SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIR GORDON SLYNN

vom 10. Juni 1987 ( *1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Der Gerichtshof ist mit dieser Rechtssache aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Efeteio Athen befaßt. Es ist dies das erste Vorabentscheidungsersuchen, das ein griechisches Gericht an den Gerichtshof richtet.

Mit Vertrag vom 22. April 1982 vereinbarte die griechische Gesellschaft Ioannis Theodorakis Biomichania Elaiou AE, die ich im folgenden als Firma Theodorakis bezeichnen werde, mit dem polnischen Staatsunternehmen Agros Bohdanowicz, diesem 100 Tonnen raffiniertes Olivenkernöl der Ernte 1981/82 zu einem Preis fob oder fot zu verkaufen. Die Abnahme sollte bis zum 31. August 1982 spätestens in Griechenland erfolgen.

Es wurde Zahlung gegen Dokumente vereinbart, zu denen eine Erklärung gehörte, daß die Waren in Übereinstimmung mit den Weisungen von C. Hartwig in Danzig verschifft worden waren. Der Vertrag enthielt eine Schiedsklausel, nach der für Streitigkeiten aus dem Vertrag das Schiedsgericht der Polnischen Handelskammer zuständig sein sollte.

Nach der Verordnung (EWG) Nr. 3183/80 der Kommission vom 3. Dezember 1980 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen sowie Vorausfestsetzungsbescheinigungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. 1980, L 338, S. 1) war für dieses Geschäft eine Ausfuhrlizenz erforderlich. Diese Lizenz wurde auch vom griechischen Landwirtschaftsministerium erteilt, nachdem am 23. April 1982 ein Bürgschaftsbrief der Nationalbank von Griechenland über 310000 DR beim Ministerium hinterlegt worden war.

Obwohl dies nicht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Vertragsdokumenten hervorgeht, scheint zwischen den Parteien vereinbart worden zu sein, daß ein Vertreter des Käufers nach Griechenland kommen sollte, um die Ware abzunehmen oder jedenfalls entsprechende Weisungen zu erteilen. Die Ankunft des Vertreters wurde jedoch zunächst verschoben. Obwohl die Firma Theodorakis per Telegramm und Fernschreiben mehrfach um Weisungen bat, erschien der Vertreter schließlich überhaupt nicht.

Die Firma Theodorakis behauptet, sie habe am 30. oder 31. August eine Verlängerung ihrer Ausfuhrlizenz bis zum 31. Dezember 1982 beantragt und erhalten. Aus der Kopie der Lizenz, die die Kommission dem Gerichtshof vorgelegt hat, geht eine solche Verlängerung nicht hervor, und die griechischen Behörden bestreiten, daß eine Verlängerung über den 31. August 1982 hinaus erfolgt sei.

Die Firma Agros teilte schließlich mit Fernschreiben vom 9. Dezember 1982 mit, daß sie die gesamte Menge nicht im Dezember abnehmen könne, woraufhin die Firma Theodorakis das Vertragsverhältnis als beendet ansah.

Am 19. Februar 1983 beantragte die Firma Theodorakis beim Ministerium die Freigabe ihres Bürgschaftsbriefs. Mit Bescheid vom13. April 1983 erklärte das Ministerium die Kaution in Höhe von 297400 DR nebst 3569 DR an Steuern, insgesamt also 300969 DR, für verfallen.

Mit Schreiben vom 5. September 1983 wies das Ministerium die Nationalbank an, diesen Betrag zu hinterlegen, weil die Firma Theodorakis ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei; der Betrag wurde am 19. September 1983 gezahlt.

Am 1. Dezember 1983 erhob die Firma Theodorakis Klage vor dem zuständigen griechischen Gericht mit dem Antrag, den Staat zu verurteilen, 300969 DR an sie zu zahlen; sie machte geltend, die griechischen Behörden hätten die Kaution zu Unrecht für verfallen erklärt. Hilfsweise stützte sie sich auf eine Reihe von Gesichtspunkten des griechischen Rechts, wie etwa das Fehlen einer Hauptschuld und eine ungerechtfertigte Bereicherung des Staats, falls dieser Betrag nicht zurückgezahlt werde.

