SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS SIMONE ROZÈS

VOM 28. APRIL 1983 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Das Vorabentscheidungsersuchen des Plymouth Magistrates' Court, zu dem ich heute meine Schlußanträge vortragen möchte, fügt sich in ein Strafverfahren ein, das aufgrund eines Fischereizwischenfalls eingeleitet wurde.

I — Der Sachverhalt ist folgender:

In dem Strafverfahren, das durch Lieutenant Commander Anthony George Rogers, Royal Navy, für das britische Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung eingeleitet wurde, wird Hubert Bernard Louis Darthenay, einem französischen Staatsangehörigen aus Caen, vorgeworfen, sich am 5. August 1981 mit seinem im Vereinigten Königreich nicht eingetragenen Fischereifahrzeug „Christine Marie“ in der britischen Fischereizone in der Position 50° 23.6' N 2° 52.2' W befunden und dabei ein Schleppnetz, Zugnetz oder ähnliches Netz an Bord gehabt und benutzt zu haben, an dessen Spitze eine Vorrichtung in Form eines zweiten Netzes befestigt war, durch das die Maschen unter Verstoß gegen Artikel 7 der Verordnung Nr. 2527/80 des Rates vom 30. September 1980 ( 2 ) verstopft oder verkleinert wurden. Diese Verordnung enthält technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände ( 3 ), und ihre Geltungsdauer wurde durch spätere Verordnungen bis zum 31. Oktober 1981 verlängert; seither ist sie jedoch nicht ersetzt worden.

Der Anklage zufolge verletzte der Angeklagte dadurch Artikel 8 der Fishing Nets (Nr. 2) Order 1980 (Statutory Instrument Nr. 1994 von 1980), deren Geltungsdauer mit Wirkung vom 30. Juni 1981 durch die Fishing Nets (Nr. 2) (Variation) (Nr. 5) Order 1981 (Statutory Instrument Nr. 906 von 1981) verlängert wurde. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift ist es insbesondere verboten, Zugnetze, Schleppnetze und ähnliche Netze innerhalb der britischen Hoheitsgewässer mit sich zu führen, die Vorrichtungen besitzen, durch die die Maschen der Netze unter Verletzung des Artikels 7 der genannten Ratsverordnung verstopft oder verkleinert werden können.

Nach Absatz 2 dieser Vorschrift hindert Absatz 1 nicht die Benutzung von Vorrichtungen, die in einer bestimmten Weise im Inneren des Netzes befestigt werden, um seine Abnutzung zu verhindern oder zu verringern.

Nach Auffassung von Hubert Darthenay war das Verbot des Artikels 7 der Verordnung Nr. 2527/80 des Rates so lange nicht anwendbar, als die dort vorgesehenen Ausnahmen nicht entsprechend Satz 2 dieses Artikels bestimmt worden waren. Er macht geltend, zum fraglichen Zeitpunkt habe es keine gemeinschaftlichen Durchführungsvorschriften zu Artikel 7 gegeben. Zwar habe die britische Regierung durch die Verordnung Nr. 1994 von 1980 eine Reihe von Ausnahmen für bestimmte Vorrichtungen zugelassen, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei sie jedoch nach Ablauf der in Artikel 102 der Beitrittsakte vorgesehenen Übergangszeit nicht mehr befugt gewesen, derartige Vorschriften zu erlassen.

Der mit diesem Verfahren befaßte Plymouth Magistrates' Court hat dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen zur Auslegung des Artikels 7 der Verordnung Nr. 2527/80 vorgelegt. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht allgemein Aufschluß darüber erhalten, ob die in Rede stehende Vorschrift auch dann gilt, wenn keine Durchführungsvorschriften dazu im Verwaltungsausschuß-Verfahren erlassen worden sind. Verneinendenfalls fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten im vorliegenden Fall noch zum Erlaß einer Maßnahme wie der genannten Verordnung Nr. 1994 befugt waren. Die dritte Frage ist für den Fall der Bejahung der ersten Frage gestellt worden, um in Erfahrung zu bringen, ob die Mitgliedstaaten bei Fehlen von Durchführungsvorschriften befugt waren, Ausnahmen von der Art der Verordnung Nr. 1994 von 1980 zu erlassen und sich an die Stelle des Verwaltungsausschusses zu setzen. Die vierte Frage schließlich geht im wesentlichen dahin, ob gegen einen einzelnen Strafverfolgungsmaßnahmen auf der Grundlage von Vorschriften des nationalen Rechts, die mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind, eingeleitet werden dürfen.

