SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS KARL ROEMER

VOM 28. APRIL 1971

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Der Sachverhalt des Vorlageverfahrens, das durch eine Anfrage des Hanseatischen Oberlandesgerichts ausgelöst worden ist, läßt sich wie folgt zusammenfassen.

Die Deutsche Grammophon GmbH, Hamburg, Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, ist eine gemeinsame Tochtergesellschaft der Philips Gloeilampen-Fabrieken, Eindhoven, und der Siemens AG, Berlin/München. Sie produziert Schallplatten (wofür sie einige Interpreten durch Exklusivverträge an sich gebunden hat), und sie vertreibt ihre Erzeugnisse unter einer Reihe von Marken. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die Lieferung direkt an den Einzelhandel sowie an zwei Buchgrossisten, die ausschließlich den Sortimentsbuchhandel versorgen. Dabei sind die für die Endverbraucher geltenden Preise größtenteils gebunden; jedenfalls unterliegen der Preisbindung sämtliche Nummern, die unter der Marke „Polydor“ vertrieben werden. Die Händler müssen zu diesem Zweck einen entsprechenden Revers unterzeichnen. In ihm ist daneben bestimmt, daß die Preisbindung auch für von Dritten erworbene Schallplatten der Deutschen Grammophon gilt und daß solche Erzeugnisse nur mit Genehmigung der Deutschen Grammophon aus dem Ausland eingeführt werden können (wobei die Zustimmung lediglich erteilt wird, wenn sich die Händler auch insofern zur Einhaltung der Preisbindung verpflichten). Die Deutsche Grammophon ist ihrerseits gehalten, allein an Händler zu liefern, die den Revers unterzeichnen. Außerdem muß sie für die Lükkenlosigkeit der Preisbindung sorgen und entsprechende Verstöße verfolgen. — Im Ausland erfolgt der Vertrieb über Tochtergesellschaften der Deutschen Grammophon oder der Firma Philips. Dies gilt namentlich für Frankreich, wo die Aktiengesellschaft Polydor Paris (deren Kapital sich zu 99,55 % in den Händen der Deutschen Grammophon befindet) über ihre Niederlassungen in Paris und Straßburg den Absatz besorgt. Mit ihr hat die Deutsche Grammophon einen Lizenzvertrag abgeschlossen. Danach hat die Lizenznehmerin unter anderem das ausschließliche Recht, im Vertragsgebiet (also in Frankreich) Aufnahmen der Deutschen Grammophon auf dem handelsüblichen Wege (d. h. über den Einzelhandel) auszuwerten und die entsprechenden Marken zu benutzen. Zu diesem Zweck liefert die Deutsche Grammophon gegen Entrichtung von Lizenzgebühren Matrizen, mit deren Hilfe die Vervielfältigung vorgenommen wird. In besonderen Fällen werden auch in der Bundesrepublik hergestellte Schallplatten an die Polydor Paris geliefert.

Die Firma Metro-SB-Grofsmärkte GmbH, Hamburg, Berufungsklägerin des Ausgangsverfahrens, hat in der Zeit von April bis Oktober 1969 von der Deutschen Grammophon Polydor-Schallplatten bezogen, die Preisbindung aber nicht beachtet. Dies führte, da sich die Metro zur Unterzeichnung eines Händlerrevers nicht bereit fand, Ende Oktober 1969 zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Im Januar und Februar 1970 gelang es der Metro jedoch, von der Deutschen Grammophon in Deutschland hergestellte Schallplatten der Marke Polydor über einen Hamburger Großhändler zu erwerben. Offenbar waren diese Schallplatten von der Deutschen Grammophon an ihre Pariser Tochtergesellschaft geliefert worden. Danach sind sie über deren Straßburger Niederlassung und eine schweizerische Firma in die Hände des Hamburger Großhändlers gelangt. Auch diese Schallplatten hat die Firma Metro unter dem von der Deutschen Grammophon für die Bundesrepublik festgesetzten Preis an Endverbraucher abgegeben.

Als die Deutsche Grammophon davon erfuhr, erwirkte sie beim Landgericht Hamburg am 20. März 1970 eine einstweilige Verfügung, in der es der Firma Metro untersagt wurde, Schallplatten der Deutschen Grammophon mit bestimmten Fabrikationsnummern unter der Bezeichnung „Polydor“ zu verkaufen oder in sonstiger Weise zu verbreiten. Die Basis des Antrags und der richterlichen Entscheidung bildete das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965, das am 1. Januar 1966 in Kraft getreten ist und das gemäß dem Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen vom 26. Oktober 1961 ein originäres, dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht der Tonträgerhersteller geschaffen hat. (Nebenbei gesagt, existiert ein solches Recht im EWG-Raum nur noch in Italien — gemäß Artikel 72 des Gesetzes vom 22. April 1941 —, während in den anderen Mitgliedstaaten ein entsprechender Schutz mit Hilfe der Gesetze über den unlauteren Wettbewerb bzw. dadurch gesichert wird, daß der Tonträgerhersteller das originäre Recht des Urhebers oder des Interpreten erwirbt.) Aus dem deutschen Gesetz hat das Landgericht Hamburg die § § 85 und 97 herangezogen, die folgendes bestimmen:

 

§ 85

„Der Hersteller eines Tonträgers hat das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen und zu verbreiten.“

 

§ 97

„Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann vom Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung, und wenn dem Verletzer Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt, auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.“

Außerdem hat das Gericht offensichtlich angenommen, daß das der Deutschen Grammophon zustehende ausschließliche Recht zur Verbreitung ihrer Schallplatten in Deutschland nicht durch die Lieferung an Polydor Paris verbraucht worden sei. Es hat also eine Rechtserschöpfung verneint, wie sie in dem entsprechend anwendbaren § 17 des Urheberrechtsgesetzes mit folgenden Worten vorgesehen ist: „Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes Berechtigten im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung zulässig.“ Nach Ansicht des Gerichts wäre diese Vorschrift nur zur Anwendung gelangt, wenn eine Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden wäre. Somit konnte der Vertrieb reimportierter Schallplatten in Deutschland als unzulässig angesehen werden.

