 18 seines Urteils jedoch folgenden Satz hinzu: „d. h. wenn er demjenigen gewährt wird, der faktisch die Kosten des gesamten wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreitet“. Diese Feststellung sei fragwürdig, da der Begriff „tatsächlicher Unterhalt“ so in zweierlei Hinsicht und in unzulässiger Weise eingeengt werde, weil das Gericht zum einen auf die tatsächliche Übernahme des „gesamten Bedarfs des Kindes“ abstelle und diese Übernahme zum anderen auf den „wesentlichen Bedarf“ des Kindes beschränke. Hierdurch verkenne das Gericht, daß im vorliegenden Fall sowohl die Bundeswehr als auch der Rechtsmittelführer tatsächlich zum Unterhalt des Kindes beigetragen hätten.

In der Anweisung von Herrn Nord vom 31. Oktober 1963 betreffend die Anwendung von Artikel 2 des Anhangs VII des Statuts werde festgestellt, daß selbst die teilweise Gewährung von Unterhalt an ein Kind den Anspruch auf die Zulage eröffnen könne. In diesem Zusammenhang sei auch auf die geänderte Stellungnahme Nr. 188/89 des Kollegiums der Verwaltungschefs vom 30. Januar 1990 hinzuweisen, wonach die Einkommensschwelle für ein Kind im Alter von 18 bis 26 Jahren, oberhalb deren das Kind nicht mehr als seinem beamteten Elternteil gegenüber unterhaltsberechtigt anzusehen sei, 40 % des Grundgehalts eines Beamten der Besoldungsgruppe D 4, erste Dienstaltersstufe, also gegenwärtig ungefähr 24100 LFR, betrage.

Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß sich sein Sohn durchschnittlich 15 Tage je Monat in der Kaserne aufgehalten habe, betrügen die der Bundeswehr für den Unterhalt des Sohnes entstehenden Kosten neben dem Monatssold nicht mehr als 11072 LFR, dieser Betrag liege deutlich unterhalb der angegebenen Schwelle von 24100 LFR. Hieraus sei zu schließen, daß die Bundeswehr nicht faktisch für den gesamten Lebensunterhalt des Sohnes des Rechtsmittelführers aufkomme.

Aufgrund der vorstehenden Ausführungen werde auch die Feststellung des Gerichts gegenstandlos, daß es auf die Bestreitung des wesentlichen Bedarfs des Kindes ankomme. Im übrigen finde sich das Wort „wesentlich“ weder in Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 260/83 des Rates noch in Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts; der entscheidende Begriff bei den fraglichen Problemen sei der Begriff „tatsächlich“, der in Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts enthalten sei.

2.

Nach Ansicht des Europäischen Parlaments trägt das Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht die Feststellung, daß das Gericht das Gemeinschaftsrecht im Sinne von Artikel 51 der Satzung des Gerichtshofes dadurch verletzt habe, daß es keine Einzelfallbeurteilung vorgenommen habe und daß es die Ansicht vertreten habe, es könne nicht angenommen werden, daß ein Kind gleichzeitig von mehreren verschiedenen Personen oder Einrichtungen unterhalten werde. Vielmehr entspreche die Auslegung des Gerichts durchaus den anwendbaren Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt und von den Organen angewandt würden.

Konkret sei die schon in dem genannten Urteil Sorasio enthaltene Feststellung des Gerichts, daß zu prüfen sei, wer faktisch die Kosten des gesamten wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreite, eine notwendige Folge des Grundsatzes, daß die Unterhaltsgewährung weder kumuliert noch geteilt werden dürfe.

Die Auslegung des Gerichts entspreche im übrigen der Verwaltungspraxis der Gemeinschaftsorgane, wie sie durch die am 25. Januar 1990 auf das Ersuchen des Gerichts vorgelegten Unterlagen belegt werde. Die Anweisung von Herrn Nord betreffend die Anwendung von Artikel 2 des Anhangs VII bestätige nämlich, daß im Fall des Kindes eines Beamten, das zum Wehrdienst eingezogen werde, „das Kind ganz von den nationalen Militärbehörden unterhalten wird“.

