SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS ALBERTO TRABUCCHI
VOM 21. NOVEMBER 1973 ( 1 )
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
Das Ersuchen um Auslegung der Artikel 27 und 28 der Verordnung Nr. 3, das die Cour d'appel Paris an uns richtet, wirft das Problem auf, ob die vom Gerichtshof für die Berechnung der Altersrenten bereits herausgearbeiteten Kriterien und Grundsätze auf Invalidenrenten anwendbar sind.
Obwohl bei Vorabentscheidungssachen die Arbeitsmethode von uns verlangt, die Aufmerksamkeit auf die Rechtsfragen zu lenken, für deren Lösung von allen Besonderheiten des Einzelfalles abzusehen ist, halte ich es im vorliegenden Fall zur Klärung des eigentlichen Problems für erforderlich, kurz beim Sachverhalt zu verweilen.
Frau Mancuso hatte in Frankreich vom 25. November 1955 an eine Invalidenrente der Gruppe 2 erhalten, das heißt die Rente, welche die französischen Rechtsvorschriften für Arbeitnehmer vorsehen, deren Gesundheitszustand die weitere Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht mehr zuläßt. Aus den uns vom nationalen Gericht übersandten Akten geht hervor, daß Frau Mancuso später — von 1957 an bis zum Jahre 1964 — in Italien als Hilfsarbeiterin beschäftigt war. Aufgrund dieses neuen Arbeitsverhältnisses wurde ihr mit Wirkung vom 1. Mai 1964 zunächst als selbständiges Recht und sodann, wie vor dem französischen Gericht vorgetragen worden ist, anteilig berechnet eine neue Invalidenrente nach den italienischen Rechtsvorschriften gewährt. Der zuständige französische Sozialversicherungsträger hat vor dem innerstaatlichen Richter behauptet, die italienische Rente werde für denselben Invaliditätsgrund gewährt, für den die Betroffene bereits die selbständige französische Rente erhielt. Diese Behauptung wird auch vorbehaltlos vom Ministère Public in den Schlußanträgen vor der Cour d'appel Paris übernommen.
Es ist — wie gesagt — unerläßlich, diese Umstände im Auge zu behalten, denn sie ermöglichen es, den wahren Sinn des Problems zu umreißen, an dessen Lösung dem innerstaatlichen Gericht liegt. Das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist, zu prüfen, ob die nationalen Stellen im Falle einer Kumulierung von Leistungen bei Invalidität wegen einer im wesentlichen gleichen persönlichen Lage bei demselben Arbeitnehmer auf die Regeln über die Zusammenrechnung und die anteilige Berechnung zurückgreifen können, um die „doppelte Verwendung“ einer einzigen Invalidität mit anschließender Überschneidung von Leistungen zu vermeiden: dies vor allem mit dem Ziel, die Versicherungsleistungen auf die verschiedenen Sozialversicherungsträger aufzuteilen. Wir wollen gleich den Fall beiseitelassen, daß eine weitere Invalidenrente deshalb gewährt wird, weil sich eine frühere Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit weiter verschlimmert hat; denn dieser Fall wäre gesondert zu prüfen. Ferner werden wir die Frage hauptsächlich mit Bezug auf Versicherungssysteme erörtern, für die die Leistungen grundsätzlich unabhängig von der Dauer der zurückgelegten Zeiten berechnet werden: Es handelt sich um Rechtsvorschriften des Typs A im Sinne von Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 3, zu denen eben auch die französische Versicherungsregelung gehört, um deren Anwendung es in dem Verfahren vor dem Gericht geht, das uns die Auslegungsfragen gestellt hat. Wie in Anhang F zur Verordnung Nr. 3 näher präzisiert ist, gehört dagegen die italienische Versicherungsregelung, nach der Frau Mancuso eine zweite Invalidenrente erhalten hat, dem Typ B in dem in Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung näher dargelegten Sinne an: Die Leistungen bei Invalidität werden hier grundsätzlich unter Berücksichtigung der Dauer der zurückgelegten Zeiten berechnet.
Um das in wesentlichen Zügen dargestellte Bild der Sachlage zu vervollständigen, darf ich noch darauf hinweisen, daß der französische Versicherungsträger aufgrund der von Frau Mancuso in Frankreich und in Italien zurückgelegten Versicherungszeiten die bereits festgestellte Rente, die sich auf 3878 Franken jährlich belief, anteilig berechnete und demgemäß den genannten Betrag auf 2645 Franken herabsetzte, worin die Zulage nach Artikel 28 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3 enthalten war; diese wurde gewährt, um zu verhindern, daß der Gesamtbetrag der zugunsten der Versicherten in Anwendung von Artikel 28 festgestellten Leistungen niedriger blieb als der Betrag der Leistung, auf die sie in Frankreich unabhängig von den sich aus der anteiligen Berechnung ergebenden Konsequenzen Anspruch gehabt haben würde.
