SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ALAIN DUTHEILLET DE LAMOTHE

VOM 7. JULI 1971 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die vorliegende Rechtssache hat eine lange Vorgeschichte.

In einem am 27. Oktober 1956 in Luxemburg unterzeichneten Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel verpflichteten sich die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik und das Großherzogtum Luxemburg mit sehr komplizierten Vereinbarungen, den Mosellauf zwischen Diedenhofen und Koblenz für Schiffe einer bestimmten Tonnage schiffbar zu machen, so daß diese Schiffe nach Maßgabe der dem gleichen Vertrag als Anhang beigegebenen Bestimmungen von Lothringen bis zum Atlantik fahren können.

Mit der Unterzeichnung dieses Vertrages und vor allem mit der Verwirklichung seiner Ziele ergab sich für die luxemburgische Regierung das Problem, einen oder mehrere Häfen an der Mosel in dem Abschnitt des Flußlaufs anzulegen, der die Grenze zwischen dem Großherzogtum und der Bundesrepublik Deutschland bildet und für den bereits sehr alte internationale Verträge bestanden, auf die ich sogleich noch zurückkomme.

Das Problem der Hafenanlagen auf dem luxemburgischen Moselufer wurde durch ein Gesetz vom 22. Juli 1963 über die Anlegung und den Betrieb eines Flußhafens in der Gegend von Mertert gelöst.

Die wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes sind folgende:

1.

An der Mosel wird in der Gegend von Mertert ein Flußhafen angelegt, dessen genauer Umfang durch Ministerialerlaß festzulegen ist.

2.

Anlegung und Betrieb dieses Hafens werden einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft übertragen (die später Société du Port fluvial de Mertert genannt wurde). Der luxemburgische Staat überläßt dieser Gesellschaft kostenlos das erforderliche Gelände und beteiligt sich mit fünf Millionen Franken an ihrem Anfangskapital. Unabhängig vom Kapitalanteil des luxemburgischen Staates bestellt die luxemburgische Regierung mindestens die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungsrats und die Hälfte der Mitglieder des Kommissarkollegiums.

3.

Schließlich sieht Artikel 12 des Gesetzes vor, daß für die Anlegung, die Errichtung oder den Betrieb von Häfen, Verlade- oder Entladekais an der Mosel eine Erlaubnis der Regierung erforderlich ist, die nach Stellungnahme der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft erteilt wird, und daß diese Gesellschaft auch bei der Ausübung des Besichtigungsrechts zu hören ist, das der Regierung des Großherzogtums aufgrund internationaler Übereinkünfte über die Anlegung von Häfen oder Kais auf dem deutschen Moselufer zusteht.

Der letztgenannte Artikel des Gesetzes von 1963 wurde später als unzureichend angesehen und durch ein Gesetz von 1968 eingehender gefaßt und ergänzt.

Dieses Gesetz besteht aus zwei Artikeln:

Artikel 1 faßt den ursprünglichen Artikel 12 neu und sieht insbesondere vor, daß die Erlaubnis zum Betrieb von Häfen oder Kais außerhalb des der Societe du Port de Mertert überlassenen Geländes mit Beschränkungen erteilt werden kann, die namentlich „die Art, den Herkunfts- oder Bestimmungsort und die Menge der zu verladenden oder zu löschenden Waren“ betreffen.

Der zweite Artikel des Gesetzes von 1968 fügt dem Gesetz von 1963 einen Artikel 13 hinzu, der strafrechtliche Sanktionen einmal gegen diejenigen, die einen Hafen oder Kai ohne Genehmigung betreiben, und zum anderen gegen diejenigen vorsieht, die zwar eine Genehmigung besitzen, aber die Bedingungen oder Beschränkungen nicht beachten, unter denen sie erteilt ist.

Auf diese letztgenannten Bestimmungen geht der Rechtsstreit unmittelbar zurück, den die luxemburgischen Gerichte Ihnen nach Artikel 177 des Vertrages von Rom vorgelegt haben.

Ein luxemburgisches Familienunternehmen, die Firma J. P.Hein, betrieb seit langer Zeit ein Baggerwerk auf der Mosel.

Nach der Kanahsierung verlor dieses Unternehmen selbstverständlich seinen wesentlichen Geschäftszweck.

Daher versuchte es, „sich umzustellen“, wie man heute sagt.

Nach Erlaß des Gesetzes von 1963 beantragte die Firma Hein bei den zuständigen Behörden die Erlaubnis, den Kai, den sie in der Gegend von Bech-Kleinmacher angelegt hatte, zu vergrößern, um ihr bestimmte Handelsgeschäfte zu ermöglichen. Sie erhielt mehrere befristete Erlaubnisse, teils vor, teils nach dem 14. Juli 1965, dem Tage, an dem der Hafen Merten in Betrieb genommen wurde.

