SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCESCO CAPOTORTI

VOM 13. JULI 1982 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. 

Das Ihnen zur Entscheidung vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung betrifft eine der Vorschriften des EWG-Vertrags, die die Zuständigkeit des Gerichtshofes regeln, nämlich den dritten Absatz des Artikels 177. Die italienische Corte di cassazione möchte wissen, ob diese Vorschrift „eine Pflicht zur Vorlage (an den Gerichtshof der Gemeinschaft-begründet, die'dem einzelstaatlichen Gericht keinerlei Prüfung der Stichhaltigkeit der aufgeworfenen Frage erlaubt, oder ob und inwieweit diese Verpflichtung von der vorausgehenden Prüfung abhängt, ob ein vernünftiger Auslegungszweifel besteht“.

Ich fasse den Sachverhalt kurz zusammen. Eine große Gruppe italienischer Unternehmen der wollverarbeitenden Branche, darunter die Firmen C.I.L.F.I.T. und Lanificio di Gavardo sowie zahlreiche andere haben das italienische Gesundheitsministerium im September 1974 vor dem Tribunale Rom auf Rückzahlung der Beträge verklagt, die sie — nach ihrem Vortrag ohne dahin gehende Zahlungsverpflichtung — als Gebühren für die gesundheitspolizeiliche Untersuchung von Wolleinfuhren entrichtet haben. Diese Beträge wurden tatsächlich während der Geltung des Gesetzes Nr. 30 vom 30. Januar 1968 entrichtet, das diese Abgaben auf 700 Lire je Doppelzentner eingeführter Wolle festsetzte. Der zu entrichtende Betrag wurde aber durch das Gesetz Nr. 1239 vom 30. Dezember 1970 erheblich geändert und auf nur 70 Lire pro Doppelzentner ermäßigt.

Nachdem die Kläger in erster und in der Berufungsinstanz unterlegen waren, erhoben sie Kassationsbeschwerde unter anderem mit der Begründung, daß die Untersuchungsgebühr nicht hätte erhoben werden dürfen, da sie gegen die Verordnung Nr. 827 des Rates vom 28. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation „für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse“, unter ihnen „Waren tierischen Ursprungs“ nach Tarifnummer 05.15 des Gemeinsamen Zolltarifs, verstoße. Das Gesundheitsministerium wandte dagegen ein, daß Wolle nicht im Anhang II des EWG-Vertrags aufgeführt sei und daher nicht in den Anwendungsbereich der vorgenannten Verordnung falle.

Nach Ansicht der Verwaltung ist die mit der Verordnung Nr. 827/68 getroffene Regelung in diesem Punkt völlig klar und schließt daher „die Notwendigkeit einer Vorlage zur Vorabentscheidung“ an den Gerichtshof aus.

Angesichts dieser Sachlage hat die Corte di cassazione das Verfahren mit Beschluß vom 27. Mai 1981 ausgesetzt und hat dem Gerichtshof die eingangs wiedergegebene Frage vorgelegt.

2. 

Bekanntlich sieht Artikel 177 Absatz 3 vor, daß dann, wenn eine Frage über die Auslegung des Vertrages, über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft oder die Auslegung von Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen „in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt [wird], dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ... dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet [ist]“. Nach Ansicht der Corte di cassazione — die damit einen recht lebhaften Meinungsstreit in der Lehre und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht hat — läßt die oben angeführte Bestimmung zwei verschiedene Auslegungen zu. Man könne nämlich die Ansicht vertreten, daß sie die letztinstanzlichen Gerichte der Mitgliedstaaten unbedingt verpflichte, die Beurteilung der Vorabentscheidungsfragen dem Gerichtshof zu überlassen, ohne diesen Gerichten irgendein Prüfungs- und Beurteilungsermessen einzuräumen, in welchem Maße die Fragen mehrere Lösungen zulassen. Andererseits könne man der Meinung sein, daß Artikel 177 Absatz 3 den innerstaatlichen Gerichten erlaube, durch eine vorherige Prüfung im Rahmen ihres Beurteilungsermessens festzustellen, ob im vorliegenden Fall ein vernünftiger Auslegungszweifel bestehe, so daß eine Vorlage in allen Fällen unterbleibe, in denen sich ein Zweifel dieser Art nicht erhebe.