Für die Fälle, in denen die verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften, nach denen der Arbeitnehmer Versicherungszeiten zurückgelegt hat, nicht alle solche des Typs A sind, finden nach Artikel 26 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3 die Bestimmungen der Artikel 27 und 28 entsprechende Anwendung.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Altersrenten kommt die anteilige („prorata temporis“) Berechnung einer Leistung nur in Fragen, wenn die Zusammenrechnung der vom Arbeitnehmer in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten für die Entstehung des Anspruchs auf die Rente in dem betreffenden Staat erforderlich ist (Urteil 1/67, Ciechelsky — Slg. 1967, 251; Urteil 2/67, de Moor — Slg. 1967, 276 f.; Urteil 27/71, Keller — Slg. 1971, 890). Ist dagegen ein Rückgriff auf Artikel 27 der Verordnung Nr. 3 für die Entstehung des Leistungsanspruchs nicht erforderlich, so würde es dem Geist des Artikels 51 des Vertrages nicht entsprechen, Artikel 28 der Verordnung anzuwenden. Ausgenommen bleibt jedoch der Fall, daß die selbständige und parallele Anwendung verschiedener nationaler Regelungen zu einer Kumulierung von Leistungen für ein und denselben Zeitraum führen würde; bei einer solchen Sachlage erachtet der Gerichtshof es für zulässig, daß die nationalen Stellen von den zugunsten des Versicherten vorgesehenen fiktiven Versicherungszeiten die in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich zurückgelegten Zeiten abziehen (Urteil 12/67, Guissart — Slg. 1967, 581).
Es gilt nun festzustellen, ob und gegebenenfalls wie diese Regeln auch für die Invalidenrente Geltung beanspruchen müssen. Der französische Versicherungsträger, der in dem vor der Cour d'appel Paris anhängigen Verfahren beklagte Partei ist, ist der Auffassung, die anteilige Berechnung komme bei Invalidenrenten auch in Betracht, wenn für die Entstehung des Leistungsanspruchs ein Rückgriff auf Artikel 27 nicht erforderlich sei, und zwar wegen des grundlegenden Unterschieds, der wesensgemäß zwischen dem Alters- und dem Invaliditätsrisiko bestehe, ein Unterschied, der sich auch in den Voraussetzungen für die Entstehung der entsprechenden Rentenansprüche widerspiegele. Die Entstehung des Anspruchs auf Invalidenrente setze in der Regel eine relativ kurze Zugehörigkeit zur Versicherung voraus (in Frankreich ist dies kaum ein Jahr), so daß die Anwendung des erwähnten einschränkenden Kriteriums, das der Gerichtshof bei den Altersrenten bekräftigt habe, für den Bereich der Invalidenrente leicht in zahlreichen Fällen zu einer ungerechtfertigten Kumulierung von Renten führen könne.
Auch die Kommission hebt hervor, daß ein einfaches Nebeneinander einer Rente des Typs B und einer wegen vollständiger Invalidität nach Rechtsvorschriften des Typs A gewährten Rente zu einer übertriebenen Kumulierung von Rechtsvorteilen führen kann, die in bestimmten Fällen sogar höher sein können als das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers vor Eintritt des Risikos; die Kommission meint jedoch im übrigen, daß die in der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Grundsätze die anteilige Berechnung der Invalidenrente in den Fällen ausschließen müßten, in denen die Entstehung des Anspruchs keine Zusammenrechnung gemäß Artikel 27 voraussetze.
Die Regierung der Italienischen Republik, die sich an dem Verfahren zur Vorabentscheidung beteiligt hat, hält es für ausgeschlossen, daß zwischen Invalidenrente und Altersrente solche Unterschiede beständen, daß eine verschiedene Behandlung nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt sei; gestützt auf die erwähnte Bestimmung des Artikels 26 über die entsprechende Anwendung der die Altersrenten betreffenden Rechtsvorschriften auf die Invalidenrente sowie unter Berufung auf die einschlägige Rechtsprechung gelangt sie zu dem gleichen Ergebnis wie die Kommission.
Ich vermag der Auffassung der beiden letztgenannten Beteiligten nicht zu folgen.
