61990C0159

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 11. Juni 1991. - THE SOCIETY FOR THE PROTECTION OF UNBORN CHILDREN IRELAND LTD GEGEN STEPHEN GROGAN UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT - IRLAND. - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - VERBOT DER VERBREITUNG VON INFORMATIONEN UEBER KLINIKEN, DIE IN ANDEREN MITGLIEDSTAATEN SCHWANGERSCHAFTSABBRUECHE VORNEHMEN. - RECHTSSACHE C-159/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-04685
Schwedische Sonderausgabe Seite 00019
Finnische Sonderausgabe Seite I-00445


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die vom High Court, Dublin, (im folgenden: vorlegendes Gericht) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen werden in einem Verfahren gestellt, das die Society for the Protection of Unborn Children Ireland Ltd (im folgenden: SPUC oder Klägerin des Ausgangsverfahrens) gegen eine Reihe von Personen in deren Eigenschaft als Vertreter einer der folgenden drei Studentenvereinigungen in Gang gebracht hat: der Union of Students in Ireland (im folgenden: USI), der University College Dublin Students Union (im folgenden: UCDSU) und der Trinity College Dublin Students Union (im folgenden: TCDSU).

Tatsächlicher und rechtlicher Hintergrund

2. Die SPUC ist eine Gesellschaft irischen Rechts, die gegründet worden ist, um die Aufhebung der Strafbarkeit der Abtreibung zu verhindern und - allgemeiner betrachtet - die Rechte des ungeborenen Lebens von der Empfängnis an zu schützen.

Die UCDSU und die TCDSU geben jeweils ein für Studenten bestimmtes Jahrbuch heraus. Ebenso wie die vorausgehende Ausgabe enthält die Ausgabe 1989/90 beider Jahrbücher einen Teil mit Informationen für schwangere Studentinnen. Darin wird die Abtreibung als eine der Möglichkeiten bei unerwünschten Schwangerschaften beschrieben. In den Jahrbüchern werden in diesem Zusammenhang Namen, die Anschriften und die Telefonnummern einiger Kliniken in Großbritannien angegeben, in denen Schwangerschaften unter medizinischer Aufsicht abgebrochen werden können.

Die USI gibt monatlich die Studentenzeitschrift "USI News" heraus. Unter anderem in der Ausgabe vom Februar 1989 wird über die Möglichkeit, eine Abtreibung in Großbritannien vornehmen zu lassen, und darüber informiert, wie man mit den betreffenden Einrichtungen Kontakt aufnehmen kann.

3. Der Rechtsstreit zwischen der SPUC und den Vertretern der Studentenvereinigungen ist vor dem Hintergrund des irischen Abtreibungsrechts zu sehen. Nach Section 58 des Offences Against the Person Act von 1861 macht sich eine schwangere Frau, die versucht, auf unerlaubte Weise eine Abtreibung herbeizuführen, strafbar. Nach Section 59 desselben Gesetzes ist auch jeder strafbar, der dazu unerlaubten Beistand leistet. Unter anderem aufgrund dieser Strafbestimmungen haben die irischen Gerichte das Lebensrecht des Ungeborenen ("the right to life of the unborn") anerkannt, und zwar vom Zeitpunkt der Empfängnis an.

Nach einem Referendum im Jahr 1983 wurde das Lebensrecht des Ungeborenen ausdrücklich in die irische Verfassung aufgenommen. Der neue Artikel 40.3.3º dieser Verfassung lautet wie folgt:

"The State acknowledges the right to life of the unborn and, with dü regard to the equal right to life of the mother, guarantees in its laws to respect, and, as far as practicable, by its laws to defend and vindicate that right."

Am 16. März 1988 hat der irische Supreme Court in der Sache The Attorney General at the relation of Society for the Protection of Unborn Children (Ireland) Ltd/Open Door Counselling Ltd and Dublin Wellwoman Centre Ltd (1) ein Urteil erlassen, in dem er u. a. für Recht erkannt hat:

"The court doth declare that the activities of the defendants, their servants or agents in assisting pregnant women within the jurisdiction to travel abroad to obtain abortions by referral to a clinic; by the making of their travel arrangements, or by informing them of the identity and location of and method of communication with a specified clinic or clinics are unlawful, having regard to the provisions of Article 40.3.3.º of the Constitution." (Hervorhebung durch mich)

4. Im September 1989 machte die SPUC die oben genannten Studentenvereinigungen auf dieses Urteil des Supreme Court aufmerksam und forderte sie auf, sich dazu zu verpflichten, im Studienjahr 1989/90 in ihren Veröffentlichungen keine Informationen über Namen und Adressen von Abtreibungskliniken und über die Art und Weise der Kontaktaufnahme mit diesen Kliniken aufzunehmen. Die Studentenvereinigungen kamen dieser Aufforderung nicht nach.

Am 25. September 1989 erhob die SPUC beim High Court Klage gegen die Vertreter der drei Studentenvereinigungen (im folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) mit dem Antrag, festzustellen, daß jegliche Veröffentlichung der genannten Informationen gegen Artikel 40.3.3º der Verfassung verstösst. Gleichzeitig beantragte die SPUC bei demselben Gericht den Erlaß einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, den Beklagten die Veröffentlichung dieser Informationen bis zum Erlaß des Urteils in der Hauptsache für die Zukunft zu verbieten.

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes machten die Beklagten des Ausgangsverfahrens geltend, daß in Irland wohnende Frauen sich aufgrund des Gemeinschaftsrechts in einen anderen Mitgliedstaat begeben dürften, in denen die Abtreibung zulässig sei, um von dort bestehenden medizinischen Einrichtungen Gebrauch zu machen und ihre Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Ferner trugen sie vor, daß sich aus dieser aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Freiheit für die betroffenen Frauen auch ein Recht darauf ergebe, in Irland Informationen über Namen und Anschrift von Abtreibungskliniken in anderen Mitgliedstaaten und die Art und Weise der Kontaktaufnahme mit diesen Kliniken zu erhalten. Schließlich führten sie aus, daß sie in Anbetracht der Informationsfreiheit der in Irland wohnenden schwangeren Frauen auch selbst aus dem Gemeinschaftsrecht das Recht herleiten könnten, derartige Informationen in Irland zu verbreiten.

Am 11. Oktober 1989 erließ der High Court of Justice eine einstweilige Verfügung des Inhalts, dem Gerichtshof eine Reihe von - in diesem Zeitpunkt noch nicht näher bezeichneten Fragen - zur Vorabentscheidung vorzulegen. Er äusserte sich jedoch nicht zu dem von der SPUC beantragten Publikationsverbot. Die SPUC legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Supreme Court ein, der am 19. Dezember 1989 für die Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache das beantragte Publikationsverbot aussprach. Im übrigen ließ der Supreme Court den Beschluß des High Courts, dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, unverändert. Er erkannte den Parteien jedoch das Recht zu, beim High Court eine Änderung des erlassenen Publikationsverbots im Lichte der Vorabentscheidung des Gerichtshofes zu beantragen.

5. Erst nach der Entscheidung des Supreme Court hat der High Court am 5. März 1990 beschlossen, in Fortführung seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1989 dem Gerichtshof die drei folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) Fällt die organisierte Abtreibungstätigkeit oder Vornahme einer Abtreibung oder ein ärztlicher Schwangerschaftsabbruch unter den Begriff der "Dienstleistungen" im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag?

2) Kann ein Mitgliedstaat, solange es an Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die organisierte Abtreibungstätigkeit oder Vornahme einer Abtreibung oder über den ärztlichen Schwangerschaftsabbruch fehlt, die Verbreitung genauer Informationen über den Namen und die Adresse einer oder mehrerer Kliniken in einem anderen Mitgliedstaat, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie über Möglichkeiten oder Kontaktaufnahme mit einer solchen Klinik verbieten?

3) Ist ein einzelner im Mitgliedstaat A nach dem Gemeinschaftsrecht befugt, genaue Informationen über den Namen und die Adresse einer oder mehrerer Kliniken im Mitgliedstaat B, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit einer solchen Klinik zu verbreiten, wenn die Abtreibung sowohl nach der Verfassung als auch nach dem Strafrecht des Mitgliedstaats A verboten, im Mitgliedstaat B aber unter bestimmten Voraussetzungen rechtmässig ist?

Die Zuständigkeit des Gerichtshofes

6. Die Kommission trägt in ihren Erklärungen vor, es sei nicht klar, ob die Vorabentscheidungsfragen vom High Court im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oder aber im Verfahren zur Hauptsache gestellt worden seien.

Ich stimme mit der Kommission darin überein, daß diese Unklarheit in Anbetracht des Urteils in der Rechtssache Pardini (2) nicht geeignet ist, Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen zu begründen. Sind die Fragen im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache gestellt, so sind sie sicher für die vom vorlegenden Gericht zu treffende Entscheidung erheblich. Sie sind dies jedoch ebenso, wenn sie im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gestellt sind. Zwar wurde die beantragte einstweilige Verfügung inzwischen vom Supreme Court erlassen. Da der Supreme Court den Parteien aber die Möglichkeit eingeräumt hat, diesbezueglich nach Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen durch den Gerichtshof beim High Court eine Änderung der erlassenen einstweiligen Verfügung zu erwirken, sind die Vorabentscheidungsfragen auch bei dieser Fallgestaltung erheblich.

7. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die irische Regierung sind der Auffassung, das Ausgangsverfahren werfe keine gemeinschaftsrechtliche Frage auf. Es gehe nämlich darum, festzustellen, ob die beklagten Vertreter von Studentenvereinigungen die streitigen Informationen unter schwangeren Frauen verbreiten dürften. Da sie dies unentgeltlich täten und nicht als Vertreter der von ihnen benannten Abtreibungskliniken aufträten, könne von einer zum Wirtschaftsleben im Sinne von Artikel 2 EWG-Vertrag gehörenden Tätigkeit nicht die Rede sein. Abgesehen davon würden die von den Beklagten gegebenen Informationen nur in Irland verbreitet und wiesen daher keinen grenzueberschreitenden Charakter auf, so daß die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr nicht anwendbar seien.

Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind anderer Ansicht. Wie oben (unter 4.) angegeben, glauben sie aus dem Gemeinschaftsrecht ein Recht auf die Verbreitung von Informationen ableiten zu können, das die Fortführung des Rechts auf Informationen darstelle, das sich für in Irland wohnende schwangere Frauen aus der durch die Vertragsbestimmungen verbürgten Freiheit ergebe, medizinische Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Die von ihnen verbreiteten Informationen könnten daher nicht losgelöst von den in anderen Mitgliedstaaten erbrachten wirtschaftlichen Dienstleistungen gesehen werden.

8. Die Auffassung der Beklagten ist meiner Ansicht richtig. Die Fragen des vorlegenden Gerichts gehen dahin, ob die Tätigkeiten von Abtreibungskliniken Dienstleistungen im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag sind und, wenn ja, ob die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Verbreitung von Informationen über in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführte Abtreibungen verbietet. Der zweite Teil der Frage bezieht sich somit auf die Weitergabe von Informationen an schwangere Frauen, die in einem Mitgliedstaat wohnen, sich eventuell aber in einen anderen Mitgliedstaat begeben möchten, um dort bestimmte Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. So verstanden, geht es bei der Fragestellung nicht um Tätigkeiten, "deren wesentliche Elemente sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen" (3). Das in Irland bestehende Verbot der Verbreitung von Informationen kann jedoch dazu führen, daß weniger Frauen über die in anderen Mitgliedstaaten erbrachten Dienstleistungen unterrichtet sind und von diesen dann auch weniger Gebrauch machten. Das Verbot kann sich folglich auf den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr ungünstig auswirken (4). Die vorgelegten Fragen haben somit eine gemeinschaftsrechtliche Dimension.

Der Begriff der Dienstleistungen im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag

9. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob "organisierte Abtreibungstätigkeit oder Vornahme einer Abtreibung oder ein ärztlicher Schwangerschaftsabbruch" als eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag anzusehen ist.