Bevor wir zur Prüfung des vorgelegten Problems übergehen, ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Corte di cassazione trotz der weiteren Formulierung ihres Ersuchens nur die Vorlage zur Vorabentscheidung über die Auslegung einer Vorschrift des Vertrages oder des abgeleiteten Rechts im Auge gehabt hat. Sie hat daher nicht das Problem einer Vorlage zur Feststellung der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaft angesprochen. Dies ergibt sich meiner Ansicht nach sowohl aus der Tatsache, daß die Corte im letzten Teil ihrer Frage ausdrücklich die These nennt, die sich auf das Vorhandensein eines „vernünftigen Auslegungszweifels“ gründet, als auch aus dem Umstand, daß der beim vorlegenden Gericht anhängige Fall (wie aus dem Vorlagebeschluß hervorgeht) gerade die Auslegung von abgeleiteten Gemeinschaftsnormen betrifft.

3. 

Es ist angebracht, zunächst zu untersuchen, ob sich dem Wortlaut des genannten Artikels 177 etwas für eine Entscheidung zwischen den aufgezeigten Alternativen entnehmen läßt.

Der Umstand, daß im dritten wie auch zweiten Absatz der Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens mit dem Ausdruck „Frage“ bezeichnet ist, läßt einige Autoren hierin eine Bestätigung der These erblicken, nach der die Geltung der durch den dritten Absatz auferlegten Verpflichtung auf die Fälle beschränkt ist, in denen sich wirkliche und echte Auslegungsprobleme stellen, d. h. Schwierigkeiten bei der Auslegung ergeben. Da die vorgenannten Absätze 2 und 3 davon sprechen, daß in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht eine „Frage ... gestellt“ wird, behaupten darüber hinaus einige, die Bestimmung setze damit voraus, daß auf Initiative einer der Parteien des Rechtsstreits (einschließlich gegebenenfalls der Staatsanwaltschaft, soweit die Verfahrensordnungen ihre Beteiligung vorsehen) dem Gericht das Vorhandensein eines Problems der Auslegung des Gemeinschaftsrechts dargelegt werde. Bekanntlich kann jedoch ein Vorabentscheidungsersuchen auch ex officio gestellt werden: Sie haben unlängst in Ihrem Urteil vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 126/80 (Salonia, Slg. 1981, 1563, 1577, Randnummer 7 der Entscheidungsgründe) daran erinnert. In diesem Fall soll die Beurteilungsbefugnis des Gerichts, auch des letztinstanzlichen, nicht in Zweifel gezogen werden dürfen; daraus wird geschlossen, daß es unlogisch wäre, diesen Beurteilungsspielraum für die von Amts wegen gestellten Fragen zuzulassen und für die von den Parteien aufgeworfenen Fragen zu verneinen.

Meiner Ansicht nach führt diese Argumentation zu unannehmbaren Ergebnissen. Der Begriff „Frage“ — oder eher der Ausdruck „derartige Frage“ — wird in Artikel 177 in bezug auf die drei Sachbereiche verwandt, für die eine Zuständigkeit des Gerichtshofs zum Erlaß von Vorabentscheidungen besteht (die drei Bereiche entsprechen den Buchstaben a, b, c). In Absatz 2 werden (zumindest im französischen und italienischen Vertragstext) die Wörter „questione“ (französisch: question) und „punto“ (französisch: point) als Synonyme verwendet ( 2 ). Meines Erachtens ist es daher unangebracht, dem Begriff „Frage“ eine bestimmte Färbung zu geben, indem man ihm die Idee des begründeten Zweifels, der Schwierigkeit, der mehr oder weniger vielschichtigen Wahl unterlegt; wenn es um bestimmte Gesichtspunkte von Rechtsstreitigkeiten geht, muß natürlich eine Entscheidung „darüber“ getroffen werden, und eine Entscheidung über die Auslegung dient immer der Beseitigung einer objektiven Ungewißheit.

Bezüglich der Schlußfolgerungen, die angeblich aus der Notwendigkeit zu ziehen sind, daß die Frage gestellt wird, halte ich die Auslegung durch den Gerichtshof in dem oben erwähnten Urteil Salonia, wonach sich dieser Ausdruck sowohl auf die Parteien als auch auf das Gericht bezieht, für zutreffend: Es ist ungereimt, den Wortlaut des Artikels nur für den Fall gelten zu lassen, daß die Initiative von den Parteien ausgeht, obwohl man zugesteht, daß das Gericht das Vorabentscheidungsersuchen ex officio stellen kann. Zusammenfassend beruht das Recht der Parteien und des Gerichts zur Stellung der Frage immer auf Artikel 177. Dann gilt aber auch die Verpflichtung nach Absatz 3 in allen Fällen, nicht nur bei der Initiative durch die Parteien. Andererseits ist nicht einzusehen, wieso die Befugnis des Gerichts, von Amts wegen eine Vorabentscheidungsfrage zu formulieren, mit der Befugnis gleichzusetzen ist, zu beurteilen, ob es zweckmäßig ist, diese Frage zu formulieren. Diese weite Entscheidungsbefugnis steht zweifellos den nicht in letzter Instanz entscheidenden Gerichten zu, während es bei den Gerichten letzter Instanz durchaus denkbar ist, daß ihre Befugnis sich auf die Beurteilung der Notwendigkeit einer Vorabentscheidungsfrage zur Urteilsfindung beschränkt, und daß in allen Fällen, in denen diese Notwendigkeit festgestellt worden ist, die Pflicht besteht, sich an den Gerichtshof zu wenden.

