61990C0183

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 11. Juli 1991. - B. J. VAN DALFSEN UND ANDERE GEGEN B. VAN LOON UND T. BERENDSEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 37 UND 38. - RECHTSSACHE C-183/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-04743


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die vorliegende Rechtssache betrifft ein Ersuchen des Hoge Raad der Nederlanden um Vorabentscheidung nach Maßgabe des Protokolls vom 3. Juni 1971 zwecks Auslegung der Artikel 37 Absatz 2 und 38 Absatz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: Brüsseler Übereinkommen) (1). Die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen stellen sich im Rahmen einer Kassationsbeschwerde, die B. J. van Dalfsen, J. Timmerman, H. van Dalfsen, J. Harmke und G. van Dalfsen (im folgenden: Kläger) gegen eine Entscheidung der Arrondissementsrechtbank Zwolle (Niederlande) eingelegt haben. Sie betreffen das in den genannten Artikeln des Brüsseler Übereinkommens vorgesehene Verfahren des Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Vollstreckung von Entscheidungen, die in einem anderen Vertragsstaat ergangen sind.

2. Mit den beiden ersten, ganz allgemein formulierten Fragen will der Hoge Raad der Nederlanden, um die Statthaftigkeit der Kassationsbeschwerde beurteilen zu können, in Wahrheit wissen, ob die in Artikel 37 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens vorgesehene Kassationsbeschwerde gegen die Entscheidung der Arrondissementsrechtbank eingelegt werden kann, mit der diese die Aussetzung der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung abgelehnt hat. Mit der dritten Frage will der Hoge Raad, um für den Fall, daß die Kassationsbeschwerde statthaft sein sollte, den von den Klägern geltend gemachten Kassationsgrund prüfen zu können, in Erfahrung bringen, welche Gründe die Arrondissementsrechtbank im Rahmen einer Entscheidung nach Artikel 38 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens, mit der die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder versagt wird, hätte berücksichtigen können.

Der rechtliche Rahmen

3. Die Artikel 37 Absatz 2 und 38 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens, die hier zur Erörterung stehen, sind Teil des Titels III, Abschnitt 2 des Brüsseler Übereinkommens (Artikel 31 bis 45), der sich mit der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen befasst, die im Ursprungsstaat vollstreckbar sind. Gemäß Artikel 31 des Brüsseler Übereinkommens werden diese Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten durch die gemäß Artikel 32 des Brüsseler Übereinkommens zuständige Gerichtsbehörde nach Maßgabe der Regeln in den Artikeln 33 bis 35 und 42 bis 45 des Brüsseler Übereinkommens für vollstreckbar erklärt worden sind. Es ist besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß in diesem Abschnitt des Verfahrens bei der genannten Gerichtsbehörde der Vollstreckungsschuldner keine Gelegenheit erhält, eine Erklärung abzugeben, der Antrag nur aus einem der in den Artikeln 27 und 28 des Übereinkommens angeführten Gründe abgelehnt werden kann und die ausländische Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden darf (Artikel 34).

4. Wird die Vollstreckung nicht zugelassen, so kann der Antragsteller gemäß Artikel 40 des Brüsseler Übereinkommens einen Rechtsbehelf bei den in diesem Artikel genannten Gerichten einlegen, deren Entscheidung wiederum gemäß Artikel 41 des Brüsseler Übereinkommens mit der Kassationsbeschwerde oder einem ähnlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann.

Wird die Vollstreckung hingegen zugelassen, so kann der Schuldner gemäß Artikel 36 des Brüsseler Übereinkommens gegen die Entscheidung innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung bei den in Artikel 37 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens angeführten Gerichten einen Rechtsbehelf einlegen. Da gemäß Artikel 34 der Antrag auf Zulassung der Vollstreckung nur aus einem der in Artikel 27 und 28 des Übereinkommens angeführten Gründe abgelehnt werden konnte, muß auch der Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung auf einen dieser Gründe gestützt werden. Gemäß Artikel 39 darf, solange die Frist für den Rechtsbehelf läuft und solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist, die Zwangsvollstreckung über das Vermögen des Schuldners nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen; die Entscheidung, durch welche die Zwangsvollstreckung zugelassen wird, gibt die Befugnis, solche Maßnahmen zu veranlassen.

