SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

CARL OTTO LENZ

vom 11. Juli 1985

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

A.

1.

In dem Verfahren, zu dem ich heute Stellung nehme, geht es um Teilaspekte der Regelung des Artikels 86 EWG-Vertrag, also um Fragen der mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Ihm liegt folgender Sachverhalt zugrunde :

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, das Centre belge d'études de marché SA — Télémarketing, ist eine 1958 gegründete Handelsgesellschaft, die sich seit 1978 mit Techniken des Telemarketing beschäftigt. Telemarketing ist eine Werbetechnik, bei der ein Werbender über den gewählten Träger — im vorliegenden Fall das Fernsehen — bei einer Werbesendung eine Telefonnummer bekanntgeben läßt, über die der Werbeadressat Auskünfte über die Ware erhalten oder in anderer Weise an der Werbekampagne teilnehmen kann. Der Kläger führte 1982 die erste nach Belgien gerichtete Tele-marketing-Maßnahme im RTL-Fernsehen durch, das von der Beklagten Nr. 1, der Compagnie luxembourgeoise de télédiffusion SA „CLT“, betrieben wird. Am 22. März 1983 wurde dem Kläger von der Beklagten Nr. 2, der Information publicité Benelux SA „IPB“, für die Dauer eines Jahres das ausschließliche Recht eingeräumt, Telemarketing-Maßnahmen über den Sender RTL durchzuführen. Die Firma IPB betreut seit den 30er Jahren den Werbesektor von CLT; der Zugang zu den Werbesendungen von RTL erfolgt ausschließlich über die Firma IPB. IPB und CLT sind teilweise kapitalmäßig verflochten. Bis zum Auslaufen der genannten Vereinbarung am 23. März 1984 wurden Telemarketing-Maßnahmen ausschließlich über den Telefonanschluß des Klägers abgewickelt. Nach Beendigung des Vertrages teilte IPB den potentiellen Werbungtreibenden — sowohl durch ein Rundschreiben vom 26. März 1984 als auch durch Anzeigen — mit, daß künftig Telemarketing-Maßnahmen nur noch über den Telefonanschluß von IPB (Telefonnummer Brüssel, 6405050) durchgeführt werden könnten. Zur Begründung für diese neue Praxis wurde darauf hingewiesen, bei den Fernsehzuschauern sei der Eindruck entstanden, bei ihrer Teilnahme an den Telemarketing-Maßnahmen mit dem Fernsehsender selbst in Verbindung zu treten. Die Zuschauer erwarteten eine RTL angemessene Behandlung; außerdem wollten sie Fragen zum Programm von RTL stellen. Um das Image von RTL bei seinen Zuschauern zu wahren, könnten Telemarketing-Maßnahmen somit nur noch über IPB abgewickelt werden.

Durch dieses Verhalten von IPB sah sich der Kläger vom Markt des Telemarketing ausgeschlossen, den er selbst in Belgien im wesentlichen entwickelt hatte; er erhob deswegen vor dem Tribunal de commerce Brüssel Klage. Er beantragte, u. a. festzustellen, daß die Weigerung der Beklagten — gemeinsam oder jede für sich handelnd —, Sendezeiten des Fernsehunternehmens RTL für Telefonwerbung im Fernsehen, bei der eine andere Telefonnummer als die der Beklagten IPB verwendet wird, zu verkaufen, gegen die guten Sitten des Handelsverkehrs verstößt. Seiner Auffassung nach dient das Vorgehen der Beklagten einem unrechtmäßigen Zweck und verletzt Artikel 3f und 86 des EWG-Vertrages.

