SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN-PIERRE WARNER

VOM 13. DEZEMBER 1978 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die vorliegenden Klagen nach Artikel 173 EWG-Vertrag sind von sieben Unternehmen erhoben worden, die in Guadeloupe und Martinique Zucker erzeugen. Die Klägerinnen begehren jeweils die Feststellung, daß die Verordnung (EWG) Nr. 298/78 des Rates vom 13. Februar 1978 nichtig ist. Der Industrieverband der Klägerinnen, das Syndicat général des producteurs de sucre et de rhum des Antilles françaises, ist den Verfahren als Streithelfer beigetreten.

Nachdem der Rat gemäß Artikel 91 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vorweg eingewendet hat, die Klagen seien unzulässig, hat der Gerichtshof beschlossen, zunächst nur über diesen Punkt zu verhandeln. Dies geschah am 30. November 1978. Dementsprechend beschränke ich meine Ausführungen auf diesen Punkt.

Die gemeinsame Marktorganisation für Zucker, die nunmehr auf der Verordnung (EWG) Nr. 3330/74 des Rates vom 19. Dezember 1974 (ABl. L 359 vom 31. 12. 1974) beruht, und insbesondere die in den Artikeln 23 ff. dieser Verordnung enthaltene Quotenregelung ist Ihnen bekannt.

Artikel 23 sieht vor, daß diese Regelungen für die Wirtschaftsjahre 1975/76 bis einschließlich 1979/80 gelten.

Nach Artikel 24 weisen die Mitgliedstaaten jedem Unternehmen, das im Zuckerwirtschaftsjahr 1974/75 seine Grundquote ausgenutzt hat, eine „Grundquote“ zu. Die englische Fassung von Artikel 24 Absatz 1 spricht von „used up“, was daran denken läßt, daß ein Unternehmen keinerlei Quote für den gesamten Zeitraum 1975/76 bis 1979/80 erhält, wenn es seine Grundquote in 1974/75 nicht erschöpft hat. Aus den Fassungen in den anderen fünf Sprachen sowie aus den Begründungserwägungen und den Vorschriften dieser Verordnungen insgesamt wird jedoch klar, daß der englische Text insofern unzutreffend formuliert ist. Der Anspruch eines Unternehmens auf eine Grundquote für eines der fraglichen Jahre hängt nicht davon ab, daß das Unternehmen seine Grundquote für 1974/75 voll ausgenutzt hat. Dies ist in unserem Zusammenhang nicht unwichtig, weil der Rat vorgetragen hat, keine der Klägerinnen habe jemals, also vor 1974/75, mehr als einen Bruchteil ihrer Grundquote erzeugt, was die Klägerinnen nicht bestritten haben.

Artikel 24 Absatz 2 schreibt vor, wie die Mitgliedstaaten die in Artikel 24 Absatz 1 vorgesehene Zuteilung vorzunehmen haben. Das geschieht, kurz gesagt, wie folgt: Nach dem letzten Unterabsatz von Artikel 24 Absatz 2 erhält jeder Mitgliedstaat eine „Grundmenge“. Sie beträgt für Frankreich 2996000 Tonnen, aufgeteilt in 2530000 Tonnen für das französische Mutterland und 446000 Tonnen für die überseeischen Departements. Artikel 24 Absatz 2 Unterabsatz 1 gibt eine Formel, nach der die Mitgliedstaaten ihre Grundmenge oder den auf ihre Regionen entfallenden Teil davon auf die im Inland oder in diesem Teil des Staatsgebiets gelegenen Unternehmen in Anknüpfung an deren jeweilige Erzeugung während der Jahre 1968/69 bis 1972/73 aufzuteilen haben. Diese Formel ist so beschaffen, daß dem Mitgliedstaat keinerlei Ermessen eingeräumt wird. Die Anwendung dieser Formel erfolgt jedoch unbeschadet einer Reihe von Vorschriften, nämlich:

a)

