SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS HENRI MAYRAS

VOM 2. MAI 1972 ( 1 )

Inhalt

 

Einleitung — 

 

A — Sachverhalt

 

B — Verfahren

 

C — Problemstellung

 

Erster Titel — Vorliegen von aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags und des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts

 

Erster Abschnitt — Der Begriff der abgestimmten Verhaltens weise

 

A — Die Unterscheidung zwischen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen

 

B — Die abgestimmte Verhaltensweise in der amerikanischen Antitrustgesetzgebung

 

C — Die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft

 

D — Die Merkmale der abgestimmten Verhaltensweise im Gemeinschaftsrecht .

 

Zweiter Abschnitt — Die vorgetragenen Auffassungen

 

Dritter Abschnitt — Die Abstimmung unter den Klägerinnen

 

A — Vorliegen eines Parallelverhaltens

 

B — Zustandekommen und Gründe des Parallelverhaltens

 

1. Die Besonderheiten des Farbstoffmarkts

 

2. Die Ansicht der Sachverständigen

 

3. Aus den Sachverständigengutachten zu ziehende Schlüsse

 

4. Argumente, die aus der wirtschaftlichen Theorie vom Oligopol hergeleitet werden

 

C — Die tatsächlichen Umstände, unter denen die Preiserhöhungen erfolgten

 

1. Die Preiserhöhungen der Jahre 1965 und 1967

 

— ihr gemeinsamer Mechanismus

 

— aus der möglichen Bewertung als Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung hergeleitete Einwände

 

— die sich aus den Akten ergebenden Daten

 

2. Die Preiserhöhung vom Jahre 1964

 

3. Der Beweis der Abstimmung ..

 

Vierter Abschnitt — Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs

 

A — Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrags auf die abgestimmte Verhaltensweise

 

B — Die Folgen der abgestimmten Verhaltensweise für den Wettbewerb

 

C — Sonderfall der Gesellschaft ACNA

 

Fünfter Abschnitt — Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten

 

Zweiter Titel — Kompetenz der Kommission, Gesellschaften, die ihren Sitz außerhalb des Gemeinsamen Marktes haben, Geldbußen aufzuerlegen

 

Erster Abschnitt — Die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung — Das Gemeinschaftsrecht

 

Zweiter Abschnitt — Das Völkerrecht

 

A — Die Anwendungsvoraussetzungen des Kriteriums der territorialen Auswirkung

 

B — Die Grenzen der extraterritorialen Anwendung des Kartellrechts

 

Dritter Titel — Form- und Verfahrensrügen

 

Erster Abschnitt — Einleitung des Verfahrens

 

Zweiter Abschnitt — Mitteilung der Beschwerdepunkte

 

Dritter Abschnitt — Anhörung der Vertreter der betroffenen Unternehmen

 

Vierter Abschnitt — Das Anhörungsprotokoll

 

Fünfter Abschnitt — Form der Begründung der angefochtenen Entscheidung

 

Sechster Abschnitt — Veröffendichung der angefochtenen Entscheidung

 

Vierter Teil — Die Geldbuße

 

Erster Abschnitt — Die Verjährung

 

Zweiter Abschnitt — Die Berücksichtigung der durch die nationalen Behörden verhängten Geldbuße ..

 

Dritter Abschnitt — Die Höhe der Geldbuße

Herr Präsident,

Meine Herren Richter!

Einleitung

A — Sachverhalt

Aufgrund von Angaben verschiedener Berufsorganisationen industrieller Farbstoffverbraucher und von Nachprüfungen bei den Herstellern und ihren Tochtergesellschaften hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften festgestellt, daß bei diesen Erzeugnissen in der Zeit von Januar 1964 bis Oktober 1967 drei allgemeine, einheitliche Preiserhöhungen auf dem Gemeinsamen Markt vorgenommen wurden:

Zwischen dem 7. und 20. Januar 1964 wurden die Preise der meisten Anilinfarbstoffe in Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg sowie in einigen Drittländern um 15 % erhöht;

am 1. Januar 1965 wurde diese erste Erhöhung auf Deutschland ausgedehnt; am selben Tage setzten in diesem Land sowie in den schon von der Preiserhöhung von 1964 betroffenen Ländern fast sämtliche Farbstoffhersteller die Preise für die von der ersten Preiserhöhung ausgenommenen Farbstoffe und Pigmente einheitlich um 10 % herauf; da sich die Firma ACNA weigerte, diese Erhöhung auf dem italienischen Markt vorzunehmen, hielten allerdings die anderen Unternehmen nicht an der Heraufsetzung ihrer Preise auf diesem Markt fest;

schließlich hoben Mitte Oktober 1967 die meisten Erzeuger die Preise aller Farbstoffe in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg um 8 % und in Frankreich, wo die Erhöhungen der Jahre 1964 und 1965 nicht stattgefunden hatten, um 12 % an; dagegen blieb wegen des Verhaltens der Firma ACNA in Italien eine Preiserhöhung aus.

Die Kommission leitete am 31. Mai 1967 gegen die an diesen Preiserhöhungen beteiligten Unternehmen ein Verfahren nach der Verordnung Nr. 17/62 des Rates wegen mutmaßlicher Verletzung des Artikels 85 des EWG-Vertrags ein; am 11. Dezember 1967 unterrichtete sie diejenigen dieser Unternehmen, denen nach ihrer Ansicht eine der Preisfestsetzung dienende abgestimmte Verhaltensweise zur Last fiel, über die gegen sie vorgebrachten Beschwerdepunkte.

Nachdem diese Gesellschaften zur Darstellung der Beschwerdepunkte schriftliche Bemerkungen gemacht hatten und nachdem am 10. Dezember 1968 einige ihrer Vertreter gehört worden waren, erließ die Kommission am 24. Juli 1969 eine Entscheidung nach Artikel 15 der Verordnung Nr. 17/62.

Sie ging davon aus, daß in den von 1964 bis 1967 erfolgten Preiserhöhungen aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages zum Ausdruck gekommen seien, an denen folgende Gesellschaften beteiligt gewesen seien: Badische Anilinund Soda-Fabrik (BASF), Ludwigshafen, Cassella Farbwerke Mainkur AG, Frankfurt (Main), Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen, Farbwerke Hoechst AG, Frankfurt (Main), Société française des matières colorantes SA (Francolor), Paris, Azienda colori nazionali affini S. p. A. (ACNA), Mailand, Ciba SA, Basel, Sandoz SA, Basel, und Imperial Chemical Industries Ltd. (ICI), London. Sie verhängte eine Geldbuße von 50000 Rechnungseinheiten gegen jede dieser Gesellschaften mit Ausnahme der Firma ACNA, der sie nur eine Geldbuße von 40000 Rechnungseinheiten auferlegte.

Mit neun getrennten Klagen haben die betroffenen Unternehmen — die Firma Ciba ausgenommen — diese Entscheidung vor Ihnen angefochten.

B — Verfahren

Angesichts zweier Sachverständigengutachten, die erstellt worden waren — das erste von den Professoren Bombach und Hill im Auftrag der klagenden Unternehmen, das zweite durch Professor Kantzenbach im Auftrag der Kommission —, haben Sie selbst auf einstimmigen Vorschlag der Parteien die Professoren Kloten und Albach damit betraut, ein drittes Gutachten besonders über Fragen zu erstatten, die Sie in Ihrem Beschluß vom 8. Juli 1970 genau umschrieben haben. Am selben Tage haben Sie die vorliegenden Rechtssachen für die Erstattung des Gutachtens verbunden.

Nach dem Austausch sehr umfangreicher Schriftsätze und nach einer mündlichen Verhandlung von seltener Ausführlichkeit ist die Beweisaufnahme in diesen Rechtssachen, an der internationale Sachverständige mitgewirkt haben, deren Autorität und intellektueller und moralischer Rang keinen Vergleich zu scheuen haben, so vollständig und gründlich gewesen wie nur möglich. Somit haben Sie eine so eingehende Aktenkenntnis, daß ich es zu diesem Zeitpunkt, zu dem ich in die Diskussion eingreife, für überflüssig halte, den Inhalt dieser Akten vor Ihnen im einzelnen darzustellen, die mein Vorgänger, Generalanwalt Alain Dutheillet de Lamothe, noch selbst mit der Gewissenhaftigkeit und gedanklichen Klarheit studiert hatte, die Sie an ihm gekannt haben.

Erlauben Sie mir, zu der Stunde, zu der ich in dieser Sache meine ersten Schlußanträge vor dem Gerichtshof vortrage, ehrend seiner zu gedenken.

C — Problemstellung

Die Klagen, mit denen Sie befaßt sind, stellen vier Fragen oder Gruppen von Fragen zur Entscheidung.

Die erste ist in dem Sinne grundlegend, daß es von Ihrer Antwort abhängt, ob die anderen Fragen entschieden werden müssen oder sich überhaupt nicht mehr stellen.

Es handelt sich um die Frage, ob die linearen Preiserhöhungen, die in der Zeit von Januar 1964 bis Oktober 1967 zu einheitlichen Prozentsätzen auf dem Farbstoffmarkt der Gemeinschaft vorgenommen wurden, auf eine oder mehrere durch Artikel 85 des EWG-Vertrags und durch das abgeleitete Gemeinschaftsrecht verbotene abgestimmte Verhaltensweisen zurückzuführen sind oder nicht.

Wenn Sie diese erste Frage bejahen, so müssen Sie mithin

1.

meines Wissens das erste Mal die wichtige Frage entscheiden, ob Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb des Gemeinsamen Marktes haben (im vorliegenden Falle die Imperial Chemical Industries in Großbritannien, Geigv und Sandoz in der Schweiz), aufgrund der Verordnung Nr. 17/62 wegen ihrer Teilnahme an innerhalb des Gemeinsamen Marktes praktizierten wettbewerbswidrigen aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen mit Geldbußen belegt werden können;

2.

untersuchen, ob die Nichtbeachtung von Förmlichkeiten und wesentlichen Garantien im Verwaltungsverfahren nicht dieses Verfahren fehlerhaft gemacht hat und ob als Folge hiervon diese Unregelmäßigkeiten nicht zur Anfechtbarkeit der Sanktionen geführt haben, die das Ergebnis des Verfahrens waren;

3.

schließlich zu den auferlegten Geldbußen Stellung nehmen und insbesondere entscheiden, ob trotz des Fehlens einer Verjährungsvorschrift, die bis jetzt im Gemeinschaftsrecht nicht geschaffen worden ist, der Ablauf einer bestimmten Frist zwischen dem Zeitpunkt, in dem die Handlungen begangen worden sind, und der Einleitung des ihrer Ahndung dienenden Verfahrens durch die Kommission bewirkt hat, daß die beanstandeten Verhaltensweisen nicht mehr geahndet werden können.

Ich meine übrigens, daß sich in diesen beiden letzten Punkten aus Ihrer bisherigen Rechtsprechung Lösungselemente ergeben.

Erster Titel

Vorliegen von aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags und des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts

Erster Abschnitt

Der Begriff der abgestimmten Verhaltenswei-se

A —

Eines der wesentlichen Ziele des EWG-Vertrags ist die Verwirklichung eines einheitlichen, den Mitgliedstaaten Gemeinsamen Marktes, auf dem die Erzeuger sich frei betätigen und entfalten können sollen und auf dem die Verbraucher ihrerseits die Möglichkeit haben sollen, frei nach Erzeugnissen und Dienstleistungen nachzufragen und ihre Wahl von den Preisen und der Qualität der Angebote abhängig zu machen. Um diese Freiheit zu gewährleisten, ist der Tätigkeit der Gemeinschaftsorgane besonders „die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt“, zum Ziel gesetzt (Artikel 3 Buchstabe f des Vertrages).

Im Hinblick hierauf erklärt Artikel 85 des Vertrages für „mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten … alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere a die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise …“.

Artikel 85, der sich somit gegen diejenigen wettbewerbsbeschränkenden Handlungen oder Verhaltensweisen richtet, die gewöhnlich unter dem Oberbegriff „Kartelle“ zusammengefaßt werden, unterscheidet drei Erscheinungsformen dieser Kartelle — Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen —, deren gemeinsame Voraussetzung die Mehrheit der Mitwirkenden ist.

Ich will von den hier nicht zur Debatte stehenden „Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen“ absehen und mich als erstes bemühen, die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen von den Vereinbarungen abzugrenzen.

Bisher hatten Sie über die Anwendung oder Auslegung des Artikels 85 nur im Zusammenhang mit Vereinharungen zwischen Unternehmen zu entscheiden, d. h. mit Verträgen zwischen Erzeugern oder solchen und Händlern, welche Form und rechtliche Struktur diese Vereinbarungen, an deren Nachv/eis nicht von vornherein irgendwelche besonderen Anforderungen gestellt werden können, im übrigen auch haben mochten.

Solche Vereinbarungen können zum Beispiel Ausschließlichkeitsverträge sein: Urteil 23/67 vom 12. Dezember 1967, Brasserie de Haecht, Slg. 1967, 543; Urteil 56/65 vom 30. Juni 1966, LTM/MBU, Slg. 1966, 281; Urteil 56 und 58/64 vom 16. Juli 1966, Grundig, Slg. 1966, 321; oder sie können Vereinbarungen zur Preisfestsetzung und Marktaufteilung sein: Urteile 41, 44 und 45/59 vom 15. Juli 1970, Chemiefarma, Buchler und Böhringer, Slg. 1970, 733, 769 und 815.

In diesem letzten Falle haben Sie den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bereits gestreift.

Anläßlich des internationalen Chininkartellfalles hatte sich Ihr Generalanwalt Gand die Frage gestellt, ob anzunehmen sei, daß in einem als „gentleman's agreement“ bezeichneten, nicht unterschriebenen Dokument, das dazu diente, eine zwischen den wichtigsten Chinin und Chinidin-Herstellern der Gemeinschaft zur Anwendung in Drittländern getroffene Vereinbarung über die Festsetzung von Preisen, Lieferquoten und Ausfuhrbeschränkungen auf den Gemeinsamen Markt auszudehnen, eine abgestimmte Verhaltensweise zum Ausdruck komme. Er mußte diese Frage verneinen, jedoch allein aus dem Grunde, weil dieses gentleman's agreement mit der in gehöriger Form abgeschlossenen Vereinbarung über die Ausfuhr in Drittländer in zu engem Zusammenhang stand, um von dieser Absprache getrennt werden zu können. Und Sie selbst haben festgestellt, daß dieses Dokument „den gemeinsamen Willen der Kartellmitglieder hinsichtlich ihres Verhaltens auf dem Gemeinsamen Markt getreu zum Ausdruck … [brachte]“. Dies zeigt, daß wegen der außergewöhnlichen Vielfalt der Formen und Abstufungen der Abstimmung zwischen Unternehmen die Grenze zwischen Vereinbarung und abgestimmter Verhaltensweise nicht leicht zu ziehen ist.

Es zeigt ferner, daß Ihre Rechtsprechung zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise vollständig neu geschaffen werden muß. Es läge gewiß nicht auf der Linie Ihrer bisherigen Spruchpraxis, sich durch eine allgemeine und abstrakte Begriffsbestimmung für die Zukunft zu binden. Diese Rechtsprechung wird vielmehr nur Schritt für Schritt in dem Maße entwickelt, aber auch verfeinert werden können, wie die vor Sie gelangenden Streitfälle dies mit sich bringen.

B —

Wenngleich man nicht hoffen kann, etwas unmittelbar für Ihre Rechtsprechung Verwendbares aus der Art und Weise zu gewinnen, wie im Innern und außerhalb des Gemeinsamen Marktes in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung versucht worden ist, den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise zu umreißen, ist es gewiß nicht ohne Interesse, diese Lösungsbemühungen zu untersuchen. Der geschichtliche Ursprung muß mit Sicherheit in der „concerted action“ des amerikanischen Antitrust-Rechtes gesucht werden. Denn der Begriff der „conspiracy“ des Sherman Act ist angewendet worden, wenn ein abgestimmtes Handeln mehrerer Unternehmen zu einem gemeinsamen gesetzwidrigen Zweck erwiesen war.

So ist in der Sache U.S. v. Hamilton Watch Co. and U.S. v. Elgin Natl. Watch Co. (DC N.Y. 1942) 47 F. Supp. 524 entschieden worden: „Keinerlei förmliche Vereinbarung ist nötig, damit eine verbotene Absprache (conspiracy) vorliegt. Diese kann sich aus einem zwischen den Teilnehmern abgestimmten Verhalten ergeben, wobei alle zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin handeln.“

Im gleichen Sinne hat die Entscheidung Wisconsin Liquor Co. v. Park and Tilford Distillers Corp. (CA-7; 1959) 1959 Trade Cases/69, 363, festgestellt, daß „der Beweis einer förmlichen oder spezifischen Vereinbarung nicht notwendig ist, um das Vorliegen einer verbotenen Absprache zu bejahen …“.

Wenn diese amerikanische Rechtsprechung also auch keine Begriffsbestimmung der „concerted action“ gibt, so besteht sie doch auf der Notwendigkeit eines gemeinsamen Planes.

Andererseits stellt sie klar, daß ein bewußtes Parallelverhalten zwar für sich allein nicht für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen den Sherman Act genügt, aber doch eine tatsächliche Vermutung begründen kann, aufgrund deren der Richter — je nach den besonderen Umständen des Falles — auf das Vorliegen einer „conspiracy“ schließen kann.

Dies ist der Fall in der Sache Morton Salt Co. v. U.S. (CA-10; 1956) 1956 Trade Cases/68, 412, in welcher der Richter die Auffassung vertrirt, „obwohl das Vorliegen eines Parallelverhaltens kein entscheidender Beweis für das Vorliegen einer Absprache oder einer Verletzung des Sherman Act ist, ist ein solches Verhalten ein Umstand, der berücksichtigt werden muß und im allgemeinen bei der Urteilsbildung stark ins Gewicht fällt“.

Einige Entscheidungen unterstreichen auch, daß das einheitliche Verhalten mehrerer Unternehmen bei der Preisgestaltung im allgemeinen eine Beweistatsache von recht ausschlaggebender Beweiskraft sei.

Hierzu sei das Urteil in der Sache Pittsburgh Plate Glass Co. v. U.S. (CA-4; 1958), 1958 Trade Cases/69, 157, zitiert: „Ein Fensterglashersteller beteiligt sich an einer verbotenen Preisfestsetzungsabsprache (conspiracy), wenn das bewußte Parallelverhalten' dieses Fabrikanten bei der Ankündigung einer Preiserhöhung, die der von seinen Konkurrenten fast gleichzeitig bekanntgegebenen entspricht, bei Berücksichtigung der offenbar engen Bindungen zwischen diesem Hersteller und der Kartellspitze vernünftigerweise darauf schließen läßt, daß der Hersteller im Einvernehmen mit einigen oder allen Teilnehmern gehandelt hat.“

In dem bereits zitierten Fall Morton Salt äußert sich der Richter im gleichen Sinne wie folgt: „… das Vorhandensein einer kleinen Zahl von Verkäufern mit freundschaftlichen Beziehungen untereinander und die Beständigkeit der Nachfrage nach diesem Erzeugnis boten ihnen eine einzigartige Gelegenheit und einen Anreiz, sich zur Aufrechterhaltung eines künstlich erhöhten, für alle vorteilhaften Preisniveaus untereinander abzustimmen (combine).“

Schließlich kann man die verwandte Entscheidung Safeway Stores v. FTC (366 F 2 d 795 — 1966, Trade Cases/71, 891) anführen, in der es heißt: „Der Nachweis, daß die Bäcker auf der Ebene ihrer Vereinigung zusammenkamen und unter anderem über die Preise diskutierten sowie die anschließenden einander entsprechenden Preiserhöhungen reichen aus, um die Feststellung der Federal Trade Commission zu tragen, daß die Bäcker sich zur Festsetzung der Preise untereinander abgestimmt haben.“

Es wäre jedoch leichtfertig, das amerikanische Recht und das Gemeinschaftsrecht einander systematisch anzunähern. Die seit Ende des vorigen Jahrhunderts erlassenen Anti-trust-Gesetze der Vereinigten Staaten sind hauptsächlich Strafgesetze. Sie werden durch den Strafrichter angewandt und unterliegen, was die Beweisregelung angeht, dem amerikanischen Strafprozeßrecht; andererseits sind sie in dem Sinne sehr streng, daß sie zumindest anfangs im Grundsatz bestimmt haben, daß jede Absprache schädlich und folglich untersagt sei. Gewiß hat die Rechtsprechung diese Strenge gemildert und sich mit Rücksicht auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Strukturen bemüht, eine gewisse Geschmeidigkeit in die Gesetzesanwendung einzuführen, besonders durch die richterliche Begriffsschöpfung der „workable competition“. Doch bleibt die Tatsache bestehen, daß die amerikanische Regelung von einer Konzeption ausgeht, die sich in mannigfacher Hinsicht von der des Gemeinschaftsrechts unterscheidet. Dieses hat im wesentlichen präventiven Charakter und wird durch die Kommission angewandt. Auch dann, wenn es die Anwendung gewisser finanzieller Sanktionen vorsieht, trägt es verwaltungsrechtlichen und nicht strafrechtlichen Charakter. Schließlich ist es insofern viel geschmeidiger, als unter seiner Herrschaft gewisse Kartelle zulässig sein können. Indessen hat die amerikanische Rechtsprechung trotz dieser Unterschiede manches zu bieten, was zum Vergleich und auch zum Nachdenken anregt. Dies gilt besonders, wenn zu berücksichtigen ist, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit auf einem Markt oligopolistischen Typs eine abgestimmte Verhaltensweise angenommen werden kann.

C —

Unter den nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hat sich bis zur Stunde allein das französische den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise ausdrücklich zu eigen gemacht. Doch scheint die noch spärliche Rechtsprechung im wesentlichen Vereinbarungen zum Gegenstand gehabt zu haben.

Demgegenüber kennt das deutsche Gesetz vom Jahre 1957 diesen Begriff nicht. Vielleicht zum Teil, um diese Lücke auszufüllen, hat die Bundesregierung jüngst einen Gesetzentwurf eingebracht, der in einigen Bestimmungen darauf abzielt, die in § 22 des Gesetzes vorgesehene Kontrolle des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zu verstärken, und den Gedanken der abgestimmten Verhaltensweise heranzieht. Insbesondere ist gemäß diesem Entwurf zu vermuten, daß es zwischen mehreren Unternehmen dann keinen Wettbewerb gibt, wenn diese sich über einen längeren Zeitraum hin in ihrer Preispolitik einheitlich verhalten. So würde in der Wiederholung paralleler Verhaltensweisen bei den Preisen eine Zuwiderhandlung auf diesem Gebiet des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung liegen, ein Begriff, den bekanntlich der EWG-Vertrag in Artikel 86 verwendet. In dieser Hinsicht kann Ihnen keine der Entscheidungen der deutschen Verwaltungsbehörden und Gerichte, die für die innerdeutschen Verfahren gegen die an vorliegender Sache beteiligten deutschen Hersteller zuständig sind, eine große Hilfe geben. In der mündlichen Verhandlung hat man versucht, sie in dem einen oder anderen Sinne auszuwerten. Dies ist meiner Ansicht nach um so weniger möglich, als sich die deutschen Gerichte — wohl wissend, daß Sie sich auf der Grundlage des Artikels 85 des Vertrages mit der Frage befaßten — in ihrer Begründung weislich aller Erwägungen enthalten haben, die als Vorgriff auf die zu Ihrer Entscheidung stehende Frage hätten erscheinen können.