Ist gegen die Entscheidung, deren Zulassung zur Vollstreckung beantragt wird, im Ursprungsstaat inzwischen ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt oder die Frist für einen solchen Rechtsbehelf noch nicht verstrichen, so kann das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht auf Antrag der Partei, die ihn eingelegt hat, gemäß Artikel 38 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens das Verfahren aussetzen. Dieses Gericht kann allerdings ebenfalls nach Artikel 38 letzter Absatz die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit zugunsten des Schuldners abhängig machen.

Gemäß Artikel 37 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens kann gegen die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", nur Kassationsbeschwerde oder ein ähnlicher Rechtsbehelf eingelegt werden.

Sachverhalt und Verfahren

5. Mit Urteil des Vrederechter des Kantons Herentals (Belgien) vom 21. Oktober 1986 wurden die Kläger verurteilt, an die Beklagten rückständigen Mietzins in Höhe von 2 700 000 BFR nebst Zinsen zu zahlen. In demselben Urteil erkannte der Vrederechter den Anspruch der Kläger auf Erstattung der Kosten dauerhafter Investitionen in das gemietete Grundstück dem Grunde nach an und ordnete ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Betrages dieser Kosten an. Der Vrederechter erklärte das Urteil für "vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung und ungeachtet aller Rechtsbehelfe" (2).

6. Am 17. Dezember 1986 legten die Kläger gegen dieses Urteil Berufung beim Tribunal de première instance Turnhout (Belgien) ein. Die Beklagten beantragten beim Präsidenten der erwähnten Arrondissementsrechtbank gemäß Artikel 31 des Brüsseler Übereinkommens die Vollstreckbarerklärung des in Belgien für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils in den Niederlanden. Mit Entscheidung vom 23. Januar 1987 ließ der Präsident der Arrondissementsrechtbank die Vollstreckung zu. Gemäß Artikel 36 des Brüsseler Übereinkommens legten die Kläger am 2. April 1987 gegen diese Zulassung der Vollstreckung einen Rechtsbehelf bei der Arrondissementsrechtbank ein. Sie beantragten, das Gericht solle das Verfahren aussetzen, weil inzwischen gegen das Urteil des Vrederechter in Belgien Berufung eingelegt und der Antrag auf Erstattung der Kosten für dauerhafte Investitionen, der vom Vrederechter dem Grunde nach anerkannt sei, inzwischen in einem vorläufigen Sachverständigengutachten auf 477 954 BFR veranschlagt worden sei.

7. Mit Entscheidung vom 13. April 1988, d. h. in der "Entscheidung über den Rechtsbehelf" im Sinne des Artikels 37 Absatz 2, stellte die Arrondissementsrechtbank fest, daß dem Rechtsbehelf der Kläger weniger ein Widerspruch gegen die Rechtmässigkeit der Zulassung zur Vollstreckung als vielmehr allein der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zugrunde lag. Die Arrondissementsrechtbank erklärte den Rechtsbehelf für unbegründet, lehnte den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ab, machte allerdings von Amts wegen die Vollstreckung von der Stellung einer Bürgschaft über 478 000 BFR durch die Beklagten abhängig, bis das ausländische Gericht über den Hilfsantrag der Kläger entschieden habe.

8. Gegen diese Entscheidung der Arrondissementsrechtbank legten die Kläger beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein. Dabei beanstandeten sie, die Arrondissementsrechtbank sei von einem falschen Verständnis des Umfangs der Befugnisse, die gemäß Artikel 38 dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht zustuenden, ausgegangen. Es habe der Arrondissementsrechtbank bei ihren Entscheidungen über die Aussetzung des Verfahrens und die Leistung einer Sicherheit freigestanden, auch Umstände zu berücksichtigen, die das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung bereits habe zugrunde legen können, und ihre Entscheidungen (insbesondere) auf ihre Einschätzung der Aussichten des im Ausland eingelegten oder einzulegenden ordentlichen Rechtsbehelfs zu stützen (3).

