61987C0342

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 14. März 1989. - GENIUS HOLDING BV GEGEN STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE 77/388/EWG - RECHT AUF VORSTEUERABZUG. - RECHTSSACHE 342/87

Sammlung der Rechtsprechung 1989 Seite 04227


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Der Genius Holding BV, Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens ( zum maßgeblichen Zeitpunkt : Genius BV ), wurde vom Inspecteur ein Umsatzsteuer-Nacherhebungsbescheid für den Zeitraum vom 1 . Juli bis 31 . Dezember 1982 erteilt . Dieser in der Folge durch ein Urteil des Gerechtshof Amsterdam vom 28 . Mai 1985 bestätigte Bescheid erging mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe einen ihr von einem ihrer Subunternehmer in Rechnung gestellten Steuerbetrag zu Unrecht als Vorsteuer abgezogen, da er ihr ohne Bestehen einer Steuerschuld in Rechnung gestellt worden sei und deshalb nicht als Vorsteuer abgezogen werden könne . Die Beschwerdeführerin legte daraufhin Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein, der der Auffassung war, daß die Beschwerde Fragen aufwerfe, zu deren Beantwortung folgende Bestimmungen auszulegen seien : Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a, Artikel 18 Absatz 1, Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 22 Absätze 3 und 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( Richtlinie 77/388/EWG, ABl . L 145 vom 13 . 6 . 1977, S . 1, im folgenden : die Sechste Richtlinie ).

Zur ersten Frage

2 . Der Hoge Raad hat seine erste Frage wie folgt gefasst :

"Erstreckt sich das in der Sechsten Richtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug auch auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist?"

3 . Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie lautet wie folgt :

"Die Mehrwertsteuer schuldet ... jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist;"

4 . Die Bundesregierung und die spanische Regierung vertreten im wesentlichen die Ansicht, daß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c nur zur Verhütung von Steuerhinterziehungen eingefügt worden sei . Auch wenn jeder in einer Rechnung ausgewiesene Betrag vom Aussteller der Rechnung an den Fiskus abzuführen sei, berechtige dieser Betrag doch nicht zum Vorsteuerabzug, wenn er nicht einer nach den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Steuer entspreche .

5 . Die Bundesregierung macht insbesondere geltend, der Abzug eines zu Unrecht in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbetrags sei mit Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a unvereinbar . Diese Bestimmung lautet wie folgt :

"Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen :

a ) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw . erbracht wurden oder erbracht werden ..."

6 . Der Ausdruck "geschuldete Steuer" bezeichne somit nur die Steuer, die aufgrund einer richtigen Anwendung der Rechtsvorschriften an den Fiskus abzuführen sei, nicht aber diejenige, die nur deshalb geschuldet werde, weil sie in der Rechnung ausgewiesen sei .

7 . In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesregierung mit besonderem Nachdruck auf die vom Rat vorgenommenen Änderungen des Richtlinienvorschlags der Kommission hingewiesen . Nach dessen Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a konnte der Steuerpflichtige von der von ihm geschuldeten Steuer absetzen

"die Mehrwertsteuer, die ihm für an ihn gelieferte Gegenstände und an ihn erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt wird ".

Der Rat habe den Ausdruck der "in Rechnung gestellten Steuer" durch denjenigen der "geschuldeten oder entrichteten Steuer" ersetzt und die Worte "von einem anderen Steuerpflichtigen" hinzugefügt . Hiermit habe er alle die Fälle ausschließen wollen, in denen die Steuer ausschließlich deshalb geschuldet werde, weil sie in der Rechnung ausgewiesen sei .

8 . Natürlich kann dies die Absicht des Rates oder zumindest die einiger seiner Mitglieder gewesen sein . Dies ändert aber nichts daran, daß nach Artikel 21 die Mehrwertsteuer jede Person schuldet, die die Steuer in einer Rechnung ausweist . Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a bezieht sich aber gerade auf eine geschuldete oder entrichtete Steuer, und ich meine, der Gerichtshof hat die Richtlinie nach ihrem Wortlaut und nicht danach auszulegen, was nach Ansicht des einen oder anderen Mitgliedstaats die wirkliche Absicht des Rates gewesen sein konnte .

9 . Die spanische Regierung macht geltend, nach Artikel 17 Absatz 1 entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug dann, wenn der Anspruch auf die abzugsfähige Steuer entstehe . Daraus leitet sie her, daß die Steuern, auf die kein Anspruch gegen den Steuerpflichtigen, der sie abwälze, bestehe, nicht zu einem Vorsteuerabzug führen könnten . Diese Steuerpflichtigen schuldeten nur die nach dem geltenden Recht geschuldeten Beträge .