Es kann meines Erachtens kein Zweifel daran bestehen, daß "ein ärztlicher Schwangerschaftsabbruch" eine Gesamtheit von Dienstleistungen umfasst, die Dienstleistungen im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag darstellen, wenn sie - wie im vorliegenden Fall von keiner der Parteien bestritten wird - "in der Regel gegen Entgelt" erbracht werden. Daß der Begriff "Dienstleistungen" solche Dienstleistungen umfasst, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Artikels 60 Absatz 2, in dem u. a. "freiberufliche Tätigkeiten" als Dienstleistungen bezeichnet werden. Im Urteil Luisi und Carbone (5) hat der Gerichtshof im übrigen (in Randnummer 16) Personen, "die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen", als Empfänger von Dienstleistungen im Sinne von Artikel 60 bezeichnet. Darüber hinaus werden ärztliche und arztähnliche Berufe ausdrücklich in Artikel 57 Absatz 3 EWG-Vertrag (in bezug auf die Niederlassung) genannt, auf den Artikel 66 EWG-Vertrag (der sich auf Dienstleistungen bezieht) verweist.

10. Nach Auffassung der SPUC fällt der medizinische Abbruch einer Schwangerschaft jedoch nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 60, da dadurch das Leben eines anderen, nämlich des Ungeborenen, vernichtet werde, was in Irland aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens (6) und des Verbots der vorsätzlichen Abtreibung unzulässig sei. Auch in den anderen Mitgliedstaaten ist die vorsätzliche Abtreibung grundsätzlich verboten; sie ist aber, insbesondere während der ersten Zeit der Schwangerschaft, unter besonderen, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschiedenen Voraussetzungen und Umständen erlaubt. Aus der dritten Frage des vorlegenden Gerichts lässt sich im übrigen herleiten, daß das Gericht eine Fallgestaltung im Auge hat, in der die betreffende Dienstleistung, über die in Irland Informationen verbreitet werden, in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich dem Vereinigten Königreich, gemäß den dort geltenden gesetzlichen Voraussetzungen erbracht wird.

Unter diesen Umständen habe ich hier nicht die Frage zu prüfen, die in bezug auf den Warenverkehr in der Rechtsprechung des Gerichtshofes schon mehrmals zur Debatte gestanden hat (7), ob rechtswidrige Dienstleistungen ausserhalb des Anwendungsbereichs der Vertragsbestimmungen über den Dienstleistungsverkehr liegen. In Anbetracht der Formulierung der Vorabentscheidungsfrage geht es im vorliegenden Fall um Dienstleistungen des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs, die in dem Land, in dem sie erbracht werden, rechtmässig erfolgen (siehe auch unten unter 14.) und die gleichzeitig, wie sich oben (unter 8.) gezeigt hat, grenzueberschreitenden Charakter besitzen.

Ich schlage daher vor, die erste Frage wie folgt zu beantworten:

"Der in der Regel gegen Entgelt vorgenommene medizinische Eingriff, durch den die Schwangerschaft einer aus einem anderen Mitgliedstaat angereisten Frau unter Beachtung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Eingriff vorgenommen wird, abgebrochen wird, ist eine (grenzueberschreitende) Dienstleistung im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag."

Inhalt der zweiten und der dritten Frage und der Zusammenhang, in dem sie stehen

11. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ein Mitgliedstaat beim heutigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Verbreitung von genauen Informationen über den Namen und die Adresse von in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Kliniken, in denen ärztliche Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, sowie über die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit diesen Kliniken verbieten kann. Aus dem Zusammenhang mit der ersten Frage ergibt sich, daß das Gericht dabei die Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr im Auge hat. Es geht also darum, ob die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr es zulassen, daß ein Mitgliedstaat den Zugang zu in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig erbrachten medizinischen Dienstleistungen des Schwangerschaftsabbruchs dadurch behindern kann, daß er die Verbreitung von Informationen über diese Dienstleistungen verbietet.

12. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob jemand im Mitgliedstaat A aus dem Gemeinschaftsrecht ein Recht darauf herleiten kann, die genannten Informationen über im Mitgliedstaat B niedergelassene Abtreibungskliniken zu verbreiten, wenn die Vornahme einer Abtreibung sowohl nach der Verfassung als auch nach dem Strafrecht des Mitgliedstaats A verboten ist, im Mitgliedstaat B aber unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig ist. Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß es sich um Informationen handelt, die im Mitgliedstaat A von Personen verbreitet werden, die dafür kein Entgelt erhalten und die auch nichts mit den im Mitgliedstaat B niedergelassenen Kliniken zu tun haben. Können diese Personen, so fragt sich das vorlegende Gericht, aus dem Gemeinschaftsrecht, d. h. aus den Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr, ein Recht auf die Verbreitung der genannten Informationen herleiten?

Ausserdem möchte es wissen - daher rührt die Betonung des Unterschieds zwischen dem Recht des Mitgliedstaats A (Irland) und dem des Mitgliedstaats B (Großbritannien) (8) -, ob es sich, falls die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr einem Informationsverbot wie dem vorgenannten entgegenstehen, dann anders verhält, wenn dieses Verbot sich aus grundlegenden Bestimmungen ergibt, die in der Verfassung und im Strafrecht des erstgenannten Mitgliedstaats niedergelegt sind. Mit anderen Worten: Kann eine solche nationale Regelung nicht dennoch aufgrund von zwingenden Erwägungen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden, die in nationalen Verfassungs- und Strafrechtsbestimmungen niedergelegt sind?

13. Aus dem Vorstehenden wie aus dem Folgenden lässt sich entnehmen, daß sich die Vorabentscheidungsfragen nicht unmittelbar auf die Vereinbarkeit des an schwangere Frauen gerichteten Abtreibungsverbots als solchen beziehen, sondern auf die Frage, ob es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wenn Dritten verboten wird, schwangeren Frauen, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Abtreibung vornehmen lassen möchten, Hilfe zu leisten, insbesondere ihnen Informationen zu geben. Doch wird mittelbar von dem Abtreibungsverbot zu sprechen sein, und zwar insofern als es Rechtfertigungsgrund für das Verbot der Verbreitung von Informationen (darüber unter 26. und 33.) sein könnte.

Die Vorabentscheidungsfragen beziehen sich nämlich auf das Verbot der Verbreitung "genauer Informationen über den Namen und die Adresse" von britischen Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie "über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit einer [dieser] Klinik[en]". Diese Beschreibung schließt eng an die Formulierung an, die der irische Supreme Court in seinem bereits genannten Urteil in der Sache Open Door Counselling gebraucht hat (siehe unter 3.), in dem das Verbreiten dieser Informationen ebenso wie das Hinweisen auf und die Durchführung von Reisen zu im Ausland niedergelassenen Abtreibungskliniken als ein rechtswidriges Mittel dazu angesehen wird, in Irland wohnende Frauen dabei zu unterstützen, einen Schwangerschaftsabbruch zu erreichen. In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission mit Recht unterstrichen, daß es sich bei diesem Verbot der Unterstützung um ein allgemeines Verbot handelt, das in Irland für jeden Erbringer von Dienstleistungen und/oder für jeden, der Informationen verbreitet, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit oder dem Ort seiner Niederlassung gilt, und daß schwangere Frauen in Irland unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ebensosehr daran gehindert werden, die betreffende Dienstleistung in Irland wie in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen.

Die an den Gerichtshof gerichteten Fragen gehen nur dahin, ob das genannte Unterstützungs- und Informationsverbot zulässig ist. Insbesondere beziehen sie sich nicht darauf, daß schwangere Frauen, die im Ausland eine Abtreibung haben vornehmen lassen, eventuell in Irland bestraft werden. Weder aus den dem Gerichtshof vorgelegten Angaben noch aus den Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung geht im übrigen hinreichend deutlich hervor, ob das irische Recht in diesem Fall eine Bestrafung gebietet. In den schriftlichen Erklärungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens wird vielmehr ausgeführt, daß Irland es schwangeren Frauen nicht verbiete oder sie nicht daran zu hindern suche, von ihrem Recht auf Ausreise Gebrauch zu machen und im Ausland Dienstleistungen des Schwangerschaftsabbruchs in Anspruch zu nehmen.

14. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Wie bereits gesagt, geht es in den Fragen um einen ärztlichen Schwangerschaftsabbruch, der in einem anderen Mitgliedstaat im Einklang mit dem dort geltenden Recht vorgenommen wird. Ich gehe davon aus, daß dies auch bedeutet - was in der vorliegenden Rechtssache im übrigen nicht streitig zu sein scheint -, daß die in Irland von den Beklagten des Ausgangsverfahrens verbreiteten Informationen den Normen entsprechen, die im Vereinigten Königreich in bezug auf die dort rechtlich zulässigen Fälle von Schwangerschaftsabbruch gelten. In den Mitgliedstaaten, in denen die Abtreibung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, bestehen nämlich häufig Erfordernisse hinsichtlich der Information und der Betreuung der Frauen, die verhindern sollen, daß die Abtreibung als alltäglich erscheint und kommerzialisiert wird (9), oder aber um sicherzustellen, daß die Informationen allein von dazu befugten Personen erteilt werden (10) und daß die Entscheidung, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, in Kenntnis der Tatsachen getroffen wird, d. h. nachdem die Schwangere die erforderlichen Informationen und die erforderliche Betreuung erhalten hat (11).

Ich gehe deshalb davon aus, daß die Verbreitung der Informationen in Irland im Rahmen dessen bleibt, was im Ursprungsland der Dienstleistung zulässig ist. Diese Klarstellung ist wichtig, da das Recht auf die Verbreitung von Informationen, das die Beklagten des Ausgangsverfahrens beanspruchen, in keinem Fall weiter gehen kann als die Dienstleistungsfreiheit der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer von Dienstleistungen selbst, deren Ausfluß dieses Recht nach Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens ist. Diese Klarstellung schließt im übrigen an den allgemeinen Grundsatz an, daß nur Waren oder Dienstleistungen, die im Ursprungsland rechtmässig "hergestellt" oder "in den Handel gebracht" worden sind, im innergemeinschaftlichen Waren- oder Dienstleistungsverkehr frei verkehren können.

15. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die zweite und die dritte Frage eng miteinander verknüpft sind und zusammengenommen wie folgt zu verstehen sind:

"Stehen die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr dem entgegen, daß ein Mitgliedstaat, in dem die Abtreibung sowohl nach der Verfassung als auch nach dem Strafrecht verboten ist, es jemandem, sei er Erbringer von Dienstleistungen oder eine von diesem unabhängige Person, unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Ort der Niederlassung verbietet, in diesem Mitgliedstaat wohnende Frauen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit in bezug auf einen Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen, insbesondere durch die Verbreitung von Informationen über den Namen und die Adresse von in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit solchen Kliniken, und dies, obwohl die Dienstleistungen des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs und die Informationen, die sich darauf beziehen, in Übereinstimmung mit dem in diesem anderen Mitgliedstaat geltenden Recht erbracht oder gegeben werden?"

Bei der Beantwortung dieser Frage werde ich drei Punkte unterscheiden. Zunächst werde ich im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum freien Dienstleistungsverkehr prüfen, ob das betroffene Informationsverbot in den Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr fällt (unter 16. bis 21.). Sodann werde ich prüfen, ob - wenn diese Frage bejaht wird - das Verbot dennoch nach Gemeinschaftsrecht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann, und zwar grundsätzlich (unter 22. bis 24.) und im konkreten Fall (unter 25. bis 29.). Schließlich werde ich prüfen, ob der Gerichtshof dieses Informationsverbot im Lichte der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten prüfen darf (unter 30. bis 31.) und, wenn ja, was das Ergebnis dieser Prüfung ist (unter 32. bis 38.).

Fällt das Informationsverbot in den Anwendungsbereich der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag?

16. Die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag sind seit dem Ablauf der Übergangszeit unmittelbar anwendbar (12). Der vom vorlegenden Gericht in der zweiten Frage angeführte Umstand, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den ärztlichen Schwangerschaftsabbruch nicht Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen sind, steht der unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Vertragsbestimmungen nicht entgegen.

17. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (13) verlangt Artikel 59 die Aufhebung aller Beschränkungen, die bezwecken oder bewirken, daß ein Erbringer von Dienstleistungen, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung zu erbringen ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder aufgrund des Ortes seiner Niederlassung weniger günstig behandelt wird als der Erbringer von Dienstleistungen, der im letztgenannten Mitgliedstaat niedergelassen ist.