Artikel 24 Absatz 2 Unterabsatz 2 bestimmt, daß die für das Zuckerwirtschaftsjahr 1974/1975 festgelegte Grundquote anstelle der Bezugsproduktion zugrunde gelegt wird, wenn die Bezugsproduktion eines Unternehmens unter dieser Quote liegt.

b)

Im dritten Unterabsatz erhalten die Mitgliedstaaten eine beschränkte Ermessensbefugnis, unter einigen näher bestimmten Umständen von der Formel abzuweichen.

c)

Der — vorliegend ganz entscheidende — Artikel 24 Absatz 3 bestimmt:

„Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Grundregeln für die Anwendung dieses Artikels und etwaige Abweichungen von den darin enthaltenen Bestimmungen fest.“

d)

Und endlich bestimmt Artikel 24 Absatz 4, daß etwa erforderliche Durchführungsvorschriften zu Artikel 24 nach dem „Verwaltungsausschußverfahren“ erlassen werden können.

Ich brauche wohl kaum daran zu erinnern, daß innerhalb der Grundquote der Unternehmen erzeugter Zucker, sogenannter „A-Zucker“, voll in den Genuß des Preisstützungsmechanismus dieser Verordnung kommt, namentlich also der Erstattung der Lagerkosten (Artikel 8), des Ankaufs durch die Interventionsstellen (Artikel 9) und der Erstattungen bei der Ausfuhr (Artikel 19).

Nach Artikel 25 kann jedem Unternehmen, für das eine Grundquote festgesetzt worden ist, eine Höchstquote zugeteilt werden, die durch Multiplikation der Grundquote mit einem jährlich vom Rat festgesetzten Koeffizienten bestimmt wird. Für Zucker, der von einem Unternehmen über die Grundquote hinaus, jedoch innerhalb von dessen Höchstquote erzeugt wird, also für sogenannten „B-Zucker“, besteht ebenfalls voller Anspruch auf den Preisstützungsmechanismus, jedoch ist nach Artikel 27 eine Produktionsabgabe zu zahlen.

Nach Artikel 26 besteht für Zucker, den ein Unternehmen außerhalb seiner Höchstquote produziert, sogenannten „C-Zucker“, kein Anspruch auf Preisstützung, und dieser Zucker darf nicht auf dem Binnenmarkt abgesetzt werden. Solcher Zucker ist ohne Erstattung aus der Gemeinschaft zu exportieren.

Der Rat erließ am gleichen Tag wie die Verordnung Nr. 3330/74 noch die Verordnung (EWG) Nr. 3331/74 „über die Zuteilung und die Änderung der Grundquoten für Zucker“ (ABl. L 359 vom 31. 12. 1974). Dies geschah nach Artikel 24 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3330/74, so daß der Rat lediglich auf Vorschlag der Kommission hätte handeln können. Zusätzlich hierzu lag dem Rat jedoch auch eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments und eine Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vor.

Die Verordnung Nr. 3331/74 beschäftigt sich überwiegend mit den Folgen, die sich aus Fusionen, Betriebsübertragungen zwischen Unternehmen und Betriebseinstellungen für die Grundquoten ergeben können. Die Verordnung ermächtigt die Mitgliedstaaten jedoch auch zur Herabsetzung der „Grundquote eines Unternehmens um eine Menge …, die für den gesamten Zeitraum vom 1. Juli 1975 bis 30. Juni 1980 5 % der ursprünglich zugeteilten Grundquote nicht überschreitet“, „um etwaigen Änderungen in der Struktur der Zuckerindustrie und des Zuckerrübenanbaus Rechnung zu tragen“ (vgl. die dritte Begründungserwägung und Artikel 2 Absatz 1). Nach Artikel 2 Absatz 1 „teilen [die Mitgliedstaaten] die abgezogene Menge einem oder mehreren Unternehmen zu“. In Artikel 2 Absatz 2 erhält die Italienische Republik eine besondere Ermächtigung, die Grundquote der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen insoweit zu ändern, als dies für die Durchführung der der Kommission vorgelegten Umstrukturierungspläne notwendig ist.