Um die Frage zu beantworten, ob die Beklagten auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung innehaben, hat das Tribunal de commerce Brüssel dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen vorgelegt:

„1)

Auslegung des Begriffs ‚beherrschende Stellung‘

Liegt eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag vor, wenn ein Unternehmen für die Lieferung bestimmter Waren oder für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen über ein gesetzliches Monopol verfügt und der Wettbewerb im Bereich dieser Waren oder Dienstleistungen dadurch ausgeschlossen ist? Setzt der Begriff ‚beherrschende Stellung‘ die theoretische Möglichkeit von Wettbewerb voraus, die von demjenigen beseitigt oder unterdrückt worden ist, der die beherrschende Stellung innehat, oder kann er auch auf eine Situation zutreffen, in der ein Wettbewerb nicht bestehen kann oder jedenfalls äußerst beschränkt ist?

2)

Auslegung des Begriffs ‚Mißbrauch einer beherrschenden Stellung‘

Ist für den Fall, daß bei der in der ersten Frage angesprochenen Fallgestaltung davon auszugehen sein sollte, daß das fragliche Unternehmen eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag innehat, das Verhalten eines solchen Unternehmens, das darin besteht, sich oder einer von ihm kontrollierten Tochtergesellschaft unter Ausschluß jedes anderen Unternehmens eine Hilfstätigkeit vorzubehalten, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit ausgeübt werden könnte, als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen?“

An dieser Stelle ist nochmals darauf hinzuweisen, daß in dem vorliegenden Verfahren nur einige der für die Anwendung von Artikel 86 EWG-Vertrag maßgeblichen Aspekte berührt werden. Andere Aspekte wie z. B. die Frage nach dem relevanten Markt bzw. der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten wurden vom vorliegenden Gericht nicht aufgeworfen; somit ist zu ihnen auch nicht Stellung zu nehmen. Es sind lediglich die beiden Fragen zu beantworten, ob eine beherrschende Stellung im Sinne von Anikei 86 EWG-Vertrag auch dann vorliegen kann, wenn ein Unternehmen über ein gesetzliches Monopol verfügt, bzw. ob ein bestimmtes, näher beschriebenes Verhalten als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung angesehen werden kann. Für die Beantwortung dieser Fragen ist somit die Existenz der marktbeherrschenden Stellung, die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und — wie in Frage 2 dargelegt — die Beherrschung von IPB durch CLT als Arbeitshypothese zu unterstellen. Ob diese Elemente jedoch wirklich vorliegen, dies zu entscheiden ist Aufgabe der nationalen Gerichte.

Aus diesen Gründen ist auch der Vortrag der Beteiligten nur insoweit zu berücksichtigen, als er sich auf die Beantwortung der beiden konkret gestellten Fragen bezieht.

2.

a)

Nach Auffassung des Klägers hat ein Unternehmen, das über ein Monopol für eine bestimmte Dienstleistung verfügt, auf dem Markt dieser Dienstleistung eine beherrschende Stellung inne. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei Artikel 86 EWG-Vertrag auf das Verhalten von Rundfunksendeunternehmen anwendbar. Die Firma CLT könne sich nicht auf die Ausnahmebestimmungen des Artikels 90 Absatz 2 berufen, denn sie sei kein Unternehmen, das im Sinne des EWG-Vertrages „mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut“ sei. Das Verhalten der CLT-IPB-Gruppe sei ein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung, und zwar in der Form der Verstärkung einer bestehenden beherrschenden Stellung und der von Artikel 86 EWG-Vertrag verbotenen Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen.

Der Kläger schlägt dem Gerichtshof deswegen vor, die beiden Fragen des Tribunal de commerce Brüssel wie folgt zu beantworten :

„1)

Der Begriff ‚beherrschende Stellung‘ im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag trifft auf ein Unternehmen zu, das ein gesetzliches Monopol für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen innehat. Insbesondere gilt Artikel 86 EWG-Vertrag für ein Rundfunksendeunternehmen; dieses kann sich nicht auf Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag berufen.

