SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL

VOM 9. FEBRUAR 1982

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Ausgangspunkt für die vorliegende Rechtssache, in der erneut über die Auslegung der Artikel 30 und 36 des EWG-Vertrags zu befinden ist, ist ein von den belgischen Behörden gegen den belgischen Hotelier und Gastwirt Joseph Blesgen eingeleitetes Strafverfahren. Dieser wurde durch Urteil des Tribunal correctionnel von Verviers vom 21. Dezember 1977 wegen Verstoßes gegen die Artikel 1, 2 und 14 des belgischen Gesetzes vom 29. August 1919 über das Branntweinrecht — die sogenannte Lex Vandervelde — verurteilt, da er im Rückfall als Inhaber eines Getränkeausschanks für sofortigen Verzehr in seinem Betrieb alkoholische Getränke aufbewahrt und abgesetzt habe, deren Alkoholgehalt bei einer Temperatur von 15o C mehr als 22o betragen habe.

Nachdem das Urteil durch die Cour d'appel Lüttich — Chambre correctionnelle — bestätigt worden war, erhob der Angeklagte Kassationsrüge bei der belgischen Cour de cassation, mit der er geltend machte, die in den Artikeln 1 und 2 des fraglichen Gesetzes aufgestellten Regeln stellten, auch wenn sie unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse anwendbar seien und nicht den Schutz der inländischen Produktion bezweckten, Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen für die Einfuhr alkoholischer Getränke zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 30 des EWG-Vertrags dar, da sie Einschränkungen beim Verzehr dieser Getränke verursachten. Diese Maßnahmen seien auch nicht durch einen der in Artikel 36 des EWG-Vertrags vorgesehenen Gründe, namentlich den des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, gerechtfertigt, da ihnen im Hinblick auf diese Schutzgüter keine konkretisierbare, gegenwärtige Notwendigkeit zukomme, die als solche im gesamten Bereich der Gemeinschaft anerkannt werden könne.

Die belgische Cour de cassation, die über die Vereinbarkeit der Artikel 1 und 2 des belgischen Gesetzes mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden hat, hat das Verfahren durch Entscheidung vom 18. März 1981 ausgesetzt und dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 des EWG-Vertrags folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1.

Ist der Begriff der ‚Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen‘ des Artikels 30 EWG-Vertrag so auszulegen, daß unter das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot

a)

Rechtsvorschriften fallen, die den Genuß, den Verkauf oder das — auch unentgeltliche — Angebot alkoholischer Getränke (das heißt von Getränken, deren Alkoholgehalt bei einer Temperatur von 15o C mehr als 22o beträgt) zum sofortigen Verzehr an allen Orten verbieten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, insbesondere in Getränkeausschänken, Hotels, Restaurants, Vergnügungsplätzen, Geschäften, Verkaufsständen, Schiffen, Zügen, Straßenbahnen, Bahnhöfen, Werkstätten oder Baustellen sowie auf öffentlichen Straßen, selbst wenn dieses Verbot unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse angewendet wird und nicht den Schutz der inländischen Produktion bezweckt?

b)

Rechtsvorschriften fallen, die den Inhabern von Getränkeausschänken für sofortigen Verzehr verbieten, alkoholische Getränke (im oben dargestellten Sinne) in den für die Gäste zugänglichen Räumen oder in anderen Teilen des Betriebes oder in der angrenzenden Wohnung aufzubewahren, selbst wenn dieses Verbot unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse Anwendung findet und nicht den Schutz der inländischen Produktion bezweckt?“

Für den Fall der Bejahung der ersten Frage :

„2.

Ist der Begriff der Maßnahmen, die ‚zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen ... gerechtfertigt sind‘, in Artikel 36 EWG-Vertrag so auszulegen, daß solche Maßnahmen, wie sie in den Buchstaben aund b der Frage 1 aufgeführt sind, aus den vorstehend angeführten Gründen als gerechtfertigt angesehen werden können oder müssen?“

Hierzu nehme ich wie folgt Stellung:

I — Zur ersten Frage

1.

