61989C0033

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 28. März 1990. - MARIA KOWALSKA GEGEN FREIE UND HANSESTADT HAMBURG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARBEITSGERICHT HAMBURG - DEUTSCHLAND. - SOZIALPOLITIK - UEBERGANGSGELD WEGEN AUSSCHREIDENS AUS DEM ARBEITSVERHAELTNIS - AUSSCHLUSS VON TEILZEITBESCHAEFTIGTEN - ARTIKEL 119 EWG-VERTRAG. - RECHTSSACHE C-33/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-02591


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Wieder liegen die besonderen Probleme der Teilzeitbeschäftigung im Hinblick auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen einem Vorabentscheidungsersuchen, diesmal des Arbeitsgerichts Hamburg, zugrunde .

2 . Die Klägerin war bei der Freien und Hansestadt Hamburg vom 1 . Oktober 1974 bis zum 31 . Juli 1987 als Angestellte beschäftigt . Sie übte eine Teilzeitarbeit aus . Bei Vollendung ihres 60 . Lebensjahrs schied sie aus dem Arbeitsverhältnis aus . Sie bezieht eine Altersrente, die Zahlung eines Übergangsgelds gemäß § 62 Bundesangestelltentarifvertrag ( BAT ) wurde ihr aber mit der Begründung, daß sie keine Vollzeitbeschäftigung ausgeuebt habe, versagt . Sie erhob darauf beim Arbeitsgericht eine Klage gegen die Stadt Hamburg, mit der sie geltend macht, die Bestimmungen des BAT verstießen gegen Artikel 119 EWG-Vertrag und gegen die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10 . Februar 1975 ( 1 ).

3 . Das vorlegende Gericht stellt in seinem Vorlagebeschluß fest, daß zwar 1987 im unmittelbaren öffentlichen Dienst der Frauenanteil bei den Vollzeitbeschäftigten 55,5 % und im mittelbaren öffentlichen Dienst 52,5 % betrug, dieser Anteil jedoch bei den Teilzeitbeschäftigten 77,3 % und 97,8 % erreicht . Bei den Teilzeitangestellten mit 20 und mehr Stunden pro Woche beträgt der Frauenanteil 90,2 %.

4 . Ihnen werden also zwei Vorlagefragen gestellt, bei denen es im wesentlichen zum einen um die Vereinbarkeit des BAT mit Artikel 119 EWG-Vertrag, zum anderen um die Auswirkungen einer etwaigen Unvereinbarkeit im Hinblick auf die Autonomie der Tarifvertragsparteien geht .

5 . Die erste Frage setzt die Beantwortung einer Vorfrage voraus . Hat das Übergangsgeld gemäß dem BAT die Rechtsnatur eines Entgelts oder nicht? Die Parteien des Ausgangsverfahrens vertreten hierzu gegensätzliche Auffassungen . Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß diese Vorfrage nur für die Feststellung von Bedeutung ist, anhand welcher Vorschrift des Gemeinschaftsrechts die fraglichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu prüfen sind - nämlich Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn es sich um ein Entgelt handelt, Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 86/378 EWG des Rates vom 24 . Juli 1986 ( 2 ), wenn es sich um eine Leistung der sozialen Sicherheit handelt . Im übrigen haben diese beiden Normen unmittelbare Wirkung ( 3 ), und die Klägerin kann sich also gegenüber der Stadt Hamburg auf die eine und die andere berufen .

6 . Seit langem hat der Gerichtshof die schwierige Grenzziehung zwischen Entgelt und Leistungen der sozialen Sicherheit vorzunehmen ( 4 ). Nach Ihrem Urteil Garland umfasst der Begriff des Entgelts

"alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gezahlten Vergütungen ..., vorausgesetzt, daß sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Dienstverhältnisses zahlt" ( 5 ).

In Anwendung dieser Rechtsprechung haben Sie in Ihrem Urteil Bilka der betrieblichen Altersversorgung, die auf einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Betriebsrat beruht, Entgeltcharakter zuerkannt ( 6 ).

7 . Übrigens haben Sie in einer noch anhängigen Rechtssache ( 7 ) auch über die Entgeltnatur einer Entlassungsabfindung zu entscheiden .