Zuletzt erteilten die 'luxemburgischen Behörden der Firma Hein am 17. Februar 1967 die Erlaubnis, ihren Kai zu benutzen, jedoch lediglich für genau umschriebene Geschäfte:

1.

Es mußte sich um Geschäfte für eigene Rechnung der Firma Hein und nicht für Rechnung anderer handeln;

2.

Die Geschäfte mußten folgenden Bedingungen entsprechen: „Löschen von Sand, Steinsplittern, feinem Kies, Kies und Feldsteinen aus Sandgruben oder Steinbrüchen, an Ort und Stelle von dem Unternehmer (der Firma Hein) zu zerkleinern oder zu sieben, sowie das Verladen dieser Güter nach dem Sieben oder Zerkleinern.“

Im Jahre 1968 erfuhren mit einem zeitlichen Abstand von wenigen Wochen die Hafenverwaltungen von Trier in Deutschland und Mertert im Großherzogtum Luxemburg, daß die Firma Hein ihren Hafen für Geschäfte mit Kohleerzeugnissen benutzt habe.

Auf das Wort „Kohle“ reagierten die beiden Verwaltungen, wie es früher die alten Schlachtrösser taten, wenn die Trompeten zur Attacke bliesen.

Die Hafenverwaltung Trier als erste (was beweist, daß es sich nicht nur um einen Streit zwischen Luxemburgern handelt) und danach die Hafenverwaltung Mertert erstatteten beim luxemburgischen Staatsanwalt gegen die Streitgenossen Hein Anzeige wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen von Artikel 13 des Gesetzes von 1968.

Durch Urteil des Zuchtpolizeigerichts Luxemburg vom 20. Februar 1970, das durch ein Urteil des Obergerichtshofes des Großherzogtums vom 15. Februar 1971 bestätigt wurde, haben die zuständigen luxemburgischen Gerichte wie folgt entschieden:

1.

Die den Angeklagten zur Last gelegten Taten sind erwiesen und in den Bestimmungen des Gesetzes vom 22. Juli 1963 in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1968 unter Strafe gestellt.

2.

Die Entscheidung über die Schuld der Angeklagten und über den Strafausspruch ist jedoch auszusetzen, bis der nach Artikel 177 des Vertrages von Rom angerufene Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über folgende Fragen entschieden hat:

„a)

Gewährt das Gemeinschaftsrecht auf dem fraglichen Gebiet allgemein den dem inländischen Recht unterworfenen Einzelpersonen Rechte, und gilt dies insbesondere hinsichtlich der Materie, die durch das luxemburgische Gesetz vom 22. Juli 1963 über die Anlegung und den Betrieb eines Flughafens an der Mosel in der Fassung des den glei chen Gegenstand betreffenden Gesetzes vom 26. Juni 1968 geregelt ist?

b)

Sind bejahendenfalls die Vorschriften der genannten Gesetze mit Wortlaut und Sinn des Vertrages von Rom oder mit Verordnungsvorschriften oder anderen durch die vertragsgemäß dazu berufenen Organe auferlegten Verpflichtungen unvereinbar und in welchem Maße?“

I

Die Kommisison und mehr noch die Regierung des Großherzogtums bestreiten ausdrücklich, daß Sie ordnungsgemäß angerufen seien, und beantragen, die beiden Fragen für unzulässig zu erklären:

die erste, weil sie zu unbestimmt gefaßt sei, als daß Sie darauf antworten könnten.

die zweite, weil Sie nicht zuständig seien, über die Vereinbarkeit eines nationalen Gesetzes mit Bestimmungen des Vertrages zu entscheiden.

A —

Für die zweite Frage steht fest, daß Sie so, wie sie gefaßt ist, für ihre Beantwortung nicht zuständig sind.

Es ist aber nicht das erstemal, daß Sie auf eine solche Schwierigkeit stoßen, und bisher haben Sie diese Schwierigkeiten stets ohne Formalismus im Geist vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten überwunden. Sie haben in ähnlichen Fällen stets entschieden, daß die unzulänglich gefaßten Fragen in Wahrheit auf eine Auslegung der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften abzielten, die dem staatlichen Gericht die richtige Anwendung dieser Vorschriften mit allen sich möglicherweise daraus ergebenden Folgerungen ermöglichen sollte (so namentlich Ihr Urteil vom 21. Oktober 1970 — Lesage — Slg. 1970, 862).

Ich schlage Ihnen vor, die gleiche Haltung auch im vorliegenden Fall einzunehmen, obwohl der Umstand, daß das luxemburgische Gericht die auslegungsbedürftigen Gemeinschaftsvorschriften nicht genau bezeichnet hat, Ihre Aufgabe erschwert. Damit komme ich zur Prüfung der Zulässigkeit der ersten Frage.