Der von der Firma Metro gegen die einstweilige Verfügung eingelegte Widerspruch blieb erfolglos: Durch Urteil vom 22. Mai 1970 wurden alle gegen die Anordnung des Gerichts vorgetragenen Argumente für unbeachtlich erklärt. Daraufhin hat die Firma Metro Berufung gegen das Urteil eingelegt und die Sache so vor das Hanseatische Oberlandesgericht gebracht. Zur Begründung der Berufung wurde vor allem vorgebracht, der Deutschen Grammophon stehe ein Verbreitungsrecht an den fraglichen Schallplatten nicht mehr zu, vielmehr sei dieses Recht durch die Lieferung an die französische Tochtergesellschaft verbraucht worden. Außerdem müsse davon ausgegangen werden, daß die vertraglichen Beziehungen zwischen der Deutschen Grammophon und ihrer französischen Lizenznehmerin zu einer Marktaufteilung und Erschwerung des zwischenstaatlichen Handels führen, was in Verbindung mit der in der B.undesrepublik praktizierten Preisbindung die Feststellung erlaube, die Artikel 85 und 86 des EWG-Vertrags seien verletzt.

Mit Rücksicht auf diese Argumentation hat das Oberlandesgericht durch Beschluß vom 8. Oktober 1970 das Verfahren ausgesetzt und gemäß Artikel 177 des EWG-Vertrags folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Verstößt die Auslegung der § § 97, 85 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), wonach eine deutsche Herstellerin von Tonträgern aufgrund ihres Verbreitungsrechtes den Vertrieb von Tonträgern in der Bundesrepublik Deutschland verbieten kann, die sie selbst an ihre rechtlich selbständige, wirtschaftlich aber vollständig abhängige Tochtergesellschaft in Frankreich geliefert hatte, gegen Artikel 5 Absatz 2 der Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags?

2.

Kann die Ausübung des Verbreitungsrechts durch den Hersteller von Tonträgern als mißbräuchlich angesehen werden, wenn der gebundene Verkaufspreis der Tonträger höher ist als der Preis des aus einem anderen Mitgliedstaat reimportierten Originalerzeugnisses, wenn zugleich die maßgeblichen Interpreten durch Exklusivverträge an den Hersteller der Tonträger gebunden worden sind (Artikel 86 EWG-Vertrag)?

Zu diesen Fragen haben sich schriftlich und mündlich die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften geäußert.

Lassen Sie uns nunmehr zusehen, welche Stellungnahme dazu angebracht erscheint.

Rechtliche Würdigung

I — Zur Zulässigkeit

Entsprechend den Bemerkungen, die einige Verfahrensbeteiligte vorgebracht haben, muß ich die Untersuchung mit Ausführungen zur Zulässigkeit der gestellten Fragen beginnen. Sie können jedoch verhältnismäßig kurz sein.

1.

Dies trifft namentlich für den Umstand zu, daß die Anfrage im Rahmen ei nes Eilverfahrens, eines auf den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gerichteten summarischen Verfahrens, gestellt worden ist. Tatsächlich schließt das — ich habe es früher schon betont — die Möglichkeit einer Vorlage nicht aus. Implizite hat dies in der Rechtssache 29/69 — Slg. 1969, 419 — auch der Gerichtshof gutgeheißen. Dabei kann es jetzt sein Bewenden haben. — Ob nationale Gerichte darüber hinaus unter den Voraussetzungen des Artikels 177 Absatz 3 in solchen Eilverfahren zur Vorlage verpflichtet sind, ist dagegen eine Frage, die im gegenwärtigen Zusammenhang offenbleiben mag.

2.

Die zweite Bemerkung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung bezieht sich auf die Formulierung der ersten Frage. Dazu wurden Bedenken geäußert, weil dem Gerichtshof nach dem Wortlaut der Frage anscheinend angesonnen wird, über die Vereinbarkeit nationaler Normen bzw. der Auslegung nationaler Normen mit dem Gemeinschaftsrecht ein Urteil abzugeben. Offensichtlich sind diese Bedenken nicht unfundiert, denn derartige Befugnisse stehen dem Gerichtshof im Rahmen eines nach Artikel 177 des EWG-Vertrags eingeleiteten Verfahrens nicht zu. Diese Regelung ermöglicht nur die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und die Prüfung der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane (also nicht die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf einen bestimmten Sachverhalt und nicht die Prüfung der Gültigkeit staatlicher Maßnahmen und deren Auslegung).