In der Schlußfolgerung Nr. 49/80 werde der Begriff „unterhaltsberechtigtes Kind“ im Fall eines zum Wehrdienst eingezogenen Kindes ebenso ausgelegt.

Die Schlußfolgerung Nr. 188/89 betreffe einen anderen Fall als den, daß ein Kind zum Wehrdienst eingezogen werde. Aus Abschnitt 3 gehe nämlich hervor, daß es sich um den Fall handele, daß ein Kind eine Berufstätigkeit ausübe und ein Entgelt beziehe (Beschäftigung als Arbeitnehmer) oder ein Einkommen erziele (selbständige Beschäftigung).

b) Zum zweiten Rechtsmittelgrund

1.

Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, der die Frage betrifft, ob die Abwesenheit seines Sohnes von der Kaserne auf dessen persönliche Entscheidung zurückzuführen ist, macht der Rechtsmittelführer geltend, daß das angefochtene Urteil in diesem Zusammenhang die derzeitigen Realitäten in einer Kaserne in der Bundesrepublik Deutschland völlig verkenne.

Konkret ziehe das Gericht durch den Ausdruck „persönliche Entscheidung“ in Zweifel, was von den Wehrdienst leistenden Soldaten, der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber als Errungenschaft in einem demokratischen, modernen und sozialen Staat angesehen werde, nämlich, daß die Wehrdienst leistenden Soldaten sozusagen auch nur einen (Arbeits-)Tag von acht Stunden hätten und im Gegensatz zu früher in ihrer Freizeit, an den Wochenenden und den sonstigen freien Tagen nicht in der Kaserne bleiben müßten.

Die Soldaten könnten sich theoretisch, jedoch nur theoretisch dafür entscheiden, nach Beendigung ihrer Dienststunden, an den Wochenenden und an den übrigen dienstfreien Tagen in der Kaserne zu bleiben. Indessen würde ein Soldat, der von dieser Möglichkeit regelmäßig oder ziemlich regelmäßig Gebrauch machen würde, an Depressionen leiden, weil er spüren würde, daß seine Kameraden und seine Dienstvorgesetzten glaubten, daß seine Beziehungen zum Elternhaus, aber auch zu seinen nahen Angehörigen und Freunden oder aber zu einer Freundin erheblich gestört oder auch im Zusammenhang mit der letztgenannten Möglichkeit inexistent seien. Es sei unter diesen Umständen gegenüber der öffentlichen Meinung nicht vertretbar, zum Nachteil des Betroffenen zu behaupten, daß sich das betreffende Kind aufgrund seiner persönlichen Entscheidung zu seinen Eltern beI - 5754 geben habe; eine solche Ansicht könnte energische Proteste hervorrufen.

Daher stehe fest, daß die finanziellen Lasten des Rechtsmittelführers, die durch den Aufenthalt seines Sohnes bei der Bundeswehr verursacht worden seien, zweifellos von ihnen getragen worden seien und unbestreitbar mit der Existenz des Kindes und den Kosten von dessen Unterhalt verbunden seien.

2.

In bezug auf diesen Rechtsmittelgrund beschränkt sich das Europäische Parlament auf das Vorbringen, daß die Randnummer, die die „persönliche Entscheidung“ behandele, eine Tatsachenfeststellung enthalte, die nicht der Prüfung durch den Gerichtshof unterliege.

c) Zum dritten Rechtsmittelgrund

1.

Mit dem dritten Rechtsmittelgrund rügt der Rechtsmittelfiihrer die Schlußfolgerungen, die das Gericht aus einer Untersuchung von Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts gezogen habe; die einzige rechtlich zu entscheidende Frage sei nämlich die nach der Auslegung von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII, denn Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 260/68 des Rates verweise für die Definition des Begriffs „unterhaltsberechtigtes Kind“ auf diese Bestimmung.