8 . Meines Erachtens lässt sich der Gerichtshof von zwei Kriterien leiten : zum einen davon, ob der Arbeitgeber eine - sei es indirekte - Zahlung an den Arbeitnehmer leistet, und zum anderen davon, wie eng der Zusammenhang zwischen Beschäftigung und fraglicher Leistung ist . Wenden wir diese Kriterien auf das Übergangsgeld nach BAT an . Es wird vollbeschäftigten Angestellten gezahlt, die am Tage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 21 . Lebensjahr vollendet haben und in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr Dauer bei demselben Arbeitgeber gestanden haben ( 8 ). Ausserdem müssen weitere Voraussetzungen erfuellt sein, insbesondere, daß der Arbeitnehmer das Ausscheiden nicht verschuldet hat, daß er keine Entlassungsabfindung erhalten hat, daß sich nicht unmittelbar ein anderes Beschäftigungsverhältnis anschließt und daß er eine ihm nachgewiesene Arbeitsstelle nicht ausgeschlagen hat ( 9 ). Ein Anspruch auf Übergangsgeld entfällt ferner bei rationalisierungsbedingtem Ausscheiden ( 10 ). In der Praxis scheint dieses Übergangsgeld nahezu ausschließlich in Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis wegen Zuerkennung einer Rente oder im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes beendet wird, gezahlt zu werden ( 11 ). Schließlich richtet sich die Höhe des Übergangsgeldes nach der zuletzt bezogenen Vergütung und der Dauer der Beschäftigung ( 12 ).

9 . Für die Verneinung des Entgeltcharakters stützt sich die Stadt Hamburg auf die Tatsache, daß das Übergangsgeld früher, und zwar bis zum Abschluß des BAT am 23 . Februar 1961, gesetzlich geregelt war 12 .

10 . Meines Erachtens ist dieses Argument nicht stichhaltig . Zum einen stützt es sich auf eine nicht mehr bestehende Rechtslage . Zum anderen wird dieses Kriterium, wie gezeigt, von der Rechtsprechung des Gerichtshofes in diesem Bereich nicht herangezogen . Meines Erachtens steht das Übergangsgeld im Gegenteil in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, und zwar sowohl aufgrund der Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf die Leistung wie durch die Rechtsvorschriften, wonach sich ihre Höhe bestimmt . Zudem zahlt der Arbeitgeber diese Entschädigung dem Arbeitnehmer unmittelbar . Der Arbeitgeber allein trägt, wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, die finanzielle Belastung durch diese Leistung . Nach alledem ist der fraglichen Leistung meines Erachtens Entgeltcharakter im Sinne von Artikel 119 zuzuerkennen .

11 . Wenden wir uns jetzt der Frage zu, ob der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten vom Anspruch auf diese Leistung eine Diskriminierung darstellt oder nicht . Auf diesem Gebiet gibt es heute eine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofes . In dem Urteil Bilka haben Sie für Recht erkannt :

"Ein Kaufhausunternehmen, das Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausschließt, verletzt Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn diese Maßnahme wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, es sei denn, das Unternehmen legt dar, daß diese Maßnahme auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben ." ( 13 )

Der Gerichtshof nimmt in dieser Frage unabhängig davon, ob es um eine tarifvertragliche oder gesetzliche Bestimmung geht, eine Umkehr der Beweislast vor ( 14 ). Sie erklären die Beurteilung der Frage, ob die zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahme dargetanen Gründe nichts mit einer Diskriminierung zu tun haben ( 15 ), zur Sache des vorlegenden Gerichts und verlangen, daß die gewählten Mittel einem wirklichen Bedürfnis dienen und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind ( 16 ).

12 . Die erste Voraussetzung, daß die fragliche Maßnahme eine viel höhere Zahl von Frauen als Männern treffen muß, ist im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der insoweit vom vorlegenden Gericht in seinem Vorlagebeschluß gelieferten statistischen Angaben offensichtlich erfuellt .

13 . Was die Rechtfertigung der fraglichen Bestimmung anlangt, führt die Stadt Hamburg aus : "Aufgrund der unterschiedlichen sozialen Ausgangslage der Teilzeit - und Vollzeitkräfte wurde der Anspruch auf Übergangsgeld bewusst auf Vollzeitbeschäftigte beschränkt, da nur bei Vollzeitbeschäftigten, die ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie ausschließlich mit dem Einkünften aus diesem Arbeitsverhältnis bestreiten, ein Bedürfnis nach einer Überbrückungshilfe durch den Arbeitgeber besteht ." ( 17 )

14 . Der Gerichtshof hat eine derartige Rechtfertigung schon verworfen . In der Rechtssache Rinner-Kühn, wo die deutsche Regierung geltend gemacht hatte,