II — Ich werde nun jede der gestellten Fragen prüfen.

1. Erste Frage

Nach Auffassung von Hubert Darthenay hängt die Anwendbarkeit des in Artikel 7 Satz 1 der Verordnung Nr. 2527/80 enthaltenen Verbotes von dem Erlaß der in Satz 2 derselben Vorschrift erwähnten Durchführungsvorschriften ab. Diese Voraussetzung ergebe sich schon aus dem Wortlaut der umstrittenen Vorschrift. Jede andere Auslegung sei unsinnig, denn einerseits sei die Benutzung von Netzen, die keine Vorrichtung gegen die Abnutzung besäßen, undenkbar und andererseits wären die Fischer dann gezwungen, wesentliche Beträge für den Kauf von Netzen ohne Schutzvorrichtung für einen kurzen Zeitraum aufzuwenden. Aus dem von der Kommission vorgelegten Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Rates, in deren Verlauf die Verordnung Nr. 2527/80 angenommen worden sei, ergebe sich, daß sowohl die Kommission als auch der Rat die Auffassung des Angeklagten teilten. Dieser Text sehe nämlich sowohl Artikel 6 der Verordnung, wonach die Öffnung der Maschen der Netze nach Regeln gemessen werde, die ebenfalls gemäß dem Verwaltungsausschuß-Verfahren zu erlassen seien, als auch Artikel 7 als „unvollständige“ Vorschriften an. Deshalb sei in dem Protokoll vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten der Artikel 6 und 7 die gemäß den Verfahren und Kriterien des Anhangs VI der Entschließung des Rates vom 3. November 1976, der sogenannten „Haager Entschließung“, getroffenen Maßnahmen anwenden.

Meines Erachtens kann jedoch — und ich schließe mich insoweit der Auffassung der Kommission und des Vereinigten Königreichs, die Erklärungen zu dem Vorabentscheidungsersuchen eingereicht haben, an — dieser Auslegung nicht zugestimmt werden.

Denn schon der Wortlaut der streitigen Vorschrift („Es dürfen keine Vorrichtungen benutzt werden, durch die die Maschen in irgendeinem Teil des Netzes verstopft oder praktisch verkleinert werden können“) enthält ein klares und unbedingtes Verbot, derartige Vorrichtungen zu benutzen. Satz 2 dieser Vorschrift sieht Ausnahmen nur für die Vorrichtungen vor, die in den nach dem Verwaltungsausschuß-Verfahren zu erlassenden Durchführungsvorschriften aufgeführt sind. Dieser „Genehmigungsvorbehalt“ macht jedoch die Geltung des Artikels 7 nicht vom Erlaß dieser Durchführungsvorschriften abhängig.

Eine andere Auslegung ergibt sich auch dann nicht, wenn man die in Rede stehende Vorschrift in den Zusammenhang der Verordnung Nr. 2527/80 über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände stellt. In diesem Zusammenhang ist zunächst daran zu erinnern, daß seit Ende der in Artikel 102 der Beitrittsakte vorgesehenen Übergangszeit, also seit dem 1. Januar 1979, die Gemeinschaft im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik für den Erlaß von Maßnahmen zur Erhaltung der Meeresschätze zuständig ist. Deshalb erließ der Rat am 30. September 1980 die genannte Verordnung, die notwendigerweise Vorschriften über die Maschenöffnung enthalten mußte.