D —

Die Erkenntnisse, die sich so aus den nationalen Rechten gewinnen lassen, sind zwar für das Studium des vorliegenden Falles auch nicht ohne Wert, können aber natürlich gegenüber dem durch Ihre Rechtsprechung und die Kommentare erläuterten Wortlaut von Artikel 85 des Vertrages selbst nicht den Vorrang beanspruchen.

Zunächst ist aus der Unterscheidung, die der Artikel 85 ausdrücklich zwischen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen trifft, die Folgerung zu ziehen. Diesem letzten Begriff einen so eng begrenzten Sinn zu geben, daß er nur noch ein besonderer Anwendungsfall des Begriffs der Vereinbarung wäre, würde mit Sicherheit einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz zuwiderlaufen, auf den Sie oftmals zurückge griffen haben und der besagt, daß jeder Vertragsbestimmung ihre volle Wirkung, ihre ganze Tragweite gegeben werden soll. Selbst wenn anzunehmen ist, daß die abgestimmte Verhaltensweise tatsächlich eine Vereinbarung in sich birgt, die sie zugleich durch ein bestimmtes gleichgerichtetes Verhalten nach außen hin zu erkennen gibt, kann es meiner Ansicht nach nicht zweifelhaft sein, daß die Verfasser des Vertrages eine eigene Kategorie daraus gemacht haben, um zu vermeiden, daß die gegen die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen gerichteten Verbotsbestimmungen des Artikels 85 umgangen werden können, wenn Unternehmen bei der Verfolgung einer gemeinsamen Politik nach einem festen Plan so vorgehen, daß keine Spur eines schriftlichen Dokuments zurückbleibt, in dem eine Vereinbarung gesehen werden könnte.

Eine solche Auslegung, die der in Artikel 85 getroffenen Unterscheidung tatsächlich Rechnung trägt, ist von offensichtlicher Bedeutung für den Beweis einer abgestimmten Verhaltensweise, der nicht in der gleichen Weise geführt werden kann wie der Beweis einer ausdrücklichen Vereinbarung, obgleich auch die abgestimmte Verhaltensweise eine gewisse Willenskundgabe der teilnehmenden Unternehmen einbegreift.

Doch muß auch ein objektives Merkmal gegeben sein, das dem Begriff der abgestimmten Verhaltensweise wesentlich ist, nämlich ein den beteiligten Unternehmen gemeinsames tatsächliches Verhalten. Dies ist der erste grundsätzliche Unterschied gegenüber dem Begriff der Vereinbarung. Diese fällt — vorausgesetzt, daß sie nachgewiesen ist und eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt — nach Ihrer Rechtsprechung unter Artikel 85, ohne daß ihre tatsächliche Auswirkung auf den Wettbewerb zu untersuchen wäre. Hingegen scheint mit die abgestimmte Verhaltensweise schon rein begrifflich nicht völlig von der tatsächlichen Wirkung losgelöst werden zu können, die sie auf die Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes hat.

Trotzdem kann die bloße Feststellung eines gemeinsamen, parallelen oder gleichgerichteten Verhaltens von Unternehmen auf dem Markt offensichtlich nicht genügen, um dieses Verhalten als abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 zu qualifizieren. Es ist außerdem nötig, daß dieses Verhalten sich nicht oder wenigstens nicht vornehmlich aus der Struktur des Marktes und den auf ihm herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen ergibt.

Hinzutreten muß wie gesagt ein gewisser Wille der Beteiligten, gemeinsam zu handeln, und infolgedessen muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem gemeinsamen Willen und dem festgestellten tatsächlichen Verhalten nachgewiesen werden können. Anders als bei den Vereinbarungen kann dieser gemeinsame Wille aber je nach Sachlage aus der Gesamtheit der über das Verhalten der Unternehmen ermittelten Tatsachen abgeleitet werden; so zum Beispiel aus Weisungen an Firmenvertreter, Beziehungen zu den Käufern, Änderungen der Verkaufsbedingungen, mehr oder weniger ausgeprägte Gleichzeitigkeit der getroffenen Entscheidungen, Kontakte zwischen den Unternehmensleitern …

Zweiter Abschnitt

Die vorgetragenen Auffassungen

Nach diesen einleitenden Bemerkungen — welche Auffassungen sind eigentlich hinsichtlich des Vorliegens einer abgestimmten Verhaltensweise vorgetragen worden?

Die Kommission leitet in ihrer Entscheidung vom 24. Juli 1969 die Abstimmung der Preiserhöhungen der Jahre 1964, 1965 und 1967 her aus der Gleichheit der von den beteiligten Herstellern in den einzelnen Ländern angewandten Steigerungssätze, daraus, daß bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Farbstoffe Gegenstand dieser Erhöhungen gewesen seien, und daraus, daß diese Erhöhungen jeweils mit sehr geringem Zeitabstand oder sogar zur gleichen Zeit vorgenommen worden seien. Sie vertritt die Meinung, angesichts aller dieser Feststellungen könnten die Preiserhöhungen nicht allein mit der Struktur der Farbstoffmärkte erklärt werden, und führt — vielleicht etwas unvermittelt — aus: „Es ist unvorstellbar, daß die wichtigsten Hersteller, die den Gemeinsamen Markt versorgen, ohne eine genaue vorherige Abstimmung den Preis für dieselben und in großen Mengen hergestellten Erzeugnisse wiederholt und praktisch zur gleichen Zeit um den gleichen Steigerungssatz erhöht hätten, und zwar in mehreren Ländern, in denen für Farbstoffe unterschiedliche Marktbedingungen bestehen.“ Diese Behauptung wird jedoch gestützt durch eine sehr eingehende Schilderung der tatsächlichen Umstände, unter denen die Preiserhöhungen beschlossen, angekündigt und angewandt wurden, sowie durch die Bezugnahme auf den Inhalt der von den Herstellern an ihre Tochtergesellschaften oder Vertreter auf den verschiedenen Märkten gerichteten Weisungen, die nach Ansicht der Kommission im Falle der Erhöhung vom Januar 1964 eine ausgeprägte Ähnlichkeit zeigen. Schließlich erwähnt die Kommission noch die am 18. August in Basel abgehaltene Sitzung, auf der alle betroffenen Hersteller mit Ausnahme der ACNA vertreten gewesen seien und in deren Verlauf der Vertreter der Firma Geigy deren Absicht angekündigt habe, die Verkaufspreise vor Ende des Jahres 1967 zu erhöhen. Die angefochtene Entscheidung fügt hinzu, diese Erhöhungen beeinflußten die Verkaufspreise gegenüber allen Verbrauchern, weil die Farbstoffe bei Lieferungen auf dem eigenen Inlandsmarkt durch das Vertriebsnetz der Hersteller selbst und bei Lieferungen auf den Auslandsmärkten über ihre Wiederverkäufer abgesetzt würden, die strikt an die Anweisungen der Hersteller gebunden seien. Die Kommission schließt hieraus, daß diese Verhaltensweisen den Wettbewerb einschränkten, der sich nur noch auf die Qualität und den Kundendienst erstrecken könne. Schließlich stellt sie fest, daß diese aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, deren Auswirkungen sich auf mehrere Länder des Gemeinsamen Marktes erstreckten, geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Somit zieht die angefochtene Entscheidung den Schluß auf das Vorliegen unter Artikel 85 fallender aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen sowohl aus den Umständen, unter denen die Preiserhöhungen beschlossen und durchgeführt worden sein sollen, als auch daraus, daß diese Erhöhungen aus der Struktur des Farbstoffmarktes allein nicht erklärt werden könnten. Die Bevollmächtigten der Kommission haben vor Ihnen diese doppelte Begründung aufrechterhalten und noch näher ausgeführt, um der Auffassung der Klägerinnen entgegenzutreten.

Diese stützen demgegenüber ihre Behauptung, es habe lediglich ein Parallelverhalten der Hersteller gegeben, das sich allein schon aus den Marktverhältnissen erklären lasse, hauptsächlich auf eine Untersuchung des oligopolistischen Farbstoffmarkts. Ihrer Ansicht nach kann ein solches Verhalten nicht einer abgestimmten Verhaltensweise gleichgestellt werden. Sie meinen, die Preiserhöhungen seien das Ergebnis selbständiger Entscheidungen der einzelnen Unternehmen gewesen, die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und besonders einem Bedürfnis nach einer Verbesserung des ungenügenden Rentabilitätsniveaus Rechnung getragen hätten. Die völlige Übereinstimmung der Steigerungssätze soll sich ihnen zufolge daraus ergeben, daß sich demjenigen Hersteller, der als erster die Preise erhöht — dem Preisführer —, die anderen Mitglieder des Oligopols zwangsläufig anpassen müßten.

Dies sind im wesentlichen die Auffassungen, die Sie gegeneinander abzuwägen haben.

Dritter Abschnitt

Die Abstimmung unter den Klägerinnen

Ich will auf die Argumentation der Parteien zurückkommen, indem ich nacheinander die folgenden Punkte untersuche:

Lag ein Parallelverhalten vor?

Kann dieses Verhalten mit den wirtschaftlichen Verhältnissen auf dem Markt allein erklärt werden oder ist es die Folge einer abgestimmten Preispolitik?

A — Vorliegen eines Parallelverhaltens Wie gesagt besteht das erste objektive Merkmal der abgestimmten Verhaltensweise notwendigerweise in einem nach außen hin erkennbaren ähnlichen, parallelen oder gleichgerichteten Verhalten der beteiligten Unternehmen.

Insoweit würde der in der angefochtenen Entscheidung mitgeteilte Sachverhalt ausreichen, um das Vorliegen eines solchen Verhaltens hier zu bejahen, das übrigens die klagenden Gesellschaften zumindest im Grundsatz nicht in Abrede stellen. Denn es steht fest, daß die Unternehmen in den Jahren 1964, 1965 und auch 1967 zu sehr wenig voneinander entfernten, wenn nicht bisweilen sogar zu den gleichen Zeitpunkten für ein sehr umfangreiches Warensortiment bei gleichen Steigerungssätzen lineare Erhöhungen der Grundpreise für die von ihnen selbst oder ihren Tochtergesellschaften verkauften Farbstoffe beschlossen und durchgeführt haben.

In dieser Hinsicht bestreiten die Klägerinnen die Ausführungen der angefochtenen Entscheidung nur in nebensächlichen Punkten, man kann sagen, in Einzelheiten: Die Liste der von den Erhöhungen betroffenen Farbstoffe stimme nicht völlig mit der Wirklichkeit überein, und die auf die laufenden Bestellungen anzuwendenden Bestimmungen seien von der Kommission nicht richtig wiedergegeben worden. Von diesen Streitpunkten abgesehen, auf die ich übrigens noch zurückkomme, weil die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen jeden Gedanken an eine Abstimmung überhaupt leugnen wollen, kann wohl festgestellt werden, daß die Parallelität eines Verhaltens mehrerer Hersteller auf den gleichen Märkten, von dem auch nicht bestritten wird, daß es nicht zufällig, sondern bewußt gewählt worden ist, aus den Tatsachen selbst eindeutig hervorgeht. Demnach liegt das erste Merkmal einer abgestimmten Verhaltensweise vor. Dieses Merkmal ist erforderlich, reicht aber für sich allein nicht aus.

B — Zustandekommen und Gründe des Parallelverhaltens

Das zweite Merkmal besteht, wie wir gesehen haben, im Vorliegen eines gewissen gemeinsamen Willens. Für die Annahme dieses Merkmals bedarf es nicht notwendigerweise der Feststellung einer ausdrücklichen und klaren Kundgabe einer Willenseinigung, die sich in einer echten Vereinbarung, d. h. in einer verbindlichen und zwingenden rechtlichen Urkunde, niederschlagen müßte. Es muß jedoch meiner Ansicht nach zumindest erwiesen sein,

daß das bewußte Parallelverhalten nicht ausschließlich oder auch nur haupsächlich den wirtschaftlichen Verhältnissen auf dem Markt oder dessen Struktur zuzuschreiben ist

und daß zwar eine ausdrückliche Willenseinigung fehlt, aber doch ausreichend klare, übereinstimmende Beweisanzeichen die Überzeugung begründen, daß das Parallelverhalten das Ergebnis einer Abstimmung, einer gleichgerichteten Politik ist.

Eine solche Abstimmung kann selbst dann vorliegen, wenn bestimmte Unternehmen eine überragende Rolle dabei gespielt haben, zu dieser Politik den Anstoß zu geben und sie durchzuführen, während andere, deren Aktionsmöglichkeiten vielleicht geringer waren, sich der Abstimmung lediglich angeschlossen haben. Es geht also darum zu untersuchen, ob solche Indizien oder Beweisanzeichen im vorliegenden Falle vorhanden sind. In Anbetracht der Befugnis zu unbeschränkter Rechtsprechung, die Ihnen Artikel 17 der Verordnung Nr. 17/62 des Rates auf diesem Gebiet zuerkennt, sind Sie, wie Generalanwalt Gand in seinen Schlußanträgen zu den Chinin-Fällen (Slg. 1970, 706) ausführte, mit der Sache in vollem Umfang befaßt; Ihre Befugnis, den Sachverhalt zu würdigen, ist unbeschränkt, so daß Sie sich folglich über das Vorliegen und die Qualifizierung der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 Ihre eigene Überzeugung bilden müssen. Sie nehmen diese Würdigung des Sachverhaltes nicht „in abstracto“ vor, sondern stellen dabei, wie Ihrer Rechtsprechung zu entnehmen ist, auf die besonderen Gegebenheiten des jeweiligen Marktes ab.

Die Frage, ob eine Abstimmung stattgefunden hat, läßt sich daher nur in der Weise lösen, daß einerseits den Besonderheiten des Farbstoffmarkts Rechnung getragen wird und andererseits alle die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Indizien berücksichtigt werden, die sich beim Studium der Akten als zutreffend erweisen.

1. Die Besonderheiten des Farbstoffmarkts

a)

Die Klägerinnen wollen ihr Preisgebaren ausschließlich durch die Strukturen und die Mechanismen des Farbstoffmarkts erklären und rechtfertigen. Ihre Vertreter haben, offen gesagt, derart betont auf diesen Punkt abgehoben, daß vielleicht sogar der Eindruck entstehen konnte, dieser Markt, auf dem das Angebot von einer beschränkten Anzahl von Herstellern kontrolliert wird, sei von so besonderer Art, daß Artikel 85 des Vertrages auf ihn sozusagen unanwendbar sei.

Ein solcher Schluß wäre selbstverständlich unrichtig. Artikel 85 ist auf die oligopolistischen Märkte ebenso anzuwenden wie auf die stärker „atomisierten“ Märkte. Umgekehrt ist festzustellen, daß der Vertrag Oligopole als solche nicht verbietet und daß nicht aufgrund von Artikel 85 den Unternehmen, die sich auf Märkten dieser Art betätigen, Pflichten auferlegt werden dürfen, die ihre Tätigkeit unterbinden oder die Gefahr einer völligen Umstrukturierung des Gewerbezweiges mit sich bringen.

b)

Welche objektiven Feststellungen können hiernach, besonders aufgrund der von den Professoren Kloten und Albach vorgelegten ausführlichen Schilderung des Marktes, getroffen werden?

Mehr als 300 Unternehmen verkaufen Farbstoffe und Pigmente auf dem Weltmarkt, jedoch wird dieser Markt von weniger als einem Dutzend Firmen beherrscht.

In dem uns hier interessierenden Zeitraum wird der europäische Markt zu 80 % von zehn Herstellern beherrscht. Mit Ausnahme der Francolor stellen diese nicht nur Farbstoffe her, sondern erzeugen auch synthetische Stoffe, pharmazeutische Produkte, Pflanzenheilstoffe und Chemikalien; dies gilt besonders für Bayer, Hoechst und BASF; andere wie ACNA oder Cassella lassen sich von den großen chemischen Firmen mit Zwischenprodukten beliefern.

Die Produktionsstrukturen weisen also wichtige Unterschiede auf, und infolgedessen sind die Produktionskosten ebenfalls sehr unterschiedlich.

Es wird eine beträchtliche Zahl von Farbstoffen hergestellt: Auf dem Markt werden 6000 angeboten; jedes Unternehmen stellt zwischen 1500 und 3500 her und kauft oftmals noch von anderen Herstellern hinzu, um sein Warensortiment zu vervollständigen.

In der Zeit zwischen 1956 und 1966 sind als Ersatz für Erzeugnisse, deren Herstellung eingestellt wurde, mehr als 2000 neue Farbstoffe auf den Markt gebracht worden.

Diese Produkte sind mehr oder weniger untereinander austauschbar. In dieser Hinsicht kann unterschieden werden zwischen Standardfarbstoffen, bei denen der Grad der Austauschbarkeit als sehr hoch angesehen werden kann, und Spezialfarbstoffen, bei denen dieser Grad sehr niedrig, wenn nicht sogar gelegentlich gleich Null ist; die Trennungslinie zwischen diesen beiden Gruppen scheint sich aber schwer genau ziehen zu lassen.

Die Produktionstechniken sind so geartet, daß im allgemeinen mindestens zehn verschiedene chemische Umwandlungen nötig sind, um aus den Grundstoffen Farbstoffe herzustellen, so daß sich der Produktionszyklus über drei bis zwölf Monate erstreckt.

Bei der Produktion schließlich schwankt die Größe der Lose zwischen 500 und 5000 kg, während der durchschnittliche Umfang der Aufträge 50 kg nicht übersteigt. Die Nachfrage ist schnell und beträchtlich gestiegen. Von 1958 bis 1968 haben sich die Farbstoffverkäufe praktisch verdoppelt (Indexzahl 100 für das Jahr 1958, 198 für das Jahr 1968). Diese Nachfrage ist sehr differenziert, sowohl nach Produkten und nationalen Märkten als auch nach Käufergruppen. Die Gesamtnachfrage wird stark durch die Expansion der Textilindustrie und in einem geringeren Ausmaß durch die der Lack- und Druckfarbenindustrie sowie der kunststoffverarbeitenden Industrie bestimmt.

Die Hersteller beliefern gleichzeitig ihren nationalen Markt und einige ausländische Märkte, jedoch ist ihre Lage in dieser Hinsicht merklich verschieden. Manche, wie die schweizerischen und die deutschen Firmen, exportieren 75 bis 90 % ihrer Produktion, während die französischen und italienischen Firmen nur wenig im Ausland verkaufen.

Anzumerken ist, daß laut den Exportstatistiken die Hersteller die Farbstoffe an ihre Tochtergesellschaften oder Vertreter im Ausland liefern, die ihrerseits den technischen Kundendienst gegenüber der örtlichen Kundschaft übernehmen.

Diese Kunden, besonders die der Textil- und Lederwarenbranche, sind wegen der Modeentwicklung mehr noch als am Preisniveau besonders an der Schnelligkeit und Zuverlässigkeit ihrer Belieferung und auch an dem ihnen gebotenen technischen Kundendienst interessiert. Diese Feststellung kann für die anderen Käufergruppen wie die Lack- und Druckfarbenhersteller nicht mit der gleichen Eindeutigkeit getroffen werden.

Wegen der recht geringen Auswirkung, welche die Farbstoffpreise besonders bei den Textilerzeugnissen auf die Preise der Fertigprodukte haben, ist die Beweglichkeit der Gesamtnachfrage sehr gering. Trotzdem herrscht aber zwischen den Herstellern ein lebhafter Wettbewerb; dieser individuelle Wettbewerb wird dadurch erleichtert, daß keine offiziellen Preislisten für den gesamten Markt veröffentlich werden, sondern nur interne Listen, die jeder Hersteller seinen Verteilern in den einzelnen Ländern vorlegt.

Preiszugeständnisse in Form von Rabatten werden auf individueller Basis gemacht, besonders den Kunden, welche die größten Aufträge erteilen; die Verkäufer versuchen diese interessanten Kunden an sich zu ziehen, indem sie ihnen die vorteilhaftesten Bedingungen anbieten. Weiter finden die Besonderheiten der Preispolitik eine Erklärung in dem sehr unterschiedlichen Kundendienst, den der einzelne Verkäufer seinen Kunden bietet. Aus all dem ergibt sich übrigens, daß der Markt hinsichtlich der effektiven Preise der Farbstoffe sehr wenig transparent ist, was eine notwendige Voraussetzung dafür ist, daß die Verkäufer die Praxis des Preis-„Schnibbelns“ anwenden. Diese Politik kann nur dann ernsthafte geschäftliche Vorteile bringen, wenn die Konkurrenten nicht bemerken, daß Zugeständnisse gemacht worden sind, oder wenn sie von Gegenmaßnahmen Abstand nehmen.

Darüber hinaus haben die von Ihnen bestellten Sachverständigen unterstrichen, daß bei den effektiven Farbstoffpreisen beträchtliche Unterschiede bestehen, und zwar nicht nur von einem Jahr zum anderen, sondern auch von Land zu Land (vgl. Schaubilder 5 und 6).

Schließlich kann man unter dem Blickwinkel der Konjunkturentwicklung eine allgemeine Tendenz zum Preisverfall bei Farbstoffen feststellen, und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese Lage um die Jahre 1963 und 1964 sämtlichen Herstellern zu lebhafter Sorge Anlaß gab und daß sie bei den Beschlüssen über eine allgemeine Preiserhöhung eine entscheidende Rolle spielte.

Diese Feststellungen der Professoren Kloten und Albach, denen die von den Parteien herangezogenen Sachverständigen in keiner Weise widersprochen haben, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Farbstoffmarkt ist ein oligopolistischer Markt, der von einer kleinen Anzahl von Herstellern beherrscht wird.

Es handelt sich besonders wegen der großen Vielfalt der angebotenen Produkte um einen unvollkommenen, heterogenen Markt.

Es handelt sich um einen abgeschotteten, nach den Worten von Professor Kantzenbach sogar „zementierten“ Markt.

Es ist ein Markt, auf dem der Kunde nur dann in unmittelbare Beziehung zum Hersteller tritt, wenn dieser der nationale Hersteller ist; eine unmittelbare Beziehung besteht niemals zu einem ausländischen Hersteller, sondern nur zu dessen Tochtergesellschaften, Vertretern oder Agenten.

Es ist schließlich ein Markt, auf dem praktisch keinerlei Preistransparenz besteht.

2. Die Ansicht der Sachverständigen

a)

Die Sachverständigen ziehen allerdings aus diesen Feststellungen diametral entgegengesetzte Schlüsse. Die Professoren Bombach und Hill vertreten die Meinung, daß die Gleichzeitigkeit der Preiserhöhungen ihre Ursache in der besonderen Struktur des Marktes habe, und fügen hinzu, daß auf diesem unvollkommenen Markt die Preise kein entscheidender Faktor seien, da hier die Hilfeleistungen für die Kundschaft und die Lieferbedingungen ganz besondere Bedeutung hätten. Auf diese Weise gewinne das Preisgefüge selbst nach einheitlichen Preiserhöhungen dank dem auf dem Markt ununterbrochen fortbestehenden Wettbewerb seine Elastizität wieder.