Letztlich ist der einzige völlig klare Hinweis, der sich aus dem Wortlaut des Artikels 177 ergibt, der Unterschied zwischen den Absätzen 2 und 3: Die im zweiten Absatz erwähnten Gerichte können den Gerichtshof ersuchen, eine Entscheidung über eine Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu treffen; die in Absatz 3 genannten Gerichte hingegen müssen dies tun. Diese einfache Feststellung wird noch einmal aufzugreifen und zu vertiefen sein, wenn das Problem auf seine wesentlichen Bestandteile zurückgeführt worden ist.

4. 

Auf der Ebene der allgemeinen Grundsätze ist bei der Diskussion unseres Problems oft die Theorie des „acte clair“ angeführt worden, die sich in der Feststellung zusammenfassen läßt, daß eine klare Bestimmung keiner Auslegung bedarf.

Diese Theorie hat sich in der französischen Rechtsordnung herausgebildet, in der ausschließlich der vollziehenden Gewalt (und zwar dem Außenministerium) die Auslegung internationaler Verträge übertragen und den Gerichten nur ihre Anwendung erlaubt ist. In diesem Rahmen haben die Gerichte, um die Rolle der vollziehenden Gewalt zu beschränken und Einwirkungen auf die Entwicklung der Rechtsprechung zu begrenzen, diese Theorie aufgestellt, durch die sie sich die Kontrolle über das Vorhandensein oder Fehlen wirklicher Auslegungsschwierigkeiten vorbehalten und somit einen weiten Ermessensbereich gewinnen. In der Folge hat der Conseil d'État — und in geringerem Umfang die Cour de Cassation — die Auffassung vertreten, diese Theorie könne zur Umschreibung des Geltungsbereichs der in Artikel 177 Absatz 3 des EWG-Vertrags festgelegten Verpflichtung fruchtbar gemacht werden.

Ein Widerhall eben dieser Theorie findet sich in den Schlußanträgen Lagrange in den Rechtssachen 28 und 30/62, Da Costa en Schaake, vorgetragen am 13. März 1963 (Slg. 1963, 85, 96). Dort wird unter anderem festgestellt: „Ist die anzuwendende Vorschrift ganz klar, so geht es nicht um die Auslegung, sondern um die Anwendung des Gesetzes.“ Dies fällt in die Zuständigkeit des (einzelstaatlichen) Gerichts, dessen Aufgabe gerade die Anwendung des Gesetzes ist. Dennoch wäre es falsch, diesen Ausdruck, losgelöst von seinem Kontext, als Bestätigung für die Behauptung anzusehen, dem einzelstaatlichen Gericht stehe die Befugnis zur Prüfung der Begründetheit einer von den Parteien gestellten Vorabentscheidungsfrage zu. Aus dem Zusammenhang der oben erwähnten Schlußanträge Lagrange ergibt sich in Wirklichkeit, daß die einzige Absicht meines verehrten Vorgängers darin bestand, die Überflüssigkeit einer erneuten Auslegung durch den Gerichtshof darzutun, wenn dieselbe Frage in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits früher behandelt und beantwortet worden ist. Auf dieser Linie — das heißt der Linie der „Wirkung ... einer ... Auslegung“, die der Gerichtshof bereits früher gegeben hat — liegt auch das Urteil Da Costa vom 27. März 1963 (Slg. 1963, 65, 81), auf das ich im, folgenden noch einmal zurückkommen werde.

Meines Erachtens hilft die Theorie des „acte clair“ bei der Lösung des vorliegenden Problems nicht weiter. Wenn man ihren Ursprung und ihre Aufgabe betrachtet, läßt sich leicht feststellen, daß sie dem Ausgleich der in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat bestehenden Verhältnisse dient, deren Bedingungen keine Analogie zu dem hier diskutierten Sachverhalt zulassen. Die Trennung, die hinsichtlich der Bestimmungen internationaler Verträge zwischen Anwendung durch das Gericht und Auslegung, die dem Außenministerium vorbehalten ist, vorgenommen wird, gibt es in Frankreich, nicht aber in anderen Mitgliedstaaten; die Forderung nach mehr richterlichen Befugnissen gegenüber gewissen Vorrechten der vollziehenden Gewalt ist zudem etwas ganz anderes als die Abgrenzung der Aufgaben, die im Bereich der Auslegung den einzelstaatlichen Gerichten letzter Instanz einerseits und dem Gerichtshof andererseits zugewiesen sind.

