SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PIETER VERLOREN VAN THEMAAT

vom 10. Juli 1985 ( *1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

I. Sachverhalt

I.1. Einleitung

In der vorliegenden Rechtssache geht es um die mehrwertsteuerliche Behandlung eines Kraftfahrzeugs eines luxemburgischen Studenten, der in Luxemburg wohnt, während seines Studiums in Belgien aber dort vorübergehend im Ausländermelderegister eingetragen war. Dieser Student wohnte in Belgien zusammen mit seiner dort arbeitenden Frau (einer Französin, die später ebenfalls die luxemburgische Staatsangehörigkeit erwarb). Nach Beendigung seines Studiums kehrte er nach Luxemburg zurück. Die Rechtssache ist mittelbar für alle Studenten von Interesse, die vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat studieren, obwohl die Frage seit Inkrafttreten der im folgenden noch zu besprechenden Richtlinie 83/182/EWG an Bedeutung verloren hat. Bekanntlich wird ein solches vorübergehendes Studium in einem anderen Mitgliedstaat bereits seit Jahren in zunehmendem Maße von der Gemeinschaft gefördert. Die Rechtssache ist mittelbar jedoch von besonderer Bedeutung für alle luxemburgischen Studenten. Bekanntlich studieren diese gewöhnlich in einem anderen Mitgliedstaat. Sie entscheiden sich dabei meistens für eine Universität, die so nahe an Luxemburg liegt, daß sie regelmäßig (an den Wochenenden und in den Ferien) an ihren Wohnsitz in Luxemburg zurückkehren können.

Für diesen Pendelverkehr zwischen Wohnsitz und Universität benutzen sie meistens auch ein Kraftfahrzeug mit Luxemburger Kennzeichen, für das sie in Luxemburg Mehrwertsteuer entrichtet haben. Wie die von der Kommission in der Rechtssache 134/83 (Abbink, Urteil vom 11. Dezember 1984, Slg. 1984, S. 4097) angeführten Beispiele zeigen, wird dadurch unter anderem verhindert, daß die betreffenden Studenten sich durch die Benutzung eines Kraftfahrzeugs mit belgischem Kennzeichen in Luxemburg dort strafbar machen.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache steht die Frage, inwieweit die in diesen Fällen in Belgien übliche Befreiung von der Mehrwertsteuer für die vorübergehende Einfuhr ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht versagt werden kann, wenn der Student in Belgien zusammen mit seiner (dort zeitweise arbeitenden) Frau vorübergehend einen zweiten Wohnsitz hat (oder sich regelmäßig dort aufhält). Die konkreten Begleitumstände sind dabei für die Beurteilung ebenfalls von Bedeutung.

Die Rechtssache unterscheidet sich insoweit wesentlich von der Rechtssache 839/79 (Carciati, Slg. 1980, 2773), die auch in der genannten Rechtssache Abbink eine entscheidende Rolle spielte, da es im vorliegenden Fall nicht um die mit der Ausübung eines Gewerbes zusammenhängende Benutzung eines vorübergehend eingeführten Kraftfahrzeugs durch einen Inländer mit ständigem Wohnsitz im Einfuhrstaat geht.

Für eine Beurteilung der vorliegenden Rechtssache sind sowohl die einschlägigen belgischen Mehrwertsteuervorschriften und die Praxis ihrer Anwendung als auch die übrigen Tatsachen von Bedeutung, die dem Verfahren vor dem nationalen Gericht zugrunde liegen. In diesem Verfahren geht es übrigens nicht um die Nachforderung von Mehrwertsteuer für ein nach Belgien eingeführtes Kraftfahrzeug. Es ist vielmehr ein Strafverfahren. Die Zusammenfassung des wesentlichen Sachverhalts habe ich hauptsächlich aus dem Sitzungsbericht übernommen. Dabei habe ich jedoch die von der belgischen Regierung vorgeschlagenen Klarstellungen berücksichtigt. Außerdem habe ich die Erläuterung des Angeklagten des Ausgangsverfahrens auf die Frage des Gerichtshofes, wer für die Studienkosten und den Unterhalt aufgekommen sei, mit einbezogen.

Daß ich den Sitzungsbericht in dieser Weise übernehme, hat außerdem den Vorteil, daß als Grundlage für die Beurteilung der Sachverhalt dient, über den sich nicht allein der Berichterstatter und der Generalanwalt einig sind, sondern bei dem auch die Ausführungen der Parteien zum Sitzungsbericht berücksichtigt sind.

1.2. Die einschlägige belgische Gesetzesregelung

In Belgien wird die Mehrwertsteuer in dem durch Gesetz vom 3. Juli 1969 eingeführten Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetz) in Artikel 2 als eine Steuer auf Lieferungen von Gegenständen und sonstige Leistungen, die „der Steuerpflichtige im Rahmen seines Unternehmens ausführt“, definiert. Nach Artikel 3 des Gesetzes unterliegt „die Einfuhr von Gegenständen, durch wen auch immer, ... ebenfalls der Steuer“. Unter Einfuhr ist nach Artikel 23 des Gesetzes „das Verbringen eines Gegenstands in belgisches Hoheitsgebiet“ zu verstehen. Die Mehrwertsteuer entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem der Gegenstand in das Hoheitsgebiet gelangt (Artikel 24 Absatz 1 des Gesetzes).

