61989C0340

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 28. November 1990. - IRENE VLASSOPOULOU GEGEN MINISTERIUM FUER JUSTIZ, BUNDES- UND EUROPAANGELEGENHEITEN BADEN-WUERTTEMBERG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESGERICHTSHOF - DEUTSCHLAND. - NIEDERLASSUNGSFREIHEIT - ANERKENNUNG VON DIPLOMEN - RECHTSANWAELTE. - RECHTSSACHE C-340/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-02357
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00189
Finnische Sonderausgabe Seite I-00201


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Hintergrund

1. Irene Vlassopoulou, eine griechische Staatsangehörige, erwarb 1977 ein rechtswissenschaftliches Diplom an der Universität Athen. Nach Ablegung einer Zulassungsprüfung wurde sie 1982 als Rechtsanwältin in Athen zugelassen. Ebenfalls 1982 promovierte sie mit der Note "magna cum laude" an der Universität Tübingen mit der Dissertation "Der eheliche Hausrat im Familien- und Erbrecht". Die Dissertation betraf das deutsche Recht, und zur Vorbereitung ihrer Promotion nahm sie in den Jahren 1978 bis 1981 an einer Reihe von Lehrgängen in deutschem Recht an der juristischen Fakultät Tübingen teil.

Am 9. November 1984 wurde ihr die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung gemäß § 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 des Rechtsberatungsgesetzes (1) für das griechische Recht und das Gemeinschaftsrecht erteilt. Seit Juli 1983 praktiziert sie auch auf dem Gebiet des deutschen Rechts in Zusammenarbeit mit zwei Rechtsanwälten aus Mannheim, bei denen sie auch ihr Büro hat. Obwohl sie ihre Zulassung als Rechtsanwältin in Athen aufrechterhalten hat und dort ihren Beruf noch immer ausübt, liegt der Schwerpunkt ihrer Berufstätigkeit in Mannheim. Vor dem vorlegenden Gericht hat sie darauf hingewiesen, daß sie, was ihre Praxis im deutschen Recht anbelange, selbständig arbeite und Mandanten betreue, wenngleich dies unter Verantwortung und Aufsicht eines der beiden deutschen Rechtsanwälte geschehe, mit denen sie zusammenarbeite. Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß sie neben ihrer Dissertation zwei Artikel über griechisches Recht in der deutschen Zeitschrift IPRax veröffentlicht hat.

2. Am 13. Mai 1988 beantragte Frau Vlassopoulou die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin beim Amtsgericht Mannheim sowie bei den Landgerichten Mannheim und Heidelberg. Dieser Antrag wurde vom Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg (im folgenden: das Ministerium) mit der Begründung abgelehnt, daß die Betroffene nicht die Voraussetzungen von § 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung (2) (BRAO) für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, nämlich die Erlangung der Befähigung zum Richteramt, erfuelle. Diese Befähigung gilt nach dem Richtergesetz (3) als erworben, wenn ein rechtswissenschaftliches Studium an einer deutschen Universität mit dem Ersten Staatsexamen und ein Vorbereitungsdienst mit dem Zweiten Staatsexamen abgeschlossen worden sind.

Frau Vlassopoulous Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diese Ablehnung wurde vom Ehrengerichtshof zurückgewiesen. Dagegen legte sie Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein, der dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Verletzt es die Niederlassungsfreiheit nach § 52 EWG-Vertrag, wenn ein Angehöriger der Gemeinschaft, der bereits in seinem Heimatstaat als Rechtsanwalt zugelassen und tätig und im Aufnahmestaat seit fünf Jahren als Rechtsbeistand zugelassen und in einer dort ansässigen Rechtsanwaltskanzlei ebenfalls tätig ist, nur nach den gesetzlichen Regeln des Aufnahmestaats zur Rechtsanwaltschaft im Aufnahmestaat zugelassen wird?

3. Aufgrund des Vorhergehenden ist die jetzt vorliegende Rechtsfrage klar umrissen: Gestatten es die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit einem Mitgliedstaat (dem "Aufnahme"-Mitgliedstaat), Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats den Zugang zu einem Beruf (hier: dem Rechtsanwaltsberuf) allein deshalb zu versagen, weil formal nicht die Voraussetzungen erfuellt sind, die dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen aufgestellt hat? Oder besteht vielmehr eine Verpflichtung, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Aufnahmemitgliedstaat erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen zu berücksichtigen und zu untersuchen, ob diese mit den im Aufnahmemitgliedstaat vorgeschriebenen Qualifikationen und Erfahrungen übereinstimmen?

Bevor ich mich den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen zuwende, möchte ich der Deutlichkeit halber darauf hinweisen, daß die vorliegende Rechtsfrage die Niederlassungsfreiheit, nicht aber die Dienstleistungsfreiheit betrifft. Es geht mit anderen Worten Frau Vlassopoulou nicht darum, ihre Dienste als griechische Rechtsanwältin Mandanten in der Bundesrepublik anzubieten (wozu sie übrigens aufgrund der Richtlinie 77/249/EWG (4) berechtigt ist); sie möchte sich vielmehr in der Bundesrepublik als Rechtsanwältin im Sinne der Gesetzgebung dieses Staates, das heisst durch den Erwerb der Bezeichnung "Rechtsanwalt" und die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, niederlassen.

Die Vorlagefrage kann auch (noch) nicht anhand der Richtlinie 89/48/EWG über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (5), beantwortet werden, da die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie erst am 4. Januar 1991 abläuft (6).

Die beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen

4. Die deutsche und die italienische Regierung sowie das Ministerium schlagen unter Hinweis auf den Wortlaut von Artikel 52 Absatz 2 EWG-Vertrag und die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Niederlassungsrecht vor, die Vorlagefrage zu verneinen.

Schauen wir uns zunächst Artikel 52 Absatz 2 an. Darin heisst es:

"... die Niederlassungsfreiheit [umfasst] die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten ... nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen".