Zweitens erscheint der Grundgedanke der Theorie des „acte clair“ ungenau. Die Anwendung einer Vorschrift auf einen bestimmten Fall verlangt stets — logisch und praktisch — die Feststellung des Sinns und der Reichweite jener Regelung; ohne diese Feststellung läßt sich weder feststellen, daß die Regelung auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, noch können aus ihrem Inhalt sämtliche Folgerungen für den Fall gezogen werden. Man kann vielleicht sagen, daß sich bei der Anwendung einer Norm Auslegung und Anwendung durchdringen und vermischen, aber es ist sicher nicht vorstellbar, daß eine Norm angewandt wird, ohne ausgelegt werden zu müssen, zumindestens wenn man den Sinn des Wortes „Auslegung“ nicht verdreht, indem man ihm notwendig das Merkmal von Schwierigkeit unterstellt. Schließlich sollte der oft zitierte lateinische Grundsatz „in claris non fit interpretatio“ vergessen werden: Ob eine Norm klar oder dunkel ist, entscheidet der, der auslegt bei der Erledigung seiner Aufgabe. Diesen Überlegungen kommt erst recht in einer Rechtsordnung Bedeutung zu, in der die Normen sämtlich die technische Schwierigkeit der Abfassung in mehreren Sprachen und die methodische Schwierigkeit, auf eine bereits von zehn einzelstaatlichen Rechtsordnungen geregelte Wirklichkeit Einfluß zu nehmen, aufweisen.

Schließlich soll nicht die Aussagekraft der Tatsachen vernachlässigt werden: Sie zeigen, daß die Theorie des „acte clair“, nachdem sie hinsichtlich des Artikels 177 in die Praxis umgesetzt worden war, eine Anwendung erfahren hat, die ich ohne Zögern als abwegig bezeichnen möchte. Der französische Conseil d'État, der diese Theorie hauptsächlich in Anspruch genommen hát, ist bereits im Jahr 1967 mit seiner Feststellung so weit gegangen, daß der Begriff der Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinn des Artikels 30 EWG-Vertrag — einer der umstrittensten Begriffe dieses Vertrages, wie die Rechtsprechung unseres Gerichtshofes zeigt — keiner Auslegung bedürfe (Entscheidung vom 27. 1. 1967, Syndicat national des importateurs français en produits laitiers, Recueil Lebon, 1967, S. 41). In der Folgezeit hat derselbe Conseil ohne Zögern die Artikel 7 und 37 EWG-Vertrag (Entscheidung vom 27. 7. 1979, Syndicat national des fabricants de spiritueux consommés à l'eau, Recueil Lebon, 1979, S. 335), Artikel 113 EWG-Vertrag und die Entscheidung des Rats 72/455 (Entscheidung vom 12. 10. 1979, Syndicat des importateurs de vêtements et produits artisanaux, Recueil Lebon, 1979, S. 373), die Verordnung Nr. 950/68 des Rates, die Verordnungen Nr. 3321/75 und Nr. 1541/76 der Kommission (Entscheidung vom 2. 10. 1981, Groupement d'intérêt économique Vipal, Recueil Dalloz-Sirey, 1982, Jurisprudence, S. 209) und die Artikel 34 und 37 des Euratom-Vertrags (Entscheidung vom 23. 12. 1981, Gemeinde Thionville, Recueil Lebon, 1981, S. 484) ausgelegt. Eine besondere Erwähnung verdient darüber hinaus die Entscheidung vom 22. Dezember 1978 im Fall Cohn-Bendit (Recueil Lebon, 1978, S. 524), da in ihr der Conseil d'État in klarem Gegensatz zu der wohlbekannten Rechtsprechung des Gerichtshofes durch Auslegung des Artikels 189 des EWG-Vertrags jede Möglichkeit unmittelbarer Wirkungen der Richtlinien verneint hat (in jenem Fall ging es um die Möglichkeit, daß sich eine Privatperson auf eine Richtlinie auf dem Gebiet der Freizügigkeit beruft).

All dies zeigt meiner Ansicht nach, daß die Theorie des „acte clair“ weitgehende Folgen hat: Sie nimmt letztlich dem dritten Absatz des Artikels 177 seine Bedeutung. Unter Zugrundelegung dieser Theorie — die unbegründet und unklar ist — kann man daher nicht erwarten, zu einer richtigen Antwort auf die von der Corte di cassazione vorgelegte Frage zu gelangen.

5. 