Nach Artikel 40 Absatz 1 des Gesetzes können bestimmte Gegenstände im Fall der vorübergehenden Einfuhr von der Mehrwertsteuer befreit werden. So bestimmt der aufgrund dieser Bestimmung erlassene Artikel 23 des Arrêté royal Nr. 7 relatif aux importations de biens pour l'application de la taxe sur la valeur ajoutée vom 27. Dezember 1977 (königlichen Verordnung über die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von Gegenständen; Moniteur belge vom31. Dezember 1977), daß die Steuerbefreiung im Falle der vorübergehenden Einfuhr der im Anhang zu der Verordnung aufgezählten Gegenstände gewährt wird; in diesem Anhang sind unter Nr. 2 die „Verkehrsmittel“ genannt. Die Befreiung wird nach Artikel 23 Absatz 2 der königlichen Verordnung unter den Voraussetzungen gewährt, die in den Bestimmungen zur Regelung der Freistellung von den Einfuhrabgaben aufgeführt sind.

Nach Artikel 25 Absatz 3 Buchstabe a des Arrêté ministeriel réglant les franchises en matière de droits d'entrée vom 17. Februar 1960 (Ministerialverordnung zur Regelung der Freistellung von den Einfuhrabgaben) gilt die Steuerbefreiung nur für die Verkehrsmittel, die „von natürlichen Personen eingeführt werden, die ihren Hauptwohnsitz im Ausland haben und die Verkehrsmittel zu ihrem persönlichen Gebrauch benutzen“. Eine Person hat ihren Hauptwohnsitz im Ausland nach dieser Bestimmung auch dann, wenn sie ihren Beruf in Belgien, Luxemburg oder in den Niederlanden ausübt, aber mindestens einmal im Monat ins Ausland zurückkehrt und dort einen eigenen Hausstand unterhält oder mangels eines solchen im Melderegister eingetragen ist (Artikel 25 Absatz 3a Buchstabe d). Nach Artikel 25 Absatz 3c Buchstabe a ist unter dem Ort des eigenen Hausstands bei Eheleuten der gemeinsame Wohnort zu verstehen.

Wie sich aus den Akten ergibt, gewähren die belgischen Behörden den luxemburgischen Studenten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Großherzogtum haben und an einer Ausbildungsstätte in Belgien studieren, nach Artikel 25 der vorgenannten königlichen Verordnung in der Regel Steuerbefreiung für die im Großherzogtum zugelassenen Fahrzeuge. Von dieser Vergünstigung sind jedoch verheiratete Studenten ausgeschlossen, wenn sich zeigt, daß diese durch ihre Heirat den neuen gemeinsamen Haushalt und damit auch ihren Hauptwohnsitz nunmehr in Belgien haben.

1.3. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Der im Ausgangsverfahren angeklagte luxemburgische Staatsangehörige kam 1976 nach Belgien, um an der Universität Lüttich Zoologie zu studieren. Während seines — 1981 abgeschlossenen — Studiums war er seit dem 21. Oktober 1976 im Ausländermelderegister in Lüttich eingetragen. Er war jedoch weiterhin in der Gemeinde Diekirch (Großherzogtum Luxemburg) als bei seiner dort lebenden Mutter wohnhaft gemeldet.

Am 15. September 1978 heiratete der Angeklagte eine französische Staatsangehörige, die jetzt nach ihrer Einbürgerung Luxemburgerin ist, und wohnte seitdem mit seiner Frau in Lüttich, die dort seit dem 6. Oktober 1977 im Ausländermelderegister eingetragen war und seit dem 3. Januar 1978 als Krankenschwester arbeitete. Die Eheleute waren zusammen im Ausländermelderegister in Lüttich eingetragen; daneben blieb der Angeklagte in der Gemeinde Diekirch, dem Wohnort seiner Mutter, gemeldet. Außerdem kamen seine Eltern, wie er auf eine Frage in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, auch nach seiner Heirat noch für die Kosten seines Studiums und seines Unterhalts (15000 BFR) auf. Sie bezahlten auch das Auto, das er sich angeschafft hatte. Als der Angeklagte im Jahre 1981 sein Studium beendet hatte, kehrte er mit seiner Frau nach Luxemburg zurück.

Für die Fahrten zwischen Lüttich und dem Großherzogtum Luxemburg benutzte der Angeklagte seit 1978 nacheinander zwei Fahrzeuge, die er unter Entrichtung der luxemburgischen Mehrwertsteuer im Großherzogtum gekauft hatte und die dort zugelassen waren. Der erste Wagen, ein Alfa Romeo, wurde 1979 verkauft und ging zurück ins Großherzogtum; den zweiten, einen Volkswagen, nahm der Angeklagte 1981 mit, als er mit seiner Frau nach Luxemburg zurückkehrte.