9. Das vorlegende Gericht hat folgende Fragen gestellt:

1) Können Entscheidungen des "mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts" darüber, ob es von den ihm in Artikel 38 des Übereinkommens zuerkannten Befugnissen, gegebenenfalls in bestimmter Weise, Gebrauch macht, als "Entscheidungen, die über den Rechtsbehelf ergangen sind," angesehen werden, gegen die gemäß Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens in den Niederlanden Kassationsbeschwerde eingelegt werden kann?

2) Ist die erste Frage anders zu beantworten, wenn die dort genannten, auf Artikel 38 des Übereinkommens beruhenden Entscheidungen nicht in dem (End-)Urteil ihren Niederschlag finden, mit dem über den Rechtsbehelf entschieden wird?

3) Kann das "mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht" von den ihm in Artikel 38 Absatz 1 des Übereinkommens zuerkannten Befugnissen

a) auch dann Gebrauch machen, wenn der Rechtsbehelfsführer seinen Antrag auf Aussetzung der Entscheidung oder darauf, daß die Zulassung der Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht wird, auf keine anderen als diejenigen Gründe stützt, die das ausländische Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen konnte;

b) nur dann Gebrauch machen, wenn der genannte Antrag unter anderem oder ausschließlich auf Gründe gestützt wird, die im Verfahren vor dem ausländischen Gericht nicht vorgebracht wurden, oder

c) nur dann Gebrauch machen, wenn der Antrag unter anderem oder ausschließlich auf Gründe gestützt wird, die im Verfahren vor dem ausländischen Gericht deshalb nicht vorgebracht werden konnten, weil die dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen dem Rechtsbehelfsführer damals noch unbekannt waren?

Artikel 37 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens

10. Um die Statthaftigkeit der bei ihm eingelegten Kassationsbeschwerde beurteilen zu können, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens die Einlegung einer Kassationsbeschwerde gegen eine nach Artikel 38 getroffene Entscheidung des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts zulässt, mit der dieses die Aussetzung des Verfahrens ablehnt und die Leistung einer Sicherheit angeordnet hat.

Artikel 37 Absatz 2 bestimmt, daß gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, Kassationsbeschwerde oder ein ähnlicher Rechtsbehelf stattfindet. In seinem Urteil vom 27. November 1984 in der Rechtssache 258/83 (Brennero/Wendel) (4) hat der Gerichtshof entschieden, daß diese Ausdrücke eng auszulegen seien, und für Recht erkannt, eine vorbereitende oder Zwischenentscheidung, die - laut Gerichtshof zu Unrecht (5) - dem Gläubiger die Leistung einer Sicherheit aufgab, sei keine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", und könne daher nicht mit der Kassationsbeschwerde (in casu mit einer Rechtsbeschwerde) angefochten werden. Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt:

"Nach dem Gesamtsystem des Übereinkommens und im Lichte eines seiner Hauptziele, das darin besteht, die Verfahren im Vollstreckungsstaat zu vereinfachen, kann diese Bestimmung nicht in der Weise ausgedehnt werden, daß ein Rechtsmittel gegen eine andere Entscheidung als die, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, z. B. ein Rechtsmittel gegen eine vorbereitende oder Zwischenentscheidung über die Anordnung einer Beweiserhebung, zulässig wäre" (Randnr. 15).