Unter Buchstabe a möchte das vorlegende Gericht die Auslegungskriterien erfahren, die ihm die Beurteilung erlauben, ob ein Verbot wie das in Artikel 1 der Lex Vandervelde enthaltene — Artikel 3 dieses Gesetzes bestimmt lediglich, daß als alkoholische Getränke alle Getränke gelten, deren Alkoholgehalt bei einer Temperatur von 15o C mehr als 22o beträgt — unter die Gruppe der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags fällt. Die unter Buchstabe b genannte Frage dagegen soll es dem vorlegenden Gericht ermöglichen, über die Vereinbarkeit der in Artikel 2 des belgischen Gesetzes enthaltenen Regelung mit Artikel 30 des EWG-Vertrags zu befinden.

Beiden Vorschriften des belgischen Gesetzes über das Branntweinrecht (im folgenden spreche ich kurz von „Gesetz“) ist gemeinsam, daß sie nicht den Vertrieb oder die Aufbewahrung alkoholischer Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 22o an sich und generell im Königreich Belgien untersagen, sondern nur den Ausschank und die Aufbewahrung der fraglichen Erzeugnisse an den dort genannten Örtlichkeiten verbieten. Mithin handelt es sich nicht um eine Vermarktungsregelung, sondern es wird nur die Verwendung der fraglichen Branntweine unter den genannten Bedingungen eingeschränkt. Das in Artikel 2 des Gesetzes enthaltene Aufbewahrungsverbot dient dabei offensichtlich nur dem Zweck, die Einhaltung des Ausschankverbotes zu gewährleisten, die sonst von den zuständigen Behörden nicht wirksam überwacht werden könnte. Diese Zweckbestimmung rechtfertigt es, beide Verwendungsvorschriften im Hinblick auf die vorzunehmende Prüfung einheitlich zu behandeln. Sollte es sich, mit anderen Worten, herausstellen, daß das Ausschankverbot als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags anzusehen ist, gilt dies gleichermaßen auch für das in Artikel 2 der belgischen Regelung enthaltene Aufbewahrungsverbot und umgekehrt.

2.

Bei der Prüfung der Frage, ob die streitige Regelung als eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags anzusehen ist, muß zunächst daran erinnert werden, daß, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat ( 1 ), es in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und des Inverkehrbringens eines Erzeugnisses Sache der Mitgliedstaaten ist, alle die Herstellung, den Vertrieb und den Verbrauch dieses Erzeugnisses betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. Im Hinblick auf das vorliegende Gesetz von 1919 ist hierzu zu bemerken, daß die dort vorgesehenen Einschränkungen, wie das vorlegende Gericht und die anderen am Verfahren Beteiligten hervorheben, sowohl dem Schutz der körperlichen und geistigen Gesundheit der Bevölkerung als auch der Bekämpfung des Alkoholismus im allgemeinen dienen, insbesondere im Hinblick auf seine kriminogenen Wirkungen, die heutzutage aufgrund des Straßenverkehrs noch stärker seien, sowie auf die dadurch hervorgerufenen schweren Belastungen in sozialer, sittlicher und materieller Hinsicht für die Haushalte und Familien. Da die Gemeinschaft auf diesem Gebiet keine entsprechenden Vorschriften erlassen konnte und erlassen hat, muß man folglich generell anerkennen, daß für die Regelung des Ausschanks und der Aufbewahrung von Branntweinen die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig geblieben sind und daß deshalb auch von Staat zu Staat unterschiedliche Regelungen möglich sind.

Voraussetzung ist allerdings, wie der Gerichtshof gleichfalls in zahlreichen Urteilen unterstrichen hat, daß diese Vorschriften den innergemeinschaftlichen Handel nicht behindern, indem sie als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags anzusehen sind. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die fragliche Regelung als ein Handelshindernis im Sinne dieser Vorschrift zu bewerten ist.