Im Jahre 1980 teilte die belgische Steuerverwaltung dem Angeklagten mit, daß er seit seiner Heirat im Jahre 1978 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Lüttich habe und daher für beide Fahrzeuge Mehrwertsteuer entrichten müsse. Wegen des Weiterverkaufs des Alfa Romeo im Jahre 1979 schlug die Verwaltung ihm jedoch die Zahlung einer Geldbuße von 1500 BFR vor. Für den Volkswagen sollte der Angeklagte 25 % Mehrwertsteuer, d. h. 42238 BFR zahlen. Nach der Ablehnung dieses Vorschlags erhielt er eine Zahlungsaufforderung über ungefähr 100000 BFR. Nachdem dieser Betrag nicht rechtzeitig eingegangen war, strengten die Steuerbehörden vor dem Tribunal correctionnel Lüttich ein Verfahren gegen ihn an, um die Beschlagnahme der beiden Fahrzeuge, hilfsweise die Zahlung ihres entsprechenden Gegenwerts in Höhe von 61565 BFR bzw. 168950 BFR zu erreichen. Der Angeklagte wurde in erster Instanz antragsgemäß verurteilt. Das Urteil wurde im Dezember 1983 von der Cour d'appel Lüttich bestätigt.

Im Mai 1984 hob die Cour de cassation das Urteil der Cour d'appel Lüttich mit der Begründung auf, in dem aufgehobenen Urteil seien weder in den Entscheidungsgründen noch durch Verweis auf das Ersturteil die einschlägigen Rechtsvorschriften angegeben worden. Die Rechtssache wurde an die Cour d'appel Brüssel zurückverwiesen, die im Juli 1984 ein Versäumnisurteil unter Berücksichtigung des Kassationsurteils erließ. Dagegen legte der Angeklagte vor diesem Gericht Einspruch ein. Mit Urteil vom 26. September 1984 erklärte die Cour d'appel Brüssel den Antrag der Steuerbehörden für unzulässig, soweit er die Benutzung des Alfa Romeo in Belgien betraf, da die Strafverfolgung insoweit seit dem 14. August 1984 verjährt sei.

Da sich nach Ansicht der Cour d'appel Brüssel in dem bei ihr anhängigen Rechtsstreit im Hinblick auf die Benutzung des Volkswagens Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellen, hat sie mit Urteil vom 26. September 1984 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof nach Artikel 177 EWG-Vertrag folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Verstoßen die Bestimmungen des belgischen Mehrwertsteuergesetzes vom 3. Juli 1969, wie sie vom Finanzministerium ausgelegt werden, im vorliegenden Fall gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den freien Waren- und den freien Dienstleistungsverkehr, soweit sie, insbesondere die Artikel 23 und 24, unter der Bezeichnung Mehrwertsteuer der Sache nach einen Zoll geschaffen haben?“

In der Begründung des Vorlageurteils wirft die Cour d'appel Brüssel unter anderem die Frage auf, ob es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn ein Luxemburger, der sein Fahrzeug in Luxemburg gekauft, aber überwiegend in Belgien benutzt hat, zweimal Mehrwertsteuer zu entrichten hat.

II. Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens trägt vor, die ihm im vorliegenden Fall auferlegte Abgabe könne nicht als Mehrwertsteuer angesehen werden. Es handele sich vielmehr um eine Abgabe bei der Einfuhr einer Ware und daher um einen verschleierten Zoll. Aufgrund der besonderen Umstände des Falls verstoße eine solche Abgabe jedoch offensichtlich gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den freien Warenverkehr.

Die belgische Regierung trägt zunächst vor, der Rat habe nach den streitigen Ereignissen am 28. März 1983 die Richtlinie 83/182/EWG über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel (ABl. 1983, L 105, S. 59) erlassen. Nach Artikel 10 dieser Richtlinie erließen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um der Richtlinie bis zum 1. Januar 1984 nachzukommen. Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b dieser Richtlinie werde Befreiung von bestimmten Abgaben — unter anderem von der Mehrwertsteuer — gewährt, wenn ein Student ein in dem Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Wohnsitzes zugelassenes Personenfahrzeug vorübergehend in den Mitgliedstaat einführe, in dem er sich ausschließlich zum Zweck seines Studiums aufhalte. Die belgische Regierung bemerkt dazu, daß es in der belgischen Mehrwertsteuergesetzgebung eine gleichlautende Vorschrift gebe, die aber im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da der Angeklagte sich seit seiner Heirat nicht ausschließlich zum Zweck seines Studiums in Belgien aufgehalten habe und infolgedessen davon auszugehen sei, daß er seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Belgien habe.

Unter Hinweis auf Ihr Urteil vom 19. Juni 1973 in der Rechtssache 77/72 (Capolongo, Slg. 1973, 611) macht die belgische Regierung weiterhin geltend, daß die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer einem Zoll nicht gleichgestellt werden könne, da eine solche Abgabe Bestandteil einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung sei, die einheimische und eingeführte Erzeugnisse systematisch nach denselben Merkmalen erfasse.