Die Verordnung Nr. 298/78 (ABl. L 45 vom 16. 2. 1978), deren Gültigkeit die Klägerinnen mit den vorliegenden Klagen angreifen wollen, wurde vom Rat, soweit nach Artikel 24 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3330/74 erforderlich, auf Vorschlag der Kommission, jedoch ohne Stellungnahme des Europäischen Parlaments und des Wirtscharts- und Sozialausschusses, erlassen. Die Begründungserwägungen zu dieser Verordnung lauten:

„Seit Inkrafttreten der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker hat die Zuckerproduktion der französischen Departements Guadeloupe und Martinique nie die Summe der Grundquoten der in diesen Departements ansässigen Unternehmen erreicht; die Zuckerrohranbauflächen sind in Martinique sogar zurückgegangen. In Anbetracht der Produktionsaussichten kann für die meisten betroffenen Unternehmen nicht mit einer Änderung dieser Lage gerechnet werden.

Im französischen Departement Réunion bestehen Möglichkeiten zur Vergrößerung der Zuckerrohranbauflächen. Die einzige andere Alternativkultur zum Zuk-kerrohr, die Geranie, geht ständig zurück und hat keinerlei wirkliche Entwicklungsaussichten mehr.

Die Zuckerrohrerzeugung im Departement Réunion verteilt sich auf ungefähr 15000 Pflanzer, die kleine Flächen bewirtschaften. Daher empfiehlt es sich, zur besseren Gewährleistung eines angemessenen Einkommens für diese Pflanzer von den Möglichkeiten der Erweiterung der vorgenannten Anbauflächen Gebrauch zu machen. Vorbedingung für jede Verbesserung der Einkommen der Pflanzer ist die Erhöhung der Grundquoten der betreffenden Zuckerunternehmen.

Es sollte daher die Möglichkeit geschaffen werden, einen Teil der der Französischen Republik durch die Verordnung (EWG) Nr. 3330/74 für ihre überseeischen Departements zugeteilten Grundmenge, der in Guadeloupe und Martinique nicht genutzt wird, zugunsten von Réunion zu verwenden. Es empfiehlt sich folglich, den Prozentsatz zu erhöhen, in dessen Rahmen die Französische Republik die Grundquoten der in ihren überseeischen Departements ansässigen Unternehmen ändern kann. Zu diesem Zweck ist die Verordnung (EWG) Nr. 3331/74 … entsprechend zu ändern.“

Der dispositive Teil der Verordnung besteht aus zwei Artikeln.

Artikel 1 fügt dem Artikel 2 der Verordnung Nr. 3331/74 einen neuen Absatz 3 hinzu oder gibt vor, einen solchen Absatz 3 hinzuzufügen, der im wesentlichen wie folgt lautet:

„Die Französische Republik kann abweichend von Artikel 24 Absatz 2 Unterabsätze 1, 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3330/74 und abweichend von dem vorstehenden Absatz 1 für die gesamte Zeit vom 1. Juli 1977 bis zum 30. Juni 1980 die Grundquote jedes in ihren überseeischen Departements ansässigen Unternehmens auf der Grundlage von Plänen für die Umstrukturierung des Zuckerrüben- und des Zuckersektors dieser Departements um höchstens 10 % der für das Zuckerwirtschaftsjahr 1976/77 geltenden Grundquote jedes Unternehmens herabsetzen.

Die Französische Republik teilt die geänderte Grundquote … zu.

Die Umstrukturierungspläne und die sich daraus ergebenden Maßnahmen betreffend die Grundquoten werden der Kommission unverzüglich mitgeteilt.“

Artikel 2 schreibt nur noch den Tag des Inkrafttretens der Verordnung sowie den Tag vor, ab dem sie anwendbar ist.

Mit den vorliegenden Klagen greifen die Klägerinnen die Gültigkeit dieser Verordnung aus zwei Gründen an.

