SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL

VOM 9. JANUAR 1980

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Mit Beschluß vom 3. Oktober 1978 gab der Präsident des Tribunale Civile e Penale Mailand der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf, der Beklagten 2783140 Lire zurückzuerstatten, die diese als gesundheitspolizeiliche Gebühren im Laufe der Jahre 1971 bis 1974 auf die Einfuhr von Milch und Milcherzeugnissen und damit als verbotene Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle bezahlt hatte. Gegen diese einstweilige Verfügung legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, ein Verstoß gegen das Verbot, Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle zu erheben, führe nicht ohne weiteres zu der Verpflichtung, die erhobenen Beträge zurückzuerstatten. Darauf ersuchte die 1. Zivilkammer des Tribunale Mailand mit Beschluß vom 1. März 1979 (2. April 1979) den Gerichtshof um die Vorabentscheidung über folgende Fragen :

„A —

Ist die Erstattung von Beträgen, die als Grenzabgaben (im vorliegenden Fall als Gebühren für gesundheitspolizeiliche Kontrollen) erhoben wurden, bevor sie durch Gemeinschaftsorgane als Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle klassifiziert wurden, mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit dem Sinn des Artikels 13 Absatz 2 und des Artikels 92 EWG-Vertrag vereinbar, wenn die betreffende Belastung bereits damals auf die Erwerber der eingeführten Erzeugnisse abgewälzt wurde?

B —

Widerspricht es Gemeinschafts-recht, insbesondere Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 92 EWG-Vertrag, daß den einzelnen aus dem Verbot und der Abschaffung der Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle ein Anspruch auf Erstattung von Beträgen erwächst, die sie dem Staat ohne rechtlichen Grund entrichtet haben und die dieser rechtswidrig als Abgaben mit gleicher Wirkung zwar nach der Abschaffung dieser Abgaben durch das Gemeinschaftsrecht, aber vor ihrer Klassifizierung durch die Gemeinschaftsorgane als Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle erhoben hat?“

Zu diesen Fragen nehme ich wie folgt Stellung:

Mit den beiden Vorlagefragen wird ein grundlegendes Problem angesprochen, zu dem ich bereits in meinen Schlußanträgen vom 4. Dezember 1979 zu der Rechtssache 68/79 (Hans Just I/S gegen dänisches Ministerium für das Steuerwesen) Stellung genommen habe; es geht um die Erstattungsfähigkeit von Abgaben, die aufgrund nationaler Rechtsvorschriften gezahlt worden sind, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht jedoch erst später vom Gerichtshof festgestellt wurde, zu erstatten sind. Da beide Fragen sich nur auf verschiedene Aspekte des Problems beziehen, inwieweit das Gemeinschaftsrecht eine Rückerstattung der von der italienischen Finanzverwaltung entgegen Artikel 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags erhobenen Gebühren für gesundheitspolizeiliche Kontrollen an die Einzelpersonen vorsieht, halte ich eine zusammengefaßte Untersuchung der beiden Fragen für angebracht.