Im Gegensatz hierzu stimmt Professor Kantzenbach der Schlußfolgerung der Kommission zu, daß die Erhöhungen nur mit einer Abstimmung der Unternehmen erklärt werden könnten, und kommt am Ende seines Gutachtens zu folgendem Ergebnis: „Die Anbieter von Farbstoffen stehen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf mehreren weitgehend getrennten Märkten in oligopolistischem Wettbewerb. Wegen der hohen Unvollkommenheit der Märkte besteht jedoch kein Marktzwang zu gleichförmigem Preisverhalten.“

Die Untersuchungsergebnisse der von Ihnen bestellten Sachverständigen veranlassen mich, Ihnen vorzuschlagen festzustellen, daß die streitigen Preiserhöhungen sich nicht mit den Strukturen und den Mechanismen dieses Marktes erklären lassen.

b)

Sie haben den Professoren Kloten und Albach drei Fragen gestellt.

Als erste haben Sie ihnen die Frage vorgelegt, ob es bei den Besonderheiten des Farbstoffmarkts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, namentlich in der Zeit von 1964 bis 1967, nach normalen kaufmännischen Maßstäben für einen selbständig handelnden Hersteller, der ein Interesse an der Erhöhung seiner Preise gehabt hätte, möglich gewesen wäre, anstatt einer allgemeinen, einheitlichen und öffentlich bekanntgegebenen Erhöhung die Preise für die einzelnen Kunden und Erzeugnisse unterschiedlich zu erhöhen.

Die Sachverständigen haben diese Frage bejaht, und zwar in dem Sinne, daß ein selbständig handelnder Hersteller nach normalen kaufmännischen Maßstäben grundsätzlich die Möglichkeit gehabt hätte, seine Preise für die einzelnen Kunden und Erzeugnisse unterschiedlich zu erhöhen. Als wichtig erscheint mir jedoch ihre weitere Aussage, daß es einem solchen Hersteller auch praktisch möglich gewesen wäre, seine Preise unterschiedlich anzuheben, wobei sie lediglich die Einschränkung machen, daß die durchschnittliche Preiserhöhung, die ein auf diese Weise vorgehender Hersteller hätte durchsetzen können, „voraussichtlich unter der durchschnittlichen Preiserhöhung [gelegen haben würde], die bei einer allgemeinen und einheitlichen Preiserhöhung erreicht wird“.

Ferner haben Sie den Sachverständigen die Frage gestellt, welche Vor- und Nachteile eine allgemeine und lineare Preiserhöhung gegenüber einer nach Kunden, Erzeugnissen und Märkten differenzierten Erhöhung haben könne.

Auf diese zweite Frage antworten sie, eine allgemeine und lineare Preiserhöhung berge zwar sowohl für denjenigen Hersteller, der die Initiative zu dieser Erhöhung ergreift, als auch für den, der sich ihr anschließen muß, Chancen und Risiken in sich, alles in allem genommen dürften aber die Vorteile einer allgemeinen und einheitlichen Preiserhöhung gegenüber den Nachteilen überwogen haben.

Diese Antwort scheint mir von noch größerer Bedeutung zu sein als die erste.

Geringeres Interesse kommt der dritten Frage nach der mehr oder minder großen Austauschbarkeit der Farbstoffe mit Ausnahme von Spezialfarbstoffen zu. Ich bin mit den Sachverständigen der Ansicht, daß diese Unterscheidung für die Beurteilung des gegebenen Sachverhalts wenig hergibt. Die Austauschbarkeit der Farbstoffe scheint mir von zweitrangiger Bedeutung zu sein auf einem Markt, auf dem die Nachfrage in hohem Maße differenziert ist und wo vor allem eine von den Herstellern aufrechterhaltene Gebietsaufteilung besteht, die es selbst bei austauschbaren Erzeugnissen den Verbrauchern eines Landes kaum erlaubt, sich ohne weiteres an die Verkäufer eines anderen Landes zu wenden, um in den Genuß eines besseren Preises zu kommen.

3. Aus den Sachverständigengutachten zu ziehende Schlüsse

Was soll man von diesen — übrigens nuancierten — Ergebnissen halten? Ich für meinen Teil habe aus ihnen den Eindruck gewonnen, daß die Besonderheiten des Farbstoffmarkts allein nicht zur Erklärung der einheitlichen Preiserhöhungen des in Frage stehenden Zeitraums ausreichen.

Ohne so weit gehen zu wollen wie die Kommission und anzunehmen, daß mithin diese Erhöhungen nur aus einer Abstimmung herrühren können, glaube ich, daß man folgendes festhalten muß:

Die Struktur des Marktes erzwang auf gar keinen Fall solche einheitlichen Erhöhungen; im Gegenteil, die Notwendigkeiten des Wettbewerbs zwischen den Verkäufern hätten, wenn dieser Wettbewerb frei gewesen wäre, dazu geführt, daß jeder für sich unterschiedliche Preiserhöhungen vorgenommen hätte.

Dagegen läßt es sich mit dem Interesse der Hersteller erklären, daß die Hersteller Erhöhungen mit dem gleichen prozentualen Steigerungssatz für sämtliche Erzeugnisse ihres Angebots beschlossen und durchgeführt und so ihre Tochtergesellschaften und Vertreter gezwungen haben, diese Erhöhungen auf die Kundschaft abzuwälzen. Dieses Interesse, auf das ich noch zurückkomme, liegt im wesentlichen in der Tatsache begründet, daß angesichts der Abschottung der nationalen Märkte Europas und besonders der Gemeinschaft einheitliche Erhöhungen in den Augen der Hersteller den Vorteil boten, ein Gleichgewicht und im Grunde eine Gebietsaufteilung, der die Errichtung des Gemeinsamen Marktes ein Ende hätte setzen müssen, nicht in Frage zu stellen.

4. Argumente, die aus der wirtschaftlichen Theorie vom Oligopol hergeleitet werden

Aber, meine Herren, bevor ich das Gebiet der Wirtschaft verlasse, bedarf es, um in diesem Punkte vollständig auf das Vorbringen der Klägerinnen einzugehen, noch einiger Überlegungen zu den Argumenten, welche diese aus einer engen und sozusagen notwendigen Beziehung zwischen der oligopolistischen Marktform und der Parallelität ihres Verhaltens herleiten wollen. Ihrer Ansicht nach ist eine solche Parallelität normal und sogar typisch für das Oligopol. Mit Recht entgegnet ihnen die Kommission, daß diese These den Besonderheiten des fraglichen Marktes nicht gerecht wird.

Die Oligopole, die nach Ansicht der Mehrzahl der Wirtschaftswissenschaftler ein gewolltes Parallelverhalten mit sich bringen, sind die Marktformen, bei denen die Hersteller in strenger wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen derart, daß keiner von ihnen auf dem Gebiete des Wettbewerbs und besonders bei den Preisen eine Entscheidung treffen kann, ohne daß die anderen dadurch unmittelbar betroffen, sich dessen bewußt und zur Reaktion gezwungen werden.

In einer solchen Lage wird sich der Preisführer nur insoweit zu einer Preiserhöhung entschließen, als er ausreichend davon überzeugt ist, daß seine Konkurrenten sich dieser Erhöhung anschließen werden. Eine solche gegenseitige Abhängigkeit besteht aber nach der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre nur auf den Märkten, auf denen unabhängig von den gewöhnlichen Merkmalen der Oligopole zwei entscheidende Faktoren in Erscheinung treten: Homogenität der Erzeugnisse und Markttransparenz hinsichtlich der Preise. Dies trifft auf den Farbstoffmarkt nicht zu, dessen besonderes Kennzeichen eine große Vielfalt von Erzeugnissen mit tatsächlich sehr geringer gegenseitiger Austauschbarkeit ist und auf dem eine Preistransparenz praktisch fehlt.

Geht man von der Lehre zur Rechtsprechung über, so stellt man übrigens fest, daß der Begriff des bewußten Parallelverhaltens — abgesehen von Ausnahmen, denen ganz besondere Überlegungen zugrunde liegen — nur im Falle von Märkten angenommen worden ist, die durch die Herstellung oder den Verkauf von homogenen Gütern gekennzeichnet sind: Erdöl, Holz, Salz, Zement, Tabak …

American Column and Lumber, 257 U.S. (1921)

Socony Vacuum, 310 U.S. 178 (1940)

American Tobacco, U.S. 781 (1946)

Cement Institute, 333 U.S. 683 (1948)

Morton Salt, 235 F. 2 d 573 (10th Cir. 1956)

Gulf Oil, 164 A. 2 d 656 (1960).

Es handelt sich natürlich um Entscheidungen amerikanischer Gerichte, und ich ziehe sie nur vergleichsweise für die Prüfung des vorliegenden Falles heran; für das Gebiet, mit dem wir uns gerade beschäftigen, haben diese Entscheidungen jedoch einige Bedeutung.

Die These, daß sich eine von allen Teilnehmern vorgenommene Preisänderung durch den auf einem oligopolistischen Markte gegebenen Zwang erklären lasse, kann überzeugend erscheinen für den Fall einer Preissenkung; bei einer Preiserhöhung wirkt sich der Marktzwang aber nicht im gleichen Maße aus. Die Sachverständigen haben erklärt, daß eine unterschiedliche Erhöhung möglich gewesen wäre. Die klagende Firma BASF hat dies in ihrem Brief vom 13. Oktober 1967 an das Bundeskartellamt unausgesprochen zugestanden: „Eine stärkere Anhebung der Preise (als 8 %), die (im Oktober 1967) aus kalkulatorischen Gründen an sich geboten gewesen wäre …“

Die Logik des von den Sachverständigen dargestellten Systems des oligopolistischen Zwanges, bei dem der auf einem bestimmten Markte die Initiative ergreifende Hersteller stets den größten Marktanteil besitzt, hätte ferner verlangt, daß stets das stärkste Unternehmen, also dasjenige, um desssen nationalen Markt es sich jeweils handelte, die Initiative zu der Preiserhöhung ergriffen hätte. In mindestens einem Falle nun, im Jahre 1964, hat in Italien nicht die Firma ACNA, das Unternehmen, um dessen nationalen Markt es sich handelte, die Initiative zur Preiserhöhung ergriffen, sondern die Firma CIBA, der sich die Firma ACNA erst ein wenig später angeschlossen hat. Dies zeigt, daß sich auf einem oligopolistischen Markte zwar eine gemeinsame Anpassung an eine Preissenkung in den meisten Fällen durch ein Parallelverhalten ohne vorherige Abstimmung erklären läßt, daß es hingegen äußerst zweifelhaft ist, ob eine parallele Anpassung an eine Preiserhöhung — besonders wenn diese groß ist — sich anders als durch die Annahme einer Abstimmung erklären läßt.

C — Die tatsächlichen Umstände, unter denen die Preiserhöhungen erfolgten

Im Ergebnis glaube ich also nicht, daß in den Besonderheiten des Farbstoffmarkts eine vernünftige und befriedigende Erklärung zu finden sein kann. Ich bin vielmehr der Meinung, daß die Untersuchung der tatsächlichen Umstände, unter denen die streitigen Preiserhöhungen erfolgt sind, das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise bestätigt.

1.

Ich will jedoch mit der Untersuchung der beiden letzten Erhöhungen beginnen. Sie lassen einen ihnen gemeinsamen Mechanismus erkennen. In beiden Fällen ist in der gleichen Weise vorgegangen worden:

a)

Zuerst gibt ein Hersteller seine Absicht bekannt, auf einem oder mehreren nationalen Märkten eine lineare Preiserhöhung zu einem bestimmten Steigerungssatz für ein ebenfalls bestimmtes, sehr breites Sortiment von Erzeugnissen vorzunehmen. So die Firma BASF im Jahre 1965 und die Firma Geigy im Jahre 1967. Ob nun der Zeitpunkt der Durchführung der vorgesehenen Erhöhung so festgelegt wird, daß eine gewisse Frist bleibt (zwei Monate im Jahre 1967) oder nicht, alles läuft so ab, als habe der Preisführer den anderen Herstellern eine Bedenkzeit geben wollen.

b)

Dann werden die anderen Firmen von dem Vorhaben unterrichtet, und zwar entweder in ihrer Eigenschaft als Tochtergesellschaften und Kunden oder auf anderen Wegen. Die Tatsache ihrer Unterrichtung ist meines Erachtens als solche nicht bestritten worden.

c)

Schließlich erteilen die Hersteller in den meisten Ländern des Gemeinsamen Marktes die für die Durchführung der Preiserhöhung notwendigen Weisungen, und diese erfolgt sowohl im Jahre 1965 wie im Jahre 1967 zu einem einheitlichen Zeitpunkt.

Weigert sich dagegen auf einem Markte einer der Hersteller mitzuziehen — wie es die Firma ACNA 1965 und 1967 auf dem italienischen Markte tat —, so nehmen die übrigen von der Erhöhung auf diesem Markte Abstand.

Man hat es also mit einer im voraus angekündigten einleitenden Entscheidung des Preisführers zu tun, der die anderen Hersteller je nach Lage des Falles sich anschließen oder die Gefolgschaft ganz oder teilweise verweigern. Eine solche Weigerung nehmen die Konkurrenten hin und ziehen ihrerseits die Folgerungen daraus.

Ohne untersuchen zu müssen, wie dieser Vorgang vertragsrechtlich einzuordnen ist, da wir es ja nicht mit einer „Vereinbarung“ zu tun haben, bin ich doch der Meinung, daß er tatsächlich eine Willensübereinstimmung mehrerer Personen in sich schließt: zunächst des Willens des Preisführers, dessen Willenskundgabe keine rein einseitige ist, da die Durchführung seiner Entscheidung von der Annahme seitens der anderen Hersteller abhängt, ferner des Willens jedes dieser letzteren, die sich der einleitenden Entscheidung des Preisführers mindestens stillschweigend anschließen oder aber sich ihr widersetzen und ihre Verwirklichung verhindern oder mindestens ihre Tragweite einschränken.

Dieser Sachverhalt scheint mir zu genügen, um die nach Artikel 85 Absatz 1 erforderliche Abstimmung zu bejahen. Eine noch deutlichere, noch ausdrücklichere Willenskundgabe zu verlangen, würde dazu führen, daß der von dieser Vertragsbestimmung getroffenen Unterscheidung zwischen Vereinbarung und abgestimmter Verhaltensweise nicht Rechnung getragen würde. Dies würde im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß der Begriff „Abstimmung“ nicht so wirklichkeitsnah verstanden werden könnte, wie es meiner Meinung nach angezeigt ist. Die Abstimmung ist keine Vereinbarung; sie ist nicht in einem Dokument niedergelegt, dessen Gegenstand es ist, die jeweiligen Verpflichtungen der Parteien festzulegen. Sie ist auch nicht notwendigerweise eine im Verlauf von Zusammenkünften, bei denen Meinungsverschiedenheiten zutage treten oder die Interessen aufeinanderstoßen, planmäßig zustande gebrachte „conspiracy“. Sie kann bestehen und hat vorliegend bestanden in einem gemeinsamen, aber koordinierten Verhalten, das auf scheinbar einseitigen Entscheidungen fußt, deren Ausführung davon abhängt, daß die Teilnehmer mitmachen.

Gewiß läßt sich hiergegen ein Einwand erheben, den denn auch einige Vertreter der Klägerinnen, besonders Professor von Simson, in der mündlichen Verhandlung glänzend entwickelt haben.

Lediglich auf die Beziehungen zwischen dem Preisführer einerseits und den einzelnen übrigen Herstellern andererseits abzustellen, bedeute, daß zweiseitige Beziehungen, die auf einem oligopolistischen Markte ihre natürliche Erklärung im eigenen Interesse jedes den Zwängen eines solchen Marktes und der überragenden Machtfülle des Preisführers unterworfenen Unternehmens fänden, als Abstimmung qualifiziert würden. In dem Vorgang könne dann vielleicht, so sagt man uns, ein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 EWG-Vertrag durch den Preisführer gesehen werden, aber keine unter Artikel 85 fallende abgestimmte Verhaltensweise; denn dieser Artikel verlange eine wirkliche Abstimmung zwischen allen Herstellern, nicht bloß den Anschluß an eine Entscheidung eines von ihnen.

Ich halte den Einwand des Professors von Simson nicht für begründet. Denn wenn zwischen dem Preisführer und den einzelnen übrigen Herstellern echte, den Anschluß des jeweiligen anderen Herstellers zum Ausdruck bringende Vereinbarungen abgeschlossen worden wären, könnte kein Zweifel daran bestehen, daß eine solche zweiseitige Vereinbarung auch dann, wenn sie allein stünde, die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 rechtfertigen würde, ohne daß noch nachgeprüft werden müßte, ob andere Vereinbarungen gleichen Inhalts abgeschlossen und ob zwischen den Partnern dieser einzelnen Vereinbarungen Beziehungen angeknüpft worden seien.

Kann man nun aber für den Bereich der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen mehr verlangen als für den der Vereinbarungen ?

Zweitens würde der gegenüber meiner These erhobene Einwand — der sich insoweit mit der allgemeinen Ausrichtung des klägerischen Vorbringens erklären läßt — nur im Falle eines oligopolistischen Marktes klassischen Typs gelten, das heißt dort, wo eine enge gegenseitige Abhängigkeit zwischen Herstellern homogener Erzeugnisse vorliegt. Wie wir gesehen haben, führt aber die Untersuchung des Farbstoffmarkts zu der Annahme, daß dieser Markt Besonderheiten aufweist, die in mehr als einem Punkte vom typischen Schema des Oligopols abweichen. Ist es nicht auffällig festzustellen, daß bei den Preiserhöhungen der Jahre 1965 und 1967 jedesmal ein anderer Preisführer auftritt, zuerst die BASF, dann Geigy? Kann man da nicht auf den Gedanken kommen, daß der Anstoß zu der Preisentscheidung in der Weise geregelt worden sei, daß einmal der eine und dann der andere Hersteller die Erhöhung auslösen sollte? Falls ein solches Vorgehen nachweisbar wäre, würde es ohne Zweifel als solches eine Abstimmung darstellen, jedoch haben die Ermittlungen nichts derartiges ergeben. Oder kann man die Erklärung für diese abwechselnde Preisführerschaft nicht vielmehr darin suchen, daß angesichts der Abriegelung der nationalen Märkte die Preisführung natürlicherweise bei einem der Unternehmen lag, die einen Großteil ihrer Produktion auf die benachbarten Märkte ausführen, was sowohl für die BASF als auch für Geigy zutrifft?

Gewiß findet diese zweite Annahme ebensowenig wie die erste eine einwandfreie Stütze in den Akten. Im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang des Falles halte ich sie jedoch für wahrscheinlicher.

Wie dem auch sei, Sie brauchen sie sich nicht zu eigen zu machen, wenn ich Sie davon zu überzeugen vermochte, daß schon allein der Mechanismus der Erhöhungen von 1965 und 1967 das Vorliegen einer Abstimmung offenbart. Wenn Sie in diesem Punkte noch Zweifel hegen sollten, so ergeben sich aus den besonderen tatsächlichen Umständen, unter denen diese Erhöhungen durchgeführt worden sind, ebenfalls gewichtige Indizien. Diese Indizien sind am zahlreichsten und stimmen am weitesten miteinander überein bei der im Jahre 1967 vorgenommenen Erhöhung. Erinnern wir uns: Am 18. August 1967 findet in Basel am Sitz der Firma Sandoz eine Sitzung statt, an der Vertreter sämtlicher klagenden Firmen außer der ACNA teilnehmen. Man besitzt freilich kein Protokoll von dieser Sitzung, doch ist eines sicher: Der Vertreter der Firma Geigy kündigt deren Absicht an, den Preis der löslichen Anilinfarbstoffe vor Ende des Jahres zu erhöhen, und aus den Akten ergibt sich, daß diese Absicht sehr klar formuliert worden ist; es handelte sich um eine Erhöhung von 8 % ab 18. Oktober 1967.

Die Vertreter von Bayer und Francolor kündigen an, daß ihre Firmen ebenfalls eine Erhöhung beabsichtigen.

Gewiß beweist nichts zwingend, daß diesen Erklärungen eine Beratung gefolgt sei, in der gegenseitige Verpflichtungen eingegangen worden wären. Da damals das Problem der Farbstoffpreise und der Ertragslage der Unternehmen sämtliche Herstellerfirmen mit großer Sorge erfüllte, ist es jedoch wenig wahrscheinlich, daß es zu diesem Punkte nicht wenigstens eine Aussprache gegeben haben sollte.

Sogleich nach der Sitzung von Basel beginnt für sämtliche Gesellschaften eine Zeit verstärkter Tätigkeit im Hinblick auf die Durchführung der beabsichtigten Preiserhöhung. Die Vertreter der Unternehmen auf der Sitzung von Basel geben ihren jeweiligen Unternehmensleitungen einen Lagebericht; zwei Sonderfälle werden während dieser Zeit geregelt: Für Frankreich, wo sie wegen der Preiskontrolle die Erhöhungen von 1964 und 1965 nicht vornehmen konnte, beschließt die Firma Francolor zum Ausgleich eine Anhebung um 4 % zusätzlich zu der allgemeinen Preiserhöhung von 8 %; in Italien widersetzt sich die Firma ACNA wegen der Rezession auf dem Inlandsmarkt der Erhöhung, erklärt sich aber dazu be reit, diese auf anderen Märkten durchzuführen, besonders auf dem belgischen und dem französischen Markt.

So wird die Erhöhung, die nach dem ursprünglichen Plan auf allen Märkten der Gemeinschaft einheitlich 8 % betragen sollte, den Sonderfällen Frankreichs und Italiens angepaßt.

Auch schließt sich die Firma BASF, die eine stärkere Anhebung gewünscht haben soll, offenbar letztlich doch dem Steigerungssatz von 8 % an.

Auf jeden Fall kündigen am 19. September 1967 sämtliche einen Monat zuvor in Basel vertreten gewesen Unternehmen eine Erhöhung um 8 %, Francolor eine solche um 12 %, ab 16. Oktober 1967 an.

Schließlich tritt diese Erhöhung in fast sämtlichen Fällen — Italien selbstverständlich ausgenommen — an dem Tage in Kraft, der in Basel angekündigt und am 19. September bestätigt worden war, das heißt am 16. Oktober.

Kann eine so perfekte Angleichung im Ablauf der Maßnahmen mit einem bloßen gegenseitigen Informationsaustausch erklärt werden, den übrigens die betroffenen Firmen nicht bestreiten? Ich meinerseits glaube, daß die Preiserhöhung ohne eine echte Abstimmung nicht unter solchen Umständen durchzuführen gewesen wäre.