Zum ersten behaupten sie, die Verordnung sei unvereinbar mit den Verordnungen Nr. 3330/74 und Nr. 3331/74. Hierzu machen sie geltend, Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung 3330/74 habe den Grundsatz aufgestellt, daß die Grundquoten für eine Fünfjahresperiode festgesetzt werden sollten. Das Ausmaß zulässiger Abweichungen von diesem Grundsatz sei vom Rat in der Verordnung Nr. 3331/74 bestimmt worden. Soweit hier erheblich sei ein Mitgliedstaat befugt, die Grundquote eines Unternehmens um bis zu 5 % für den gesamten Fünfjahreszeitraum herabzusetzen. Der Rat sei nicht befugt, diesen Prozentsatz später auf 10 % heraufzusetzen.

Zum zweiten behaupten die Klägerinnen, die Verordnung Nr. 298/78 sei unvereinbar mit Artikel 40 Absatz 3 des Vertrages, der es verbiete, die Erzeuger innerhalb der Gemeinschaft ungleich zu behandeln. Sie meinen, diese Verordnung treffe für sie insofern eine Sonderregelung, als sie danach die einzigen Zuckererzeuger innerhalb der Gemeinschaft seien, die — von der besonderen Situation der italienischen Erzeuger abgesehen — eine Reduzierung ihrer Grundquoten um mehr als 5 % könnten hinnehmen müssen. Ein Blick auf die Begründungserwägungen der Verordnung zeige, daß .diese insbesondere für die Klägerinnen und die Zuckererzeuger von Réunion eine unterschiedliche Behandlung einführen wolle.

Der Rat trägt vor, die Klagen seien unzulässig, weil die Verordnung keine die Klägerinnen unmittelbar und individuell betreffende Entscheidung im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag darstelle.

Ein solcher Vortrag wirft theoretisch drei Fragen auf:

1.

Stellt die Rechtshandlung, deren Gültigkeit angegriffen wird, „obwohl als Verordnung ergangen“ in Wirklichkeit eine Entscheidung dar?

2.

Wenn ja, handelt es sich um eine Entscheidung, welche die Anfechtenden unmittelbar betrifft?

3.

Wenn ja, handelt es sich um eine Entscheidung, welche die Anfechtenden individuell betrifft?

Die erste Frage ist in den Argumenten der Parteien nicht recht erkennbar geworden. Man hat sich auf die zweite und die dritte Frage konzentriert, wohl in der Annahme, daß zutreffende Antworten auf diese Fragen zu einer zutreffenden Antwort auf die erste Frage führen würden.

Der Rat hat sogar vorgetragen, die Verordnung Nr. 298/78 betreffe die Klägerinnen weder unmittelbar noch individuell. Dies scheint mir richtig sein zu können. Die Klägerinnen geboren zu einer namentlich feststehenden Gruppe von Unternehmen, nämlich zu denjenigen Zuckererzeugern in den überseeischen Departements Frankreichs, die im Zuckerwirtschaftsjahr 1974/75 ihre Grundquoten ausgenutzt hatten und die deshalb für die fünf folgenden Jahre Quoten zugeteilt erhielten. Es gibt umfangreiche Rechtsprechungen dieses Gerichtshofes des Inhalts, daß eine Rechtshandlung eines Gemeinschaftsorgans, die eine solche geschlossene Gruppe in anderer Weise betrifft als alle anderen Personen, jedes Mitglied dieser Gruppe „individuell betrifft“. Ich habe die früheren Entscheidungen dieses Inhalts in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache 100/74, CAM/Kommission, Slg. 1975, S. 1406 ff., besprochen. Danach sind noch die Urteile des Gerichtshofes in dieser Sache (vgl. insbesondere bei Randziffer 15 bis 19 der Entscheidungsgründe) und in der Rechtssache 88/76, Société pour l'Exportation des Sucres/Kommission, Slg. 1977, S. 709 (vgl. insbesondere bei Randziffer 10 und 11 der Entscheidungsgründe) ergangen. Eine solche Gruppe von Betroffenen ist zu unterscheiden von einer Kategorie von Personen, deren Identität sich zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger genau bestimmen läßt, die jedoch in allgemeiner Weise beschrieben wird, so daß sie beispielsweise bestimmte Berufsgruppen umfaßt.