Indessen besteht gleichwohl kein Anlaß, die Vorlage als vollständig unzulässig zurückzuweisen. Vielmehr kann der Gerichtshof nach dem Vorbild anderer Verfahren die gestellte Frage umdeuten und ihr den nach Artikel 177 zulässigen Kern entnehmen. Unter Betonung der Interpretationskompetenz werden wir uns also um die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Artikel 5 und 85, bemühen. Dazu soll lediglich noch gesagt werden, daß dies im Hinblick auf den vom vorlegenden Gericht gekennzeichneten Sachverhalt zu geschehen hat, d. h. im Hinblick darauf, daß ein deutscher Hersteller von Tonträgern aufgrund seines Verbreitungsrechts den Vertrieb von Schallplatten in Deutschland verbieten lassen möchte, die er an seine rechtlich selbständige, wirtschaftlich aber vollständig abhängige Tochtergesellschaft in Frankreich geliefert hat und die von der Tochtergesellschaft (deren Handlungen der Muttergesellschaft zuzurechnen seien) in Frankreich in den Verkehr gebracht worden sind.

Mehr braucht im gegenwärtigen Zusammenhang nicht ausgeführt zu werden, ermöglicht es doch diese allgemeine Kennzeichnung des Auslegungsersuchens, auf die gestellte Frage einzugehen. — Im übrigen möchte ich weitere Zulässigkeits-probleme, wie sie von der Bundesregierung im Hinblick auf die Erörterung von Artikel 85 des EWG-Vertrags und von der Deutschen Grammophon-Gesellschaft im Hinblick auf die Untersuchung des Artikels 86 aufgezeigt worden sind, einer späteren Untersuchung vorbehalten.

II — Zur Beantwortung der gestellten Fragen

1.

Der bisherige Vortrag hat bereits deutlich gemacht, daß es im gegenwärtigen Verfahren vor allem um das Problem der sogenannten Erschöpfung eines nationalen, dem Urheberrecht verwandten, gewerblichen Schutzrechtes geht, wie sie in § 17 des deutschen Urheberrechtsgesetzes vorgesehen ist. Dazu hat das vorlegende Oberlandesgericht ausgeführt, der Wortlaut der genannten Vorschrift lasse offen, ob auch ein Inverkehrbringen im Ausland mit Zustimmung des Rechtsinhabers dessen Verbreitungsrecht im Inland erschöpfe. Anscheinend neigt das Gericht im Hinblick auf das Territorialitätsprinzip, wie es in der vorliegenden Materie von vielen verstanden wird, dazu, die Rechtserschöpfung zu verneinen. Andererseits hat es das Gericht aber wegen des unklaren Gesetzesinhaltes, der fehlenden Eindeutigkeit der gesetzlichen Aussage und der Tatsache, daß sie nach Inkrafttreten des EWG-Vertrags getroffen worden ist, für erforderlich gehalten, die Frage nach den für die Materie maßgeblichen Vertragsprinzipien zu stellen. Das kann meines Erachtens nur so verstanden werden, daß das Gericht gegebenenfalls unter Zurückdrängung des Territorialitätsprinzips um eine gemeinschaftskonforme Auslegung des nationalen Gesetzes bemüht sein will. Macht man sich dies klar, so steht gleichzeitig fest, daß es entgegen den Ausführungen einiger Beteiligter nicht der Untersuchung der Frage bedarf, ob die vom vorlegenden Gericht angezogenen Vertragsbestimmungen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht darstellen, also Rechtsnormen, auf die sich eine Privatperson nationalen Gesetzen gegenüber berufen kann. Erforderlich ist vielmehr lediglich eine Eruierung der die jetzt interessierende Materie beherrschenden Vertragsprinzipien, eben weil — nicht zuletzt im Hinblick auf das in Artikel 5 Absatz 2 enthaltene Gebot — anzunehmen ist, daß der nationale Gesetzgeber sie nicht mißachten wollte und daß der von ihm festgelegte Norminhalt entsprechend ausgelegt werden muß.

So gesehen ergibt sich zunächst die Erkenntnis, daß der freie, ungehinderte Warenverkehr als grundlegendes Prinzip des Gemeinsamen Marktes bezeichnet werden muß. Weiterhin ist — wie schon in dem vor kurzem entschiedenen Sirena-Fall geschehen — an die Idee der Einheit des Gemeinsamen Marktes zu erinnern und an seine Wettbewerbsordnung, die auf eine umfassende Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen abzielt und die insbesondere den zwischenstaatlichen Wettbewerb erhalten will. Als einschlägige Texte kommen insofern Artikel 3 a und f, die Artikel 30 ff. und die Artikel 85 ff. in Betracht. Ganz allgemein gesagt ist es ihr Ziel, auszuschließen, daß mit staatlichen oder privaten Mitteln der Warenverkehr behindert und eine Marktabriegelung herbeigeführt wird.