In diesen Umständen sind somit Indizien zu finden, die nach meiner Ansicht geeignet sind, nicht nur das Vorliegen dieser Abstimmung zwischen Geigy und den einzelnen übrigen betroffenen Firmen zu beweisen, sondern darüber hinaus auch das einer Abstimmung dieser Firmen untereinander sowohl hinsichtlich der Entscheidung, die sie angesichts der vom Preisführer angekündigten Absicht zu treffen hatten, als auch hinsichtlich der Art und Weise, in der sie sich der Entscheidung des Preisführers anschlossen.

Der Fall Italiens ist insoweit aufschlußreich. Da sich die Firma ACNA weigerte, sich der Abstimmung anzuschließen, wurde der italienische Markt von den Erhöhungen ausgenommen; die anderen Unternehmen zogen aus dieser Weigerung die Folgerungen; andererseits erklärte sich die ACNA damit einverstanden, ihre Preise auf dem französischen und dem belgischen Markt heraufzusetzen.

Was die Erhöhung vom Jahre 1965 angeht — die wie gesagt darin bestanden hat, die vom Jahre 1964 auf Deutschland auszudehnen und den Preis der von der Erhöhung des Jahres 1964 nicht betroffenen Produkte, das heißt im wesentlichen der nicht löslichen Pigmente, um 10 % anzuheben — so weist die Art und Weise ihrer Durchführung eine starke Ähnlichkeit mit der der Erhöhung vom Jahre 1967 auf.

Sie wird von der BASF lange Zeit im voraus am 14. Oktober 1964 angekündigt; die Firma Bayer äußert am 30. Oktober die gleiche Absicht, ebenso die Firma Cassella am 5. November. Beschlossen und durchgeführt wird die Erhöhung letztlich erst nach Ablauf einer Frist, die derjenigen vergleichbar ist, die im Jahre 1967 zwischen der Sitzung von Basel und der eigentlichen Durchführung der Erhöhung verflossen ist; denn für sämtliche Gesellschaften wird die Entscheidung erst am 28. Dezember getroffen und tritt am 1. Januar 1965 in Kraft. Während der Monate November und Dezember werden zwei Sonderfälle geregelt: Zunächst hat der Widerspruch der Firma ACNA zur Folge, daß der italienische Markt auch schon dieses Mal von den für die übrigen Märkte geplanten Preiserhöhungen ausgenommen wird; ferner verhindert, wie Sie wissen, der Preisstopp in Frankreich jegliche Erhöhung in diesem Lande. Schließlich liegt wie bei der Erhöhung vom Jahre 1967 eine perfekte zeitliche Angleichung vor, und es gibt auch nicht die geringste Ungleichheit oder Abweichung in der Art und Weise der Durchführung. Daher glaube ich aus Gründen, die den bereits oben entwickelten entsprechen, daß die Preiserhöhung vom Jahre 1965 auf der gleichen Abstimmung beruht wie die des Jahres 1967.

2. Die Preiserhöhung von 1964

Wenn ich mich nicht an den zeitlichen Ablauf der aufeinander folgenden Preiserhöhungen gehalten habe, so deshalb, weil die Akten über die erste Erhöhung, die im Januar 1964 stattfand, nicht so viel Informationen enthalten wie über die nachfolgenden.

Wir kennen nur die Umstände, unter denen diese Erhöhung zwischen dem 13. und 20. Januar durchgeführt worden ist; wir wissen auch, daß sie von der Firma Ciba ausgelöst worden ist, die wahrscheinlich Ende 1963 oder in den ersten Tagen des Jahres 1964 ihre italienische Tochtergesellschaft angewiesen hat, die Preise für die meisten Anilinfarbstoffe mit Ausnahme einiger Erzeugnisse, insbesondere der Pigmente, um 15 % zu erhöhen.

Dagegen wissen wir nicht, wann und unter welchen Umständen der Preisführer diese Erhöhung angekündigt hat, und, ebensowenig kennen wir die Reaktionen der übrigen Hersteller, von denen wir nur wissen, daß sie sich — außer auf dem deutschen und dem französischen Markt — der Erhöhung angeschlossen haben.

Es ist demnach nicht möglich zu behaupten, daß bereits in diesem ersten Fall der Mechanismus angewandt worden sei, den wir in den folgenden Fällen beobachten konnten.

Dieser Mangel an Informationen wjrd mich jedoch nicht dazu bringen, den Vorwurf der Abstimmung hinsichtlich der Preiserhöhung von 1964 fallen zu lassen. Nur nebenbei möchte ich bemerken, daß die Lückenhaftigkeit der Akten ganz offensichtlich daher rührt, daß die Kommission damals noch nicht auf den Plan gerufen worden war und sich infolgedessen a fortiori nicht hatte informieren können. Als später Nachforschungen angestellt wurden, wäre es wohl nicht leicht gewesen, mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg den Indizien für eine Abstimmung nachzuspüren, von der angenommen wird, daß sie in den letzten Monaten des Jahres 1963 getroffen worden ist.

Ich will deshalb versuchen, Sie allein aufgrund der Tatsachen zu überzeugen, die sich aus den Akten ergeben.

Welches sind diese Tatsachen?

Was die Zeitpunkte der Durchführung der Erhöhung betrifft, so steht fest, daß Ciba-Italien am 7. Januar die Preise für Anilinfarbstoffe, ausgenommen Pigmente, Lebensmittel- und Kosmetikfarbstoffe, mit Wirkung vom gleichen Tage um 15 % anhebt. Die anderen Hersteller brauchen zwei bis drei Tage, um zu reagieren. Die Firma ICI-Holland kündigt die Erhöhung am 9. Januar an und nimmt sie auch am gleichen Tage vor. Am Abend des 9. Januar weisen sämtliche Hersteller ihre Vertreter in Italien an, die Preise zu erhöhen. Bayer erteilt am gleichen Tage ihrer Tochtergesellschaft in Belgien Weisung, die gleiche Anhebung für die gleichen Erzeugnisse vom 10. Januar an vorzunehmen. Ebenfalls am 10. Januar beschließt die Firma ACNA die Erhöhung in Italien; am 13. Januar dehnt sie sie auf Belgien aus. Am 13. Januar schließlich gibt Sandoz-Schweiz der Tochtergesellschaft Sandoz-Italien die notwendigen Weisungen für die Durchführung der Erhöhung, die sie ihr durch eine Mitteilung vom 9. Januar angekündigt hatte.

Was die Art und Weise der Preisanhebung angeht, so findet derselbe Steigerungssatz Anwendung; dieser gilt mit wenigen Ausnahmen für die gleichen Erzeugnisgruppen. Wenn gewisse, übrigens von zwei der Klägerinnen, Bayer und Geigy, erwähnte Abweichungen festgestellt worden sind, und zwar sowohl hinsichtlich der Erzeugnisse, für welche die Preiserhöhung gelten sollte, als auch in bezug auf die Art und Weise, in der diese den Kunden gegenüber durchgeführt werden sollte, so sind diese doch geringfügig und können die feststehenden und in mancher Hinsicht verblüffende Ähnlichkeiten nicht ernsthaft in Frage stellen, die man zwischen den Weisungen einiger Muttergesellschaften an ihre Töchter oder Vertreter entdeckt. Die Kommission sieht hierin geradezu einen der Beweise für die Abstimmung. Ohne diese Ansicht uneingeschränkt zu teilen, muß man anerkennen, daß die fast wörtliche Übereinstimmung einiger dieser durch Fernschreiben übermittelten Weisungen nicht nur in den Daten, Steigerungssätzen und betroffenen Erzeugnisgruppen, sondern auch hinsichtlich des Verhaltens gegenüber den Kunden ein zusätzliches, nicht zu vernachlässigendes Indiz darstellt. Die Beklagte meint noch, es sei undenkbar, daß die Beteiligten eine einheitliche Erhöhung so schnell hätten durchführen können, wenn sie sich nicht im voraus darüber abgestimmt hätten. Dieses Argument ist nicht ohne Wert, doch kann man ihm entgegenhalten, daß die Schnelligkeit, mit der die Gesellschaften reagiert haben, ganz im Gegenteil gegen die Annahme einer Abstimmung ins Feld geführt werden könnte, die notwendigerweise eine gewisse Frist erfordert.

Jedoch ist der Gedanke nicht abwegig, daß die Weisungen an die Tochtergesellschaften und Vertreter nur der Schlußstein eines Verfahrens waren, von dem mit guten Gründen angenommen werden kann, daß es einige Wochen früher in Gang gesetzt worden ist. Während bei den Preiserhöhungen von 1965 und 1967 sämtliche Phasen klar zutage liegen, sehen wir bei der des Jahres 1964 nur den aufgetauchten Teil des „Eisbergs“. Dies kann auch damit erklärt werden, daß das Verfahren der Abstimmung sich sozusagen mit der Zeit eingespielt hat und seine vollkommene Form erst bei der letzten Erhöhung vom Jahre 1967 gefunden hat.

3. Der Beweis der Abstimmung

Aber ich will mich nicht mit diesen letzten Endes zweitrangigen Punkten aufhalten. Noch aus einer anderen Überlegung heraus nehme ich an, daß noch vor der Erhöhung vom Jahre 1964 eine Abstimmung erfolgt ist. Ich glaube, daß sich diese von den auf sie gefolgten Abstimmungen nicht trennen läßt, daß alle zusammen die Bestandteile einer Strategie sind, an der sich die Hersteller mit vollem Bewußtsein beteiligt haben. Steht denn nicht fest, daß 1965 diese Anhebung um 15 % vom Jahre 1964 auf Deutschland ausgedehnt wurde, das ein Jahr früher davon ausgenommen blieb? Ist nicht nachgewiesen, daß im Jahre 1965 außerdem die Erhöhung um 10 % für diejenigen Farbstoffe und Pigmente galt, die von der ersten Preiserhöhung ausgeschlossen waren, d. h. daß sie den Anwendungsbereich der Erhöhung erweitert hat? Und daß im Jahre 1967 eine zweite Preisanhebung für alle Farbstoffe beschlossen worden ist, und zwar dieses Mal unter Einbeziehung des französischen Marktes, der wegen des Stabilisierungsplanes von den Erhöhungen ausgeschlossen worden war?

Diese Stetigkeit im Vorgehen überzeugt mich davon, daß der Abstimmung ein gemeinsamer Plan zugrunde lag. Infolgedessen stellen die im übrigen geringfügigen Abweichungen im „modus operandi“ die Einheit und das ununterbrochene Fortbestehen dieses Planes nicht in Frage. Liegt es des weiteren nicht in der Natur der Sache, daß die Hersteller bei Preiser höhungen mit aufeinanderfolgenden abgestuften Anhebungen arbeiten, sei es auch nur, um die auf einen Schlag erfolgende plötzliche Anhebung um einen übermäßigen Satz zu vermeiden, um zu versuchen, die Reaktionen der Kunden zu mildern und schließlich um sich vor der weiteren Ausführung ihres Planes zu vergewissern, daß die Anwendung der ersten Stufe der Erhöhung die angestrebten Ziele erreicht und keine mißliche Folgen nach sich gezogen hat?

Ich komme daher mit aller Entschiedenheit zu dem Ergebnis, daß die drei Erhöhungen der Jahre 1964, 1965 und 1967 eine einzige abgestimmte Verhaltensweise ausmachten.

Zwei weitere Fragen harren noch der Prüfung, bevor entschieden werden kann, daß dieses abgestimmte Verhalten die angefochtene Entscheidung zu rechtfertigen geeignet war.

Vierter Ab schnitt

Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs

A — Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages auf die abgestimmte Verhaltensweise

Für die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages ist weiter erforderlich, daß die Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen „eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken“.

Was die Vereinbarungen betrifft, so haben Sie den Ausdruck „bezwecken oder bewirken“ in dem Sinne ausgelegt, daß das Bezwecken allein schon genügt, damit die Voraussetzung erfüllt ist, ohne daß es notwendig ist, die tatsächlichen Auswirkungen zu untersuchen, die eine Vereinbarung auf den Wettbewerb haben konnte (Urteil vom 13. Juli 1966, verbundene Rechtssachen 56 und 58/64, Grundig/Consten, Slg. 1965, 321).

Ein Teil der Lehre mißt jedoch bei der Bestimmung des Begriffes der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen den objektiven Merkmalen eine besondere Bedeutung bei und meint, daß diese Verhaltensweise tatsächlich konkret zur Verfälschung des Wettbewerbs geführt haben muß, um unter den Artikel 85 zu fallen.

Generalanwalt Gand scheint in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache Chemiefarma derselben Richtung zugeneigt zu haben. Ihm zufolge „brauchen bei der Anwendung von Artikel 85 die tatsächlichen Auswirkungen (einer Vereinbarung) nicht berücksichtigt zu werden. Das ist zweifellos anders bei einer abgestimmten Verhaltensweise, die nach herrschender Meinung voraussetzt, daß die Abstimmung sich konkret äußert, so daß sowohl ein tatsächliches Verhalten der Beteiligten als auch ein Zusammenhang zwischen diesem Verhalten und einem vorher gefaßten Plan nachgewiesen werden muß“ (Slg. 1970, 719).

Ich habe bereits durchblicken lassen, daß meine Meinung von der hiermit, zum Ausdruck gebrachten nicht stark abweicht.

Wäre es möglich, weiter zu gehen und nicht nur auf das Ergebnis, die tatsächliche Auswirkung der Verhaltensweise abzustellen, sondern auch auf ihre mögliche Auswirkung? Ohne Zweifel könnte die Annahme eigenartig anmuten, daß eine abgestimmte Verhaltensweise, die entgegen der Absicht der Teilnehmer wegen außerhalb des Einflusses dieser letzteren liegender Umstände tatsächlich keine Auswirkung auf den Wettbewerb gehabt hat, nicht unter Artikel 85 falle; ich bin versucht anzunehmen, daß in einem solchen Falle der Versuch oder der bloße Beginn der Ausführung ausreichen würde, um die Anwendung des Paragraphen 85 Absatz 1 zu rechtfertigen.

B — Die Folgen der abgestimmten Verhaltensweise für den Wettbewerb

Wenn Sie aber meine Meinung teilen, dann werden Sie sich nicht zu dieser Frage zu äußern haben, denn im vorliegenden Falle hat die strittige abgestimmte Verhaltensweise gleichzeitig eine konkrete Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckt und bewirkt.

Welches sind die tatsächlichen Folgen der Preiserhöhungen für Farbstoffe gewesen?

Will man den Klägerinnen glauben, so sind diese Folgen schon allein wegen der Struktur des Farbstoffmarktes sowie der gegenüber den Verbrauchern üblichen Verkaufspraktiken gleich Null gewesen. Diese Behauptung ergibt sich natürlich aus der allgemeinen These, der wir bereits dort begegnet sind, wo es um die Erklärung des parallelen Verhaltens der Unternehmen ging. Hier jedoch kann sie überraschen, da fast alle Klägerinnen gleichzeitig vortragen, auf dem Markt habe ein lebhafter Wettbewerb zwischen den Verkäufern geherrscht. Es handelt sich indessen nur um einen scheinbaren Widerspruch. Gestützt auf die Sachverständigengutachten machten die Klägerinnen geltend, das Preisniveau sei nicht das einzige — ja nicht einmal das wichtigste — Element dieses Verteilerwettbewerbs. Diese Feststellung ist nicht unrichtig; die Professoren Kloten und Albach haben sie selbst getroffen; Lieferfähigkeit und Lieferfristen, Qualität der Erzeugnisse, technischer Kundendienst und Garantieübernahme gegenüber den Kunden, die bis zur Versicherung für Schäden geht, die durch die Verwendung von Farbstoffen mangelhafter Qualität verursacht werden könnten, sind tatsächlich Faktoren, auf welche die Käufer, die industriellen Verbraucher, großen Wert legen; dies leugnet Professor Kantzenbach nicht. Doch sei mir gestattet zu bemerken, daß diese Wettbewerbsfaktoren weiterbestehen, wie auch immer das allgemeine Preisniveau sein mag, zumindest wenn die Preisänderungen allgemein und zu einem einheitlichen Steigerungssatz erfolgen. Diesen Wettbewerbsfaktoren würde nur bei unterschiedlichen Preiserhöhungen eine ausschlaggebende Rolle zukommen.

Gerade dies suchen übrigens die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen darzutun, die Listen der Grundpreise würden nicht veröffentlicht, daher spiele sich der Verkaufspreiswettbewerb über Rabatte ab, die bestimmten Käufern individuell zugestanden würden; infolgedessen könne eine Preisanhebung um einen einheitlichen Prozentsatz diese Form des Wettbewerbs nicht beeinträchtigen, da ja die Preise in Wirklichkeit differenziert blieben. Somit hätten die linearen Erhöhungen keine Auswirkungen auf die wirklichen Preise, was übrigens die Tendenz zu der tatsächlichen Aushöhlung der Preise bestätige, die trotz der linearen Erhöhungen im Laufe des Zeitraums zwischen 1964 und 1967 auf dem Farbstoffmarkt insgesamt festzustellen gewesen sei. Angesichts dieser Beweisführung könnte man sich dann fragen, warum die Hersteller zu solchen Erhöhungen geschritten sind, wenn sich die wirklichen Verkaufspreise nach ihrer Behauptung im allgemeinen, wenn nicht sogar ausnahmslos, nach den Rabatten bestimmen, welche die Händler gewähren, um einen Kunden zu behalten oder neu zu gewinnen.

Ich halte die These aber nicht für begründet:

Zunächst, sind die Rabattverkäufe in der Praxis so weit verbreitet, wie man uns sagt? In den Akten finde ich dafür keinerlei Bestätigung. Es hat ganz im Gegenteil den Anschein, daß in der Regel eine Tochtergesellschaft, also ein Händler, einen Rabatt nur mit Genehmigung der Muttergesellschaft gewähren darf. Dies ergibt sich zumindest aus einigen Fernschreiben, die Weisungen enthalten. Man kann sich schlecht vorstellen, daß ein solches System auf alle oder fast alle Verkäufe Anwendung finden könnte.

Für einige Firmen verfügen wir übrigens über Zahlenangaben: Dies gilt für die Firma Bayer, für welche die Zahl der eingeräumten individuellen Rabatte auf 1500 pro Jahr geschätzt wird (Gutachten Kloten und Albach, S. 29, Tz. 50). Was die Firma ICI angeht, so ist sie im Jahre 1967 mit 689 Rabattforderungen befaßt worden, wovon sie 429 stattgegeben hat (Memorandum der ICI über die Farbstoffindustrie in Europa, S. 14). Diese Zahlen erscheinen sehr klein im Verhältnis zur Gesamtzahl der Verkäufe der gleichen Gesellschaften. Bayer soll etwa 5000 Abnehmer auf dem Gemeinsamen Markt haben (Kloten und Albach, S. 30, Tz. 52). Selbst wenn man davon ausgeht, daß bestimmte Kunden regelmäßig in den Genuß von Rabatten gelangen, läge ihre Zahl unter einem Drittel der Gesamtkundschaft. Bei ICI ermißt man die verschwindend geringe Bedeutung der gewährten Rabatte, wenn man die Größe dieser Firma berücksichtigt.

Übrigens bleibt ungeachtet der relativen Bedeutung der Rabattverkäufe die Tatsache bestehen, daß die Rabatte nur eingeräumt werden können in Beziehung zum Referenzpreis, zu einem Grundpreis. Daher müssen auch Preiserhöhungen um einen einheitlichen Prozentsatz auf einem nicht transparenten Markt, auf dem es unmöglich wäre, die Rabatte nach den von einem Konkurrenten eingeräumten auszurichten, zwangsläufig einen Einfluß auf die wirklichen Preise ausüben. Es sei noch hinzugefügt, daß die einheitliche Erhöhung eine Abschreckungswirkung auf den Käufer nicht verfehlen wird, indem sie ihn entmutigt, die Beibehaltung des früher gewährten Rabatts zu verlangen, daß sie aber auch eine Überraschungswirkung haben kann, indem sie ihn psychologisch darauf vorbereitet, mit einem verringerten Rabatt vorliebzunehmen.

Wenn endlich die linearen Erhöhungen um einen einheitlichen Prozentsatz nicht die Wirkung gehabt haben, jeden Wettbewerb zu beseitigen, so haben sie doch unbestreitbar bezweckt und bewirkt, diesen Wettbewerb in den Grenzen zu halten, in denen er sich zuvor abspielte. Die Hersteller haben eine Art Versicherung gegen das Risiko erhalten, daß dieser Wettbewerb zunehmen und vor allem daß die auf den abgeriegelten nationalen Märkten erlangten Positionen und das dort verwirklichte Gleichgewicht wieder in Frage gestellt werden könnte.

Daher gelange ich aufgrund dieser Untersuchung zu der Ansicht, daß die linearen Erhöhungen auf den Wettbewerb eine konkrete Auswirkung gehabt haben, die unterschiedliche, nicht abgestimmte Preiserhöhungen nicht gehabt hätten. Ich glaube außerdem, eine Bestätigung dieser Auffassung in der besonderen Lage auf einigen Märkten zu finden.

C — Sonderfall der Gesellschaft ACNA

Ein kleiner Zwischenfall, bei dem sich in der mündlichen Verhandlung auf der einen Seite einer der Bevollmächtigten der Kommission und auf der anderen einer der Vertreter der klagenden Firmen gegenübergestanden haben, hat zu wichtigen Verdeutlichungen in diesem Punkte Gelegenheit gegeben. Der Vertreter der Kommission hat sich veranlaßt gesehen vorzutragen, daß der Umsatz der Firma ACNA auf dem deutschen Markt sich während der auf die Erhöhung vom 1. Januar 1965, an der teilzunehmen sich diese Firma geweigert hatte, folgenden Monate beträchtlich ausgeweitet hat. Ihr Umsatz auf diesem Markte hatte sich im Jahre 1964 auf 64 Millionen Lire belaufen; für die ersten vier Monate des Jahres 1965 nun hat er 97 Millionen Lire erreicht, und die Kommission schätzt den Handel der Firma ACNA mit Deutschland für das gesamte Jahr 1965 auf beinahe 300 Millionen Lire. Entsprechendes ist nach der Preiserhöhung vom Jahre 1967 beobachtet worden.

Die Klägerinnen haben auf dieses Vorbringen nicht geantwortet. Sie haben sich mit der Behauptung begnügt, die Kommission könne sich in der mündlichen Verhandlung nicht auf ein Beweismittel stützen, das sie im schriftlichen Verfahren nicht vorgebracht hatte. Diese Unzulässigkeitseinrede kann nicht durchgreifen. Denn nicht die Kommission, sondern eine der Klägerinnen hat in der mündlichen Verhandlung ein übrigens in ihren Schriftsätzen nicht vorgetragenes Argument geltend gemacht, mit dem sie zu beweisen suchte, daß die Firma ACNA hinsichtlich des Umfanges ihrer Verkäufe keinerlei Vorteil aus ihrer Nichtteilnahme an der Erhöhung vom Jahre 1965 gezogen habe. Und um auf dieses neue Vorbringen zu antworten, hat der Bevollmächtigte der Kommission die soeben wiedergegebenen Tatsachen vorgetragen. Für die Kommission als Beklagte war es sicherlich zulässig, alles ihr sachdienlich Erscheinende anzuführen, um ein neues Vorbringen der Klägerinnen zu widerlegen.

