Schlüsselwörter
Leitsätze

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1 . Wettbewerb - Kartelle - Bilaterale oder multilaterale Tarifvereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen - Nichtigkeit - Voraussetzungen

( EWG-Vertrag, Artikel 85, 88 und 89; Verordnung Nr . 3975/87 des Rates, Artikel 5 )

2 . Wettbewerb - Beherrschende Stellung - Mißbräuchliche Ausnutzung - Absolutes Verbot - Anwendung der Übergangsvorschriften der Artikel 88 und 89 EWG-Vertrag - Keine Auswirkung

( EWG-Vertrag, Artikel 85 bis 89 )

3 . Wettbewerb - Kartelle - Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Begriff - Vereinbarungen zwischen einer Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften ohne wirkliche kommerzielle Autonomie - Ausschluß

( EWG-Vertrag, Artikel 85 )

4 . Wettbewerb - Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften - Gleichzeitige Anwendung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag - Zulässigkeit - Von einem Unternehmen in beherrschender Stellung aufgezwungene Tarifvereinbarungen

( EWG-Vertrag, Artikel 85 und 86 )

5 . Wettbewerb - Beherrschende Stellung - Mißbräuchliche Ausnutzung - Anwendung von Flugtarifen, die durch Vereinbarung zwischen Unternehmen festgelegt worden sind - Beurteilungskriterien

( EWG-Vertrag, Artikel 86 )

6 . Wettbewerb - Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften - Verpflichtungen der Mitgliedstaaten - Genehmigung von vertragswidrigen Tarifvereinbarungen - Unvereinbarkeit

( EWG-Vertrag, Artikel 5, 85, 86 und 90 Absatz 1 )

7 . Wettbewerb - Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlicher Interesse betraut sind - Bedienung von Fluglinien - Beschränkung der Wirkungen der Wettbewerbsregeln - Zulässigkeit - Voraussetzungen

( EWG-Vertrag, Artikel 90 Absatz 2 )

Leitsätze

1 . Bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen über Fluglinientarife sind nach Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag nichtig,

- soweit es sich um Tarife für Flüge zwischen Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen einem solchen Flughafen und einem Flughafen eines Drittlandes handelt, wenn entweder die Behörden des Mitgliedstaats, in dem eines der beteiligten Luftfahrtunternehmen seinen Sitz hat, nach Artikel 88 oder die Kommission nach Artikel 89 die Unvereinbarkeit der Vereinbarung mit Artikel 85 festgestellt haben;

- soweit es sich um Tarife für internationale Flüge zwischen Flughäfen der Gemeinschaft handelt, wenn bei der Kommission kein Antrag nach Artikel 5 der Verordnung Nr . 3975/87 auf Freistellung der Vereinbarung vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 gestellt worden ist oder wenn ein solcher Antrag zwar gestellt worden ist, aber innerhalb von 90 Tagen nach Veröffentlichung des Antrags im Amtsblatt zu einer negativen Reaktion der Kommission geführt hat, oder wenn die Frist von 90 Tagen zwar ohne Reaktion der Kommission verstrichen ist, aber die in Artikel 5 vorgesehene sechsjährige Geltungsdauer der Freistellung abgelaufen ist oder die Kommission die Freistellung innerhalb dieses Zeitraums aufgehoben hat .

2 . Der einzige Grund für die weitere Anwendung der Übergangsvorschriften der Artikel 88 und 89 EWG-Vertrag liegt darin, daß Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt werden können und daß die Wettbewerbspolitik durch die Bewilligung oder Ablehnung derartiger Freistellungen gestaltet wird, über die die für zuständig erklärten Stellen nach den aufgrund von Artikel 87 erlassenen Durchführungsbestimmungen entscheiden . Dagegen kann für die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung keine wie auch immer geartete Freistellung gewährt werden; ein solches Verhalten ist nach dem Vertrag schlichtweg verboten, und je nach Fallgestaltung haben die zuständigen nationalen Behörden oder aber die Kommission aus diesem Verbot im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Konsequenzen zu ziehen . Das Verbot des Artikels 86 EWG-Vertrag gilt daher uneingeschränkt für den ganzen Luftfahrtsektor .

3 . Artikel 85 EWG-Vertrag gilt nicht für abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen, die als Mutter - und Tochtergesellschaft ein und demselben Konzern angehören, vorausgesetzt, daß die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen kann .

4 . Die Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag können nebeneinander anwendbar sein, wenn eine Tarifvereinbarung zwischen zwei oder mehr Unternehmen lediglich die formelle Bestätigung einer wirtschaftlichen Realität darstellt, die dadurch gekennzeichnet ist, daß es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, die Anwendung der fraglichen Tarife durch andere Unternehmen durchzusetzen .

5 . Die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen ergeben, kann unter bestimmten Umständen eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem fraglichen Markt darstellen, und zwar insbesondere dann, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, anderen Verkehrsunternehmen die Anwendung überhöhter oder übermässig niedriger Tarife oder aber die Anwendung eines einzigen Tarifs auf einer bestimmten Linie aufzuzwingen .

6 . Zwar betreffen die Wettbewerbsregeln der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag das Verhalten von Unternehmen und nicht die von den Behörden der Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen . Gleichwohl verpflichtet Artikel 5 EWG-Vertrag aber auch letztere, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmungen ausschalten könnten . Ein solcher Fall ist insbesondere gegeben, wenn ein Mitgliedstaat Artikel 85 zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt .

Hieraus ergibt sich, daß die Genehmigung von gegen Artikel 85 Absatz 1 verstossenden Tarifvereinbarungen durch die Luftverkehrsbehörden mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 5 EWG-Vertrag, nicht vereinbar ist und daß die Luftverkehrsbehörden alles zu unterlassen haben, was als Ermutigung der Luftfahrtunternehmen zum Abschluß von solchen gegen den Vertrag verstossenden Tarifvereinbarungen angesehen werden könnte .

Für Fluglinientarife im besonderen wird diese Auslegung des Vertrags durch Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag bestätigt, wonach die nationalen Behörden in bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, wie etwa das Recht, allein oder gemeinsam mit einem oder zwei anderen Unternehmen eine Strecke zu befliegen, keine mit den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag unvereinbaren Maßnahmen treffen oder beibehalten dürfen . Ausserdem wird in den Begründungserwägungen der Verordnungen Nrn . 3975/87 und 3976/87 des Rates klargestellt, daß diese Verordnungen die Anwendung des Artikels 90 EWG-Vertrag nicht berühren .

7 . Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag kann auf Verkehrsunternehmen Anwendung finden, die durch Hoheitsakt dazu verpflichtet worden sind, Linien zu bedienen, die zwar aus kommerzieller Sicht nicht rentabel sind, deren Bedienung aber aus Gründen des allgemeinen Interesses erforderlich ist . Die Wirkung der Wettbewerbsregeln kann aber nur dann gemäß dieser Vorschrift durch die Erfordernisse beschränkt werden, die sich aus der Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe ergeben, wenn die für die Genehmigung von Tarifen zuständigen nationalen Behörden wie auch die mit Rechtsstreitigkeiten hierüber befassten Gerichte feststellen können, um welche Erfordernisse es sich dabei genau handelt und wie sich diese auf die Struktur der von den betroffenen Luftfahrtunternehmen angewandten Tarife auswirken .