SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL
VOM 3. DEZEMBER 1981
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
Die Anfrage, zu der ich heute Stellung nehme, bezieht sich auf Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, wo es heißt:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
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wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre.“ |
Hierzu möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob einem Kläger dieser Gerichtsstand auch dann zur Verfügung steht, wenn das Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist.
Die Revisionsklägerin des Ausgangsverfahrens ist ein Unternehmen mit Sitz in Italien, das Krananlagen herstellt. Sie wurden in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben durch die Firma Hydraulikkran in Böblingen, die offenbar inzwischen — im Oktober 1974 — in Konkurs gegangen ist. Um festzustellen, ob der Verkauf eines von der Klägerin entwickelten Geräts gegen bestehende Patentrechte verstößt, sollte ein Patentanwalt in Deutschland Nachforschungen anstellen. Zu diesem Zweck — so verstehe ich den Vorlagebeschluß — erteilte die Firma Hydraulikkran nach einem Gespräch mit der Klägerin des Ausgangsverfahrens dem Revisionsbeklagten dieses Verfahrens, einem Patentanwalt mit Kanzlei in der Bundesrepublik Deutschland, einen entsprechenden Auftrag.
Der Patentanwalt macht nunmehr Honoraransprüche gegen die Firma Effer geltend und hat ihretwegen im Dezember 1974 Klage bei einem deutschen Gericht erhoben. Tatsächlich bestreitet die Firma Effer, daß zwischen ihr und dem Patentanwalt vertragliche Rechtsbeziehungen zustande gekommen seien. Sie räumt ein, der Firma Hydraulikkran einen Auftrag erteilt zu haben, macht aber geltend, diese sei nicht bevollmächtigt gewesen, den Revisionsbeklagten namens der Klägerin zu beschäftigen; außerdem sei von Hydraulikkran ein anderer Patentanwalt mit den gewünschten Nachforschungen beauftragt worden. In diesem Streit hat der Revisionsbeklagte zunächst beim Landgericht Frankfurt recht bekommen. Der VI. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt hat dieses Urteil aber — ausgehend von der Annahme, deutsche Gerichte seien gemäß Artikel 5 Nummer 1 des Vollstreckungsübereinkommens zuständig — wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des Landgerichts aufgehoben und die Sache, weil es sich in Wahrheit nicht um eine Patentstreitsache handele, an das Landgericht Darmstadt verwiesen. Die Firma Effer wurde dann aber auch von diesem Gericht zur Zahlung verurteilt, und die dagegen eingelegte Berufung blieb unter anderem deswegen ohne Erfolg, weil auch der XIII. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt der Ansicht war, eine Zuständigkeit deutscher Gerichte sei nach der bereits erwähnten Vorschrift des Vollstreckungsübereinkommens im Hinblick darauf gegeben, daß es für diese Bestimmung nicht darauf ankomme, ob Streit über das Zustandekommen des Vertrages bestehe, aus dem Ansprüche geltend gemacht würden.
Danach gelangte die Sache im Wege der Revision zum Bundesgerichtshof. Dieser stellte, weil beim Gericht des Erfüllungsorts geklagt worden war, fest, der Erfüllungsort bestimme sich, da der Schwerpunkt des Vertrages auf deutsches Recht hinweise, nach deutschem Recht. Für einen Patentanwaltsvertrag wurde demgemäß ein einheitlicher Leistungsort dort angenommen, wo die Dienste zu erbringen waren, das heißt am Ort der Kanzlei des Patentanwalts. Für den Bundesgerichtshof war aber angesichts der Einlassungen der Revisionsklägerin nicht klar, ob ein deutsches Gericht tatsächlich nach Artikel 5 Nummer 1 des Vollstreckungsübereinkommens zuständig sei oder ob der geltend gemachte Anspruch nicht vielmehr — weil die Voraussetzungen des Artikels 5 Nummer 1 des Vollstrekkungsübereinkommens nicht erfüllt seien — am Sitz der Firma Effer einzuklagen sei. Er hat deshalb durch Beschluß vom 29. Januar 1981 das Verfahren ausgesetzt und die eingangs erwähnte Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Nur die Revisionsklägerin des Ausgangsverfahrens hat sich für eine Verneinung der Frage ausgesprochen, während alle anderen am Verfahren Beteiligten, der Revisionsbeklagte des Ausgangsverfahrens, die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs, ihre Bejahung befürworten.
Ich teile den letzteren Standpunkt. Er wird übrigens auch in der Literatur vertreten (Bülow-Böckstiegel, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Kommentar zum Vollstrekkungsübereinkommen, S. 57; Piltz, Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach dem EuGVÜ, NJW 1981, S. 1876; Spellenbērg, Die Vereinbarung des Erfüllungsortes und Artikel 5 Nummer 1 des europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, Praxis des internationalen Privat - und Verfahrensrechts 1981, S. 75 ff.), und in diesem Sinne haben auch einige nationale Gerichte entschieden (OLG Bamberg, NJW 1977, S. 505; OLG Hamm, Recht der Internationalen Wirtschaft, 1980, S. 663).