Offensichtlich können diesem Ziel bei entsprechender Ausgestaltung oder Auslegung die nationalen gewerblichen Schutzrechte, also auch das Urheberrecht und ihm verwandte Schutzrechte, entgegenwirken, erlauben sie doch — wie die These der Deutschen Grammophon zeigt — unter Umständen eine Marktabriegelung auf sämtlichen Wirtschaftsstufen, d. h. die absolute Kontrolle und Blockierung des zwischenstaatlichen Vertriebs. Nun wird, um das zu rechtfertigen, immer wieder auf die Artikel 36 und 222 des EWG-Vertrags hingewiesen, also einmal auf die Bestimmung, nach der sich der zwischenstaatliche Handelsverkehr im Interesse des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums Beschränkungen gefallen lassen muß (Artikel 36), und zum anderen auf die Bestimmung, der zufolge der EWG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt läßt (Artikel 222). Derartige Hinweise konnten zu Beginn der einschlägigen Diskussion sicherlich einigen Argumentationswert haben. Inzwischen jedoch steht nach der Rechtsprechung fest, daß insoweit eine erhebliche Relativierung am Platze ist, und zwar nicht zuletzt im Hinblick auf den Vorbehalt des Artikels 36, dem zufolge die dort erwähnten Verbote oder Beschränkungen „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen“ dürfen. Den Anfang machte in diesem Zusammenhang das Urteil Grundig-Consten mit seinen Feststellungen zum Markenrecht; die Entwicklung ging dann im Parke-Davis-Fall — mit Ausführungen zum Patentrecht — weiter, und sie erfuhr vor kurzem wiederum in dem bereits erwähnten Sirena-Fall eine Bestätigung bezüglich des Markenrechts. Danach gilt als Prinzip, daß die gewerblichen Schutzrechte aufgrund des Vertrages zwar in ihrem Bestand, in ihrer Substanz unberührt bleiben sollen (darüber entscheidet der nationale Gesetzgeber — Slg. 1968, 111), da ihre Ausübung aber durchaus dem Gemeinschaftsrecht unterliegt (Slg. 1966, 394 und Slg. 1968, 111 — EuGH 40/70, S. 25 der hektographierten deutschen Fassung).

Das Hauptproblem ist folglich auch im jetzigen Fall in der Abgrenzung des Rechtsbestandes von der Rechtsaus Übung zu sehen. Wie die Kommission mit Recht hervorhebt, gehört in den Bereich des Rechtsbestandes sicher die Befugnis zur Herstellung und zur ersten Verbreitung der geschützten Ware, weil sie dem Inhaber den ihm zustehenden Nutzen sichert. Fraglich erscheint dagegen, ob auch das Territorialitätsprinzip, auf das im Zusammenhang mit den gewerblichen Schutzrechten immer wieder verwiesen wird, einen Teil ihrer Substanz ausmacht, zu ihrem Wesen gehört. Insofern ist meines Erachtens die Erkenntnis bedeutsam, daß wir es mit einem schillernden Begriff zu tun haben, dessen Konturen nicht mit absoluter Klarheit zu erkennen sind und über den Einhelligkeit offenbar nicht besteht. Gelegentlich wird davon gesprochen, das Territorialitätsprinzip bringe (entsprechend der Pariser Verbandsübereinkunft) zum Ausdruck, der in einem Staat gewährte Schutz sei von den Schutzrechten anderer Staaten unabhängig. Daneben trifft man auch die Formel, die Wirkungen eines Schutzrechts beschränkten sich auf das Gebiet des Staates, innerhalb dessen das Recht gewährt wird, ohne daß dies jedoch ausschließt, daß der nationale Gesetzgeber Rechtswirkungen von Sachverhalten abhängig macht, die sich im Ausland ereignen ( 1 ). So sollte jedenfalls zu denken geben, daß trotz des Territorialitätsprinzips der Inhaber eines Markenrechts, der im, Inland und Ausland übereinstimmende Zeichen verwendet, die Einfuhr einer Ware nicht aufgrund seines inländischen Zeichens untersagen kann, wenn er die Ware im Ausland mit dem Zeichen versehen und in den Verkehr gebracht hat ( 2 ). Zum Urheberrecht läßt sich in diesem Zusammenhang auf ein neueres Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs hinweisen, nach dem das Recht eines Tonträgerherstellers verbraucht (die Untersagung der Einfuhr also nicht möglich) ist, wenn der Rechtsinhaber die Ware in den Verkehr gebracht hat bzw. wenn sie durch einen berechtigten Exporteur im Ausland oder durch einen Lizenznehmer im Ausland in den Verkehr gebracht worden ist ( 3 ). Hinsichtlich des berühmten (vielfach auch kritisierten) „Voran“-Urteils des Bundesgerichtshofs vom 29. Februar 1968, des einzigen neueren, höchstrichterlichen Judikats entgegengesetzter Tendenz, nach dem für das dem Patentrecht verwandte Sortenschutzrecht ein ausländisches Inverkehrbringen durch den Rechtsinhaber als für die Rechtserschöpfung nicht relevant anzusehen ist, darf aber nicht übersehen werden, daß das einschlägige Saatgutgesetz ausdrücklich die Ausfuhr geschützter Sorten von einer besonderen Zustimmung des Sortenschutzinhabers abhängig macht und daß deshalb die Rechtserschöpfung nicht bereits mit dem Inverkehrbringen eintreten kann.

Angesichts dieser Sachlage spricht tatsächlich vieles für den Standpunkt, demzufolge das in seinen Umrissen unsichere Territorialitätsprinzip nicht zum Bestandsschutz zu rechnen sei. Jedenfalls gilt dies hinsichtlich der speziellen Problematik des Ausgangsverfahrens, also für einen Sachverhalt, in dem — wie das Oberlandesgericht angenommen hat — eine mit der Rechtsinhaberin verbundene juristische Person die fraglichen Waren im Ausland in den Verkehr gebracht hat. Hier sollte entscheidend sein, daß mit dem ersten Inverkehrbringen der Zweck des gewerblichen Schutzrechtes erfüllt wurde, weil die monopolistische Gewinnchance genutzt werden konnte. Dagegen würde es über den Schutzzweck des gewährten Rechts zweifellos hinausgehen, wenn dem Inhaber die Kontrolle des weiteren Vertriebs, namentlich die Untersagung des Reimports gestattet und der freie Warenverkehr verhindert würde. — Somit kann mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Artikels 36, die wesentlichen Ziele des Vertrages, die Prinzipien des Gemeinsamen Marktes und trotz der für die gewerblichen Schutzrechte geltenden Bestandsgarantie bei einem Sachverhalt wie dem des Vorlageverfahrens angenommen werden, daß Rechtserschöp fung eingetreten, die Ausübung des Verbreitungsrechts also ausgeschlossen ist.

