SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PIETER VERLOREN VAN THEMAAT

VOM 22. SEPTEMBER 1982 ( 1 )

UND BESTÄTIGT IN DER SITZUNG VOM 9. DEZEMBER 1982

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Die Rechtssache Oosthoek zeigt einmal mehr, daß der Bereich, in dem Kartelle, unterschiedliche gesetzliche Marktregelungen der einzelnen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsrecht zusammentreffen, ein Feld voller Fallgruben, Hürden, Fußangeln und Fallen ist. Einige dieser Komplikationen machen es nicht einfach, auf die dem Gerichtshof vom Gerechtshof Amsterdam gestellte Frage eine Antwort zu geben, die Widersprüche zu der Tendenz der umfangreichen für diese Rechtssache relevanten Rechtsprechung des Gerichtshofes vermeidet. Ich gebe zunächst eine Übersicht über diese Komplikationen:

a)

Die Firma Oosthoek's Uitgeversmaatschappij BV (im folgenden: Oosthoek) ist ihren schriftlichen Erklärungen in dieser Rechtssache (Seite 10) zufolge in eine Grube gefallen, die die Vereniging ter Bevordering van de Belangen des Boekhandels (Vereinigung zur Förderung der Interessen des Buchhandels) gegraben hat. Die schenkweise Gewährung von Büchern aus dem eigenen Sortiment beim Verkauf von Nachschlagewerken der hier in Rede stehenden Art ist nämlich nach Artikel 3 der hier strittigen Wet Beperking Cadeaustelsel 1977 (Gesetz über die Beschränkung des Zugabewesens) unter bestimmten Voraussetzungen uneingeschränkt zulässig. Diese Ausnahme unterstreicht die eigentlichen Zielsetzungen des Gesetzes, auf die ich noch zurückkommen werde. Nach ihren schriftlichen Erklärungen in dieser Rechtssache wird die Firma Oosthoek jedoch durch das von dieser Vereinigung erlassene Reglement voor het handelsverkeer (Regelung über den Handelsverkehr) daran gehindert, die in diesem Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Diese Voraussetzungen besagen zusammengefaßt, daß das betroffene Unternehmen dem Käufer die Wahl lassen muß zwischen der Zugabe und einem Geldbetrag, der mindestens die Hälfte des Preises ausmachen muß, zu dem die Zugabe normalerweise zum Kauf angeboten wird (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c in Verbindung mit Absatz 2 Buchstabe a). Den schriftlichen Erklärungen der Firma Oosthoek zufolge gilt die Erfüllung dieser Voraussetzung jedoch nach Artikel 12 der genannten Kartellregelung als ein durch das Kartell verbotener Rabatt.

Die Firma Oosthoek versucht nun, diese Falle zu umgehen, indem sie darlegt, daß eine in Artikel 4 Absatz 3 des Gesetzes normierte andere Ausnahme von dem grundsätzlichen Zugabeverbot in ihrer praktischen Anwendung in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 30 bis 36 EWG-Vertrag gerät. Dieser Artikel 4 Absatz 3 enthält zusammengefaßt eine Ausnahme zugunsten der Gewährung einer Ware als Zugabe, die erstens in einem Verwendungszusammenhang („consumptieverwantschap“) mit dem zum Kauf angebotenen Erzeugnis steht, zweitens mit einer bei normalem Gebrauch ins Auge fallenden, dauerhaften Reklameaufschrift versehen ist und deren Wert drittens 4 % des Verkaufspreises sämtlicher Waren nicht überschreitet, deren Verkauf der Grund für die Gewährung der Zugabe ist. Diesem Erfordernis des Verwendungszusammenhangs genügen die hier in Rede stehenden Zugaben dem Gesetzestext und der einschlägigen Rechtsprechung zufolge nicht. Da eine im übrigen vergleichbare, von der belgischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen angeführte belgische Regelung dieses Erfordernis des Verwendungszusammenhangs nicht kennt, kann die Firma Oosthoek die in Rede stehende Zugabeaktion in Belgien durchführen. Das behindert die Firma Oosthoek in ihrem unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechts an sich zu begrüßenden Streben, im gesamten niederländischen Sprachgebiet eine einheitliche Absatzstrategie zu verfolgen.