Auf festerem Grund bewegt sich der Rat wohl mit dem Argument, die Verordnung Nr. 298/78 betreffe die Klägerinnen nicht „unmittelbar“, da sie der Französischen Republik lediglich eine Ermessensbefugnis gewähre. Auch hier ist die Rechtsprechung dieses Gerichtshofes klar und folgerichtig. Wenn eine Rechtshandlung eines Gemeinschaftsorgans sich nicht unmittelbar auf die Rechte einer Person auswirkt, sondern lediglich einen Mitgliedstaat zu einer Handlung ermächtigt, die sich in dieser Weise auswirken kann, so ist es nicht die Handlung des Gemeinschaftsorgans, sondern die etwaige Handlung des Mitgliedstaats, die diese Person unmittelbar betreffen kann; und diese Handlung kann, wenn überhaupt, vor dem zuständigen nationalen Gericht, nicht jedoch vor dem Gerichtshof nach Artikel 173 angegriffen werden — wenn auch die Gültigkeit der Rechtshandlung der Gemeinschaft anläßlich einer Vorlage des nationalen Gerichts nach Artikel 177 in Frage gestellt werden kann. Auch hierzu ist die frühere Rechtsprechung in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache CAM zusammengestellt; seither ist sie sinngemäß bestätigt worden im Urteil in der Rechtssache 123/77, UNICME/Rat, Slg. 1978, S. 845, auf das sich der Rat meines Erachtens zu Recht stützt.

Zwei Entscheidungen dieses Gerichtshofes, nämlich in den Rechtssachen 106 und 107/63, Toepfer, Slg. 1965, S. 547, und in der Rechtssache 62/70, Bock, Slg. 1971, S. 897, begründen eine einleuchtende Ausnahme zu diesem Grundsatz. Sie zeigen, daß eine Rechtshandlung eines Gemeinschaftsorgans, die auf den ersten Blick lediglich einem Mitgliedstaat eine Ermessensbefugnis einräumt, unter bestimmten Umständen dennoch als eine von ihr berührte Person direkt betreffend angesehen werden kann, wenn zu dem Zeitpunkt, als die Rechtshandlung erlassen wurde, bereits feststand, wie der Mitgliedstaat von seiner Ermessensbefugnis Gebrauch machen würde. Ohne Zweifel dachte der Vertreter der Klägerinnen an diese Entscheidungen, als er dem Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung erklärte, die Prüfung eines (nicht als Beweismaterial genannten) Schriftwechsels zwischen der französischen Regierung und der Kommission würde ergeben, daß die Verordnung Nr. 298/78 auf Bitten der französischen Regierung erlassen worden sei. Er erklärte weiter, die der Französischen Republik mit dieser Verordnung eingeräumte Ermessensbefugnis sei in einem „Arrêté“ ausgeübt worden, der den Klägerinnen im August 1978 bekanntgemacht worden sei. Ich muß sagen, daß diese Ausführungen mir nicht ausreichend schienen, den vorliegenden Fall unter diese Ausnahme fallen zu lassen. Wie immer dem sei, bin ich jedoch der Meinung, daß der Gerichtshof sich an die feststehende Regel halten muß, daß er streitigen Sachvortrag, der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wird, nicht zur Kenntnis nehmen kann, insbesondere dann nicht, wenn es an den für eine Prüfung notwendigen Beweisen fehlt.

In ihren Schriftsätzen haben die Klägerinnen auf dreierlei Weise versucht, der Schlußfolgerung zu entgehen, daß die Verordnung sie nicht unmittelbar betreffe und ihre Klagen deshalb unzulässig seien.