Nach Ansicht der belgischen Regierung ist es schließlich im vorliegenden Fall nach dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere nach Artikel 95 EWG-Vertrag nicht unzulässig, auf ein Fahrzeug Mehrwertsteuer zu erheben, für das im Ursprungsland bereits Mehrwertsteuer entrichtet worden sei. Zwar habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Mai 1982 in der Rechtssache 15/81 (Schul, Slg. 1982, 1409) entschieden, daß bei Erhebung der Einfuhrabgabe der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer zu berücksichtigen sei, habe dem aber hinzugefügt, daß ein solcher Ausgleich nicht notwendig sei, soweit die betreffende Ware nach den geltenden Regelungen bei der Ausfuhr von der Steuer hätte befreit werden können. Im vorliegenden Fall hätte der Angeklagte aber bei den luxemburgischen Steuerbehörden die Befreiung von der Mehrwertsteuer wegen unmittelbarer Ausfuhr beantragen können.

Aufgrund dessen schlägt die belgische Regierung vor, die Frage der Cour d'appel Brüssel wie folgt zu beantworten: Die Einfuhrumsatzsteuer für ein in einem anderen Mitgliedstaat unter Entrichtung der Mehrwersteuer gekauftes Fahrzeug ist keine zollgleiche Abgabe; ihre Erhebung stellt auch keine höhere Besteuerung des ausländischen Erzeugnisses gegenüber dem gleichen inländischen Erzeugnis dar, soweit eine Doppelbesteuerung entweder durch eine Steuerbefreiung im Ursprungsmitgliedstaat bei der Ausfuhr oder durch eine Freistellung von der Steuer bei der Einfuhr im Bestimmungsmitgliedstaat ausgeschlossen werden kann.

Unter Hinweis insbesondere auf die Randnummern 21 und 22 der Entscheidungsgründe des Urteils des Gerichtshofes vom 5. Mai 1982 (Schul, a.a.O.) führt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zunächst aus, daß die Mehrwertsteuer Bestandteil einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung sei, deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen der steuerlichen Vorschriften des Vertrages und nicht nach den Vorschriften über den freien Warenverkehr zu beurteilen sei.

In der vorliegenden Rechtssache gehe es um die beiden folgenden grundlegende Fragen, die näher untersucht werden müßten :

a)

Gilt ein verheirateter Student als in dem Mitgliedstaat wohnhaft, in dem er studiert, auch wenn er die Absicht hat, nach Beendigung seines Studiums in sein Heimatland zurückzukehren?

b)

Wie weit reicht das Recht der Mitgliedstaaten, auf vorübergehende Einfuhren durch nicht gebietsansässige Personen Mehrwertsteuer zu erheben?

In diesem Zusammenhang verweist die Kommission auf die Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessensgrundlage (ABl.1977, L 145, S. 1) (im folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie), nach deren Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe c die „vorübergehende Einfuhr“ von Gegenständen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats von der Steuer befreit sei. Der Begriff habe einen gemeinschaftsrechtlichen Inhalt, dem die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie Rechnung tragen müßten, damit die Mehrwertsteuerbefreiungen nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich seien. Aus denselben Gründen könne auch ein verwandter Begriff wie der „vorübergehende Wohnsitz“ nicht einfach anhand des nationalen Rechts ausgelegt werden.

Zur Ermittlung des gemeinschaftsrechtlichen Inhalts der beiden Begriffe verweist die Kommission auf die vorgenannte Richtlinie 83/182 des Rates vom 28. März 1983. Nach Artikel 5 dieser Richtlinie dürften Studenten ein Fahrzeug vorübergehend in den Mitgliedstaat einführen, in dem sie studierten; Artikel 7, der allgemeine Bestimmungen über den Nachweis des Wohnsitzes enthalte, sehe in diesem Zusammenhang vor, daß „der Universitäts- und Schulbesuch ... keine Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes zur Folge“ habe. Es sei kaum denkbar, daß die bloße Tatsache, verheiratet zu sein und mit seinem Ehepartner zusammen zu wohnen, dazu führe, daß man kein Student mehr sei und auch keinen vorübergehenden Wohnsitz mehr habe. Außerdem habe die Definition des Wohnsitzes eines Studenten, wie sie in der Richtlinie 83/182 festgelegt worden sei, bereits im Rahmen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie gegolten. Die Richtlinie 83/182 habe nämlich in vieler Hinsicht nur deklaratorischen Charakter.

Deshalb sei angesichts der Zielsetzung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie davon auszugehen, daß der Angeklagte die Gegenstände vorübergehend eingeführt habe. Infolgedessen müsse das betreffende Fahrzeug von der belgischen Mehrwertsteuer befreit werden.

Sollte der Gerichtshof der Auffassung sein, daß der Angeklagte seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Belgien gehabt habe und die belgische Mehrwertsteuer schulde, so müsse dieser sich auf die bereits in Luxemburg entrichtete Mehrwertsteuer berufen können. Jede andere Lösung wäre offenkundig ungerecht und würde die Tragweite des Urteils des Gerichtshofes vom 5. Mai 1982 (Schul, a.a.O.) einschränken, das im wesentlichen eine Doppelbesteuerung habe ausschließen sollen.