Zu ihrer Verteidigung hat die italienische Regierung, die in diesem Rechtsstreit Erklärungen abgegeben hat, ausgeführt, daß die italienische Regelung über die Vorlage von Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit durch die verschiedenen Gerichte bei der Corte costituzionale Anhaltspunkte bieten könne, die bei der Auslegung des Artikels 177 hilfreich seien. Ich darf daran erinnern, daß nach Artikel 23 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 87 vom 11. März 1953 die italienischen Gerichte verpflichtet sind, der Corte costituzionale sämtliche Fragen zur Verfassungsmäßigkeit vorzulegen, soweit diese nicht „offensichtlich unbegründet“ sind. Diese Gerichte prüfen also vorweg die Stichhaltigkeit der Frage; aber der bloße Zweifel, daß eine Frage nicht offensichtlich unbegründet ist, reicht aus, die Vorlagepflicht entstehen zu lassen. Könnte die Handlungsweise der nationalen Gerichte bei einer Streitigkeit mit gemeinschaftsrechtlichem Einschlag von gleichgearteten Kriterien bestimmt werden?

Meines Erachtens muß die Antwort aus verschiedenen Gründen negativ ausfallen. Offensichtlich ist die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes etwas ganz anderes als das System zur Sicherung der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Um das erste Ziel zu verwirklichen, haben nach dem geltenden System in Italien sämtliche Gerichte die Aufgabe eines Filters hinsichtlich der Begründetheit der Frage; dagegen haben bezüglich des zweiten Ziels die Verträge festgelegt, daß einige Gerichte völlige Freiheit haben, Auslegungsfragen an den Gerichtshof zu stellen oder nicht, während andere hierzu verpflichtet sind. Für die nicht letztinstanzlichen Gerichte wäre die Zuerkennung der Aufgabe eines Filters daher überflüssig, während sie für die letztinstanzlichen eine Abschwächung der durch den letzten Absatz des Artikels 177 auferlegten Verpflichtung bedeuten würde. Es bliebe die Grundlage zu klären, da der Gesetzestext klar ist und ein im Recht eines Mitgliedstaats geltender Grundsatz sicher nicht auf das Gemeinschaftsrecht übertragen werden kann (selbst wenn der Grundsatz inhaltlich auf die tatsächlichen Verhältnisse dieser anderen Rechtsordnung anwendbar wäre). Tatsächlich besteht die Befugnis/Verpflichtung des Gerichtes zur Prüfung der Begründetheit der Frage (oder eher ihrer nicht offensichtlichen Unbegründetheit) im italienischen Recht auf der Grundlage einer speziellen Bestimmung, während der Vertrag von Rom keine dieser Bestimmung entsprechende Norm enthält. Dieses Fehlen scheint mir bedeutsam — vom Standpunkt der Ablehnung jeder analogen Befugnis/Verpflichtung im Rahmen des Artikels 177 —, da die italienische Regelung der Vorlage an die Corte costituzionale bei der Abfassung von Artikel 177 sicher nicht unbekannt war.

6. 

Zugunsten der These, die die Reichweite der Verpflichtung für die letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage von Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts an den Gerichtshof einschränkt, werden auch einige Argumente vorgetragen, die man als „Opportuni-tätsgesichtspunkte“ bezeichnen könnte. Man weist darauf hin, bei einer derartigen Auslegung des Artikels 177 werde vermieden, daß der Gerichtshof einer übermäßigen Belastung durch Vorabentscheidungsverfahren, die den reibungslosen Geschäftsgang gefährde, ausgesetzt werde und daß zweitens die einzelstaatlichen Gerichte Verzögerungen und Kostensteigerungen wegen haltloser Vorabentscheidungsfragen in Kauf nehmen müßten. Die erwähnte These trage im übrigen dadurch, daß sie den einzelstaatlichen Gerichten einen gewissen Beurteilungspielraum einräume, am ehesten dazu bei, die eigenständige Rolle dieser Gerichte zu bewahren.

Tatsächlich erscheint mir diese Art von Argumenten nicht entscheidend. Vielleicht würde die Entgegnung genügen, daß die Bedeutung einer Bestimmung nicht von Opportunitätserwägungen abhängen kann. Aber man muß sich auch die Gründe vor Augen halten, die für die Ansicht sprechen, die der eben beschriebenen These entgegengesetzt ist. Tatsächlich gründet sich das Erfordernis, daß die letztinstanzlichen Gerichte Vorabentscheidungsfragen stets dem Gerichtshof vorlegen, auf die besonderen technischen und systematischen Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, auf die ich vorhin bereits hingewiesen habe (Textfassungen in mehreren Sprachen; inhaltliche und terminologische Neuerungen, die dieses Recht mit sich bringt). Man muß hinzufügen, daß zwischen den Auslegungsmethoden des Gerichtshofs und jenen, von denen die einzelstaatlichen Gerichte ausgehen, unvermeidliche Unterschiede bestehen, die bedingt sind durch den unterschiedlichen rechtlichen Rahmen, in dem beide jeweils arbeiten.