Die deutsche und die italienische Regierung sowie das Ministerium sind der Ansicht, die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit beruhten im Gegensatz zu den Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit auf dem Grundsatz, daß der Niederlassungswillige im Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich allen Verpflichtungen nachkommen müsse, die dieser Mitgliedstaat seinen eigenen Angehörigen auferlege. Wenn es (wie im vorliegenden Fall) an besonderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für den betreffenden Bereich fehle, stehe es jedem Mitgliedstaat frei, die Aufnahme und die Ausübung eines Berufs in seinem Hoheitsgebiet zu regeln, sofern diese Regelung Angehörige anderer Mitgliedstaaten nicht diskriminiere. Diese Auffassung finde in den Urteilen Klopp (7) und Gullung (8) ihre Bestätigung. Frau Vlassopoulou müsse sich daher, wenn sie in der Bundesrepublik als Rechtsanwältin zugelassen werden wolle, nach den für deutsche Staatsangehörige geltenden Bestimmungen richten, das heisst die im Richtergesetz aufgestellten Prüfungs- und vorbereitungsdienstlichen Voraussetzungen erfuellen. Das Ministerium trägt ergänzend vor, daß es im übrigen kein Verfahren gebe, nach dem die anderweitig erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen anerkannt oder auf ihre Übereinstimmung mit den Anforderungen des Richtergesetzes hin überprüft werden könnten.

5. Der Kern von Frau Vlassopoulous Vorbringen lässt sich wie folgt zusammenfassen. Als in Athen zugelassene Rechtsanwältin will sie sich jetzt - unter Aufrechterhaltung dieser Zulassung - auch in der Bundesrepublik als Rechtsanwältin niederlassen. Obwohl die im Richtergesetz aufgestellten Prüfungs- und vorbereitungsdienstlichen Voraussetzungen unterschiedslos für deutsche Staatsangehörige und Angehörige anderer Mitgliedstaaten gelten, meint Frau Vlassopoulou, diese Voraussetzungen dürften nicht auf Rechtsanwälte aus einem anderen Mitgliedstaat angewendet werden, ohne daß dabei die von dem betreffenden Rechtsanwalt bereits erworbenen beruflichen und akademischen Qualifikationen, insbesondere Qualifikationen auf dem Gebiet des Rechts des Aufnahmemitgliedstaats, berücksichtigt würden. Frau Vlassopoulou stellt mit anderen Worten nicht das Recht eines Mitgliedstaats in Frage, den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf von bestimmten akademischen und beruflichen Qualifikationen abhängig zu machen, beanstandet jedoch, daß Angehörige anderer Mitgliedstaaten diese Voraussetzungen nur in einer einzigen Form erfuellen können. Dies stellt ihres Erachtens eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, die nur dann beseitigt werden könne, wenn die akademischen und beruflichen Qualifikationen ausländischer Rechtsanwälte auf ihre Gleichwertigkeit hin überprüft würden und wenn ausländischen Rechtsanwälten gegebenenfalls die Gelegenheit gegeben werde, im Wege einer einmaligen Eignungsprüfung den Beweis zu liefern, daß sie die aufgestellten Eignungsvoraussetzungen erfuellten. Frau Vlassopoulou hat sich übrigens hierzu bereit erklärt.

Die Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit

6. Als Ausgangspunkt möchte ich daran erinnern, daß das Diskriminierungsverbot des Artikels 52 eine besondere Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Artikel 7 EWG-Vertrag ist, auf dem sämtliche Grundlagen der Gemeinschaft, namentlich der freie Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr, fussen. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, zur Niederlassungsfreiheit sowie zum freien Dienstleistungs- und Warenverkehr ist es seit langem anerkannt, daß die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen, verbieten (9). Diese Auslegung hält der Gerichtshof für geboten, um die Wirksamkeit eines der Grundprinzipien der Gemeinschaft zu wahren (10). Speziell im Hinblick auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Grundlagen der Gemeinschaft hat der Gerichtshof ausserdem entschieden, daß eine nationale Regelung, selbst wenn sie keine unmittelbar nachweisbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthält, doch mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, sofern sie grenzueberschreitende Niederlassungen innerhalb der Gemeinschaft erschwert, ohne daß hierfür ein objektiver Rechtfertigungsgrund angeführt werden kann. In bezug auf das Niederlassungsrecht ergibt sich dies hauptsächlich aus den Urteilen Klopp sowie Wolf und Dorchain, in geringerem Masse aus dem Urteil Gullung.

7. In der Rechtssache Klopp hatte ein deutscher Rechtsanwalt die Zulassung als Rechtsanwalt in Paris beantragt. Seine Zulassung wurde allein deshalb verweigert, weil er bereits in einem anderen Mitgliedstaat (nämlich der Bundesrepublik) eine Anwaltskanzlei unterhielt. In diesem Zusammenhang enthielten die französischen Rechtsvorschriften und die Satzung der Rechtsanwaltskammer Paris die Bestimmung, daß ein Rechtsanwalt nur eine einzige Kanzlei haben könne, die sich im Bezirk des Gerichts befinden müsse, bei dem er zugelassen sei. Der französischen Ordre des avocats und die französische Regierung hatten vor dem Gerichtshof geltend gemacht, Artikel 52 verweise für den Zugang zum Niederlassungsrecht und für die Ausübung dieses Rechts auf die Bestimmungen des Mitgliedstaats der Niederlassung. Da die in Rede stehende Beschränkung unterschiedslos für französische Staatsangehörige und für Angehörige anderer Mitgliedstaaten gelte, könne von einer Diskriminierung keine Rede sein. Der Gerichtshof pflichtete dem durch die Feststellung bei (Randnr. 17 des Urteils), wie sich aus Wortlaut und Zusammenhang des Artikels 52 EWG-Vertrag ergebe, stehe es jedem Mitgliedstaat in Ermangelung besonderer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in diesem Bereich frei, die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs für sein Hoheitsgebiet zu regeln. Der Gerichtshof hat jedoch weiter ausgeführt:

"Dieser Grundsatz bedeutet jedoch nicht, daß einem Rechtsanwalt durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschrieben werden kann, im gesamten Gebiet der Gemeinschaft nur eine einzige Kanzlei zu unterhalten. Eine solche einschränkende Auslegung hätte nämlich zur Folge, daß ein Rechtsanwalt, der sich einmal in einem bestimmten Mitgliedstaat niedergelassen hat, die Freiheitsrechte des Vertrages zur Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nur noch in Anspruch nehmen könnte, wenn er seine bereits bestehende Niederlassung aufgeben würde" (Randnr. 18).