Die sachliche Richtigkeit dieses Tatsachenvortrags ist nicht ausdrücklich bestritten worden. Die Kommission hat für die Erhöhung vom Jahre 1965 angegeben, daß die von ihr herangezogenen Feststellungen dem stenographischen Bericht über die Erklärungen entstammten, die der kaufmännische Direktor der ACNA im Juli 1965 einem der Prüfungsbeamten der Kommission gegenüber abgegeben habe. Für die Preiserhöhung vom Jahre 1967 hat die Kommission sich zu entsprechenden Angaben erboten. Dies alles muß meines Erachtens als zutreffend angesehen werden. Es ist, wie mir scheint, äußerst wichtig für die Würdigung der Auswirkungen der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf den Wettbewerb. Wenn das einzige Unternehmen, das bestimmte Erhöhungen nicht mitgemacht hat, imstande war, seine Verkäufe auf einem Markte auszudenen, auf dem die anderen Firmen ihre Preise einheitlich heraufgesetzt hatten, so zielte das Verhalten dieser anderen Firmen sehr wohl darauf ab, den Wettbewerb in gewissen Schranken zu halten, über die sie nicht hinauszugehen wünschten. Das Verhalten der Firma ACNA und der Vorteil, den sie übrigens daraus gezogen hat, sind besonders aufschlußreich und bestätigen meine Ansicht von der tatsächlichen Auswirkung der abgestimmten Verhaltensweise.

Fünfter Abschnitt

Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten

Es ist nunmehr zu prüfen, ob diese abgestimmte Politik geeignet war, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wie es Artikel 85 Absatz 1 verlangt. Diese Frage muß bejaht werden.

Zunächst steht fest, daß die abgestimmte Verhaltensweise sich auf die Märkte mehrerer Mitgliedstaaten erstreckt hat, und zwar aller, ausgenommen Frankreich bis zum Jahre 1967, Deutschland für die Erhöhung vom Jahre 1964 und Italien für die vom Jahre 1967. Reicht dieser Umstand allein schon aus, um darzutun, daß diese abgestimmte Verhaltensweise geeignet war, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen? Die Kommission glaubt dies und ergreift somit Partei für die These, wonach der Begriff „beeinträchtigen“ einen neutralen Sinn hat und nur den Anwendungsbereich des EWG-Kartellrechts gegenüber dem der nationalen Rechte abgrenzen soll. Ihrem Urteil Grundig ist aber meines Erachtens zu entnehmen, daß Ihre Auslegung nuancierter ist. Gewiß ist die Tatsache, daß eine Vereinbarung geeignet war, Auswirkungen zu haben, oder, mutatis mutandis, daß eine abgestimmte Verhaltensweise in mehreren Mitgliedstaaten Auswirkungen gehabt hat, eine notwendige Voraussetzung dafür, daß diese Vereinbarung oder Verhaltensweise als den Handel zwischen diesen Staaten beeinträchtigend angesehen werden kann. Ist sie aber auch eine ausreichende Voraussetzung? Um die Worte Ihres Urteils Grundig aufzugreifen, muß noch untersucht werden, ob die Vereinbarung „unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann“. Im Hinblick hierauf behaupten die Klägerinnen, es habe keinen gemeinsamen Farbstoffmarkt, sondern ausschließlich scharf voneinander abgegrenzte und getrennte nationale Märkte gegeben, zwischen denen der Warenstrom „zementierten Absatzwegen“ gefolgt sei (Gutachten Kantzenbach, S. 14, Nr. 18). Die Verbraucher kauften ausschließlich bei den nationalen Wiederverkäufern, die Tochtergesellschaften oder Vertreter der Hersteller seien. Da der Farbstoffmarkt somit bereits vor den Preiserhöhungen vom Jahre 1964 ein streng abgeschotteter Markt gewesen sei, hätten folglich diese Erhöhungen und die abgestimmte Verhaltensweise, die ich für nachgewiesen halte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen können.

Auf diese Beweisführung will ich ebenso antworten, wie ich es bereits hinsichtlich der Auswirkungen auf den Wettbewerb getan habe: Es mag angenommen werden können, daß die Abschottung des Farbstoffmarktes nicht durch die abgestimmte Politik der Hersteller herbeigeführt worden ist; dennoch bleibt aber die Tatsache bestehen, daß die abgestimmten Erhöhungen diese Abschottung aufrechterhalten haben, die durch eine nicht abgestimmte Haltung hätte in Gefahr geraten können. Die streitige Verhaltensweise hat also auch hier die Aufgabe einer Versicherung erfüllt, welche die Hersteller gegen das Risiko der Entstehung neuer innergemeinschaftlicher Handelsströme und der Beseitigung künstlicher Gleichgewichte decken sollte. Auch dies bestätigt der Sonderfall der Firma ACNA: Dadurch, daß sie sich weigerte, sich der allgemeinen Erhöhung vom 1. Januar 1965 anzuschließen, konnte diese Firma den Umfang ihrer Lieferungen nach Deutschland erweitern. Die allgemeine einheitliche Anhebung der Preise hat also den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, da die bloße Tatsache, daß sie ein Hersteller nicht mitgemacht hat, im vorliegenden Fall eine Zunahme des Farbstoffhandels zwischen Italien und Deutschland zur Folge hatte und damit die erheblichen Preisunterschiede von einem Land zum anderen in Frage gestellt hat.

Die abgestimmte Verhaltensweise hat letztlich die Verwirklichung eines einheitlichen Farbstoffmarktes innerhalb der Gemeinschaft verhindert.

Im Endergebnis sind vorliegend sämtliche nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderlichen Voraussetzungen gegeben.

Ich könnte es hier mit meinen Ausführungen über den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bewenden lassen. Zwei Bemerkungen scheinen mir aber noch gemacht werden zu müssen:

1.

Ich bin, wie gesagt, der Ansicht, daß tatsächlich nur eine einzige abgestimmte Verhaltensweise vorgelegen hat und daß die einzelnen Preiserhöhungen, in denen diese Verhaltensweise zum Ausdruck gekommen ist, von einem Gesamtplan nicht zu trennen sind. In dieser Hinsicht werden Sie vielleicht meinen, daß ich mich mit der Annahme dieser einzigen abgestimmten Verhaltensweise etwas von der Begründung der angefochtenen Entscheidung entferne, da ja die Kommission von drei voneinander getrennten Erhöhungen ausgegangen ist. Ich meine aber, Ihre Befugnisse im Bereich der unbeschränkten Rechtsprechung gestatten Ihnen diese Feststellung, und nichts hindert Sie, sich diese Betrachtungsweise zu eigen zu machen, wenn der Sachverhalt so gesehen werden kann, wie ich es darzustellen versucht habe.

2.

Meine Überzeugung davon, dal? die Kommission Artikel 85 rechtlich richtig angewandt hat, indem sie das Vorliegen einer nach diesem Artikel verbotenen abgestimmten Verhaltensweise bejaht hat, veranlaßt mich, kurz auf einige Einwände allgemeiner Art zu entgegnen, welche die klagenden Gesellschaften gegen die angeblich gefährlichen Folgen einer solchen Lösung für ihre Geschäftsführung und ihre Tätigkeit überhaupt vorbringen.

Sie behaupten, jede wirtschaftlich vernünftige Preispolitik werde unmöglich:

Wie könne ein Preisführer die übrigen Unternehmen davon abhalten, sich seiner Entscheidung für eine Preiserhöhung anzuschließen?

Wie könnten diese dazu gezwungen werden, darauf zu verzichten?

Müßten sie ihrerseits die Erhöhung auf einen geringeren Satz begrenzen?

Diese Fragen sind in meinen Augen rechtlich nicht erheblich, und die angemeldeten Bedenken scheinen mir wenig begründet zu sein.

Ich meine, daß die Klägerinnen sich mit ihren Einwänden zu leicht über die Schlußfolgerungen der Professoren Kloten und Albach hinwegsetzen, die, wie erwähnt, von jedem Unternehmen selbständig beschlossene unterschiedliche Preiserhöhungen praktisch für möglich erachten.

Ohne auf diesen Punkt zurückzukommen, will ich bemerken, daß die Hersteller bei Zweifeln an der Vereinbarkeit der für die Zukunft beabsichtigten Preiserhöhungen mit dem Vertrag praktisch durch nichts daran gehindert waren, die Anwendung von Absatz 3 dieses Artikels zu beantragen und so vorbeugend mit der Kommission einen Dialog zu eröffnen, der vielleicht zu einer für sie annehmbaren und mit den Wettbewerbsbestimmungen in Einklang stehenden Lösung führen konnte. Übrigens haben Sie schon Gelegenheit gehabt zu zeigen, wie die wirtschaftlichen Gegebenheiten eines oligopolistischen Marktes mit den Vertragsbestimmungen in Übereinstimmung gebracht werden können. Die in Ihren Urteilen vom 18. Mai 1962, Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften, und vom 15. Mai 1964, Regierung der Niederlande, für die Preisabsprachen auf dem Kohle- und Stahlmarkt aufgestellten Grundsätze können sicherlich zu gegebener Zeit auf andere Märkte übertragen und diesen angepaßt werden.

Die in der mündlichen Verhandlung unternommenen Anstrengungen schließlich, Sie davon zu überzeugen, daß die Anwendung des Artikels 85 auf den vorliegenden Fall der Einführung eines dem Geist des Vertrages zuwiderlaufenden Dirigismus gleichkäme, haben mich in meiner Überzeugung durchaus nicht erschüttert. Ich glaube keineswegs, daß durch Artikel 85 oder die allgemeinen Vorschriften des Vertrages der Stab über den Bestand und die Funktionsmechanismen der oligopolistischen Märkte gebrochen worden ist. Ich will aber unverblümt sagen, daß gerade in diesen Wirtschaftsbereichen gewisse mißbräuchliche Praktiken die Verbraucher des Gemeinsamen Marktes aufs schwerste zu schädigen vermögen. Besteht nun aber eines der grundlegenden Ziele der Gemeinschaft nicht in der „stetige(n) Besserung der Lebensbedingungen“, und schließt dieses Ziel nicht notwendigerweise den Schutz der Verbraucher ein?

Es ist deshalb völlig gerechtfertigt, daß die Gemeinschaftsbehörden den Märkten besondere Aufmerksamkeit schenken, deren Gefüge und Funktionieren eine solche Gefahr begünstigen, und daß sie diese Märkte sorgsam überwachen.

Unter diesem Blickwinkel erscheint mir nach meinen Ausführungen über das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise die Rüge des Ermessensmißbrauchs im vorliegenden Falle völlig fehlzugehen, welche die Firma BASF mit der Begründung erhoben hat, die Kommission habe mit Hilfe der Vorschriften über die Ahndung verbotener Kartelle und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen „die Preispolitik beeinflussen“ wollen, während der Vertrag ihr keinerlei Befugnis zu einer Preispolitik zuerkenne.

Will die Klägerin lediglich die Meinung zum Ausdruck bringen, daß die Entscheidung der Kommission (angenommen, Sie sehen sie als mit Artikel 85 in Einklang stehend an) in Zukunft unter ähnlichen Bedingungen beschlossene und durchgeführte Preiserhöhungen verhindern könnte, so ist zuzugeben, daß dann die verhängten Geldbußen ihr Ziel erreicht hätten, das sowohl in der Vorbeugung als auch in der Strafe bestcht.

Sucht sie der Kommission als versteckten Beweggrund das Bestreben zu unterstellen, eine Preissenkung auf dem Farbstoffmarkt herbeizuführen, so will ich mich auf die Bemerkung beschränken, daß der Ermessensmißbrauch sich aus keinem einzigen Aktenstück ergibt und daß diese Behauptung lediglich eine sehr freie Auslegung der Gedanken der Kommission ist, für welche ich die Verantwortung der Klägerin überlasse.

Zweiter Titel

Kompetenz der Kommission, Gesellschaften, die ihren Sitz außerhalb des Gemeinsamen Marktes haben, Geldbußen aufzuerlegen

Von den Herstellerfirmen für Farbstoffe, die, wie ich mich nachzuweisen bemüht habe, an einer durch das Gemeinschaftsrecht verbotenen abgestimmten Verhaltensweise teilgenommen haben, sind drei — und nicht die unbedeutendsten — außerhalb des Gemeinsamen Marktes ansässig:

Die erste, Imperial Chemical Industries (Rechtssache 48/69), ist eine britische Gesellschaft mit Sitz in London;

die beiden anderen, Geigy (Rechtssache 52/69) und Sandoz (Rechtssache 53/69), haben ihren Sitz in Basel und sind Gesellschaften schweizerischen Rechts.

Was die Kompetenz der Kommission für diese Gesellschaften betrifft, ist die angefochtene Entscheidung wie folgt begründet:

„Diese Entscheidung ist für alle an den aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beteiligten Unternehmen verbindlich, mögen sie ihren Sitz innerhalb oder außerhalb des Gemeinsamen Marktes haben.“

Die Kommission zieht dann aus dem Wortlaut des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages die Folgerung, daß dessen Wettbewerbsregeln für alle Wettbewerbsbeschränkungen gelten, die im Gemeinsamen Markt die von Artikel 85 erfaßten Auswirkungen haben, und kommt zu folgendem Ergebnis: „Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Unternehmen, die derartige Wettbewerbsbeschränkungen verursachen, ihren Sitz innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft haben.“

Mit Begründungen, die einander recht ähnlich sind, bei denen jedoch gewisse Nuancen unterschieden werden müssen, sprechen die Firma Imperial Chemical Industries einerseits und die Firmen Geigy und Sandoz andererseits der Kommission ausdrücklich jede Kompetenz für diese Firmen ab. Die angefochtene Entscheidung stehe zu den nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, zum Vertrag von Rom selbst und auch zu den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Widerspruch.

Nach Ansicht der Klägerinnen, die den Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln strafrechtlichen Charakter zuschreiben, ist die Auffassung nicht haltbar, Artikel 85 Absatz 1 sei schon dann auf außerhalb des Gemeinsamen Marktes ansässige Unternehmen anwendbar, wenn deren Verhalten im Innern dieses Marktes Wirkungen erzeugt. Die Theorie von der „Auswirkung“ als einem Tatbestand, auf den sich eine Strafgewalt gründe, werde vom internen Recht der Staaten nicht anerkannt. Mehrere Staaten hätten sogar Rechtsvorschriften erlassen, um sich und ihre Staatsangehörigen dagegen zu schützen, daß wettbewerbsrechtliche Zwangsmaßnahmen, Anordnungen, ja sogar Untersuchungshandlungen ausländischer Behörden extraterritorial angewandt würden, Der Vertrag von Rom habe den Gemeinschaftsbehörden eine Kompetenz, Entscheidungen mit Verbots- oder Strafcharakter gegen außerhalb seines territorialen Anwendungsbereichs ansässige Unternehmen zu treffen, weder verliehen noch übrigens verleihen können. Dies gelte zumindest dann, wenn diese Unternehmen keinerlei Tätigkeit auf dem Gemeinsamen Markte ausüben. Auch wende die angefochtene Entscheidung das sogenannte Auswirkungsprinzip unrichtig an oder dehne es zumindest zu weit aus und verletze hierdurch das Völkerrecht.

Gestützt auf die Gutachten zweier hervorragender Völkerrechtsspezialisten, der Professoren R. Y. Jennings von der Universität Cambridge und Hans Huber, Mitglied des Schweizerischen Verfassungsausschusses, machen die britische und die schweizerischen Gesellschaften Ausführungen, die auf etwas verschiedenen Wegen zu übereinstimmenden Ergebnissen führen.

Die Firma Imperial Chemical Industries weist für ihren Teil darauf hin, daß der Generaldirektor für Wettbewerb in seinem Schreiben an sie vom 22. Januar 1968 die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 mit dem Verhalten der Klägerin auf dem Gemeinsamen Markte zu rechtfertigen gesucht habe. Ihre Tätigkeit habe aber, so entgegnet sie, im vorliegenden Falle darin bestanden, ihre Tochtergesellschaft im Gemeinsamen Markt aufgrund von cif-Verträgen mit Farbstoffen zu beliefern. Diese Verträge unterlägen dem englischen Recht, und die sich aus ihrem Abschluß ergebende Tätigkeit werde im Vereinigten Königreich ausgeübt. Zudem stelle die Kommission in ihrer Entscheidung nur noch auf die Auswirkungen des Verhaltens der Imperial Chemical Industries auf dem Gemeinsamen Mark ab. Sofern nicht im Recht der Staaten mit einem hinreichend entwickelten Rechtssystem allgemein anerkannt ist, daß die beanstandete Tätigkeit und ihre Auswirkungen den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen, sei es indessen irrig, allein wegen des Ortes, an dem die Auswirkungen eingetreten sind, anzunehmen, daß eine Strafgewalt sich auf im Ausland begangene Handlungen erstrecke, wenn diese im Innern eines bestimmten Hoheitsgebiets, hier auf dem Gebiet des Gemeinsamen Marktes, Auswirkungen gehabt haben. In der Lehre werde zudem nicht einhellig angenommen, daß dieses System auf das Wettbewerbsrecht anwendbar sei, und die zeitgenössische Staatenpraxis stehe den Versuchen entgegen, der Kartellgesetzgebung eine extraterritoriale Anwendung zu geben. Darüber hinaus habe die Gemeinschaft keine sich aus der Sache ergebenden Kompetenzen, sondern nur solche kraft Einzelzuweisung. Keine Vertragsbestimmung verleihe ihr eine extraterritoriale Kompetenz; Artikel 85 sei ganz im Gegenteil nur auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten anwendbar. Die Firmen Geigy und Sandoz tragen die gleiche völkerrechtliche Argumentation vor, fügen jedoch hinzu, selbst angenommen, das „Auswirkungsprinzip“ könne hilfsweise zur Begründung der Kompetenz der Kommission, ihnen gegenüber herangezogen werden, müsse man es zumindest mit einer wesentlichen Auswirkung und im konkreten Falle mit einem Umstand zu tun haben, der es vernünftigerweise rechtfertigen könne, das Verhalten der Gesellschaften unmittelbar mit den Wettbewerbsstörungen auf dem Gemeinsamen Markt in Zusammenhang zu bringen.

Erster Abschnitt

Die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung

Das Gemeinschaftsrecht

Zunächst will ich untersuchen, ob dem positiven Recht der Staaten innerhalb und außerhalb des Gemeinsamen Marktes ein Kriterium für die Anwendung der Wettbewerbsgesetze entnommen werden kann, das die Befugnisse der nationalen Behörden zu rechtfertigen vermag, Wettbewerbsbeeinträchtigungen, deren Auswirkungen auf ihrem Gebiet eintreten, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den Sitz der Urheber der Zuwiderhandlungen zu verbieten oder zu ahnden.

A —

a)

Das deutsche Gesetz vom Jahre 1957 enthält in § 98 Absatz 2 eine sehr klare Vorschrift über seinen Anwendungsbereich; es ist anwendbar „auf alle Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes …“ — d. h. im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland — „… auswirken, auch wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes veranlaßt werden“.

Wenn auch diese Bestimmung anscheinend so auszulegen ist, daß sie nur für diejenigen Auswirkungen gilt, die den Wettbewerb auf dem deutschen Markt unmittelbar beeinträchtigen, ist dieser Grundsatz dennoch festzuhalten.

b)

In Frankreich unterscheiden die Ordonnance vom 30. Juni 1945 über die Preise und die vom 25. September 1962 über den lauteren Wettbewerb zwischen der durch eine Monopolsituation oder eine offensichtliche Zusammenballung der wirtschaftlichen Macht gekennzeichneten beherrschenden Stellung, die auf dem inländischen Markt gegeben sein muß, und dem Kartellverbot, das keine derartige Einschränkung enthält.

Wiederholt hat die Commission technique des ententes (Technische Kartellkommission) bei ihrer vor jeder gerichtlichen Verfolgung obligatorischen Anhörung durch den Minister für Wirtschaft und Finanzen das Gesetz auf ausländische Unternehmen angewandt:

Stellungnahme vom 26. Mai 1956, Kartell der Glühlampenhersteller;

Stellungnahme vom 5. November 1960, französisch-belgisches Kartell für Verkehrswege-Baumaterialien, zu einer Marktaufteilungsvereinbarung;

Stellungnahme vom 17. Dezember 1960, Kartell zwischen Importeuren nordländischer Hölzer; es handelte sich um einen gegenseitigen Ausschließlichkeitsvertrag zwischen der Fédération française d'importation, die vier Fünftel des inländischen Marktes kontrolliert, und der Union des exportateurs des bois du nord et d'Amérique, einem schwedischen Verband;

Stellungnahme vom 20. März 1965, Kartell zwischen Steingutfliesenherstellern; es handelte sich um eine Vereinbarung, die sämtliche französischen und einen ausländischen Hersteller dieses Erzeugnisses betraf.

Somit hängt die Anwendbarkeit des französischen Gesetzes davon ab, daß die dem Wettbewerb oder der Wirtschaftsfreiheit zuwiderlaufende Auswirkung auf dem französischen Markt eintritt.

Übrigens vermeidet es die Commission technique des ententes sorgfältig, den Abschlußort der Vereinbarung zu erwähnen, womit gesagt ist, daß sie diesen nicht als ausschlaggebend ansieht. In diesem Zusammenhang muß auch noch die zweite Stellungnahme der Kommission vom 22. April 1966 zu dem Kartell in der Glühlampenindustrie erwähnt werden; dort wird das Verhalten der niederländischen Gesellschaft Philips auf dem französischen Markt als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung angesehen, obwohl dieses Verhalten zwangsläufig im wesentlichen in den Niederlanden beschlossen worden ist.

c)

Ob nun im Bereich der Kartelle oder des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung, Vergleichbares findet sich in den Gesetzen anderer Mitgliedsländer. Das Merkmal der territorialen Auswirkung ist im belgischen Gesetz vom 27. Mai 1960 gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht verwendet, dessen Artikel 1 auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Macht „im Hoheitsgebiet des Königreichs“ abstellt, einen Ausdruck, den Van Reepinghen und Waelbroeck wie folgt auslegen:

„Zur Anknüpfung an die belgische Gesetzgebung dient die Ausübung des beherrschenden Einflusses in Belgien. Die Staatsangehörigkeit der Inhaber der wirtschaftlichen Macht, der Abschlußort des Kartells oder der Sitz von dessen zentralen Organen kommen in diesem Zusammenhang nicht in Betracht.“

Artikel 1 des niederländischen Gesetzes über den wirtschaftlichen Wettbewerb vom 16. Juli 1958 erscheint weniger klar. Dort heißt es: „Dieses Gesetz versteht unter wirtschaftlicher Machtstellung: ein tatsächliches oder rechtliches Verhältnis in der Wirtschaft, das einen überwiegenden Einfluß eines oder mehrerer Unternehmensinhaber auf einem Waren- oder Dienstleistungsmarkt in den Niederlanden mit sich bringt.“ Diese Vorschrift ist jedoch im Lichte der parlamentarischen Vorarbeiten im folgenden Sinn ausgelegt worden:

„Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, sei nochmals mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Staatsangehörigkeit der Teilnehmer an einem in den Niederlanden tätigen Kartell oder der (des) Inhaber(s) einer Machtstellung auf dem niederländischen Markt in keinem Fall etwas zur Sache tut“ (Mulder und Mok, Kartellrecht, 1962, S. 71).