2)

Ein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung liegt vor, wenn ein Unternehmen in beherrschender Stellung diese Stellung absichtlich verstärkt, indem es sich eine neue Tätigkeit vollständig vorbehält, der ein oder mehrere dritte Unternehmen nachgehen könnten, und auf diese Weise die Wettbewerbsstruktur im gemeinsamen Markt beeinträchtigt.“

b)

Die Firma CLT räumt ein, über ein tatsächliches Monopol zu verfügen, obgleich es der luxemburgischen Regierung freistehe, auch anderen Gesellschaften Lizenzen zu erteilen. Dieses Monopol stehe jedoch nicht im Gegensatz zu Artikel 86 EWG-Vertrag.

Die Entscheidung, das Telemarketing der Firma IPB zu übertragen, habe auf Zweckmäßigkeitsgründen beruht. IPB stehe CLT näher, IPB sei über kurzfristige Programmänderungen informiert und in der Lage, darauf angemessen zu reagieren. Daß CLT die Klägerin nicht mehr einschalte, beruhe somit auf wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und sei den Interessen der Werbenden in keiner Weise abträglich.

Die Firma CLT regt somit an, die beiden Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

„1)

Es ist als solches mit Artikel 86 EWG-Vertrag nicht unvereinbar, daß ein Unternehmen, dem ein Staat im Sinne von Artikel 90 ausschließliche Rechte gewährt, über ein Monopol verfügt.

2)

Ein Unternehmen, dem ein Staat ausschließliche Rechte gewährt hat und das so eine beherrschende Stellung innehat, mißbraucht diese nicht, wenn es sich oder einem Unternehmen, mit dem es gemeinsame Interessen hat, Hilfstätigkeiten vorbehält, die von einem dritten Unternehmen ausgeübt werden könnten.“

c)

Die Firma IPB schließt sich im wesentlichen den Ausführungen der Firma CLT an. Zur zweiten Vorlagefrage trägt sie noch ergänzend vor, es stelle an sich keinen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag dar, wenn ein Unternehmen sich oder einem anderen Unternehmen das Recht zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit vorbehalte. Ein solcher Mißbrauch sei nur dann gegeben, wenn das Unternehmen in beherrschender Stellung diese Stellung benutze, um sich Vorteile zu verschaffen, die es sich bei wirksamem Wettbewerb nicht hätte verschaffen können, und sein Verhalten geeignet sei, durch einen schwerwiegenden Eingriff in den Wettbewerb in einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes den Verbrauchern Schaden zuzufügen.

Insgesamt schlägt die Firma IPB folgende Antworten vor:

„1)

Wenn ein Staat einem Unternehmen, dem er ausschließliche Rechte im Sinne von Artikel 90 EWG-Vertrag gewährt, ein gesetzliches Monopol verleiht, bedeutet dies als solches noch nicht, daß eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag vorliegt.

2)

Wenn ein Unternehmen, das möglicherweise eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag innehat, sich oder einer Tochtergesellschaft eine Tätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen ausgeübt werden könnte, so ist dies als solches kein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung.“

d)

Die Kommission vertritt die Auffassung, eine monopolistische Stellung falle, wenn sich diese Stellung aus einer objektiven, gesetzlichen und vom Verhalten des fraglichen Unternehmens unabhängigen Sachlage ergebe, unter den Begriff der beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag. Der Begriff der beherrschenden Stellung beziehe sich auf die tatsächlichen Gegebenheiten, und zwar unabhängig von den Gründen ihres Bestehens.

Ein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung liege vor, wenn ein Unternehmen, welches auf einem bestimmten Markt über eine beherrschende Stellung verfüge und dadurch die Tätigkeit anderer auf einem benachbarten Markt agierender Unternehmen kontrollieren könne, in diesen zweiten Markt eindringe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn es sich ohne sachlichen Grund weigere, die Ware bzw. die Leistung, deren Markt es bereits beherrsche, an die auf dem zweiten Markt tätigen Unternehmen zu liefern bzw. zu erbringen.