B —

Bei der ersten Frage ist es natürlich bedauerlich, daß die luxemburgischen Richter die Bestimmungen des Vertrages von Rom oder des daraus abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nicht bezeichnet haben, nach deren Auslegung und Tragweite sie fragen.

Denn im Verfahren nach Artikel 177 des Vertrages können Sie nur das Gemeinschaftsrecht auslegen, um dem nationalen Gericht zu helfen, den ihm vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden.

Selbstverständlich ist aber der nationale Richter am ehesten in der Lage, die Gemeinschaftsvorschriften zu bezeichnen, deren Auslegung er benötigt, und mit ihrer sehr genauen Bezeichnung erleichtert er sowohl Ihre als auch seine Aufgabe.

Aber müssen Sie die Frage wegen ihrer unbestimmten Fassung als unzulässig zurückweisen?

Ich glaube dies aus zwei Gründen nicht:

1.

Es ist zu bemerken, daß die Entscheidung der luxemburgischen Gerichte zwar sehr deutliche Vorbehalte hinsichtlich der Art und Weise ihrer Formulierung erfordert, daß sie aber vom gemeinschaftsrechtlichen Standpunkt aus das größte Lob für die allgemeinen Betrachtungen verdient, von denen sie ausgeht.

Denn sie geht, sogar ohne es für nötig zu halten, dies ausdrücklich zu erwähnen, von dem Grundsatz aus, daß auch im Strafrecht die Anwendbarkeit einer später als der Vertrag von Rom oder eine Vorschrift des daraus abgeleiteten Gemeinschaftsrechts erlassenen nationalen Rechtsnorm durch das Bestehen der Gemeinschaftsrechtsordnung unterbunden oder ausgeschlossen werden kann.

Man darf hierbei nicht vergessen, daß der Obergerichtshof in Luxemburg diesen Vorrang des Gemeinschaftsrechts in seinem Urteil vom 14. Juli 1954 als erstes oberstes Gericht der Mitgliedstaaten ausgesprochen hat.

Diese Erwägung muß nach meiner Ansicht bei der Entscheidung darüber be rücksichtigt werden, wie weit Sie in Ihrem Auslegungsbemühen gehen können, um Ihre Anrufung als ordnungsgemäß anzusehen.

2.

Durch diese Auslegung dürfte es nach meiner Ansicht möglich sein, die Bestimmungen des Vertrages recht genau abzugrenzen, deren Auslegung das luxemburgische Gericht benötigt, um den ihm vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden. Ich will versuchen, Ihnen dies darzulegen.

II

Um die Fragen herauszuschälen, deren Auslegung das luxemburgische Gericht benötigt, sind natürlich „in limine litis“ eine gewisse Sichtung und zum Teil sogar „archäologische Forschungen“ erforderlich.

Hierzu mochte ich Ihnen die vier folgenden Vorbemerkungen vortragen.

A — Erste Bemerkung

Sie haben im vorliegenden Fall nur die Bestimmungen des Vertrages von Rom und möglicherweise des aus diesem Vertrag abgeleiteten Gemeinschaftsrechts in Betracht zu ziehen.

Das vereinfacht das Problem, denn Sie wissen, wie kompliziert im Rahmen des EGKS-Vertrages die Fragen sind, die durch die Verträge über die Schiffbarmachung der Mosel und ihre Anwendung entstehen können, und Sie kennen auch die Auseinandersetzungen, die es hierüber gegeben hat ( 2 )

Aber das luxemburgische Gericht hat Sie mit Fragen befaßt, die sich auf den EWG-Vertrag beziehen, und konnte Sie auch nur mit solchen befassen.

B — Zweite Bemerkung

Die internationalen Verträge über die Mosel sind nach meiner Ansicht aus der Erörterung auszuschließen, auch wenn die luxemburgischen Gesetze von 1963 und 1968 sich zum Teil mehr oder weniger unmittelbar daraus herleiten.

Einige dieser Verträge sind sehr alt.

Bekanntlich hat die Schlußakte des Wiener Kongresses Preußen alle östlich der Mosel, der Sauer und der Our gelegenen Teile des Herzogtums Luxemburg mit Ausnahme der Stadt Vianden zugesprochen.

Die Grenzen Luxemburgs wurden in einem am 26. Juni 1816 in Aachen geschlossenen Zusatzvertrag zwischen dem König der Niederlande in seiner Eigenschaft als Großherzog von Luxemburg und dem König von Preußen festgelegt.

Artikel 27 dieses Vertrages errichtet, was man heute das „Kondominium“ Luxemburgs und Deutschlands über den Lauf des Grenzflusses Mosel zu nennen pflegt.

Denn er bestimmt: „Überall wo Bäche, Flüsse und Ströme Grenzen machen, sollen sie beiden Staaten gemeinschaftlich angehören … Jedem Staat überbleibt aber ausschließlich die Erhaltung der auf seiner Seite liegenden Ufer.