Dies hat das innerstaatliche Gericht veranlaßt, dem Gerichtshof folgende Frage vorzulegen:

„Steht es im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht (insbesondere mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs), daß ein Verleger, der den Absatz verschiedener, für das gesamte niederländische Sprachgebiet bestimmter Nachschlagewerke, die teils aus den Niederlanden, teils aus Belgien stammen, durch das Anbieten von Zugaben in Form von Büchern zu fördern versucht, diese Methode der Absatzförderung, die in Belgien zugelassen ist, in den Niederlanden aufgrund der Bestimmungen der Wet Beperking Cadeaustelsel nur deshalb einstellen muß, weil nach der niederländischen Regelung zwischen der Zusage und dem Erzeugnis, das die Grundlage für das Anbieten der Zugabe bildet, ein Verwendungszusammenhang bestehen muß?“

Bei der Beantwortung dieser Frage müssen die nun aufzulistenden Hürden genommen und Fußangeln und Fallen vermieden werden.

b)

Zuerst ist zu untersuchen, ob die Wet Beperking Cadeaustelsel 1977, soweit sie hier einschlägig ist, der in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes zum festen Ausgangspunkt gewordenen Grundregel aus dem Urteil in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnummer 5 der Entscheidungsgründe) zuwiderläuft. Diese Frage wird von der Firma Oosthoek und der Kommission bejaht, von der niederländischen, der deutschen und der dänischen Regierung verneint. Ich werde diese Prüfung in Abschnitt 2 dieser Schlußanträge vornehmen.

c)

Im Falle einer Bejahung der soeben genannten Frage ist sodann zu untersuchen, ob im vorliegenden Fall Anwendung findet, was ich in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache 6/81 (Beele) kurz als die „redelijkheidsclausule“ (wonach die betreffende Maßnahme „sinnvoll“ sein muß) oder „rule of reason“ aus Randnummer 6 des Dassonville-Urteils mit deren Erläuterung in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes angedeutet habe ( 2 ). Dabei ist natürlich das Mißverständnis zu vermeiden, daß es hier um eine Anwendung oder Ausweitung der Ausnahmen des Artikels 36 geht (wofür sich die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgesprochen hat), da die bei gesetzlichen Beschränkungen des Zugabewesens betroffenen Belange (namentlich die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz) auf keinen Fall zu den in Artikel 36 abschließend aufgeführten Belangen gezählt werden können. Hierfür verweise ich auf das Urteil in der Rechtssache 113/80 (Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, Randnummer 10 der Entscheidungsgründe).

Die Prüfung der aus Gesetzen der vorliegenden Art sich ergebenden Handelshindernisse an der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur „rule of reason“ werde ich in Abschnitt 3 meiner Schlußanträge vornehmen. Die wichtigsten Hürden, die dabei genommen werden müssen, scheinen mir die folgenden zu sein:

Wie sich erstens aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, seinem Wortlaut und dem Schrifttum ergibt, dient das in Rede stehende Gesetz zwar auch dem Verbraucherschutz, bezweckt jedoch nicht ausdrücklich die Förderung der Lauterkeit des Handelsverkehrs, da das letztgenannte Rechtsgebiet vollständig durch die Rechtsprechung auf dem Gebiet der unerlaubten Handlung (Artikel 1401 des niederländischen bürgerlichen Gesetzbuchs) und eine einzige Sonderbestimmung im niederländischen Strafgesetzbuch beherrscht wird ( 3 ). Das Gesetz wird zu der Gruppe von Gesetzen gerechnet, deren Zweck die Gewährleistung eines „geordneten Wirtschaftsverkehrs“ ist. Zu dieser Gruppe von Gesetzen werden den schriftlichen Erklärungen der niederländischen Regierung zufolge auch die Uitverkopenwet (Gesetz über den Ausverkauf), die Colportagewet (Gesetz über den Haustierhandel) und die Wet op het afbetalingsstelsel (Gesetz über das Abzahlungssystem) sowie anderen in der Fußnote genannten Quellen zufolge ferner die Winkelsluitingswet (Ladenschlußgesetz) und bestimmte Aspekte der Vestigingswet Bedrijven (Gesetz über die Niederlassung von Betrieben) gerechnet. Nach der Begründung der in Rede stehenden Gesetze steht die Wet Beperking Cadeaustelsel in einem besonders engen entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang mit der Entwicklung der Niederlassungsgesetzgebung. Die aufeinander folgenden Fassungen des Gesetzes (1955, 1972 und 1977) waren insbesondere eng verbunden mit den Änderungen der gesetzlichen Vorschriften über die Niederlassung von Einzelhandelsunternehmen. Unter anderem zwangen diese Änderungen in den gesetzlichen Niederlassungsvorschriften der Gesetzesbegründung zufolge dazu, die ursprüngliche Zielsetzung des Verbots der Gewährung von „branchenfremden“ Waren als Zugabe zu ersetzen durch den Schutz der Unternehmen, „die die als Zugabe angebotenen Waren in ihrem normalen Sortiment anzubieten pflegen“, als erste Zielsetzung des nun geltenden Gesetzes. Ich erinnere daran, daß der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland sich am Ende der mündlichen Verhandlung ausdrücklich von einer derartigen wirtschaftlichen Rechtfertigung eines Zugabeverbots distanziert hat. Ebensowenig wie die Wet Beperking Cadeaustelsel können die anderen zu der genannten Gruppe von Gesetzen zur Förderung des geordneten Wirtschaftsverkehrs gehörenden Gesetze als Regelungen zur Förderung des lauteren Wettbewerbs angesehen werden. Alle genannten Gesetze gehören, ebenso wie zum Beispiel die Preisgesetzgebung, die Agrargesetzgebung und die Transportordnung, zur Marktordnüngsgesetzgebung oder zu einem bestimmten Typ dieser Marktordnungsgesetzgebung. Diesem Typ ist das Merkmal gemeinsam, daß die verfolgten sozialökonomischen Marktordnungsziele hier grundsätzlich in dauerhafte Rechtsnormen münden, doch schließt dieser Grundsatz ein mehr oder weniger großes Ermessen beim Erlaß konkreter Durchführungsbestimmungen nicht aus.