11. Nach meinem Dafürhalten ergibt sich aus diesem Urteil, daß eine Entscheidung des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts, mit der dieses das Verfahren aussetzt, ebenfalls nicht als eine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", anzusehen ist, weil eine solche Entscheidung der Aussetzung des Verfahrens naturgemäß nur durch Zwischenentscheidung getroffen werden kann. Anderes gilt jedoch für den Fall einer Entscheidung, die die Aussetzung des Verfahrens versagt oder die Leistung einer Sicherheit anordnet, weil solche Entscheidungen voraussetzen, daß das Gericht über den Rechtsbehelf entscheidet, und daher normalerweise - wie dies auch vorliegend der Fall ist - innerhalb der endgültigen Entscheidung getroffen werden, die den Rechtsbehelf für unbegründet erklärt und die Vollstreckung zulässt.

Damit stellt sich die Frage, ob im Lichte des Urteils Brennero der Schluß zu ziehen ist, daß diese Entscheidungen, die keine Zwischenentscheidungen, sondern formell Bestandteil der endgültigen Entscheidung sind, als "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", betrachtet werden können. Ergibt sich mit anderen Worten aus dem Urteil Brennero, daß Kassationsbeschwerde statthaft ist gegen jede endgültige Entscheidung des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts (formelles Kriterium) oder kann Kassationsbeschwerde gegen eine endgültige Entscheidung nur insoweit eingelegt werden, als diese wirklich den Rechtsbehelf betrifft, d. h. nur dann, wenn sie die Begründetheit der Zurückweisung des Rechtsbehelfs im konkreten Fall betrifft, was auf eine Entscheidung über einen der Gründe der Artikel 27 und 28 hinausläuft (materielles Kriterium)?

12. Im Urteil Brennero rechtfertigt der Gerichtshof die von ihm vertretene enge Auslegung der Worte "Entscheidungen, die über den Rechtsbehelf ergangen sind", mit dem Hinweis auf eines der Hauptziele des Übereinkommens, die Vollstreckungsverfahren im Vollstreckungsstaat zu vereinfachen. Wie die niederländische und die deutsche Regierung zu Recht bemerkt haben, spricht diese Erwägung auch dafür, als "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", nur die Entscheidungen anzusehen, die den Rechtsbehelf selbst betreffen, nicht aber die Entscheidungen nach Artikel 38 des Übereinkommens. Der Jenard-Bericht (6) unterstreicht ebenfalls die Notwendigkeit einer engen Auslegung des Artikels 37 Absatz 2 und führt aus:

"Eine Häufung von Rechtsbehelfen, die von der unterlegenen Partei nur in der Absicht benutzt werden könnten, das Verfahren zu verschleppen, würde eine Behinderung der von dem Übereinkommen erstrebten Freizuegigkeit der Urteile bedeuten."

13. In ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen vertritt die Kommission einen anderen Standpunkt. Sie meint, ganz offensichtlich sei die Entscheidung des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts, das Verfahren auszusetzen, keine Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen sei. Demgegenüber ist nach dem Dafürhalten der Kommission die Entscheidung, mit der die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt wird, ebenso wie die Entscheidung, mit der die Leistung einer Sicherheit angeordnet wird, eine "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", weil beide bedeuten, daß zur Vollstreckung geschritten werden kann.

Ich kann mich diesem Standpunkt nicht anschließen. Meines Erachtens geht der Standpunkt der Kommission daran vorbei, daß die an zweiter Stelle genannten Entscheidungen, obwohl sie normalerweise zugleich mit der Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsbehelfs ergehen und daher in dem gleichen Gerichtsentscheid enthalten sind, sich doch auf einen anderen Gegenstand beziehen. Das in Artikel 36 vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren betrifft die Begründetheit des Rechtsbehelfs und bezieht sich auf einen eindeutig rechtlichen Gegenstand: Es geht vorliegend um die Frage, ob die Zulassung zur Vollstreckung zurückzunehmen ist, weil sie im Lichte der Gründe, die in den in Artikel 34 genannten Artikeln 27 und 28 abschließend angeführt sind, nicht hätte erteilt werden dürfen. Die Möglichkeit nach Artikel 38 hingegen, das Verfahren auszusetzen oder die Leistung einer Sicherheit anzuordnen, zielt auf die Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Schuldners ab: Mit der Aussetzung hindert das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht den Gläubiger daran, mehr als sichernde Maßnahmen durchzuführen; macht es die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig, so wahrt es die Interessen des Schuldners in der Vollstreckung für den Fall, daß die ausländische Gerichtsentscheidung auf die Berufung hin möglicherweise abgeändert werden sollte. Die entsprechenden Entscheidungen des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts legen mit anderen Worten Einzelheiten der Vollstreckung fest. Weigert sich das Gericht, das Verfahren auszusetzen, oder ordnet es die Leistung einer Sicherheit an, so trifft es eine Entscheidung über Einzelheiten der Vollstreckung. Eine solche Entscheidung setzt sicherlich voraus, daß zugleich eine Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsbehelfs getroffen wird, ist aber doch von ihr zu unterscheiden.