Nach Auffassung der Kommission sollten somit die vom Tribunal de commerce Brüssel vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet werden :

„1)

Wenn ein Unternehmen über ein gesetzliches Monopol für die Lieferung bestimmter Waren oder die Erbringung bestimmter Dienstleistungen verfügt und der Wettbewerb deshalb auf dem Gebiet dieser Waren oder Dienstleistungen ausgeschlossen ist, kann dieses Unternehmen gleichwohl eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag innehaben.

2)

Das Verhalten eines Unternehmens, das darin besteht, sich oder einer von ihm kontrollierten Tochtergesellschaft eine Hilfstätigkeit vorzubehalten, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit ausgeübt werden könnte, ist als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen. Ebenfalls als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen ist es, wenn die Ausübung von Hilfstätigkeiten durch ein drittes Unternehmen an diskriminierende Bedingungen geknüpft wird wie die ausschließliche Benutzung der Telefonnummer des marktbeherrschenden Unternehmens bei der Ausstrahlung von Fernsehwerbesendungen.“

B.

Zu diesem Vorabentscheidungsersuchen nehme ich wie folgt Stellung:

1. Zur ersten Frage

Bei der Prüfung der Frage, ob CLT und IPB eine beherrschende Stellung innehaben, ist das vorlegende Gericht auf das Problem gestoßen, daß RTL bzw. CLT anscheinend über ein rechtliches Monopol für die Ausstrahlung von Fernsehbildern verfügen. Dieses Monopol bewirke, daß im Rahmen der Verträge, die den verschiedenen Staaten Frequenzen und Wellenlängen zuwiesen, keine wirkliche Niederlassungsfreiheit bestehe. Somit seien die Bedingungen für einen freien Wettbewerb auf dem relevanten Markt institutionell verfälscht, wenn nicht völlig beseitigt. Das vorlegende Gericht möchte nun wissen, ob in diesem Zusammenhang von einer beherrschenden Stellung gesprochen werden kann und ob der Begriff der beherrschenden Stellung es voraussetzt, daß zumindest theoretisch die Möglichkeit eines Wettbewerbs besteht.

Da es mir offensichtlich erscheint, daß ein gesetzlich abgesichertes Monopol eine der intensivsten Formen einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, fasse ich die Frage des vorlegenden Gerichts dahin auf, daß es wissen möchte, ob die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages auf Unternehmen, denen ein rechtlich abgesichertes Monopol eingeräumt wurde, überhaupt anwendbar sind.

Zunächst ist jedoch eine Vorbemerkung zum Anwendungsbereich des Artikels 86 EWG-Vertrag angebracht. Diese Bestimmung erklärt mit dem Gemeinsamen Markt für unvereinbar und verboten die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Der Begriff des „Handels“ wird in der Rechtsprechung nicht eng verstanden, etwa in dem Sinne, daß lediglich der Warenaustausch von ihm umfaßt würde. Zum Handel im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag gehören vielmehr auch die Dienstleistungen, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Oktober 1979 ( 1 ) festgestellt hat. Somit kann der Verkauf von Sendezeiten für Fernsehwerbung — Fernsehsendungen sind Dienstleistungen ( 2 ) — in den Anwendungsbereich des Artikels 86 fallen.

Gemäß Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag werden die Mitgliedstaaten in bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem EWG-Vertrag und insbesondere dessen Artikel 7 und 85 bis 94 widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten. Diese Bestimmung verdeutlicht, daß öffentliche Unternehmen sowie Unternehmen, denen besondere Rechte gewährt werden, den allgemeinen Wettbewerbsvorschriften des Vertrages unterworfen sind. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz ist lediglich in Artikel 90 Absatz 2 enthalten, der für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Geltung der Wettbewerbsregeln nur insoweit anordnet, als die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der diesem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert.