Ich möchte bemerken, daß die Kontrolle der vorgeschriebenen Maschenöffnungen unmöglich wäre, wenn man Vorrichtungen zuließe, durch die die Maschen der Netze verstopft oder praktisch verkleinert werden können. Deshalb wurde die Benutzung solcher Vorrichtungen in Artikel 7 Satz 1 der in Rede stehenden Verordnung grundsätzlich verboten. Ebenso wäre die Geltung der Verordnung völlig in Frage gestellt, wenn die Anwendung dieser Verbotsnorm vom Erlaß der in Satz 2 vorgesehenen Durchführungsvorschriften abhängig gemacht würde. Schließlich wäre das Verbot wirkungslos, wenn es den Mitgliedstaaten gleichzeitig verboten wäre, Erhaltungsmaßnahmen in diesem Bereich auch nach dem Übergang der Kompetenz auf die Gemeinschaft beizubehalten. Wir stünden dann vor einer Rechtslücke, die, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, im Bereich der Erhaltung der biologischen Meeresschätze vermieden werden muß.

Zudem steht Artikel 7 Satz 1 der Verordnung bei richtiger Auslegung nicht der Benutzung von Vorrichtungen entgegen, deren einziger Zweck darin besteht, die Abnutzung der Netze zu verhindern oder einzuschränken, und durch die die Maschen nichc verstopft oder praktisch verkleinert werden können. Insoweit kann die dem Tatrichter obliegende Abgrenzung zwischen verbotenen Vorrichtungen und zulässigem Netzzubehör im konkreten Fall schwierig sein. Diese Schwierigkeit soll durch die zukünftigen, in Satz 2 vorgesehenen Durchführungsvorschriften verringert werden. Deshalb kann Satz 2 nicht die Aussetzung des in Satz 1 enthaltenen Verbotes rechtfertigen.

Es sind jedoch die Durchfiihnmgsvorschrifien und nicht das Verbot des Artikels 7 Satz 1, auf die sich folgende Stelle des Protokolls der Sitzung des Rates bezieht: „Der Rat und die Kommission [kommen] überein, daß die Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten der Artikel 6 und 7 die... gemäß den Verfahren und Kriterien des Anhnags VI der Entschließung des Rates vom 3. November 1976“, der sogenannten Haager Entschließung, „getroffenen Maßnahmen anwenden“.

Diese Entschließung, deren Wortlaut sich in dem Urteil in der Rechtssache Kommission/Irland ( 4 ) findet, schließt grundsätzlich alle einseitigen Maßnahmen der Mitgliedstaaten aus und läßt bei Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen nur solche Maßnahmen zu, die vorsorglich und in nicht diskriminierender Weise getroffen werden. In der Entschließung wird überdies hervorgehoben, daß Maßnahmen dieser Art nicht die künftigen Leitlinien der Gemeinschaftspolitik zur Erhaltung der Fischbestände präjudizieren dürfen und daß sich der betreffende Mitgliedstaat vor Ergreifen derartiger Maßnahmen bemühen muß, die Billigung der Kommission zu erhalten, die in allen Phasen des Verfahrens zu konsultieren ist.

Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich ( 5 ) entschieden hat, müssen die Erfordernisse, die ursprünglich während der durch Artikel 102 der Beitrittsakte eröffneten Übergangszeit aufgestellt worden sind, nach Ablauf dieser Übergangszeit in einem neuen Zusammenhang beurteilt werden, in dem Sinne, daß die Mitgliedstaaten, soweit sie als Sachwalter des gemeinsamen Interesses tätig werden, nicht nur verpflichtet sind, die Kommission eingehend zu konsultieren, sondern auch darauf verzichten müssen, einzelstaatliche Erhaltungsmaßnahmen entgegen Einwänden, Vorbehalten oder Bedingungen, die von der Kommission formuliert werden könnten, zu erlassen.