Indessen gilt es noch einen letzten Einwand zu berücksichtigen, den vor allem die Bundesregierung vorgebracht hat. Er leitet sich namentlich ab aus Artikel 99 Absatz 3 des Ersten Vorentwurfs eines Ubereinkommens über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt, in dem es heißt: „Nach der in diesem Artikel vorgesehenen Übergangszeit“ (die vom Inkrafttreten des Übereinkommens an mindestens fünf Jahre beträgt) „können ungeachtet von Vorschriften des nationalen Rechts der Vertragsstaaten die Rechte aus Patenten, die für eine Erfindung in zwei oder mehreren Vertragsstaaten erteilt worden sind und ein und derselben natürlichen oder juristischen Person oder wirtschaftlich verbundenen natürlichen oder juristischen Person gehören, nicht gegenüber Handlungen geltend gemacht werden, die ein durch diese Patente geschütztes Erzeugnis betreffen und im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats vorgenommen werden, nachdem der Patentinhaber oder sein Lizenznehmer das Erzeugnis rechtmäßig in einem dieser Staaten in Verkehr gebracht hat.“ Es sollen also die nationalen Schutzrechtsgrenzen während einer Ubergangszeit fortbestehen und erst nach ihrem Ablauf überwunden werden mit der Folge, daß Rechtserschöpfung eintritt, wenn der Patentinhaber die geschützte Ware in einem Mitgliedstaat in den Verkehr bringt. Diese Übergangsbestimmung — so sagt die Bundesregierung — hätte keinen rechten Sinn, wenn sich die Rechtserschöpfung schon aus den vorhin untersuchten Vertragsbestimmungen ergeben würde.

In der Tat kann nicht bestritten werden, daß diese Deduktion eindrucksvoll ist. Gleichwohl dürfte sie aber nicht entscheidend sein. Wenn ich das sage, denke ich zwar nicht an den Umstand, daß in dem genannten Vorentwurf patentrechtliche Fragen behandelt werden, während es im jetzigen Fall um Urheberrecht und verwandte Schutzrechte geht, denn diese Unterscheidung ist unerheblich, weil das Urheberrecht dem Patentrecht sicher näher verwandt ist als etwa dem Markenrecht. Wir sollten aber nicht vergessen, daß es sich bei dem angezogenen Text lediglich um einen Vorentwurf handelt, der von Sachverständigen ausgearbeitet worden ist, daß er also nicht das letzte Wort der Regierungen darstellt und damit auch nicht eine authentische Interpretation des EWG-Vertrags. Außerdem erscheint die in ihm enthaltene Bekundung bedeutsam, in der Präambel des Übereinkommens sei darauf hinzuweisen, „daß die Vertragsstaaten nicht beabsichtigen, durch dieses Übereinkommen die Vorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zu beeinträchtigen“.

Ohne Rücksicht auf den genannten Vorentwurf ist demnach zu dem bisher behandelten Teilaspekt der ersten Frage festzuhalten, daß eine sinnvolle Auslegung des EWG-Vertrags zu der Konsequenz zwingt, nationale gewerbliche Schutzrechte beim Vorliegen der im Sachverhalt des Vorlagebeschlusses genannten Voraussetzungen als erschöpft anzusehen.

2.

Die Bedeutung von Artikel 85 des EWG-Vertrags steht im Rahmen der ersten Frage aber auch noch in einem anderen Sinn zur Debatte. Die darauf zu gebende Antwort könnte namentlich dann Relevanz erhalten, wenn dem bisher ermittelten Ergebnis nicht zu folgen wäre, wenn es also bei einer isolierten Betrachtung des Verhaltens des Schutzrechtsinhabers nicht sein Bewenden haben dürfte, sondern darüber hinaus auf von ihm getroffene Absprachen einzugehen wäre.

Auch insofern kann vorweg auf frühere Urteile verwiesen und die Untersuchung damit abgekürzt werden. So steht — was das Warenzeichenrecht angeht — fest, daß solche Zeichen nicht zu Zwecken verwendet werden dürfen, die mit einer als rechtswidrig anzusehenden Vereinbarung verfolgt werden, daß sie nicht in einer Weise mißbraucht werden können, die dem Kartellrecht der Gemeinschaft zuwiderläuft (Slg. 1966,394).

Der gleiche Gedanke kehrt in dem bereits erwähnten Sirena-Urteil wieder, in dem ebenfalls betont wird, die Ausübung gewerblicher Schutzrechte könne unter die Verbote der Artikel 85 und 86 fallen, das Wettbewerbsrecht greife ein, wenn die Ausübung gewerblicher Schutzrechte Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache sei.

Daran ist auch im jetzigen Fall anzuknüpfen. Da die Anwendung von Artikel 85 insbesondere vom Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, eines Beschlusses von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen abhängig ist, hat das vorlegende Gericht also zunächst zu prüfen, wie es sich damit verhält.