"Arbeitnehmer, die wöchentlich weniger als 10zehn oder monatlich weniger als 45 Arbeitsstunden leisteten, seien nicht in einem anderen Arbeitnehmern vergleichbaren Masse in den Betrieb eingegliedert und ihm verbunden" ( 18 ),

haben Sie entschieden :

"Diese Erwägungen stellen lediglich verallgemeinernde Aussagen zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern dar . Ihnen lassen sich keine objektiven Kriterien entnehmen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben ." ( 19 )

15 . Da in der vorliegenden Rechtssache ganz ähnliche Rechtfertigungsgründe angeführt werden, ist meines Erachtens die geiche Lösung geboten . Ich schlage Ihnen demgemäß vor, auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 119 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er einer tarifvertraglichen Regelung entgegensteht, die es den Arbeitgebern gestattet, die Teilzeitbeschäftigten von der Zahlung eines Übergangsgeldes bei unverschuldetem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auszunehmen, wenn diese Regelung wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, es sei denn, der Arbeitgeber legt vor dem innerstaatlichen Gericht dar, daß die betreffende Regelung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist .

16 . Die zweite Frage betrifft die Wirkungen einer etwaigen Unvereinbarkeitserklärung im Hinblick auf die Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien . Steht den Teilzeitbeschäftigten bei Unvereinbarkeit von § 62 Absatz 1 BAT ein - dem Umfang ihrer Beschäftigung entsprechender - Anspruch auf das Übergangsgeld zu oder scheitert ein derartiger Anspruch an der Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien?

17 . Ähnliche Schwierigkeiten haben in Ihrer Rechtsprechung seit langer Zeit eine Lösung gefunden, soweit es sich bei der fraglichen Norm nicht um eine tarifvertragliche, sondern um eine gesetzliche Bestimmung handelt . So stellte Ihnen noch kürzlich in der Rechtssache Ruzius-Wilbrink das vorlegende Gericht die Frage, welche Folgen sich aus der Feststellung der Unvereinbarkeit des niederländischen Rechts mit Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7/EWG ( 20 ) zur Verwirklichung der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit ergeben . Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, daß

"in Ermangelung angemessener Durchführungsmaßnahmen zu Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 die durch eine mittelbare Diskriminierung durch den Staat benachteiligte Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die anderen Leistungsempfänger hat, da diese Regelung mangels einer ordnungsgemässen Durchführung dieser Richtlinie das einzig gültige Bezugssystem bleibt" ( 21 ).

Dieses Urteil ist im übrigen nur eine Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, wonach bei Fehlen von Durchführungsmaßnahmen zu Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7,

"Frauen folglich Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer (( haben )), die sich in der gleichen Lage befinden" ( 22 ).

18 . Die einzige Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, daß es sich nicht um eine gesetzliche, sondern um eine vertragliche Regelung handelt, da sie Teil eines Tarifvertrags ist .

19 . Meines Erachtens muß dieser Unterschied nicht zur Unanwendbarkeit der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofes führen . Nach Artikel 4 der Richtlinie 75/117 treffen nämlich "die Mitgliedstaaten ... die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen, Lohn - und Gehaltstabellen oder -vereinbarungen oder Einzelarbeitsverträgen nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können ". Spätere Richtlinien enthalten oft die gleiche Regelung ( 23 ). Der Gerichtshof sieht dies übrigens als eine sehr strikte Verpflichtung an, da er verlangt, daß die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Vertragsbestimmungen, auch wenn die Tarifverträge nicht rechtlich verbindlich sind, für unwirksam erklärt werden können ( 24 ).

20 . Zudem ist der Gerichtshof meines Erachtens im Urteil Defrenne II, als er die Anwendbarkeit von Artikel 119 EWG-Vertrag auf Rechtsvorschriften wie auf Tarifverträge anerkannt ( 25 ) und zugleich die Anerkennung seiner unmittelbaren Geltung zeitlich beschränkt hat ( 26 ), notwendigerweise davon ausgegangen, daß die staatlichen Gerichte auf die benachteiligte Gruppe die tarifvertraglichen Regelungen anwenden müssen, deren Anwendung ihnen bis dahin versagt wurde, und daß nur der Gerichtshof in seinem Urteil diese Wirkung auf Arbeitnehmer beschränken konnte, die bereits Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben .

21 . Nur für die Tarifvertragsbestimmungen, "bei denen der Schutzgedanke, aus dem heraus sie ursprünglich entstanden sind, nicht mehr begründet ist", bestimmt die Richtlinie 76/207, daß der Mitgliedstaat die Sozialpartner zu einer Revision aufzufordern hat ( 27 ). So stellt diese Regelung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Zugangs zur Beschäftigung darauf ab, ob die streitigen Tarifvertragsbestimmungen durch einen Schutzgedanken gerechtfertigt waren, der nicht mehr besteht, wie etwa den Schutz von Frauen in ihrer Eigenschaft als Elternteil oder als älterer Arbeitnehmer, Eigenschaften, die männliche wie weibliche Arbeitnehmer haben können ( 28 ). Gleichwohl setzt Ihre Rechtsprechung der Verweisung auf die Tarifverhandlung Grenzen, haben Sie doch in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Französische Republik

"den Erlaß einer innerstaatlichen Regelung ..., die mehrere Jahre nach Ablauf der für die Durchführung der Richtlinie vorgesehenen Frist die Abschaffung bestimmter Ungleichheiten den Sozialpartnern überlässt, ohne eine Frist für die Erfuellung dieser Verpflichtung zu setzen"

als vertragswidrig verworfen ( 29 ).

22 . Was die Gleichheit des Arbeitsentgelts anlangt, ist festzustellen, daß die Richtlinie 75/117 keine Bestimmung enthält, die auf die Tarifverhandlung verweist . Im übrigen kann - wenn dies überhaupt gesagt werden muß - die Verweigerung des Übergangsgeldes für Teilzeitbeschäftigte nicht als eine Bestimmung angesehen werden, die aus einem Schutzgedanken heraus entstanden ist . Den Teilzeitbeschäftigten sind daher allein aufgrund der Unvereinbarkeit von § 62 BAT mit Artikel 119 EWG-Vertrag - selbstverständlich entsprechend ihrem früheren Arbeitsentgelt - die gleichen Ansprüche auf Übergangsgeld zuzuerkennen wie den Vollzeitbeschäftigten .

23 . Im übrigen ist die Autonomie der Tarifvertragsparteien nicht verletzt, da es ihnen freisteht, eine Revision der einschlägigen Bestimmungen des BAT einschließlich einer Streichung des Anspruchs auf diese Entschädigung für alle Arbeitnehmer vorzunehmen, sofern keine diskriminierende Unterscheidung zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten erfolgt .

24 . Es steht Ihnen frei, die Wirkungen des Urteils, das Sie in der vorliegenden Sache sprechen werden, zeitlich zu beschränken, wie Sie dies in Ihrem Urteil Defrenne II getan haben . Ich empfehle Ihnen jedoch, dies nicht zu tun . Die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 ist nämlich, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, im Gemeinschaftsrecht seit 1976 anerkannt . Die Sozialpartner sind deshalb verpflichtet, seine Anforderungen bei den Verhandlungen über die Tarifverträge zu berücksichtigen . Wir sind heute nicht mehr in der gleichen Lage wie beim Erlaß des Urteils Defrenne II, in dem Sie erstmalig die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung feststellten . Folglich brauchen Sie meines Erachtens die Wirkungen Ihres Urteils in zeitlicher Hinsicht nicht aus Gründen der Rechtssicherheit zu beschränken .

25 . Ich schlage Ihnen deshalb vor, für Recht zu erkennen :

"1 ) Artikel 119 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er einer tarifvertraglichen Regelung entgegensteht, die es den Arbeitgebern gestattet, die Teilzeitbeschäftigten von der Zahlung eines Übergangsgeldes bei unverschuldetem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auszunehmen, wenn diese Regelung wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, es sei denn, der Arbeitgeber legt dar, daß die betreffende Regelung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist .

2 ) Nimmt ein Arbeitgeber in Anwendung eines Tarifvertrags eine mittelbare Diskriminierung hinsichtlich des Entgelts vor, so ist die dadurch benachteiligte Gruppe ebenso wie die anderen Begünstigten zu behandeln und auf sie proportional dieselbe Regelung wie auf diese anzuwenden, die wegen des Fehlens einer ordnungsgemässen Durchführung von Artikel 119 EWG-Vertrag und Artikel 4 der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10 . Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen das einzig gültige Bezugssystem ist ."

(*) Originalsprache : Französisch .

( 1 ) Zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ( ABl . L 45 vom 19.2.1975, S . 19 ).

( 2 ) Zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit ( ABl . L 225 vom 12.8.1986, S . 40 .