14. Angesichts der Notwendigkeit, das Verfahren im Vollstreckungsstaat so einfach wie möglich zu halten, und im Hinblick auf den unterschiedlichen Gegenstand der jeweils in Artikel 36 und Artikel 38 geregelten Verfahren glaube ich daher in Beantwortung der ersten Vorlagefrage sagen zu können, daß die Wendung "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", die Entscheidungen meint, die unmittelbar die Begründetheit des Rechtsbehelfs betreffen. Diese scheinen mir im übrigen die einzigen Entscheidungen zu sein, die voll für eine Kassationsbeschwerde geeignet sind, da sie Rechtsfragen im strengen Sinn des Wortes betreffen, während die Entscheidungen, die im Rahmen der in Artikel 38 angeführten Verfahren getroffen werden, im wesentlichen auf eine Abwägung der Interessen abzielen.

Ich möchte mich daher eher für ein materielles Kriterium als für ein Kriterium entscheiden, das ausschließlich auf die formelle Natur der Entscheidung abstellt. Auf die zweite Vorlagefrage ist daher dahin zu antworten, daß, sollte eine auf Artikel 38 gestützte Entscheidung in dem gleichen (endgültigen) Gerichtsentscheid getroffen werden wie die Entscheidung, die wirklich den Rechtsbehelf betrifft, eine Kassationsbeschwerde gegen einen solchen endgültigen Entscheid nur insoweit möglich ist, als dieser die Begründetheit des Rechtsbehelfs betrifft.

Diese Lösung bietet den zusätzlichen Vorteil, die Parteien im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gleich zu behandeln. Würde man die Möglichkeit einer Kassationsbeschwerde versagen, wenn eine Entscheidung im Rahmen des Artikels 38 in einer Zwischenentscheidung getroffen würde (was bei einer Aussetzung notwendigerweise der Fall wäre), sie hingegen zulassen, wenn eine solche Entscheidung in einem endgültigen Entscheid enthalten wäre (was normalerweise der Fall ist, wenn es sich um eine Entscheidung handelt, mit der die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und die Vollstreckung, gegebenenfalls bei Leistung einer Sicherheit, zugelassen wird), so wäre der Rechtsbehelfsführer in der Lage, die letztgenannte endgültige Entscheidung mit der Kassationsbeschwerde anzugreifen, während der Rechtsbehelfsgegner gegen die erstgenannte Zwischenentscheidung keine Kassationsbeschwerde einlegen könnte (7).

Artikel 38 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens

15. Die Arrondissementsrechtbank hat den Antrag auf Aussetzung der Entscheidung über den Rechtsbehelf mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Kläger zur Stützung dieses Rechtsbehelfs nur dieselben Gründe angeführt hätten, die das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung habe prüfen können, und daß die Berücksichtigung solcher Gründe im wesentlichen auf eine Überprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache selbst durch das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht hinauslaufen würde. Die Arrondissementsrechtbank hat gleichwohl die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht und hierbei eine neue Tatsache berücksichtigt, die sich nach der ausländischen Entscheidung ereignet hatte, nämlich die zwischenzeitliche Erstellung des Sachverständigengutachtens über die Bewertung des Gegenanspruchs der Kläger (8).