Daß das Vorliegen eines rechtlich abgesicherten Monopols die Anwendung des Artikels 86 EWG-Vertrag nicht ausschließt, hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 1974 ( 3 ) bestätigt. Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung folgendes ausgeführt: „Die Auslegung von Artikel 86 in Verbindung mit Artikel 90 führt zu dem Ergebnis, daß das Bestehen eines Monopols zugunsten eines Unternehmens, dem ein Mitgliedstaat ausschließliche Rechte gewährt, als solches mit Artikel 86 nicht unvereinbar ist.“ Der Gerichtshof hat in dieser Rechtssache, bei der es speziell um das damals noch bestehende italienische Fernsehmonopol ging, noch weiter ausgeführt: „Wenn im übrigen bestimmte Mitgliedstaaten die mit dem Betrieb des Fernsehens beauftragten Unternehmen, selbst soweit es um deren kaufmännische Betätigung — namentlich im Bereich der Werbung — geht, als mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraute Unternehmen ausgestalten, kommen gemäß Artikel 90 Absatz 2 im Hinblick auf ihr Marktverhalten die gleichen Verbote zum Zuge, sofern diese mit der Erfüllung der Aufgaben des Unternehmens nicht nachweislich unvereinbar sind.“

In seinem Urteil vom 13. November 1975 ( 4 ) hat der Gerichtshof das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung direkt aus der Existenz eines gesetzlichen Monopols abgeleitet und ausgeführt: „Dieses auf Rechtsvorschriften beruhende Monopol und der Umstand, daß es dem Hersteller ... überlassen ist, den Preis seiner Leistung festzusetzen, begründen eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Artikels 86...“

Die Anwendbarkeit des Artikels 86 EWG-Vertrag auf Monopolunternehmen hat der Gerichtshof kürzlich erneut bestätigt. In seinem Urteil vom 20. März 1985 ( 5 ) hat er Artikel 86 EWG-Vertrag auf die Fernmeldeeinrichtung British Telecommunications, eine öffentlichrechtliche Körperschaft britischen Rechts, angewandt, ohne irgendwelche Zweifel an der Anwendbarkeit dieser Bestimmung zu äußern.

Diesem Zwischenergebnis, daß die Existenz eines rechtlich abgesicherten Monopols die Anwendbarkeit des Artikels 86 EWG-Vertrag nicht ausschließt, sondern vielmehr ein Indiz für eine marktbeherrschende Stellung darstellt, stehen auch die Ausführungen des Gerichtshofes in seinem Urteil vom 13. Februar 1979 nicht entgegen. Zwar wird in dieser Entscheidung zur Definition einer beherrschenden Stellung ein gewisser Gegensatz zu der Situation eines Monopols oder eines Oligopois aufgezeigt ( 6 ). Dieser Gedanke ist jedoch dahin zu verstehen, daß eine beherrschende Stellung auch dann schon gegeben sein kann, wenn — im Gegensatz zu einem Monopol — noch ein gewisser Wettbewerb vorhanden ist. Ist jedoch — wie bei einem Monopol — auch der Restwettbewerb ausgeschlossen, dann liegt erst recht eine beherrschende Stellung vor.

Wenn somit im Regelfall die Existenz eines rechtlich abgesicherten Monopols eine marktbeherrschende Stellung indiziert, so ist noch auf folgende Besonderheit hinzuweisen: Das Monopol einerseits und die beherrschende Stellung andererseits können sich zwar überschneiden, müssen sich jedoch nicht decken. Gerade im vorliegenden Fall wird das nationale Gericht zu berücksichtigen haben, daß das rechtliche Monopol — falls es existiert, auch dies ist nicht eindeutig — sich auf die Verbreitung von Fernsehsendungen im Großherzogtum Luxemburg bezieht. Die beherrschende Stellung jedoch — falls sie existiert — besteht hingegen darin, daß CLT der einzige Anbieter von Sendezeiten für Fernsehwerbung in Belgien ist. Es bestehen somit zumindest gewisse Zweifel, ob der Umstand, daß RTL bzw. CLT über ein luxemburgisches Monopol verfügen, in der vorliegenden Rechtssache überhaupt von Bedeutung ist.