Dieser Aussage wurde durch Verweisung auf den Wortlaut von Artikel 52 Nachdruck verliehen, in dem der Gerichtshof einen allgemeinen Grundsatz sah, wonach das Niederlassungsrecht auch die Möglichkeit umfasse, unter Beachtung der jeweiligen Berufsregelungen im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und beizubehalten (Randnr. 19). Speziell in bezug auf die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs stellte der Gerichtshof fest, der Aufnahmemitgliedstaat sei zwar berechtigt, den in seinem Hoheitsgebiet zugelassenen

Rechtsanwälten vorzuschreiben, ihre Tätigkeit so auszuüben, daß sie ausreichenden Kontakt zu ihren Mandanten und zu den Gerichten unterhielten und daß sie die Standesregeln beachteten. Aber:

"Das darf jedoch nicht dazu führen, daß die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten an der tatsächlichen Ausübung ihres durch den Vertrag gewährleisteten Niederlassungsrechts gehindert werden. Hierzu ist festzustellen, daß der heutige Stand des Verkehrs- und Fernmeldewesens es durchaus ermöglicht, den Kontakt zu den Gerichten und den Mandanten in geeigneter Weise sicherzustellen. Auch steht eine Zweitkanzlei in einem anderen Mitgliedstaat nicht der Anwendung der Standesregeln im Aufnahmemitgliedstaat entgegen" (Randnrn. 20 und 21).

Das Urteil Klopp bestätigt somit, daß eine ohne Unterschied geltende Vorschrift doch gegen Artikel 52 EWG-Vertrag verstossen kann, insbesondere dann, wenn diese Vorschrift grenzueberschreitende Niederlassungen von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten in einer Weise erschwert, die die tatsächliche Ausübung der ihnen durch den Vertrag verbürgten Niederlassungsfreiheit verhindert, ohne daß dies durch objektive Gründe gerechtfertigt werden könnte.

8. Die Aussage in dem Urteil Klopp wurde durch das Urteil Gullung bekräftigt, das die Frage betraf, ob sich ein in Deutschland niedergelassener Anwalt in Frankreich niederlassen durfte, ohne die in Frankreich geltende Vorschrift zu beachten, wonach der Rechtsanwaltsberuf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft voraussetzt (11). Der Gerichtshof wiederholte, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 52 EWG-Vertrag in Ermangelung besonderer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in diesem Bereich befugt seien, die Aufnahme und die Ausübung eines Berufs (u. a. des Rechtsanwaltsberufs) an Voraussetzungen zu knüpfen, die auch für die eigenen Angehörigen bestuenden (12). Der Gerichtshof stellte fest, daß die streitige Vorschrift unterschiedslos gelte, prüfte jedoch auch, ob sie als objektiv gerechtfertigt angesehen werden könne:

"Das von einigen Mitgliedstaaten aufgestellte Erfordernis der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft [ist] als gemeinschaftsrechtlich zulässig anzusehen ..., sofern diese Zulassung den Angehörigen aller Mitgliedstaaten ohne Diskriminierung offensteht. Durch dieses Erfordernis sollen nämlich Zuverlässigkeit und die Beachtung der standesrechtlichen Grundsätze sowie die disziplinarische Kontrolle der Tätigkeit gewährleistet werden; es dient somit einem schutzwürdigen Zweck" (Randnr. 29).

9. In dem Urteil Wolf und Dorchain von 1988 (13) hatte sich der Gerichtshof mit einer belgischen Regelung zu befassen, wonach Personen, die in Belgien hauptberuflich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgingen, von der Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zum Sozialversicherungssystem für Selbständige befreit waren, während diese Befreiung Personen versagt war, die im Ausland hauptberuflich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgingen. Der Gerichtshof stellte ausdrücklich fest, daß die streitige Regelung weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bewirke, so daß Artikel 7 EWG-Vertrag nicht verletzt sei (14). Er sah jedoch in der Regelung einen Verstoß gegen Artikel 52 (und gegen Artikel 48) des Vertrages. Er verwies auf die in dem Urteil Klopp getroffene Feststellung, daß die Niederlassungsfreiheit auch das Recht umfasse, im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und beizubehalten (15). Er führte sodann aus:

"Die Gesamtheit der Vertragsbestimmungen über die Freizuegigkeit soll somit den Gemeinschaftsbürgern die Ausübung jeder Art von Erwerbstätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und steht einer nationalen Regelung entgegen, die sie dann benachteiligen könnte, wenn sie ihre Tätigkeit über das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats hinaus ausdehnen wollen.

[Die streitige belgische Regelung] ... benachteiligt diejenigen, die Erwerbstätigkeiten ausserhalb des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats ausüben. Die Artikel 48 und 52 EWG-Vertrag stehen daher einer solchen Regelung entgegen" (Randnrn. 13 und 14 des Urteils).

Schließlich bemerkte der Gerichtshof in seinem Urteil, da die streitige belgische Regelung den Betroffenen keinen zusätzlichen sozialen Schutz (d. h. Anspruch auf zusätzliche Leistungen im System für die Selbständigen) biete, könne das damit verbundene Hindernis für die Ausübung von Erwerbstätigkeiten in mehr als nur einem Mitgliedstaat nicht aus diesem Grund gerechtfertigt sein (16).

10. Aus diesen Urteilen geht hervor, daß der Gerichtshof in Artikel 52 EWG-Vertrag nicht nur ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sieht, sondern daß diese Bestimmung auch einer nationalen Regelung entgegensteht, die es den Gemeinschaftsbürgern ohne objektive Rechtfertigung erschwert, jede Art von Erwerbstätigkeit ausserhalb ihres eigenen Mitgliedstaats auszuüben. Artikel 52 steht insbesondere einer nationalen Regelung entgegen, die Gemeinschaftsbürger "dann benachteiligen könnte, wenn sie (wie Frau Vlassopoulou) ihre Tätigkeit über das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats hinaus ausdehnen wollen".

Die Pflicht zur Berücksichtigung bereits erworbener Qualifikationen

11. Nach Ansicht von Frau Vlassopoulou ist aus Artikel 52 EWG-Vertrag die Verpflichtung herzuleiten, bei der Beurteilung, ob ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats die Voraussetzungen für den Zugang zu einem bestimmten Beruf erfuelle, die Qualifikationen zu berücksichtigen, die der Betreffende bereits besitze. Das bedeute, daß diese Qualifikationen auf ihre Übereinstimmung mit den Voraussetzungen des nationalen Rechts hin überprüft werden müssten und daß dem Ausmaß an Übereinstimmung angemessen Rechnung getragen werden müsse, namentlich dadurch, daß die Qualifikationserfordernisse des nationalen Rechts ganz oder teilweise als erfuellt erachtet würden.