Wie bereits erwähnt, machen die Kläger vor dem vorlegenden Gericht geltend, die Arrondissementsrechtbank sei damit von einem falschen Verständnis des Umfangs der Befugnisse ausgegangen, die Artikel 38 des Brüsseler Übereinkommens ihr zuerkenne. Ihrer Meinung nach kann das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei seinen Entscheidungen nach Artikel 38 Umstände berücksichtigen, die das ausländische Gericht bereits bei seiner Entscheidung habe zugrunde legen können, und hat das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht seine Entscheidungen insbesondere auf seine Einschätzung der Erfolgsaussichten des im Ausland gegen die Entscheidung eingelegten oder noch einzulegenden ordentlichen Rechtsbehelfs zu gründen.

16. Mit der dritten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Stellungnahme zu diesem Punkt, beschränkt freilich die Frage auf eine Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung nach Artikel 38 Absatz 1.

In ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen schließen sich die niederländische und die deutsche Regierung in diesem Punkt der von den Klägern vertretenen Auffassung an, während die Kommission den entgegengesetzten Standpunkt vertritt. Aus den nachstehend dargelegten Gründen schließe ich mich dem Standpunkt der Kommission an.

17. Die in Artikel 38 Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens mit der Folge, daß der Gläubiger gemäß Artikel 39 lediglich sichernde Maßnahmen ergreifen kann, soll (ebenso wie die in Artikel 38 letzter Absatz vorgesehene Möglichkeit, die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen):

"den Schuldner vor Nachteilen schützen, die sich bei einer Vollstreckung nur vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen unter Umständen ergeben können" (9).

In seinem Urteil vom 22. November 1977, Industrial Diamond Supplies/Luigi Riva (10) hat der Gerichtshof zur Auslegung des Artikels 38 des Brüsseler Übereinkommens erklärt, daß das Gericht des Vollstreckungsstaates "zur Aussetzung nicht verpflichtet, sondern lediglich befugt" sei und daß das Gericht "seine Entscheidung immer dann aussetzen kann, wenn am endgültigen Schicksal der Entscheidung im Urteilsstaat vernünftige Zweifel bestehen können" (Randnrn. 32/34).

Bei der Prüfung des Nachteils, der einer Partei infolge der Vollstreckung der Entscheidung entstehen kann, muß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht wohlgemerkt die theoretisch immer bestehenden Möglichkeiten in Rechnung stellen, daß die ausländische Entscheidung in der Berufung ganz oder teilweise aufgehoben wird. Es muß dieses Möglichkeiten abwägen gegenüber dem Ausmaß und dem möglicherweise nicht mehr wiedergutzumachenden Schaden, den eine Vollstreckung dem Schuldner zufügen kann. Kann aber das zuständige Gericht bei dieser Abwägung auch solche Umstände und Argumente in Rechnung stellen, die das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung bereits berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen können, so daß es konkret die Möglichkeiten der Abänderung dieses Urteils in der Berufung abschätzen kann, oder darf es nur solche Argumente und Tatsachen zugrunde legen, die dem ausländischen Gericht nicht bekannt waren und nicht hätten bekannt sein können?

18. Bei der Beantwortung dieser Frage muß in erster Linie betont werden, daß Artikel 31 Absatz 1 des Übereinkommens von dem Grundsatz ausgeht, daß Entscheidungen, die im Ursprungsstaat vollstreckbar sind, auch wenn sie nicht rechtskräftig sind, auch im Vollstreckungsstaat zur Vollstreckung zugelassen werden. Das bedeutet, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, daß die im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander geltende Regelung der Regelung, die in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet für eine vollstreckbare Gerichtsentscheidung gilt, so weit wie möglich angenähert ist.

Die Aussetzung des Verfahrens und das hieraus folgende Verbot anderer als sichernder Maßnahmen (sowie auch, wenn auch in geringerem Masse, die Anordnung der Leistung einer Sicherheit) weichen in gewisser Weise von diesem Grundsatz ab. Daraus ergibt sich, daß die insoweit eingeräumte Befugnis mit Sparsamkeit und Umsicht ausgeuebt werden muß (11). Dies alleine weist schon darauf hin, daß lediglich solche Argumente und Tatsachen Berücksichtigung finden können, die das ausländische Gericht nicht kannte und nicht kennen konnte.