Auf den zweiten Teil der ersten Frage, der dahin geht, ob die Beschränkung oder der Ausschluß von Wettbewerb durch staatliche Vorschriften für die Anwendbarkeit des Artikels 86 EWG-Vertrag von Bedeutung ist, braucht nur noch kurz eingegangen zu werden. Unter den verschiedenen Indizien für die Marktbeherrschung besitzt der Marktanteil einen besonders hohen Beweiswert ( 7 ). Er bildet in Fällen des Monopols den allein maßgeblichen Faktor ( 8 ). Hat ein Unternehmen einen Marktanteil von 100 %, so befindet es sich notwendigerweise in beherrschender Stellung ( 9 ). Auf die Gründe, die zur Entstehung einer solchen Stellung geführt haben, kommt es nicht an. Diese kann somit u. a. auch auf einem gesetzlichen Monopol beruhen ( 10 ).

2. Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens, welches sich selbst oder einer von ihm kontrollierten Tochtergesellschaft unter Ausschluß jedes anderen Unternehmens eine Hilfstätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit ausgeübt werden könnte, als Mißbrauch dieser beherrschenden Stellung anzusehen ist.

Eine Antwort auf diese Frage finden wir bereits in dem Urteil des Gerichtshofes vom 22. Januar 1974 ( 11 ). In diesem Verfahren ging es um das Verhalten eines Herstellers von Rohstoffen, der eine beherrschende Stellung innehatte. Dieser wollte sich zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht mehr auf die Herstellung von Rohstoffen beschränken, sondern seine Tätigkeit auf Verarbeitungsprodukte erstrecken. Gleichzeitig weigerte er sich, seine früheren Abnehmer mit Rohstoffen weiter zu beliefern. Dazu hat der Gerichtshof in dem genannten Urteil folgendes ausgeführt:

„... kann ein Unternehmen, das eine marktbeherrschende Stellung hinsichtlich der Herstellung der Rohstoffe einnimmt und deswegen die Belieferung der Produzenten von Derivaten zu kontrollieren in der Lage ist, sich nicht bloß — weil es beschlossen hat, diese Derivate (nunmehr im Wettbewerb zu seinen früheren Kunden) selbst herzustellen — so verhalten, daß es deren Wettbewerb beseitigt, was im vorliegenden Fall die Ausschaltung eines der wichtigsten Hersteller ... im Gemeinsamen Markt bedeutet hätte. Da ein solches Verhalten den in Artikel 3f des Vertrages niedergelegten und in Artikel 85 und 86 näher ausgeführten Zielen zuwiderläuft, mißbraucht ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Artikels 86, wenn es eine beherrschende Stellung auf dem Markt für Rohstoffe hat und sich in der Absicht, sich den Rohstoff für die Herstellung seiner eigenen Derivate vorzubehalten, weigert, einen Kunden, der seinerseits Hersteller dieser Derivate ist, zu beliefern, auch auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten“ ( 12 ).

Mit anderen Worten bedeutet dies, daß ein Unternehmen seine beherrschende Stellung auf einem Markt mißbraucht, wenn es diese Stellung dazu nutzt, in einen benachbarten Markt einzudringen, und sich dabei nicht darauf beschränkt, auf diesem Markt selbst tätig zu werden, sondern gleichzeitig durch eine Lieferweigerung versucht, die bereits auf diesem Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmer vom Wettbewerb auszuschließen.

Auf den vorliegenden Fall angewendet führt dies zu folgendem Ergebnis:

IPB/CLT verfügt über eine marktbeherrschende Stellung beim Verkauf von Sendezeiten für Fernsehwerbung in Belgien. Durch ihr Vorgehen, nämlich das Verlangen, Fernseh-Telemarketing-Maßnahmen ausschließlich über die technischen Einrichtungen von IPB durchzuführen, ist sie nicht lediglich auf dem Gebiet des Telemarketing tätig geworden, sondern hat sie gleichzeitig die Klägerin von diesem Markt verdrängt, weil sie ihr die dafür unerläßliche Dienstleistung, die Ausstrahlung von Werbesendungen über den Sender von RTL, verweigerte. Nach den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Kriterien ist dieses Verhalten als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen.