Zusammenfassend schlägt die Kommission vor, die Frage der Cour d'appel Brüssel wie folgt zu beantworten :

„Die Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Abgabenregelung, deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sich nach den steuerlichen Vorschriften des EWG-Vertrags und nicht nach den Vorschriften über den freien Warenverkehr richtet. Die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer, für die keine der Befreiungen der Sechsten Richtlinie gilt, ist nur dann mit Artikel 95 vereinbar, wenn die bereits im Ausfuhrmitgliedstaat entrichtete Mehrwertsteuer berücksichtigt wird.“

Auf einzelne in der mündlichen Verhandlung gegebene Erläuterungen der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen komme ich bei der Beantwortung der vorgelegten Frage noch zurück.

III. Neuformulierung und Beantwortung der vorgelegten Frage

III. 1. Die Formulierung der Frage

Wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, ist die Frage vom vorlegenden Gericht in diesem Fall nicht ganz glücklich gestellt worden. Durch die Formulierung wird nämlich der Eindruck erweckt, als werde der Gerichtshof in einem Fall wie dem vorliegenden nur um die Auslegung der in Betracht kommenden Artikel des Titels I des EWG-Vertrags, insbesondere der Artikel 12 und 13, ersucht. Aus den in den Randnummern 18 bis 21 der Entscheidungsgründe Ihres ersten Schul-Urteils (Rechtssache 15/81, Slg. 1982, 1409) angeführten Gründen sind die Artikel 12 und 13 EWG-Vertrag in einem Fall wie dem vorliegenden nicht anwendbar.

In Anbetracht der Besonderheiten des vom nationalen Gericht vorgelegten Problems kann man jedoch davon ausgehen, daß es um eine Entscheidung des Gerichtshofes darüber ersucht, ob in einem Fall wie dem vorliegenden die Erhebung der Mehrwertsteuer durch einen Mitgliedstaat bei der Einfuhr eines Personenwagens aus einem anderen Mitgliedsta'at im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht — einschließlich der Richtlinien des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — steht.

Die abstrakte Fallgestaltung, auf die Sie sich bei Ihrer Antwort im vorliegenden Fall beschränken können, muß aufgrund der Akten unter anderem folgende Merkmale aufweisen:

a)

Es geht darum, daß ein unter Entrichtung der Mehrwertsteuer im Mitgliedstaat B gekaufter und dort auch zugelassener Personenwagen in den Mitgliedstaat A gebracht wird.

b)

Die Überführung erfolgt durch einen Angehörigen des Mitgliedstaats B, der dort auch seinen festen Wohnsitz hat.

c)

Der Betroffene ist wegen seines vorübergehenden Hochschulstudiums im Mitgliedstaat A dort auch im Ausländermelderegister eingetragen, kehrt aber nach Beendigung seines Studiums in den Mitgliedstaat B zurück.

d)

Der Betroffene hat vor dem Kauf des fraglichen Personenwagens im Mitgliedstaat B eine Staatsangehörige des Mitgliedstaats C (später durch Einbürgerung Staatsangehörige des Mitgliedstaats B) geheiratet, die ebenfalls im Mitgliedstaat A in das Ausländermelderegister eingetragen ist, dort einer Erwerbstätigkeit nachgeht und für deren Einkommen der Betroffene entsprechend dem für ihn geltenden Einkommensgesetz des Mitgliedstaats A in diesem Staat Einkommenssteuer zahlen muß.

e)

Für die Kosten des Studiums und des Lebensunterhalts des betroffenen Studenten im Mitgliedstaat A kommen jedoch sowohl vor als auch nach seiner Heirat ganz oder überwiegend seine im Mitgliedstaat B wohnenden Eltern auf.

III.2. Beantwortung der auf diese Weise genauer gefaßten Frage

III.2.1. Argumente, die sich auf die anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften stützen

Der Grund für die Probleme der vorliegenden Art liegt meines Erachtens in erster Linie in der äußerst weiten Definition des Anwendungsbereich der harmonisierten Mehrwertsteuer in den Artikeln 2 und 7 der Sechsten Richtlinie (Richtlinie 77/388, ABl. 1977, L 145, S. 1).

Nach Artikel 2 dieser Richtlinie unterliegen „der Mehrwersteuer:

1)

Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2)

die Einfuhr von Gegenständen“.

Wie Artikel 7 in diesem Zusammenhang verdeutlicht, liegt „die Einfuhr eines Gegenstandes ... vor, wenn dieser Gegenstand in das Inland im Sinne des Artikels 3 gelangt“.

Bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen würde diese weite Definition natürlich dazu führen, daß jede Fahrt, bei der die Grenze eines anderen Mitgliedstaates überschritten wird, besteuerbar wäre, wenn es nicht unter anderem in Artikel 14 der Sechsten Richtlinie eine Reihe von Steuerbefreiungen gäbe. Angesichts der von mir später noch zusammenzufassenden Ziele der Mehrwertsteuerharmonisierung müßten diese Befreiungstatbestände im Zusammenhang mit der sehr weiten Definition des Begriffs „Einfuhr“ nach meiner Meinung so weit ausgelegt werden, daß unnötige Behinderungen des grenzüberschreitenden Personenverkehrs ausgeschlossen sind. Auf diesen Ausgangspunkt komme ich im vorliegenden Fall noch ausführlich zurück.

In den schriftlichen und mündlichen Erklärungen im vorliegenden Verfahren ist jedenfalls zu Recht besonders auf die Auslegung des genannten Artikel 14 abgestellt worden.

Nach Artikel 14 Absatz 1 befreien die Mitgliedstaaten „unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen ... unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c)

die Einfuhr von Gegenständen, die für ein Verfahren der vorübergehenden Einfuhr angemeldet worden sind, für die aufgrund dieses Verfahrens eine Zollbefreiung gilt oder, wenn sie aus einem Drittland eingeführt worden wären, gelten würde“.

Artikel 14 Absatz 2 bestimmt, soweit er hier von Bedeutung ist, folgendes:

„Die Kommission unterbreitet dem Rat so bald wie möglich Vorschläge für die Aufstellung gemeinschaftlicher Steuerregeln zur genaueren Beschreibung des Geltungsbereichs der Steuerbefreiungen nach Absatz 1 und der praktischen Einzelheiten ihrer Durchführung.

Bis zum Inkrafttreten dieser Regeln können die Mitgliedstaaten:

die geltenden einzelstaatlichen Vorschriften im Rahmen der vorstehenden Bedingungen beibehalten;

diese Vorschriften anpassen, um die Wettbewerbsverzerrungen und insbesondere die Nicht- oder Doppelbesteuerung im Mehrwertsteuerbereich innerhalb der Gemeinschaft zu verringen;

die Verwaltungsverfahren anwenden, die ihnen zur Erzielung der Steuerbefreiung am geeignesten erscheinen.“

Wie sich aus der obigen Übersicht über die einschlägigen belgischen Vorschriften ergibt, sind im vorliegenden Fall die „geltenden einzelstaatlichen Vorschriften“ im Sinne von Artikel 14 Absatz 2 erster Gedankenstrich, und zwar die Vorschriften der oben genannten Ministerialverordnung vom 17. Februar 1960 zur Regelung der Freistellung von den Einfuhrabgaben, anwendbar. Nebenbei möchte ich dazu bemerken, daß vermutlich der Titel dieser Ministerialverordnung das vorlegende Gericht zu der etwas ungenauen Formulierung der Vorabentscheidungsfrage veranlaßt hat.

Die belgische Regierung gründet ihren Standpunkt, daß der Angeklagte im vorliegenden Fall die Mehrwertsteuer schulde, in erster Linie auf die zitierte Stelle des Artikels 14 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie.

Da diese Stelle jedoch nur bestimmt, daß die Mitgliedstaaten „die geltenden einzelstaatlichen Vorschriften im Rahmen der vorstehenden Bestimmungen beibehalten“ können (Unterstreichung meinerseits), mißt die Kommission zu Recht auch dem ersten Absatz von Artikel 14 für die Beantwortung der vorgelegten Frage Bedeutung zu. Es geht somit vor allem um die Auslegung des Begriffs „vorübergehende Einfuhr“.

Für diese Auslegung sind nach Ansicht der Kommission auch die Artikel 5 und 7 der Richtlinie 83/182 des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel (ABl. 1983, L 105, S. 59) wichtig. Nach diesen Vorschriften dürfen Studenten vorübergehend ein Personenfahrzeug in den Mitgliedstaat einführen, in dem sie studieren; nach Artikel 7 hat „der Uni-versitäts- und Schulbesuch... keine Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes zur Folge“. Diese Vorschriften haben nach Auffassung der Kommission rein deklatorischen Charakter und könnten daher auch auf einen Sachverhalt angewendet werden, der vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie liege.

Wenn meines Erachtens auch einiges für diesen Standpunkt spricht, so glaube ich trotzdem nicht, daß er Ihnen bei der Beantwortung der vorgelegten Frage viel weiter hilft. Tatsächlich müßten auch dabei in Ihre Überlegungen genau die Argumente der belgischen Regierung mit einbezogen werden, die von Bedeutung sind, wenn Sie ausschließlich vom Begriff der „vorübergehenden Einfuhr“ in Artikel 14 Absatz 1 ausgehen. Darauf hat in der mündlichen Verhandlung ebenfalls der Vertreter der belgischen Regierung hingewiesen.