Es darf weder an dem Lauf der Flüsse, noch an dem gegenwärtigen Zustande der Ufer irgendeine Neuerung, noch ohne Mitwirkung und Zustimmung beider Regierungen irgend eine Concession oder Wasser-Eingriff bewilligt werden.

Aus jüngerer Zeit enthält der Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel zumindest in einem seiner Artikel, nämlich in Artikel 29, einige Bestimmungen über Häfen.

Aber, meine Herren, das Bestehen dieser internationalen Verträge hat nach meiner Ansicht keinen unmittelbaren Einfluß auf die Anwendung des Vertrages von Rom. Denn es handelt sich um vor Inkrafttreten des Vertrages ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkünfte.

Diese Übereinkünfte fallen also nicht unter Artikel 234, der nur Verträge betrifft, die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Staaten andererseits geschlossen sind.

Sie haben übrigens in Ihrem Urteil vom 27. Februar 1962 (Kommission gegen Regierung der Italienischen Republik, Slg. 1962, 23) entschieden: Ein Vertrag wie das GATT bindet zwar die Mitgliedstaaten untereinander und diese Mitgliedstaaten mit Dritten, doch geht „der EWG-Vertrag … auf den von ihm geregelten Gebieten den vor seinem Inkrafttreten zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften vor; dies gilt auch für die ihm Rahmen des GATT zustande gekommenen“.

Das gleiche gilt, glaube ich, a fortiori für Übereinkünfte wie die soeben genannten, die nur zwischen Mitgliedstaaten oder solchen Staaten abgeschlossen sind, deren Rechtsnachfolger die Mitgliedstaaten sind.

Es hat mich etwas beunruhigt, als ich in diesem Zusammenhang neulich den Vertreter der luxemburgischen Regierung eine These vertreten hörte, wonach der Aachener Vertrag als ein „politischer“ Vertrag, ein Vertrag über die Festlegung von Grenzen, in keiner seiner Klauseln durch das Inkrafttreten des Vertrages von Rom habe berüht werden können.

Nähme man diese These wörtlich, so wäre sie offensichtlich übertrieben, wie folgendes Beispiel zeigt, das ich absichtlich im Grenzbereich des Absurden wähle: Zahlreiche Friedensverträge enthalten neben territorialen Bestimmungen Verpflichtungen handelspolitischer Art (Meistbegünstigungsklausel usw.). Niemand würde auf den Gedanken kommen zu behaupten, daß diese wirtschaftlichen oder handelspolitischen Bestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrages über den Gemeinsamen Markt zwangsläufig in Kraft geblieben seien, weil die in den gleichen Verträgen enthaltenen Territorialklauseln weiterhin wirksam sind.

Gleichviel, welche Rechtsnatur die vor Inkrafttreten des Vertrages von Rom geschlossenen Verträge haben, die Bestimmungen des letzteren gehen auf den durch ihn geregelten Rechtsgebieten den Bestimmungen jener Verträge über die gleichen Fragen vor.

Übrigens haben die Verfasser des Vertrages von Rom bestimmten früheren, einzelne Mitgliedstaaten miteinander verbindenden Übereinkünften, zu denen übrigens die erwähnten Verträge nicht gehören, gerade deshalb einen besonderen Artikel, den Artikel 233, gewidmet, weil sie diesen allgemeinen Grundsatz anerkannten, daß der Vertrag von Rom den Vorrang hat.

Wenn nötig müßte meines F, rachtens dieser Grundsatz des Vorrangs des Vertrages von Rom auf den von ihm geregelten Rechtsgebieten vor allen anderen vorher zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen internationalen Übereinkünften noch einmal hervorgehoben werden.

Aber ist das im vorliegenden Fall erforderlich?

Ich für meinen Teil glaube es nicht.

Das luxemburgische Gericht hat sich diese Frage nicht gestellt.

Überdies stellen Artikel 109 des Wiener Vertrages, zu dem der Aachener Vertrag nur eine Vollzugsvorschrift darstellt, sowie Artikel 29 Absatz 2 des Vertrages über die Schiffbarmachung der Mosel einen Nichtdiskriminierungsgrundsatz auf, der sich durchaus in die von den Mitgliedstaaten mit der Unterzeichnung des EWG-Vertrags eingegangenen Verpflichtungen einfügt.

Bei dieser Sachlage halte ich es nicht für unerläßlich, in Ihrem Urteil diese Frage des etwaigen Ineinanderwirkens früherer Verträge und der Bestimmungen des Vertrages von Rom anzuschneiden.

C — Dritte Bemerkung

Meine dritte Bemerkung bezieht sich auf eine Frage, die von den Streitgenossen Hein und der Kommission in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen wurde. Es geht darum, ob Sie sich im vorliegenden Fall darauf beschränken können, bestimmte Vorschriften des Vertrages auszulegen, oder ob Sie in dieser Rechtssache auch eine Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, die Verordnung Nr. 1017/68 des Rates, auszulegen haben.