19. Daß dem wirklich so ist, ergibt sich indessen in erster Linie (worauf auch die Arrondissementsrechtbank hingewiesen hat) aus der in Artikel 34 Absatz 3 verankerten Regel, wonach "die ausländische Entscheidung ... keinesfalls in der Sache selbst" von den Gerichten des Vollstreckungsstaats "nachgeprüft werden" darf. Dürfte das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung (oder seiner Anordnung der Leistung einer Sicherheit) Argumente und Tatsachen berücksichtigen, die das ausländische Gericht bereits kannte, so würde eine wirkliche Gefahr der Überprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache selbst bestehen, insbesondere aber der Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit, die sich namentlich auf die Stärke der Überzeugung des ausländischen Gerichts in der Sache selbst stützt.

Um dieser Gefahr vorzubeugen, bin ich der Meinung, daß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht, das die Erfolgsaussichten des gegen die ausländische Entscheidung eingelegten Rechtsmittels und den möglichen Nachteil einer nicht nur auf Sicherungsmaßnahmen beschränkten Vollstreckung (gegebenenfalls ohne Sicherheitsleistung) für den Schuldner gegeneinander abwägt, sich hierbei lediglich auf Gründe stützen kann, die das ausländische Gericht nicht berücksichtigen konnte oder nicht berücksichtigen durfte. Es geht hierbei in erster Linie darum, ob gegen die ausländische Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, um die offenbare Unzulässigkeit (nicht aber um die offensichtliche Unbegründetheit) (12) des im Ausland eingelegten Rechtsbehelfs oder um die lange Dauer des im Ausland anhängigen Verfahrens über den Rechtsbehelf, in zweiter Linie um die Natur, das Ausmaß und die Unwiderruflichkeit des Schadens, den der Gegner bei nicht nur sichernder Vollstreckung davontragen könnte, oder umgekehrt um die unzureichende Wirkung bloß sichernder Maßnahmen für die vollstreckbare Partei, wenn die Aussetzung des Verfahrens beschlossen wird (13). Die vorläufige Bewertung der den Klägern wegen dauerhafter Investitionen geschuldeten Entschädigung, die die Arrondissementsrechtbank berücksichtigt hat (vgl. oben Randnr. 7), kann meines Erachtens in die Gruppe der Gründe eingeordnet werden, die das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht berücksichtigen darf, weil es sich vorliegend um einen Gesichtspunkt des Umfangs des Schadens handelt, der dem ausländischen Gericht nicht bekannt war und der geeignet ist, die Abwägung der bei der Vollstreckung der Entscheidung im Spiel befindlichen Interessen zu beeinflussen.

20. Ein besonderes Problem stellt sich bei den Tatsachen und Argumenten, die dem ausländischen Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt waren, wohl aber dem Rechtsbehelfsführer, der sie indessen vor dem ausländischen Gericht nicht vorgebracht hat. Ich bin der Meinung, daß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht diese Tatsachen und Argumente ebenfalls nicht berücksichtigen darf. Wie die Kommission meines Erachtens zu Recht bemerkt hat, lässt sich nur so vermeiden, daß die Vollstreckung einer im Ausland ergangenen und dort für vollstreckbar erklärten Entscheidung durch Verschulden des Rechtsbehelfsführers beeinträchtigt und damit die praktische Wirksamkeit des Artikels 31 des Brüsseler Übereinkommens angetastet wird.