Die genannte Zielsetzung des Gesetzes wirft damit die Frage auf, ob die niederländische Regierung und die Kommission das in Rede stehende Gesetz in ihren, schriftlichen Erklärungen zu Recht Gesetzen zürn Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs gleichgestellt haben, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes unter die „rule of reason“ des Dassonville-Urteils fallen, und ob es, wenn diese Frage verneint wird, gerechtfertigt ist, auch wirtschaftsordnende Gesetze unter diese Regel zur Milderung der Grundaussage des Dassonville-Urteils zu bringen. Bei der Untersuchung dieser doppelten Frage werde ich einige alternative. Antworten auf ihre Brauchbarkeit hin prüfen.

Zweitens wirft die Anwendung des genannten Kriteriums aus Randnummer 6 des Dassonville-Urteils (wonach die Maßnahme „sinnvoll“ sein muß) mit dem ihrri nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im vorliegenden Fall besondere Probleme auf. Hinsichtlich des Erfordernisses eines Verwendüngszüsammenhangs, das in der vorri vorlegenden Gericht angeführten Ausnahmebestimmung enthalten ist, läßt sich nämlich fragen, ob handelsbehindernde Wirkungen dieser Bestimmung, die offenkundig dazu dient, den Schaden für dert regulären Geschenkartikelhandel zu beschränken (erste Zielsetzung des Gesetzes), durch dieses Ziel gerechtfertigt wird, wenn es um Waren geht, die das betreffende Unternehmen im eigenen Sortiment führt. Daß die Rechtfertigung dieses besonderen Erfordernisses eines Verwendungszusammenhangs aus dem Marktordnungsziel des niederländischen Gesetzes und nicht aus den Gesichtspunkten der Lauterkeit des Handelsverkehrs oder des Verbraucherschutzes folgt, scheint mir durch den Umstand bestätigt zu werden, daß sich ein derartiges besonderes Erfordernis in keiner der im übrigen vergleichbaren Ausnahmen findet, die in den gesetzlichen Regelungen des Zugabewesens in anderen Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

Drittens ist wegen der handelsbehindernden Wirkung der Unterschiede in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet noch auf die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Kriterien „in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht“ (Rechtssache 120/78, Randnummer 15 Und Tenor) und „Gleichwertigkeit von in einem anderen Mitgliedstaat aufgestellten Erfordernissen“ (s. namentlich Urteil vom 22. Juni 1982 in der Rechtssache 220/81, Robertson) einzugehen.

Auch in der mündlichen Verhandlung ist es der Firma Oosthoek nicht gelungen darzutun, daß Artikel 34 EWG-Vertrag im vorliegenden Fall einschlägig ist. Wie der Bevollmächtigte der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung noch einmal dargelegt hat und wie sich auch aus dem im vorliegenden Fall geltenden Territorialitätsgründsatz des niederländischen Strafrechts ergibt, gilt das betreffende Gesetz nicht für die Ausfuhr von Waren und Geschenken in andere Mitgliedstaaten. Selbst wenn man einrnal annimmt, daß das niederländische Gesetz mittelbar dennoch eine optimale einheitliche Marktstrategie für das gesamte niederländische Sprachgebiet, das heißt namentlich für die Niederlande und Belgien, verhindert, kann keinesfalls von einer diskriminierenden Beschränkung der Einfuhr durch dieses Gesetz im Sinne der Urteile in den Rechtssachen 53/76 (Bouhelier, Slg. 1977, 197), 15/79 (Groenveld, Slg. 1979, 3409) und 155/80 (Oebel, Slg. 1981, 1993) gesprochen werden.