Wir haben gesehen, daß bei Altersrenten die vom Gerichtshof herausgearbeitete Ausnahme von der Kumulierung selbständig entstandener Leistungsansprüche nur den Fall betrifft, daß sich zugunsten des Arbeitnehmers nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats angerechnete fiktive Versicherungszeiten mit Versicherungszeiten überschneiden, die der Arbeitnehmer in einem anderen Staat tatsächlich zurückgelegt hat.
Anders als üblicherweise bei den Altersrenten bestimmt sich der Betrag der Invalidenrente des Typs, um den es hier geht, im wesentlichen nicht nach der Dauer der Zugehörigkeit zu dem Versicherungssystem, sondern nach dem beim Arbeitnehmer festgestellten Invaliditätsgrad in Verbindung mit der für die Zukunft zu erwartenden Erwerbsfähigkeit.
Unter diesem Gesichtspunkt nun ist das Kumulierungsverbot, das auf dem Überlappen von Versicherungszeiten beruht, deren Zusammenrechnung die Höhe der Rente bestimmen würde (ein Verbot, das im Zusammenhang mit der Altersrente aufgestellt wurde), technisch nicht anwendbar auf die Kumulierung von Invalidenrenten des hier in Betracht kommenden Typs. Im übrigen ist auch auf die Ratio dieser Beschränkung abzustellen und von der besonderen Regelung abzusehen, die dem Hauptwesenszug der Altersrente angepaßt ist, den man bei der Abgrenzung dieser Beschränkung im Auge hatte. Diese Beschränkung soll die Häufung von Leistungen mit Bezug auf einen identischen Versicherungssachverhalt verhindern, einen Sachverhalt, der nach der gängigen Regelung der Altersrentenberechnung in der Versicherungsdauer eine nähere Individualisierung erfährt. Die Notwendigkeit, eine Kumulierung von Leistungen für denselben Sachverhalt zu vermeiden, besteht mit noch größerem Recht bei Invalidenrenten, zumindest im Bereich der Rechtsvorschriften des Typs A, da der Faktor Invalidität, aufgrund dessen die Leistung berechnet wird, im Gegensatz zu den Versicherungszeiten für die Altersrente einzig und unteilbar ist. Ist aber ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Höhe der Leistung nicht die Versicherungszeit, sondern der Grad der Erwerbsunfähigkeit, läßt sich ein etwaiges Überlappen von Leistungen nur feststellen, wenn man diesen Gesichtspunkt zugrunde legt. Es gehört nicht zu den Zielen des Sozialrechts der Gemeinschaft, den Wanderarbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, in den verschiedenen Mitgliedstaaten vollständige Invalidenrenten für eine durch ein und denselben Sachverhalt begründete Erwerbsunfähigkeit zu sammeln. Diese Möglichkeit würde zweifellos die Arbeitnehmer dazu ermuntern, häufiger von einem Land ins andere zu ziehen, dies ist jedoch nicht der Sinn des Grundsatzes der Freizügigkeit. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte die Hindernisse aus dem Weg räumen, die sich auch im Sozialrecht der tatsächlichen Freizügigkeit entgegenstellten, er kann aber sicherlich nicht gewollt haben, den Ortswechsel arbeitsunfähiger Arbeitnehmer durch die Gewährung von Prämien in Form von mehrfachen Renten für ein und dasselbe Risiko zu begünstigen.
Wie aus dem erwähnten Urteil 2/67, De Moor, ausdrücklich hervorgeht, hat der Gerichtshof die Häufung von Altersrenten, die sich auf verschiedene Zeitabschnitte beziehen, nicht als mißbräuchlich angesehen, weil es sich um Systeme handelte, die für die Entstehung des selbständigen Rentenanspruchs die Erfüllung „langer Mindestbeitragszeiten“ vorsahen. Diese letztere Voraussetzung ist bei der Entstehung des Anspruchs auf Invalidenversicherung nicht gegeben.
Der Gerichtshof konnte die Häufung von Altersrentenleistungen großzügig handhaben, weil ihn hierzu eine allgemeine Norm der Verordnung Nr. 3 ermächtigte, die in unserem Falle von erheblicher Bedeutung ist: Es handelt sich um Artikel 11 Absatz 1, der gerade mit Bezug auf diese Leistungsart ausdrücklich eine Ausnahme von dem in dieser Bestimmung aufgestellten allgemeinen Grundsatz vorsieht, wonach „ein auf die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gestützter Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art oder mehrere Leistungen aus derselben Versicherungszeit oder gleichgestellten Zeit … aufgrund dieser Verordnung weder erhoben noch aufrechterhalten werden [kann]“.