In dieser Hinsicht kommt vor allem der von der Deutschen Grammophon und der Polydor Paris getroffenen Abmachung, d. h. dem eingangs erwähnten Lizenzvertrag, Bedeutung zu. Wie die Kommission mit Recht hervorgehoben hat, sind insofern verschiedene Gesichtspunkte zu beachten. — Einmal ist daran zu erinnern, daß es sich offenbar um eine Abmachung zwischen einer Muttergesellschaft und einer Tochtergesellschaft handelt, also einen Vertrag zwischen zwei Marktteilnehmern, die wahrscheinlich nicht miteinander in Wettbewerb stehen, weil die Tochtergesellschaft sich nicht unabhängig verhält, sondern den Weisungen und der Kontrolle der Muttergesellschaft unterworfen ist. Wenn es sich tatsächlich so verhält, wenn lediglich eine Aufteilung von Aufgaben innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftskomplexes gegeben ist, liegt eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht vor und kommt eine Anwendung von Artikel 85 nicht in Betracht (das hat die Kommission. in zwei Negativattesten vom 18. Juni 1969 — Amtsblatt L 165/15 — und 30. Juni 1970 — AmtsblattL 147/24 — zu ähnlichen Sachverhalten bereits mit Recht festgestellt). — Zum anderen ist bei Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte — was die räumliche Begrenzung der Befugnisse des Lizenznehmers und ein entsprechendes Lieferverbot für Gebiete außerhalb des Lizenzraums angeht — zu bedenken, daß nicht zuletzt im Hinblick auf die praktische Unmöglichkeit einer umfassenden Nutzung namentlich von Urheberrechten durch den Rechtsinhaber selbst die Übertragung und die Teilbarkeit, also die Verwertung durch andere, zum Wesen des Rechts, zu seinem Bestand gehört. Räumliche Beschränkungen fallen also in den Rahmen des gewerblichen Schutzrechts, der Lizenzgeber greift bei ihrer Stipulierung — richtig verstanden — über den Inhalt seines Rechtes nicht hinaus. Auch aus diesem Grunde kann eine Anwendung von Artikel 85 auf einen Sachverhalt wie den des Vorlageverfahrens ausscheiden, die Lizenzabmachung also wettbewerbsrechtlich irrelevant sein. Allenfalls würde Artikel 85 dann eingreifen, wenn für den Lizenznehmer die Verpflichtung begründet würde, seinen Abnehmern Vertriebsbindungen aufzuerlegen, d. h. wenn die Vereinbarung wettbewerbseinschränkende Bestimmungen zum Inhalt hätte, die Gegenstand der Verträge zwischen der Tochtergesellschaft und ihren Abnehmern werden sollen.

Im Rahmen der ersten Frage des Auslegungsersuchens ist dem vorlegenden Gericht demnach noch zu antworten, es sei, sollte eine Prüfung des Sachverhalts aufgrund der dargestellten Kriterien das Vorliegen einer unter Artikel 85 des EWG-Vertrags fallenden Vereinbarung ergeben, auch die Berufung auf gewerbliche Schutzrechte verwehrt und deren Ausübung als mißbräuchlich anzusehen, wenn sie dazu erfolgt, die Zwecke der von der Schutzrechtsinhaberin getroffenen wettbewerbswidrigen Absprachen zu erreichen.

Ergänzend kann darüber hinaus wohl noch darauf hingewiesen werden, daß sich das vorlegende Gericht natürlich nicht auf die erwähnte Abmachung zu beschränken, sondern eventuell auch die von der Deutschen Grammophon mit deutschen Händlern abgeschlossenen Vereinbarungen (die sogenannten „Händlerreversen“) in die Untersuchung miteinzubeziehen hat. Danach wurde im Vorlagebeschluß zwar nicht gefragt. Der bekanntgewordene Sachverhalt erlaubt jedoch den gemachten Hinweis. Die Grenzen des Vorlageverfahrens werden damit nicht mißachtet, sondern lediglich Gesichtspunkte für eine sinnvolle und umfassende Lösung des Streitfalles sichtbar gemacht. — In der Tat ist es nicht ausgeschlossen, daß das vorlegende Gericht bei der Prüfung der erwähnten Händlerreverse zu dem Resultat gelangt, sie seien wettbewerbsrechtlich von Relevanz. Dies erscheint möglich, weil die gebundenen Händler aus dem Ausland nur mit Genehmigung der Deutschen Grammophon importieren dürfen und die Genehmigung allein bei Beachtung der Preisbindung erteilt wird. Faktisch mag das einem Importverbot gleichkommen, weil jeglicher Anreiz zur Durchführung von Importen genommen wird. Außerdem ist zu beachten, daß der Deutschen Grammophon die Verpflichtung obliegt, Verstöße gegen die Preisbindung zu verfolgen, also auch die Verpflichtung, mit Hilfe der ihr nach § 85 des deutschen Urheberrechts zustehenden Befugnisse den Vertrieb importierter Schallplatten zu verhindern. In alledem eine spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels zu sehen, kann nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Sollte sie vorliegen (was letztlich das vorlegende Gericht zu beurteilen hat), so müßte es der Deutschen Grammophon auch verwehrt sein, zum Zwecke der Durchsetzung dieser Wettbewerbsbeeinträchtigung von ihren gewerblichen Schutzrechten Gebrauch zu machen. — Mit diesen Bemerkungen kann die Untersuchung der ersten Frage aber endgültig abgeschlossen werden.

3.