III.2.2. Beurteilung des Standpunkts der belgischen Regierung im Hinblick auf den Begriff „vorübergehende Einfuhr“

Die belgische Regierung gründet ihren Standpunkt über die Besteuerbarkeit des eingeführten Fahrzeugs vor allem auf folgende Umstände :

a)

Im Hinblick auf die Einkommenssteuer habe das Ehepaar einen Wohnsitz in Belgien gewählt.

b)

Das Ehepaar habe in Belgien seinen normalen gemeinsamen Wohnsitz gehabt; und der gemeinsame Wohnsitz gehe nach belgischem Recht einem eventuellen zweiten Wohnsitz des studierenden Ehemanns in einem anderen Mitgliedstaat vor.

c)

Es sei davon ausgegangen worden, daß beide Eheleute durch die Heirat von ihren Eltern finanziell unabhängig geworden seien; vor allem sei der betroffene Student (Eigentümer und „Importeur“ des Personenwagens) zu diesem Zeitpunkt finanziell von seiner Frau unterhalten worden.

Die belgische Regierung hat andererseits sowohl im Ausgangsverfahren als auch im Verfahren vor dem Gerichtshof eingeräumt, daß die betreffende belgische Befreiungsregelung weiterhin gegolten hätte, wenn der angeklagte Student seine Lebensgefährtin nicht geheiratet, sondern mit ihr unverheiratet zusammengelebt hätte. Wie sich aus der zweiten Erwägung auf Seite 4 des Vorlagebeschlusses ergibt, hielt das vorlegende Gericht auch diese Feststellung für wichtig.

Nach meiner Ansicht überzeugen diese drei Argumente der belgischen Regierung zur Begründung ihres Standpunkts nicht.

Der einkommenssteuerrechtliche Wohnsitzbegriff kann nach meiner Meinung nicht für den Wohnsitzbegriff im Mehrwertsteuerrecht entscheidend sein (wobei es im vorliegenden Fall übrigens nicht um diesen Begriff, sondern um den Begriff der „vorübergehenden Einfuhr“ geht). Wenn nach dem Einkommenssteuerrecht eines Landes alle dort arbeitenden und aufgrund ihrer Arbeit dort auch regelmäßig wohnenden Personen steuerpflichtig sind, beruht dies vermutlich auf der Überlegung, daß das Einkommen soweit wie möglich in dem Land versteuert werden soll, in dem die Einkünfte erzielt werden. Wenn der arbeitende Ehepartner eines Studenten aufgrund dieser Ausgangsüberlegung — mag sie zu Recht bestehen oder nicht — sich oder seinen studierenden Ehepartner für die auf diese Weise in diesem Land erzielten Einkünfte für steuerpflichtig hält, so reicht dies noch nicht, um auch im Hinblick auf die Mehrwertsteuer für einen vorübergehend eingeführten Personenwagen einen Wohnsitz des studierenden Ehepartners in diesem Land anzunehmen, wodurch die für ausländische Studenten übliche Freistellung plötzlich entfällt.

Beim zweiten Argument ist zunächt nicht einsichtig, warum ein verheirateter Student, dessen mit ihm zusammen wohnende Frau arbeitet (beide aus einem anderen Mitgliedstaat), anders behandelt werden soll als ein Student, der mit einer Frau zusammenlebt, die ebenfalls studiert (beide wiederum aus einem anderen Mitgliedstaat). Außerdem ist nicht klar, warum die Gefahr der Mehrwertsteuerhinterziehung (im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie) bei einem verheirateten Studenten größer sein soll als bei einem Studenten, der im Konkubinat lebt.

Das dritte und wahrscheinlich wichtigste Argument der belgischen Regierung ist schließlich nach den Erklärungen, die der Verteidiger des Angeklagten in der Sitzung abgegeben hat, sachlich falsch, da die Eltern des Angeklagten und nicht die arbeitende Ehefrau überwiegend oder ganz für die Kosten seines Lebensunterhalts (und seines Kraftfahrzeugs) aufgekommen sind. Ob diese Erklärung tatsächlich richtig ist, kann vom Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren natürlich nicht entschieden werden. Um die Tragweite Ihrer Antwort auf die vorgelegte Frage nicht weiter auszudehnen als für den konkreten Fall notwendig, werde ich Ihnen jedoch vorschlagen, in Ihrer Antwort eine auf diese Erklärung zurückgehende abstrakt formulierte Bedingung als Voraussetzung aufzunehmen.

III.2.3. Abschließende Bemerkungen und Anträge

Abschließend möchte ich zu dieser Rechtssache zunächst bemerken, daß es sich um ein Strafverfahren handelt. Man kann davon ausgehen, daß das zuständige belgische Gericht bei der Prüfung der Schuldfrage oder bei der Feststellung des Strafmaßes alle besonderen Umstände des Falls berücksichtigen wird, auch die sich aus den zitierten Gemeinschaftsvorschriften und aus dem Kommissionsstandpunkt ergebenden Zweifel, ob hier überhaupt eine Straftat vorliegt. Dies gilt meines Erachtens auch dann, wenn der Gerichtshof den Standpunkt der belgischen Regierung schließlich teilen sollte. Anders als die Kommission, die für diesen Fall in der mündlichen Verhandlung noch auf den in der Rechtsprechung des Gerichtshofes entwickelten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verwiesen hat, halte ich es deshalb auch nicht für notwendig, auf die eventuelle Anwendbarkeit dieses Grundsatzes noch gesondert einzugehen.