Ich stimme dem im wesentlichen zu. Die Pflicht zur Berücksichtigung bereits erworbener Qualifikationen ergibt sich nach meinem Dafürhalten aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach es den Mitgliedstaaten verboten ist, Gemeinschaftsbürgern die Ausübung ihres Berufs im gesamten Gebiet der Gemeinschaft unnötig zu erschweren, insbesondere dann, wenn sie sich in mehr als einem Mitgliedstaat niederlassen wollen. Durch diese Verpflichtung soll verhindert werden, daß Gemeinschaftsbürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollen, dadurch benachteiligt werden, daß sie sich einer unnötigen Vervielfachung oder einer unnötigen Erschwerung der Zulassungsvoraussetzungen ausgesetzt sehen.

Ich möchte betonen, daß ich dabei nicht im geringsten die Position der deutschen und der italienischen Regierung in Zweifel ziehe, soweit diese geltend machen, der Niederlassungswillige unterliege grundsätzlich den Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Aufnahme und die Ausübung eines Berufs, solange diese Vorschriften keine diskriminierende Wirkung haben, aber auch - dies muß in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergänzt werden - solange sie die Ausübung eines Berufs in mehr als einem Mitgliedstaat nicht unnötig erschweren. Diese Ergänzung ist wichtig, da gerade darauf die von diesen Regierungen geleugnete Pflicht des Aufnahmemitgliedstaats zur Berücksichtigung bereits erworbener Qualifikationen beruht.

12. Ich möchte am Rande darauf hinweisen, daß eine solche Pflicht vom Gerichtshof auch im Bereich des freien Dienstleistungs- und des freien Warenverkehrs in Situationen anerkannt wurde, die Parallelen mit dem hier vorliegenden Fall aufweisen. Was den freien Dienstleistungsverkehr betrifft: In dem Urteil Webb (17) ging es um die Frage, ob die Mitgliedstaaten die Arbeitnehmerüberlassung in ihrem Hoheitsgebiet systematisch einer vorherigen Erlaubnis unterwerfen dürfen. Der Gerichtshof hat diese Frage unter Hinweis auf die Besonderheiten der mit der Tätigkeit eines Arbeitnehmerüberlassungsunternehmens verbundenen Arbeitsbeziehungen und auf den Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer bejaht (18). Gleichzeitig hat er aber darauf hingewiesen, daß das Genehmigungserfordernis dann über das angestrebte Ziel hinausginge, wenn die Anforderungen, von denen die Erteilung einer Genehmigung abhänge, zu einer unnötigen Wiederholung der im Staat der Niederlassung bereits verlangten Nachweise und Sicherheiten führen würden; daher müssten bei der Prüfung eines Antrags auf Genehmigung und bei der Genehmigungserteilung die Nachweise und Sicherheiten berücksichtigt werden, die der Leistungserbringer bereits im Mitgliedstaat der Niederlassung beigebracht habe (19).

Was den freien Warenverkehr betrifft: In dem Urteil Frans-Nederlandse Maatschappij voor Biologische Producten (20) (das am selben Tage wie das Urteil Webb ergangen ist) ging es um die Einfuhr eines Erzeugnisses in einen Mitgliedstaat, das in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig in den Verkehr gebracht worden war. Der Einfuhrmitgliedstaat machte den Gebrauch des betreffenden Erzeugnisses von einer vorherigen Erlaubnis abhängig, die aufgrund einer Laboruntersuchung erteilt wurde. Der Gerichtshof entschied, eine solche Regelung falle unter die Ausnahmebestimmung des Artikels 36, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, daß die Mitgliedstaaten zur Erleichterung der Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel beizutragen hätten und daher nicht ohne Not die Wiederholung technischer oder chemischer Analysen und Versuche verlangen dürften, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt worden seien (21).

Die Ähnlichkeit mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum freien Dienstleistungs- und Warenverkehr endet jedoch hier. Diese Rechtsprechung geht in der Tat deutlich über eine Pflicht zur Berücksichtigung bereits erworbener Qualifikationen hinaus. Während beim Niederlassungsrecht (in Ermangelung einer besonderen gemeinschaftsrechtlichen Regelung) von der grundsätzlichen Zulässigkeit nationaler Regelungen ausgegangen wird, gilt dies für den freien Warenverkehr nicht und für den freien Dienstleistungsverkehr in geringerem Masse. Beim freien Warenverkehr ist nämlich seit dem Urteil Cassis de Dijon anerkannt, daß in einem Mitgliedstaat rechtmässig hergestellte oder in den Verkehr gebrachte Erzeugnisse auch in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt werden dürfen. Hier ist mit anderen Worten die gegenseitige Anerkennung von Rechtsvorschriften die allgemeine Regel: Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, sind nur insoweit zulässig, als diese Regelungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, und diesen Erfordernissen nicht bereits durch im Herkunftsland durchgeführte Kontrollen Genüge getan wurde (22).

So ist auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs anerkannt, daß dieser Verkehr nur Regelungen unterworfen werden darf, die für jede im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats tätige Person oder Unternehmung gelten und die durch die Belange der Allgemeinheit gerechtfertigt sind, soweit diese Belange nicht durch die Bestimmungen, denen der Dienstleistungserbringer im Mitgliedstaat seiner Niederlassung unterliegt, gewahrt werden (23). Im Einklang damit gestattet die Richtlinie 77/249/EWG zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (24), daß Personen, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten eine Rechtsanwaltstätigkeit ausüben, durch den Mitgliedstaat, in dem sie ihre Dienstleistung erbringen, als Rechtsanwalt anerkannt werden.

Wenngleich die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr bedeutend weiter geht als die Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit, darf nicht aus den Augen verloren werden, daß auch die Niederlassungsfreiheit als Mindesterfordernis verlangt, daß die Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihrer nationalen Rechtsvorschriften über den Zugang zu einem bestimmten Beruf bereits erworbene Qualifikationen berücksichtigen.

13. Aufgrund dessen bin ich folglich anderer Meinung als die deutsche Regierung und das Ministerium, die in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, im Bereich der Niederlassungsfreiheit bestehe anders als beim freien Dienstleistungs- und Warenverkehr keinerlei Anerkennungspflicht. Ein Rechtsanwalt, der sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wolle, müsse sich nämlich mit einem ganz anderen Rechtssystem vertraut machen; die Qualifikationen und Erfahrungen, die er in seinem Herkunftsmitgliedstaat oder im Aufnahmemitgliedstaat gesammelt habe, seien insoweit irrelevant. Diese Argumentation überzeugt mich nicht; sie geht nämlich davon aus, daß zwischen den nationalen Rechtsordnungen in der Gemeinschaft und der rechtlichen Praxis in den verschiedenen Mitgliedstaaten keine nennenswerte Übereinstimmung bestehen könne, eine Annahme, die mir angesichts der historischen Verwandschaft zwischen mehreren nationalen Rechtssystemen in den Mitgliedstaaten (25) und der Art und Weise, wie die Rechtspflege organisiert ist, kaum haltbar erscheint. Sie lässt ausserdem vor allem die Anstrengungen ausser acht, die ein Rechtsanwalt aus einem anderen Mitgliedstaat auf sich genommen hat, um sich mit der Rechtsordnung und der Rechtspraxis in dem Mitgliedstaat, wo er seinen Beruf ebenfalls ausüben möchte, vertraut zu machen.