7. 

Der Gerichtshof hat bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er sich zum letzten Absatz des Artikels 177 geäußert hat, den zwingenden Charakter dieser Vorschrift betont, ohne nur im geringsten auf die Meinung einzugehen, nach der den höheren Gerichten ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum zusteht. Ich berufe mich auf die Urteile vom 27. März 1963 (Da Costa, oben angeführt), vom 18. Februar 1964 in den verbundenen Rechtssachen 73 und 74/63 (Internationale Crediet, Slg. 1964, 1), vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 6/64 (Costa/Enel, Slg. 1964, 1251), vom 4. Februar 1965 in der Rechtssache 20/64 (Albatros, Slg. 1965, Band XI-3, 1) und vom 24. Mai 1977 in der Rechtssache 107/76 (Hoffmann-La Roche, Slg. 1977, 957). Während der Gerichtshof sich in dem Urteil Costa/Enel darauf beschränkt hat, die oben aufgeführte Vorschrift zu umschreiben und in dem Urteil Albatros lediglich „das Recht oder die Pflicht“, das Verfahren nach Artikel 177 anzuwenden, erwähnt hat, hat er sich im Urteil Da Costa (im wesentlichen bestätigt durch das Urteil Internationale Crediet) zu zwei Punkten geäußert: Zum einen seien auseinanderzuhalten „die den nationalen Gerichten letzter Instanz in Artikel 177 Absatz 3 auferlegte Verpflichtung und die allen nationalen Gerichten in Absatz 2 dieses Artikels eingeräumte Befugnis, Fragen der Auslegung des Vertrages dem Gerichtshof der Gemeinschaften vorzulegen“; zum anderen hat er festgestellt, daß der letzte Absatz des Artikels 177 „nationale Gerichte ..., deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ohne jede Einschränkung dazu verpflichtet, dem Gerichtshof alle sich in hei ihnen anhängigen Verfahren stellenden Fragen der Auslegung des Vertrages vorzulegen“. Diese Verpflichtung würde jedoch nach dem Urteil Da Costa Sinn und Bedeutung verlieren, wenn sich herausstellen würde, daß die aufgeworfene Frage „tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist“. Somit hat der Gerichtshof nur eine einzige Ausnahme von der Verpflichtung aus der vorstehend zitierten Norm zugelassen, nämlich die Möglichkeit, sich auf eine frühere Vorabentscheidung des Gerichtshofes bezüglich derselben Frage zu berufen.

Beachtliches Interesse verdient meines Erachtens das oben erwähnte Urteil vom 24. Mai 1977 in der Rechtssache Hoffmann-La-Roche, da es unter Randnummer 5 der Entscheidungsgründe das Ziel des Artikels 177 („die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen“) und die besondere Absicht des dritten Absatzes klarstellt (zu „verhindern, daß sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Gemeinschaftsrechts nicht im Einklang steht“). Von diesen beiden Punkten muß man in Wahrheit ausgehen, um das Ersuchen der Corte di cassazione zu beantworten.

Es sei mir schließlich erlaubt, noch einmal den Gesichtspunkt zu betonen, den ich im Rahmen meiner Schlußanträge in der vorerwähnten Rechtssache 107/76 (Hoffmann-La Roche, Slg. 1977, 974, 985) zum Ausdruck gebracht habe: „Da es bei Artikel 177 Absatz 3 im Grunde um die Auslegung einer prozessualen Bestimmung geht, sollte die Tragweite dieser Vorschrift ... aufgrund objektiver und genauer Kriterien bestimmt werden, damit für Ermessensentscheidungen der Gerichte, die diese Vorschrift anzuwenden haben, kein Raum bleibt.“ Würde man der Vorstellung folgen, daß die Vorlageverpflichtung nur im Falle eines vernünftigen Auslegungszweifels bestünde, würde man offenkundig ein subjektives und ungewisses Element einfügen: Dies würde die Verwirklichung des Verfahrensziel des Artikels 177 gefährden, nämlich (woran ich in den oben erwähnten Schlußanträgen erinnert habe) die „Wahrung der Rechtssicherheit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts“.

8. 