Sowohl der Angeklagte des Ausgangsverfahrens als auch die britische und die französische Regierung sowie die Kommission wollen diese Frage unter Zugrundelegung der erstmals vom Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Dassonville ( 2 ) gewählten und häufig wiederholten Formulierung bejaht wissen, wonach „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, ... als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen [ist]“. Nach dieser weiten Formel, die sogar später, wie zum Beispiel das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Vriend ( 3 ) zeigt, auf „jede nationale Regelung“ mit diesen Eigenschaften ausgedehnt wurde, ist es nach den Einlassungen der genannten Verfahrensbeteiligten nicht auszuschließen, daß die fragliche Regelung den Absatz ausländischer, aus anderen Mitgliedstaaten nach Belgien eingeführter Branntweine behindere.

Die Meinungen gehen lediglich auseinander, was die Frage der Rechtfertigung der dieser Auffassung nach bestehenden Maßnahme gleicher Wirkung anbelangt. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes in den Rechtssachen Cassis de Dijon, Gilli und Kelderman ( 4 ) besteht Übereinstimmung, daß solche Maßnahmen gerechtfertigt sein können, sofern sie „notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes“. Nach Ansicht der französischen und letztlich auch der belgischen Regierung soll die fragliche Regelung in erster Linie dem Kampf gegen Alkoholismus dienen und daher aus Gründen der öffentlichen Gesundheit im Sinne der genannten Regelung zwingend notwendig sein.

Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens sowie die britische Regierung wollen dagegen im wesentlichen einen solchen Rechtfertigungsgrund nicht gelten lassen. Abgesehen davon, daß es fraglich sei, ob die Regelung heute noch denselben Zweck verfolge wie bei ihrem Erlaß, müsse jedenfalls davon ausgegangen werden, daß sie nicht das mildeste Mittel zur Erreichung dieses Zweckes darstelle, wie die Konzessionssysteme der anderen Mitgliedstaaten zeigten. Folglich sei die Maßnahme in Wahrheit als eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten anzusehen. Die Kommission weist darüber hinaus darauf hin, daß es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes den Mitgliedstaaten obliege, nachzuweisen, daß die fraglichen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendig seien, und daß dieser Nachweis letztlich von dem Königreich Belgien nicht erbracht worden sei.

Nach Auffassung aller Beteiligten müssen die entsprechenden Argumente schließlich, falls man die Rechtfertigung in Artikel 36 des EWG-Vertrags suchen wolle, auch im Rahmen dieser Bestimmung gelten.

3.

Entgegen diesen Lösungsvorschlägen, die unter Zugrundelegung der „Dassonville-Formel“ mehr oder weniger alle davon ausgehen, daß das belgische Gesetz als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 zu behandeln ist, und sich folglich auf eine Prüfung der Rechtfertigungsgründe konzentrieren, erscheint es mir aber mehr als zweifelhaft, ob die fragliche Verwendungsregelung, die unterschiedslos für eingeführten und inländischen Branntwein gilt, überhaupt in den Anwendungsbereich von Artikel 30 des EWG-Vertrags fällt. Bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sind nämlich nur „mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen zwischen den Mitgliedstaaten verboten“. Bereits daraus ergibt sich, daß diese Bestimmung nur dann eingreifen kann, wenn der grenzüberschreitende Warenverkehr durch staatliche Maßnahmen beeinträchtigt wird, sei es, daß bereits die Einfuhr von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Waren behindert oder gar unmöglich gemacht wird, oder sei es, daß lediglich die Vermarktung eingeführter Erzeugnisse erschwert wird. Insofern soll auch Artikel 30, ebenso wie die anderen im Vertrag enthaltenen Grundfreiheiten, als spezifische Ausprägung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots verhindern, daß eingeführte Waren gegenüber gleichartigen inländischen Erzeugnissen bei der Vermarktung „de jure“ oder aber auch „de facto“ schlechter behandelt werden. Diese Überlegung führt bereits zu dem Schluß, daß nur solche nationalen Maßnahmen in den Anwendungsbereich von Artikel 30 fallen können, die in spezifischer Weise geeignet sind, die zwischenstaatlichen Handelsströme zu beeinträchtigen, oder, um in den Worten von Artikel 36 zu reden, die sich als Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder zur verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