Damit ist nicht gesagt, daß die bestehenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten kein Zulassungsverfahren für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten rechtfertigen würden; das Recht auf Niederlassung und die Ausübung eines Berufs im gesamten Gebiet der Gemeinschaft würden meines Erachtens jedoch in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt, wenn bei dem Zulassungsantrag eines Rechtsanwalts aus einem anderen Mitgliedstaat bereits erworbene Qualifikationen und deren Übereinstimmung mit den nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats vorgeschriebenen Qualifikationen überhaupt nicht berücksichtigt zu werden brauchten.

Dieser Gedanke lag auch dem Urteil Thieffry zugrunde (26). Zwar war der Sachverhalt dort einfacher gelagert als im vorliegenden Fall, da die Gleichwertigkeit eines belgischen rechtswissenschaftlichen Abschlußdiploms mit einem französischen Diplom dort bereits (von einer französischen Universität) anerkannt und auch das nach französischem Recht vorgeschriebene "certificat d' aptitude à la profession d' avocat" nach bestandener Prüfung erworben worden war (27). Unter diesen Umständen verstieß es eindeutig gegen Artikel 52 EWG-Vertrag, daß die zuständigen Behörden dem Betroffenen den Zugang zum Beruf allein deshalb versagten, weil er nicht im Besitz des nationalen Diploms war (28). Auch in diesem Urteil bekräftigte der Gerichtshof jedoch den Grundsatz, daß die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften und Praktiken in einer den Zielen der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit entsprechenden Weise anzuwenden hätten - dieser Verpflichtung waren die französischen Behörden übrigens im allgemeinen dadurch nachgekommen, daß sie die Möglichkeit vorgesehen hatten, die Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Qualifikationen auf ihre Übereinstimmung mit den nach dem eigenen Recht vorgeschriebenen Qualifikationen hin zu prüfen (29). Im übrigen hob der Gerichtshof hervor, es komme darauf an, daß die Anerkennung der Nachweise beruflicher Befähigung zum Zwecke der Niederlassung in jedem Mitgliedstaat möglich sei, soweit sich dies mit der Wahrung der nationalen Berufserfordernisse vereinbaren lasse (30).

Zusammenhang mit der Richtlinie 89/48/EWG

14. Die Pflicht zur Berücksichtigung bereits erworbener Qualifikationen ergibt sich, wie vorstehend dargelegt, aus Artikel 52 EWG-Vertrag, der seit Ablauf der Übergangszeit eine unmittelbar geltende Bestimmung ist (31), und besteht auch in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung. Der Gerichtshof hat in der Tat bereits mehrfach entschieden, der Umstand, daß noch keine Richtlinien aufgrund von Artikel 57 erlassen worden seien, erlaube es einem Mitgliedstaat nicht, einem Rechtsbürger die tatsächliche Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu verwehren (32).

Derartige Richtlinien sollen die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit erleichtern, bedingen diese jedoch nicht. Ihr Erlaß ist denn auch nicht dadurch überfluessig geworden, daß Artikel 52 und die darin auferlegte Verpflichtung seit Ablauf der Übergangszeit unmittelbare Wirkung entfalten (33).

Damit ist zugleich der Zusammenhang mit der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung der Anerkennung der Hochschuldiplome (34) hergestellt. Wie sich aus dem Titel der Richtlinie ergibt, geht es in der Richtlinie um eine allgemeine Anerkennungsregelung. Mit anderen Worten, während Artikel 52 den Aufnahmemitgliedstaat nur verpflichtet, das Ausmaß der Übereinstimmung zwischen bereits (im Herkunfts- und im Aufnahmemitgliedstaat) erworbenen Qualifikationen und den vom Aufnahmemitgliedstaat verlangten Qualifikationen zu berücksichtigen (35) - nur wenn diese Prüfung ergibt, daß die bereits erworbenen Qualifikationen im konkreten Fall ganz oder teilweise den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Qualifikationen gleichwertig sind, wird der Antragsteller sich darauf berufen können -, geht die Richtlinie weiter. Sie impliziert nämlich, daß die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Gleichwertigkeit von Berufsregelungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten anerkennen; wer also in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässig ist und dort eine reglementierte berufliche Tätigkeit ausübt, erwirbt das Recht, sich in allen übrigen Mitgliedstaaten niederzulassen, gegebenenfalls unter der Voraussetzung, daß er Berufserfahrung nachweist und einen Anpassungslehrgang absolviert oder eine Eignungsprüfung ablegt (36).

Erfuellung der Pflicht zur Berücksichtigung erworbener Qualifikationen

15. Die vorstehend beschriebene Verpflichtung ergibt sich wie gesagt aus Artikel 52 EWG-Vertrag, einer unmittelbar geltenden Vertragsbestimmung. Daß es sich hierbei um eine unmittelbar geltende gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung handelt, ändert freilich nichts daran, daß es oft einer genauen Untersuchung des Ausmasses der Übereinstimmung zwischen im In- oder Ausland erworbenen Qualifikationen bedürfen wird (37). Eine solche Untersuchung müssen die nationalen Behörden im Rahmen eines konkreten Antrags auf Zulassung zu einem reglementierten Beruf aufgrund ihrer Verpflichtung aus Artikel 5 EWG-Vertrag durchführen, den sich für Gemeinschaftsbürger aus unmittelbar geltenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtsschutz zu gewährleisten. Weiter muß eine solche Untersuchung in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Anwendung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgenommen werden, wobei allerdings die Ausübung des unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts durch die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften nicht unmöglich gemacht werden darf (38) und diese Vorschriften soweit wie möglich in einer den Zielen der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit entsprechenden Weise angewendet werden müssen (39). Ich meine, daß man sich bei der Durchführung dieser Untersuchung von den nationalen Rechtsvorschriften leiten lassen kann, die die Beurteilung der Übereinstimmung von im Ausland erworbenen gleichwertigen akademischen und beruflichen Qualifikationen zulassen, mit der Maßgabe, daß ausserdem die von dem Betroffenen im Aufnahmeland erworbenen Qualifikationen berücksichtigt werden müssen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Regeln zu ermitteln. Gleichwohl möchte ich im folgenden kurz auf eine Reihe von Regelungen eingehen, die auch in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden und später noch in anderem Zusammenhang zur Sprache kommen werden (40).