Die zweite Frage bezieht sich auf Artikel 86 des EWG-Vertrags. Dazu möchte das vorlegende Gericht bekanntlich wissen, ob die Ausübung des Verbreitungsrechts durch den Hersteller von Tonträgern als mißbräuchlich angesehen werden kann, wenn der gebundene Verkaufspreis der Tonträger höher ist als der Preis des aus einem anderen Mitgliedstaat reimportierten Originalerzeugnisses und wenn die maßgeblichen Interpreten durch Exklusivverträge an den Hersteller der Tonträger gebunden sind.

Ihrer Beantwortung muß zunächst eine Bemerkung zu einem von der Deutschen Grammophon vorgebrachten Einwand vorausgeschickt werden. Danach sollen Zweifel an der Zulässigkeit der Frage deswegen bestehen, weil das Gericht nicht zu erkennen gegeben habe, aus welchen Fakten sich die beherrschende Stellung der Deutschen Grammophon ergebe. Außerdem müsse es als unstatthaft gelten, im Rahmen des Vorlageverfahrens durch den Gerichtshof insoweit Maßstäbe setzen zu lassen, wie sie die Kommission vorgeschlagen hat. — Wie ohne weiteres ersichtlich ist, können diese Einwände jedoch nicht durchgreifen. Wenn nämlich in einem Vorlagebeschluß nur nach gewissen Aspekten von Artikel 86 des EWG-Vertrags gefragt wird, erscheint nicht der Nachweis notwendig, daß Artikel 86 für die Beurteilung des dem nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts überhaupt in Betracht kommt. Das ist eine Frage der Entscheidungserheblichkeit, für die nach der bisherigen Rechtsprechung eine Begründung nie gefordert wurde. Auch kann im vorliegenden Fall sicher nicht davon die Rede sein, Artikel 86 sei vom nationalen Gericht offensichtlich zu Unrecht herangezogen worden. Gilt diese Bemerkung für den einen Einwand, so sehe ich hinsichtlich des anderen Einwands, auch wenn das vorlegende Gericht nicht ausdrücklich danach gefragt hat, kein Hindernis, Ausführungen zur Frage der beherrschenden Stellung zu machen und insoweit — wenn man so will — einige Maßstäbe zu setzen. Als ergänzende Auslegung kann dies im Interesse einer sachgerechten Erledigung des Vorlagebeschlusses ebenso wie in anderen Fällen als zulässig angesehen werden, vorausgesetzt, daß der Gerichtshof sich auf eine echte Interpretation beschränkt und nicht bis zur Rechtsanwendung geht. Es sollte also, was über die ausdrückliche Fragestellung hinaus zur Auslegung des Artikels 86 namentlich von der Kommission vorgebracht worden ist, nicht von vornherein beiseite gelassen werden. Wenden wir uns nunmehr unmittelbar der Beantwortung der gestellten Frage zu. Insofern ist aus der einschlägigen Rechtsprechung zu Artikel 86 des EWG-Vertrags im Hinblick auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden zunächst in Erinnerung zu bringen, daß sich eine beherrschende Stellung nicht schon daraus ergibt, daß einem Unternehmen gewerbliche Schutzrechte und entsprechende Abwehransprüche zustehen. Es kann jedoch, falls eine ökonomische Untersuchung des Marktes zur Feststellung einer beherrschenden Stellung in diesem führt und falls die marktbeherrschende Position zu einem Mißbrauch im Sinne von Artikel 86, Absatz 2, unter Heranziehung gewerblicher Schutzrechte genutzt wird, unter Umständen ein Mißbrauch dieser Rechte vorliegen. Das wurde in dem bereits erwähnten Sirena-Urteil festgehalten. Außerdem läßt sich in diesem Zusammenhang auf das Parke-Davis-Urteil hinweisen, in dem davon die Rede ist, „die Verwertung des Patents“ könne „zu einer mißbräuchlichen Ausnützung dieses Schutzes“ ausarten, die Ausübung des Patentrechts könne zu einer beherrschenden Stellung beitragen (Slg. 1968, 112, 113).

Im Sirena-Urteil finden sich darüber hinaus auch Kriterien, nach denen sich bestimmt, wann eine beherrschende Stellung anzunehmen ist. Sie sind im gegenwärtigen Verfahren gleichfalls von Nutzen. Ihnen zufolge ist die Stellung von Produzenten und Verteilern gleichartiger Waren zu berücksichtigen und zu fragen, ob das Unternehmen, dem eine beherrschende Stellung nachgesagt wird, die notwendige Macht hat, einen wirksamen Wettbewerb auf einem erheblichen Teil des zu berücksichtigenden Marktes zu verhindern. Zu prüfen ist also — wie die Kommission mit Recht hinzugefügt hat —, ob einem Unternehmen aufgrund seines Marktanteils (dem die Marktanteile anderer Konzernunternehmen hinzuzurechnen sind), aufgrund seines technischen Wissens, seiner Rohstoffe, seines Kapitals und seiner ausschließlichen Rechte die Möglichkeit offensteht, für einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes (etwa das Gebiet eines Mitgliedstaats) die Preise zu bestimmen oder Produktion und Verteilung zu kontrollieren, ob ein Unternehmen Raum für unabhängiges Verhalten besitzt und ohne wesentliche Rücksicht auf Konkurrenten, Abnehmer oder Lieferanten handeln kann. In bezug auf den gegenwärtigen Sachverhalt und die Frage der konkurrierenden Anbieter muß die angedeutete ökonomische Untersuchung namentlich ergeben, ob die Schallplattenerzeuger und ihre Marktanteile schlechthin miteinander zu vergleichen sind oder ob von Teilmärkten, je nach der Art der Musik und der Interpreten, gesprochen werden kann. Offensichtlich ist letzteres nicht ausgeschlossen, insbesondere die Annahme, eine beherrschende Stellung auf Teilmärkten könne sich aus der exklusiven Bindung bestimmter Künstler ergeben. Davon ist auszugehen, obwohl es nach § 78 des Urheberrechtsgesetzes keine dingliche, sondern nur eine schuldrechtliche Wirkung derartiger Exklusivverträge gibt ( 4 ) . Allerdings wird man — wie einige Verfahrensbeteiligte mit Recht betont haben — eine beherrschende Stellung aufgrund derartiger Exklusivverträge nur in seltenen Fällen annehmen können, etwa wenn es sich um außergewöhnlich erfolgreiche Künstler handelt und wenn zahlreiche derartige Bindungen vorliegen.