In bezug auf dieses Ziel haben der zweite und der dritte Absatz des Artikels 177 offenkundig verschiedene Aufgaben. Absatz 2 versichert die nicht letztinstanzlichen einzelstaatlichen Gerichte der Hilfe des Gerichtshofes, wenn sie aus Zweckmäßigkeitserwägungen die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage dem Gerichtshof überlassen. Folglich wird die einheitliche Anwendung und die Rechtssicherheit der Auslegung nur teilweise erreicht, in dem Maße nämlich, in dem sich die einzelstaatlichen Gerichte entschließen, von der Möglichkeit des Vorabentscheidungsersuchens Gebrauch zu machen. Dagegen verpflichtet Absatz 3 zur Vorlage; das Ziel ist eindeutig, daß diese Vorlagepflicht allgemein und ausnahmslos gilt, denn nur auf diese Weise kann die einheitliche und verbindliche Auslegung auf Gemeinschaftsebene vollständig erreicht werden. Im übrigen ist der Grund für den Unterschied zwischen den beiden Absätzen wohlbekannt: Die letztinstanzlichen Gerichte erlassen endgültige Entscheidungen, die nicht mehr abänderbar sind und die Einstellung der unteren Gerichte desselben Landes beeinflussen können. Den „harten Kern“ der nationalen Rechtsprechung bilden, mit anderen Worten, die in letzter Instanz erlassenen Urteile. Der Wille der Verfasser des Vertrages ging offenkundig dahin, jedes Risiko von Abweichungen auf dieser Ebene zu vermeiden. Daher haben sie schließlich dem Gerichtshof die Aufgabe übertragen, in Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts „Recht zu sprechen“, so daß Abweichungen, Meinungsverschiedenheiten und eine daraus folgende Rechtsunsicherheit vermieden werden.

Wenn dies der Sinn des Artikels 177 ist, muß der dritte Absatz meines Erachtens unbestreitbar in der Weise verstanden werden, die am ehesten die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts sicherstellt. Daraus ergeben sich vier Folgerungen:

a)

Das Vorliegen einer Auslegungsfrage muß immer dann angenommen werden, wenn der Sachverhalt des Rechtsstreits einen Gesichtspunkt enthält, der von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geregelt ist (unabhängig davon, ob die insoweit bestehenden Zweifel schwerwiegend sind), und wenn das letztinstanzliche Gericht sich hierzu äußern muß, um sein Urteil zu erlassen;

b)

es ist ohne Bedeutung, ob die Frage von den Parteien gestellt oder vom Gericht formuliert wird, wie es auch nicht auf die Auffassung der Parteien ankommt (einverständlich oder widerstreitende Einstellung zu dem fraglichen Punkt);

c)

dem letztinstanzlichen Gericht steht weder ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Begründetheit oder Unbegründetheit der von den Parteien aufgeworfenen Frage zu, noch darf es darüber entscheiden, ob die für die Entscheidung wesentliche Frage des Gemeinschaftsrechts von ihm selber oder von dem Gerichtshof zu beurteilen ist;

d)

die Verpflichtung zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof entfällt nur dann, wenn es bereits eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes zu eben dieser Frage gibt; dessenungeachtet hindert nichts das Gericht daran, sich erneut an den Gerichtshof mit dem Ziel zu wenden, eine anderslautende Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften oder Klarstellungen und nähere Erläuterungen der bereits vorliegenden Auslegung zu erreichen.

Gegen die von mir vorgetragene These wird unter anderem eingewandt, daß das Vorabentscheidungsverfahren auf diese Weise als ein automatischer Verfahrensmechanismus aufgefaßt werde, und zwar gerade dann, wenn es Sache der obersten Gerichte sei — die meistens auf ihren Rang in der nationalen Gerichtshierarchie bedacht seien —, dieses Verfahren in Gang zu bringen. Man darf aber nicht den Umstand vergessen, daß die verantwortliche Beurteilung der Erheblichkeit der Frage, das heißt der Feststellung, ob die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift wirklich zum Erlaß des Urteils notwendig ist, schließlich Sache des einzelstaatlichen Gerichts ist, ob nun erster oder letzter Instanz. Diese Form von Kontrolle ist durch einen weiten Beurteilungsspielraum gekennzeichnet; der Gerichtshof hat stets anerkannt, daß diese in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des nationalen Gerichts fällt. Ich zitiere hierzu die Urteile vom 14. Februar 1980 in der Rechtssache 53/79 (ONPTS/Damiani, Slg. 1980, 273), vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78 (Pigs Marketing Board/Redmond, Slg. 1978, 2347) und vom 30. November 1977 in der Rechtssache 52/77 (Cayrol/Rivoira, Slg. 1977, 2261).