16. An erster Stelle möchte ich auf den am 3. Oktober 1990 in Kraft getretenen Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der (früheren) Deutschen Demokratischen Republik hinweisen. Nach diesem Vertrag stehen alle in der Deutschen Demokratischen Republik oder im übrigen Gebiet der Bundesrepublik abgelegten Prüfungen oder erworbenen Befähigungsnachweise einander gleich und verleihen die gleichen Berechtigungen, wenn sie gleichwertig sind (41). Die Gleichwertigkeit wird auf Antrag von der jeweils zuständigen Stelle festgestellt (42). In einer Anlage zu dem Vertrag ist bestimmt, daß ein Rechtsanwalt, der in der früheren Deutschen Demokratischen Republik zugelassen ist, einem aufgrund der BRAO in der Bundesrepublik zugelassenen Rechtsanwalt gleichsteht; er braucht mit anderen Worten nicht die Voraussetzungen des Richtergesetzes zu erfuellen, um in der Bundesrepublik als Rechtsanwalt zugelassen zu werden (43).

An zweiter Stelle ist § 92 des Bundesvertriebenengesetzes (44) zu nennen, dessen Absatz 2 gemäß § 112 des Richtergesetzes unberührt bleibt. Nach dieser Bestimmung sind Prüfungen oder Befähigungsnachweise, die Vertriebene und Sowjetzonenfluechtlinge bis zum 8. Mai 1945 abgelegt oder erworben haben, anzuerkennen, wenn sie den entsprechenden Prüfungen oder Nachweisen in der Bundesrepublik gleichwertig sind. § 92 Absatz 3 des Bundesvertriebenengesetzes bestimmt, daß derselbe Grundsatz für Prüfungen oder Befähigungsnachweise gilt, die nach dem 8. Mai 1945 abgelegt oder erworben wurden (45). Der Vertreter des Ministeriums hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, daß diese Anerkennungsmöglichkeit auf der (inhaltlichen) Übereinstimmung zwischen der anzuerkennenden Ausbildung und der in der Bundesrepublik bestehenden Ausbildung beruhe.

Eine ähnliche Bestimmung findet sich im Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (46). Nach § 15 dieses Gesetzes werden ausländische Prüfungen heimatloser Ausländer im Bundesgebiet anerkannt, wenn sie den entsprechenden inländischen Prüfungen gleichzuachten sind.

17. Jedes der vorhergehenden Verfahren ist offensichtlich auf die (eventuelle) Anerkennung der Gleichwertigkeit anderweitig erworbener Diplome und Nachweise gerichtet. Die vorstehend (Nrn. 11 bis 13) umschriebene Verpflichtung aus Artikel 52 EWG-Vertrag geht nicht so weit, da sie nicht auf die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Diplomen oder Nachweisen gerichtet ist, sondern auf die Beurteilung der Frage, inwieweit eine Übereinstimmung zwischen bereits (im eigenen oder in einem anderen Mitgliedstaat) erworbenen Qualifikationen und den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Qualifikationen besteht. Diese Untersuchung wird normalerweise nicht auf eine Anerkennung von Diplomen oder Nachweisen hinauslaufen, sondern gegebenenfalls dazu führen, daß ein Teil der nach nationalem Recht vorgeschriebenen Qualifikationen als vorhanden angesehen wird. Die Erfahrungen, die im Rahmen der vorstehend beschriebenen Verfahren in bezug auf die Vergleichbarkeit anderweitig erworbener Diplome und Nachweise gemacht wurden, können jedoch bei der Erfuellung der vorstehend definierten Verpflichtung von Nutzen sein.

Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz?

18. Frau Vlassopoulou hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, daß eine Reihe der vorstehend erwähnten Bestimmungen nicht nur als Anregung für die Erfuellung der genannten Verpflichtung aus Artikel 52 relevant sei. In Bestimmungen wie denjenigen des Einigungsvertrags und des Bundesvertriebenengesetzes sei eine nach den Artikeln 7 und 52 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu sehen, die ja einer ungünstigeren Behandlung unterworfen würden.

Der Vertreter der deutschen Regierung hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß der Einigungsvertrag eine Vorzugsbehandlung für eine Reihe von deutschen Staatsangehörigen vorsehe, jedoch gleichzeitig auf die auf aussergewöhnlichen Umständen beruhende Einmaligkeit des Einigungsvertrags hingewiesen. Darauf kann nur geantwortet werden, daß das Gemeinschaftsrecht jedem damit unvereinbaren nationalen Rechtsetzungsakt, auf welchen Gründen auch immer er beruhen mag, entgegensteht (47) und daß ein Mitgliedstaat die Geltung einer unmittelbar wirkenden Bestimmung des Gemeinschaftsrechts nicht durch den Abschluß eines Vertrags mit einem anderen Staat beeinträchtigen kann (48).

Ebensowenig könnte eine unterschiedliche Behandlung dadurch gerechtfertigt werden, daß die fragliche Vorzugsbehandlung nicht allen deutschen Staatsangehörigen zusteht. Insoweit kann eine Parallele zur Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag gezogen werden: In einem kürzlich ergangenen Urteil hat der Gerichtshof entschieden, daß eine Maßnahme, die nur einen Teil der inländischen Erzeugnisse zu Lasten ausländischer Erzeugnisse begünstigte, nicht aus diesem Grund vom Verbot des Artikels 30 ausgenommen sei, da alle Erzeugnisse, denen das Vorzugssystem zugute gekommen sei, inländische Erzeugnisse gewesen seien (49).

19. Fraglich ist jedoch, ob davon ausgegangen werden kann, daß eine nach Artikel 7 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung gegeben ist. Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes nämlich anerkannt, daß die ungleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte nicht ohne weiteres auf eine Diskriminierung hindeutet (50). Nun, im Falle des Bundesvertriebenengesetzes könnte man von einer Vorzugsbehandlung für eine durch historische Umstände benachteiligte Personengruppe sprechen.

