SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MARCO DARMON
vom 20. Juni 1985 ( 1 )
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1. |
Mit Beschluß vom 9. Oktober 1984 ersucht Sie die Pretura Unificata Turin gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag um Vorabentscheidung über die Frage, „ob die Richtlinie 67/548/EWG in ihrer durch die Richtlinie 79/831/EWG geänderten Fassung vorschreibt, daß, ‚sofern in Einzelrichtlinien über gefährliche Zubereitungen nichts anderes vorgeschrieben ist‘, nicht nur Stoffe als solche, sondern auch Stoffe in der Gestalt von Zubereitungen ‚entsprechend den Regeln der Artikel 15 bis 18, den Kriterien des Anhangs VI und den Ergebnissen der in Artikel 6 vorgesehenen Prüfungen‘ zu kennzeichnen sind.“ Die bereits sechsmal geänderte Richtlinie des Rates 67/548 vom 27. Juni 1967 (ABl. L 196 vom 16. 8. 1967, S. 1) betrifft die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe. Zu entscheiden ist somit, ob nach dem Stand des Gemeinschaftsrechts eine Kennzeichnungspflicht nicht nur für gefährliche Staffe, sondern auch für solche Stoffe enthaltende Zubereitungen besteht. |
2. |
Der dem Gericht des Ausgangsverfahrens unterbreitete Sachverhalt ist recht einfach. Die Firma Fina italiana, deren gesetzlicher Vertreter der Angeklagte Caldana ist, produziert und vertreibt Kraft- und Schmierstoffe. Inspektoren des italienischen Umweltschutzdienstes stellten bei einer Kontrolle von der Firma Fina italiana vertriebene Behälter mit Mineralölen für Kraftfahrzeuge sicher. Eine Analyse des Öls ergab, daß es polychlorierte Biphenyle (im folgenden: „PCB“) in Prozentsätzen enthielt, die die für das Inverkehrbringen zugelassenen Grenzwerte nicht überschritten. Gleichwohl wurde dem Angeklagten vorgeworfen, unter Verstoß gegen ein Dekret des italienischen Gesundheitsministeriums vom 21. Mai 1981 auf den Behältern keine Etiketten mit einem Hinweis auf das Vorhandensein von PCB in dem Öl angebracht zu haben. Die Anklage stützt sich auf Artikel 10 des italienischen Gesetzes Nr. 256 vom 29. Mai 1974, der unter anderem folgendes bestimmt: „Der Hersteller, Importeur oder Händler, der den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht entsprechende gefährliche Stoffe oder Zubereitungen in den Verkehr bringt, wird mit Geldstrafe... bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten erkannt werden.“ |
3. |
Das vorlegende Gericht führt aus, in Italien stimme die einschlägige Verwaltungspraxis mit der Rechtsprechung nicht überein. Mit Rundschreiben Nrn. 77 vom 18. August 1978 und 23 vom 19. April 1982 habe das italienische Gesundheitsministerium festgestellt, daß die Vorschriften über die Kennzeichnungspflicht „nur für die ausdrücklich im Anhang I des ministeriellen Dekrets vom 17. Dezember 1977 (später ersetzt durch das ministerielle Dekret vom 21. Mai 1981) aufgeführten Stoffe und besonderen Zubereitungen gelten“. Diese Dekrete seien zur Durchführung des Rahmengesetzes Nr. 256 vom 29. Mai 1974 ergangen, das seinerseits aufgrund der Richtlinie 67/548 erlassen worden sei. Entgegen dieser restriktiven Auslegung der Verwaltung neigten die Strafgerichte im allgemeinen der Auffassung zu, die oben zitierten Bestimmungen gölten nicht nur für die ausdrücklich in den betreffenden Vorschriften (Anhang I des Dekrets vom 21. Mai 1981) aufgeführten Stoffe und Zubereitungen, sondern auch für die solche Stoffe enthaltenden Zubereitungen. Für die Kommission stellen die einschlägigen italienischen Durchführungsgesetze und -dekrete eine zutreffende Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften dar. Somit hängt der Ausgang des Strafverfahrens in Italien von der Antwort des Gerichtshofes ab. |
4. |
Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens, die Kommission und die italienische Regierung haben Erklärungen abgegeben, die auf das gleiche Ergebnis hinauslaufen. Die Richtlinie 67/548 in ihrer geltenden Fassung regele die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung nur für die gefährlichen Stoffe, die als solche in den Verkehr gebracht würden. Sie betreffe Zubereitungen in den Ausnahmefällen, in denen eine eine besondere Kategorie von Zubereitungen betreffende Richtlinie — davon gebe es zur Zeit drei — auf sie verweise. Für andere als die in Einzelrichtlinien genannten Zubereitungen enthalte das Gemeinschaftsrecht nach seinem derzeitigen Stand keine Pflicht zur Kennzeichnung der Packungen. Der Angeklagte und die Regierung der Italienischen Republik sind der Auffassung, die Gemeinschaftsvorschriften hätten in bezug auf die Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen lediglich Programmcharakter. Die Kommission bezeichnet diese Vorschriften als Sondervorschriften. Ihrer Auffassung nach verfügen die Mitgliedstaaten mangels einer die gefährlichen Zubereitungen erschöpfend aufzählenden Richtlinie in bezug auf die Kennzeichnungspflichten über einen beschränkten Freiraum. Jede andere Auffassung könne zu Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsvorschriften, die der vom EWG-Vertrag gewollten Rechtsangleichung zuwiderliefen, oder zu Ungereimtheiten wegen unzureichender oder — im Gegenteil — auf nicht bestehende Risiken hinweisender Kennzeichnungen führen. |
5. |
Die gemeinschaftsrechtliche Regelung ist von der Kommission sehr umfassend dargelegt worden. Ich verweise deshalb auf ihre Erklärungen und stelle die Regelung nur in groben Zügen dar.
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6. |
Mineralöle sind unbestreitbar Zubereitungen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 67/548 in der durch die Richtlinie 79/831 (Artikel 1) geänderten Fassung, denn sie sind „Gemenge, Gemische und Lösungen, die aus zwei oder mehreren Stoffen bestehen“. Es ist ferner unbestritten, daß ihr PCB-Gehalt 0,1 % nicht übersteigt und daß sie folglich nach dem Anhang I der Richtlinie 76/769 des Rates in den Verkehr gebracht werden können. Es bleibt zu entscheiden, in welcher Weise sie in den Verkehr gebracht werden können, mit anderen Worten, ob die in ihnen enthaltenen PCB auf dem Etikett der Behälter, in denen sie gehandelt werden, ausgewiesen werden müssen. Selbst wenn die fraglichen Öle als gefährliche Zubereitungen zu qualifizieren wären, dürften sie nicht in den Geltungsbereich der geänderten Richtlinie 67/548 fallen. Denn
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7. |
Allerdings ist — wie das vorlegende Gericht bemerkt — in bestimmten Artikeln dieser Richtlinie von Stoffen und Zubereitungen die Rede. Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b definiert die Zubereitungen. Artikel 2 Absatz 2 definiert die gefährlichen Eigenschaften für Stoffe und Zubereitungen. Artikel 3 enthält folgende Bestimmung: „Die allgemeinen Grundsätze für die Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe und Zubereitungen werden nach den Kriterien des Anhangs VI angewandt, sofern in Einzelrichtlinien über gefährliche Zubereitungen nichts anderes vorgeschrieben ist“ (Unterstreichungen vom Verfasser). Schließlich bestimmt Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 67/548 in ihrer geänderten Fassung folgendes:
Aus den nachstehenden Erwägungen ergibt sich, daß diese Bestimmungen den Geltungsbereich der Richtlinie nicht allgemein auf Zubereitungen erstrecken.
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8. |
Die Kommission hat sich auch die Frage gestellt, inwieweit die Mitgliedstaaten, der Hersteller oder Importeur frei sind, Verpackungen mit möglicherweise gefährlichen Zubereitungen von sich aus zu kennzeichnen. Ich behandle diese Frage nicht, denn zum einen gibt es dazu, wie sich aus den Akten ergibt, keine italienischen Rechtsvorschriften und zum anderen hat das vorlegende Gericht diese Frage nicht angeschnitten. |
9. |
Ich beantrage deshalb, der Pretura Unificata Turin wie folgt zu antworten: Die Richtlinie 67/548/EWG in ihrer durch die Richtlinie 79/831/EWG geänderten Fassung schreibt nicht vor, daß für Zubereitungen, die einen oder mehrere gefährliche Stoffe enthalten, zwingende Kennzeichnungsvorschriften bestehen müssen, soweit diese Zubereitungen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien 73/173, 77/728 und 78/631/EWG über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung bestimmter Kategorien von Zubereitungen fallen. |
( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.