10 . Artikel 21 der Richtlinie trägt aber die Überschrift "Steuerschuldner gegenüber dem Fiskus", und Absatz 1 Buchstabe c sieht vor, daß jede Person die Mehrwertsteuer schuldet, die sie in einer Rechnung ausweist . Ein Steuerpflichtiger, der einen solchen Ausweis vornimmt, schuldet also die Steuer tatsächlich auch dann, wenn sie nicht gesetzlich geschuldet wird .

11 . Im übrigen bestimmt Artikel 10 Absatz 1 :

"Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a)Steuertatbestand : der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b ) Steueranspruch : der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann ..."

Absatz 2 dieser Vorschrift lautet wie folgt :

"Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird ."

12 . Jede in einer Rechnung ausgewiesene Steuer, auch wenn sie nicht gesetzlich geschuldet wird, begründet demgemäß den Steueranspruch zu dem Zeitpunkt, zu dem der Umsatz bewirkt wird, auf den sie sich bezieht .

13 . Die Regierungen, die sich am Verfahren beteiligt haben, haben ferner Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a angeführt, wonach der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen muß . Die letztgenannte Vorschrift bestimmt in Buchstabe b :

"Die Rechnung muß getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen ."

14 . Ich meine jedoch, daß diese Vorschrift eine "lex generalis" darstellt, von der die "lex specialis" des Artikels 21 Absatz 1 Buchstabe c abweicht . Grundsätzlich muß jede Rechnung den Betrag ausweisen, der genau dem für die betreffende Ware oder Dienstleistung geltenden Steuersatz entspricht . Wird diese Regel aber nicht eingehalten und steht ein nicht gesetzlich geschuldeter oder falscher Betrag auf der Rechnung, so wird die Person, die die Rechnung ausgestellt hat, gleichwohl, und zwar nach Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c, zum Schuldner des von ihr tatsächlich ausgewiesenen Betrags, und dieser Betrag kann dann vom Steuerpflichtigen, dem die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wurde, als Vorsteuer abgezogen werden .

15 . Die niederländische Regierung meint ebenfalls, daß allein eine "tatsächlich geschuldete" Steuer als Vorsteuer abgezogen werden könne; sie vertritt jedoch unter Berufung auf die in den Niederlanden entwickelte Praxis einen weniger radikalen Standpunkt als die übrigen Regierungen, die sich am Verfahren beteiligt haben . Nach dieser Praxis "(( wendet sich )) zunächst ... die Steuerverwaltung an denjenigen, der zu Unrecht die Umsatzsteuer in der Rechnung ausgewiesen hat . Nur wenn dieses Vorgehen keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, wird unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel, wenn der Empfänger der Rechnung nicht gutgläubig ist, die als Vorsteuer abgezogene Steuer auch von diesem nacherhoben . Diese Verfahrensweise beruht auf Grundsätzen einer ordnungsgemässen Verwaltung ."

16 . Die niederländische Regierung weist uns hiermit den Weg zur Lösung des Problems . Aus Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c ergibt sich eindeutig, daß jede in einer Rechnung ausgewiesene Steuer dem Fiskus geschuldet wird . Es ist daher logisch, sie zunächst bei dem einzufordern, der die Rechnung ausgestellt hat . Kann der in dieser Weise geschuldete Betrag wiedereingezogen werden, besteht kein Grund mehr, ihn ein zweites Mal bei dem zu erheben, dem die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht worden ist ( im folgenden : der zweite Steuerpflichtige ).

17 . Falls der erste Steuerpflichtige die Steuer nicht von sich aus entrichtet hat oder diese bei ihm nicht wiedereingezogen werden kann, ist meines Erachtens wie folgt zu unterscheiden :

a ) Hat der zweite Steuerpflichtige die Steuer auch nicht an den Lieferanten oder Dienstleistungserbringer gezahlt, besteht eine starke Vermutung für ein betrügerisches Zusammenwirken, und das rechtfertigt es voll und ganz, daß die Verwaltung die Zahlung der Steuer von diesem zweiten Steuerpflichtigen einfordert und so dem von ihm vorgenommenen Vorsteuerabzug die Wirkung nimmt .

b ) Stellt sich hingegen heraus, daß der zweite Steuerpflichtige tatsächlich den fraglichen Betrag an den ersten Steuerpflichtigen gezahlt hat, dürfte es den Steuerbehörden nicht möglich sein, den Vorsteuerabzug durch Einforderung dieses Betrags beim zweiten Steuerpflichtigen aufzuheben .