Zum ersten machten sie ein verfahrensrechtliches Argument geltend. Sie behaupteten, der Antrag des Rates nach Artikel 91 der Verfahrensordnung sei seinerseits unzulässig, weil der Rat in seinem Schrift satz nicht nur die Frage der Zulässigkeit der Klagen aufgeworfen, sondern auch, wenn auch ganz knapp, die Sache selbst betreffende Fragen angeschnitten habe.

Hierzu brauche ich wohl nur zu sagen, daß ein Antrag nach Artikel 91 meines Erachtens nicht dadurch unzulässig wird, daß er auf die Sache selbst betreffende Fragen eingeht — wenn auch negative Kostenfolgen möglich sein dürften, wenn solcher Vortrag übertrieben umfangreich ist.

Zum zweiten versuchten die Klägerinnen, den UNICME-Fall vom vorliegenden Fall zu unterscheiden, weil die Klägerinnen jenes Falles keine geschlossene Gruppe darstellten. Dies ist unzweifelhaft richtig und bedeutet, daß der UNICME-Fall hinsichtlich der Frage des „individuellen Betroffenseins“ unterschieden werden kann; die Bedeutung dieser Entscheidung für die Frage des „unmittelbaren Betroffenseins“ wird davon aber nicht berührt.

Zum dritten trugen die Klägerinnen vor, die Verordnung Nr. 298/78 betreffe sie unmittelbar, weil sie (wenn gültig) ihnen sofort und ohne weiteres das „Recht“ nehmen würde, ihre Grundquote während des gesamten Zeitraums vom 1. Juli 1975 bis 30. Juni 1980 nicht um mehr als 5 o/o gekürzt zu bekommen. Die Ermessensbefugnis, die der Regierung der Französischen Republik mit der angegriffenen Verordnung angeblich übertragen worden sei, würde, wie sie meinen, dieses „Recht“ beeinträchtigen.

Im Zusammenhang mit diesem dritten Punkt trugen die Klägerinnen zwei ergänzende Argumente vor.

Das eine lautete, weil der dritte Punkt auf der Behauptung aufbaue, daß jeder Zuckererzeuger in der Gemeinschaft nach der Verordnung Nr. 3330/74 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 3331/74 ein „Recht“ habe, daß seine Grundquote nicht um mehr als 5 % herabgesetzt werde, bestehe ein so „enger Zusammenhang“ mit der Sache selbst, daß die Frage der Zulässigkeit der Klagen nicht vorweg entschieden werden dürfe.

Hierzu kann ich mich wohl auf die Erklärung beschränken, daß der Kläger einer bei diesem Gerichtshof anhängigen Klage den Gerichtshof nicht daran hindern kann, die Frage der Zulässigkeit der Klage vorweg nach Artikel 91 der Verfahrensordnung zu prüfen, indem er ein und dieselbe Behauptung einmal als Argument für die Zulässigkeit seiner Klage und zum zweiten als Argument für deren Begründetheit anführt.

Das zweite ergänzende Argument der Klägerinnen lautete, ihr jeweiliges „Recht“, die Grundquote nicht um mehr als 5 % gekürzt zu bekommen, stelle einen Aktivposten ihrer Unternehmen dar, den sie in ihrer Bilanz einstellen dürften. Tatsächlich haben die Klägerinnen eine Stellungnahme der „Société d'Expertise Comptable Fiduciaire de France“ vorgelegt, in der es heißt, die Zuckerfabriken stellten den Wert ihrer Grundquoten üblicherweise in ihre Bilanz ein, und in der das Beispiel einer Aktienausgabe angeführt wird, die von einer der Klägerinnen als Gegenleistung für die Einbringung von Vermögensgegenständen, unter anderem solcher Quoten, vorgenommen wurde.