Aber auch dann, wenn der Leistungserbringer in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung erbracht wird, und der Dienstleistungsempfänger sich aus einem anderen Mitgliedstaat in den erstgenannten Mitgliedstaat begibt, verlangt Artikel 59 die Aufhebung von Beschränkungen, denen dieser Dienstleistungsempfänger aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Ortes seiner Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat unterliegen könnte, in den er sich begibt, um die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Der Gerichtshof hat dies in Randnummer 10 des bereits genannten Urteils in der Rechtssache Luisi und Carbone wie folgt begründet:

"Zur Erbringung der Dienstleistung kann sich entweder der Leistende in den Mitgliedstaat, in dem der Leistungsempfänger ansässig ist, oder dieser in den Mitgliedstaat begeben, in dem der Leistende ansässig ist. Während der erste Fall ausdrücklich in Artikel 60 Absatz 3 erwähnt wird, nach dem der Leistende seine Leistungen vorübergehend in dem Staat ausüben kann, in dem die Leistung erbracht wird, stellt der zweite Fall die notwendige Ergänzung hierzu dar, die dem Ziel entspricht, jede gegen Entgelt geleistete Tätigkeit, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und unter die Freizuegigkeit der Personen fällt, zu liberalisieren."

Daraus zieht der Gerichtshof in Randnummer 16 folgenden Schluß:

"Daraus folgt, daß der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen - und zwar auch im Hinblick auf Zahlungen - daran gehindert zu werden."

Der Gerichtshof hat diese Auffassung in Randnummer 15 des Urteils in der Rechtssache Cowan ausdrücklich bestätigt (14).

Aus dieser Rechtsprechung folgt, daß aus den Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr nicht nur gewerblich tätige Erbringer von Dienstleistungen, sondern daß auch Gemeinschaftsbürger, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen möchten, Rechte ableiten können, insbesondere das Recht, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine dort erbrachte Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

18. Die Frage ist nun, ob dieses den Gemeinschaftsbürgern zustehende Recht, in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, das Recht einschließt, im eigenen Mitgliedstaat ungehindert Informationen über die in diesem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer von Dienstleistungen und über die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit ihnen zu erhalten. Ich bin der Meinung, daß diese Frage zu bejahen ist.

Im Urteil in der Rechtssache GB-INNO-BM (15) hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Anbieten von Waren die Wichtigkeit der Verbraucherinformation unterstrichen. Er hat (in Randnummer 8) darauf hingewiesen, daß die Freiheit des Verbrauchers, sich in einem anderen Mitgliedstaat Waren zu beschaffen, beeinträchtigt würde, wenn ihm im eigenen Land der Zugang zu der im Einkaufsland verfügbaren Werbung verwehrt würde. Ich kann nicht erkennen, warum dies bei der Verbreitung von Informationen über eine Dienstleistung anders sein sollte: Die Freiheit des einzelnen, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine dort erbrachte Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, kann ebensosehr beeinträchtigt werden, wenn ihm in seinem eigenen Land der Zugang zu Informationen u. a. über den Namen und den Niederlassungsort eines Erbringers von Dienstleistungen und/oder die von diesem erbrachten Dienstleistungen verwehrt wird.

19. Diese Antwort gilt meines Erachtens auch dann, wenn die Informationen von jemandem herrühren, der nicht selbst Erbringer der Dienstleistungen ist und auch nicht für dessen Rechnung tätig wird. Die vom Gerichtshof dem Dienstleistungsempfänger zuerkannte Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, und das Recht, das diese Freiheit einschließt, Zugang zu den sich auf diese Dienstleistung und den Erbringer der Dienstleistung beziehenden (ordnungsgemäß erteilten) Informationen zu erhalten, beruhen auf grundlegenden Vertragsbestimmungen, denen soweit wie möglich praktische Wirksamkeit zu verleihen ist. Als fundamentaler Vertragsgrundsatz ist die Dienstleistungsfreiheit - vorbehaltlich der später erörterten Beschränkungen aufgrund von zwingenden Erfordernissen und anderen Rechtfertigungsgründen - von jedem zu beachten, wie sie auch von jedem in Anspruch genommen werden kann, u. a. dadurch, daß entgeltlich oder unentgeltlich Informationen über die eigenen oder über Dienstleistungen einer anderen Person verbreitet werden.

Eine solche Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht im übrigen in Einklang mit Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK), deren Grundsätze nach Auffassung des Gerichtshofes einen Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung ausmachen, sowie mit Artikel 5 der vom Europäischen Parlament ausgesprochenen Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten (16). Nach diesen Bestimmungen besitzt jeder - vorbehaltlich bestimmter gesetzlich vorgesehener Beschränkungen - die Freiheit "zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen" (so Artikel 10 Absatz 1 EMRK). Der durch diese Bestimmungen gebotene Schutz bezieht sich insbesondere auf meinungsbildende Informationen, er gilt aber auch für Informationen "kommerzieller Art" (17). Diese Bestimmungen werde ich gleich noch ausführlicher behandeln (siehe im folgenden unter 34.).

20. Wie bereits ausgeführt (unter 13.), ist das Verbot der Verbreitung von Informationen über im Ausland durchgeführte Abtreibungen eine in Irland allgemein geltende aus der Verfassung abgeleitete Maßnahme, die nationale und ausländische Erbringer von Dienstleistungen und Anbieter von Informationen oder Empfänger von Dienstleistungen gleich und auf eine nichtdiskriminierende Art und Weise trifft. Die Kommission hat in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof die Auffassung vertreten, daß diese nichtdiskriminierende Maßnahme ausserhalb des Anwendungsbereichs der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag liege. Sie stützt sich dabei auf das Urteil Köstler (18) und auf das Urteil Debauve (19).

Es trifft zu, daß der Gerichtshof noch nicht ausdrücklich erklärt hat, daß Artikel 59 EWG-Vertrag auf Maßnahmen anwendbar ist, die nicht diskriminierend sind, aber den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr dennoch (tatsächlich oder potentiell) behindern. Er hat den Anwendungsbereich des Artikels 59 jedoch auch nicht auf (offen oder verdeckt) diskriminierende Maßnahmen beschränkt. Eine Erklärung dafür liegt unzweifelhaft - so Generalanwalt Jacobs in seinen kürzlich vorgetragenen Schlussanträgen in der Rechtssache Säger (20) - darin, daß es in den meisten Rechtssachen um eine Fallgestaltung ging, in der der Erbringer der Dienstleistungen sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben hatte und dort mit nationalen Regelungen konfrontiert wurde, die Erbringer von Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten härter treffen als die Erbringer von Dienstleistungen aus diesem Mitgliedstaat, wodurch sie in gegenüber den erstgenannten eine "diskriminierende" (d. h. eine ungünstige) Auswirkung hatten.

In seinen Schlussanträgen bringt Generalanwalt Jacobs die Meinung zum Ausdruck, daß nichtdiskriminierende, aber den freien Dienstleistungsverkehr behindernde Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs in gleicher Weise zu behandeln seien, wie nichtdiskriminierende Beschränkungen des Warenverkehrs nach der Cassis de Dijon-Rechtsprechung behandelt werden. Diese Analogie trifft seiner Auffassung nach insbesondere bei einer Fallgestaltung zu, bei der der Erbringer der Dienstleistung sich nicht körperlich an einen anderen Ort begibt (21). Den Erbringer der Dienstleistungen in einem solchen Fall dazu zu verpflichten, sich nach den häufig detaillierten Rechtsvorschriften jedes einzelnen Mitgliedstaats zu richten, in den die Dienstleistung "sich" auf dem Postweg oder über Telekommunikationssysteme "begibt" (oder - a fortiori - aus dem der Empfänger der Dienstleistung stammt), würde das Zustandekommen eines gemeinsamen Dienstleistungsmarkts beträchtlich erschweren (22). Mit dieser Stellungnahme schließt sich Generalanwalt Jacobs der Auffassung an, die zuvor bereits von verschiedenen Generalanwälten vertreten worden ist (23).

Ich bin mit dieser Auffassung in vollem Umfang einverstanden. Nichtdiskriminierende, aber den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr beschränkende Maßnahmen a priori aus dem Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag herausfallen zu lassen, beeinträchtigt auf nicht absehbare Weise die praktische Wirksamkeit des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs, der in einer Wirtschaft, in der der tertiäre Sektor weiter wächst, noch an Bedeutung gewinnen wird. Dies würde ausserdem eine unerwünschte Divergenz zwischen der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Warenverkehr und derjenigen zum Dienstleistungsverkehr in Fällen entstehen lassen, in denen nur die Dienstleistung oder der Empfänger der Dienstleistungen die Binnengrenzen der Gemeinschaft überschreitet und die sich nicht wirklich von den Fällen unterscheiden, in denen Waren oder Käufer sich über die Grenzen hinwegbewegen; gleiches gilt in Fällen, in denen Dienstleistungen - z. B. im Finanzsektor - häufig als "Produkte" angeboten werden.

Im übrigen wird das Diskriminierungsverbot in der Rechtsprechung des Gerichtshofes auch jetzt schon so weit ausgelegt, daß es den Fall erfasst, daß Erbringer von Dienstleistungen aus einem Mitgliedstaat sich infolge eines Unterschieds zwischen den Rechtsvorschriften der betroffenen Mitgliedstaaten dadurch in einer weniger günstigen Stellung befinden, daß ihnen infolge dieses Unterschieds eine schwerere Belastung auferlegt wird, wenn sie ihren Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchten (24). Bejaht man die hier vertretene weite Auslegung des Artikels 59, so wird eine solche schwerere Belastung selbstverständlich als eine beschränkende Maßnahme angesehen, ohne daß es erforderlich wäre, dem Diskriminierungsverbot eine ihm nicht zukommende Bedeutung zu geben (25).

21. Meine Schlußfolgerung geht also dahin, daß nationale Regelungen - seien sie auch nicht diskriminierend -, die offen oder verdeckt, tatsächlich oder potentiell den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehr behindern können, grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag fallen. Ich sage sehr wohl "grundsätzlich", da solche nationalen Regelungen mit den genannten Vertragsbestimmungen dennoch vereinbar sein können, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (im folgenden Nrn. 22 ff.). Ferner komme ich zu dem Ergebnis, daß die Gemeinschaftsbürger aus den Artikeln 59 und 60, wenn sie anwendbar sind, grundsätzlich das Recht herleiten können, Informationen über in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß erbrachte Dienstleistungen zu erhalten, genauso wie sie daraus das Recht herleiten können, derartige Informationen entgeltlich oder unentgeltlich zu verbreiten.

Zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können

22. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung, u. a. im Urteil in der Rechtssache Webb (26) (in Randnummer 17 unter Verweisung auf das Urteil Van Wesemäl (27)), entschieden, daß

"in Anbetracht der Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen solche an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen [sind], die sich aus der Anwendung von Regelungen für diese Art von Tätigkeiten ergeben. Jedoch darf der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrags nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind und die für alle im Hoheitsgebiet des genannten Staats tätigen Personen oder Unternehmen verbindlich sind, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist".

In seinem Urteil Kommission/Deutschland (28) hat der Gerichtshof ausgeführt, daß die an den Leistungserbringer wegen der Besonderheit der betroffenen (Versicherungs-)Dienstleistungen gestellten besonderen Anforderungen

"sachlich geboten sein [müssen], um die Einhaltung der Berufsregelungen und den Schutz der Interessen, den diese bezwecken, zu gewährleisten" (Randnr. 27),

wozu er ausserdem noch als Voraussetzung hingefügt hat, daß

"das gleiche Ergebnis nicht durch weniger einschränkende Bestimmungen erreicht werden kann" (Randnr. 29).

Zuletzt hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung in seinen "Fremdenführer"-Urteilen (29) wie folgt formuliert:

"Diese Anforderungen können daher nur dann als vereinbar mit den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag angesehen werden, wenn nachgewiesen ist, daß im Hinblick auf die betreffende Tätigkeit zwingende Gründe des Allgemeininteresses bestehen, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen, daß das Allgemeininteresse nicht bereits durch die Vorschriften des Staates, in dem der Leistungserbringer niedergelassen ist, gewahrt ist und daß das gleiche Ergebnis nicht durch weniger einschneidende Regelungen erreicht werden kann."