Hierbei ist letztlich gleichgültig, wie die zahlreichen Urteile des Gerichtshofes auf diesem Gebiet zeigen, ob die Diskriminierung durch unterschiedliche, auf inländische oder eingeführte Erzeugnisse anwendbare Maßnahmen oder aber durch unterschiedslose, auf inländische und eingeführte Erzeugnisse gleichermaßen anwendbare Regelungen erfolgt. Ein Unterschied zwischen den unterschiedlich und den unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen besteht lediglich insofern, als erstere, falls sie zu einer Schlechterstellung der importierten Waren bei der Vermarktung führen, wegen der unterschiedlichen Behandlung immer einer Rechtfertigung bedürfen, während es einer solchen bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen, die auch faktisch nicht zu einer Schlechterstellung der eingeführten Erzeugnisse gegenüber inländischen Waren führen, nicht bedarf.

Wenn ich es recht sehe, ist auch der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung nur dann in die Prüfung eingetreten, ob eine Maßnahme durch die in Artikel 36 genannten Schutzgüter oder zusätzliche Gründe gerechtfertigt ist, wenn zumindest feststand, daß die betreffende Maßnahme, wenn auch formell unterschiedslos anwendbar, tatsächlich doch zu einer unterschiedlichen Behandlung der inländischen und der importierten Waren führte. Das Ziel — Verhütung von Diskriminierungen im freien Warenverkehr — ist dabei allerdings, wie einzuräumen ist, nur in mehr oder minder starkem Maße zum Ausdruck gekommen. Stand die Abwehr von Diskriminierungen zunächst, wie zum Beispiel in dem Sekt-Weinbrand-Urteil ( 5 ), im Vordergrund, kommt dieses Anliegen in einer Reihe späterer Urteile, beginnend mit der Rechtssache Cassis de Dijon oder auch in den Urteilen in den Rechtssachen Gilli und Kelderman, nicht mehr so deutlich zum Ausdruck. In diesen Rechtssachen, die eine unterschiedslos anwendbare Vermarktungsregelung zum Gegenstand hatten, hat der Gerichtshof anerkannt, daß es im allgemeinen Interesse liegende Ziele gibt, insbesondere wirksame steuerliche Kontrollen, Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes, die den Erfordernissen des freien Warenverkehrs im Wege der Interessenabwägung vorgehen können. Immerhin ging der Gerichtshof auch in diesen Rechtssachen davon aus, daß die fraglichen nationalen Maßnahmen geeignet waren, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, indem sie, wie hinzuzudenken ist, den Absatz ausländischer Waren verhinderten.