1.2. Der Ablauf des Verfahrens

Von den Tatsachen, die dem Vorlagebeschluß zufolge nach der Feststellung des Politierechter als bewiesen zu gelten haben, ist in Ansehung der konkreten Umstände, die zu der dem Gerichtshof vorgelegten Frage Anlaß gegeben haben, ausschließlich das Anbieten des Weltatlanten als Zugabe bei der Subskription der großen Larousse Encyclopedie von Belang. Diese Enzyklopädie wird aus Belgien in die Niederlande eingeführt; wie aus der Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofes hervorgeht, hat diese Einfuhr einen beträchtlichen Umfang. Die anderen nachgewiesenen Zugabeaktionen betreffen den Verkauf von in den Niederlanden hergestellten Enzyklopädien in den Niederlanden. Das vorlegende Gericht wird daher die Anwendung der Verbotsbestimmungen des betreffenden Gesetzes auf diese Zugabeaktionen nicht an den Artikeln 30 und 34 zu messen brauchen, da dabei nach der angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes und infolge der territorial beschränkten Wirkung dieses Gesetzes auch nicht von einer verbotenen mittelbaren Ausfuhrbeschränkung gesprochen werden kann.

Wegen der Zusammenfassung der in den zahlreichen schriftlichen Erklärungen vorgetragenen Argumente und Tatsachen verweise ich auf den Sitzungsbericht. In der mündlichen Verhandlung sind die schriftlichen Erklärungen der Firma Oosthoek, der niederländischen Regierung, der deutschen Regierung und der Kommission allerdings in einer Reihe von Punkten präzisiert und ergänzt worden. Soweit erforderlich werde ich im Verlauf meiner Schlußanträge noch auf diese Erklärungen zurückkommen.

1.3. Weitere Gliederung der Schlußanträge

In den Abschnitten 2 und 3 meiner Schlußanträge werde ich, wie bereits erwähnt, die einschlägigen Bestimmungen des niederländischen Gesetzes an der Grundregel und an der Milderungsregel des Dassonville-Urteils (Randnummern 5 und 6 der Entscheidungsgründe) und den in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes hierzu gegebenen Erläuterungen, soweit sie vorliegend von Belang sind, prüfen. In Abschnitt 4 meiner Schlußanträge werde ich die gefundenen Ergebnisse zusammenfassen und nach einigen ergänzenden Bemerkungen eine zusammenfassende Antwort auf die Vorlagefrage formulieren.

2. Die einfuhrbehinderten Wirkungen gesetzlicher Beschränkungen des Zugabewesens

Wie sich auch aus dem Sitzungsbericht ergibt, wird eine einfuhrbehindernde Wirkung von Gesetzen wie dem vorliegenden von der niederländischen, der deutschen und der dänischen Regierung verneint. Als Hauptargument führen alle drei Regierungen dabei an, daß es sich hier um Maßnahmen handele, die inländische und eingeführte Erzeugnisse ohne Unterschied träfen. Ein Einfluß auf den zwischenstaatlichen Handel ergibt sich nach Ansicht der niederländischen Regierung allenfalls aus Unterschieden in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Außerdem soll der dänischen und der deutschen Regierung zufolge nicht die Einfuhr von Waren, sondern ausschließlich die Art und Weise des Handels mit diesen Waren Beschränkungen unterworfen sein.

Diese Argumente sind unter anderem im Lichte von Randnummer 5 des Dassonville-Urteils, der zahlreichen Urteile über Preisvorschriften, die unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse angewandt werden, von Randnummer 8 des Urteils in der Rechtssache 120/78 (Cassis de Dijon, Sig. 1979, 649), des Urteils in der Rechtssache 152/78 (Kommission/Frankreich, Slg. 1978, 2299), der die ältere Rechtsprechung zusammenfassenden Randnummer 10 des Urteils in der Rechtssache 113/80 (Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625) und den neueren Urteilen in den Rechtssachen 6/81 (Beele) und 220/81 (Robertson) zu verwerfen. Die Rechtssache 152/81 ist dabei für die vorliegende Rechtssache nur insofern von Belang, als es auch dort um eine Beschränkung bestimmter Werbeaktivitäten und nicht um eine Beschränkung des Handels mit den betreffenden Waren selbst ging.

In dem unlängst ergangenen Urteil in der Rechtssache 75/81 (Blesgen) wird das letztgenannte Urteil nochmals angeführt, um deutlich zu machen, daß eine gesetzliche Regelung über den Handel mit bestimmten Erzeugnissen auch dann, wenn sie die Einfuhr nicht unmittelbar regelt, je nach Lage des Falls die Möglichkeit, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten einzuführen, beeinträchtigen kann. In der Rechtssache Blesgen hat der Gerichtshof schließlich für die Nichtänwendbarkeit von Artikel 30 in Randnummer 9 der Entscheidungsgründe darauf abgestellt, daß es dort nicht um eine „Rechtsvorschrift [ging], die sich nur auf den Verkauf von Getränken mit hohem Alkoholgehalt zum sofortigen Verzehr an allen Orten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, nicht aber auf andere Formen des Vertriebs derartiger Getränke bezieht“. Eine derartige, überdies unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse geltende Maßnahme steht der genannten Randnummer zufolge „in keinem Zusammenhang mit der Einfuhr der Waren und ist aus diesem Grund nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen“.