Wie sich aus der im Vorstehenden zitierten Randnummer des Urteils Webb ergibt, geht es in dieser Rechtsprechung um Regelungen, die unterschiedslos anwendbar sind, d. h. "die für alle im Hoheitsgebiet des genannten Staats tätigen Personen oder Unternehmen verbindlich sind" (unter Einschluß von Regelungen, die infolge des Unterschieds zwischen den Rechtsvorschriften eine schwerere Belastung für Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten darstellen können und in diesem Sinne "diskriminierend" sind: siehe oben Nr. 20). Nationale Regelungen, die als solche Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten (offen oder verdeckt) diskriminieren, können ausserdem nach Artikel 56 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 66 EWG-Vertrag "aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt" sein (30).

23. Die Versuchung ist groß, zwischen der oben zitierten Rechtsprechung zum Dienstleistungsverkehr und der Rechtsprechung im Zusammenhang mit zwingenden Gründen (Artikel 30 EWG-Vertrag) oder Gründen des Allgemeininteresses (Artikel 36 EWG-Vertrag) eine Parallele zu ziehen.

Ich werde dieser Versuchung - in Anbetracht der Komplexität der Materie - mühelos widerstehen und mich auf einige Überlegungen beschränken, die geeignet sein können, den Begriff zwingende Gründe des Allgemeininteresses in den allgemeinen Rahmen des Gemeinschaftsrechts einzuordnen.

In beiden Bereichen (Waren- und Dienstleistungsverkehr) müssen die berücksichtigten Gründe, die (je nach Fall diskriminierende oder nichtdiskriminierende) nationale Regelungen rechtfertigen können, nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt sein. Beim freien Warenverkehr wird der Gerichtshof sich dabei, was die Rechtfertigungsgründe nach Artikel 36 angeht, an die abschließende Aufzählung des Vertrages halten, während er, was die zwingenden Gründe nach Artikel 30 betrifft, in seiner Rechtsprechung eine beschränkte Gruppe von immer gleichen Gründen annimmt (nämlich Verbraucherschutz, Lauterkeit des Handelsverkehrs und Transparenz des Marktes, Schutz der Umwelt und der Arbeitsumwelt, Wirksamkeit von steuerlichen Kontrollen). Dagegen scheint der Gerichtshof beim freien Dienstleistungsverkehr, abgesehen von den in Artikel 56 in Verbindung mit Artikel 66 genannten Gründen, die Gruppe der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses weniger genau abgegrenzt zu haben. Jedoch geht es auch hier um Gründe, die den in Artikel 36 genannten Gründen (Schutz des geistigen Eigentums (31) sowie der künstlerischen und archäologischen Reichtümer (32)) und/oder den unter Artikel 30 fallenden Gründen (Schutz der Arbeitnehmer (33) und der Verbraucher, namentlich der Versicherungsnehmer (34)) entsprechen.

Wie sich aus der neueren Rechtsprechung ergibt, scheint der Gerichtshof jedoch in beiden Bereichen bereit zu sein, zu den zwingenden Gründen nach Artikel 30 oder zu den Gründen des Allgemeininteresses nach Artikel 59 auch Gründe zu rechnen, die "Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen" sind und den "landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepasst ... [sind], deren Beurteilung beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist" (35). In bezug auf den Warenverkehr kommt dies im Urteil in der Rechtssache Cinéthèque (36) (in der es um eine Zielsetzung kultureller Art, nämlich die Förderung der Filmindustrie, ging) und in den verschiedenen Urteilen zur Schließung von Geschäften an Sonntagen (37) (in denen es um die Verteilung der Arbeitszeiten und der Ruhezeiten und damit um eine soziale und freizeitbezogene Zielsetzung ging) zum Ausdruck. Was den Dienstleistungsverkehr angeht, lässt sich bereits früher ein Hinweis in dieser Richtung in Urteilen wie dem in der Rechtssache Köstler (38) (in der eine nichtdiskriminierende nationale Regelung als annehmbar angesehen wurde, die die gerichtliche Eintreibung von Spielschulden aus Gründen der "gesellschaftlichen Ordnung", und damit aus Gründen ethisch-politischer Natur ausschloß) und in der Rechtssache Debauve sehen (in der ein nationales "unterschiedslos" geltendes Verbot von Kabelfernsehwerbung aus Gründen des politischen Allgemeininteresses - das Verbot sollte im wesentlichen das Überleben einer pluralistischen Presse sicherstellen (39) - als gerechtfertigt angesehen wurde).

Daß der Gerichtshof zu einer solchen Entscheidung in einer Gesellschaft veranlasst wird, in der dem Staat die Sorge für das Allgemeininteresse in allen möglichen Politikbereichen anvertraut ist, von denen viele nicht oder nur mittelbar durch das Gemeinschaftsrecht betroffen sind, ist unvermeidlich. Es kommt darauf an, daß in bezug auf solche Ziele des Allgemeininteresses und die konkreten Auswirkungen der durch diese Ziele veranlassten allgemeinen nationalen Regelungen darauf geachtet wird, daß sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Daher rührt es, daß der Gerichtshof die Notwendigkeit betont, daß die nationale Regelung Ziele verfolgt, die nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt sind, sei es, daß sie, wenn es um Ziele innerhalb des Anwendungsbereichs der Vertragsbestimmungen geht, in einer Linie mit den darin angestrebten Zielen liegen, sei es, daß sie, wenn es ausserhalb dieses Anwendungsbereichs liegende Ziele betrifft, nicht den in den Vertragsbestimmungen angestrebten Zielen, insbesondere der Schaffung eines einheitlichen Marktes, zuwiderlaufen. Daher kommt es auch, daß der Gerichtshof das Erfordernis betont, daß die durch die betroffene nationale Regelung verursachten Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs nicht weiter gehen dürfen, als es objektiv erforderlich ist, um das mit der nationalen Regelung angestrebte Ziel zu erreichen, was voraussetzt, daß dies nicht bereits durch eine in die gleiche Richtung gehende Regelung des Herkunftsmitgliedstaats (der Ware oder des Leistungserbringers) gewährleistet ist und daß dasselbe Ergebnis nicht ebensogut durch eine das Gemeinschaftsinteresse weniger beeinträchtigende nationale Regelung erreicht werden kann.

24. Mit Blick auf diesen (für den Waren- und den Dienstleistungsverkehr analogen) Bezugsrahmen ist die in Rede stehende nationale Regelung meines Erachtens zu prüfen. Die Fragen, die sich dabei stellen, gehen dahin, ob mit der Regelung ein nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigtes Ziel angestrebt wird, d. h. ob die Regelung auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gestützt werden kann, der auf einer Linie mit den in den Vertragsbestimmungen enthaltenen Zielen liegt oder mit diesen nicht unvereinbar ist, und ob die Regelung keine Auswirkung hat, die weiter geht als es erforderlich ist, insbesondere ob sie nicht unverhältnismässig ist, d. h. ob sie der Prüfung nach den Kriterien des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes standhält.

Beurteilung einer nationalen Regelung, die ein Verbot der Information über medizinische Abtreibungsdienstleistungen enthält

25. Wie oben erwähnt, geht es hier um eine nationale Regelung, die ein allgemeines Verbot enthält, das unter keinem Gesichtspunkt eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Niederlassungsorts enthält und dahin geht, in dem betreffenden Mitgliedstaat unter dort ansässigen potentiellen Empfängern von in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß erbrachten medizinischen Dienstleistungen des Schwangerschaftsabbruchs eine Unterstützung darstellende Informationen zu verbreiten; die genannten Dienstleistungen fallen, wie ich angenommen habe, grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag.

Ausserdem möchte ich daran erinnern, daß das genannte Informationsverbot nach Auffassung des irischen Supreme Court Ausfluß einer 1983 nach einer Volksabstimmung in die irische Verfassung aufgenommenen Bestimmung zum Schutz des Lebens des ungeborenen Kindes unter Berücksichtigung des gleichen Lebensrechts der Mutter ist; dieser Schutz ist nach dieser Bestimmung "so weit dies durchführbar ist" zu gewährleisten. Mit anderen Worten kommt es hier zu einer Kollision zweier Regelungen, die Ausfluß von Grundrechten sind: der Freiheit der Beklagten des Ausgangsverfahrens, Informationen zu erteilen, von der ich angenommen habe (oben Nr. 19), daß sie Ausfluß der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit der Leistungserbringer im eigentlichen Sinne ist, und des Verbots, schwangere Frauen durch Erteilung von Informationen zu unterstützen, das nach Auffassung des irischen Supreme Court Ausfluß des verfassungsrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens ist.

26. Unbestreitbar liegt einem Unterstützungsverbot - konkret: einem Informationsverbot - der hier gegebenen Art ein Ziel zugrunde, das in dem betreffenden Mitgliedstaat als ein zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen wird. Der in die Verfassung aufgenommene Schutz des ungeborenen Lebens (und das diesem inhärente Abtreibungsverbot) sowie die sich daraus ergebende Notwendigkeit, Abtreibungen - selbstverständlich innerhalb der Zuständigkeitsgrenzen des betroffenen Mitgliedstaats - dadurch zu verhindern, daß die Verbreitung von Informationen darüber im Hoheitsgebiet dieses Staats verboten wird, werden in diesem Mitgliedstaat als eine der Grundlagen der Gesellschaft angesehen.

Ein solches Ziel ist - vorbehaltlich der im folgenden zu behandelnden Frage im Zusammenhang mit den Grundrechten und Grundfreiheiten (unten Nr. 32) - nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt. Es betrifft nämlich eine ethisch-weltanschauliche politische Entscheidung, deren Beurteilung Sache der Mitgliedstaaten ist und bei der sich die Mitgliedstaaten auf den in Artikel 56 in Verbindung mit Artikel 66 (und auch in Artikel 36) EWG-Vertrag genannten Grund der öffentlichen Ordnung (ein Grund, der sogar diskriminierende Maßnahmen rechtfertigen kann) berufen können, d. h. nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes auf ein Interesse, dessen Störung "eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung [darstellt], die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" (40). Wenn auch der Inhalt des Begriffs öffentliche Ordnung "nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden" darf, ist dennoch, da es um Umstände geht, die "von Land zu Land ... verschieden sein können", "den zuständigen innerstaatlichen Behörden ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag und die zu seiner Anwendung erlassenen Vorschriften gesetzten Grenzen zuzubilligen" (41). Es kann meines Erachtens kein Zweifel daran bestehen, daß Werte, die in einem Mitgliedstaat aufgrund ihrer Stellung in der Verfassung zum "ensemble des valeurs supérieures auxquelles une nation déclare solennellement adhérer" (42) gehören, in einen Bereich fallen, in dem jedem Mitgliedstaat "im Einklang mit seiner eigenen Wertordnung und in der von ihm gewählten Form" (43) ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist.

27. Es genügt jedoch nicht, daß eine nationale Regelung auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gestützt ist, der nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist, sie darf darüber hinaus auch keine Auswirkung haben, die weiter geht, als es erforderlich ist. Sie muß mit anderen Worten der Prüfung nach den Kriterien des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes standhalten.

Dieser Grundsatz schließt zwei Gesichtspunkte ein. Erstens muß eine nationale Regelung, wenn sie nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt sein soll, objektiv erforderlich sein, um das mit der Regelung angestrebte Ziel zu erreichen. D. h., daß sie zweckmässig (oder sachgerecht) und unverzichtbar sein muß, mit anderen Worten: daß sie nicht durch eine ebenso zweckmässige, für den freien Verkehr aber weniger belastende alternative Regelung ersetzt werden kann (44). Zweitens hat der Mitgliedstaat, auch wenn die nationale Regelung zweckmässig und unverzichtbar ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, ihre Anwendung dennoch zu unterlassen oder sie durch eine weniger belastende Regelung zu ersetzen, wenn die durch die Regelung verursachten Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels unverhältnismässig sind, d. h. wenn die dadurch verursachten Beschränkungen ausser Verhältnis zu dem mit der nationalen Regelung angestrebten Ziel oder dem damit erreichten Ergebnis stehen (45).