Ebensowenig halte ich es für wünschenswert, Ihnen als Antwort auf die vorgelegte Frage entsprechend der Anregung der Kommission hilfsweise die Anwendung der in Ihren beiden Schul-Urteilen entwickelten Grundsätze vorzuschlagen. Erstens wäre eine solche Hilfslösung in dem betreffenden Strafverfahren wahrscheinlich von wenig Nutzen. Zweitens müßte Ihr erstes Schul-Urteil genauer gefaßt werden, was der Gerichtshof nach meiner Meinung nur in Vollsitzung tun könnte und deshalb die Wiedereröffnung der Verhandlung erforderlich machen würde. Aus dem erstgenannten Grund kann ich Ihnen nicht zu einer solchen Wiedereröffnung der Verhandlung raten.

Mein abschließendes Urteil in dieser Rechtssache beruht in erster Linie auf den ersten beiden Begründungserwägungen der Ersten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967 L 71, S. 1301). Nach der ersten Begründungserwägung ist es „Hauptziel des Vertrages..., im Rahmen einer Wirtschaftsunion einen gemeinsamen Markt zu schaffen, auf dem ein gesunder Wettbewerb herrscht und der ähnliche Merkmale aufweist wie ein Binnenmarkt“.

Nach der zweiten Begründungserwägung ist es „Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Zieles..., daß in den Mitgliedstaaten zuvor Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern angewandt werden, durch welche die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr im Gemeinsamen Markt nicht behindert werden“.

Anders als in den zitierten Rechtssachen Carciati und Abbink geht es im vorliegenden Fall nicht um Handlungen von Personen im Rahmen der Berufsausübung, die durch die steuerfreie Einfuhr gegenüber Wettbewerbern einen künstlichen Wettbewerbsvorteil erhalten. Ein Student wie im vorliegenden Fall genießt keinen Wettbewerbsvorteil im Sinne des ersten Hauptziels der Harmonisierung der Mehrwertsteuerregelungen der Mitgliedstaaten, wie es in der zweiten Begründungerwägung der Ersten Richtlinie zusammengefaßt ist. Geht es auch um die Freizügigkeit (im vorliegenden Fall von Studenten), so kann allerdings das zitierte zweite Hauptziel (der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr) in Zweifelsfällen wie dem vorliegenden sicher den Ausschlag geben für die Entscheidung, ob der Mitgliedstaat zur Erhebung der Mehrwertsteuer berechtigt ist.

Aus diesen Gründen meine ich, daß in Fällen wie dem vorliegenden eine weite Auslegung des Artikels 14 der Sechsten Richtlinie, wie sie auch die Kommission in ihren mündlichen und schriftlichen Hauptvorschlägen vertritt, gerechtfertigt ist. Wie bereits gesagt geht es dabei zum einen um den Begriff „vorübergehende Einfuhr“ in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie und zum anderen um Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich dieser Richtlinie. Nach der letztgenannten Bestimmung können die geltenden einzelstaatlichen Vorschriften (nur) „im Rahmen der vorstehenden Bestimmungen“ beibehalten werden. Sie dürfen also nicht gegen die Auslegung des Artikels 14 Absatz 1 durch den Gerichtshof verstoßen.

Ich schlage Ihnen deshalb vor, auf die Ihnen vorgelegte und von mir oben neu formulierte Frage der Cour d'appel Brüssel wie folgt zu beantworten:

„Artikel 14 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (ABl. 1977, L 145, S. 1) ist in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe c dieser Richtlinie dahin auszulegen, daß ein Mitgliedstaat seine bei Inkrafttreten der Richtlinie geltenden einzelstaatlichen Vorschriften nicht in der Weise anwenden darf, daß die Einfuhr eines Personenwagens aus einem anderen Mitgliedstaat nicht als vorübergehende Einfuhr im Sinne des genannten Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe c anerkannt wird, obwohl der importierende Eigentümer

a)

das Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat gekauft und dort zugelassen und dafür Mehrwertsteuer in diesem Mitgliedstaat entrichtet hat,

b)

in diesem anderen Mitgliedstaat einen festen Wohnsitz hat,

c)

im erstgenannten Mitgliedstaat vorübergehend an einer Universität studiert, sich ausschließlich zu diesem Zweck vorübergehend dort aufhält und anschließend in den anderen Mitgliedstaat zurückkehrt und

d)

die Kosten seines Studiums und seines Aufenthalts im ersten Mitgliedstaat ganz oder größtenteils von seinen Eltern oder durch ein Stipendium aufgebracht werden.

Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, spielt es keine Rolle, ob der betreffende Student im ersten Mitgliedstaat während seines dortigen Aufenthalts mit einer Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats als des erstgenannten verheiratet ist und mit dieser zusammenwohnt, auch wenn sie dort eigene Einkünfte erzielt, für die der Student möglicherweise Einkommenssteuer zahlen muß.“


( *1 ) Aus dem Niederländischen übersetzt.