B —

Ebenso haben andere Staaten außerhalb des Gemeinsamen Marktes den territorialen Anwendungsbereich ihrer Kartellgesetze abgesteckt.

a)

In Großbritannien zum Beispiel dehnen verschiedene zwischen 1948 und 1965 verabschiedete Gesetze ihren Geltungsbereich sehr weit aus; namentlich das Gesetz vom Jahre 1964 über die Wiederverkaufspreise, das für Vereinbarungen oder andere Verhaltensweisen, die darauf abzielen, einen Mindestpreis für den Weiterverkauf von Waren im Vereinigten Königreich festzusetzen, ohne Rücksicht darauf gilt, an welchem Ort die Hersteller ihrer Tätigkeit nachgehen, stellt unbestrittenermaßen auf das Merkmal der Auswirkung auf den britischen Markt ab. Desgleichen erfaßt das Gesetz vom Jahre 1948 über die Monopole und wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen in seinem Artikel 3 Warenlieferungen in das Vereinigte Königreich oder einen wesentlichen Teil seines Hoheitsgebiets, die aufgrund wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen erfolgen. Artikel 4 verwendet das gleiche Merkmal für die Verarbeitung. Das Gesetz vom Jahre 1956 gilt zwar für Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die im Vereinigten Königreich eine der Herstellung, der Verarbeitung oder dem Verkauf von Waren dienende Tätigkeit ausüben („carring on business“). Es stellt aber weder auf die Staatsangehörigkeit dieser Unternehmen noch auf ihren Sitz ab, sondern lediglich auf die Ausübung einer „Tätigkeit“ in Großbritannien, die hauptsächlich dann gegeben ist, wenn die kommerziellen Verträge im Vereinigten Königreich abgeschlossen werden.

b)

Im gleichen Sinne ist das schweizerische Bundesgesetz über die Kartelle vom 20. Dezember 1962 auf einen Marktaufteilungsvertrag angewandt worden, den ein zwischen französischen und schweizerischen Unternehmen zur Regelung des Zeitungsvertriebs in der Eidgenossenschaft geschlossener Ausschließlichkeitsvertrag begleitete. Das Bundesgericht hat entschieden, obwohl das Gesetz vom 20. Dezember 1962 keine ausdrückliche Vorschrift über seinen internationalen Geltungsbereich enthalte, finde es auf diejenigen im Ausland begangenen Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung, die ihre Auswirkungen in der Schweiz erzeugen.

Nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b dieses Gesetzes dürfen ausländische Firmen, deren Kartelle in der Schweiz nach Artikel 4 des Gesetzes verbotene Folgen haben, in der Schweiz vor Gericht gestellt werden, gleichgültig an welchem Orte diese Vereinbarungen abgeschlossen worden sind. Diese Bestimmung zielt darauf ab, Wettbewerbsbeschränkungen, von wo sie auch herkommen, zu ahnden, sobald sie innerhalb des schweizerischen Hoheitsgebiets eine unmittelbare Auswirkung auf den Wettbewerb haben. Das Bundesgericht geht also von einem Kompetenzmerkmal aus, das sich allein auf die wirtschaftlichen Auswirkungen im Ausland spielender Handlungen oder Verhaltensweisen im Hoheitsgebiet der Schweiz stützt.

c)

Selbstverständlich findet man im Anti-Trust-Recht der Vereinigten Staaten und mehr noch in der Rechtsprechung, deren Synthese im „Restatement of Foreign Relations Law“ enthalten ist, die klarsten und ausgefeiltesten Erkenntnisse über das Kriterium für die territoriale Anwendung der Wettbewerbsgesetze.

Der Sherman Act vom Jahre 1890 ist unbestrittenermaßen auf die internationalen Kartelle anwendbar, ohne daß übrigens das für diese Anwendung maßgebende Merkmal vom Gesetzgeber bestimmt worden wäre. Unbestreitbar wendet der Clayton Act die Theorie von der „territorialen Auswirkung“ an, indem er diskriminierende Verhaltensweisen auf dem Gebiet der Preise für unerlaubt erklärt, „wenn die Erzeugnisse verkauft werden, um in den Vereinigten Staaten … oder jedem anderen der Hoheit der Vereinigten Staaten unterliegenden Territorium benutzt, verbraucht oder weiterverkauft zu werden“ (Artikel 2), eine Wendung, die man für die Ausschließlichkeitsverträge in Artikel 3 wiederfindet.

Auf der anderen Seite nimmt der Webb-Pomerene-Act vom 10. April 1918 die im Hinblick auf den Export getroffenen Vereinbarungen vom Kartellverbot aus, jedoch unter der Voraussetzung, daß solche Vereinbarungen keine Handelshemmnisse im Innern der Vereinigten Staaten nach sich ziehen und nicht zu künstlichen Preiserhöhungen oder -Senkungen in den Vereinigten Staaten beitragen; dabei kommt es nicht auf den Abschlußort der Vereinbarungen, sondern allein auf den Ort ihrer Auswirkungen an.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die Rechtsprechung. Das sowohl von den Klägerinnen als auch von der Beklagten ausgiebig kommentierte Urteil in der Rechtssache Alcoa (U.S. v. Aluminium Company of America, 148 f. 2 416, 1945) ist richtungweisend. In diesem Verfahren gegen eine von der Firma Alcoa kontrollierte kanadische Gesellschaft zögert der Richter Learned Hand nicht, die Anwendbarkeit des Sherman Act auf ein ausländisches Unternehmen wegen der Auswirkungen seines Verhaltens auf den Wettbewerb in den Vereinigten Staaten zu bejahen, und führt hierzu aus: „Es ist ein feststehender Grundsatz … daß jeder Staat selbst solchen Personen, die ihm nicht angehören, für außerhalb seiner Grenzen begangene Handlungen, die im Innern derselben Folgen nach sich ziehen, Verpflichtungen auferlegen kann…“

Das Urteil in der Sache U.S. v. Imperial Chemical Industries (145 f. suppl. 215 SD NY 1952) geht noch weiter. Der Fall betraf einen Vertrag zur Aufteilung des Weltmarkts zwischen der britischen Gesellschaft, der amerikanischen Firma Du Pont de Nemours und anderen Unternehmen. Die Entscheidung spricht ganz klar aus, daß eine Verbindung zur Aufteilung von Gebieten — selbst ausländischen —, die den amerikanischen Handel beeinträchtigt, den Sherman Act verletzt. Doch ist die Anwendung des amerikanischen Rechts auf fremde Unternehmen erst in den Strafverfahren gegen die „Swiss Watch Makers“ (U.S. v. Watch Makers of Switzerland and Information Center, Trade Cases / 70,600 SD NY 1962) bis zur äußersten Konsequenz vorgetrieben worden.

Dieser Fall betraf Kartellabsprachen zwischen dem schweizerischen Verband der Uhrenfabrikanten und verschiedenen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen schweizerischer, amerikanischer und anderer Nationalität über die Herstellung, den Verkauf und den Export von Uhren oder Uhrenteilen.

Der Richter hat sich nicht damit begnügt zu entscheiden, daß diese Vereinbarungen unter den Sherman Act fielen; er hat den schweizerischen Verband verpflichtet, gewisse in der Schweiz abgeschlossene und den Gesetzen dieses Staates unterliegende Verträge aufzulösen, jegliche Einschränkung der Exporte in die Vereinigten Staaten abzustellen, obwohl diese Einschänkungen der von den schweizerischen Behörden getroffenen Regelung entsprachen; er hat weiter angeordnet, daß bestimmte Klauseln der mit englischen, deutschen oder französischen Herstellern geschlossenen Verträge aufzuheben oder auf jeden Fall für die Vereinigten Staaten außer Kraft zu setzen seien.

Das Urteil enthält sogar an den Verband der schweizerischen Uhrenhersteller unmittelbar gerichtete Anordnungen, wonach dieser seinen Mitgliedern unter Androhung von Sanktionen alle vom Richter verbotenen Tätigkeiten zu untersagen und gewisse Bestimmungen des Urteils in seine Statuten aufzunehmen hat.

Es handelte sich hier nicht mehr bloß um die Anwendung des amerikanischen Rechts, sondern um Zwangsmaßnahmen, welche die Zwangsvollstreckung des Urteils außerhalb des amerikanischen Hoheitsgebiets gewährleisten sollten. Man versteht daher, daß das Urteil auf Vorstellungen der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft hin nach Verhandlungen revidiert und daß eine weniger drakonische Lösung gewählt worden ist.

Der Grundsatz wird aber im endgültigen Urteil erneut mit großer Entschiedenheit aufgestellt, das wiederum „ …die Zuständigkeit (des amerikanischen Richters) bejaht, die Tätigkeiten ausländischer Unternehmen und ihre Vereinbarungen mit ausländischen Drittparteien selbst dann nachzuprüfen, wenn der Tätigkeits- beziehungsweise Abschlußort außerhalb der Vereinigten Staaten liegt, sofern sie den Binnen- oder Außenhandel der Vereinigten Staaten beeinträchtigen“. Wenn auch diese Rechtsprechung nach dem Vortrag der Klägerinnen nicht mehr genau den gegenwärtigen Stand des amerikanischen Rechtes wiedergibt, so führen doch die Klägerinnen andererseits selbst den § 18 des „American Restatement of Foreign Relations Law“ an, wonach ein Staat befugt ist, die Rechtsfolgen eines Verhaltens, das sich außerhalb seines Hoheitsgebiets abspielt, aber in diesem Gebiet Auswirkungen erzeugt, durch Gesetz zu regeln, wenn im Recht der Staaten mit einem hinreichend entwickelten Rechtssystem allgemein anerkannt ist, daß dieses Verhalten und seine Auswirkungen Tatbestandsmerkmale einer strafbaren oder gesetzwidrigen Handlung erfüllen. Weiter wird vorausgesetzt, daß die im Staatsgebiet hervorgerufene Auswirkung erheblich ist und daß sie sich als das unmittelbare und voraussehbare Ergebnis des fraglichen Verhaltens darstellt.

Wenn also auch nicht daran zu denken ist, daß in dem Urteil „Schweizerische Uhrenfabrikanten“ ein Ausdruck einer gefestigten Rechtsprechung gesehen werden kann, so glaube ich doch, daß die eben genannte Vorschrift einen nicht zu übersehenden Hinweis darauf gibt, daß das „Auswirkungsprinzip“ im Völkerrecht anerkannt wird.

C —

Damit komme ich zum Gemeinschaftsrecht, von dem festzustellen sein wird, daß es, zumindest was den Vertrag von Rom anbelangt, eindeutig von diesem Grundsatz ausgeht.

Artikel 85 Absatz 1 trifft, wie wir gesehen haben, für seinen territorialen Anwendungsbereich eine Unterscheidung:

1.

Mit dem Erfordernis, daß der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden muß, wollten die Verfasser des Vertrages im wesentlichen die Grenzlinie ziehen zwischen der Anwendung des nationalen, internen Rechtes der Staaten, dem die Kartelle mit auf ein einziges Land beschränkten Auswirkungen unterworfen sind, und der Einschaltung des Gemeinschaftsrechts dort, wo es um den Handel zwischen mindestens zwei dieser Länder geht.

2.

Artikel 85 stellt unbestreitbar allein auf das Merkmal der wettbewerbsbeeinträchtigenden Wirkung auf dem Gemeinsamen Markt ab, ohne die Staatsangehörigkeit oder den Sitz der für die Zuwiderhandlungen gegen den Wettbewerb verantwortlichen Unternehmen in Betracht zu ziehen. Das gleiche gilt für Artikel 86 hinsichtlich der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. Man stößt beim Vertrag von Rom nicht auf die Auslegungsschwierigkeiten, die der Pariser „Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ bereitet, dessen Artikel 65 für die betroffenen Erzeugnisse Kartelle verbietet, „welche darauf abzielen würden, … den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen“, der aber in Artikel 80 als Unternehmen im Sinne des Vertrages diejenigen definiert, „die innerhalb der in Artikel 79 Absatz 1 genannten Gebiete“ — das heißt in der Gemeinschaft — „eine Produktionstätigkeit auf dem Gebiete von Kohle und Stahl ausüben“ oder die innerhalb der gleichen Gebiete „gewerbsmäßig eine Vertriebstätigkeit ausüben“. Die überwiegende Meinung in der Lehre neigt zu einer restriktiven Auslegung dieser Bestimmungen in dem Sinne, daß Artikel 80 die Anwendung des Artikels 65 auf die Unternehmen beschränkt, die ihren Sitz oder wenigstens eine zweite Niederlassung im Gemeinsamen Markte haben.

Ohne zu dieser Auffassung Stellung zu nehmen, halte ich lediglich fest, daß sie auf jeden Fall für die kartellrechtlichen Vorschriften des Vertrages von Rom nicht vertretbar ist.

Denn wie Sie bereits anläßlich einer Vorabentscheidungsvorlage des Tribunal de commerce Nizza entschieden haben, steht die Tatstache, daß ein Unternehmen, das an einer unter Artikel 85 dieses Vertrages fallenden Vereinbarung teilnimmt, in einem dritten Land ansässig ist, der Anwendung dieser Vorschrift dann nicht entgegen, wenn die Wirkungen der Vereinbarung sich auf das Gebiet des Gemeinsamen Marktes erstrekken (Urteil vom 25. November 1971 — Beguelin Import Co., Slg. 1971, 949).

Zweiter Abschnitt

Das Völkerrecht

Als Ergebnis dieser ersten Betrachtungen ist somit die Feststellung erlaubt, daß nach den meisten nationalen Gesetzgebungen die Auswirkung eines Kartells oder einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise auf dem Binnenmarkt eines Staates unabhängig von jeder anderen geographischen Lokalisierung die Kompetenz dieses Staates begründet, sein innerstaatliches Recht auf die an dem Kartell beteiligten Unternehmen anzuwenden, selbst wenn sie ausländisch sind.

Sollte diese Kompetenz, welche die einzelnen Staaten für sich in Anspruch genommen haben, der Gemeinschaft zu versagen sein?

A —

Die Firma Imperial Chemical Industries wirft gerade diese Frage auf und stützt sich dabei auf das Gutachten von Professor Jennings. Seine Untersuchung führt uns bereits auf das Gebiet des Völkerrechts.

Daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft kraft des Artikels 210 des Vertrages Rechtspersönlichkeit besitzt, kann nicht in Zweifel gezogen werden; die Völkerrechtspersönlichkeit der Gemeinschaft ergibt sich aus den Artikeln 113 und 114 des Vertrages, was die Aushandlung von Handelsabkommen betrifft, aus den Artikeln 228 und 238 für den Abschluß von internationalen Abkommen ganz allgemein und schließlich auch aus dem Bestehen diplomatischer Vertretungen bei der Gemeinschaft. Sie haben selbst entschieden, daß der Vertrag von Rom eine Gemeinschaft von unbegrenzter Zeit errichtet hat, die ausgestattet ist mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Staaten auf die Gemeinschaft herrührenden Befugnissen (Urteil Costa gg. ENEL vom 15. Juli 1964, Slg. 1964, 1251).

Gewiß macht all dies aus der Gemeinschaft noch keinen Staat. Doch gibt es auch andere Völkerrechtssubjekte, die sich von den Staaten hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Kompetenzen in dem Maße unterscheiden, in dem diese Kompetenzen notwendigerweise auf die diesen Rechtssubjekten zugewiesenen Ziele und besonderen Aufgaben zugeschnitten sind.

Für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gilt nichts anderes. Ihre Rechtsund Geschäftsfähigkeit bestimmen sich nach den im Vertrag von Rom abgesteckten Zielen und Aufgaben.

Somit besitzt sie nicht sämtliche staatlichen Kompetenzen, sondern alle die Zuständigkeiten kraft Zuweisung, deren sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedarf. In ihrem Zuständigkeitsbereich — zu dem das Gebiet der Kartelle gehört — besitzt die Gemeinschaft völlig die gleichen Befugnisse wie ein Staat, vorausgesetzt, daß es sich um Kartelle handelt, die den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt beeinträchtigen.

Doch dann kann sich die Gemeinschaft bei der Ausübung dieser Befugnisse nur nach dem Völkerrecht richten. Nun werfen ihr die Klägerinnen jedoch vor, Grundsätze unrichtig angewandt oder zumindest zu weit ausgedehnt zu haben, die im Völkerrecht anerkannt seien:

unrichtig angewandt, weil nach Meinung der Firma Imperial Chemical Industries das Kriterium der territorialen Auswirkung auf die Ahndung wettbewerbswidriger Handlungen nicht anwendbar ist;

zu weit ausgedehnt, weil sich die angefochtene Entscheidung nach Ansicht der drei Klägerinnen eine gefährlich extensive Auslegung des „Auswirkungsprinzips“ zu eigen macht.

B —

Zunächst muß geprüft werden, ob die Kompetenz der Kommission durch ein Verhalten der ausländischen Hersteller innerhalb des Gemeinsamen Marktes hinreichend zu begründen gewesen wäre:

Dies ist übrigens die erste Verteidigungslinie der Kommission, die unter Berufung allein auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten geltend macht, ein solches Verhalten liege darin, daß die Muttergesellschaften ihren in der Gemeinschaft niedergelassenen Tochtergesellschaften bindende Weisungen erteilt hätten, die Verkaufspreise gegenüber den Abnehmern heraufzusetzen, und so „das Verhalten“ dieser Tochtergesellschaften „beeinflußt“ hätten, die übrigens keinerlei selbständige Entscheidungsbefugnis besessen und trotz ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit lediglich Weisungen ausgeführt hätten. Diese Beweisführung überzeugt mich nicht völlig, wenngleich sie auf der Linie der angefochtenen Entscheidung liegt, die feststellt, daß „die Beweise für das Vorliegen von abgestimmten Verhaltensweisen … gegen über den verschiedenen Herstellern … und nicht gegenüber ihren Tochtergesellschaften oder Vertretern erbracht worden [sind]“ und daß „die … Anweisungen zur Erhöhung der Preise … zwingenden Charakter [hatten]“.

Sie setzt nämlich voraus, daß die Tochtergesellschaften vollständig und ausschließlich von den Muttergesellschaften abhängig gewesen wären und daß sie sich deren Weisungen nicht hätten entziehen können. Streng genommen läuft diese These darauf hinaus, die Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaften zur leeren Form zu erklären, eine Behauptung, die bewiesen werden müßte, von der Kommission aber nicht bewiesen wird. Darüber hinaus setzt sie sich allzu leicht über das Vorbringen der Firma Imperial Chemical Industries hinweg, diese Gesellschaft habe, was sie angehe, keinerlei juristisch greifbare Tätigkeit im Gebiet des Gemeinsamen Marktes ausgeübt, zumal die Verträge über Farbstofflieferungen nach britischem Recht im Vereinigten Königreich abgeschlossen worden seien — ein Vorbringen, in dem die Kommission lediglich einen „unverzeihlichen Rechtsformalismus“ sehen will.

In meinen Augen ist die Stellung der Kommission auf diesem Gebiete nicht besonders stark.

Ich mache mir also ihren Standpunkt nicht zu eigen, vor allem weil er mir von Bedenken, wenn nicht gar einer gewissen Zurückhaltung gegenüber der Annahme zu zeugen scheint, daß allein schon die den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt unmittelbar beeinträchtigenden objektiven Auswirkungen des Verhaltens der Muttergesellschaften ausreichen, um die Kompetenz der Kommission Ihnen gegenüber zu begründen.

Ich werde meinerseits nicht zögern, von dieser Annahme und infolgedessen von dem „Auswirkungsprinzip“ auszugehen, das die Kommission nur hilfsweise herangezogen hat.

C —

Bei unserem Überblick über die einzelstaatliche Gesetzgebung haben wir festgestellt, daß das Hauptkriterium der Anwandbarkeit der Kartellgesetze tatsächlich die territoriale Auswirkung ist. Nach meiner Auffassung können wir jedoch dieses Kriterium nicht übernehmen, ohne seine Voraussetzungen und seine Grenzen im Hinblick auf das Völkerrecht näher zu umreißen.

A — Die Anwendungsvoraussetzungen des Kriteriums der territorialen Auswirkung

a)

Eine erste Voraussetzung besteht meines Erachtens darin, daß die Vereinbarung, oder die abgestimmte Verhaltensweise den Wettbewerb auf dem nationalen oder, wie im vorliegenden Fall, Gemeinsamen Markt unmittelbar und sofort einschränken muß. Mit anderen Worten, ein Kartell, das nur Auswirkungen zweiten Grades hätte, die auf dem Umweg über ihrerseits im Ausland ablaufende wirtschaftliche Zusammenhänge zustande kämen, könnte die Kompetenz für teilnehmende Firmen mit Sitz im Ausland nicht begründen.

Muß nicht der Text des „American Restatement of Foreign Relations Law“ in diesem Sinne ausgelegt werden, soweit es dort heißt, daß die Zuständigkeit für ein Verhalten, das sich außerhalb des Staatsgebiets abgespielt hat, bejaht werden kann, wenn sich die Auswirkung als das unmittelbare Ergebnis dieses Verhaltens darstellt?

b)

Eine zweite Voraussetzung liegt in der hinreichenden Voraussehbarkeit der Auswirkung, die übrigens nicht gewollt zu sein braucht.

c)

Die dritte Voraussetzung schließlich bezieht sich darauf, daß die im Gebiet hervorgerufene Auswirkung wesentlich sein muß.

Ist es darüber hinaus erforderlich, daß die Auswirkung im Gebiet ein Tatbestandsmerkmal der Zuwiderhandlung darstellt? Muß dies dem internationalen Strafrecht und besonders dem im Jahre 1927 im berühmten „Lotus-Fall“ ergangenen Urteil des Ständigen Gerichtshofes entnommen werden, auf das sowohl die Klägerinnen als auch die Beklagte ausführlich eingegangen sind? Der Internationale Gerichtshof hat als feststehend angenommen, „daß die Gerichte vieler Länder das Strafgesetz in dem Sinne auslegen, daß Delikte, deren Täter sich zum Zeitpunkt der Tat im Hoheitsgebiet eines anderen Staates aufhalten, nichtsdestoweniger als im eigenen Staatsgebiet begangen anzusehen sind, sofern dort ein Tatbestandsmerkmal des Delikts erfüllt worden und vor allem sein Erfolg eingetreten ist“.

Bei der Auslegung dieses Satzes könnte man eigentlich den Standpunkt vertreten, daß das Merkmal des Erfolgs gegenüber dem des Tatbestandsmerkmals des Delikts das Übergewicht hat, oder daß es sogar allein dazu ausreichen würde, die extraterritoriale Kompetenz zu begründen. Muß man aber im Kartellrecht, von dem ich bereits gesagt habe, daß es nicht zum klassischen Strafrecht gehört, nicht davon ausgehen, daß gerade die Auswirkung der Zuwiderhandlungen eines ihrer Tatbestandsmerkmale und wahrscheinlich sogar das wesentliche Merkmal ist? Ich bin dieser Auffassung, und sie allein scheint mir mit der Untersuchung des Sachverhalts in Einklang zu stehen.