28. Auch wenn es nicht Sache des Gerichtshofes, sondern des nationalen Gerichts ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, hat der Gerichtshof dem nationalen Gericht alle Gesichtspunkte an die Hand zu geben, die gewährleisten, daß die Beurteilung durch das nationale Gericht innerhalb der für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Grenzen des Gemeinschaftsrechts bleibt. Zu diesen gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten gehört der Verhältnismässigkeitsgrundsatz, der vom Gerichtshof so konkret wie möglich in Beziehung zu der betroffenen nationalen Regelung und dem Sachverhalt des Falles gesetzt werden muß, wenn er für das vorlegende Gericht von Nutzen sein soll; dabei hat der Gerichtshof sich jedoch streng an die Darstellung der nationalen Regelung und des im nationalen Verfahren als erheblich und feststehend anerkannten Sachverhalts zu halten, so wie diese sich aus der Vorlageentscheidung und den dieser beigefügten Akten ergeben.

29. Kann eine nationale Regelung, die es verbietet, schwangeren Frauen Informationen zu geben, der Prüfung nach den Kriterien des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes standhalten? Meines Erachtens kann ein Mitgliedstaat innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums ein solches Verbot, das sich nur auf Informationen bezieht, die schwangeren Frauen dabei helfen (46), ungeborenes Leben zu beenden (im folgenden: "unterstützende Informationen" genannt), als sachgerecht und unverzichtbar für die Erreichung des angestrebten Ziels und als nicht ausser Verhältnis zu diesem Ziel stehend ansehen, da dieses Ziel darin besteht, dem in seiner Verfassung enthaltenen Werturteil über die hohe Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens Wirksamkeit zu verleihen. Zwar bringt ein solches Verbot eine potentielle Beschränkung des innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehrs mit sich, da durch das Verbot möglicherweise die Anzahl der schwangeren Frauen sinkt, die sich anderenfalls ins Ausland begeben würden. Dem steht jedoch die Tatsache gegenüber, daß das Verbot nicht für alle Informationen gilt, sondern allein für die, die unterstützend sind, und daß das angestrebte Ziel auf einem Werturteil über die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens beruht, das in dem betroffenen Mitgliedstaat als grundlegend angesehen wird. Maßnahmen, die unverhältnismässig wären - da sie den freien Handelsverkehr zu sehr behindern würden - wären z. B. das an schwangere Frauen gerichtete Verbot, sich ins Ausland zu begeben, oder eine Regelung, nach der sie sich bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland unerwünschten Untersuchungen unterziehen müssten. Davon ist jedoch in den Vorabentscheidungsfragen nicht die Rede.

Der Umstand - so könnte man einwenden -, daß sich aus der beschränkten Reichweite der Verbotsregelung entnehmen ließe, daß die betroffenen nationalen Stellen nicht alle möglichen Maßnahmen ergriffen haben, um Abtreibungen zu verhindern, und damit selbst die hohe Priorität, die sie dem Schutz des ungeborenen Lebens beimessen, nicht optimal gewährleisten, gibt keinen stichhaltigen Einwand her: Man kann es den nationalen Stellen nicht zum Vorwurf machen, daß sie die von ihnen getroffenen Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens auf einen bestimmten Umfang beschränken, da das Gemeinschaftsrecht selbst sie zur Beachtung der Erfordernisse der Verhältnismässigkeit verpflichtet. Die Entscheidung dieser Stellen, das Verbot auf Praktiken - im vorliegenden Fall die Verbreitung von unterstützenden Informationen - zu konzentrieren, von denen sie annehmen, daß sie der dem ungeborenen Leben beigemessenen hohen Priorität am deutlichsten zuwiderlaufen, hält daher meines Erachtens der Prüfung nach Kriterien der Verhältnismässigkeit stand.

Die Prüfung von nationalen Regelungen in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten im Gemeinschaftsrecht

30. Wie bereits erwähnt (siehe oben Nr. 15) ist noch zu prüfen, ob das untersuchte Informationsverbot mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten vereinbar ist; dabei wird unterstellt, daß dem Gerichtshof, wie im folgenden (in Nr. 31) noch dargelegt wird, die Befugnis zukommt, eine nationale Regelung auf die Einhaltung dieser Grundsätze zu überprüfen.

Es ist ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß

"die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die er zu wahren hat, und

daß er bei der Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen hat. Hiernach kann er keine Maßnahmen als rechtens anerkennen, die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten.

Auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind" (47).

Unter den letztgenannten "internationalen Verträgen" kommt der EMRK eine Sonderstellung zu, wie in der Präambel der Einheitlichen Akte ausdrücklich anerkannt wird (48). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofes und die darin den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und den genannten internationalen Verträgen entnommenen Grundsätze liegen auch der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten zugrunde, die vom Europäischen Parlament am 12. April 1989 angenommen worden ist (49).

Charakteristisch für diese Rechtsprechung ist, daß sie den genannten internationalen Verträgen keine unmittelbare Wirkung in der Gemeinschaftsrechtsordnung zuerkennt, sondern diese Verträge zusammen mit den Verfassungsüberlieferungen, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, für mitentscheidend für den Inhalt der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts hält. Diese Auffassung erlaubt es dem Gerichtshof, bei der Festlegung dieser allgemeinen Grundsätze im eigenen (sozio-ökonomischen) Kontext des Gemeinschaftsrechts auch die zwingenden Erfordernisse der grundlegenden, auf die Schaffung eines einheitlichen Marktes ausgerichteten Freiheiten und der Marktorganisationen zu berücksichtigen (50). Sie hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, sich nach diesen in Form von allgemeinen Grundsätzen in das Gemeinschaftsrecht eingeführten Grundrechten und Grundfreiheiten in der gleichen Weise strikt zu richten wie nach präzisen Bestimmungen, wenn es darum geht, Handlungen der Gemeinschaftsorgane anhand dieser Grundsätze zu prüfen und sie, wenn festgestellt wird, daß sie mit diesen Grundsätzen unvereinbar sind, für nichtig oder für ungültig zu erklären.

31. Es ist eine bis jetzt noch nicht eindeutig geklärte Frage, inwieweit der Gerichtshof befugt ist, nationale Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den genannten allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten vereinbar sind (51).

Im Cinéthèque-Urteil (52) hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit Artikel 10 EMRK - Freiheit der Meinungsäusserung - folgendes festgestellt:

"Der Gerichtshof hat zwar für die Einhaltung der Grundrechte auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts zu sorgen; er kann jedoch nicht prüfen, ob ein nationales Gesetz, das wie im vorliegenden Fall zu einem Bereich gehört, der in das Ermessen des nationalen Gesetzgebers fällt, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist." (Randnr. 26)

In dem später erlassenen Urteil in der Rechtssache Demirel (53) hat der Gerichtshof den letzten oben zitierten Satzteil wie folgt formuliert:

"... daß der Gerichtshof ... nicht prüfen kann, ob eine nationale Regelung, die nicht im Rahmen des Gemeinschaftsrechts liegt, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist" (Randnr. 28).

In dem noch später erlassenen Urteil in der Rechtssache Wachauf (54) hat der Gerichtshof geprüft, ob eine gemeinschaftsrechtliche Regelung mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes vereinbar ist, und dann hinzugefügt, daß

"auch die Mitgliedstaaten diese Erfordernisse bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten haben" (Randnr. 19).

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß eine nationale Regelung, die in Durchführung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift erlassen wird, vom Gerichtshof auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten und Grundfreiheiten geprüft werden wird. In der vorliegenden Rechtssache lässt sich von dem aus einer verfassungsrechtlichen nationalen Bestimmung hergeleiteten Informationsverbot nicht sagen, daß dadurch das Gemeinschaftsrecht durchgeführt wird. Aus dem Urteil Demirel ergibt sich jedoch eine weitere Formulierung, da in diesem Urteil die Tatsache, daß die nationale Regelung im Rahmen des Gemeinschaftsrechts liegt, als ausreichend angesehen wird. Muß man nun aber von einer nationalen Regelung, die sich, um mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar zu bleiben, auf Rechtsbegriffe berufen muß wie zwingende Gründe des Allgemeininteresses oder öffentliche Ordnung - die nach der Feststellung des Gerichtshofes nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden dürfen (siehe oben, Nr. 26) - nicht annehmen, daß sie "im Rahmen" des Gemeinschaftsrechts liegt? Zwar können diese Begriffe in erheblichem Ausmaß von den Mitgliedstaaten definiert werden. Dies steht jedoch nicht dem entgegen, daß die Rechtfertigung und die Abgrenzung dieser Begriffe in einer für die gesamte Gemeinschaft einheitlichen Art und Weise nach Gemeinschaftsrecht zu erfolgen hat und damit auch unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten, die einen integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts darstellen und deren Beachtung der Gerichtshof sicherzustellen hat.

Genaugenommen steht diese Auffassung im übrigen nicht im Widerspruch zu der Haltung des Gerichtshofes in der Rechtssache Cinéthèque. Darin wird festgestellt, daß sich die vom Gerichtshof vorzunehmende Kontrolle nicht auf einen "Bereich ... [erstreckt], der in das Ermessen des nationalen Gesetzgebers fällt", was allgemein gesehen zutreffend ist. Sobald es jedoch um eine nationale Regelung geht, die Auswirkungen auf einen durch das Gemeinschaftsrecht (im vorliegenden Fall Artikel 59 EWG-Vertrag) erfassten Bereich hat und die, um nach Gemeinschaftsrecht zulässig zu sein, anhand von Begriffen oder Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen sein muß, fällt die Beurteilung einer nationalen Regelung nicht mehr in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers (55).

Vereinbarkeit des Informationsverbots mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten

32. Folgt man der vorstehenden Argumentation, so ist erneut, jetzt im Lichte der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten, zu prüfen, ob es nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt werden kann, daß im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein allgemeines Verbot in Kraft ist, schwangeren Frauen unterstützende Informationen über im Ausland rechtmässig durchgeführte Abtreibungen zu geben. Aufgrund dieses neuen Blickwinkels sind nun zwei Punkte in die Fragestellung einzubeziehen: zum einen, ob das mit der nationalen Regelung angestrebte Ziel, d. h. die Durchsetzung eines ethischen Werturteils über den Schutz des ungeborenen Lebens, das in der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats niedergelegt ist, sich mit den genannten allgemeinen Grundsätzen verträgt; zum anderen, ob die Freiheit der Meinungsäusserung, die Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ist und parallel zu der gemeinschaftlichen Freiheit der innergemeinschaftlichen Erbringung von Dienstleistungen besteht (einschließlich der Entgegennahme und der Verbreitung von Informationen über die betreffenden Dienstleistungen), durch die geprüfte nationale Regelung nicht in unzulässiger Weise beschränkt wird.

33. Das vorlegende Gericht hat den Gerichtshof nicht gefragt (siehe oben Nr. 13) - und die Parteien haben vor dem Gerichtshof darüber auch keine Argumente ausgetauscht -, ob eine nationale Regelung, die das ungeborene Leben durch ein weitgehendes Abtreibungsverbot schützt, mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten vereinbar ist. Dem Gerichtshof sind im übrigen keine rechtlichen oder tatsächlichen Angaben über die Tragweite und die Anwendung der in dem betroffenen Mitgliedstaat geltenden Abtreibungsregelung vorgelegt worden (insbesondere was die Art und Weise angeht, in der das gleiche Lebensrecht der Mutter, auf das Artikel 40.3.3º der irischen Verfassung ausdrücklich hinweist, berücksichtigt wird). Ich gehe deshalb davon aus, daß in bezug auf das in dieser Rechtssache betroffene Informationsverbot - das verhindern soll, daß die Durchführung einer Abtreibung unterstützt wird - nicht behauptet werden kann, daß mit diesem Verbot ein Ziel angestrebt wird, das mit den genannten allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts als solches unvereinbar ist.

Der Vollständigkeit halber möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt hat, über die Vereinbarkeit von Abtreibungsregelungen mit der Euroäischen Menschenrechtskonvention zu entscheiden, daß es aber einige Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte gibt. Darin hat die Europäische Kommission für Menschenrechte sich jedoch einer allgemeinen Entscheidung über die Frage enthalten, ob Artikel 2 EMRK das Leben der Leibesfrucht schützt und, wenn ja, inwieweit (56). Sie hat nur ausgeführt, daß der Leibesfrucht in Anbetracht des durch die EMRK selbstverständlich garantierten Schutzes des Lebens der Mutter in keinem Fall ein unbeschränktes Recht auf Leben zustehen kann (wie von einem Mann geltend gemacht wurde, der rügte, daß ein nationales Recht nicht dem entgegenstehe, daß seine Frau eine Abtreibung vornehmen lasse) (57). In einem früheren Fall hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte das Gesuch von zwei Frauen abgewiesen, die sich auf Artikel 8 mit dem Ziel berufen hatten, feststellen zu lassen, daß nationale Rechtsvorschriften, die eine Abtreibung nur innerhalb einer bestimmten Frist und/oder unter bestimmten Voraussetzungen zuließen, einen Eingriff in ihre Privatsphäre darstellen (58).