Mit der Kommission glaube ich, daß diese Gemeinschaftsverordnung in dem Rechtsstreit nicht in Betracht kommt, aber ich gebe gerne zu, daß diese Lösung nicht auf der Hand liegt.

Denn diese Verordnung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs besagt in ihrem Artikel 1, daß sie nicht nur für eigentliche Verkehrsunternehmen, sondern auch für die Tätigkeit des „Verkehrshilfsgewerbes“ gilt. Es kann sich daher die Frage stellen, ob Hafenbetriebsgesellschaften nicht unter die Kategorie des „Verkehrshilfsgewerbes“ fallen. Ich glaube dies aus zwei Gründen nicht:

Einmal, weil der Ausdruck „Verkehrshilfsgewerbe“ in dem sehr eigentümlichen Vokabular des Verkehrsrechts im allgemeinen einen verhältnismäßig engen Sinn hat: Spediteure, Sammelgutspediteure oder Umschlagunternehmen usw.

Zum anderen und vor allem, weil die Anwendung der Verordnung Nr. 1017/68 auf Hafengesellschaften zu äußerst unfolgerichtigen Ergebnissen führen würde.

Diese Verordnung gilt nur für den Binnenschiffsverkehr. Wenn man sie daher auf Häfen anwenden sollte, würden ihr nur die Binnenhäfen unterliegen, während Häfen, die zugleich Binnen- und Seehäfen sind, ihr nur für einen Teil ihrer Tätigkeit unterworfen wären, der sich nur schwer von ihrer übrigen Tätigkeit trennen läßt.

Ich meine daher, daß Sie in vorliegender Sache nur die Vorschriften des Vertrages auszulegen haben.

D — Vierte Bemerkung

Dies führt mich unmittelbar zu meiner letzten Bemerkung: Welches sind die Bestimmungen des Vertrages, durch deren Auslegung das luxemburgische Gericht die gewünschte Klarheit gewinnen kann? Ganz zweifellos Artikel 90, der einzige, dessen Sinn und Tragweite die Regierung des Großherzogtums, die Kommission und die Streitgenossen Muller-Hein erörtert haben.

Aber ist nicht auch ein weiterer Artikel des Vertrages, nämlich Artikel 37, heranzuziehen?

Ich habe mir diese Frage gestellt, weil man sich meines Erachtens mit Recht fragen könnte, ob ein Monopol nicht selbst dann unter Artikel 37 fällt, wenn es auf die Nutzung eines kleinen Teils der Binnengewässer eines Staates beschränkt ist, da ein solches Monopol, so begrenzt es ist, mit einem Erlaubnissystem verbunden ist, das sich auf die gesamten öffentlichen Binnengewässer erstreckt und der öffentlichen Gewalt so ausgedehnte Befugnisse erteilt, wie die sich aus Artikel 12 des luxemburgischen Gesetzes vom 22. Juli 1963 in der Fassung des Gesetzes von 1968 ergebenden.

Nach reiflicher Überlegung und, wie ich Ihnen nicht verhehlen möchte, nicht ohne gewisse Bedenken glaube ich schließlich doch nicht, daß Sie anläßlich dieses Falles den Artikel 37 des Vertrages auszulegen haben, und zwar aus zwei Gründen:

a)

So weit die von Ihnen in Anspruch genommene Befugnis, aus den Entscheidungen der nationalen Gerichte die Fragen herauszuschälen, die diese wirklich stellen wollten, auch reichen mag, sie kann doch nicht so weit gehen, daß Sie dazu gelangen, Fragen zu prüfen, mit denen das nationale Gericht Sie offensichtlich nicht befassen wollte (vgl. in diesem Sinne Ihr Urteil vom 6. Mai 1971, Firma Cadillon).

Im vorliegenden Fall hat Ihnen aber nach den Gründen des Vorlageurteils das luxemburgische Gericht nur Fragen vorgelegt, welche die Vereinbarkeit des luxemburgischen Gesetzes mit den Bestimmungen des ersten Kapitels des Dritten Teils, Titel 1, des Vertrages über die Wettbewerbspolitik, nicht aber die Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Zweiten Teils betreffen können.

b)

Vor allem aber ist die Société du port de Mertert offensichtlich keine Einrichtung, durch die der luxemburgische Staat „unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich … kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflußt“; zum Beweis genügen die oben zitierten Bestimmungen der internationalen Verträge über die Nichtdiskriminierung.

Was die Anwendung von Artikel 37 betrifft, könnte sich nur die eine Frage stel len, ob diese Gesellschaft nicht „tatsächlich“ eine entsprechende Rolle spielt.