Wie der Gerichtshof in Randnummer 10 des bereits mehrfach angeführten Urteils in der Rechtssache 113/80 (Kommission/Irland) in Zusammenfassung seiner einschlägigen Rechtsprechung festgestellt hat, „ist es in Ermanglung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und des Inverkehrbringens eines Erzeugnisses Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung, den Vertrieb und den Verbrauch dieses Erzeugnisses betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen, vorausgesetzt allerdings, daß diese Vorschriften den innergemeinschaftlichen Handel nicht [unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell] behindern“. Weiter heißt es dort: „Eine nationale Regelung, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, könnte nur dann von den Anforderungen des Artikels 30 abweichen, wenn sie dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen, insbesondere in bezug auf die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz, gerecht zu werden.“

Für die Prüfung der von mir unterstrichenen Teile dieser Zusammenfassung der Rechtsprechung des Gerichtshofes kommt es im vorliegenden Fall auf die Frage an, ob angesichts des Sachverhalts von einer mittelbaren Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels gesprochen werden kann. Mit der Firma Oosthoek und mit der Kommission bin ich der Ansicht, daß dies in der Tat der Fall ist. Die Wet Beperking Cadeaustelsel 1977 beschränkt durch das besondere Erfordernis des Verwendungszusammenhangs tatsächlich die Möglichkeit von einheitlichen und in verschiedenen anderen Mitgliedstaaten zulässigen Werbeaktionen für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse mittels Zugaben der in der Vorlagefrage genannten Art. Wegen des offenkundigen geschäftlichen Interesses der betroffenen Unternehmen an einer einheitlichen Durchführung einer derartigen, in anderen Mitgliedstaaten, namentlich in Belgien, zulässigen Werbeaktion, wird die Einfuhr der zum Verkauf angebotenen Waren selbst in die Niederlande so zugleich spürbar, wenn auch mittelbar behindert. Ein entscheidender Unterschied zu der in der Rechtssache Blesgen gegebenen Sachlage liegt meines Erachtens namentlich darin, daß in der Rechtssache Oosthoek nicht ein bestimmter Einzelhandelskanal, sondern alle Einzelhandelskanäle von der Regelung betroffen sind. In anderen Fällen als dem hier in Rede stehenden wird eine gesetzliche Beschränkung des Zugabewesens die Wareneinfuhr vielleicht am stärksten behindern, wenn die in allen Absatzländern gleiche Verpackung dieser Erzeugnisse einen Geschenkgutschein enthält, der jedoch nicht zugleich dem in den einzelnen Absatzländern geltenden unterschiedlichen Erfordernissen genügt.

Der Vollständigkeit halber füge ich noch hinzu, daß in einem Fall wie dem vorliegenden die Randnummern 5 und 6 des Urteils in der Rechtssache 8/74 (Dassonville), 8 des Urteils in der Rechtssache 120/78 (Cassis de Dijon) und 10 des Urteils in der Rechtssache 113/80 (Kommission/Irland) wohl auch einen gegenteiligen Schluß aufgrund der Richtlinie 70/50 der Kommission vom 22. Dezember 1969 (ABl. L 13, 1970, S. 29) ausschließen. In der mündlichen Verhandlung hat auch der Bevollmächtigte der Kommission die Ansicht vertreten, daß diese Richtlinie im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ergebnis führen kann.

3. Die Gründe für die Rechtfertigung gesetzlicher Beschränkungen des Zugabewesens

Wenn es um nationale Regelungen geht, die unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten, lassen sich die meisten nationalen Regelungen über das Zugabewesen gemäß Randnummer 10 (am Ende) des Urteils in der Rechtssache Kommission/Irland grundsätzlich nur mit „zwingenden Erfordernissen, insbesondere in bezug auf die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz“, rechtfertigen.