So war es in der Rechtssache Gilli klar, daß das Verbot, Erzeugnisse in den Verkehr zu bringen, die Essigsäure enthalten, welche nielu aus der Essigsäuregärung des Weines stammt, die Vermarktung aller Arten von Obstessig in Italien unmöglich machte. In der Rechtssache Kelderman hat der Gerichtshof festgestellt, daß „die Ausdehnung einer Regelung, nach der ein bestimmter Gehalt an Trockenmasse vorgeschrieben ist, auf eingeführte Erzeugnisse ... in dem betreffenden Mitgliedstaat das Inverkehrbringen von Brot, das aus anderen Mitgliedstaaten stammt, ausschließen [kann]“. Nicht zuletzt ging der Gerichtshof auch in der Rechtssache Cassis de Dijon davon aus, daß Bestimmungen über den Mindestweingeistgehalt alkoholischer Getränke diskriminierenden Charakter haben, indem er feststellte, daß „praktisch ... solche Bestimmungen vor allem den Getränken mit hohem Alkoholgehalt einen Vorteil [sichern], indem sie Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, vom nationalen Markt ausschließen“. In einer anderen Gruppe von Urteilen, die nationale Preisregelungen zum Gegenstand hatten, ging es dagegen nicht um die Frage, daß ausländische Waren, die als solche bestimmte vorgeschriebene Eigenschaften nicht erfüllen konnten, von der inländischen Vermarktung ausgeschlossen wurden, sondern daß für bestimmte Produkte eine innerstaatliche Preisregelung bestand. Bei der Prüfung, ob eine solche Preisregelung als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags anzusehen ist, hat der Gerichtshof sowohl in der Rechtssache INNO als auch in den Rechtssachen van Tiggele und Danis ( 6 ) die bereits in dem Urteil Dassonville enthaltene Umschreibung der Maßnahmen gleicher Wirkung wiederholt. Er hat dann aber in den drei Urteilen klar zum Ausdruck gebracht, daß eine unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse geltende staatliche Preisregelung „als solche noch keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung [ist]“. Eine entsprechende Preisregelung kann jedoch, wie es in den genannten Urteilen heißt, eine solche Wirkung entfalten, wenn sie derart gestaltet wird, daß der Absatz der eingeführten Erzeugnisse unmöglich oder gegenüber dem gleichartiger einheimischer Produkte erschwert wird. An dem Beispiel dieser Urteile wird meines Erachtens besonders deutlich, daß der Gerichtshof nur dann eine unterschiedslos geltende nationale Regelung als Maßnahme gleicher Wirkung gewertet wissen will, wenn Einfuhrerzeugnisse bei ihrer Vermarktung gegenüber gleichartigen inländischen Produkten diskriminiert werden.

Schließlich hatte der Gerichtshof in der Rechtssache Groenveld ( 7 ) Gelegenheit, den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung noch weiter zu präzisieren. In dieser Rechtssache ging es um die Beurteilung einer nationalen Maßnahme, mit der lediglich einer bestimmten Gruppe von Produzenten, nämlich Fleischwarenherstellern, verboten wurde, Pferdefleisch zu verarbeiten und vorrätig zu haben, ohne daß zwischen den zur Ausfuhr bestimmten Erzeugnissen und den zum Verkauf im Inland bestimmten Erzeugnissen eine Unterscheidung getroffen wurde. Der Gerichtshof stellte fest, daß sich Artikel 34 des EWG-Vertrags „auf nationale Maßnahmen [bezieht], die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und seinen Außenhandel schaffen, so daß die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt“. Mit diesem zusätzlichen Kriterium der spezifischen Beschränkungen der Handelsströme hat der Gerichtshof klar zum Ausdruck gebracht, daß unterschiedslos geltende nationale Regelungen, die an sich nichts mit der Grenzüberschreitung von Waren zu tun haben und allenfalls sekundär Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zeitigen, nicht unter das Verbot der Artikel 30 ff. des EWG-Vertrags fallen sollen.

Folgerichtig heißt es auch in dem bereits zitierten Urteil in der Rechtssache United Foods (vgl. Anmerkung 1), daß Artikel 30 unter anderem die Beseitigung solcher Hindernisse bezweckt, die sich „spezifisch auf eingeführte Erzeugnisse beziehen“.

Unter ausdrücklicher Berufung auf die in dem Urteil Groenveld angewandte Formel hat sodann der Gerichtshof in der Rechtssache Oebel ( 8 ) für Recht erkannt, daß die Artikel 30 und 34 des EWG-Vertrags einem innerstaatlichen Verbot der Nachtarbeit in den Bäckerei- und Konditoreibetrieben nicht entgegenstehen, da dieses in den Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik falle und nach objektiven Kriterien auf sämtliche im Inland ansässigen Unternehmen eines bestimmten Sektors Anwendung finde, ohne irgendeine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit der Wirtschaftsteilnehmer vorzunehmen und ohne zwischen dem Binnen- und dem Außenhandel des betroffenen Staates zu unterscheiden.