Dies zu beurteilen, wäre sehr heikel. Nach gewissen Presseinformationen sollen die Errichtung und der Betrieb dieses Hafens, dessen Defizit die luxemburgischen Steuerzahler beunruhigt, im wesentlichen eine Förderung des deutschen und belgischen Eisenbahnverkehrs bewirkt haben.

Wie dem auch sei, eine solche Frage kann nicht ohne eine Tatsachenprüfung entschieden werden, die Ihnen im Rahmen Ihrer Zuständigkeit nach Artikel 177 des Vertrages verwehrt ist.

Es ist also lediglich auf Artikel 90 einzugehen.

Wenn ich hierzu die in den Gründen des Vorlageurteils dargelegten Hauptgedanken heranziehe, so ergibt sich nach meiner Ansicht, daß Sie aus diesem Urteil die drei folgenden Fragen herausschälen können:

1.

Ist eine durch ein Gesetz ins Leben gerufene gemischtwirtschaftliche Gesellschaft, an deren Kapital ein Staat beteiligt ist und in deren Geschäftsführung diesem Staat nach dem nationalen Recht besondere Vorrechte zustehen, ein Unternehmen im Sinne von Artikel 90?

2.

Bejahendenfalls: Unter welchen Voraussetzungen ist ein solches Unternehmen, wenn ihm die Anlegung und der Betrieb eines Flußhafens obliegen, als ein mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrautes Unternehmen im Sinne der Bestimmungen des Artikels 90 Absatz 2 anzusehen?

3.

Gilt Artikel 90 Absatz 2 unmittelbar?

III

Die erste der so herausgearbeiteten Fragen ist nach meiner Ansicht zu bejahen. Im ganzen bezieht sich Artikel 90 auf öffentliche Unternehmen im allgemeinen oder auf — öffentliche oder private — Unternehmen, denen die Staaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren.

Artikel 90 Absatz 2 schafft eine Sonderregelung für diejenigen dieser Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben.

Der aus den angelsächsischen Begriffen „public Corporation“ oder „public enterprise“ abgeleitete Begriff des öffentlichen Unternehmens ist ein mehr wirtschaftlicher als juristischer Begriff, und trotz der zahlreichen Arbeiten, die dieser Frage — namentlich im Verlauf der Kolloquien von Brüssel im Jahre 1963 und von Brügge im Tahre 1969 — gewidmet wurden, wäre es gefährlich, ihn schon heute auf Gemeinschaftsebene allgemeingültig definieren zu wollen.

Eine solche Definition kann sich erst allmählich ergeben, und zwar aus Ihrer Rechtsprechung, die von Fall zu Fall fortschreitend die Umrisse des Begriffs hervortreten lassen wird, sowie unter Ihrer Kontrolle aus den Verordnungen, Richtlinien oder Entscheidungen der Gemeinschaft.

Aber im Falle einer Gesellschaft wie der durch das luxemburgische Gesetz von 1963 geschaffenen läßt sich die Frage nach meiner Ansicht verhältnismäßig leicht beantworten.

Der Umstand, daß der Staat am Kapital einer Gesellschaft beteiligt ist, reicht meines Erachtens allerdings für sich allein nicht aus, um dieser Gesellschaft den Charakter eines öffentlichen Unternehmens im Sinne von Artikel 90 des Vertrages zu geben.

Es gibt Falle, in denen die beteiligung des Staates am Kapital eines Unternehmens dieses nicht ipso facto zu einem öffentlichen Unternehmen werden läßt.

Eine solche Gesellschaft ist nach meiner Ansicht aber dann als öffentliches Unternehmen anzusehen, wenn zu der Beteiligung der öffentlichen Hand an ihrem Kapital zwei weitere Tatbestandsmerkmale hinzutreten.

1.

Die Gründung der Gesellschaft beruht auf einem einseitigen Rechtsakt der öffentlichen Gewalt, im vorliegenden Fall einem Gesetz. Das Zustandekommcn der Gesellschaft setzt zwar den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages zwischen den Kapitalgebern voraus, der einseitige Rechtsakt der öffentlichen Gewalt ist aber die Grundlage dieses Gesellschaftsvertrags, dessen Bestimmungen ohne den einseitigen Rechtsakt der öffentlichen Gewalt sogar in vielen Fällen zum Teil rechtswidrig sein würden.

2.