Wie ich in der Einleitung zu meinen Schlußanträgen bereits ausführlich dargelegt habe und wie sich auch der Begründung des Gesetzes und den schriftlichen Erklärungen der niederländischen Regierung und der Kommission entnehmen läßt, liegt die Schwierigkeit im vorliegenden Fall jedoch darin, daß die betreffenden niederländischen Vorschriften nicht auch die Lauterkeit des Handelsverkehrs schützen sollen, sondern daß in erster Linie der Schutz von Unternehmen bezweckt ist, die die Zugaben in ihrem normalen Sortiment anzubieten pflegen. Das in der Vorlagefrage genannte Erfordernis des Verwendungszusammenhangs wird jedenfalls durch diese erste ausdrückliche Zielsetzung des Gesetzes nicht gerechtfertigt, wenn es — wie im vorliegenden Fall — um Erzeugnisse geht, die gerade zum normalen Sortiment dieses Unternehmens gehören. Wie in meinen einleitenden Bemerkungen dargelegt, scheint der Grund für das besondere Erfordernis eines Verwendungszusammenhangs dennoch nicht in dieser ersten ausdrücklichen Zielsetzung des Gesetzes und auch nicht in der zweiten Zielsetzung, dem Verbraucherschutz, zu liegen. Trifft diese Annahme zu — worüber jedoch letztlich nur das innerstaatliche Gericht entscheiden kann — wäre die Vorlagefrage deshalb zu verneinen, wenn der Gerichtshof die im nationalen Recht erfolgte Benennung der die Regelung rechtfertigenden Zielsetzungen für entscheidend hält.

An diesem Ergebnis würde sich auch nichts ändern, wenn der Gerichtshof insoweit bereit wäre, den anerkannten Rechtfertigungsgründen für handelsbehindernde Wirkungen auch Gesichtspunkte eines „geordneten Wirtschaftsverkehrs“, wie sie hier angeführt werden, hinzuzufügen. Abgesehen davon, daß dieser Begriff nach dem Urteil in der Rechtssache 7/61 keinen zulässigen wirtschaftspolitischen Rechtfertigungsgrund bieten würde ( 4 ), daß er nur in den Niederlanden bekannt ist und daß er schließlich wegen seiner Unbestimmtheit die Gefahr seiner uferlosen Ausweitung auf andere einfuhrbehihdernde Maßnahmen der Wirtschaftspolitik mit sich bringt, deren Folge im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu überblicken sind, führt dieser Weg meines Erachtens auch nicht zu einem anderen als dem hier angegebenen Ergebnis. Selbst bei grundsätzlicher Bejahung einer derartigen Ausweitung der Rechtfertigungsgründe bleibt es dabei, daß das Erfordernis eines Verwendungszusammenhangs im Hinblick auf Erzeugnisse aus dem eigenen Sortiment darauf nicht gestützt werden kann, wie ich soeben dargelegt habe. Der Gerichtshof braucht in seinem Urteil daher auf diese Alternative nicht einzugehen.

Ein anderer Ausweg könnte darin liegen, die Rechtfertigungsgründe nicht primär nach innerstaatlichem Recht, sondern nach Gemeinschaftsrecht zu qualifizieren. Zur Vermeidung von Mißbräuchen der in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannten Rechtfertigungsgründe scheint mir diese Lösung auch allgemein gesehen den Vorzug zu verdienen. Da die gesetzliche Regelung'des Zugabewesens unter anderem in der großen rechtsvergleichenden Untersuchung von Ulmer u. a. aus dem Jahr 1968 (Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Band I, niederländische Ausgabe, S. 196 ff.) zum Recht des unlauteren Wettbewerbs gerechnet wird, könnte eine derartige Regelung ungeachtet einer andersgearteten nationalen Einordnung ihrer Zielsetzungen grundsätzlich als gemeinschaftsrechtlich gedeckt angesehen werden, und zwar durch die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes bereits anerkannten Rechtfertigungsgründe des Schutzes der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes. Für die konkrete Vorlagefrage löst dieser Ausweg jedoch noch nicht das Problem, daß nach dem Sinnkriterium aus Randnummer 6 des Dassonville-Urteils in seiner Ausformung durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofes ein objektiver Rechtfertigungsgrund der hier in Rede stehenden Art noch nicht ausreicht. Die konkrete handelsbehindernde Maßnahme muß außerdem „sinnvoll“ oder in den Worten von Randnummer 8 des Urteils in der Rechtssache Cassis de Dijon „notwendig“ zur Erreichung des grundsätzlich gerechtfertigten Ziels sein. Nach der späteren Rechtsprechung schließt dies unter anderem ein Verhältnismäßigkeitserfordernis ein, das besagt, daß die handelsbehindernde Wirkung nicht weiter gehen darf, als es das grundsätzlich zulässige Ziel unbedingt erfordert; des weiteren gehört dazu die Verpflichtung, es als ausreichend anzusehen, wenn im Ausfuhrland geltende Erfordernisse erfüllt sind, die im Lichte der Zielsetzungen als gleichwertig anzusehen sind. Im vorliegenden Fall scheint mir namentlich die Frage, ob dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügt ist, aus den angeführten Gründen auch bei der Wahl dieser Lösung ein Hindernis zu sein, doch muß diese Frage der konkreten Anwendung des Urteils des Gerichtshofes der Beurteilung durch das innerstaatliche Gericht überlassen werden.