Wie mir scheint, deckt sich dieses neuerdings vom Gerichtshof herangezogene Kriterium der spezifischen Handelsbeschränkungen insbesondere mit dem der Richtlinie Nr. 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969 (ABl. L 13 vom 19. 1. 1970, S. 29) zugrundeliegenden Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieser Richtlinie sollen nämlich solche unterschiedslos auf eingeführte und inländische Waren anwendbaren Maßnahmen über die Vermarktung von Waren unter das Verbot des Artikels 30 des EWG-Vertrags fallen, „deren beschränkende Wirkungen auf den Warenverkehr den Rahmen der solchen Handelsregelungen eigentümlichen Wirkungen überschreiten“. Dies soll nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie insbesondere dann der Fall sein, „wenn die den freien Warenverkehr beschränkende Wirkung außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht“ oder „wenn das gleiche Ziel durch ein anderes Mittel erreicht werden kann, das den Warenaustausch am wenigsten behindert“. Auch hier kommt deutlich zum Ausdruck, daß nur solche innerstaatlichen Maßnahmen unter den Anwendungsbereich von Artikel 30 des EWG-Vertrags fallen sollen, die geeignet sind, die zwischenstaatlichen Handelsströme dadurch zu behindern, daß eingeführte Erzeugnisse bei der Vermarktung gegenüber inländischen Produkten benachteiligt werden.

Vor diesem Hintergrund bleibt in bezug auf die hier streitige belgische Regelung, die unzweifelhaft in den Bereich der Ge-sundheits- und Sozialpolitik fällt und den Zweck verfolgt, den Ausschank von hochprozentigem Alkohol an den dort genannten Örtlichkeiten zu verhindern, zunächst festzustellen, daß dadurch die Vermarktung dieser Alkoholika als solche im belgischen Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigt wird. Folglich wird auch der zwischenstaatliche Handelsverkehr an sich durch die Verwendungsregelung nicht beeinträchtigt mit der einzigen Einschränkung, daß hochprozentiger Alkohol, der nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist, die sowohl für inländische als für eingeführte Erzeugnisse gelten, an den in dem belgischen Gesetz genannten Orten nicht ausgeschenkt beziehungsweise aufbewahrt werden darf.

4.

Es ist folglich lediglich noch zu prüfen, ob die Verwendungsregelung — trotz unterschiedsloser Geltung — eine spezifische Beschränkung der Einfuhrströme bezweckt oder bewirkt, indem dadurch eingeführte Erzeugnisse faktisch gegenüber inländischen Produkten benachteiligt werden. Eine solche protektionistiselle Wirkung könnte allenfalls dann gegeben sein, wenn, wie der Angeklagte des Ausgangsverfahrens und die britische Regierung meinen, das Ausschankverbot so festgesetzt wurde, daß davon in erster Linie und zum überwiegenden Teil ausländische Produkte erfaßt werden.

Wie wir aber gehört haben, hat das aus dem Jahr 1919 stammende Gesetz unter anderem auch die Wirkung gehabt, daß die belgische Branntweinerzeugung zurückgegangen ist. Trotz dieses Rückgangs kommt aber, wie ein Blick auf die von der Kommission vorgelegte Statistik über die Einfuhr und den Verbrauch von Branntwein in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zeigt, ein hoher Anteil an dem Gesamtkonsum an hochprozentigen Alkoholika in Belgien aus einheimischer Produktion. So belief sich zum Beispiel 1978 der Verbrauch auf insgesamt 234000 hl reinen Alkohols. Eingeführt wurden dagegen lediglich 146000 hl, wobei 140000 hl aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft stammten. 1979 wurden222000 hl reinen Alkohols verbraucht, wovon 152000 hl — davon 146000 hl aus den Mitgliedstaaten — eingeführt wurden. Das Jahr 1980 schließlich zeigt einen Verbrauch von 234000 hl reinen Alkohols und eine Einfuhrmenge von insgesamt 174000 hl, davon 170000 hl aus den Ländern der Gemeinschaft.