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in einer Reihe von Urteilen bereits entschieden hat, daß finanzielle Belastungen, die aus Gründen gesundheitspolizeilicher Kontrolle von Waren beim Grenzübertritt erhoben werden, als Abgaben zollgleicher Wirkung im Sinne von Artikel 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags anzusehen sind, sofern sie nicht Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung sind, die systematisch sämtliche inländischen und eingeführten Waren nach gleichen Kriterien auf der gleichen Handelsstufe erfaßt (vgl. Rechtssachen 29/72 — S.p.A. Marimex/Italienische Finanzverwaltung, Urteil vom 14. Dezember 1972, Slg. 1972, 1309; 87/75 — Conceria Daniele Bresciani/Italienische Finanzverwaltung, Urteil vom 5. Februar 1976, Slg. 1976, 129; 35/76 — Simmenthal S.p.A./Italienisches Finanzministerium, Urteil vom 15. Dezember 1976, Slg. 1976, 1871; 70/77 — Simmenthai S.p.A./Finanzverwaltung, Urteil vom 28. Juni 1978, Slg. 1978, 1453). Weiterhin steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fest, daß Artikel 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags seiner Natur nach spätestens seit dem 1. Januar 1970 unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Bürgern erzeugt, indem er für die einzelnen Rechte begründet, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen haben (vgl. Rechtssachen 29/72 — Marimex; 63/74 — W. Cadsky S.p.A./Istituto nazionale per il Commercio Estero, Urteil vom 26. Februar 1975, Slg. 1975, 281; 87/75 — Bresciani; 33/76 — Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland, Urteil vom 16. Dezember 1976, Slg. 1976, 1989, und 45/76 — Comet BV/Produktschap voor Siergewassen, Urteil vom 16. Dezember 1976, Slg. 1976, 2043). Eng verbunden mit diesem so beschriebenen Durchgriffscharakter ist das vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobene Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht. So hat der Gerichtshof bereits in der Rechtssache 6/64 (Flaminio Costa/ENEL, Urteil vom 15. Juli 1964, Slg. 1964, 1251) hervorgehoben, „daß dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll“. Die Staaten haben, so fährt der Gerichtshof fort, dadurch, „daß sie nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrages Rechte und Pflichten, die bis dahin ihrer inneren Rechtsordnung unterworfen waren, der Regelung durch die Gemeinschaftsrechtsordnung vorbehalten haben, eine endgültige Beschränkung ihrer Hoheitsrechte bewirkt, die durch spätere einseitige, mit dem Gemeinschaftsbegriff unvereinbare Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann“. Dieser vom Gerichtshof herausgestellte Anwendungsvorrang, der letztlich auf dem Prinzip der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft beruht und seinen Niederschlag besonders in Artikel 5 des EWG-Vertrags findet, soll also eine unterschiedliche Anwendung des Vertrages von Staat zu Staat vermeiden, indem insoweit entgegenstehendes nationales Recht von allen staatlichen Organen nicht mehr angewandt werden darf, ohne daß es einer formellen Aufhebung bedürfte; Insofern haben auch die Vorabentscheidungsurteile des Gerichtshofs, mit denen gemäß Artikel 177 des EWG-Vertrags über die Auslegung dieses Vertrages entschieden wird, lediglich deklaratorische Bedeutung. Nichts anderes gilt meiner Ansicht nach — so viel sei zum Einwand der italienischen Regierung gesagt — für die Urteile des Gerichtshofs, die in einem Vertragsverletzungsverfahren gemäß den Artikeln 169 und 170 des EWG-Vertrags ergehen und mit denen der Gerichtshof feststellt, daß ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem EWG-Vertrag verstoßen hat. Artikel 171 des EWG-Vertrags, nach dem ein Staat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, schafft somit keine neuen materiellen Verpflichtungen, sondern bekräftigt lediglich die ohnehin schon bestehende Verpflichtung, entgegenstehendes nationales Recht nicht anzuwenden beziehungsweise aufzuheben.

Aus dem Sinn und Zweck der unmittelbaren Wirkung folgt weiterhin, wie ich bereits in meinen Schlußanträgen zu den Rechtssachen 77/76 (Firma Gebr. Cucchi/Avez S.p.A., Urteil vom 25. Mai 1977, Slg. 1977, 987) und 68/79 (Just) dargelegt habe, daß Leistungen, die aufgrund von mit dem Gemeinschaftsrecht in Widerspruch stehendem nationalem Recht erbracht worden sind, grundsätzlich zurückzuerstatten sind. Eine Rückzahlungsverpflichtung für Abgaben, die im Rahmen eines nationalen Vermark-_ tungssystems verlangt wurden, das mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist, statuiert der Gerichtshof ausdrücklich in seinem Urteil vom 26. Juni 1979 in der Rechtssache 177/78 (Pigs and Bacon Commission/McCarren and Company Limited), in dem er hervorhebt, daß „grundsätzlich ... jeder zur Zahlung der Abgabe gezwungene Wirtschaftsteilnehmer das Recht [hat], die Rückerstattung des Teils der Abgabe geltend zu machen, der in dieser Weise für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Zwecke verwendet wird“ (vgl. dazu auch die Schlußanträge von Generalanwalt Warner vom 15. Mai 1979 zu dieser Rechtssache). Von einem solchen Anspruch ist, wie mir scheint, der Gerichtshof übrigens bereits in seinem Urteil vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76 (Rewe) ausgegangen, in der das vorlegende Gericht im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens unter anderem gefragt hatte, ob bei einem Verstoß der einzelstaatlichen Verwaltung gegen das Verbot zollgleicher Abgaben der betroffene Marktbürger einen gemeinschaftsrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr des Geleisteten hat. Wie im jetzigen Verfahren vertrat die Regierung der Italienischen Republik mit denselben Argumenten den Standpunkt, daß die Rückzahlung von Grenzabgaben nicht verlangt werden könne, bevor die Einordnung dieser Abgaben als Abgaben mit zollgleicher Wirkung in maßgebender Weise festgestellt worden sei. Obwohl der Gerichtshof wegen Versäumung der nach nationalem Verfahrensrecht vorgesehenen Fristen nicht ausdrücklich auf die Frage der Rückzahlung eingehen mußte, ging er offensichtlich implicite von einer solchen Rückzahlungsverpflichtung aus, indem er im Hinblick auf die Fragestellung hervorhob, daß das in Artikel 13 des EWG-Vertrags ausgesprochene Verbot unmittelbar wirkt und Rechte für die einzelnen Bürger begründet, welche die innerstaatlichen Gerichte zu schützen haben.