Ich komme also zum Ergebnis, daß keine der untersuchten unterschiedlichen Lösungen ohne weiteres eine Bejahung der Vorlagefrage zuläßt und daß ferner in allen Lösungen Raum dafür gelassen werden muß, die konkrete gesetzliche Bestimmung an den vom Gerichtshof als zulässig angesehenen Zielsetzungen einer gesetzlichen Regelung des Zugabewesens und an den übrigen in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zu messen. Außerdem bin ich der Auffassung, daß die Antwort des Gerichtshofes im Grundsatz von der dritten von mir herausgearbeiteten Alternative ausgehen muß.

4. Schlußbemerkungen und Antrag

Die Untersuchung hat somit zum einen ergeben, daß eine gesetzliche Regelung des Zugabewesens der hier strittigen Art sicher mittelbare Behinderungen der Einfuhr zur Folge haben kann, die Artikel 30 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich anwendbar machen.

Zum anderen bin ich zu dem Schluß gelangt, daß das Erfordernis des Verwendungszusammenhangs, das im Mittelpunkt der Vorlagefrage steht, an sich weder durch die in der Rechtsprechung anerkannten Rechtfertigungsgründe des Schutzes der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes noch durch die ausdrücklichen Zielsetzungen der Wet Beperking Cadeaustelsel 1977 als gerechtfertigt angesehen werden kann, so daß außer acht bleiben kann, ob die vom Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung aufgestellte Liste der Rechtfertigungsgründe um die diesem Gesetz unter anderen zugrundeliegende Zielsetzung der Gewährleistung eines geordneten Wirtschaftsverkehrs ergänzt werden kann.

Dieser Schlußbemerkung möchte ich nur noch hinzufügen, daß die Antwort des Gerichtshofes auf die Vorlagefrage selbstverständlich nicht besonders auf das niederländische Gesetz und noch weniger auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten sein darf, der zu der Vorlagefrage Anlaß gegeben hat. Die Antwort auf die gestellte Frage ist abstrakter zu fassen; die in der Frage enthaltene Bezugnahme auf bestimmte Mitgliedstaaten und ihre Rechtsvorschriften darf in die Antwort nicht übernommen werden. Zum einen ist dies ein zusätzliches Argument dafür, dem Weg der Einstufung der Rechtfertigungsgründe nach dem Gemeinschaftsrecht und nicht nach dem innerstaatlichen Recht zu folgen. Zum anderen verstärkt dieses Abstraktheitserfordernis die Notwendigkeit, dem nationalen Gericht eine gewisse Freiheit bei der Anwendung der Antwort des Gerichtshofes auf den konkreten Fall zu lassen.

Aufgrund dieser Überlegungen beantrage ich, auf die Vorlagefrage wie folgt zu antworten:

Solange eine gemeinschaftliche Regelung dieses Bereichs fehlt, steht Artikel 30 EWG-Vertrag einer gesetzlichen Beschränkung von Zugabeaktionen durch einen Mitgliedstaat nicht entgegen, die unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten und aufgrund deren das Angebot von Zugaben als Mittel der Absatzförderung — sofern nicht andere Ausnahmen von einem insoweit bestehenden grundsätzlichen gesetzlichen Verbot anwendbar sind — nur unter der Voraussetzung zulässig ist, daß zwischen der Zugabe und dem Erzeugnis, das die Grundlage für das Zugabeangebot bildet, ein Verwendungszusammenhang besteht, soweit die Anwendung dieser Voraussetzung keine einfuhrbehindemden Folgen hat, die über das hinausgehen, was aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der Lauterkeit des Handelsverkehrs oder aus demjenigen des Verbraucherschutzes unbedingt erforderlich ist. Eventuelle andere mit einem solchen Erfordernis verfolgte Zielsetzungen dürfen — ungeachtet der Frage ihrer Rechtfertigung nach dem Gemeinschaftsrecht — keinesfalls zu Einfuhrbehinderungen führen, die nicht durch diese Zielsetzungen geboten sind.


( 1 ) Aus dem Niederländischen übersetzt.

( 2 ) Da in der wissenschaftlichen Diskussion und auch im vorliegenden Verfahren in der Regel namentlich der zweite Ausdruck benutzt wird, ist vielleicht folgende Verdeutlichung beider Ausdrücke von Nutzen. Der erste Begriff („redelijkheidsclausule“, d. h. das Erfordernis, daß die betreffende Maßnahme „sinnvoll“ sein muß) knüpft an das entscheidende Kriterium aus Randnummer 6 des Dassonville-Urteils an, daß ein Staat zur Unterbindung unlauteren Wettbewerbsverhaltens nur Maßnahmen treffen darf, die „sinnvoll“ sind. Der zweite Begriff knüpft an die amerikanische Rechtsprechung zum Sherman Act an, durch den das strenge Kartellverbot durch eine in der Rechtsprechung entwickelte „ruie of reason“ gemildert worden ist.