Was die Ausführungen des Gerichts angehe, wonach die in Luxemburg entstandenen Arztkosten „unter den allgemein geltenden Voraussetzungen der Regelung der Europäischen Gemeinschaften erstattet wurden“, so seien nach Artikel 3 Absatz 2 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften durch die angeschlossene Person mitangeschlossen „die unterhaltsberechtigten Kinder gemäß Anhang VII Artikel 2 des Statuir“.

2.

Zur Berufung auf Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts führt das Europäische Parkment aus, diese sei Ausdruck einer „systematischen“ Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts im Rahmen von deren Bezug zu anderen Normen und der gesamten Regelung eines Gebiets. Daher habe sich das Gericht mit Recht von den besonderen Bestimmungen für die Fälle leiten lassen, in denen angesichts des Alters des Kindes oder von dessen Stellung als Gläubiger von Unterhaltsverpflichtungen nicht offensichtlich gewesen sei, daß es unterhaltsberechtigt sei. Das Gericht habe in diesen Bestimmungen zu Recht eine Bestätigung dafür gesehen, daß der Begriff „unterhaltsberechtigtes Kind“ eng auszulegen sei.

In bezug auf die Erstattung der Arztkosten hätten sich die leitenden Beamten der Abrechnungsstelle veranlaßt gesehen, in dem Bestreben um Billigkeit dem Umstand abzuhelfen, daß durch die Krankheitsfürsorgeregelung der Bundeswehr nicht dringliche Behandlungen des Sohnes des Rechtsmittelführers außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht gedeckt gewesen seien. Somit sei diese Maßnahme für die Auslegung des Begriffs „unterhaltsberechtigtes Kind“ im Rahmen des Rechtsstreits vor dem Gericht unerheblich gewesen.

M. Diez de Velasco

Berichterstatter


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.


URTEIL DES GERICHTSHOFES

28. November 1991 ( *1 )

In der Rechtssache C-132/90 P

Georg Schwedler, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Wenning, Bonn, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Marc Lucius, 6, rue Michel Welter, Luxemburg,

Rechtsmittelführer,

betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 8. März 1990 in der Rechtssache T-41/89, Georg Schwedler gegen Europäisches Parlament, wegen teilweiser Aufhebung dieses Urteils,

andere Verfahrensbeteiligte :

Europäisches Parlament, vertreten durch Abteilungsleiter Manfred Peter als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt Francis Herbert, Brüssel, Zustellungsanschrift: Generalsekretariat des Europäischen Parlaments, Luxemburg-Kirchberg, das die Zurückweisung des Rechtsmittels als teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet beantragt,

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Due, der Kammerpräsidenten Sir Gordon Slynn, R. Joliét, F. A. Schockweiler und F. Grévisse, der Richter G. F. Mancini, C. N. Kakouris, J. C. Moitinho de Almeida, G. C. Rodríguez Iglesias, M. Diez de Velasco und M. Zuleeg,

Generalanwalt: G. Tesauro

Kanzler: J. A. Pompe, Hilfskanzler

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 29. Mai 1991, in der der Rechtsmittelführer durch Rechtsanwalt Moritz, Bonn, vertreten war,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3 Tuli 1991,

folgendes

Urteil

1

Mit Rechtsmittelschrift, die am 8. Mai 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Rechtsmittelführer nach Artikel 49 der EWG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes Rechtsmittel eingelegt gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 8. Marz 1990, soweit durch dieses Urteil seine Klage auf Aufhebung der Entscheidungen des Leiters der Generaldirektion „Personal, Haushalt und Finanzen“ vom 22. Dezember 1987 und des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 2. Mai 1988, mit denen ihm die Gewährung des Steuerfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder verweigert worden war, abgewiesen worden ist.