Hieraus geht hervor, daß die Europäische Kommission für Menschenrechte es bis jetzt unterlassen hat - und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch keine Gelegenheit gehabt hat -, in einzelnen Staaten ein bestimmtes Niveau des Schutzes des ungeborenen Lebens zu empfehlen, soweit das Recht auf Leben der Mutter durch die betreffende nationale Regelung geschützt wird.

34. Es bleibt die Frage, ob es im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten steht, wenn ein Mitgliedstaat die Verbreitung und den Bezug von unterstützenden Informationen über in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig vorgenommene Abtreibungen verbietet und damit die Freiheit der Meinungsäusserung der einzelnen beeinträchtigt. Es geht hier um eine Abwägung zwischen zwei Grundrechten, zum einen dem Recht auf Leben, so wie es von einem Mitgliedstaat definiert und für auf ungeborenes Leben anwendbar erklärt wird, zum anderen der Freiheit der Meinungsäusserung, die in Anbetracht der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und der europäischen und internationalen Menschenrechtskonventionen und -erklärungen, insbesondere Artikel 10 EMRK, zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört.

Daß ein solches Verbot die Freiheit der Meinungsäusserung beeinträchtigt, wie sie u. a. in Artikel 10 EMRK niedergelegt ist, ergibt sich aus Artikel 10 Absatz 1, der jedem "die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen" garantiert. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Europäischen Kommission für Menschenrechte zu Artikel 10 EMRK ergibt sich, wie oben (Nr. 19) bereits erwähnt, daß - wenn auch kommerzielle Meinungsäusserungen unter den Schutz des Artikels 10 fallen - meinungsbildende Meinungsäusserungen um so mehr Schutz verdienen. Im vorliegenden Fall geht es um Informationen, die nicht von den in Großbritannien niedergelassenen Leistungserbringern selbst verbreitet werden, sondern von irischen Studentenvereinigungen, die die Informationen in Irland verbreiten, ohne dafür ein Entgelt zu erhalten, und zwar aufgrund ihrer Überzeugung, daß schwangeren Frauen sachdienliche Informationen über Kliniken gegeben werden müssen, in denen sie eine Abtreibung vornehmen lassen können.

Aus dem Wortlaut des Artikels 10 Absatz 2 und aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Europäischen Kommission für Menschenrechte geht jedoch hervor, daß die Freiheit der Meinungsäusserung durch die einzelnen Staaten "vom Gesetz vorgeschriebenen" Einschränkungen unterworfen werden kann (wobei "Gesetz" auch eine ungeschriebene Rechtsnorm sein kann, wenn sie hinreichend erkennbar und für den Bürger, der sein Verhalten danach richten muß, hinreichend klar ist; siehe auch im folgenden unter Nr. 36) (59), sofern diese Einschränkungen "in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse ... der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes ... der Rechte anderer ... unentbehrlich sind". Den einzelnen Staaten steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu, den sie jedoch unter gerichtlicher Kontrolle in Anspruch nehmen (60); in dieser Hinsicht prüft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ob mit den nationalen Maßnahmen ein berechtigtes Ziel angestrebt wird und ob sie in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen, d. h. ob sie einer zwingenden gesellschaftlichen Notwendigkeit ("pressing social need") entsprechen und in angemessenem Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen (61).

Parallel zu Artikel 10 Absatz 1 EMRK sieht Artikel 5 der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments vor, daß jeder das Recht auf freie Meinungsäusserung hat, das die "Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Gedanken, insbesondere weltanschaulicher, politischer und religiöser Art, ein[schließt]". Nach der allgemeinen Bestimmung über die Grenzen dieser Rechte in Artikel 26 kann diese Freiheit "innerhalb der in einer demokratischen Gesellschaft vertretbaren und erforderlichen Grenzen nur durch eine Rechtsvorschrift eingeschränkt werden, in der in jedem Fall der Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten unangetastet bleibt".

35. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Grundrechte miteinander in Kollision geraten, in der Rechtsprechung zur EMRK ein Kriterium angewendet wird, das dem im Gemeinschaftsrecht angewendeten Verhältnismässigkeitsgrundsatz entspricht. Dies kommt auch im Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Hauer (62) zum Ausdruck, in dem es um eine Kollision zwischen einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel der Gemeinschaft (Durchführung von strukturpolitischen Maßnahmen im Rahmen einer Marktorganisation) und dem durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts garantierten Eigentumsrecht ging. Bei der Untersuchung der (in diesem Fall gemeinschaftsrechtlichen) Regelung prüfte der Gerichtshof, ob die in dieser Regelung enthaltenen Einschränkungen als rechtmässig angesehen werden können (Randnr. 22) und ob sie tatsächlich

"dem allgemeinen Wohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und ob sie nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff in die Vorrechte des Eigentümers darstellen, der das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet" (Randnr. 23).

Ich gehe davon aus, daß der Gerichtshof entsprechend seiner allgemeinen Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Grundrechtsproblematik (siehe oben Nr. 30) in bezug auf die Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes insbesondere berücksichtigen wird, wie dieser Grundsatz in der EMRK und in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der Europäischen Kommission für Menschenrechte angewendet wird. Dies wird im übrigen nicht schwierig sein, da die Hauptkomponenten des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, so wie er in der EMRK und im Gemeinschaftsrecht angewendet wird, von Nuancierungen abgesehen (63) wohl die gleichen sind. Bezogen auf die jetzt behandelte Problematik sind meines Erachtens unter Berücksichtigung dieser Hauptkomponenten anhand des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes folgende Punkte zu prüfen. Erstens: Wird mit dem untersuchten Informationsverbot ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses verfolgt, das einem zwingenden gesellschaftlichen Erfordernis entspricht? Zweitens: Wird dieses Ziel mit Mitteln verwirklicht, die in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich (und vertretbar sind), um dieses Ziel zu erreichen? Drittens: Stehen die angewendeten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel und wird das betroffene Grundrecht, im vorliegenden Fall die Meinungsfreiheit, durch sie nicht in ihrem Wesensgehalt beeinträchtigt?

36. An diesem Punkt meiner Schlussanträge muß ich auf die Rechtssachen hinweisen, die nach dem oben (Nr. 3) genannten Urteil des irischen Supreme Court vom 16. März 1988 in der Sache Open Door Counselling der Europäischen Menschenrechtskommission vorgelegt worden ist und in der es um die Vereinbarkeit des in der vorliegenden Rechtssache geprüften irischen Informationsverbots mit (u. a.) Artikel 10 EMRK geht.

Nachdem die Europäische Kommission für Menschenrechte die Gesuche durch Entscheidung vom 15. Mai 1990 für zulässig erklärt hatte, legte sie am 7. März 1991 einen Bericht über die materielle Rechtslage vor. Dieser gibt jedoch, was die Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes angeht, kaum Aufschlüsse. Zwar stellt die Europäische Kommission für Menschenrechte eine Einschränkung der in Artikel 10 Absatz 1 EMRK garantierten Meinungsfreiheit fest und verneint die Anwendbarkeit von Artikel 10 Absatz 2 EMRK; dabei stützt sie sich aber auf die Überlegung, daß die festgestellte Einschränkung zum maßgeblichen Zeitpunkt ("at the material time"), d. h. vor dem Erlaß des Urteils des Supreme Court ("prior to the Supreme Court judgement") vom 16. März 1988 (siehe Absatz 52) nicht "vom Gesetz vorgeschrieben" gewesen sei. Dies gilt sowohl für die Begründungserwägungen (Absätze 44 bis 53) des Berichts, die sich auf die Gesuche von zwei Beratungsstellen und von zwei Beschäftigten einer dieser Beratungsstellen beziehen, als auch für die Begründungserwägungen (Absätze 54 bis 57), die sich auf die Gesuche von zwei einzelnen (aber nicht schwangeren) Frauen beziehen. Was die erstgenannten Gesuche angeht, hat die irische Regierung eingeräumt, daß eine Einschränkung im Sinne von Artikel 10 Absatz 1 EMRK vorlag, während sie dies für die zweitgenannten Gesuche nicht anerkannt hat. Bei beiden Gruppen von Gesuchen nimmt die Europäische Kommission für Menschenrechte an, daß die Meinungsfreiheit (einschließlich der Freiheit, von Meinungen Kenntnis zu nehmen) tatsächlich beschränkt worden sei und daß diese Beschränkung im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 unzulässig gewesen sei, da sie im maßgeblichen Zeitpunkt nicht hinreichend erkennbar und klar "vom Gesetz" (einschließlich der ungeschriebenen Rechtsnormen) vorgesehen gewesen sei. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat sich folglich nicht mit der Erforderlichkeit und/oder der Verhältnismässigkeit der angefochtenen Maßnahme und auch nicht mit einer Beurteilung der Rechtmässigkeit an sich des mit der Maßnahme angestrebten Ziels befasst (siehe Absatz 52 a. E. im Zusammenhang mit Absatz 43 der Entscheidung).

Aus der Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte geht jedoch hervor, daß die betroffene nationale Verbotsregelung - nachdem der irische Supreme Court in seinem Urteil vom 16. März 1988 in der Sache Open Door Counselling die Folgerungen aus Artikel 40.3.3º der irischen Verfassung in bezug auf die Information über Abtreibungsdienstleistungen hinreichend erkennbar und klar festgelegt hat - (64) tatsächlich ausreichend "vom Gesetz vorgeschrieben" ist (nämlich durch eine jetzt feststehende ungeschriebene Rechtsnorm des Common law). Auf diesen Punkt braucht daher hier nicht mehr eingegangen zu werden.

37. Zwar stösst die Formulierung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes auf keine besonderen Schwierigkeiten (siehe oben, Nr. 35); bei der Anwendung dieses Grundsatzes stellt sich jedoch die weitere Frage nach dem Umfang des Ermessens der Mitgliedstaaten bei der Abwägung, was eine erforderliche und verhältnismässige und damit zulässige Beschränkung eines der durch die Artikel 8 bis 11 EMRK geschützten Grundrechte ist. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der Europäischen Kommission für Menschenrechte hängt die Beantwortung dieser Frage sehr stark von der betroffenen Materie ab (65).

Diese Frage ist um so schwieriger zu beantworten, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Abwägung zwischen zwei so sensiblen Grundrechten geht wie der Meinungsfreiheit, von deren grundlegendem Charakter in einer demokratischen Gesellschaft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgeht, einerseits und dem Recht auf Leben, so wie es in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund eines in der Verfassung niedergelegten fundamentalen ethischen Werturteils auf ungeborenes Leben angewandt wird, andererseits. Was ethische Werturteile angeht, gibt es jedoch eine feststehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach dann, wenn es an einer einheitlichen europäischen Auffassung in einer Frage der Moral fehlt, folgendes gilt:

"By reason of their direct and continuous contact with the vital forces of their countries, State authorities are in principle in a better position than the international judge to give an opinion on the exact content of these requirements [of the protection of morals] as well as on the 'necessity' of a 'restriction' or 'penalty' intended to meet them." (66)

Was den Schutz des ungeborenen Lebens angeht, fehlt es aber an einer solchen einheitlichen moralischen Auffassung (ausser was die Beachtung des Lebensrechts der Mutter angeht) in den Mitgliedstaaten und innerhalb jedes einzelnen Mitgliedstaats in bezug auf die Voraussetzungen, unter denen eine Abtreibung zulässig ist oder zugelassen werden müsste, und es fehlt ebenso an einer richtungweisenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und (unter demselben Vorbehalt) der Europäischen Kommission für Menschenrechte (siehe oben Nr. 33). Das Letztgenannte ergibt sich auch aus den zahlreichen, sich in diesem Punkt widersprechenden abweichenden Meinungen der Mitglieder der Europäischen Kommission für Menschenrechte, die der oben (Nr. 36) besprochenen Entscheidung beigefügt sind (67).

Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, daß den Mitgliedstaaten, was die vorliegende Rechtssache angeht, ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum belassen werden muß. Dies ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes im Zusammenhang mit dem Beurteilungsspielraum, der den Mitgliedstaaten belassen wird, wenn es darum geht, innerhalb der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen zu definieren, was unter öffentlicher Ordnung und öffentlicher Sittlichkeit zu verstehen ist. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, diese Begriffe im Einklang mit der "eigenen Wertordnung" des betreffenden Mitgliedstaats zu definieren (siehe oben, Nr. 26).

38. Ich habe nun noch im Zusammenhang mit der konkret vorliegenden nationalen Regelung zu prüfen, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen des ihm zustehenden nicht unerheblichen Beurteilungsspielraums der Meinung sein kann, daß ein allgemeines (zum maßgeblichen Zeitpunkt hinreichend erkennbares und klares) Verbot des Inhalts, daß innerhalb seines Hoheitsgebiets keine unterstützenden Informationen über in diesem Mitgliedstaat oder in anderen Mitgliedstaaten vorgenommene Abtreibungen verbreitet werden dürfen, in Anbetracht des durch dieses Verbot konkretisierten und in diesem Mitgliedstaat als grundlegend angesehenen ethischen Werturteils über die hohe Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens als eine erforderliche und nicht unverhältnismässige Einschränkung der Meinungsfreiheit angesehen werden kann. Dies ist meines Erachtens zu bejahen, und zwar aufgrund der Anwendung des oben (Nr. 35) beschriebenen Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, auf dessen drei Komponenten ich nun eingehe.

Daß das mit dem geprüften Informationsverbot angestrebte Ziel legitim ist, wird in der vorliegenden Rechtssache nicht in Frage gestellt (siehe oben Nr. 33). Im übrigen wird dies in keiner der Meinungen bestritten, die der (in Nr. 36) besprochenen Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte beigefügt sind: Auch die Mitglieder der Europäischen Kommission für Menschenrechte, die die nationale Regelung nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit als unvereinbar mit Artikel 10 Absatz 2 EMRK ansehen (68), betrachten den Schutz der Moral als einen zulässigen Rechtfertigungsgrund. Meines Erachtens liegt der zutreffende Rechtfertigungsgrund nach den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts im Schutz der öffentlichen Ordnung und/oder der Moral, da es hier um eine Regelung geht, die auf ein ethisches Werturteil zurückzuführen ist, das in dem betreffenden Migliedstaat als eine der Grundlagen der Rechtsordnung angesehen wird (69) und nach einer 1983 als Referendum durchgeführten Volksbefragung in die Verfassung aufgenommen worden ist. Daraus ergibt sich auch, daß es hier um ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel geht, das einer zwingenden Notwendigkeit entspricht.

Was das Erfordernis angeht, daß die Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich sein muß, um das angestrebte Ziel zu erreichen, bin ich unter Berücksichtigung meiner Ausführungen im vorstehenden Absatz und in Anbetracht der Beschreibung der nationalen Regelung und des tatsächlichen Hintergrunds, wie er sich aus den Vorabentscheidungsfragen ergibt (70), der Meinung, daß die betroffenen nationalen Stellen der Auffassung sein können, daß ein Verbot von unterstützenden Informationen erforderlich ist, um dem in der Verfassung niedergelegten Werturteil über die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens Wirksamkeit zu verleihen. In Anbetracht der Beschränktheit des Verbots (siehe unten) und seiner Grundlage, nämlich einer durch Volksabstimmung angenommenen Verfassungsbestimmung über ungeborenes Leben, konnten die nationalen Stellen meines Erachtens der Auffassung sein, daß das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft vertretbar sei.

Auch was das Erfordernis angeht, daß die betroffene nationale Regelung nicht ausser Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen darf, haben die nationalen Stellen meines Erachtens annehmen können, daß dies nicht der Fall ist bei einer Verbotsregelung wie der vorliegenden, die - nach den dem Gerichtshof bekannten Gegebenheiten - auf ein Verbot unterstützender Informationen beschränkt ist und andere Informationen nicht behindert, ebensowenig wie sie der Meinungsfreiheit in bezug auf die Zulässigkeit von Abtreibungen nicht entgegensteht, und die sich nicht auf Maßnahmen erstreckt, die die Bewegungsfreiheit von schwangeren Frauen beschränken oder sie zu unerwünschten Untersuchungen verpflichten.

Schluß und Erörterung des Artikels 62 EWG-Vertrag

39. Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, daß die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr dem nicht entgegenstehen, daß ein Mitgliedstaat, in dem der Schutz des ungeborenen Lebens in der Verfassung und im Gesetzesrecht als grundlegendes Prinzip anerkannt ist, ein allgemeines, für jeden unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit und dem Ort seiner Niederlassung geltendes Verbot erlässt, in diesem Mitgliedstaat wohnende Frauen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Hinblick auf einen Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen, und zwar insbesondere durch die Verbreitung von Informationen über Namen und Adresse von in einem anderen Mitgliedstaats niedergelassenen Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit solchen Kliniken; dies gilt ungeachtet dessen, daß die Dienstleistungen des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs und die Informationen hierüber im Einklang mit den in diesem anderen Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften erbracht oder erteilt werden. Wie sich aus der vorstehenden Untersuchung ergibt, ist diese Schlußfolgerung mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts in bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten nicht unvereinbar.

40. Im Lichte dieser Schlußfolgerung kann ich mich in bezug auf das Argument, das die Beklagten des Ausgangsverfahrens aus Artikel 62 EWG-Vertrag herleiten möchten, ziemlich kurz fassen. In dieser Bestimmung heisst es: "Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, unterwerfen die Mitgliedstaaten die bei seinem Inkrafttreten tatsächlich erreichte Freiheit des Dienstleistungsverkehrs keinen neuen Beschränkungen." Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, diese Vertragsbestimmung wirke sich auf die Auslegung der 1983 in die irische Verfassung aufgenommenen Bestimmung aus, auf die der Supreme Court das vorliegende Verbot der Verbreitung von Informationen gestützt hat. Ihrer Ansicht nach darf diese Verfassungsbestimmung nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß sich daraus im Verhältnis zu dem Zustand, der beim Beitritt Irlands zur Gemeinschaft erreicht war, eine neue Beschränkung ergibt.

In diesem Zusammenhang genügt die Feststellung, daß Artikel 62 auf eine Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs enthaltende nationale Regelungen, die aus den oben genannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses ausserhalb des Anwendungsbereichs der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag liegen, keine Anwendung finden kann. Dies könnte nur dann anders sein, wenn die neu eingeführte Bestimmung die nationale Regelung doch wieder in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen bringen würde, was, wie sich aus der oben durchgeführten Untersuchung ergibt, nicht der Fall ist.

Der Vollständigkeit halber möchte ich darauf hinweisen, daß Artikel 62 EWG-Vertrag - so wie übrigens auch Artikel 53 EWG-Vertrag über das Niederlassungsrecht - im gleichen Sinne wie Artikel 32 Absatz 1 EWG-Vertrag auszulegen ist. Dieser Artikel verpflichtet die Mitgliedstaaten, die bei Inkrafttreten dieses Vertrages bestehenden Kontingente und Maßnahmen gleicher Wirkung nicht einschränkender zu gestalten. Im Urteil in der Rechtssache Motte (71) hat der Gerichtshof dazu folgendes ausgeführt:

"Durch diese Bestimmung sollte nur verhindert werden, daß die Mitgliedstaaten während der Übergangszeit Maßnahmen einschränkender gestalteten, die bis zum Ende dieser Zeit aufzuheben waren. Seit dem Ablauf der Übergangszeit hat diese Bestimmung neben den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag keine eigenständige Bedeutung mehr."

Mit Artikel 62 EWG-Vertrag wurde meines Erachtens das gleiche Ziel wie mit Artikel 32 angestrebt, nämlich zu vermeiden, daß die Mitgliedstaaten während der Übergangszeit Maßnahmen, die spätestens bis zum Ende dieser Zeit aufzuheben waren, einschränkender gestalteten. Seit dem Ende der Übergangszeit besitzt Artikel 59 EWG-Vertrag, der die Aufhebung von Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs vorschreibt, unmittelbare Wirkung (72). Seitdem fügt Artikel 62 EWG-Vertrag den Vertragsbestimmungen über Dienstleistungen daher nichts mehr hinzu. Auch aus diesem Grund kann das von den Beklagten des Ausgangsverfahrens aus Artikel 62 hergeleitete Argument nicht durchgreifen.

Vorgeschlagene Antworten

41. Ich schlage dem Gerichtshof folglich vor, dem vorlegenden Gericht wie folgt zu antworten:

1) Der in der Regel gegen Entgelt vorgenommene ärztliche Eingriff, durch den die Schwangerschaft einer aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Frau unter Beachtung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats beendet wird, in dem der Eingriff vorgenommen wird, ist eine (grenzueberschreitende) Dienstleistung im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag.

2) Die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr stehen dem nicht entgegen, daß ein Mitgliedstaat, in dem der Schutz des ungeborenen Lebens in der Verfassung und im Gesetzesrecht als grundlegendes Prinzip anerkannt ist, ein allgemeines, für jeden unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit und dem Ort seiner Niederlassung geltendes Verbot erlässt, in diesem Mitgliedstaat wohnende Frauen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Hinblick auf einen Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen, und zwar insbesondere durch die Verbreitung von Informationen über Namen und Adresse von in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, sowie über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit solchen Kliniken; dies gilt ungeachtet dessen, daß die Dienstleistungen des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs und die Informationen hierüber im Einklang mit den in diesem anderen Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften erbracht oder erteilt werden.

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) [1988] Irish Reports, 593.

(2) Urteil vom 21. April 1988 in der Rechtssache 338/85 (Slg. 1988, 2041).

(3) Urteil vom 18. März 1980 in der Rechtssache 52/79 (Debauve, Slg. 1980, 833, Randnr. 9).

(4) Vgl. im Zusammenhang mit dem Warenverkehr die Urteile des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81 (Oosthök' s Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575, Randnr. 15), und vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88 (GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, Randnr. 7).

(5) Urteil vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Slg. 1984, 377).

(6) Vorbehaltlich - wie in dem oben unter 3. zitierten Artikel 40.3.3.º der irischen Verfassung - des gleichwertigen Rechts auf Leben der Mutter (und "soweit dies durchführbar" ist).

(7) Siehe u. a. das Urteil vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 50/80 (Horvath, Slg. 1981, 385), im Zusammenhang mit der Einfuhr von Betäubungsmitteln. Siehe auch das Urteil vom 6. Dezember 1990 in der Rechtssache 343/89 (Witzemann, Slg. 1990, I-4477), im Zusammenhang mit der Einfuhr von Falschgeld.

(8) Der britische Abortion Act 1967, der den ärztlichen Abbruch einer Schwangerschaft unter bestimmten Umständen zulässt, gilt nicht in Nordirland. In diesem Teil des Vereinigten Königreiches ist die Abtreibung verboten. Aus den gegenüber dem Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen lässt sich nicht ableiten, ob in bezug auf die Verbreitung von Informationen in Nordirland über Abtreibungstätigkeiten, die in anderen Teilen des Vereinigten Königreichs zulässig ist, ein ähnliches Problem aufgeworfen wird wie in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Ausgangsverfahren.

(9) Siehe z. B. § 219 b des deutschen Strafgesetzbuches, der jedes öffentliche Anbieten von Abtreibungsdienstleistungen grundsätzlich verbietet.

(10) Siehe z. B. die in den Artikeln L 162-3, L 645 und L 647 des Code de la santé publique niedergelegte französische Regelung, die der Ärzteschaft und den spezialisierten Zentren ein Monopol für die Verbreitung von Informationen über Abtreibungen einräumt.

(11) Siehe z. B. Artikel 350 des belgischen Strafgesetzbuches, der den Schwangerschaftsabbruch nur in einer Einrichtung zulässt, die über einen Informationsdienst verfügt, der sich der schwangeren Frau annimmt und sie ausführlich über alle Möglichkeiten der Versorgung des Kindes unterrichtet.

(12) Siehe Urteil vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74 (Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299).