( 3 ) Zu Artikel 119 EWG-Vertrag vergleiche das Urteil vom 8 . April 1976 in der Rechtssache 43/75, Defrenne II, Slg . 1976, 455, Randnr . 10 .

( 4 ) Urteile vom 25 . Mai 1971 in der Rechtssache 80/70, Defrenne I, Slg . 1971, 445, vom 15 . Juni 1978 in der Rechtssache 149/77, Defrenne III, Slg . 1978, 1365, Randnrn . 19 und 20, vom 13 . Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg . 1986, 1607, vom 11 . März 1981 in der Rechtssache 69/80, Worringham und Humphreys, Slg . 1981, 767, vom 18 . September 1984 in der Rechtssache 23/83, Liefting, Slg . 1984, 3225, und vom 3 . Dezember 1987 in der Rechtssache 192/85, Newstead, Slg . 1987, 4753 .

( 5 ) Urteil vom 9 . Februar 1982 in der Rechtssache 12/81, Slg . 1982, 359, Randnr . 5 .

( 6 ) Rechtssache 170/84, a . a . O ., Randnrn . 20 bis 22 .

( 7 ) Rechtssache C-262/88 ( Barber ), vgl . hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven, Nrn . 13 bis 16, Urteil vom 17 . Mai 1990, Slg . 1989, I-1912 .

( 8 ) § 62 Absatz 1 BAT .

( 9 ) § 62 Absatz 2 BAT .

( 10 ) § 7 Absatz 4 des Tarifvertrags über den Rationalisierungsschutz für Angestellte, zitiert von der Stadt Hamburg in ihren schriftlichen Erklärungen, S . 21 .

( 11 ) Vgl . hierzu die Erklärungen der Stadt Hamburg, S . 16 .

( 12 ) A . a . O ., S . 15 .

( 13 ) Rechtssache 170/84, a . a . O ., Urteilsformel; Hervorhebung von mir .

( 14 ) Vgl . Urteil vom 13 . Juli 1989 in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg . 1989, 2743; Urteil vom 13 . Dezember 1989 in der Rechtssache C-102/88, Ruzius-Wilbrink, Slg . 1989, 4311 .

( 15 ) A . a . O .

( 16 ) Rechtssache 170/84, a . a . O ., Randnr . 36 .

( 17 ) Schriftliche Erklärungen, S . 18 .

( 18 ) Rechtssache 171/88, a . a . O ., Randnr . 13 .

( 19 ) Rechtssache 171/88, a . a . O ., Randnr . 14 .

( 20 ) Richtlinie des Rates vom 19 . Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ( ABl . L 6 vom 10.1.1979, S . 24 ).

( 21 ) Rechtssache C-102/88, a . a . O ., Randnr . 21 .

( 22 ) Urteil vom 4 . Dezember 1986 in der Rechtssache 71/85, Federatie Nederlandse Vakbeweging, Slg . 1986, 3855, Randnr . 22; Urteil vom 24 . Juni 1987 in der Rechtssache 384/85, Borrie Clarke, Slg . 1987, 2865, Randnr . 13; vgl . auch das Urteil vom 24 . März 1987 in der Rechtssache 286/85, Norah McDermott und Ann Cotter, Slg . 1987, 1453, Randnr . 17, und das Urteil vom 8 . März 1988 in der Rechtssache 80/87, A . Dik, A . Menkutos-Demirci und H . G . W . Laar-Vreeman, Slg . 1988, 1601, Randnr . 10 .

( 23 ) Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9 . Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ( ABl . L 39 vom 14.2.1976, S . 40 ); Artikel 7 der Richtlinie 86/378/EWG .

( 24 ) Urteil vom 8 . November 1983 in der Rechtssache 165/82, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg . 1983, 3431 .

( 25 ) Rechtssache 43/75, a . a . O ., Nr . 1 der Urteilsformel .

( 26 ) Rechtssache 43/75, a . a . O ., Nr . 5 der Urteilsformel .

( 27 ) Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe c und Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c .

( 28 ) Siehe hierzu das Urteil vom 25 . Oktober 1988 in der Rechtssache 312/86, Kommission/Frankreich, Slg . 1988, 6315, Randnr . 14 .

( 29 ) Urteil in der Rechtssache 312/86, a . a . O ., Randnr . 22; vgl . auch die Besprechung dieses Urteils von Lanquetin M . T . und Masse-Dessen H .: "Les droits paticuliers pour les femmes dans les conventions collectives", Droit social, Nr . 718, S . 551 .