2

Zur Begründung des Rechtsmittels macht der Rechtsmittelführer drei Rechtsmittelgründe geltend: erstens falsche Auslegung des Begriffs „Kind, das von dem Beamten tatsächlich unterhalten wird“ im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut), zweitens, daß das Gericht zu Unrecht die Ansicht vertreten hat, daß die Abwesenheit des Sohnes des Rechtsmittelführers von der Kaserne auf eine persönliche Entscheidung zurückzuführen gewesen sei, und drittens fehlende Erheblichkeit der Auslegung von Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts für die Entscheidung des Rechtsstreits.

3

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund rügt der Rechtsmittelführer, daß das Gericht den Begriff „tatsächlicher Unterhalt“ im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts, wie ihn der Gerichtshof im Urteil vom 27. November 1980 in den verbundenen Rechtssachen 81/79, 82/79 und 146/79 (Sorasio/Kommission, Slg. 1980, 3557) ausgelegt habe, in unzulässiger Weise eingeengt habe, indem es für Recht erkannt habe, daß der Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder nur demjenigen gewährt werden könne, der „faktisch die Kosten des gesamten wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreitet“, und daß tatsächlicher Unterhalt im Sinne dieser Bestimmung nicht von mehreren Personen gleichzeitig gewährt werden könne. Diese Auslegung des Gerichts schließe nämlich insbesondere die Möglichkeit aus, den teilweisen Unterhalt eines Kindes zu berücksichtigen, obwohl die Rechtsprechung des Gerichtshofes eine solche Beschränkung nicht enthalte.

4

Im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer auch geltend, daß aus internen Rundschreiben (Anweisung von Herrn Nord vom 31. Oktober 1963 betreffend die Anwendung von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts und Entscheidung Nr. 188/89 des Kollegiums der Verwaltungschefs vom 30. Januar 1990 in der überarbeiteten Fassung) hervorgehe, daß selbst ein teilweiser Unterhalt eines Kindes den Anspruch auf die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder eröffnen könne.

5

Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, daß das Gericht angesichts dessen, was sowohl die Wehrpflichtigen als auch die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber als Errungenschaft in einem demokratischen, modernen und sozialen Staat ansähen, nämlich, daß die Wehrdienst leistenden Soldaten sozusagen auch nur einen (Arbeits-)Tag von acht Stunden hätten und im Unterschied zu früher in ihrer Freizeit, an den Wochenenden und an sonstigen freien Tagen nicht in der Kaserne bleiben müßten, zu Unrecht ausgeführt habe, daß es auf einer persönlichen Entscheidung des Betroffenen beruhe, daß er einen Teil der Zeit außerhalb der Kaserne verbracht habe.

6

Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund widerspricht der Rechtsmittelführer den Schlußfolgerungen des Gerichts aus Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts, da die einzige zu entscheidende Rechtsfrage die nach der Auslegung von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII sei. Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 260/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 56, S. 8) verweise nämlich für die Definition des Begriffs des unterhaltsberechtigten Kindes auf diese Bestimmung.

7

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zulässigkeit

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Das Europäische Parlament erhebt eine Einrede der teilweisen Unzulässigkeit, die es mit der Auffassung begründet, daß mit den ersten beiden Rechtsmittelgründen die dem Gerichtshof bei Entscheidungen über Rechtsmittel übertragenen Befugnisse verkannt würden, da sich diese Gründe nicht auf Rechtsfragen beschränkten.

9

Nach Artikel 168a EWG-Vertrag und den entsprechenden Bestimmungen des EGKS- und des EAG-Vertrags ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Diese Beschränkung wird wiederholt in Artikel 51 Absatz 1 der EWG-Satzung und in den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes, in denen demgemäß als Gründe, auf die ein Rechtsmittel gestützt werden kann, aufgeführt sind: die Unzuständigkeit des Gerichts, Verfahrensfehler, durch die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, und Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht.