Im Falle des Einigungsvertrags gilt die Vorzugsbehandlung für alle diejenigen, die in der früheren Deutschen Demokratischen Republik bestimmte Studien absolviert oder eine bestimmte Berufserfahrung erworben haben. Frau Vlassopoulou hält dieses Kriterium für diskriminierend und bestreitet, daß die damit verfolgten Ziele gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt sind. Ich selbst neige dazu, die im Einigungsvertrag enthaltene Regelung für gerechtfertigt zu halten, da in ihr eine Vorzugsbehandlung für eine ebenfalls durch historische Umstände benachteiligte Personengruppe zu sehen ist. Es geht mit anderen Worten darum, unter dem Blickwinkel des EWG-Vertrages einen Rückstand aufzuholen, in den eine bestimmte Gruppe von Bürgern gegenüber allen übrigen Gemeinschaftsbürgern geraten war.

Ergebnis

20. Nach alledem schlage ich vor, die gestellte Frage wie folgt zu beantworten:

Die aus Artikel 52 EWG-Vertrag resultierende Verpflichtung, Gemeinschaftsbürger nicht zu benachteiligen, wenn sie in mehr als einem Mitgliedstaat tätig werden wollen, ist dahin auszulegen, daß die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Prüfung eines Antrags auf Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf von seiten eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats - der in seinem eigenen Mitgliedstaat als Rechtsanwalt zugelassen und tätig und in dem Mitgliedstaat, in dem die Zulassung beantragt wird, bereits als Rechtsbeistand zugelassen und tätig ist - zu untersuchen haben, inwieweit die akademischen und beruflichen Qualifikationen, die der Antragsteller im Herkunfts- und im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, mit den Qualifikationen übereinstimmen, die nach nationalem Recht für den Zugang zu diesem Beruf vorgeschrieben sind, und daß sie diese Übereinstimmung zu berücksichtigen haben.

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) Gesetz vom 13. Dezember 1935, BGBl. III, S. 303.

(2) BGBl. 1959 I, S. 565, in der Fassung des Gesetzes vom 13. Dezember 1989, BGBl. I, S. 2135.

(3) Die geltende Fassung ist in der Bekanntmachung vom 19. April 1972, BGBl. I, S. 713, enthalten.

(4) Richtlinie des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. L 78, S. 17).

(5) Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 (ABl. 1989, L 19, S. 16).

(6) Die Bundesrepublik hat zur Durchführung der Richtlinie am 6. Juli 1990 ein Gesetz erlassen (BGBl. I, S. 1349), das jedoch erst am 1. Januar 1991 in Kraft tritt (vgl. § 6 dieses Gesetzes).

(7) Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 107/83 (Klopp, Slg. 1984, 2971).

(8) Urteil vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 292/86 (Gullung, Slg. 1988, 111).

(9) Erstmals in dem Urteil vom 12. Februar 1974 in der Rechtssache 152/73 (Sotgiu, Slg. 1974, 153, Randnr. 11; nationale Rechtsvorschriften dürfen Arbeitnehmer nicht deshalb unterschiedlich behandeln, weil diese ihren Wohnsitz nicht im Inland haben), unlängst bekräftigt in dem Urteil vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 33/88 (Allué, Slg. 1989, 1591, Randnr. 11; die in einem italienischen Gesetz vorgesehene Begrenzung der Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Fremdsprachenlektoren und der Universität, die für das übrige Universitätspersonal nicht besteht, ist eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, da nur 25 % der betroffenen Lektoren die italienische Staatsangehörigkeit besitzen).

(10) Vgl. das in der vorhergehenden Fußnote zitierte Urteil Sotgiu, Randnr. 11.

(11) Der fragliche Rechtsanwalt war früher aus disziplinarischen Gründen aus der französischen Anwaltschaft ausgeschlossen worden.

(12) Vgl. Randnr. 28 des Urteils.

(13) Urteil vom 7. Juli 1988 in den verbundenen Rechtssachen 154/87 und 155/87 (Wolf und Dorchain, Slg. 1988, 3897). Vgl. auch das gleichlautende Urteil vom selben Tage in der Rechtssache 143/87 (Stanton, Slg. 1988, 3877).

(14) Vgl. Randnrn. 8 und 9 des Urteils.

(15) Vgl. Randnrn. 11 und 12 des Urteils.

(16) Vgl. Randnr. 15 des Urteils.

(17) Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 (Slg. 1981, 3305).

(18) Vgl. Randnr. 18 des Urteils.

(19) Vgl. Randnr. 20 des Urteils. In dem früheren Urteil Van Wesemäl vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78 (Slg. 1979, 35) hatte der Gerichtshof bereits entschieden, das Genehmigungserfordernis für die Erbringung von Stellenvermittlungsleistungen sei nicht gerechtfertigt, wenn der Stellenvermittler im Mitgliedstaat seiner Niederlassung bereits eine Genehmigung besitze, die unter Voraussetzungen erteilt worden sei, welche mit denen des Mitgliedstaats, in dem die Leistung erbracht werde, vergleichbar seien, und wenn im Mitgliedstaat der Niederlassung die gesamte Stellenvermittlungstätigkeit einer angemessenen Beaufsichtigung unterstellt sei (vgl. Randnrn. 24 bis 30 des Urteils).

(20) Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 272/80 (Slg. 1981, 3277), bestätigt durch das Urteil vom 11. Mai 1989 in der Rechtssache 25/88 (Wurmser, Slg. 1989, 1105).

(21) Vgl. Randnrn. 13 bis 15 des Urteils.

(22) Vgl. das Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe, "Cassis de Dijon", Slg. 1979, 649, Randnr. 8), seitdem regelmässig bestätigt, u. a. in dem Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 407/85 (3 Glocken u. a., Slg. 1988, 4233, Randnrn. 9 bis 11).

(23) Vgl. das Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 25). Vgl. auch das bereits in Fußnote 19 erwähnte Urteil Van Wesemäl, das bereits in Fußnote 17 genannte Urteil Webb und das unlängst ergangene Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89 (Rush Portugüsa, Slg. 1990, I-1417).

(24) Bereits oben in Fußnote 4 angeführt.

(25) In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß Frau Vlassopoulou, ohne daß ihr die deutsche Regierung und das Ministerium insoweit widersprochen hätten, vorgetragen hat, grosse Teile des griechischen Zivilrechts und Zivilprozeßrechts stimmten weitgehend mit dem deutschen Recht überein.

(26) Urteil vom 28. April 1977 in der Rechtssache 71/76 (Slg. 1977, 765).

(27) Vgl. Randnrn. 2/5 des Urteils.