Dagegen sieht diese Norm — auf die ich deshalb so ausführlich eingehe, weil sie ein klärendes Licht auf die ganze Regelung wirft — für die Invalidenversicherung ein Recht des Arbeitnehmers auf mehrere Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten nur vor, soweit die Aufwendungen zwischen den Trägern der betroffenen Mitgliedstaaten aufgeteilt werden (Artikel 11 zweiter Halbsatz).
Was das Gemeinschaftsrecht anbelangt, können wir hier auch innehalten und es bei der Anwendung dieses Artikels 11 bewenden lassen, der — ohne auf das Prinzip der anteiligen Berechnung zu verweisen — die doppelte Verwendung als allgemeines Kriterium ausschließt.
Die unterschiedliche Handhabung, die der Gemeinschaftsgesetzgeber der Altersrente und der Invalidenrente hat angedeihen lassen, entspricht ihrer verschiedenartigen Rechtsnatur.
Während sich die Altersrente im allgemeinen, zumindest in einer ihrer Komponenten, als Entsprechung der Erwerbstätigkeit darstellt, der der Arbeitnehmer verhältnismäßig lange Zeit nachgegangen ist (die Entstehung des Anspruchs hängt im allgemeinen von einer langen Wartezeit ab), soll die Invalidenrente einen Ausgleich für den Verlust der normalen Erwerbsfähigkeit des Versicherten darstellen, der aus anderen Gründen als durch Arbeitsunfall vor Erreichung des Rentenalters eingetreten ist. Während die Altersrente feststeht und „unwiderruflich“ ist, da sie nur an vergangene Erwerbszeiten anknüpft, gilt dies nicht für die Invalidenrente, die jederzeit berichtigt werden kann, wenn in der Erwerbsfähigkeit des Versicherten eine Änderung zum Schlechteren oder Besseren eintritt.
Auch in den Systemen, in denen zwischen der Rentenhöhe und der Versicherungsdauer eine Beziehung besteht, stellt sich die Leistung bei Invalidität nie als ein Entgelt für geleistete Arbeit dar, sondern lediglich als eine Form einer Entschädigung zum Ausgleich einer physischen Beeinträchtigung. Daher ist die für die Entstehung des Anspruchs erforderliche Wartezeit im allgemeinen kurz.
Wenn also die Häufung von Altersrenten, die unter Zugrundelegung verschiedener Versicherungszeiten berechnet sind, zulässig ist, da jede von ihnen die Anerkennung einer vom Versicherten in verschiedenen Lebensabschnitten geleisteten Arbeit ist, wäre die bloße Häufung von Leistungen bei Invalidität, die sich auf denselben Lebenssachverhalt beim Versicherten beziehen, ungerechtfertigt, wenn wenigstens eine von ihnen aufgrund von Rechtsvorschriften des Typs A gewährt würde. Wenn nämlich zu einer vollständigen Invalidenrente, die aufgrund entsprechender Rechtsvorschriften selbständig gewährt wird, andere gleichartige Leistungen hinzukommen, die auf demselben Sachverhalt beruhen wie die erste, so liegt keine „Aufteilung“ der Aufwendungen im Sinne von Artikel 11, sondern eine Überschneidung von Leistungen vor, die wegen der Einheitlichkeit des die Invalidität auslösenden Lebenssachverhalts eine Kumulierung der Art darstellte, wie sie sich bei Altersrenten ergäbe, wenn bei der Berechnung des Rentenbetrages fiktive Versicherungszeiten berücksichtigt würden, die denselben Zeitraum umfaßten, in dem der Versicherte in dem anderen Mitgliedstaat echte Versicherungszeiten zurückgelegt hat, die ihm — mit oder ohne Anwendung von Artikel 27 — Anspruch auf andere Leistungen derselben Art geben.
Deshalb läßt Artikel 11 bei Invalidität eine Mehrheit von Leistungen nur zu, wenn die Aufwendungen zwischen den betroffenen nationalen Trägern aufgeteilt werden; diese Aufteilung kann nach den Regeln des Artikels 28 vorgenommen werden und hat natürlich das Verbot der „reformatio in peius“ zu beachten, das Absatz 3, auf den sich die zweite Frage des französischen Gerichts bezieht, zugunsten des Arbeitnehmers aufstellt.