Letztere können diese Ansprüche, wie ich in meinen Schlußanträgen zu der Rechtssache 68/79 (Just) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs gezeigt habe, nur nach Maßgabe ihrer eigenen Rechtsordnung wahren, solange das Gemeinschaftsrecht keine eigenständige Regelung bereitstellt. Dieser Rückgriff auf das nationale Recht macht die Rückerstattung, wie dies die italienische Regierung zu Recht hervorhebt, von je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Einzelregelungen abhängig, entspricht jedoch, wie besonders in der Rechtssache 177/78 (Pigs and Bacon) deutlich wird, dem gegenwärtigen Stand der Integration im Bereich des Individualrechtsschutzes. Daß damit der rechtliche Status der Einzelnen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich sein kann, ist lediglich eine Folge des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, die von der Gemeinschaftsrechtsordnung in Kauf genommen wird. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Rewe ergibt, müssen die mitgliedstaatlichen Gerichte allerdings beachten, daß die Verfolgung der aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Rechte nicht ungünstiger ausgestaltet sein darf als die Durchsetzung gleichartiger, sich aus dem nationalen Recht ergebender Ansprüche und daß weiterhin die Rechtsverfolgung nicht praktisch unmöglich gemacht werden darf.

Im Interesse einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts versucht die italienische Regierung weitere Grenzen aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herzuleiten, innerhalb deren die nationalen Verwaltungen verpflichtet seien, Beträge zurückzuerstatten, die unter Verstoß gegen das Verbot zur Anwendung von Abgaben zollgleicher Wirkung erhoben worden seien. Sie weist darauf hin, daß die Rückerstattung solcher Zahlungen zu einer effektiven Bereicherung oder genauer zu einer höheren und unerwarteten Gewinnspanne der betroffenen Händler führen würde, da diese die entsprechenden Beträge offensichtlich bereits in die Kostenberechnung mit einbezogen und auf die Dritterwerber übergewälzt hätten. Eine Rückgewähr sei im Kern eine „Beihilfe“ an die einheimischen Händler; die rückwirkende Beseitigung einer Ungleichbehandlung, die bereits dadurch zu einer nicht mehr umkehrbaren Beeinträchtigung der Handelsbeziehungen geführt habe, daß diese einem anderen als dem von den Vertragsschöpfern gewollten System unterworfen worden seien, würde praktisch jene Verfälschung der Markt- und Wettbewerbsbedingungen herbeiführen, die das Gemeinschaftsrecht gerade verhindern wolle.