Diese Zahlen beweisen einerseits die Existenz einer erheblichen einheimischen Branntweinproduktion, die in bezug auf die Verwendungsregelung gleich behandelt wird wie die eingeführten Erzeugnisse. Andererseits weist die Statistik eine nicht zu übersehende Zunahme der Einfuhren bei mehr oder weniger konstantem Verbrauch an hochprozentigen Alkoholika aus. Auch dieses Faktum spricht dafür, daß die fragliche Verwendungsregelung, soweit sie die Einfuhrströme überhaupt zu beeinflussen vermag, sich nicht zu Lasten der Vermarktung ausländischer Erzeugnisse auswirkt.

Gleichfalls nicht stichhaltig ist das Argument, das Ausschankverbot für Branntweine mit einem Alkoholgehalt von über 22o bevorzuge die belgische Bierindustrie. Aus dem Sinn und Zweck des Artikels 30 ergibt sich bereits, daß als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen nur solche Regelungen angesehen werden können, die die eingeführten Erzeugnisse gegenüber gleichartigen oder mit ihnen in Wettbewerb liegenden inländischen Erzeugnissen benachteiligen und somit zu einem Wettbewerbsvorteil für die letzteren führen. Dies hat der Gerichtshof, meinen Schlußanträgen vom 2. Juli 1980 folgend, in seinem Urteil vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 152/78 betreffend die Werbung für alkoholische Getränke ( 9 ) auch bestätigt. Er hat, was die Gleichartigkeit und das Wettbewerbsverhältnis zwischen den damals in Frage stehenden Erzeugnissen angeht, ausdrücklich auf das Urteil des Gerichtshofes vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 168/78 betreffend die Besteuerung von Branntweinen ( 10 ) verwiesen. Aus diesem Urteil aber ist zu entnehmen, daß Branntweine innerhalb der größeren Gruppe der alkoholischen Getränke eine unterscheidbare Gruppe bilden, der bestimmte Merkmale, wie Erzeugung durch Brennen, relativ hoher Gehalt an Trinkalkohol usw., gemeinsam sind. Daraus folgt umgekehrt, daß Bier, das durch einfachen Gärvorgang gewonnen wird und sich durch einen relativ niedrigen Alkoholgehalt auszeichnet, nicht als gleichartiges Getränk wie Branntwein zu bezeichnen ist und mit letzterem im Hinblick auf die Verwendung auch nicht in einem Wettbewerbsverhältnis steht. Folglich kann auch nicht angenommen werden, das Ausschankverbot für Branntweine erschwere den Absatz eingeführter Branntweine zugunsten des inländischen Biers.

Gegen eine solche Schutzwirkung spricht darüber hinaus, wie die belgische Regierung zu Recht hervorhebt, daß alle alkoholischen Getränke, die durch einfache Gärung gewonnen werden, also auch Wein als typisch nicht belgisches Produkt, ausgeschenkt werden dürfen. Somit könnten, wollte man die Schutzwirkung bejahen, auch ausländische Erzeugnisse von dieser Regelung profitieren.

Die genannte Verwendungsregelung ist schließlich auch deshalb nicht, wie behauptet, als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung zu qualifizieren, weil Belgien als einziges Land in der Gemeinschaft ein. derartiges Ausschankverbot kenne, während alle anderen Mitgliedstaaten dem Alkoholismus mit einem unterschiedlich ausgebildeten Lizenz- oder Konzessionierungssystem für das Gaststättengewerbe begegneten. Wie der Gerichtshof in dem Urteil van Dam ( 11 ) und gleichlautend in dem Urteil Oebel ausgeführt hat, kann die Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nicht allein deshalb als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung angesehen werden, weil andere Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden.

Aus diesen Gründen komme ich abschließend unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung zu dem Ergebnis, daß die fragliche, unterschiedslos geltende Regelung an sich nicht geeignet ist, in spezifischer Weise die Einfuhr hochprozentiger Branntweinprodukte zu beschränken. Insbesondere werden eingeführte Erzeugnisse bei der Vermarktung gegenüber gleichartigen inländischen Erzeugnissen nicht diskriminiert. Die Regelung ist daher nicht als verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des EWG-Vertrags zu qualifizieren.