Allerdings meint die Firma Imperial Chemical Industries, wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen würden nicht allgemein und überall als Zuwiderhandlungen gegen Strafvorschriften betrachtet, die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes interessiere daher in diesem Bereich überhaupt nicht. Wenn aber das „Restatement of Foreign Relations Law“ die Anwendbarkeit des Kriteriums der „Auswirkung“ davon abhängig macht, daß das Verhalten, von dem diese ausgeht, im Recht der Staaten „mit einem hinreichend entwickelten Rechtssystem“ als strafbar anerkannt wird, so glaube ich nicht, daß diese Voraussetzung bei wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen fehlt. Denn in der breiten Mehrheit der entwickelten und industrialisierten Länder sind wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen nach positivem Recht verboten und werden entweder strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich geahndet.

Gilt dies nicht, wie wir gesehen haben, auch für das Vereinigte Königreich und die Schweiz, von denen es verstiegen wäre zu behaupten, daß ihr Rechtssystem nicht „hinreichend entwickelt“ sei?

B — Die Grenzen der extraterritorialen Atiwendung des Kartellrechts

Nachdem wir die Voraussetzungen für die extraterritoriale Anwendung des Wettbewerbsrechts umschrieben haben, handelt es sich jetzt darum, ihre Grenzen festzulegen.

Ich verkenne nämlich nicht, daß diese Anwendung mehrfach, und namentlich in Europa, heftige Reaktionen seitens der Regierungen sowie der Gerichte hervorgerufen hat; sie ist die Ursache von Auseinandersetzungen gewesen und sie hat mehrere Staaten zum Erlaß von „Abwehr-Gesetzen“ veranlaßt, wofür die Klägerinnen Beispiele gegeben haben.

Aber wogegen sind denn die Proteste erhoben worden? Und welches Ziel verfolgten die gesetzgeberischen Gegenmaßnahmen?

Zuerst wird man die Beobachtung machen, daß die Einwände der Regierungen sich gegen die weite, ihnen als mißbräuchlich erschienene Auffassung der extraterritorialen Zuständigkeit richten, von der einige Gerichte der Vereinigten Staaten gelegentlich ausgegangen sind. Ich habe dies bereits im Zusammenhang mit dem Fall der schweizerischen Uhrenfabrikanten festgestellt; entsprechende Proteste sind im Vereinigten Königreich gegen das in der Rechtssache U.S. v. Imperial Chemical Industries ergangene Urteil erhoben worden, das in einigen Bestimmungen so weit ging, diese Firma zu verpflichten, an die Gesellschaft Du Pont de Nemours britische Patente wieder abzutreten, an denen einer anderen, ebenfalls englischen Gesellschaft Exklusivlizenzen übertragen worden waren. Dies veranlaßte den Court of Appeal des Vereinigten Königreichs zu der Feststellung, daß „die Gerichte der Vereinigten Staaten nicht kompetent sind, … Anordnungen zu treffen, bei deren Beachtung unsere Gerichte ihre eigene Kompetenz nicht ausüben könnten, die wahrzunehmen sie verpflichtet sind“.

Ferner ist zu verzeichnen, daß die in Frankreich wie in den Niederlanden und weiteren Ländern ergangenen Abwehr-Gesetze im wesentlichen den Zweck haben, ihren eigenen Staatsangehörigen zu verbieten, sich Untersuchungs- und Kontrollmaßnahmen sowie Anordnungen zu unterwerfen, die ausländische Behörden an sie richten.

Diese Feststellungen veranlassen mich, mir die Unterscheidung zu eigen zu machen, welche die Kommission und die Lehre für das Völkerrecht zwischen der „Gesetzgebungskompetenz“ und der „Anwendungkompetenz“ oder zwischen der „jurisdictio“ und dem „imperium“ treffen.

Ob im Strafrecht oder, wie in den vorliegenden Rechtssachen, in einem Verwaltungsverfahren, die Gerichte oder Verwaltungsbehörden eines Staates — und, mutatis mutandis, der Gemeinschaft — sind nach dem Völkerrecht sicherlich außerhalb ihres territorialen Zuständigkeitsbereichs zu keinerlei Zwangs-, Untersuchungs-, Überprüfungs- oder Kontrollmaßnahmen befugt, deren Ausführung unvermeidbar mit der internen Souveränität des Staates zusammenstoßen würde, auf dessen Hoheitsgebiet diese Behörden handeln möchten.

Dagegen muß diesen Behörden die Kompetenz zugestanden werden, eine Vereinbarung oder Verhaltensweise, die auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet, also im vorliegenden Falle auf dem Gemeinsamen Markt, unmittelbare, voraussehbare und wesentliche wettbewerbswidrige Auswirkungen hervorruft, für verboten zu erklären oder sogar durch Gerichtsentscheidung oder Verwaltungsakt Sanktionen, auch Geldbußen, zu verhängen.

Aber könnte man nicht einwenden, daß die Verhängung einer Geldbuße „ipso facto“ zur Anwendungskompetenz gehöre?

Ich glaube dies aus zwei Gründen nicht:

Die Verhängung einer Geldbuße, die ein wettbewerbswidriges Verhalten ahnden und außerdem auch dessen Fortsetzung oder Wiederholung vorbeugen soll, ist von der Beitreibung der auferlegten Geldbuße zu unter-scheiden, die nur im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgen kann, falls das verurteilte Unternehmen die Zahlung verweigert.

Meiner Ansicht nach muß ferner die Verurteilung zur Geldbuße von der echten Anordnung unterschieden werden, die zum Beispiel in einer Entscheidung mit Zwangsgeldandrohung zu sehen wäre, durch welche die Mitteilung bestimmter Urkunden erreicht werden sollte oder die als Druckmittel benutzt würde, um die Auflösung bestimmter für unzulässig erklärter Vertragsklauseln zu erlangen.

Ohne mich dabei aufhalten zu müssen, daß die Kommission nicht die rechtlichen Mittel besitzt, um die tatsächliche Durchführung ihrer Entscheidung sicherzustellen, bin ich der Meinung, daß sie dazu befugt war, die angefochtene Entscheidung gegen außerhalb des Gemeinsamen Marktes ansässige Firmen zu erlassen.

Denn die nach meinen obigen Ausführungen für die Kompetenz notwendidigen Voraussetzungen liegen hier vor:

Die linearen und einheitlichen Erhöhungen der Verbraucherpreise für Farbstoffe, die von den Klägerinnen beschlossen wurden, waren unmittelbar und sofort auf dem Gemeinsamen Markt anwendbar, und ich habe im ersten Teil dieser Schlußanträge gesagt, daß sie dort konkret eine Verfälschung des Wettbewerbs bewirkten. Unter diesen Umständen ist es überflüssig nachzuprüfen, ob ihre Tochtergesellschaften angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Lage waren oder nicht, sich den Weisungen der Muttergesellschaften zu entziehen; es steht fest, daß sie sie angewandt haben. Auf jeden Fall ist trotz ihrer rechtlichen Selbständigkeit und der eigenen Entscheidungsbefugnis, die sie rein rechtlich dank ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit besaßen, schwer einzusehen, wie sie es hätten vermeiden können, die ihnen auferlegten Preiserhöhungen auf ihre Kunden abzuwälzen.

Die Auswirkung dieser Verhaltensweise ist nicht nur unmittelbar gewesen; sie war offensichtlich voraussehbar, und wir wissen, daß sie gewollt und bewußt herbeigeführt war, da sie ja einer Abstimmung entsprang; ich will hierauf nicht mehr zurückkommen.

Die Auswirkung ist schließlich wesentlich gewesen, sowohl wegen der Steigerungssätze und ihrer Anwendung auf sämtliche Farbstoffe als auch deswegen, weil die Hersteller vier Fünftel des Farbstoffmarkts kontrollieren.

Ohne Bedenken beantrage ich daher, die Einwände der Firmen Imperial Chemical Industries, Geigy und Sandoz gegen die Kompetenz der Kommission zurückzuweisen. Ich will mir aber eine letzte Bemerkung gestatten, die sich an eine von denen anschließt, die ich zu Beginn dieser Ausführungen gemacht habe.

Ebenso wie der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise nicht auf einen so engen Sinn zurechtgestutzt werden darf, daß darin nur noch ein besonderer Ausdruck für den Begriff der Vereinbarung zu sehen wäre, was offensichtlich die Gefahr mit sich bringen würde, daß Artikel 85 Absatz 1 die ihm von den Verfassern des Vertrages zugedachte zweckentsprechende Tragweite nicht gegeben würde, ebenso würden diese Vorschriften zum großen Teil ihres Sinnes entleert und auf jeden Fall ihrer Wirksamkeit beraubt, wenn den Gemeinschaftsbehörden das Recht abgesprochen würde, von ihren Befugnissen aus Artikel 85, vorbehaltlich der Zuständigkeit zur Vollstreckung, gegenüber jedem außerhalb des Gemeinsamen Marktes ansässigen Unternehmen Gebrauch zu machen.

Wäre die Kommission nicht wehrlos, wenn sie angesichts einer abgestimmten Verhaltensweise, die ausschließlich von außerhalb des Gemeinsamen Marktes niedergelassenen Unternehmen ausginge und für die diese die Verantwortung übernähmen, nicht die Möglichkeit hätte, irgendeine Entscheidung gegen diese Unternehmen zu treffen? Gleichzeitig wäre dies der Verzicht auf einen Schutz des Gemeinsamen Marktes, der zur Verwirklichung der wichtigsten Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft notwendig ist.

Zwei Rügen harren noch einer sehr kurzen Prüfung. Mit der einen wird geltend gemacht, die angefochtene Entscheidung sei hinsichtlich der extraterritorialen Kompetenz der Kommission unzureichend begründet, die zweite wird darauf gestützt, daß die angefochtene Entscheidung den drei außerhalb des Gemeinsamen Marktes ansässigen Firmen nicht zugestellt worden sei.

Zum ersten Punkt, mit dem wir uns bald unter anderem Vorzeichen auseinanderzusetzen haben, erinnere ich lediglich daran, daß die Kommission entgegen dem Vortrag der Klägerinnen keineswegs gehalten war, Punkt für Punkt auf alles einzugehen, was diese auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hin schriftlich und mündlich bezüglich der angeblich fehlenden Kompetenz der Kommission vorgetragen hatten.

In rechtlicher Hinsicht ist die angefochtene Entscheidung mit der kurzgefaßten, aber meines Erachtens zutreffenden Erläuterung begründet, die sie von Artikel 85 des Vertrages in diesem Punkt gibt. In tatsächlicher Hinsicht erklärt sie, wie wir gesehen haben, allein die Hersteller und nicht ihre Tochtergesellschaften oder Vertreter für das Vorliegen der abgestimmten Verhaltensweise für verantwortlich mit der Begründung, an diese letzteren seien zwingende Weisungen ergangen, die Preise zu erhöhen. Ich habe Ihnen eine etwas andere Begründung für Ihre Entscheidung vorgeschlagen, doch gibt Ihnen Ihre Befugnis zu unbeschränkter Rechtsprechung meines Erachtens das Recht zu dieser Berichtigung der Sachverhaltswürdigung und, als notwendige Folge davon, der Begründung.

Zum zweiten Punkte habe ich zu sagen, daß zwar die an die Firmen Imperial Chemical Industries, Geigy und Sandoz gerichtete Entscheidung nicht am Sitze dieser Gesellschaften selbst, sondern ihren im Gemeinsamen Markt niedergelassenen Tochtergesellschaften zugestellt worden ist — übrigens wegen der Weigerung dieser Klägerinnen, sie entgegenzunehmen —, daß aber die behauptete Fehlerhaftigkeit dieser Zustellung auf jeden Fall ohne Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung wäre, da die Zustellung eine der Entscheidung nachfolgende Formalität ist. Es erübrigt sich demnach, hier den Gedankengang der Kommission aufzugreifen, wonach diese Tochtergesellschaften von den Muttergesellschaften vollständig beherrscht werden und deren „interner Sphäre“ angehören sollen, und infolgedessen braucht auch Ihre Rechtsprechung im Fall Alma nicht herangezogen zu werden (Urteil 8/56 vom 10. Dezember 1957).

Ich will nur so viel sagen, daß die einzige Auswirkung der Fehlerhaftigkeit der Zustellung dieser Entscheidung, von der vollständig Kenntnis erlangt zu haben die Klägerinnen übrigens nicht bestreiten, vielleicht die gewesen wäre, daß die Klagefrist den Klägerinnen gegenüber nicht zu laufen begonnen hätte; jedoch haben diese von ihrem Recht, vor Ihnen Klage zu erheben, sogar noch vor Ablauf dieser Frist Gebrauch gemacht; die Frage stellt sich also nicht.

Dritter Titel

Form- und Verfahrensrügen

Nach diesen vielleicht etwas lang geratenen Ausführungen kann ich jetzt mit der Prüfung der von den Klägerinnen vorgebrachten Verfahrens- und Formrügen beginnen.

Sie haben in Ihrem Urteil Grundig/Consten grundsätzlich entschieden, daß die Verfahren nach der Ratsverordnung Nr. 17 verwaltungsrechtlichen Charakter haben. Andererseits haben Sie mit Ihren Urteilen Chemiefarma, Buchler und Boehringer vom 15. Juli 1970 einige der Fragen entschieden, die sich auf die Ausübung der Befugnis der Kommission beziehen, im Bereiche von verbotenen Kartellen Geldbußen aufzuerlegen. Die vorliegenden Rechtssachen werden Ihnen Anlaß geben, diese Rechtsprechung zu bestätigen und die Auslegung der Ausführungsverordnung Nr. 99 der Kommission vom 25. Juli 1963 zu präzisieren. Die klagenden Gesellschaften werfen nämlich der Kommission vor, diese zwei Verordnungen fehlerhaft angewandt zu haben.

Ich werde mich bemühen, ihr Vorbringen zu gliedern, indem ich dem zeitlichen Ablauf des Verwaltungsverfahrens folge. Dieses besteht, wie Sie wissen, zunächst aus einem Beschluß der das Verfahren in Gang setzt, zweitens aus der Mitteilung der in Betracht gezogenen Beschwerdepunkte an die betroffenen Unternehmen, drittens aus der Anhörung ihrer Vertreter, wobei ihnen ein Protokoll dieser Anhörung zur Genehmigung vorgelegt werden muß; vor Erlaß ihrer Entscheidung muß die Kommission schließlich die Stellungnahme des für die Wettbewerbspolitik zuständigen Beratenden Ausschusses einholen.

Erster Abschnitt

Einleitung des Verfahrens

Die Klägerinnen rügen, die Kommission habe gegen sie am 31. Mai 1967 lediglich ein Verfahren nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eingeleitet, dessen Absatz 1 lautet: „Stellt die Kommission auf Antrag oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.“

Sie habe aufgrund des Artikels 15 der gleichen Verordnung Geldbußen gegen die Klägerinnen verhängt, ohne diese davon in Kenntnis gesetzt zu haben, daß sie sich der Gefahr aussetzten, mit solchen geldlichen Sanktionen belegt zu werden. Diese Rüge geht in tatsächlicher Hinsicht fehl. Es steht fest, daß der das Verfahren einleitende Beschluß vom 31. Mai 1967 auf die Verordnung Nr. 17 in ihrer Gesamtheit und „namentlich“ auf ihren Artikel 3 Bezug nimmt, eine Wendung, in der nichts Abschließendes gesehen werden kann.

Zwei weitere Bemerkungen müssen zu dieser Rüge gemacht werden:

a)

Absatz 3 des Artikels 3 der Verordnung Nr. 17 bestimmt: „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieser Verordnung kann die Kommission … Empfehlungen zur Abstellung der Zuwiderhandlung an die beteiligten Unternehmen … richten.“ Dieser Wortlaut schließt also in keiner Weise aus, daß die mutmaßliche Zuwiderhandlung Anlaß zu Geldbußen auf der Grundlage des Artikels 15 geben kann.

b)

Andererseits bin ich der Ansicht, daß für die Einleitung des Verfahrens die Mitteilung der Beschwerdepunkte an die betroffenen Unternehmen ausschlaggebend ist, weil sie der erste Akt des Verfahrensteils ist, in dem die Betroffenen Anspruch auf Gehör haben. Diese am 11. Dezember 1967 an alle betroffenen Unternehmen ergangene Mitteilung nun führt am Ende ausdrücklich Artikel 15 der Verordnung an und weist darauf hin, daß die beanstandete abgestimmte Verhaltensweise geeignet sei, die Verhängung von Geldbußen gegenüber den teilnehmenden Unternehmen zu rechtfertigen.

Zweiter Abschnitt

Mitteilung der Beschwerdepunkte

Im Zusammenhang mit dieser Mitteilung der Beschwerdepunkte werden mehrere Rügen vorgebracht, die übrigens Grund zu der Annahme geben, daß die Klägerinnen, ohne Ihr Urteil in der Sache Grundig/Consten zu berücksichtigen, so argumentiert haben, wie wenn das Verfahren vor der Kommission ein gerichtliches, kein Verwaltungsverfahren wäre. Die Auffassung, die sie hinsichtlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör vertreten, geht offensichtlich über die Erfordernisse eines bloßen Verwaltungsverfahrens hinaus.

a)

Zuvor muß jedoch die Rüge entkräftet werden, der Generaldirektor für Wettbewerb habe das Schreiben mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte unzuständigerweise im Auftrag unterzeichnet. Ein solcher Auftrag gehe aber aus keinem Aktenstück hervor; außerdem sei er unzulässig. Es handelt sich hier aber nicht um eine Übertragung von Befugnissen, meine Herren, sondern um eine bloße Übertragung der Zeichnungsberechtigung auf den Generaldirektor für Wettbewerb durch das Kommissionsmitglied, in dessen Zuständigkeitsbereich die Untersuchung der Wettbewerbsfragen fällt. Diese Übertragung ist fehlerfrei, weil sie als interne Regelung des Dienstbetriebs der Kommission und ihrer Dienststellen in Übereinstimmung mit Artikel 27 der Vorläufigen Geschäftsordnung vorgenommen wurde, die aufgrund von Artikel 7 des Fusionsvertrages, d. h. des Vertrages vom 8. April 1965 über die Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, erlassen wurde.

b)

Zum Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte selbst tragen die Klägerinnen vor, er sei unvollständig und unbestimmt gewesen; die Mitteilung habe ihnen keine sachdienliche Stellungnahme ermöglicht, und die angefochtene Entscheidung führe Tatsachen an, die ihnen nicht zur Kenntnis gebracht worden seien. Zu diesem Punkt haben Sie in der Rechtssache Grundig entschieden, daß es genügt, wenn die beteiligten Unternehmen von dem wesentlichen Sachverhalt unterrichtet werden, aus dem sich die Beschwerdepunkte ergeben, und daß es nicht erforderlich ist, ihnen sämtliche Unterlagen der Kommission mitzuteilen. Sie haben an dieser Lösung auch für den Fall festgehalten, daß die Kommission auf der Grundlage des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 Geldbußen verhängt. Schon die Lektüre der Mitteilung der Beschwerdepunkte zeigt aber, daß die herangezogenen Tatsachen, d. h. die einheitlichen Preiserhöhungen vom Januar 1964, Januar 1965 und schließlich vom Jahre 1967, klar und vollständig dargelegt worden sind. Dabei ist die Kommission übrigens näher auf die zeitlichen und örtlichen Umstände eingegangen, unter denen die Erhöhungen angekündigt und durchgeführt worden sind, und hat sogar angegeben, welche Unternehmen Weisungen erhalten haben, die Preise zu erhöhen, und wie ihnen diese Weisungen erteilt worden sind.

Daß die Rundschreiben, Fernschreiben und anderen Weisungen der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht im Wortlaut beigegeben worden sind, hat meines Erachtens auf die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens keinen Einfluß, vor allem deshalb, weil die betroffenen Unternehmen die Möglichkeit hatten, sich Kenntnis von ihnen zu verschaffen. Die angefochtene Entscheidung enthält demnach keine wesentliche Tatsache, die nicht zuvor den Klägerinnen bekanntgemacht worden wäre. Höchstens ist zu bemerken, daß die angefochtene Entscheidung die Mitteilung der Beschwerdepunkte hinsichtlich der dort auf Seite 9 ausdrücklich erwähnten Sitzung von Basel lediglich berichtigt, indem sie klarstellt, daß die Firma Geigy im Laufe dieser Sitzung angekündigt hat, „sie beabsichtige ernsthaft, ihre Verkaufspreise noch vor Ende des Jahres zu erhöhen“, ohne die Folgerung zu übernehmen, welche die Mitteilung der Beschwerdepunkte hieraus mit folgenden Worten gezogen hatte: „Die Preiserhöhung (vom Jahre 1967) wurde von allen beteiligten Herstellern während einer Zusammenkunft beschlossen, die … im August 1967 in Basel stattfand.“ Wenn sich die angefochtene Entscheidung ferner auf den Beschluß des Bundeskartellamts vom 28. November 1967 bezieht, aus dem hervorgeht, daß die Firma Geigy angekündigt hat, „daß sie die Preise für Teerfarben zum 16. Oktober 1967 um 8 % erhöhen werde“, so handelt es sich hierbei nicht um eine Begründung der angefochtenen Entscheidung, sondern um eine bloße tatsächliche Bezugnahme auf den Beschluß des Bundeskartellamts.

c)

Die Klägerinnen machen auch geltend, die Mitteilung der Beschwerdepunkte sei erfolgt noch ehe überhaupt die Untersuchung des beanstandeten Sachverhalts durch die Kommission abgeschlossen war; noch nach dieser Mitteilung seien Überprüfungen vorgenommen worden. Dies trifft zu, doch glaube ich nicht, daß dieses Vorgehen fehlerhaft war. Keine Bestimmung verbietet der Kommission, wenn sie über gewisse Vereinbarungen oder Verhaltensweisen unterrichtet worden ist, die ihr dem Artikel 85 des Vertrages zuwiderzulaufen scheinen, ihre Kontrollen, Nachforschungen oder Überprüfungen noch fortzusetzen, nachdem sie den belangten Unternehmen über ihnen gegenüber bereits ermittelte Tatsachen Mitteilung gemacht hat. Zudem erklärt die Kommission, die Fortsetzung der Nachforschungen habe allein den Zweck gehabt, einige der Erklärungen zu überprüfen, die einzelne Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hin oder mündlich abgegeben hätten. Hierin läge auf jeden Fall nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die Kommission auf diese nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgenommen Überprüfungen hin zu Lasten der Klägerinnen neue Feststellungen getroffen und ihre Entscheidung auf diese Feststellungen gestützt hätte, ohne diese zuvor den Unternehmen mitgeteilt zu haben, d. h. ohne daß sich die Unternehmen zu diesen Tatsachen hätten äußern können. Dies ist indessen nicht der Fall, da, wie gesagt, die angefochtene Entscheidung nichts feststellt, wovon die Klägerinnen nicht bereits durch die Mitteilung vom 11. Dezember 1967 Kenntnis gehabt hätten.