Die Beteiligung des Staates an der Geschäftsführung der Gesellschaft hängt nicht von der Höhe seines Kapitalanteils ab. Dies ist nach meiner Ansicht ein wesentliches Kriterium. Hängt in einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft die Zahl der Vertreter der öffentlichen Hand in der Geschäftsführung weder vom Kapitalanteil noch von besonderen Klauseln des Gesellschaftsvertrages ab, sondern von durch einseitigen Rechtsakt der öffentlichen Gewalt erlassenen Bestimmungen, so handelt es sich nicht um ein privates Unternehmen mit einer bloßen finanziellen Beteiligung des Staates oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern um ein öffentliches Unternehmen im Sinne von Artikel 90 des Vertrages. Denn die öffentlichrechtliche Körperschaft wird nicht nur als Aktionär tätig, sondern aufgrund ihres Imperiums. Dies trifft aber gerade auf die Gesellschaft zu, deren Rechtsnatur das luxemburgische Gericht beurteilen soll. Nach dem Wortlaut des Gesetzes von 1963 bestellt der Staat wenigstens die Hälfte der Verwaltungsräte und der Mitglieder des Kommissarkollegiums, und er würde sie auch dann noch bestellen, wenn sich infolge einer Kapitalerhöhung oder -herabsetzung die Kapitalverteilung erheblich ändern sollte.

Schließlich kommt im vorliegenden Fall noch hinzu, daß die Gesellschaft, deren Rechtsnatur das luxemburgische Gericht zu beurteilen hat. anscheinend nicht nur ein öffentliches Unternehmen ist, sondern ein Unternehmen, dem zumindest in einem gewissen Umkreis besondere und ausschließliche Rechte gewährt sind.

Ohne große Bedenken schlage ich Ihnen daher folgende Antwort vor: Eine durch Gesetz ins Leben gerufene gemischtwirt schaftliche Gesellschaft, an deren Kapital ein Staat beteiligt ist und in deren Geschäftsführung diesem Staat nach dem nationalen Recht besondere Vorrechte zustehen, ist ein Unternehmen im Sinne von Artikel 90 des Vertrages.

IV

Die zweite Frage wird Sie, glaube ich, veranlassen, die Bedeutung des Absatzes 2 von Artikel 90 zu präzisieren.

Denn der erste Absatz dieses Artikels stellt zwar für alle öffentlichen Unternehmen geltende Grundsätze auf, Absatz 2 sieht aber für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, eine Sonderregelung vor.

Wie ein Autor sehr treffend ausführte, (Drago-Bericht auf dem Brüsseler Kolloquium (März 1963)) „decken sich die Begriffe öffentliches Unternehmen und Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zwar nicht, aber es bestehen gemeinsame Zonen“.

Nach meiner Ansicht fällt ein mit dem Betrieb eines Hafens betrautes öffentliches Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen gerade in eine dieser „gemeinsamen Zonen“.

Wie sämtliche Teilnehmer der Kolloquien von Brüssel und Brügge hervorgehoben haben, ist der Begriff Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ein äußerst weiter, und dies ist anscheinend der Grund, aus dem die Verfasser des Vertrages diesen Begriff dem für einige nationale Rechtsordnungen herkömmlicheren, aber wahrscheinlich engeren Begriff service public économique oder Service public à caractere industriel et commercial vorgezogen haben.

Nach meiner Auffassung ist ein einen Flußhafen betreibendes Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

a)

Es muß sich selbstverständlich um einen öffentlichen Hafen handeln und — vielleicht abgesehen von ganz außergewöhnlichen Fällen — nicht um einen den Bedürfnissen eines oder mehrerer Unternehmen vorbehaltenen Hafen.

b)

Es muß sich um einen Hafen handeln, dessen Verkehr der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit dient.

Diese Klarstellung mag gewiß unnötig erscheinen, wenn man nur an den dem luxemburgischen Gericht vorliegenden Fall denkt, da der Hafen Mertert für sich allein fast den gesamten Flußverkehr Luxemburgs bedient. Dennoch halte ich sie für sinnvoll, damit Sie sich Ihre künftige Stellungnahme vorbehalten können, falls Ihnen das Problem eines Tages zum Beispiel aus Anlaß der ständig zunehmenden Tätigkeit der Unternehmen gestellt werden sollte, die den heute sogenannten „Wassersportlern“ vorbehaltene öffentliche Häfen verwalten.

Ich glaube daher, daß bei Erfüllung dieser beiden Voraussetzungen ein einen Hafen betreibendes Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut ist.

V

Es bleibt nun noch die dritte der aus dem Urteil des luxemburgischen Gerichts zu entnehmenden Fragen: ob nämlich Artikel 90 Absatz 2 unmittelbar anwendbar ist und für sich allein Rechte der einzelnen begründet, die diese vor ihren innerstaatlichen Gerichten geltend machen können.

Die Kommission und die luxemburgische Regierung, die diese Frage verschieden beantworten, stimmen doch in einem Punkt überein. Beide sind der Auffassung, daß sich die beiden ersten Absätze von Artikel 90 nicht voneinander trennen ließen und daß bei Bejahung oder Verneinung der unmittelbaren Wirkung für einen dieser Absätze die gleiche Lösung „de piano“ auch für den anderen Absatz gelten müsse. Diesen Standpunkt teile ich nicht.