Unter anderem nach L. H. Tribe, American Constitutional Law, 1978, S. 340 bis 342, wird eine ähnliche Technik unter Anwendung von Kriterien, die mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 30 recht weitgehend vergleichbar sihd, vom Supreme Court auch in bezug auf die mit Artikel 30 vergleichbare „interstate commerce clause“ angewandt. So gilt auch für die. amerikanische Rechtsprechung' der im Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 7/61 niedergelegte Grundsatz: „Economically based state regulations have almost invariably been struck down“ (a. a. O., S. 340). Mit einer meines Erachtens sehr ähnlichen Technik (wenn auch selbstverständlich mit den anders gearteten Umständen angepaßten Abwägungskriterien) hat auch der Gerichtshof namentlich in seiner Rechtsprechung zu den Artikeln 30 und 59 ff. das in diesen Artikeln ausgesprochene strenge Verbot durch eine „rule of reason“ gemildert, wie sie zum erstenmal im Dassonville-Urteii formuliert worden ist. Wie unter anderem aus dem Dassonville-Urteii und dem Urteil in der Rechtssache 120/78 (Cassis de Dijon, Slg. 1974, 649) hervorgeht, hat der Gerichtshof die näheren Erläuterungen dieser „rule of reason“ überwiegend im Wege der Analogie Artikel 36 entnommen; der wichtigste Unterschied besteht darin, daß es bei dieser Milderung der Gründregel des Dassonville-Urteils im Falle der Nichtanwendbarkeit von Artikel 36 um Maßnahmen gehen muß, die unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten. Unter anderem aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 59 ff. (wo Artikel 36 nicht anwendbar ist, wo jedoch weitgehend vergleichbare Kriterien angewandt werden) kann hier von einer unmittelbaren Anwendung der vom Gerichtshof zu Artikel 36 entwickelten Auslegungsregeln selbstverständlich keine Rede sein. Eher läßt sich meines Erachtens von einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz im Hinblick auf strikte Verbotsbestimmungen des Vertrages sprechen. Dabei werden dann auch andere im allgemeinen Interesse zwingend gebotene Rechtfertigungsgründe als diejenigen, die sich aus wirtschaftlichen Zielsetzungen ergeben, mit den Erfordernissen des freien Waren- und Dienstleitungsverkehrs, die. im EWG-Vertrag niedergelegt sind, versöhnt. Der Begriff „rule of reason“ scheint mir als Charakterisierung dieses Auslegungsgrundsatzes gegenüber den Begriffen „Ausnahme“ oder „Abweichung“ (die in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache 6/81 bzw. in Randnummer 10 des Urteils in der Rechtssache 113/80, Kommission/Irland, verwendet werden) den Vorteil zu haben, daß der Grundsatz in Wahrheit eine Einheit mit der durch ihn gemilderten Verbotsregel bildet, die in Randnummer 5 des Dassonville-Urteils niedergelegt ist. Der Grundsatz muß mit der Verbotsregel auch eine Einheit bilden, da der Vertrag nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 36 keinen Raum für andere echte Ausnahmen von Verbotsregeln als die im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen läßt, wohl aber für eine „sinnvolle“ Auslegung dieser Verbotsregeln. Meines Erachtens kommt die Einheit der Grundregel und der Milderungsregel aus dem Dassonville-Urteii auch in einigen jüngeren Urteilen, unter anderem in den Urteilen in den Rechtssachen 6/81 (Beele) und 220/81 (Robertson), deutlich zum Ausdruck.

( 3 ) Siehe hierzu namentlich den in dieser Hinsicht aufschlußreichen „Rapport van de Commissie Ordelijk Economisch Verkeer“, Den Haag 1967, S. 19 ff., die Ausgabe des betreffenden Gesetzes von Schuurmans und Jordens (1979) S. 9, und Mulder-Duk, Schets van het sociaal-economisch recht in Nederland, 2. Aufl., Zwolle 1980,5. 145 f. und 150.

( 4 ) Obwohl im Urteil in der Rechtssache 7/61 (Kommission/Italien, Sig. 1961, 693) nur festgestellt wird, daß Artikel 36 anders als Artikel 226 (ausschließlich) Tatbestände nichtwirtschaftlicher Art enthält, bringt es die Ratio dieses Urteils meines Erachtens mit sich, daß auch im Rahmen der „rule of reason“ mit Bezug auf Artikel 30 ausschließlich nichtwirtschaftliche, im allgemeinen Interesse liegende zwingende Erfordernisse eine Rolle spielen können. Die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofes zur „rule of reason“ scheint mir die Richtigkeit dieser Annahme zu bestätigen.