18 . Würden in diesem Fall beide Steuerpflichtige als für die Entrichtung der Steuer gesamtschuldnerisch haftend behandelt, und zwar ohne daß eine Vorschrift eine solche Gesamtschuld bestimmt, so stuende dies nicht in Einklang mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Billigkeit . Nach Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben a und b können die Mitgliedstaaten eine darartige gesamtschuldnerische Haftung für den Fall bestimmen, daß der Steuerpflichtige, der einen steuerpflichtigen Umsatz bewirkt, im Ausland ansässig ist; Buchstabe c sieht jedoch dergleichen nicht vor .

19 . Wenn man im übrigen in einem derartigen Fall das Recht auf Vorsteuerabzug verneinte, könnte man dieses Recht auch immer dann verneinen, wenn der erste Steuerpflichtige es unterlassen hat, einen gesetzlich geschuldeten und richtig berechneten Betrag an den Fiskus abzuführen .

20 . Die Begründung einer derartigen Gesamtschuld würde zudem darauf hinauslaufen, sämtlichen Wirtschaftsteilnehmern eine völlig überzogene Sorgfaltspflicht aufzuerlegen; denn lässt sich vorstellen, daß alle Unternehmen die Richtigkeit jedes Mehrwertsteuerbetrags überprüfen können, der in den zahllosen Rechnungen ausgewiesen ist, die sie im Laufe eines Jahres von ihren Lieferanten erhalten?

21 . Ganz wie die Kommission und die Klägerin des Ausgangsverfahrens bin ich ausserdem der Ansicht, daß es dem Aufbau und dem Ziel der Sechsten Richtlinie widersprechen würde, wenn der Vorsteuerabzug in dem uns beschäftigenden Fall versagt würde . Der Zweck des Mehrwertsteuersystems besteht nämlich darin, für eine neutrale Steuer zu sorgen, insbesondere damit die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht werden . Daher geht es im wesentlichen darum, eine doppelte Besteuerung ein und desselben "Mehrwerts" zu vermeiden . Daraus folgt, daß das Recht auf Vorsteuerabzug immer dann bejaht werden muß, wenn die Steuer zu entrichten ist, was dann der Fall ist, wenn sie - auch ohne Bestehen einer Steuerschuld - in einer Rechnung ausgewiesen ist .

22 . Der Gerichtshof hat im übrigen in seiner Rechtsprechung auf die Bedeutung dieser Erwägungen hingewiesen, indem er folgendes ausgeführt hat :

"der Unternehmer (( soll )) durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden ... Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, daß alle wirtschaftlichen Tätigkeiten ... in völlig neutraler Weise steuerlich belastet werden ." ( 1 )

23 . Das Urteil in der Rechtssache Schul I ( 2 ) scheint mir noch aufschlußreicher zu sein, denn dort heisst es :

"bei allen Umsätzen (( wird )) die Mehrwertsteuer nur abzueglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente (( der Gegenstände oder der Dienstleistungen )) unmittelbar belastet hat ."

24 . Hieraus ergibt sich, daß darauf abzustellen ist, ob der zweite Steuerpflichtige tatsächlich die Mehrwertsteuer an den ersten Steuerpflichtigen gezahlt hat . Ist das der Fall, kann er sie auch dann als Vorsteuer abziehen, wenn sie ihm zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde .

25 . In Ihrem Urteil vom 21 . September 1988 in der Rechtssache 50/87 ( Kommission/Französische Republik, Slg . 1988, 4797 ) sahen Sie sich ferner zu folgenden Ausführungen veranlasst :

"in Ermangelung von Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, das den Steuerpflichtigen eingeräumte Recht auf Vorsteuerabzug einzuschränken, (( muß )) die Ausübung dieses Rechts sich unmittelbar auf sämtliche Steuern beziehen ..., mit denen die bewirkten Umsätze bereits vorher belastet wurden . Derartige Einschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug wirken sich auf die Höhe der steuerlichen Belastung aus und müssen in gleichartiger Weise für alle Mitgliedstaaten gelten . Daher sind Ausnahmen nur in den in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Fällen zugelassen" ( Randnrn . 16 und 17 des Urteils ).

In der Richtlinie findet sich aber keine Bestimmung, wonach ein Betrag, der ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil er in der Rechnung ausgewiesen ist, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt .

26 . Was schließlich die Notwendigkeit anbelangt, Steuerhinterziehungen zu verhüten, so haben Sie in der Randnummer 22 desselben Urteils ausgeführt, daß eine solche Notwendigkeit Maßnahmen, die von der Richtlinie abweichen, nur im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 27 der Richtlinie rechtfertigen kann .

27 . Daher halte ich die Einwände der Regierungen, die sich am Verfahren beteiligt haben, nicht für überzeugend und meine, daß sich das in der Sechsten Richtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug auch auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist, ausser es kann nachgewiesen werden, daß der fragliche Betrag nicht an den Steuerpflichtigen gezahlt wurde, der diese Rechnung ausgestellt hat .

Zur zweiten Frage

28 . Für den Fall, daß seine erste Frage bejaht wird, fragt uns der Hoge Raad weiter, ob die Richtlinie es den Mitgliedstaaten ermöglicht, das Recht auf Abzug dieser Steuer dadurch - entweder ganz oder nur in besonderen Fällen - auszuschließen, daß an die Rechnung Anforderungen gestellt werden .

29 . Aus Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a ergibt sich, daß der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen muß . Nach Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b muß die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen .

30 . Wie Sie in Ihrem Urteil Jeunehomme vom 14 . Juli 1988 ( 3 ) ausgeführt haben, verlangt die Richtlinie nur, daß die Rechnung bestimmte Angaben enthält; die Mitgliedstaaten können aber zusätzliche Angaben verlangen . Artikel 22 Absatz 8 bestimmt nämlich :

"die Mitgliedstaaten (( können )) weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden ."

31 . Im Tenor dieses Urteils haben Sie für Recht erkannt :

"Die Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a und 22 Absatz 3 Buchstaben a und b der Sechsten Richtlinie 77/388 des Rates vom 17 . Mai 1977 erlauben es den Mitgliedstaaten, die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug vom Besitz einer Rechnung abhängig zu machen, die bestimmte Angaben enthalten muß, die für die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Kontrolle durch die Finanzverwaltung erforderlich sind . Solche Angaben dürfen nicht durch ihre Anzahl oder ihre technischen Anforderungen die Ausübung des Abzugsrechts praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren ."

32 . Im Ausgangsverfahren geht es, genau genommen, nicht um zusätzliche Angaben, sondern um folgende Erfordernisse :

33 . Nach Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe g der niederländischen Wet op de omzetbelasting ( Umsatzsteuergesetz ) von 1968 muß die vom Unternehmer auszustellende Rechnung hinsichtlich seiner Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen an einen anderen Unternehmer deutlich angeben

"den Betrag der für die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung geschuldeten Steuer . Es ist nicht erlaubt, einen anderen Steuerbetrag anzugeben ."

34 . Des weiteren sieht Artikel 24 b des Uitvöringsbesluit omzetbelasting ( Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung ) 1968 vor, daß die Erhebung der Mehrwertsteuer im Falle eines Subunternehmerverhältnisses von dem die Leistung erbringenden Subunternehmer auf den die Leistung abnehmenden ( Haupt-)Unternehmer verlagert wird . Der Subunternehmer darf in seiner Rechnung keinen Mehrwertsteuerbetrag ausweisen; statt dessen muß er die Worte "Mehrwertsteuer verlagert" auf die Rechnung setzen .

35 . Aus den niederländischen Rechtsvorschriften geht im übrigen hervor, daß ein Unternehmer, wenn ihm eine Rechnung überreicht wird, die gegen die eine oder andere der söben wiedergegebenen Bestimmungen verstösst, nicht berechtigt ist, den zu Unrecht in der Rechnung ausgewiesenen Betrag als Vorsteuer abzuziehen, da die Rechnung nicht in der vorgeschriebenen Weise ausgestellt wurde, und zwar ungeachtet dessen, daß auch derjenige diesen Betrag dem Fiskus schuldet, der ihn in der Rechnung ausweist .

36 . Untersuchen wir nun nacheinander die allgemeine Regelung und die sogenannte Verlagerungsregelung .

37 . a ) Zu dem Verbot, in einer Rechnung einen anderen als den gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuerbetrag auszuweisen, möchte ich folgendes bemerken :

38 . Meiner Ansicht nach kann, selbst wenn diese Verpflichtung nicht eingehalten wurde, nicht zugelassen werden, daß ein Mitgliedstaat dem Unternehmer sein Recht auf Vorsteuerabzug dadurch nimmt, daß er sich auf das formale Argument beruft, die Rechnung entspreche nicht den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Rechnungsausstellung .