Ich glaube, daß diese beiden Absätze zwei eigenständige Systeme bilden, die gewiß nicht beziehungslos nebeneinander stehen, aber nicht notwendigerweise die gleiche rechtliche Tragweite haben.

Absatz 1 sieht Verpflichtungen der Maaten in bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen oder solche Unternehmen vor, denen sie besondere Rechte gewähren.

Absatz 2 begründet in bestimmten Grenzen, die er festlegt, Verpflichtungen für bestimmte Unternehmen: nämlich für solche, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben.

Die von Ihnen zu treffende Entscheidung über die unmittelbare Wirkung von Artikel 90 Absatz 2, dessen Auslegung allein für das luxemburgische Gericht von Interesse sein kann, greift daher nach meiner Ansicht in keiner Weise der Entscheidung vor, die Sie möglicherweise eines Tages über die Frage der unmittelbaren Wirkung von Artikel 90 Absatz 1 zu treffen haben. Artikel 90 Absatz 2 erfüllt, glaube ich, keine der Voraussetzungen, die nach Ihrer Rechtsprechung für die unmittelbare Geltung von Vertragsbestimmungen maßgebend sind.

Grob gesagt ist, wie Genera'lanwalt Gand in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache 57/67 (Lütticke) ausgeführt hat, nach Ihrer Rechtsprechung folgendes erforderlich, damit eine Vertragsvorschrift, die den Mitgliedstaaten oder einzelnen eine Verpflichtung auferlegt, unmittelbar anwendbar ist:

1.

Die Verpflichtung muß klar sein.

2.

Sie darf durch keinen Vorbehalt eingeschränkt sein.

3.

Sie darf zu ihrer Durchführung keines Rechtsaktes der Gemeinschaftsorgane bedürfen.

Meines Erachtens braucht man also Artikel 90 Absatz 2 nur zu lesen, meine Herren, um zu erkennen, daß er keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

Gewiß enthalt dieser Absatz eine grundsätzliche Verpflichtung, daß nämlich die unter ihn fallenden Unternehmen die Vorschriften des Vertrages anzuwenden haben; aber diese Verpflichtung wird mit einem wichtigen Vorbehalt auferlegt, sie besteht nur, „soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert“. Schließlich endet dieser Absatz mit einem, wie man sagen könnte, „Vorbehalt im Vorbehalt“: Die Nichtanwendung der Vorschriften des Vertrages darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigen, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

Mit anderen Worten, die in Artikel 90 Absatz 2 genannten Unternehmen müssen grundsätzlich den Vertrag einhalten; sie brauchen sich den Vertragsvorschriften jedoch nicht zu unterwerfen, wenn diese rechtlich oder tatsächlich die Erfüllung ihrer Aufgabe verhindern; dies aber wiederum nur, soweit durch die Nichtbeachtung dieser Vorschriften der Handelsverkehr nicht in einem Ausmaß be einträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

Man kann wahrhaftig nicht sagen, daß es sich hier um eine klare und vorbehaltlose Verpflichtung handelt.

Ihre Anwendung erfordert daher ein Eingreifen der Gemeinschaftsbehörden, das übrigens im dritten Absatz von Artikel 90 vorgesehen ist.

Denn wer anders als diese Behörden könnte insbesondere darüber entscheiden, ob Maßnahmen oder Verhaltensweisen, die den Vorschriften des Vertrages zuwiderlaufen, die Entwicklung des Handelsverkehrs beeinträchtigen oder nicht, und ob sie ihn in einem Ausmaß beeinträchtigen, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft?

Ich schlage Ihnen daher vor, zu erkennen, daß Artikel 90 Absatz 2 keine unmittelbare Wirkung hat.

Nach alledem beantrage ich, wie folgt zu erkennen:

1.

Eine durch Gesetz ins Leben gerufene gemischtwirtschaftliche Gesellschaft, an deren Kapital ein Staat beteiligt ist und in deren Geschäftsführung diesem Staat nach dem nationalen Recht besondere Vorrechte zustehen, ist ein Unternehmen im Sinne von Artikel 90 des Vertrages.

2.

Obliegen einem solchen Unternehmen die Anlegung und der Betrieb eines Flußhafens, dessen Verkehr der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit dient, so ist es mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interessse im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages betraut.

3.

Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages ist nicht unmittelbar anwendbar und begründet daher für sich allein keine Rechte der einzelnen, welche die nationalen Gerichte zu beachten hätten.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

( 2 ) Vgl. hierzu:

Revue de la navigation interieure et rhénane 1957, S. 147

Centre pour l'etude scientifique des transports de Rotterdam: Le regime relatif à la navigation de la Moselle, étude collective 1960

Scholiens, in der niederländischen Zeitschrift „Verkeer“ Nr. 4, 1960, S. 200-215.