II — Infolgedessen bedarf es keiner Prüfung, ob die Maßnahme durch die in Artikel 36 des EWG-Vertrags genannten oder aber von der Rechtsprechung des Gerichtshofes entwickelten Schutzgüter gerechtfertigt ist.

Sollte der Gerichtshof dieser Auffassung nicht folgen, gestatte ich mir hilfsweise anzumerken, daß eine nach der Rechtsprechung vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Ziel des freien Warenverkehrs einerseits und dem mit der nationalen Regelung verfolgten ge-sundheits- und sozialpolitischen Anliegen dazu führen muß, diese Maßnahme als gerechtfertigt anzusehen. In diesem Sinne hat sich übrigens auch die Kommission entgegen ihrem jetzigen Vorbringen in ihrer Antwort vom 27. Januar 1978 auf die schriftliche Anfrage von Herrn Cousté betreffend den Verkauf von Alkoholika in Belgien (ABl. C 56 vom 6. März 1978, S. 8) geäußert.

III — Nach allem schlage ich vor, die gestellten Fragen wie folgt zu beantworten :

Artikel 30 des EWG-Vertrags steht einer Regelung, wie sie in dem Artikel 1 Absatz 1 und den Artikeln 2 und 3 des belgischen Gesetzes vom 29. August 1919 über das Branntweinrecht in der Fassung des Gesetzes vom 2. April 1965 enthalten ist, nicht entgegen.


( 1 ) Unter den neueren Entscheidungen seien hier genannt: Urteil vom 7. April 1981 in der Rechtssache 132/80 — NV United Foods/Belgischer Staat —, Sig. 1981, 995; Urteil vom 17. Juni 1981 in der Rechtssache 113/80 — Kommission/Irland —, 198.1, 1625; Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 272/80 — Strafverfahren gegen Frans-Nederlandse Maatschappij voor Biologische Producten BV —, noch unveröffentlicht.

( 2 ) Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 — Staalsanwaltschaft/Benoit und Gustave Dassonville —, Slg. 1974, 837.

( 3 ) Urteil vom 26. Februar 1980 in der Rechtssache 94/79 — Strafverfahren gegen Pieter Vriend —, Sig. 1980, 327.

( 4 ) Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 — Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein —, Slg. 1979, 649, 662 — Randnummer 8 der Entscheidungsgrtinde; Urteil vom 26. Juni 1980 in der Rechtssache 788/79 — Strafverfahren gegen Herbert Gilli und Paul Andres —, Slg. 1980, 2071; Urteil vom 19. Februar 1981 in der Rechtssache 130/80 — Strafverfahren gegen Fabriek voor Hoogwaardige Voedingsprodukten Kelderman BV —, Slg. 1981, S27.

( 5 ) Urteil vom 20. Februar 1975 in der Rechtssache 12/74 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland —, Slg. 1975, 181.

( 6 ) Urteil vom 16. November 1977 in der Rechtssache 13/77 — G.B.-INNO-BM/Vcreniging van de Kleinhandelaars in Tabak (ATAB) —, Slg. 1977, 2115; Urteil vom 24. Januar 1978 in der Rechtssache 82/77 — Staatsanwaltschaft des Königreichs der Niederlande/Jacobus Philippus van Tiggele —, Slg. 1978, 25; Urteil vom 6. November 1979 in den verbundenen Rechtssachen 16 bis 20/79 — Strafverfahren gegen Joseph Danis u. a. —, Slg. 1979, 3327.

( 7 ) Urteil vom 8. November 1979 in der Rechtssache 15/79 — P. B. Groenveld/Produktschap voor Vee en Vlees —, Sig. 1979, 3409.

( 8 ) Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 155/80 — Sergius Oebel —, 1981, 1993.

( 9 ) Urteil vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 152/78 — Kommission/Französische Republik —, Slg. 1980, 2299.

( 10 ) Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 168/78 — Kommission/Französische Republik —, Slg. 1980, 347.

( 11 ) Urteil vom 3. Juli 1979 in den verbundenen Rechtssachen 185 bis 204/78 — Strafverfahren gegen Firma J. van Dam en Zonen —, Slg. 1979, 2345.