Das Gericht erster Instanz wies die Klage unter Zurückweisung der ersten beiden Klagegründe ab, weil nach den einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 3183/80 die von den griechischen Behörden ausgestellte Ausfuhrlizenz nur im Falle höherer Gewalt aufgehoben werden könne, auf die sich die Firma Theodorakis jedoch in ihrer Klageschrift nicht berufen habe. Das Gericht wies auch den Klagegrund einer ungerechtfertigten Bereicherung mit der Begründung zurück, daß die Kaution in Übereinstimmung mit der EWG-Verordnung rechtmäßig gestellt worden sei.

Die Firma Theodorakis legte daraufhin Rechtsmittel zum Efeteio ein mit der Begründung, die einschlägigen Bestimmungen seien fehlerhaft ausgelegt und angewandt worden. Die in der Klageschrift dargelegten Umstände, nämlich die Tatsache, daß der polnische Käufer das Öl nicht in Griechenland abgenommen habe, stellten einen Fall höherer Gewalt dar. Das Rechtsmittelgericht war der Ansicht, daß es auf die Frage ankomme, ob diese Umstände als höhere Gewalt in Sinne der Bestimmungen der Verordnung, insbesondere der Artikel 36 und 37, anzusehen seien.

Demgemäß hat es den Gerichtshof mit Beschluß, der am 7. Mai 1986 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag um Vorabentscheidung der folgenden Frage ersucht:

„Stellen die in der Klageschrift vom 1. Dezember 1983 angeführten tatsächlichen Umstände für die Aufhebung der dort erwähnten Ausfuhrlizenz der Außenmarktabteilung des griechischen Landwirtschaftsministeriums und für die Freigabe der von der Klägerin gestellten Kaution höhere Gewalt im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 3183/80 der Kommission vom 3. Dezember 1980, insbesondere ihrer Artikel 36 und 37, dar?“

Die Vorlagefrage geht im wesentlichen dahin, ob der in der Verordnung gebrauchte Begriff der höheren Gewalt den Fall einschließt, daß der Käufer die Ware nicht abnimmt oder keine entsprechenden Weisungen erteilt.

In ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof hat die Firma Theodorakis den Gerichtshof ersucht, zu entscheiden, daß die Nichtdurchführung des Ausfuhrgeschäfts nicht auf ein Fehlverhalten ihrerseits zurückzuführen sei und demgemäß einen Fall höherer Gewalt darstelle.

Die Kommission vertritt in ihren Erklärungen auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache 284/82 (Busseni/Kommission, Slg. 1984, 557) die Ansicht, es könne nicht als höhere Gewalt angesehen werden, daß der Vertrag wegen der Nichtabnahme der Ware durch den Käufer nicht durchgeführt worden sei. Eine solche Lage sei im Rahmen von Handelsgeschäften sehr wohl vorhersehbar und stelle ein übliches geschäftliches Risiko dar.

Der Gerichtshof hat entschieden, daß der Begriff der höheren Gewalt in den verschiedenen Rechtsgebieten und Anwendungsbereichen einen unterschiedlichen Inhalt haben kann, so daß seine Bedeutung nach dem rechtlichen Rahmen zu bestimmen ist, in dem er jeweils seine Wirkung entfalten soll (Rechtssache 158/73, Kampffmeyer/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide, Slg. 1974, 101). In diesem Urteil heißt es auch, daß der Begriff nicht auf Fälle absoluter Unmöglichkeit beschränkt ist. In der Rechtssache Busseni, auf die die Kommission verwiesen hat, hat der Gerichtshof festgestellt, daß sich der Begriff der höheren Gewalt, abgesehen von Besonderheiten in spezifischen Bereichen, im wesentlichen auf sachfremde Umstände bezieht, die den Eintritt des fraglichen Ereignisses unmöglich machen. Weiter hat der Gerichtshof dort ausgeführt: „Auch wenn er keine absolute Unmöglichkeit voraussetzt, so verlangt er doch, daß es sich um ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Schwierigkeiten handelt, die selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen.“

In jüngerer Zeit hat der Gerichtshof in Anknüpfung an das Urteil in der Rechtssache 42/79 (Milch-, Fett- und Eierkontor GmbH/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1979, 3703) in Fällen, in denen es um eine Agrarverordnung über Butter ging, entschieden, daß „der Begriff der höheren Gewalt... als eine absolute Unmöglichkeit zu verstehen ist, die auf außergewöhnlichen, außerhalb des Einflußbereichs des Erwerbers der Lagerbutter liegenden Umständen beruht und deren Folgen trotz aller Sorgfalt nur unter unverhältnismäßigen Opfern hätten vermieden werden können“ (Urteile vom 1. Oktober 1985 in der Rechtssache 125/83, Office beige de l'économie et de l'agriculture/Nicolas Corman et fils SA, Slg. 1985, 3039, und vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 20/84, De Jong NV/Voedselvoorzienings in- en verkoopbureau, Slg. 1985, 2061).