Abschließend noch einige Bemerkungen zu den Hilfserwägungen, die die Kommission zu Artikel 86 Absatz 2 a und d vorgetragen hat.

Die Kommission hat untersucht, ob die in Artikel 86 genannten Beispielfälle erfüllt sind. Buchstabe a nennt als Beispiel eines Mißbrauchs die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen, Buchstabe d die an den Abschluß von Verträgen geknüpfte Bedingung, daß die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.

Ich glaube nicht, daß auf diese Gesichtpunkte abschließend eingegangen werden muß, nachdem bereits festgestellt wurde, daß schon die Verdrängung der Klägerin vom Fernseh-Telemarketing-Markt als Mißbrauch anzusehen ist. Im übrigen könnte CLT/IPB die genannten Beispielsfälle nur durch ein Verhalten den Werbetreibenden gegenüber erfüllen, nicht jedoch der Klägerin gegenüber, mit der sie ja in keiner Geschäftsbeziehung mehr steht. Ob das Verhalten von CLT/IPB Dritten gegenüber in diesem Verfahren zu berücksichtigen ist, darüber hat das vorlegende Gericht zu befinden.

C.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die von dem Tribunal de commerce Brüssel vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1)

Ein Unternehmen, das über ein gesetzliches Monopol für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen verfügt, kann eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag innehaben, selbst wenn der Wettbewerb auf dem Gebiet dieser Dienstleistungen aufgrund gesetzlicher Regelungen weitgehend ausgeschlossen ist.

2)

Das Verhalten eines solchen Unternehmens, das darin besteht, sich oder einer von ihm kontrollierten Tochtergesellschaft unter Ausschluß jedes anderen Unternehmens eine Hilfstätigkeit vorzubehalten, die von einem dritten Unternehmen in dem Rahmen seiner Tätigkeit ausgeübt werden könnte, ist als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen.


( 1 ) Urteil vom 25. Oktober 1979 in der Rechtssache 22/79, Greenwich Film Production/Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique u. a., Sig. 1979, 3275, Randnr. 11.

( 2 ) Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Strafverfahren gegen Giuseppe Sacchi, Sig. 1974, 409, Randnr. 6; Urteil vom 18. März 1980 in der Rechtssache 52/79, Strafverfahren gegen Marc J. V. C. Debauve u. a., Slg. 1980, 833, Randnr. 8.

( 3 ) Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Strafverfahren gegen Giuseppe Sacchi, Slg. 1974, 409, insbesondere Randnr. 14 ff.

( 4 ) Urteil vom 13. November 1975 in der Rechtssache 26/75, General Motors Continental NV/Kommission, Slg. 1975, 1367, 1379.

( 5 ) Urteil vom 20. März 1985 in der Rechtssache 41/83, Italicnische Republik/Kommission, Slg. 1985, 880.

( 6 ) Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche & Co. AG/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 38 f.

( 7 ) Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, a. a. O., Randnr. 40.

( 8 ) Vgl. H. Schröter, Anm. 14 zu Anikei 86, in: Grocbcn, Bocckh, Thiesing, Ehlcrmann: Kommentar zum EWGV, Baden-Baden, 1983.

( 9 ) Urteil vom 13. November 1975 in der Rechtssache 26/75, a.a.O., Randnr. 4 ff.; Urteil vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 22/78, Hugin Kassaregister AB u. a./Kommission, Slg. 1979, 1869, Randnr. 7.

( 10 ) Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, a. a. O., Randnr. 12 ff.

( 11 ) Urteil vom 22. Januar 1974 in den verbundenen Rechtssachen 6 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano SpA und Commercial Solvents Corporation/Kommission, Sig. 1974, 223.

( 12 ) A. a. O., Randnr. 25.