(13) Siehe zuletzt die Urteile vom 26. Februar 1991 über die Dienstleistungen von Fremdenführern in den Rechtssachen C-154/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-659, Randnr. 12), C-180/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709, Randnr. 15), und C-198/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-727, Randnr. 16).

(14) Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Slg. 1989, 195).

(15) Bereits in Fußnote 4 zitiert.

(16) ABl. 1989 C 120, S. 51.

(17) Siehe das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes vom 20. November 1989, Markt Intern, Publ. Court, Series A, vol. 165.

(18) Urteil vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache 15/78 (Slg. 1978, 1971).

(19) Bereits in Fußnote 3 zitiert.

(20) Am 21. Februar 1991 vorgetragene Schlussanträge in der Rechtssache C-76/90 (Slg. 1991, I-4241).

(21) Nr. 24 der Schlussanträge, wo in diesem Zusammenhang verwiesen wird auf Kapteyn, P. J. G., und VerLoren van Theamaat, P.: Introduction to the Law of the European Communities, 2. Auflage, herausgegeben von Gormley, L. W., 1989, S. 443-452.

(22) Nrn. 23 und 27 der Schlussanträge.

(23) Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Warner in den Rechtssachen Debauve und Coditel (Slg. 1980, 860, 870-873 und 905), die nach einer eingehenden Untersuchung der Vertragsbestimmungen zu diesem Ergebnis gelangen, die Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn in der Rechtssache Webb (Slg. 1981, 3328, 3330-3333), in denen auch insbesondere auf Artikel 65 EWG-Vertrag hingewiesen wird, aus dem sich ergibt, daß Artikel 59 auch andere Beschränkungen als diejenigen einschließt, die nach der Staatsangehörigkeit oder dem Niederlassungsort diskriminieren, und die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in den bereits zitierten Fremdenführer-Rechtssachen (Nrn. 26 bis 30). Diese Auffassung wurde in der Zwischenzeit auch noch von Generalanwalt Tesauro in seinen Schlussanträgen vom 18. April 1991 in den Rechtssachen C-353/89 (Kommission/Niederlande), und C-288/89 (Gouda [Nr. 12]) übernommen.

(24) Siehe z. B. Urteil vom 3. Februar 1982 in den Rechtssachen 62/81 und 63/81 (Seco, Slg. 1982, 223, Randnrn. 8 und 9).

(25) Die gleiche Tendenz, den Diskriminierungsbegriff so weit zu verstehen, findet man im übrigen auch in bezug auf das Niederlassungsrecht. Siehe die Darstellung dieser Rechtsprechung in meinen Schlussanträgen vom 28. November 1990 in der Rechtssache C-340/89, Vlassopoulou, Nrn. 6 ff. (Urteil vom 7. Mai 1991, Slg. 1991, I-2379).

(26) Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 (Slg. 1981, 3305).

(27) Urteil vom 18. Januar 1979 in den Rechtssachen 110/78 und 111/78 (Slg. 1979, 35).

(28) Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Slg. 1986, 3755).

(29) Siehe die oben in Fußnote 13 bereits zitierten Urteile in den Rechtssachen C-154/89 (Randnr. 15), C-180/89 (Randnr. 18), und C-198/89 (Randnr. 19).

(30) Anders als Artikel 36 EWG-Vertrag enthält Artikel 56 Absatz 2 eine Koordinierungsverpflichtung, der der Rat durch den Erlaß der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, 56, S. 850) nachgekommen ist. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes kam diese Regelung hauptsächlich im Zusammenhang mit der Befugnis der Mitgliedstaaten zur Sprache, in Einzelfällen das Recht auf Freizuegigkeit zu beschränken [siehe die Urteile vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75 (Royer, Slg. 1976, 497, Randnr. 29), und vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-363/89 (Roux, Slg. 1991, I-273)]. Im Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85 (Bond Van Adverteerders, Slg. 1988, 2085, Randnrn. 31 - 39) wurde jedoch auch geprüft, ob eine allgemeine nationale Regelung mit Rücksicht auf die öffentliche Ordnung gerechtfertigt ist.

(31) Siehe das Urteil vom 18. März 1980 in der Rechtssache 62/79 (Coditel, Slg. 1980, 881, Randnr. 15).

(32) Siehe die in Fußnote 13 zitierten Urteile über Fremdenführer.

(33) Siehe das in Fußnote 26 zitierte Urteil Webb (Randnr. 18), das in Fußnote 24 zitierte Urteil Seco (Randnr. 14) und das Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89 (Rush Portugüsa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 18).

(34) Siehe das in Fußnote 28 zitierte Urteil Kommission/Deutschland (Randnr. 30-33).

(35) Urteil vom 23. November 1989 in der Rechtssache C-145/88 (Torfän/B. & Q., Slg. 1989, 3851, Randnr. 14).

(36) Urteil vom 11. Juli 1985 in den Rechtssachen 60/84 und 61/84 (Slg. 1985, 2605).

(37) Das Torfän/B. & Q.-Urteil (zitiert in Fußnote 25) sowie die Urteile vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-312/89 (Conforama, Slg. 1991, I-997), und in der Rechtssache C-332/89 (Marchandise, Slg. 1991, I-1027).

(38) Bereits zitiert in Fußnote 18.

(39) Diese Zielsetzung wird als solche in dem zitierten Debauve-Urteil nicht genannt, sie ergibt sich aber aus dem eine ähnliche nationale Regelung betreffenden Urteil in der Rechtssache Bond Van Adverteerders (zitiert in Fußnote 30).

(40) Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999).

(41) A. a. O., Randnrn. 33 und 34, mit Verweisung auf das Urteil vom 4. Dezember 1974 in der Rechtssache 41/74 (Van Duyn, Slg. 1974, 1350).

(42) Schlussanträge des Generalanwalts Darmon (Nr. 21) in der Rechtssache Gröner (Urteil vom 28. November 1989 in der Rechtssache 379/87, Slg. 1989, 3967) im Zusammenhang mit einer Verfassungsbestimmung zur Festlegung der Amtssprache eines Landes.

(43) So der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Begriff öffentliche Sittlichkeit im Urteil vom 11. März 1986 in der Rechtssache 121/85 (Conegate, Slg. 1986, 1007, Randnr. 14).

(44) Dies impliziert, daß bei der nationalen Regelung zu berücksichtigen ist, was bereits in einem anderen Mitgliedstaat zur Erreichung des gleichen Ziels von allgemeinem Interesse gewährleistet wird, und dies nicht noch einmal geregelt wird.

(45) Eine solche Unverhältnismässigkeit kann z. B. deshalb vorliegen, weil durch die Regelung eine schwerwiegende Abschottung des Marktes bewirkt wird. Dazu meine Schlussanträge in den in der Fußnote 37 bereits genannten Rechtssachen Torfän/B. & Q. unter den Nrn. 17-25 und Conforama und Marchandise, unter Nr. 12.

(46) Siehe das unter Nr. 3 zitierte Urteil des Supreme Court in der Sache Open Door Counselling.

(47) Urteil vom 14. Mai 1974 in der Rechtssache 4/73 (Nold/Kommission, Slg. 1974, 491, Randnr. 13).

(48) ABl. 1987, L 169, S. 1; siehe auch die gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 5. April 1977, ABl. 1977 C 103, S. 1, und das Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84 (Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18).

(49) Bereits zitiert in Fußnote 16.

(50) Diese gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten werden den "traditionellen" Grundrechten oft eine zusätzliche Dimension geben: So u. a. im Urteil vom 28. Oktober 1975 in der Rechtssache 36/75 (Rutili, Slg. 1975, 1219) oder in dem oben zitierten Urteil Johnston. Dagegen können die den gemeinsamen Marktorganisationen zugrunde liegenden Regeln mit "traditionellen" Grundrechten kollidieren: so im Urteil vom 13. Dezember 1979 in der Rechtssache 44/79 (Hauer, Slg. 1979, 3727). Zum letztgenannten Urteil siehe auch im folgenden unter Nr. 35.

(51) Dazu - mit einer Verweisung auf den S. 836-837 auf die Vereinigten Staaten, wo dieses Problem ebenfalls aufgetreten ist - Weiler, J.: "The European Court at a Croßroads: Community Human Rights and Member State Action" in Du droit international au droit de l' intégration, Liber Amicorum Pierre Pescatore, 1987, S. 821 ff.

(52) Bereits zitiert in Fußnote 36.

(53) Urteil vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86 (Slg. 1987, 3719).

(54) Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 5/88 (Slg. 1989, 2609).

(55) Im gleichen Sinne J. Weiler in dem in Fußnote 51 zitierten Artikel, S. 840-841, der noch darauf hinweist, daß der Gerichtshof solche nationalen Regelungen im übrigen bereits jetzt darauf hin überprüft, ob sie mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz, in Einklang stehen.

(56) Dazu Peukert, W.: "Human rights in international law and the protection of unborn human beings", in Protecting Human Rights: The European Dimension. Studies in honour of Gerard Wiarda, 1988, S. 511 ff., und vor allem Van Dijk, P., und Van Hoof, G.: De Europese conventie in theorie en praktijk, 1990 (dritte durchgesehene Auflage), S. 243 ff. Von diesem Buch ist 1990 die zweite Auflage einer englischen Fassung erschienen, unter dem Titel Theory and practice of the European Convention on Human Rights, auf die im folgenden verwiesen wird und in der die hier angesprochene Problemstellung auf S. 218 ff. behandelt wird.

(57) Bericht in der Rechtssache 8416/79, X./Vereinigtes Königreich, D & R 19 (1980), S. 244.

(58) Bericht in der Rechtssache 6959/75, Brüggemann und Scheuten/Bundesrepublik Deutschland, D & R 10 (1978), S. 100.

(59) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 26. April 1979, Sunday Times, Publ. Court, Series A, vol. 30, S. 30-31.

(60) Siehe das bereits in Fußnote 17 zitierte Urteil Markt Intern, Nr. 33.

(61) Siehe u. a. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, 25. März 1983, Silver, Publ. Court, Series A, vol. 61, S. 37-38.

(62) Bereits in Fußnote 50 zitiert.

(63) Siehe z. B. zur Bedeutung des Wortes "unentbehrlich" in Artikel 10 Absatz 2 EMRK: Van Dijk und Van Hoof, in Fußnote 56 zitiert, S. 588-589 der englischen Ausgabe.

(64) Jetzt, d. h. in dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum; in diesem Verfahren hat sich die Klägerin, die SPUC, gerade auf das Urteil vom 16. März 1988 gestützt, um ein Verfahren gegen die Beklagten in Gang zu bringen (siehe oben, Nrn. 3 und 4).

(65) Siehe Van Dijk und Van Hoof, zitiert in Fußnote 56, S. 583-606 der englischen Ausgabe, insbesondere S. 604-606.

(66) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 7. Dezember 1979, Handyside, Publ. Court, Series A, vol. 24, S. 22. Siehe auch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 24. Mai 1988, Müller, Publ. Court, Series A, vol. 133, Nr. 35.

(67) Was die Frage der Erforderlichkeit und der Verhältnismässigkeit angeht, neigen drei Mitglieder zu der Meinung, daß das Informationsverbot keine zulässige Einschränkung sei, während fünf Mitglieder der gegenteiligen Auffassung sind.

(68) H. G. Schermers, unter b) seiner "concurring opinion"; Sir Basil Hall, unter 9 seiner "partly concurring and partly dissenting opinion".

(69) Vgl. die Definition, die der Gerichtshof dem Begriff öffentliche Ordnung gibt: siehe oben, Nr. 26. In der EMRK wird dieser Begriff nicht eindeutig gebraucht: siehe Van Dijk und Van Hoof, in Fußnote 56 zitiert, englische Ausgabe, S. 584 ff.

(70) Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, in seine Beurteilung tatsächliche Argumente einzubeziehen, wie sie die Beklagten des Ausgangsverfahrens vorgetragen haben - nämlich daß das Informationsverbot zur Folge habe, daß Abtreibungen in einem späteren Stadium der Schwangerschaft mit grösseren Gefahren für die Gesundheit der Frauen durchgeführt werden würden -, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof nicht als unstreitige Tatsachen zur Kenntnis gebracht hat.

(71) Urteil vom 10. Dezember 1985 in der Rechtssache 247/84 (Motte, Slg. 1985, 3887, Randnr. 15).

(72) Urteil vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74 (Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299).