Nach meiner Ansicht besteht das Wesen der höheren Gewalt im Zusammenhang mit einem Vertrag darin, daß ein unvorhersehbares Ereignis eintritt, das die Durchführung des Vertrags verhindert, das völlig außerhalb des Einflußbereichs der Parteien liegt und dessen Folgen die Parteien nicht oder nicht in zumutbarer Weise verhindern können.

Im Rahmen der Verordnung Nr. 3183/80 ist darzutun, daß die Ein- oder Ausfuhr während der Gültigkeitsdauer der Lizenz nicht durchgeführt werden kann. Im Fall einer Ein- oder Ausfuhr aufgrund eines Vertrags ist meines Erachtens ein Kriterium anzuwenden, wie es auch im Vertragsrecht gilt. Es muß sich mit andern Worten um ein unvorhersehbares Ereignis handeln, das außerhalb des Einflußbereichs der Parteien des Ein- oder Ausfuhrgeschäfts liegt, dessen Folgen die Parteien nicht oder nicht in zumutbarer Weise verhindern können und das die Ein- oder Ausfuhr verhindert.

Man kann sagen, daß dem Verkäufer in einem Fall wie dem Vorliegenden keinerlei Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Andererseits ist die Nichtabnahme der Ware oder die Nichterteilung von entsprechenden Weisungen allein kein solches Ereignis, wie ich es beschrieben habe, und erfüllt meiner Ansicht nach nicht den Begriff der höheren Gewalt im Sinne der Verordnung.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin in der vorliegenden Rechtssache genügt es nicht, daß ein Verkäufer, dem kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist, dartut, daß die Ausfuhr wegen einer Vertragsverletzung des Käufers nicht erfolgt ist. Ich bin mit der Kommission der Auffassung, daß eine solche Vertragsverletzung nicht unvorhersehbar im Sinne des Begriffs der höheren Gewalt ist, sondern ein gewöhnliches geschäftliches Risiko darstellt, das, falls es eintritt, dem Verkäufer die Möglichkeit geben kann, vom Verkäufer Schadensersatz zu verlangen oder in anderer Weise gegen ihn vorzugehen.

Kann ein Käufer im Einzelfall nachweisen, daß die Nichterteilung von Weisungen für die Abnahme oder die Nichtabnahme auf ein unabhängiges Ereignis höherer Gewalt zurückzuführen war, mag sich die Frage anders stellen. Aus meiner Sicht ist das nicht der Fall. Weder dem Vorlagebeschluß noch irgendeinem anderen Dokument läßt sich entnehmen, daß etwas anderes vorgebracht worden wäre, als daß dem Verkäufer kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei und daß der Käufer die Ware nicht abgenommen habe. Meiner Ansicht nach genügt das nicht.

Ob die nach den Artikeln 36 und 37 der Verordnung erforderlichen Verfahrensschritte unternommen worden sind, erscheint zweifelhaft, denn offensichtlich hat die Firma Theodorakis bei der zuständigen Stelle nicht nach Artikel 36 Absatz 4 eine Entscheidung darüber beantragt, ob ein Fall höherer Gewalt vorlag. Die Frage wurde offensichtlich auch in der Klageschrift an das Gericht erster Instanz nicht aufgeworfen. Dies sind jedoch Fragen, die das innerstaatliche Gericht und nicht der Gerichtshof zu entscheiden hat.

Demgemäß ist die Frage des Efeteio Athen meiner Ansicht nach dahin gehend zu beantworten, daß der Umstand, daß ein Käufer im Rahmen eines unter die Verordnung Nr. 3183/80 fallenden Ausfuhrvertrags Ware nicht abnimmt oder keine entsprechenden Weisungen erteilt, für sich genommen keinen Fall höherer Gewalt im Sinne dieser Verordnung darstellen kann.

Die Auslagen der Kommission sind nicht erstattungsfähig, und die Entscheidung über die Kosten der Parteien des Ausgangsverfahrens ist Sache des vorlegenden Gerichts.


( *1 ) Aus dem Englischen übersetzt.