Zur Begründung trage ich folgendes vor:
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Hält man sich zunächst an den Wortlaut des Artikels 5 Nummer 1, so spricht sicherlich die deutsche Fassung, die ich eingangs zitiert habe, für die Annahme, daß ein Streit über die Existenz eines Vertrages den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nicht á priori ausschließt. Nicht in gleicher Weise deutlich sind andere sprachliche Fassungen, insbesondere die französische und italienische, auf die die Revisionsklägerin vor allem abgestellt hat und die natürlich nicht außer acht gelassen werden können. Ich sehe aber andererseits nicht, wie sich aus den dort verwendeten Formulierungen („en matière conctractuelle“, „in materia contrattuale“) zwingend der Schluß ergeben soll, das Zustandekommen eines Vertrages dürfe nicht streitig sein und eine Zuständigkeit nach Artikel 5 Nummer 1 scheide aus, wenn Streit über die Existenz eines Vertrages bestehe. |
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Ein gewichtiges Indiz für die Richtigkeit einer bejahenden Antwort läßt sich sicher dem Urteil vom 14. Dezember 1977 in der Rechtssache 73/77 (Theodorus Engelbertus Sanders/Ronald van der Putte, Slg. 1977, 2383, 2388 ff.) entnehmen. Dieses Verfahren betraf die Auslegung des Artikels 16 Nummer 1 des Vollstreckungsabkommens, in dem es heißt: „Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:
Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, daß seinerzeit auch Streit über die Frage bestand, ob ein Pachtvertrag überhaupt zustande gekommen sei. Gleichwohl wurde die Anwendung der zitierten Vorschrift nicht ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus den Entscheidungsgründen 12 bis 15, in denen sich der Satz findet: „Diese Erwägungen erklären, warum für Klagen, die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen im eigentlichen Sinne zum Gegenstand haben, bei denen also zwischen den Parteien über das Bestehen oder die Auslegung des Vertrages, den Ersatz für vom Mieter oder Pächter verursachte Schäden oder die Räumung der Sache gestritten wird, den Gerichten des Landes, in dem die Sache belegen ist, eine ausschließliche Zuständigkeit eingeräumt wurde.“ |
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Würde man annehmen, das Vorliegen eines Streits über die Existenz eines Vertragsverhältnisses schließe eine Klage nach Maßgabe des Artikels 5 Nummer 1 des Vollstreckungsübereinkommens eo ipso aus, so könnte durch einfaches Bestreiten von seiten des Beklagten diese Vorschrift ebenso weithin wirkungslos gemacht werden wie auch die des Artikels 5 Nummer 3 — Gerichtsstand der unerlaubten Handlung —, wo ja in der Regel die Einlassung der beklagten Partei im Bestreiten des Vorliegens einer unerlaubten Handlung besteht. Dies kann nicht sinnvoll und gewollt sein. Auch wenn einzuräumen ist, daß Artikel 5 Nummer 1 eine Ausnahme von der allgemeinen Regel des Artikels 2 — Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz der beklagten Partei — darstellt und demgemäß von einer weiten Auslegung der zuerst genannten Bestimmung nicht auszugehen ist, können solche Erwägungen doch sicher nicht zu einer Auslegung führen, die es ermöglichen würde, eine Ausnahmevorschrift praktisch wirkungslos zu machen. |
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Andererseits kann bei Geltendmachung des Gerichtsstandes des Artikels 5 Nummer 1 des Vollstreckungsübereinkommens vom Kläger schwerlich mehr als ein schlüssiger Klagevortrag gefordert werden. Dies meinte wohl auch der Vertreter der britischen Regierung mit der Formulierung, der Kläger müsse gutgläubig die Existenz vertraglicher Beziehungen behaupten, und zwar aufgrund eines Sachverhalts, der prima facie für das Vorliegen eines Vertrages spreche. Zu Recht hat die Kommission in diesem Zusammenhang hervorgehoben, die Berufung auf die Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens sei grundsätzlich nicht an Formvorschriften oder die Einhaltung von Mindestanforderungen bezüglich eines Beweises gebunden, das in Artikel 17 des Übereinkommens für Zu- ständigkeitsvereinbarungen vorgesehene Erfordernis der Schriftform müsse vielmehr als eindeutige Ausnahme angesehen werden. Demgemäß wurde auch iai Urteil vom 17. Januar 1980 der Rechtssache 56/79 (Siegfried Zelger/Sebastiano Saliniui, Sig. 1980, 89, 97) klargestellt, daß für Artikel 5 Nummer 1 eine formlose Vereinbarung des Erfüllungsortes ausreiche. |