Die Klägerinnen mußten schließlich nach Empfang der Mitteilung der Beschwerdepunkte über eine angemessene Frist verfügen, um ihre schriftlichen Stellungnahmen abzugeben. In dieser Hinsicht war die achtwöchige Frist meines Erachtens ausreichend, die ihnen die Kommission bewilligt hat, um ihre Auffassung darzulegen. Außerdem war ihnen das Recht eingeräumt worden, in ihren schriftlichen Stellungnahmen zu verlangen, daß ihr Vertreter gemäß Artikel 7 der Verordnung Nr. 99/63 der Kommission mündlich gehört werde. Wir wissen jedoch, daß die Anhörung der Unternehmensvertreter erst am 10. Dezember 1968 stattgefunden hat, d. h. ein Jahr nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte. Dies bedeutet, daß die klagenden Gesellschaften über einen beträchtlichen Zeitraum verfügt haben, um sich zu diesen Beschwerdepunkten zu äußern. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist somit nicht verkannt worden.

d)

Schließlich soll nach Ansicht der Klägerinnen Geigy und Sandoz die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die ihnen durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein an ihrem Sitz in Basel bekanntgegeben wurde, eine „Amtshandlung einer ausländischen Behörde mit Zwangscharakter“ darstellen. Das schweizerische Recht gestatte die Vornahme einer solchen Handlung im Hoheitsgebiet der Eidgenossenschaft mangels Gegenseitigkeit oder Erlaubnis der eidgenössischen Behörden nicht. Diese unter Verletzung sowohl des schweizerischen Rechts als auch der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts bekanntgegebene Mitteilung sei nichtig und wirkungslos.

Deshalb hätten die Klägerinnen auf Anweisung ihrer nationalen Behörde diese Mitteilung an den Absender zurückgesandt; sie hätten ihrerseits auch an der Anhörung vom Dezember 1968 nicht teilgenommen. Somit sei ihnen unter Verletzung der Artikel 19 der Verordnung Nr. 17, 2 und 4 der Verordnung Nr. 99/63 das Recht auf Anhörung verweigert worden.

Ich will mich der Kommission fragend auf die Bemerkung beschränken, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte als solche keinerlei Zwangscharakter hat: Sie hat lediglich den Zweck, die beteiligten Unternehmen in den Stand zu setzen, einerseits die wesentlichen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, die ihnen zur Last gelegt werden, andererseits im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, das zur Verhängung einer Geldbuße führen kann, ihren Standpunkt darzulegen.

Unter diesen Voraussetzungen erscheint es mir zumindest zweifelhaft, ob die Grundsätze des Völkerrechts mit Erfolg herangezogen werden können; die Kommission hat sie nicht dadurch verletzt, daß sie den schweizerischen Gesellschaften die Mitteilung der Beschwerdepunkte unmittelbar an ihrem Sitz zugestellt hat. Aber wie dem auch sei, es steht fest, daß diese Firmen tatsächlich von den gegen sie formulierten Beschwerdepunkten Kenntnis erlangt haben und wirklich in die Lage versetzt worden sind, alle Bemerkungen zu machen, die ihnen zur Wahrung ihrer Interessen etwa sachdienlich erschienen.

Die Rüge muß daher zurückgewiesen werden.

Dritter Abschnitt

Anhörung der Vertreter der betroffenen Unternehmen

Zum Thema der Anhörung ihrer Vertreter haben einige Klägerinnen (Bayer und Hoechst) geltend gemacht, sie seien zu spät geladen worden. Tatsächlich ist am 20. November 1968 eine Ladung an sie gerichtet worden, d. h. beinahe drei Wochen vor dem für die Anhörung angesetzten Termin. Auch hier meine ich, daß diese Frist ausreichend war, zumal die Gesellschaften zu diesem Zeitpunkt seit mehr als elf Monaten über den ihnen zur Last gelegten Sachverhalt unterrichtet waren.

Im Zusammenhang mit dieser Anhörung beklagt sich die BASF darüber, daß die damit beauftragen Beamten der Kommission es ihr verwehrt haben, sich, wie sie es verlangt hatte, durch ihren Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen, und daß sie zur Begründung angegeben haben, Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 99/63 gestatte den geladenen Unternehmen nur, in der Person ihrer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreter zu erscheinen. Diese Vorschrift steht weder zum Vertrag noch zur Verordnung Nr. 17 des Rates in Widerspruch, da der Kommission aufgrund des Artikels 24 dieser letzteren Verordnung die Befugnis zusteht, Durchführungsbestimmungen über die Anhörungen zu erlassen. Zudem findet sie ihre Rechtfertigung darin, daß die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreter der Unternehmen in der Regel die Personen sind, die am besten unterrichtet und am ehesten in der Lage sind, die Beschwerdepunkte zu erörtern. Darüber hinaus hinderte die Firma BASF nichts daran, statt sich durch einen „Prozeßbevollmächtigten“ vertreten zu lassen, ihren Anwalt zu beauftragen, ihren gesetzlichen Vertretern als Beistand zur Seite zu stehen.

Vierter Abschnitt

Das Anhörungsprotokoll

Schließlich tragen einige der Klägerinnen vor, sie hätten die Niederschrift über die Anhörung nicht genehmigen können, hierdurch sei das Verfahren fehlerhaft geworden.

Nach Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 muß die Niederschrift der wesentlichen Erklärungen jeder angehörten Person verlesen und von dieser Person genehmigt werden. Die Einhaltung dieser Formvorschrift hat den Zweck, dem Beratenden Ausschuß und der Kommission zur vollständigen Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt der bei der Anhörung der Parteien abgegebenen Erklärungen zu dienen (Urteil 44/69 vom 15. Juli 1970, Slg. 1970, 755). Ist diese Formvorschrift nicht eingehalten worden, aber auf andere Weise erwiesen, daß die Erklärungen der Beteiligten nicht unrichtig wiedergegeben und daß sie nicht zu ihrem Nachteil berücksichtigt worden sind, so ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Nichteinhaltung ihnen in der Sache schaden könnte.

Unstreitig wurde bei der Anhörung vom 10. Dezember 1968 vereinbart, die Niederschrift über diese Anhörung erst später abzufassen und den angehörten Personen zur Genehmigung vorzulegen. Es steht auch fest, daß der Entwurf der Niederschrift den vertretenen Unternehmen mit Schreiben vom 27. Juni 1969 zugesandt worden ist mit der Bitte, ihre Genehmigung „so bald wie möglich“ mitzuteilen. Zwar trifft es zu, daß im Fall der Firma Bayer versehentlich ihrem Vertreter eine nicht unterzeichnete Abschrift zugesandt worden ist mit dem Bemerken, diesem Unternehmen zur Genehmigung der besagten Niederschrift eine am 15. September 1969 ablaufende Frist zu; das Unternehmen hat aber am gleichen Tage eine unterzeichnete Urschrift erhalten, in der es ebenso wie die übrigen Klägerinnen gebeten wurde, den Entwurf der Niederschrift möglichst bald zu genehmigen. Bei einiger Sorgfalt wäre sie daher imstande gewesen, ihre Genehmigung der Niederschrift und gegebenenfalls ihre Stellungnahme dazu rechtzeitig zu übermitteln. Die Firma Bayer hat mit gutem Grund nie auch nur den geringsten Versuch unternommen, ihr Recht auszuüben, Änderungen zu verlangen, um etwaige Unrichtigkeiten in der Wiedergabe der Erklärungen ihres Vertreters zu berichtigen. Die Kommission hat die vollständige Tonbandaufnahme der Erklärungen der Vertreter der Firma Bayer vorgelegt. Aus ihnen ergibt sich, daß diese Vertreter kaum Erklärungen zur Sache abgegeben und daß sie sich im wesentlichen an die Behauptung gehalten haben, die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe ihnen wegen mangelnder Bestimmtheit nicht die Möglichkeit gegeben, die Punkte zu erkennen, zu denen sie sich hätten erklären sollen. Diese Behauptung ist indessen nicht neu; Bayer hat sie von Anfang an vorgetragen (vgl. das Schreiben dieses Unternehmens an die Kommission vom 9. Dezember 1968), und sie ist in der Niederschrift, Seiten 16 und 24, ohne Abstriche wieder aufgenommen und näher ausgeführt. Somit läßt sich nicht behaupten, daß „die Fassung dieses Protokolls in einem wesentlichen Punkt irreführend gewesen“ sei (Urteil 44/69 vom 15. Juli 1970, S. 755).

Fünfter Abschnitt

Form der Begründung der angefochtenen Entscheidung

Schließlich haben einige Klägerinnen (BASF, Sandoz, Cassella und Hoechst) der Kommission zum Vorwurf gemacht, sie habe ihre Entscheidung hinsichtlich des Vorliegens einer abgestimmten Verhaltensweise nicht formrichtig begründet. Die Kommission ist nach Artikel 190 des Vertrages tatsächlich gehalten, ihre Entscheidungen zu begründen; dieses Erfordernis sehen Sie aber als beachtet an, wenn die Gründe klar und folgerichtig die wesentlichen, tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen anführen, auf die sich die Entscheidung stützt, ohne daß die Kommission insbesondere verpflichtet wäre, alle Punkte aufzugreifen, die im Verwaltungsverfahren erörtert worden sind.

Wie gesagt stellt im vorliegenden Falle die angefochtene Entscheidung in ihren Gründen keinen wesentlichen Punkt fest, der den Klägerinnen nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Kenntnis gebracht worden wäre. Die Entscheidung schildert klar und vollständig den gesamten Sachverhalt, aufgrund dessen sie das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise bejaht. Außerdem hat die Kommission ihre Entscheidung rechtlich im Hinblick auf jedes einzelne nach Artikel 85 Absatz 1 für die abgestimmte Verhaltensweise erforderliche Tatbestandsmerkmal sorgfältig begründet, namentlich was die Auswirkungen angeht, die eine solche Verhaltensweise auf den Wettbewerb haben muß, und was die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten anbelangt. Die Kommission war, glaube ich, nicht verpflichtet, jedem der betroffenen Unternehmen die ihm besonders zur Last gelegten Tatsachen vorzuhalten, da letzten Endes der gegen alle erhobene Hauptbeschwerdepunkt der war, an dieser Abstimmung teilgenommen zu haben; die Kommission hat übrigens in den Gründen ihrer Entscheidung Einzelheiten angeführt, die einige Firmen besonders betrafen; dies war im Rahmen eines gemeinsamen Verfahrens über die gleichen, von mehreren Unternehmen unter ähnlichen Umständen begangenen Zuwiderhandlungen zweifellos nicht unerläßlich.

Schließlich meinen die gleichen Klägerinnen, daß die Kommission in ihrer Entscheidung auf das hätte eingehen müssen, was sie schriftlich oder mündlich im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgetragen haben. Hiermit werfen sie Fragen auf, die gerade Gegenstand des Rechtsstreites vor dem Gerichtshof sind, zum Vorliegen der den Klägerinnen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen in enger Beziehung stehen und infolgedessen nur im gerichtlichen Verfahren sinnvoll behandelt werden konnten.

Sechster Abschnitt

Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung

Die Klägerin Francolor rügt, daß die Kommission die angefochtene Entscheidung im Amtsblatt der Gemeinschaften veröffentlicht hat, obwohl Artikel 21 der Verordnung Nr. 17, der die Veröffentlichung bestimmter Entscheidungen vorsieht, diejenigen nicht einbegreift, die in Anwendung von Artikel 15 der besagten Verordnung getroffen werden, das heißt die Entscheidungen, die eine Geldbuße verhängen.

Die Kommission entgegnet jedoch zu Recht, daß die nach der Zustellung erfolgte Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung als solche kein Grund für deren Aufhebung sein kann. Bedeutung hat allein die Zustellung der Entscheidung: Der Tag der Zustellung zählt für die Berechnung der Klagefrist und allein der dem Empfänger zugestellte Wortlaut ist maßgeblich.

Sie haben übrigens am 15. Juli 1970 in Ihrem Urteil Chemiefarma entschieden, daß die Kommission zwar nicht zur Veröffentlichung einer eine Geldbuße verhängenden Entscheidung verpflichtet ist, daß „sie … aber durch Wortlaut und Sinn des Artikels 21 auch nicht an der Veröffentlichung gehindert [war], solange diese keine Verbreitung von Geschäftsgeheimnissen der Unternehmen bedeutete“, und daß „… die der Entscheidung hierdurch gegebene Publizität … sogar dazu beitragen [kann], die Einhaltung der Wettbewerbsregeln des Vertrages zu gewährleisten“.

Vierter Titel

Die Geldbuße

Ich komme nun schließlich zu den Fragen, die sich auf die verhängten Geldbußen beziehen.

Wie Generalanwalt Gand in seinen Schlußanträgen zu den das internationale Chininkartell betreffenden Rechtssachen ausführte, finden Entscheidungen, die eine Geldbuße verhängen, ihre Grundlage in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, laut dem die Kommission gegen Unternehmen Geldbußen festsetzen kann, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen. Es heißt dort weiter, daß bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße, die Schwere des Verstoßes und die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind.

In den genannten Rechtssachen haben Sie selbst entschieden, daß bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung für die Bemessung der Geldbuße insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen, die Anzahl und die Bedeutung der beteiligten Unternehmen, der von ihnen jeweils kontrollierte Marktanteil sowie die Marktlage zur Zeit der Begehung der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Sie haben hinzugefügt, daß die Stellung, das individuelle Verhalten jedes Unternehmens und die Bedeutung seiner Rolle innerhalb des Kartells bei der individuellen Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden können.

Ich habe die Absicht, den Leitsätzen zu folgen, die sich somit aus Ihren Urteilen ergeben. Doch muß zuvor eine Rüge geprüft werden, die bereits anläßlich des internationalen Chininkartells erhoben worden ist. Sie betrifft die Verjährung der Zuwiderhandlung.

Erster Abschnitt

Die Verjährung

Die Klägerinnen machen in den vorliegenden Rechtssachen geltend, mangels einer Verjährung der Zuwiderhandlungen, die im Kartellrecht der Gemeinschaft nicht vorgesehen sei, müsse der Grundsatz angewandt werden, der sich in den ähnlichen Gesetzen der Mitgliedstaaten finde. Sie meinen, die in den Preiserhöhungen von 1964 und sogar von 1965 liegenden Zuwiderhandlungen seien verjährt, weil sie zu lange vor der am 31. Mai 1967 erfolgten Eröffnung des Verwaltungsverfahrens durch die Kommission begangen worden seien.

In dieser Formulierung deckt sich die Frage meines Erachtens mit der, die Sie mit Ihren Urteilen Chemiefarma, Buchler und Boehringer vom 15. Juli 1970, Slg.1970, 661, 733 und 769, entschieden haben: Dort stellen Sie zunächst fest, daß die Vorschriften, aus denen sich die Befugnis der Kommission zur Verhängung von Geldbußen bei Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften ergibt, keine Verjährung vorsehen, erinnern sodann daran, daß, „um die Rechtssicherheit zu gewährleisten,… Verjährungsfristen im voraus festgelegt werden [müssen]“, und stellen schließlich fest, daß „es Sache … des Gemeinschaftsgesetzgebers [ist], ihre Dauer und die Einzelheiten ihrer Anwendung zu regeln“. Mit diesen Worten haben Sie unausgesprochen, aber gewiß die Argumentation zurückgewiesen, die daraus hergeleitet wird, daß es einen den nationalen Rechtsordnungen gemeinsamen Grundsatz gebe, der im Gemeinschaftsrecht anwendbar sei; Sie sind dabei von der Erwägung ausgegangen, daß dieser Grundsatz von der gesetzlichen Regelung nicht zu trennen sei, die ihn enthält.

Ich will diese Rechtsprechung nicht in Frage stellen, zumal, wenn ich recht unterrichtet bin, dem Rat in naher Zukunft ein Vorschlag der Kommission vorgelegt werden könnte, um dieses Problem der Verjährung zu regeln.

Das Vorbringen der Klägerinnen veranlaßt mich jedoch, die Frage aufzuwerfen, ob die Kommission nicht, zumindest was die Erhöhung vom Jahre 1964 angeht, stillschweigend auf ihr Recht verzichtet hat, sie zu ahnden.

Der Anwalt der Gesellschaft ACNA hat bemerkt, daß der Gerichtshof im Rahmen der Befugnisse, über die er bei Klagen gegen geldliche Sanktionen kraft seiner Zuständigkeit zu unbeschränkter Rechtsprechung verfügt, zu beurteilen habe, ob der Zeitablauf zwischen den beanstandeten Handlungen und der ersten Maßnahme, mit der die Kommission von ihrem Verfolgungsrecht Gebraucht gemacht hat, nicht einem Verzicht auf dieses Recht gleichkommt.

Ich räume zwar ein, daß eine solche Beurteilung unter Ihre Zuständigkeit zu unbeschränkter Rechtsprechung fallen kann, doch glaube ich nicht, daß diese Auffassung in der Sache begründet ist. Es steht fest, daß nach dem gegenwärtigen Stande der gemeinschaftsrechtlichen Regelung die Kommission das Recht hat, Kartellverfahren einzuleiten oder nicht; es ist auch richtig, daß sie, wenn sie sich zu einer Verfolgung entschließt, dies zu jedem Zeitpunkt tun kann; hier handelt es sich um eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der Opportunität, der in diesem Bereich sicherlich anwendbar ist.

Aber einerseits:

Durch welche Handlung hat die Kommission konkret ihren Willen kundgetan, ein Verfahren einzuleiten?

Und andererseits:

Nach Ablauf welcher Frist müßte das Recht zur Verfolgung als aufgegeben betrachtet werden, wenn keine weitere Maßnahme erginge?

Diese beiden Fragen führen uns unausweichlich auf das Gebiet der Verjährung zurück.

Die erste Frage läuft in Wahrheit auf die Untersuchung hinaus, welches die erste Handlung zur Unterbrechung einer dem Gemeinschaftsrecht eben gerade unbekannten Verjährung war. Trotzdem will ich einmal so urteilen, wie wenn sich diese Frage stellte; ich würde dann darauf hinweisen, daß meines Erachtens die Nachprüfungen, die in den Monaten Juni und Juli 1965 aufgrund der Verordnung Nr. 17 gemäß deren Artikel 14 kraft schriftlicher Prüfungsaufträge von Beamten der Kommission durchgeführt wurden, Verjährungsunterbrechenden Untersuchungshandlungen gleichzustellen wäre. Die These der Klägerinnen, die aus dem Beschluß über die Einleitung des Verfahrens (31. Mai 1967) die erste Verfolgungshandlung machen wollen, wäre also bereits in diesem Punkte sehr anfechtbar.

Was die zweite Frage betrifft, die nach dem Verzicht auf die Verfolgung, so erheischt sie die folgende Antwort: Jedwede Behörde, der das Recht zur Verfolgung und Ahndung von Gesetzesverletzungen zusteht, verfügt nur über zwei Mittel, um auf bereits eingeleitete Verfolgungen zu verzichten:

entweder verzichtet sie ausdrücklich, was im vorliegenden Falle offensichtlich nicht geschehen ist;

oder sie läßt die Zeit verstreichen, ohne irgendeine Maßnahme zur Unterbrechung der Verjährung zu treffen, bis diese eingetreten ist. Aber damit komme ich erneut zu der hypothetischen Annahme einer Verjährung zurück, die es im Gemeinschaftsrecht nicht gibt.

Es sei noch hinzugefügt, daß im vorliegenden Falle die zwischen den ersten Nachprüfungen vom Juni 1965 und dem Beschluß zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens vom 31. Mai 1967 abgelaufene Frist in jedem Falle zu kurz wäre, um den Gedanken an einen stillschweigenden Verzicht auf das Verfolgungsrecht zu rechtfertigen. Schließlich können, wie wir gesehen haben, die streitigen Preiserhöhungen, die eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen, nicht voneinander getrennt werden, so daß man strafrechtlich gesprochen sagen könnte, diese abgestimmte Verhaltensweise stelle eine fortgesetzte Handlung dar.

Die Rüge der Verjährung wird deshalb nur zurückgewiesen werden können, wie immer man sie auslegen mag.

Zweiter Abschnitt

Die Berücksichtigung der durch die nationalen Behörden verhängten Geldbuße

Drei der klagenden deutschen Unternehmen, Bayer, Cassella und Hoechst, rügen, daß die angefochtene Entscheidung die Geldbuße, die ihnen vom Bundeskartellamt mit Bescheid vom 28. November 1967 wegen der Preiserhöhung vom Jahre 1967 auferlegt worden war, nicht berücksichtigt habe, obwohl Sie in Ihrem Urteil Walt Wilhelm vom 13. Februar 1969 die Kumulation der Sanktionen für verboten erklärt hätten.

Ohne im Rahmen der vorliegenden Streitfälle die Auslegung überprüfen zu wollen, welche diese Klägerinnen dem genannten Urteil geben wollen, will ich mich mit der Kommission auf die Antwort beschränken, daß der fragliche Verwaltungsbescheid wegen der aufschiebenden Wirkung der dagegen eingelegten Rechtsmittel niemals vollstreckt worden ist und daß er im übrigen jüngst durch die deutschen Gerichte aufgehoben worden ist.

Dritter Abschnitt

Die Höhe der Geldbuße

Wenn Sie sich die Feststellungen, die ich vortragen zu können glaubte, zu eigen machen, werden Sie letzten Endes dahin gelangen, die von der Kommission auferlegten Geldbußen auch in der Höhe voll zu bestätigen.

Denn die wiederholten Preiserhöhungen für Farbstoffe gehen nach einem Gesamtplan vor, aus dem ein Vorsatz spricht. Die Schwere der Zuwiderhandlung scheint mir ebenfalls nachgewiesen. Gewiß haben diese Erhöhungen wegen des Mechanismus des „Preis-Schnibbelns“ nur verhältnismäßig kurze Zeit angedauert, doch scheint mir die im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Unternehmen alles in allem genommen bescheidene Höhe der Geldbußen dieser Erwägung angemessen Rechnung zu tragen. Besonders erscheint mir die sehr geringe Höhe der der Firma ACNA auferlegten Geldbuße richtig auf das besondere Verhalten dieses Unternehmens zugeschnitten zu sein. Wenn sie nämlich die Durchführung der Erhöhung vom Jahre 1967 auf dem italienischen Markt verhindert hat, indem sie sich der Bewegung nicht anschloß, so hat sie doch bei der Erhöhung vom Jahre 1964 mitgemacht und an der vom Jahre 1965, zumindest was die Erhöhung für die Pigmente um 10 % betrifft, auf den Benelux-Märkten teilgenommen.

Nach alledem beantrage ich,

die Klagen 48, 49, 51 — 57/69 abzuweisen

die Kosten den Klägerinnen aufzuerlegen.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt. Schlußanträge in den Rechtssachen 48, 49 und 51-57/69.