Diesen Argumenten wird man sich meiner Ansicht nach aus folgenden Gründen jedoch nicht anschließen können:

Ich habe bereits dargelegt, daß aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts folgt, daß zu Unrecht erhobene Leistungen grundsätzlich zurückzuzahlen sind, da ansonsten die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verhindert werden könnte, indem ein Mitgliedstaat entgegen den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften diese Abgaben erhebt. Eine solche Verpflichtung muß auch für Zahlungen bestehen, die entgegen dem Verbot des Artikels 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags erhoben worden sind. Diese Vorschrift, die vorsieht, daß die zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle während der Übergangszeit schrittweise aufzuheben sind, gehört, was ihre Stellung im Vertrag verdeutlicht, bekanntlich zu den Grundlagen der Gemeinschaft und spielt eine wesentliche Rolle bei der Errichtung des Gemeinsamen Marktes. Ihre Rechtfertigung liegt, wie der Gerichtshof bereits mehrfach hervorgehoben hat (vgl. Rechtssache 87/75 — Bresciani; Rechtssache 77/72 — Carmine Capolongo/Azienda Agricola Maya, Urteil vom 19. Juni 1973, Slg. 1973, 611) darin, daß finanzielle Belastungen jeglicher Art, die ihren Grund im Überschreiten der Grenzen haben, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen. Aus der Ratio dieser Vorschrift folgt deshalb, daß diese zu Unrecht erhobenen finanziellen Belastungen grundsätzlich so weit wie möglich rUckabgewickelt werden müssen, unabhängig davon, ob der Importeur diese indirekten Belastungen über den Preis abgewälzt hat oder nicht. Ist ihm dies gelungen, treffen die zu Unrecht erhobenen finanziellen Belastungen die späteren Erwerber, die sich für den Fall der Rückerstattung eventuell nach nationalem Recht im Wege des Regresses an den Importeur halten können.

Abgesehen davon kann auch nur sehr schwer festgestellt werden, ob der Importeur tatsächlich die rechtswidrigen Belastungen über den Preis der Ware vollständig oder nur zum Teil abwälzen konnte, da diese Frage von der allgemeinen Konjunktur und der besonderen Situation eines Unternehmens abhängt und nur unter Abwägung der Einzelheiten eines konkreten Falles beantwortet werden kann. Zudem muß weiter berücksichtigt werden, daß die rechtswidrig erhobenen Gebühren höchstwahrscheinlich die Ware verteuert und somit das Verkaufsvolumen negativ beeinflußt haben mit der Folge, daß schon allein dadurch der Erwerb des Importeurs unabhängig von eventuellen Zinsverlusten geschmälert wurde.

Für diese - schwierigen Fragen, die nur von den nationalen Gerichten anhand eines konkreten Einzelfalls gelöst werden können, sieht das Gemeinschaftsrecht keine Regelung vor. Mangels einer solchen gemeinschaftsrechtlichen Regelung muß es deshalb meines Erachtens allein Sache der einzelstaatlichen Gerichte sein, im Rahmen ihrer Rechtsordnung zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die zu Unrecht erhobenen Abgaben zollgleicher Wirkung zurückzuerstatten sind.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich ferner, daß die Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Abgaben zollgleicher Wirkung, die aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung erfolgt, per definitionem keine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des EWG-Vertrags darstellen kann. Da sich darüber offensichtlich alle an dem Vorlageverfahren Beteiligten einschließlich der italienischen Regierung einig sind, kann ich mich gleichfalls mit einigen kurzen Bemerkungen begnügen.

Artikel 92 Absatz 1 des EWG-Vertrags sieht vor, daß, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Wie wir gesehen haben, schreibt das Gemeinschaftsrecht aber gerade eine Rückerstattung von zu Unrecht erhobenen Abgaben vor. Artikel 92 Absatz 1 ist nur auf staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen anwendbar. Wesentlich für den Begriff der Beihilfe ist jedoch, daß die Zuwendung des Staates unentgeltlich erfolgt und dem Begünstigten aufgrund staatlicher Vorschriften oder nach staatlich festgesetzten Regeln Vorteile eingeräumt werden. Die Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Abgaben erfolgt jedoch aufgrund eines richterlichen Spruchs in Rückabwicklung einer wettbewerbsverfälschenden Maßnahme und räumt deshalb, wie wir gesehen haben, dem betroffenen Unternehmen auch keinen Vorteil ein. Da lediglich zurückgewährt wird, was zu Unrecht erhoben wurde, kommt es insofern auch nicht zu einer Umverteilung der staatlichen Mittel. Da es sich nicht um die Zuwendung eines unentgeltlichen Vorteils handelt, wird die wirtschaftliche Lage der am zwischenstaatlichen Austausch von Waren beteiligten Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten, die keine gleichartigen Zahlungen erhalten, auch nicht verbessert und damit der zwischenstaatliche Wettbewerb nicht verfälscht.