(28) Vgl. Randnr. 19 des Urteils.

(29) Vgl. Randnrn. 15/18 des Urteils.

(30) Vgl. Randnrn. 20/23 des Urteils.

(31) Erstmals anerkannt in dem Urteil vom 21. Juni 1974 in der Rechtssache 2/74 (Reyners, Slg. 1974, 631, Randnrn. 3 bis 32).

(32) Vgl. neben dem in der vorhergehenden Fußnote bereits angeführten Urteil Reyners, das in Fußnote 26 bereits genannte Urteil Thieffry, Randnrn. 15/18, und das Urteil vom 28. Juni 1977 in der Rechtssache 11/77 (Patrick, Slg. 1977, 1199, Randnrn. 10 bis 13), das durch das Urteil vom 15. Oktober 1987 in der Rechtssache 222/86 (Heylens, Slg. 1987, 4097, Randnrn. 11 und 12) bestätigt wurde.

(33) So das vorerwähnte Urteil Reyners, Randnrn. 29/31.

(34) Bereits oben in Fußnote 5 angeführt.

(35) Das Bestehen dieser Verpflichtung wird übrigens auch in der fünften Begründungserwägung der Richtlinie anerkannt.

(36) Vgl. Artikel 4 der Richtlinie. Normalerweise kann der Antragsteller zwischen einem Anpassungslehrgang und einer Eignungsprüfung wählen. Für "Berufe ..., deren Ausübung eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts erfordert und bei denen die Beratung und/oder der Beistand in Fragen des innerstaatlichen Rechts ein wesentlicher und ständiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit ist", kann der Aufnahmemitgliedstaat abweichend von diesem Grundsatz einen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprüfung vorschreiben (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b a. E.).

(37) Übrigens taucht diese Schwierigkeit ausweislich der Urteile Webb und Frans-Nederlandse Maatschappij voor Biologische Producten in gleicher Weise auf dem Gebiet des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs auf.

(38) Vgl. das Urteil vom 5. März 1980 in der Rechtssache 265/78 (Ferwerda, Slg. 1980, 617, Randnr. 10), das Urteil vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76 (Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5) und das Urteil vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 45/76 (Comet, Slg. 1976, 2043, Randnrn. 11/18) sowie das Urteil vom 9. Juli 1985 in der Rechtssache 179/84 (Bozzetti, Slg. 1985, 2301). Vgl. auch das Urteil vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89 (The Queen / Secretary of State for Transport, ex parte Factortame, Slg. 1990, I-2433).

(39) So das in Fußnote 26 bereits erwähnte Urteil vom 28. April 1977 in der Rechtssache 71/76 (Thieffry) und das Urteil vom 15. Oktober 1987 in der Rechtssache 226/86 (Heylens, Slg. 1987, 4097).

(40) Ich kann mir vorstellen, daß es auch noch andere Elemente gibt, denen Rechnung zu tragen sein wird. So dürfte z. B. anläßlich der Zulassung von Frau Vlassopoulou als Doktorandin an der Universität Tübingen wahrscheinlich bereits eine Beurteilung ihrer früheren akademischen Ausbildung und deren Vergleichbarkeit mit der juristischen Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden sein. Aus dem zuvor angesprochenen Urteil Thieffry geht hervor, daß die nationalen Behörden eine solche Beurteilung angemessen berücksichtigen müssen (vgl. Randnrn. 20 bis 26 des Urteils).

(41) Vgl. Artikel 37 des Einigungsvertrags.

(42) Ibidem.

(43) Vgl. Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt II Nr. 2 des Einigungsvertrags. Die Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf in der Deutschen Demokratischen Republik ist in dem am 13. September 1990 erlassenen Rechtsanwaltsgesetz geregelt (vgl. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1990, I, Nr. 61, S. 1504). Dieses Gesetz verlangt grundsätzlich ein juristisches Studium an einer ostdeutschen Universität, gegebenenfalls ergänzt durch eine gewisse Berufspraxis (vgl. § 4 des Gesetzes).

Der Einigungsvertrag gibt ausserdem den Bewohnern der früheren Deutschen Demokratischen Republik die Möglichkeit, eine Eignungsprüfung abzulegen (vgl. Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe e), und sieht auch eine Reihe von Überleitungsvorschriften zugunsten von Rechtsanwaltsassistenten und Studenten aus der früheren Deutschen Demokratischen Republik vor, von denen einige bis Ende 1992 laufen (vgl. Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe y).

(44) Die geltende Fassung scheint diejenige der Bekanntmachung vom 3. September 1971, BGBl. I, S. 1565, zu sein.

(45) In der deutschen Rechtslehre wird die Auffassung vertreten, da § 112 des Richtergesetzes nur auf § 92 Absatz 2 des Vertriebenengesetzes verweise, erscheine eine Anerkennung derartiger nach dem 8. Mai 1945 abgelegter oder erworbener Prüfungen bzw. Befähigungsnachweise aufgrund des Richtergesetzes rechtlich nicht möglich (vgl. G. und J. Schmidt-Räntsch, Kommentar zum deutschen Richtergesetz, 4. Auflage, 1988, Randnr. 1 zu § 112). Dies schließt jedoch nicht aus, daß die auf der Grundlage dieses Absatzes entwickelten Kriterien zur Beurteilung der Gleichwertigkeit von Prüfungen oder Nachweisen allgemein als Richtschnur bei der in den Nrn. 11 bis 15 erörterten Untersuchung herangezogen werden können.

(46) BGBl. I, S. 269.

(47) Vgl. z. B. das Urteil vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, Randnr. 3) und das Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77 (Simmenthal, Slg. 1978, 629, Randnrn. 17/18).

(48) Vgl. z. B. das Urteil vom 14. Juli 1976 in den verbundenen Rechtssachen 3/76, 4/76 und 6/76 (Kramer, Slg. 1976, 1279, Randnrn. 42 bis 45) und das Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 235/87 (Matteucci, Slg. 1988, 5589, Randnrn. 18 und 19 sowie Tenor).

(49) Vgl. das Urteil vom 20. März 1990 in der Rechtssache C-21/88 (Du Pont de Nemours Italiana, Slg. 1990, I-889, Randnrn. 12 und 13).

(50) Vgl. z. B. das Urteil vom 17. Juli 1963 in der Rechtssache 13/63 (Italien / Kommission, Slg. 1963, 357, 384) und das Urteil vom 23. Februar 1983 in der Rechtssache 8/82 (Wagner, Slg. 1983, 371, Randnr. 18).

Übersetzung