Zu der vorgeschlagenen Lösung können wir auch auf einem anderen Weg gelangen. Wenn wir davon ausgehen, daß die Sozialversicherungsleistung bei Invalididät sicherlich in jedem Sozialversicherungssystem für Arbeitnehmer den Charakter einer Entschädigung hat, so folgt daraus, daß die juristische Logik, wenn nicht sogar die elementare Logik des Grundsatzes „ne bis in idem“ uns zwei mögliche Lösungen bei einer Fallgestaltung anbietet, in der das Schadensereignis, für das Entschädigung gewährt wird, immer dasselbe, also ein einziges ist:
a) |
Entweder schließt man die Leistungspflicht des ersten Sozialversicherungsträgers, in unserem Falle des französischen, deshalb aus, weil sich erwiesen hat, daß es an der Erwerbsfähigkeit nicht fehlte, auf deren Grundlage die Versicherungsleistung gewährt wurde und deren Fortfall Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist. |
b) |
Oder aber man schließt die Leistungsverpflichtung des zweiten Trägers, in unserem Falle des italienischen, aus, weil für den Schadensfall schon vollständige Entschädigung gewährt wurde, da die Invalidität früher offenkundig wurde, als der Arbeitnehmer noch einem Versicherungssystem des Typs A in einem anderen Mitgliedstaat unterlag. |
Die Alternative, die in der Anwendung der unabhängig voneinander geltend gemachten nationalen Rechte gesucht werden könnte, würde auf diese Weise im wesentlichen zum Nachteil und gewiß nicht zum Vorteil des Wanderarbeitnehmers ausschlagen: Ich wiederhole, gerade wegen der Vernünftigkeit des Grundsatzes „ne bis in idem“, auf den sich der eine wie der andere Versicherungsträger berufen könnte, kann sich die Regelung nachteilig für den Arbeitnehmer auswirken, der nach dem Grundsatz, daß ungerechtfertigte, aufgrund ausschließlich des nationalen Rechts theoretisch anwendbare Leistungsgewährungen zu vermeiden sind, die für ihn günstigere Leistung verlieren könnte.
Die Lösung des Gemeinschaftsrechts hingegen, das die in den verschiedenen Ländern zurückgelegten Beschäftigungszeiten einheitlich berücksichtigt, sichert dem Arbeitnehmer eine gerechte Leistung — denn sie garantiert ihm, daß er zumindest immer das Niveau der günstigsten vollständigen Leistung erreicht (Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 3) —, jedoch nicht die bloße Häufung der Leistungen im Zusammenhang mit ein und demselben für die Invalidität ursächlichen Ereignis.
Gegenüber den beiden sich wechselseitig ausschließenden Lösungen, die aus den angegebenen Gründen eine vollständigere Koordinierung der nationalen Versicherungssysteme voraussetzten, zeichnet Artikel 11 der Verordnung Nr. 3 für das Gemeinschaftsrecht eine Mittellösung vor. Weil man im Bereich dieser Verordnung bestrebt ist, die Stellung des Arbeitnehmers gegenüber den verschiedenen Staaten und den unterschiedlichen Sozialgesetzgebungen als eine Einheit zu sehen, wird dort zurückgegriffen auf die Aufteilung der Aufwendungen bei Invalidität zwischen den verschiedenen betroffenen Trägern; dies bringt den Gesichtspunkt der Proportionalität ins Spiel, die den wesentlichen Inhalt der anteiligen Berechnung des Artikels 28 ausmacht, die nicht als Folge der Zusammenrechnung — die im vorliegenden Fall nicht erforderlich war —, sondern in entsprechender Anwendung dieses Grundsatzes sowie in diesem Falle unter Bezugnahme nicht auf die Dauer der Versicherungszugehörigkeit, sondern auf die in dem einen oder anderen Mitgliedstaat, also im Bereich des einen oder anderen Sozialversicherungsträgers, zurückgelegten Beschäftigungszeiten vorgenommen wird.
Wenn für ein einziges zur Erwerbsunfähigkeit führendes Ereignis nur eine einzige Entschädigung zuerkannt werden soll, wenn nach den dargelegten Grundsätzen diese Entschädigung in der für den Wanderarbeitnehmer, der den Entschädigungsanspruch in verschiedenen Ländern (mit der Garantie des erwähnten Artikels 28 Absatz 3) erworben hat, günstigsten Weise zu berechnen ist, wird das Problem, wie es sich in Ermangelung eines ausschließlichen gemeinschaftsrechtlichen Systems in dem oben hypothetisch erläuterten Sinne darstellt, im wesentlichen verlagert und darauf reduziert, nicht für den betroffenen Arbeitnehmer eine mehr oder weniger günstige Lösung zu finden, sondern eine gerechte Aufteilung der Lasten zwischen den verschiedenen Trägern der einzelnen Mitgliedstaaten zu erzielen, in denen der Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist.