Es erscheint mir jedoch offensichtlich, daß ein Unternehmen sich zum Beweis der Rechte, die es nach Gemeinschaftsrecht hat, nicht darauf berufen kann, wie seine Bilanz gestaltet ist, selbst wenn diese insofern auf dem Rat von Bilanzsachverständigen beruhen mag. Die Feststellung solcher Rechte ist eine Frage des Rechts, nicht der Bilanzierung.

Die wirkliche Frage ist deshalb, ob die Klägerinnen zu Recht vortragen, die Verordnung Nr. 3330/74 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 3331/74 gewähre ihnen ein Recht darauf, ihre Grundquoten in dem Zeitraum vom 1. Juli 1975 bis 30. Juni 1980 nicht um mehr als 5 % gekürzt zu bekommen.

Die Klägerinnen bestreiten natürlich nicht, daß sich der Rat in Artikel 24 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3330/74 die Befugnis vorbehalten hat, auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit Abweichungen von den vorangehenden Bestimmungen dieses Artikels restzulegen. Was die Klägerinnen sagen, ist, wenn ich es richtig verstehe, daß der Rat diese Befugnis nur einmal und endgültig ausüben konnte; nachdem er dies mit der Verordnung Nr. 3331/74 getan hatte, sei der Rat nicht mehr in der Lage gewesen, von dieser Befugnis während der Laufzeit der Verordnung Nr. 3330/74 irgendwann nochmals Gebrauch zu machen.

Ich kann für meinen Teil keinen Grund für eine solche einschränkende Auslegung des Artikels 24 Absatz 3 erkennen. Ich übersehe nicht, daß Herr Generalanwalt Reischl in seinen Schlußanträgen vom 20. Juni 1978 in den Rechtssachen 103, 125 und 145/77, Royal Scholten-Honig (Holdings) Ltd. u. a./Intervention Board for Agricultural Produce u. a. (Slg. 1978, S. 2008) verschiedentlich die Auffassung vertreten hat, die Quotenregelung der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker, die bis zum Jahre 1968 in Kraft bleiben solle, habe „Rechte“ begründet. Er schränkt dies jedoch durch den Zusatz „in gewissem Sinne“ ein. Außerdem habe ich nach Durchsicht dieser Schlußanträge insgesamt nicht den Eindruck, daß er an die im vorliegenden Fall sich ergebende konkrete Frage gedacht hat.

Ohne Zweifel ist die Kompetenz des Rates nach Artikel 24 Absatz 3 beschränkt, insoweit sie den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts unterliegt, die sicherstellen sollen, daß den Gemeinschaftsorganen zustehende Ermessensbefugnisse nicht willkürlich oder unangemessen ausgeübt werden. Wie ich aber bereits gesagt habe, kann ich keinen Grund für die Annahme sehen, daß es sich nicht um eine andauernde Befugnis handeln sollte.

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerinnen vorgetragen, wenn die Verordnungen Nr. 3330/74 und Nr. 3331/74 den Klägerinnen keine unentziehbaren Rechte gewährten, so begründeten sie doch zumindest berechtigte Hoffnungen, welche die Verordnung Nr. 298/78 enttäuscht habe. Auch dies halte ich für unzutreffend; aber auch hier wiederum gilt, daß dieser Punkt in den Schriftsätzen nicht vorgetragen worden ist und der Gerichtshof ihn nach meiner Auffassung nicht zur Kenntnis nehmen darf.

Aus diesen Gründen bin ich — ohne auf die Frage einzugehen, ob die Verordnung Nr. 298/78 überhaupt als „Entscheidung“ angesehen werden kann — abschließend der Meinung, daß die Argumente der Klägerinnen verworfen und die Klagen als unzulässig abgewiesen werden sollten. Wenn der Gerichtshof meine Meinung teilt, erscheint es mir angemessen, die Streithelferin zur Tragung der Kosten der Nebenintervention und die Klägerinnen zur Tragung der übrigen Kosten zu verurteilen (vgl. Rechtssache 26/76, Metro/Kommission, Slg. 1977, S. 1875).


( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.