Gelangt das vorlegende Gericht aufgrund der angeführten Kriterien zu der Annahme einer beherrschenden Stellung, so kann ihr Mißbrauch — das macht die bisherige Rechtsprechung (im Parke-Davis- und Sirena-Fall) gleichfalls deutlich — zwar nicht zwingend aus festgestellten Preisdifferenzen gefolgert werden; Preisunterschiede können aber doch ein entscheidendes Indiz für das Vorliegen des Mißbrauchtatbestands bilden, wenn sie besonders groß sind und sich sachlich nicht rechtfertigen lassen. Auf die streitigen Details der insoweit sehr ausführlichen Auseinandersetzungen des gegenwärtigen Falles haben wir jetzt nicht einzugehen. Im Rahmen unserer Auslegungsbemühungen wäre allenfalls zu bemerken, daß nicht nur die Herstellerabgabepreise, sondern auch die Endverbraucherpreise in Betracht zu ziehen sind, daß die unterschiedliche Mehrwertsteuerbelastung (11 % in der Bundesrepublik, 331/3 % in Frankreich) berücksichtigt werden muß und daß sich unterschiedliche Kosten aus der Absatzstruktur sowie der Höhe der an die GEMA abzuführenden Urhebergebühren ergeben können.

Kommt das vorlegende Gericht nach alledem zu der Feststellung, es handele sich um erhebliche und unangemessene Preisunterschiede, es liege also ein entscheidendes Indiz für den Mißbrauch einer beherrschenden Marktstellung vor, so wäre nach der bisherigen Rechtsprechung auch der Einsatz gewerblicher Schutzrechte zum Zweck der Marktabriegelung und der Aufrechterhaltung der Preisdifferenz als mißbräuchlich und verboten im Sinne von Artikel 86 des EWG-Vertrags anzusehen. — Damit ist wohl im wesentlichen der Rahmen dessen ausgeschöpft, was zur Beantwortung der zweiten Frage gesagt werden kann, ohne daß bereits Rechtsanwendung betrieben wird. Alles Weitere muß der Beurteilung durch das nationale Gericht vorbehalten bleiben.

III — Zusammenfassung

Auf die vom Hanseatischen Oberlandesgericht gestellten Fragen kann somit wie folgt geantwortet werden:

1.

Die Befugnis des Inhabers eines ausschließlichen Rechts an Tonträgern, die Einfuhr oder Verbreitung solcher Vervielfältigungsstücke im Inland zu untersagen, die der Inhaber des Schutzrechts oder ein von ihm abhängiges Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht hat, gehört nicht zum Bestand des industriellen und gewerblichen Eigentums im Sinne von Artikel 36 des EWG-Vertrags und steht nicht im Einklang mit grundlegenden Prinzipien des Vertrages, wie sie sich aus den Bestimmungen über den freien Warenverkehr und seine Wettbewerbsordnung ergeben.

2.

Hat der Inhaber eines ausschließlichen Rechts an Tonträgern Vereinbarungen abgeschlossen, die unter Artikel 85 des EWG-Vertrags fallen, so kann er sich zur Erreichung der Ziele derartiger Vereinbarungen nicht auf sein ausschließliches Recht berufen und insbesondere nicht die Verbreitung aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführter Vervielfältigungsstücke untersagen, die der Inhaber des Schutzrechts oder ein von ihm abhängiges Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht hat.

3.

Besitzt der Inhaber eines Schutzrechts an Tonträgern eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 des EWG-Vertrags (wofür von Bedeutung sein kann, daß er zahlreiche berühmte Interpreten durch Exklusivverträge an sich gebunden hat), so ist als wesentliches Indiz für die mißbräuchliche Ausnützung der beherrschenden Stellung die Tatsache anzusehen, daß der Schutzrechtsinhaber in dem Mitgliedstaat, in dem die beherrschende Stellung gegeben ist, ohne sachlichen Grund Preise anwendet, die erheblich über dem Preisniveau anderer Mitgliedstaaten liegen. Mißbräuchlich ist in einem solchen Fall auch die Ausübung der aus dem gewerblichen Schutzrecht sich ergebenden Verbietungsansprüche zur Verhinderung der Einfuhr von Originalerzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten.


( 1 ) Ulmer in: Gewerblicher Rechtsschatz und Urheberrecht, Internationaler Teil 1970, S. 380.

( 2 ) Urteil des Bundesgerichtshofes in dem berühmten Maja-Fall — Band 41, S. 84.

( 3 ) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil 1970, S. 380.

( 4 ) Kommentar von Möhring-Nicolini zum Urheberrechtsgesetz, 1970, Anmerkung 2 zu § 78.