39 . Ich meine, daß die Verpflichtung, keinen anderen als den gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuerbetrag auszuweisen, keine der "weiteren Pflichten" darstellt, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Absatz 8 vorsehen können, um die richtige Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen . Vielmehr handelt es sich dabei um eine Verpflichtung, die zwar in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen ist, sich aber stillschweigend aus ihr ergibt .

40 . Zudem hat die Richtlinie bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtung bereits eine Sanktion vorgesehen : Nach Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c schuldet nämlich jede Person die Mehrwertsteuer, die sie ( auch zu Unrecht ) in einer Rechnung ausweist .

41 . Im übrigen habe ich im Zusammenhang mit der Beantwortung der ersten Frage bereits festgestellt, daß das Recht auf Vorsteuerabzug sich auch auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist .

42 . Es ist deshalb auch nicht vorstellbar, daß die Mitgliedstaaten von einem so fundamentalen Grundsatz der Sechsten Richtlinie wie dem des Rechts auf Vorsteuerabzug in der Weise abweichen können, daß sie sich auf ein Erfordernis ihres innerstaatlichen Rechts berufen, wonach eine Rechnung den genauen Betrag der gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer unter Ausschluß jedes anderen Betrags ausweisen muß .

43 . b ) Kommen wir nun zur Verlagerungsregelung . Diese konnte nur aufgrund einer vom Rat ( 4 ) gemäß Artikel 27 der Sechsten Richtlinie genehmigten Abweichung von dieser Richtlinie in den Niederlanden eingeführt werden .

44 . Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift lautet wie folgt :

"Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten ."

45 . Die grundlegende Bestimmung der Verlagerungsregelung weicht deutlich von einem der fundamentalen Grundsätze der Sechsten Richtlinie, nämlich demjenigen, wonach die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen muß . Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Steuerbefreiung, sondern um eine Verlagerung der Mehrwertsteuer in der Weise, daß wir es tatsächlich mit einer Abweichung von dieser Vorschrift zu tun haben .

46 . Nach meiner Auffassung stellt aber eine von der Sechsten Richtlinie abweichende Regelung, die vom Rat genehmigt wird, notwendigerweise ein Ganzes dar . Die Regelung der Verlagerung der Mehrwertsteuer zielt auf die Verhütung bestimmter Steuerhinterziehungen ab . Damit diese Regelung ihren Zweck erreichen kann, muß der Hauptunternehmer jeden seiner Subunternehmer kontrollieren und darf von ihnen nur die Rechnungen annehmen, die den Ausweis "Mehrwertsteuer verlagert" tragen . Durch das Verbot, eine in einer solchen Rechnung zu Unrecht ausgewiesene Steuer als Vorsteuer abzuziehen, soll der Unternehmer zur Wachsamkeit gezwungen werden . Deshalb stellt dieses Verbot einen wesentlichen Bestandteil dieser Sonderregelung dar . Diese zweite Abweichung von den Grundsätzen der Richtlinie muß mithin auch als von der Genehmigung des Rates umfasst angesehen werden .

Ergebnis

47 . Aufgrund all dieser Erwägungen schlage ich vor, die Fragen des Hoge Raad wie folgt zu beantworten :

"1)Das in der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich auch auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist, es sei denn, es kann nachgewiesen werden, daß der fragliche Betrag nicht an den Steuerpflichtigen gezahlt wurde, der diese Rechnung ausgestellt hat .

2 ) Die Sechste Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten nicht, das Recht auf Vorsteuerabzug der Mehrwertsteuer mittels eines Erfordernisses auszuschließen, wonach die Rechnung den genauen Betrag der gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer unter Ausschluß jedes anderen Betrags ausweisen muß ."

Anders verhält es sich, wenn ein Mitgliedstaat vom Rat aufgrund des Artikels 27 der Richtlinie ermächtigt worden ist, eine von der Richtlinie abweichende Regelung anzuwenden, die den Ausweis eines Mehrwertsteuerbetrags in der Rechnung verbietet und das Recht auf Vorsteuerabzug ausschließt, wenn gegen dieses Verbot verstossen wird .

(*) Originalsprache : Französisch .

( 1 ) Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg . 1985, 655, Randnr . 19 .

( 2 ) Rechtssache 15/81, G . Schul/Inspecteur der invoerrechten en accijnzen, Slg . 1982, 1409, Randnr . 10 .

( 3 ) Verbundene Rechtssachen 123 und 330/87, Léa Jeunehomme und Société anonyme d' Étude et de Gestion Immobilière "EGI"/Belgischer Staat, Slg . 1988, 4517 .

( 4 ) ABl . C 197 vom 31.7.1982, S . 1 .