Auch die neue Regelung der Verordnung Nr. 1408/71 beruht eindeutig auf dem Grundsatz des Verbots des „bis in idem“ bei Leistungen wegen Invalididät. Obwohl ihr Artikel 12, der dem Artikel 11 der Verordnung Nr. 3 entspricht, die Ausnahme vom Kumulierungsverbot aufführt, ohne zwischen Leistungen bei Alter und solchen bei Invalidität zu unterscheiden, schließt die einschlägige Regelung für Arbeitnehmer, die Rechtsvorschriften unterworfen waren, wonach die Leistungen bei Invalidität nicht von der Dauer der Versicherungszeiten abhängen, ausdrücklich jede Kumulierungsmöglichkeit aus. Artikel 39 Absatz 2 bestimmt nämlich, daß der Arbeitnehmer die Leistungen ausschließlich von dem Träger der Mitgliedstaats erhält, dessen Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt des Eintritts von Arbeitsunfähigkeit mit anschließender Invalidität anzuwenden waren; es gelten die von diesem anzuwendenden Rechtsvorschriften. Der Arbeitnehmer kann Leistungen bei Invalidität nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats nur beanspruchen, wenn er Anspruch auf Leistungen bei Invalidität nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Invalidität eingetreten ist, nicht beanspruchen kann (Art. 39 Abs. 3).
Es trifft allerdings zu, daß für den Fall, daß für einen Arbeitnehmer nacheinander oder abwechselnd Rechtsvorschriften des Typs A und des Typs B galten, Artikel 40 der Verordnung Nr. 1408/71 — wie auch Artikel 26 der Verordnung Nr. 3 — lediglich bestimmt, daß die Vorschriften über Altersrenten entsprechende Anwendung finden.
Dies wirft das Problem, das wir für den Bereich der Verordnung Nr. 3 zu lösen versucht haben, erneut auf. Aber auch für die neue Verordnung — auf die ich mich hier im übrigen nur zur Stützung einer Auslegung der früheren Regelung berufe — ist zu sagen: Wenn die Häufung von Renten in Fällen verboten ist, in denen für den Arbeitnehmer ausschließlich Rechtsvorschriften des Typs A galten, wäre eine schlichte Häufung verschiedener, auch vollständiger Renten anstelle einer gerechten „Aufteilung“ in dem angegebenen Sinne einer anteiligen Berechnung schon dann logisch widersprüchlich, wenn der Arbeitnehmer nicht nur Rechtsvorschriften des Typs A (die, wie nicht vergessen werden darf, nicht nur theoretisch auch Vorschriften von zwei oder mehr Staaten sein könnten), sondern auch Rechtsvorschriften des Typs B unterworfen gewesen ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Unterstellung des Arbeitnehmers unter Rechtsvorschriften dieses letzteren Typs, die für den Arbeitnehmer naturgemäß weniger günstig sind, eine solch magische Wirkung haben sollte!
Wie mir scheint, entspricht es also auch dem Geist dieser neuen Gemeinschaftsregelung, es für unzulässig zu erachten, eine Invalidenrente des Typs A, um die es hier geht, mit anderen Invalidenrenten, seien sie auch des Typs B, mit Bezug auf ein und denselben Zustand der Arbeitsunfähigkeit schlicht zu kumulieren.
Aus diesen Gründen schlage ich vor, auf das Ersuchen der Cour d'appel Paris für Recht zu erkennen, daß im Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 3 des Rates über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer mehrere Invalidenrenten nach den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten für ein und denselben zur Invalidität führenden Lebenssachverhalt erhält, die Versicherungsträger, die Rechtsvorschriften des Typs A im Sinne von Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe a der genannten Verordnung anwenden, die von ihnen zu tragenden Aufwendungen in der Weise berechnen können, daß sie unter Zugrundelegung der Beschäftigungszeiten des Versicherten in ihrem Hoheitsgebiet die Normen des Artikels 28 einschließlich seines Absatzes 3 entsprechend anwenden, und zwar auch, wenn es für die Entstehung des Rentenanspruchs keines Rückgriffs auf Artikel 27 bedarf.
( 1 ) Aus dem Italienischen übersetzt.