Der Gerichtshof hat sich zu diesem Problem noch nicht geäussert, doch lässt sich zur Stützung des hier von mir vertretenen Standpunkts das Urteil vom 4. Februar 1988 in der Rechtssache Hoffmann/Krieg (14) anführen, in dem der Gerichtshof für Recht erkannt hat:

"Artikel 36 des Übereinkommens ist dahin auszulegen, daß die Partei, die nicht den in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung eingelegt hat, einen stichhaltigen Grund, den sie im Rahmen dieses Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung hätte vorbringen können, im Stadium der Vollstreckung der Entscheidung nicht mehr geltend machen kann ..."

Hieraus ergibt sich, daß eine Partei, die die Einlegung eines Rechtsbehelfs aus welchem Grunde auch immer unterlässt, sich in der Folge um die Möglichkeit gebracht sieht, sich auf einen Grund zu berufen, der mit diesem Rechtsbehelf hätte geltend gemacht werden können. Analog hierzu ist vorliegend meines Erachtens davon auszugehen, daß eine Partei, die Tatsachen und Argumente vor dem ausländischen Gericht nicht vorgebracht hat, sie vor dem Gericht, das über die Aussetzung des Verfahrens (oder die Leistung einer Sicherheit) entscheidet, nicht mehr geltend machen kann.

21. Angesichts der vorstehenden Gesichtspunkte schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1) Eine Entscheidung des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts nach Artikel 38 des Brüsseler Übereinkommens kann nicht als "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", im Sinne des Artikels 37 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens betrachtet und somit nicht mit der Kassationsbeschwerde angefochten werden.

2) Wurden eine Entscheidung nach Artikel 38 des Brüsseler Übereinkommens und die "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist", in ein und demselben Gerichtsentscheid getroffen, so findet die Kassationsbeschwerde gegen diesen Entscheid nur insoweit statt, als dieser die an zweiter Stelle genannte Entscheidung betrifft.

3) Artikel 38 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens ist dahin auszulegen, daß das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei seiner Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens lediglich andere Gründe als die berücksichtigen darf, die das ausländische Gericht bereits berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen können, wenn der Rechtsbehelfsführer es nicht unterlassen hätte, sie geltend zu machen.

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) ABl. 1972 L 299, S. 32.

(2) Wegen einer eingehenderen Darstellung des Verfahrens vor dem belgischen Vrederechter verweise ich auf den Sitzungsbericht (S. 2 und 3).

(3) In diesem Sinne Punkt 7 der Schlussanträge des Generalanwalts beim Hoge Raad der Nederlanden (bei den Akten).

(4) Slg. 1984, 3971.

(5) Die Leistung der Sicherheit war nämlich angeordnet (und damit die Vollstreckung zugelassen) worden, ohne daß das Gericht selbst über den Rechtsbehelf entschieden hätte (Randnrn. 10 bis 13).

(6) ABl. 1979 C 59, S. 51 und 52.

(7) In Punkt 11 seiner Schlussanträge (oben Fn. 3) hat der Generalanwalt beim Hoge Raad diese Frage der Gleichbehandlung in besonderer Weise hervorgehoben.

(8) Die entsprechenden Ausführungen des Urteils der Arrondissementsrechtbank finden sich in Punkt 3 der in der vorstehenden Fußnote zitierten Schlussanträge.

(9) Jenard-Bericht, ABl. 1979 C 59, S. 52.

(10) Rechtssache 43/77, Slg. 1977, 2175, Randnrn. 32 und 33.

(11) Vgl. die Punkte 14 und 15 der Schlussanträge des Generalanwalts beim Hoge Raad der Nederlanden (oben Fn. 3), sowie Bülow, A./Böckstiegel, K. H., Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Müller, G.), Nr. 606 256.

(12) Dies würde eine Überprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache selbst bedeuten.

(13) Vgl. Kaye, P., Civil Jurisdiction and Enforcement of Foreign Judgements, 1987, S. 1643; Malley, S. O., und Layton, A., European Civil Practice, 1989, S. 770 ff., sowie Hüt, A., Urteilsanmerkung (Rechtssache 43/77), Journal de droit international, 1978, 403.

(14) Rechtssache 145/86, Slg. 1988, 645, Punkt 4 des Urteilstenors.