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Daraus ergibt sich, daß ein Rechtsmittel nur auf einen Rechtsmittelgrund gestützt werden kann, der eine Verletzung von Rechtsvorschriften durch das Gericht betrifft, während jede Beurteilung von Tatsachen ausgeschlossen ist. Das Rechtsmittel ist daher nur insoweit zulässig, als in der Rechtsmittelschrift gerügt wird, daß das Gericht unter Verletzung von Rechtsvorschriften entschieden hat, deren Beachtung es hätte sichern müssen (siehe Urteil vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P, Vidrányi/Kommission, Sig. 1991, I-4339).

11

Zu dem Rechtsmittelgrund, mit dem die angeblich fehlerhafte Feststellung des Gerichts gerügt wird, daß die zahlreichen Aufenthalte des Sohnes des Klägers außerhalb seiner Kaserne auf eine persönliche Entscheidung zurückzuführen seien, ist lediglich zu bemerken, daß es sich hierbei um eine rein tatsächliche Beurteilung handelt, die selbst nicht die Anwendung einer Rechtsvorschrift beinhaltet.

12

Daher ist der zweite vom Rechtsmittelführer vorgetragene Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.

13

Hingegen ist die Begründetheit zu prüfen, soweit das Vorbringen, der Begriff des tatsächlichen Unterhalts sei, wie sich aus der Definition des Begriffs unterhaltsberechtigtes Kind im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts durch das Gericht ergebe, unzulässig eingeengt worden, die Auslegung dieser Bestimmung betrifft.

Begründetheit

I — Zum Rechtsmittelgrund einer falschen Auslegung von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts

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Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß es der mit dem fraglichen Steuerfreibetrag verfolgte soziale Zweck (siehe das Urteil des Gerichtshofes vom 27. November 1980, Sorasio, a. a. O.) verlangt, daß bei dessen Anwendung nur Kosten berücksichtigt werden, die durch eine gegenwärtige und bestimmte Notwendigkeit gerechtfertigt sind, die im Zusammenhang mit dem Vorhandensein des Kindes und dessen tatsächlichem Unterhalt steht.

15

Im Hinblick auf die Stichhaltigkeit des Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 27. November 1980 für Recht erkannt hat, daß dann, wenn beide Elternteile des Kindes Gemeinschaftsbeamte sind, nur dem Ehegatten, der das höhere Grundgehalt bezieht, diese Vergünstigung gewährt wird, weil nicht anzunehmen ist, daß ein Kind gleichzeitig von jedem seiner beiden Elternteile tatsächlich unterhalten wird (Randnummern 16 und 17 des Urteils).

16

Der Gerichtshof hat jedoch in diesem Urteil nichts zu dem Fall ausgeführt, daß ein Beamter tatsächlich nur einen Teil des wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreitet. Das betreffende Urteil kann daher nicht als Hindernis dafür angesehen werden, daß diesem Beamten dieser Vorteil gewährt werden kann.

17

Somit hat das Gericht zu Unrecht unter Berufung auf das Urteil Sorasio am Ende von Randnummer 18 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß der Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder nur „demjenigen gewährt wird, der faktisch die Kosten des gesamten wesentlichen Bedarfs des Kindes bestreitet“, und daß „nicht angenommen werden [kann], daß ein Kind gleichzeitig von mehreren verschiedenen Personen oder Einrichtungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts tatsächlich unterhalten wird; ein Kind kann deshalb nicht letzteren gegenüber gleichzeitig als unterhaltsberechtigt angesehen werden“ (Randnr. 19 des Urteils).

18

Hingegen hat das Gericht zu Recht in Randnummer 18 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 27. November 1980 (a. a. O.) ergebe, daß der Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder „aus sozialen Gründen, die mit dem Vorhandensein des Kindes und den Kosten für seinen tatsächlichen Unterhalt im Zusammenhang stehen, gewährt wird“.