Die italienische Regierung vertritt weiterhin den Standpunkt, die Direktwirkung von Artikel 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags könne unter Berücksichtigung der in dem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Gabrielle De-frenne/Société anonyme belge de navigation aérienne Sabena, Sig. 1976, 455) enthaltenen Kriterien nicht dazu führen, über die Konstruktion einer von Natur aus vorrangigen gemeinschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlage den Betroffenen eine absolute und zeitlich unbegrenzte Rückforderungsmöglichkeit einzuräumen. In dem genannten Urteil habe der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung des Artikels 119 des EWG-Vertrags anerkannt, seine Anwendung jedoch, soweit nicht Arbeitnehmer bereits Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt hätten, auf die Zeit nach der Urteilsverkündung beschränkt. Die Gründe, derentwegen der Gerichtshof zwischen der Feststellung der Nichterfüllung einer Vertragsverpflichtung und der Bejahung einer Verpflichtung zur rückwirkenden Beseitigung der nachteiligen Wirkungen unterschieden habe, die aus dieser Vertragsverletzung erwachsen seien, nämlich die wirtschaftlichen Folgen, das Verhalten der Mitgliedstaaten, das Ausbleiben einer Initiative der Kommission und der unrichtige Eindruck von der Wirkung der geltenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung, träfen auch auf dem Gebiet der Abgaben zollgleicher Wirkung zu, insbesondere dann, wennn aufgrund einer unzutreffenden Auslegung des Gemeinschftsrechts Zahlungen erhoben worden seien.

Wie ich jedoch bereits in meinen Schlußanträgen zu der Rechtssache 68/79 (Just) hervorgehoben habe und wie auch Generalanwalt Warner in seinen Schlußanträgen zu der Rechtssache 33/76 (Rewe) unterstrichen hat, ist der Sachverhalt, in dem zu Unrecht erhobene Abgaben von den Mitgliedstaaten zurückverlangt werden, nicht vergleichbar mit demjenigen in der Rechtssache Defrenne. So weist auch die Kommission zu Recht darauf hin, daß in der Rechtssache Defrenne im wesentlichen Interessen von Privatpersonen auf dem Spiel gestanden haben, die sowohl durch das Verhalten mehrerer Mitgliedstaaten als auch durch das von Gemeinschaftsorganen irregeführt worden seien und dementsprechend finanziell disponiert hätten. In der vorliegenden Rechtssache geht es jedoch lediglich darum, daß Abgaben, die nicht hätten erhoben werden dürfen, zurückzuerstatten sind. In der Rechtssache Defrenne dagegen haben namentlich private Arbeitgeber aufgrund nationaler Gesetze oder Tarifverträge unterschiedliche Entgelte für Männer und Frauen gezahlt, während im vorliegenden Fall die Italienische Republik die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Regelung selbst erlassen hat. Es gibt insofern keine zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit, den zeitlichen Geltungsbereich des Urteils zu beschränken.

Ich schlage daher vor, die Fragen wie folgt zu beantworten :

Aus der unmittelbaren Wirkung von Artikel 13 Absatz 2 des EWG-Vertrags folgt, daß die einzelnen ein Recht auf Rückzahlung der entgegen dieser Vorschrift seit dem 1. Januar 1970 entrichteten Abgaben zollgleicher Wirkung haben. Es ist jedoch Sache des nationalen Richters zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Abgaben zurückzuzahlen sind, wobei er insbesondere nach seiner Rechtsordnung berücksichtigen kann, daß die betreffende Belastung bereits auf die Erwerber der eingeführten Erzeugnisse abgewälzt wurde. Die Verfolgung dieser Rechte darf jedoch nicht ungünstiger ausgestaltet sein als die Durchsetzung gleichartiger Ansprüche, die sich aus dem mitgliedstaatlichen Recht ergeben, und die Rechtsverfolgung darf nicht praktisch unmöglich gemacht werden.