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Gegen die Annahme, das Bestreiten der Existenz eines Vertrages führe zum Wegfall des Gerichtsstandes des Erfüllungsorts, spricht ferner auch, daß ein unter Berufung auf das Übereinkommen angerufenes Gericht — dies folgt aus Artikel 20 des Übereinkommens — von Amts wegen seine Zuständigkiet nach den Vorschriften des Übereinkommens prüfen muß (vgl. den Jenard-Bericht zu Artikel 19 des Übereinkommens und Bülow-Böckstiegel, a. a. O., Anmerkung III zu Artikel 20 des Übereinkommens). Dies kann nur bedeuten, daß alle für den angeblichen Gerichtsstand notwendigen Voraussetzungen zu ermitteln sind auch eine rechtliche Würdigung vorzunehmen ist. Entsprechendes muß demgemäß auch in bezug auf die Frage gelten, ob ein Vertrag und damit ein vertraglicher Erfüllungsort anzunehmen sei. Dabei kann es nach richtiger Auffassung keine Rolle spielen, ob die Prüfung der Zuständigkeitsfrage ganz oder teilweise mit der Prüfung der materiellen Begründetheit eines Anspruchs zusammenfällt. Die Tatsache, daß die Prüfung der zuständigkeitsbegründenden Tatsache auch für die Beurteilung des Klageanspruchs Bedeutung hat, ist auch in anderen Fällen nicht auszuschließen. Man denke nur an das von der Kommission angeführte Beispiel einer Gerichtsstandsvereinbarung in allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo bei der Prüfung der Frage, ob diese wirksam zustande gekommen ist, auch Fragen des Klageanspruchs präjudiziell werden können, da in den Geschäftsbedingungen vielfach auch andere Fragen geregelt sind. Anderenfalls würde man, je nachdem, ob eine separate Vereinbarung über den Erfüllungsort vorliegt oder nicht, differenzieren, was schwerlich gerechtfertigt erscheint. Auch wäre der Standpunkt, eine Zuständigkeit nach dem Übereinkommen könne nicht anerkannt werden, wenn die Prüfung der Zuständigkeitsfrage mit der Prüfung anspruchsbegründeter Tatsachen ganz oder teilweise zusammenfalle, wohl nicht in Einklang mit dem Grundsatz einer weiten Anwendung des Übereinkommens zu bringen, wie er im Jenard-Bericht deutlich zum Ausdruck kommt. Klar ist allerdings, daß die von der Kommission dargestellte Gerichtspraxis, für zuständigkeitsbegründende Tatsachen keinen Beweis zu verlangen, wenn sie gleichzeitig Tatbestandsmerkmale des materiellen Klageanspruchs sind, mit den Regeln des Übereinkommens nicht in Einklang stünde, eben weil diese eine Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen und damit gegebenenfalls die Durchführung einer auf die Feststellung der Zuständigkeit beschränkten Beweisaufnahme verlangen. |
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Nicht übersehen werden sollte schließlich, daß die von mir vertretene Auslegung für Beklagte, die sich zur Verteidigung von ausländischen Gerichten veranlaßt sehen können, keine unzumutbare Belastung mit sich bringt. So sichert Artikel 20 Absatz 2 des Übereinkommens mit der Vorschrift, das Gericht habe die Entscheidung so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, daß es dem Beklagten möglich war, das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, daß er sich verteidigen konnte, der beklagten Partei die Möglichkeit, ihren Standpunkt darzulegen. Sie ist außerdem, wenn sie vor den Gerichten eines Vertragsstaats verklagt wird, in dem sich nicht ihr Wohnsitz befindet, nicht gehalten, dort zu erscheinen und sich auf das Verfahren einzulassen. Für diesen Fall sieht Artikel 20 Absatz 1 des Übereinkommens eine Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen vor. Insoweit kann also eine behauptete Tatsache wegen Nichterscheinens der beklagten Partei nicht als zugestanden angesehen werden, vielmehr ist vom Kläger der volle Beweis der zuständigkeitsbegründenden Tatsache zu verlangen (vgl. Bülow-Böckstiegel, a. a. O.). |
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Ohne daß auf das von der britischen Regierung aufgeworfene Problem noch einzugehen wäre, ob nämlich eine nach Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens einmal zu Recht geltend gemachte Zuständigkeit erhalten bleibt, auch wenn das Bestreiten später als berechtigt erscheint, schlage ich nach alledem folgende Antwort auf die vom Bundesgerichtshof gestellte Frage vor: Einem Kläger steht der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens auch dann zur Verfügung, wenn das Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist. |