19

Zu den Umständen des vorliegenden Falles hat das Gericht in Randnummer 20 seines Urteils festgestellt, daß die Bundeswehr für den Lebensunterhalt der zur Ableistung ihres Wehrdienstes einberufenen jungen Männer, insbesondere in bezug auf Wohnung, Nahrung, medizinische Versorgung, Krankheitskosten, Stellung von Wäsche, Kleidung und Uniformen, Waschen der Wäsche und Zahlung eines monatlichen Wehrsoldes von etwa 300 DM zur Deckung ihres persönlichen Bedarfs, aufkomme.

20

Das Gericht hat ferner in Randnummer 21 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß der Kläger unter diesen Umständen nicht behaupten könne, er habe gleichzeitig den tatsächlichen Unterhalt seines Sohnes bestritten.

21

Es ist festzustellen, daß die Begründung des angefochtenen Urteils, wie sie in den drei vorhergehenden Randnummern dargestellt worden ist, Geist und Buchstaben des Artikels 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts und dem Urteil vom 27. November 1980 entspricht.

22

Sobald nämlich die Verpflichtung, die Kosten des Unterhalts des Kindes zu bestreiten, nicht mehr dem möglichen Empfänger des Steuerfreibetrags, sondern vollständig einem anderen Rechtssubjekt, im vorliegenden Fall der Bundeswehr, obliegt, verliert der Freibetrag seine Berechtigung.

23

Daher hat das Gericht ohne Verletzung des Gemeinschaftsrechts in dem angefochtenen Urteil entschieden, daß nicht angenommen werden konnte, daß der Sohn des Rechtsmittelführers diesem gegenüber in dem Zeitraum unterhaltsberechtigt war, in dem er seinen Wehrdienst ableistete, da die Bundeswehr vollständig für seinen Unterhalt aufkam.

24

Zur Berufung des Rechtsmittelführers, auf die internen Rundschreiben braucht nur festgestellt zu werden, daß in ihnen zwar bestätigt wird, daß selbst ein teilweiser Unterhalt eines Kindes den Anspruch auf die betreffende Zulage eröffnen kann, daß ihnen zufolge die Beihilfe jedoch nicht geschuldet wird, wenn das Kind vollständig von den nationalen Militärbehörden unterhalten wird.

25

Nach allen vorstehenden Erwägungen ist der erste Rechtsmittelgrund nicht stichhaltig.

II — Zu dem Rechtsmittelgrund der unzutreffenden Auslegung von Artikel 2 Absätze 3, 4 und 6 des Anhangs VII des Statuts

26

Zwar besteht keine völlige Parallelität zwischen der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder und dem Steuerfreibetrag, dennoch kommen die Bestimmungen über die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder als Bestätigung der Auslegung der Bestimmungen über den Steuerfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder in Betracht, weil mit ihnen derselbe soziale Zweck verfolgt wird und sie demselben Bestreben entsprechen.

27

Unter diesen Umständen durfte das Gericht seine auf einer Analogie beruhenden Erwägungen in den Randnummern 22 und 23 seines Urteils anstellen.

28

Somit ist der dritte Rechtsmittelgrund ebenfalls nicht stichhaltig.

29

Da keiner der vom Kläger vorgebrachten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

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Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst. Jedoch ist Artikel 70 nach Artikel 122 der Verfahrensordnung nicht anwendbar, wenn ein Beamter oder sonstiger Bediensteter eines Organs Rechtsmittel einlegt. Da der Rechtsmittelführer mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

 

1)

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2)

Der Rechtsmittelführer trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

 

Due

Slynn

Joliét

Schockweiler

Grévisse

Mancini

Kakouris

Moitinho de Almeida

Rodríguez Iglesias

Diez de Velasco

Zuleeg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. November 1991.

Der Kanzler

J.-G. Giraud

Der Präsident

O. Due


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.