Durch dieses Verfahren soll sichergestellt werden, daß die Mitgliedstaaten bis zum Erlaß der in Artikel 7 Satz 2 der Verordnung vorgesehenen Durchführungsvorschriften nur solche Vorrichtungen zulassen, die nicht unter Satz 1 fallen. Es wurde, wie die Kommission ausdrücklich erklärt hat, sowohl bei Erlaß der Fishing Nets (Nr. 2) Order 1980 als auch bei Erlaß der Fishing Nets (Nr. 2) (Variation) (Nr. 5) Order 1981, die lediglich die Geltungsdauer der erstgenannten Verordnung verlängerte, eingehalten. Die Kommission gab dadurch, daß sie diesen Rechtsakten zustimmte, insbesondere bekannt, daß die in Artikel 8 Absatz 2 der Fishing Nets (Nr. 2) Order 1980 genannten Vorrichtungen, das heißt die Vorrichtungen, die auf der Innenseite des Netzes angebracht werden, um seine Abnutzung zu verhindern oder zu verringern, nicht als nach Artikel 7 Satz 1 der Verordnung verbotene Vorrichtungen anzusehen sind.

Insoweit entspricht die Situation nicht derjeningen, über die Sie in der Rechtssache Tymen ( 6 ) zu entscheiden hatten. Die erste Frage ist somit zu bejahen.

2. Zweite Frage

Die zweite Frage wird durch die von mir soeben befürwortete Bejahung der ersten Frage gegenstandslos.

3. Dritte Frage

Die Antwort ergibt sich aus den zur ersten Frage angestellten Erwägungen. Demnach stand es den Mitgliedstaaten

bis zum Erlaß der in Artikel 7 Satz 2 der Verordnung vorgesehenen Durchführungsvorschriften frei, mit Zustimmung der Kommission die Vorrichtungen zu bezeichnen, die nicht die in Artikel 7 Satz 1 genannte Wirkung haben.

4.

Schließlich haben Sie die vierte. Frage bereits in Ihrem Urteil in der Rechtssache Tymen wie folgt beantwortet:

„Eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer nationalen Rechtsvorschrift, die für gemeinschaftsrechtswidrig erkannt worden ist, ist ebenfalls mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar“ ( 7 ).

Unter diesen Umständen schlage ich vor, wie folgt zu erkennen :

Der' Verbot des Artikels 7 Satz 1 der Verordnung Nr. 2527/80 des Rates vom 30. September 1980 galt bis zum 31. Oktober 1981 aufgrund der Verlängerung der Geltungsdauer dieser Verordnung, auch wenn die in Artikel 7 Satz 2 vorgesehenen Durchführungsvorschriften nicht erlassen waren.

Dieses Verbot stand der Benutzung von Vorrichtungen, die nicht geeignet waren, die Maschen in irgendeinem Teil dės Netzes zu verstopfen oder praktisch zu verkleinern, und die in erster Linie benutzt wurden, um die Abnutzung der Netze zu verhindern oder zu verringern, nicht entgegen. Es ist Sache des nationalen Gerichts festzustellen, ob dies der Fall war.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

(

2

)

„Es dürfen keine Vorrichtungen benutzt werden, durch die die Maschen in irgendeinem Teil eines Netzes verstopft oder praktisch verkleinert werden können. Dies schließt die Benutzung der Vorrichtungen nicht aus, die in den nach dem Verfahren des Artikels 20 zu erlassenden Durchführungsvorschriften aufgeführt sind.“

( 3 ) ABl. Nr. L 258 vom 1. Oktober 1980, S. 1.

( 4 ) Uncii vom 16. Februar 1978, Rechtssache 71/77, Slg. 1978,417.

( 5 ) Urteil vom 5. Mai 1981, Rechtssache 804/79 (Slg. 1981, 1045); diese Rechtsprechung wurde in den Urteilen vom 16. Dezember 1981 (Tymen, Slg. 1981, 3081) und vom 30. November 1982 (Noble Kerr, Slg. 1982, 4053) bestätigt.

( 6 ) Vgl. das vorgenannte Urteil in der Rechtssache Tymen, Slg. 1981, 3092, Randnr. 11 der Entscheidungsgründe.

( 7 ) Vgl. das vorgenannte Urteil in der Rechtssache Tymen, Slg. 1981,3095.