Ich möchte schließlich festhalten, daß sich ein angesehenes nationales Gericht letzter Instanz des Verfahrens nach Artikel 177 in einem Fall bedient hat, in dem sich keine Zweifel über die Bedeutung der anzuwendenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift (Artikel 119 EWG-Vertrag) erhoben hatten, andererseits aber in dieser Hinsicht noch keine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofes vorlag. Ich beziehe mich auf die Entscheidungen des House of Lords in der Rechtssache Garland/British Rail Engineering Ltd., und zwar auf den Vorlagebeschluß vom 19. Januar 1981 und auf das Urteil des Lord Diplock vom 22. April 1982 (Common Market Law Reports, 1982, S. 179).

9. 

Die Kommission, die wie gewöhnlich in diesem Verfahren ihre schriftlichen Erklärungen abgegeben hat, hat sich für die These ausgesprochen, daß die Vorlagepflicht an den Gerichtshof für die letztinstanzlichen Gerichte nur im Falle eines Auslegungszweifels bestehe; sie hat dann aber versucht, eine Reihe von objektiven Umständen aufzuzeigen, bei deren Vorliegen ein Zweifel nicht verneint werden könne und die Vorlage als zwingend anzusehen sei. Auch wenn dieser Gedankengang dahin zielt, den Beurteilungsspielraum des nationalen Gerichts sehr eng zu begrenzen und somit in der Mehrzahl der Fälle die Einschaltung des Gerichtshofs zu gewährleisten, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Es ist festzustellen, daß sie nur scheinbar die Vorlagepflicht an objektiven Merkmalen festmacht (z. B. am Bestehen einer Meinungsverschiedenheit im Ausgangsverfahren zwischen den Richtern der ersten und zweiten Instanz hinsichtlich der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift), daß sie aber dessenungeachtet dem nationalen Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Begründetheit oder Unbegründetheit der Frage des Gemeinschaftsrechts, zu der es Stellung nehmen muß, zuerkennt. Nun verstößt meines Erachtens die Einräumung dieses Beurteilungsspielraums gegen die Aufgabe des Artikels 177; das objektive und allgemeine Interesse an der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof darf weder der Frage untergeordnet werden, ob die Lösungen, die von den nationalen Gerichten in den vorangegangenen Abschnitten des Ausgangsverfahrens gegeben worden sind, übereinstimmen oder nicht, noch hängt es davon ab, ob die Parteien eine einverständliche oder widerstreitende Haltung einnehmen. Artikel 177 ist als Gemeinschaftsnorm auszulegen, die der ganzen Gemeinschaft dienen kann — und somit hat das oben erwähnte Urteil Da Costa mit Recht seit 1963 den Wert der von dem Gerichtshof entschiedenen Präzedenzfälle anerkannt —, aber gerade deshalb können die besonderen Umstände eines bestimmten Verfahrens vor dem nationalen Gericht nicht die Tragweite der im dritten Absatz dieser Norm vorgesehenen Verpflichtung beeinflussen. Davon abgesehen scheint mir die Auffassung der Kommission das Ergebnis eines in die falsche Richtung weisenden Gedankengangs zu sein: Weder der Wortlaut noch die Aufgabe des Artikels 177 rechtfertigen es, von einer restriktiven Auslegung der in Absatz 3 festgelegten Verpflichtung auszugehen; dagegen schließt eine genaue Auslegung eine Abschwächung nicht aus, wie im Urteil Da Costa aufgezeigt worden ist.

10. 

Zusammenfassend meine ich, daß der Gerichtshof in folgender Weise auf das ihm mit Beschluß vom 27. Mai 1981 in dem Rechtsstreit Sri C.I.L.F.I.T. und andere und Lanificio Gavardo/Ministero della sanità gestellte Ersuchen der Corte di cassazione antworten sollte:

Artikel 177 Absatz 3 EWG-Vertrag ist in dem Sinn auszulegen, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, verpflichtet sind, den Gerichtshof um die Auslegung von primärem oder abgeleitetem Gemeinschaftsrecht zu ersuchen, wenn sie zum Erlaß ihres Urteils zu einer — ob von den Parteien gestellten oder ex officio aufgeworfenen — Frage des Gemeinschaftsrechts Stellung nehmen müssen.

Auch wenn das einzelstaatliche Gericht der Ansicht ist, daß die gemeinschaftsrechtliche Frage, zu der es Stellung nehmen muß, keine Unklarheit oder Mehrdeutigkeit aufweist — und es daher keine Zweifel hinsichtlich der Auslegung hat —, besteht dennoch die Verpflichtung; den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, es sei denn, daß gerade dieser Punkt bereits Gegenstand eines Auslegungsurteils des Gerichtshofs gewesen ist.


( 1 ) Aus dem Italienischen übersetzt.

( 2 ) Anmerkung des Übersetzers: In der deutschen Fassung lauten die entsprechenden Ausdrücke „Frage“ und „darüber“.