SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS KARL ROEMER

VOM 12. NOVEMBER 1969

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Zum Sachverhalt des Verfahrens, das uns heute beschäftigt, ist in Kürze folgendes zu sagen.

Der Kläger ist im Jahr 1958 in die Dienste der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl getreten. Er leitete dort als Beamter die Abteilung Technische Forschung in der Generaldirektion Kohle, Direktion Produktion. Nach einer anfänglichen Einstufung in die Gehaltsgruppe A 5 rückte er im Jahre 1960 in die Gruppe A 4 auf, um im Jahre 1962 in die Gruppe A 3 befördert zu werden. — Anläßlich der Fusion der Exekutiven wurde die vom Kläger geleitete Abteilung aufgelöst. Im Rahmen der gemeinsamen Kommission war der Kläger danach mit gleichbleibender Einstufung in der Generaldirektion Energie, Direktion Kohle, als Berater in der Kohleforschung tätig. — Im Zuge der Rationalisierung der Kommissions-Dienststellen und der Verringerung ihrer Planstellenzahl kam auch auf den Kläger das aus anderen Verfahren bekannte Kapitel 2 der Ratsverordnung 259/68 zur Anwendung, in dem Sondermaßnahmen für die Beamten der Kommission vorgesehen sind. Zwar hatte er nicht endgültig aus dem Dienst auszuscheiden, die Kommission ersuchte ihn aber aufgrund von Artikel 8 der genannten Verordnung „mitzuteilen, ob er mit einer Einweisung in eine Planstelle einverstanden (sei), die der Laufbahn unmittelbar unter derjenigen Laufbahn zugeordnet ist, der seine Besoldungsgruppe angehört“. Dieses Einverständnis erklärte der Kläger. Gemäß einer Entscheidung der Kommission vom 21. Mai 1968 übt er infolgedessen seit dem 4. Juni 1968 Funktionen der Gehaltsgruppe A 4 aus. Wie in Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung 259 vorgesehen, hat er jedoch weiterhin Anspruch auf die Bezüge der Gehaltsgruppe A 3 sowie alle sich daraus ergebenden Vorteile. — Unter Berufung auf das gleichfalls in Artikel 8 Absatz 2 verankerte „Vorrecht auf Versetzung in jedwede frei gewordene oder neu geschaffene Planstelle seiner Besoldungsgruppe“ bewarb sich der Kläger in der Folgezeit wiederholt um ausgeschriebene freie Stellen der Gehaltsgruppe A 3. Zum Teil erhielt er keine Antwort, zum Teil wurde ihm mitgeteilt, daß seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte. Eine unter dem Datum des 9. September 1968 eingereichte Bewerbung scheint zur Zeit der Klageerhebung noch in der Prüfung gewesen zu sein.

Für das gegenwärtige Verfahren ist von Bedeutung, daß sich der Kläger am 25. Oktober 1968 auch um die unter dem Zeichen COM/161 ausgeschriebene Stelle des Leiters der Abteilung Betriebssicherheit in der Generaldirektion Soziale Angelegenheiten beworben hat. Mit der Bewerbung reichte er eine ausführliche Note ein, in der er seine Tätigkeit und seine Berufserfahrung auf dem Gebiete der Betriebssicherheit darstellte. Zur Unterstützung seiner Bewerbung wandte er sich mit einem Schreiben vom 6. November 1968 auch an das für die Materie zuständige Kommissionsmitglied. Außerdem machte er in einem weiteren Brief vom 6. November 1968 unter Anführung von Erläuterungen den Präsidenten der Kommission auf seine Bewerbung aufmerksam. Beiden Schreiben war die bereits erwähnte Note beigefügt.

Die Bemühungen des Klägers waren indessen nicht erfolgreich. Durch Entscheidung der Kommission vom 18. Dezember 1968 wurde vielmehr im Wege der Beförderung ein Beamter der Gehaltsgruppe A 4 in die ausgeschriebene Stelle eingewiesen. Dagegen beschwerte sich der Kläger in einem an den Präsidenten der Kommission gerichteten Schreiben vom 19. Dezember 1968. Er vertrat den Standpunkt, die getroffene Entscheidung mißachte das ihm nach Artikel 8 der Verordnung 259 zustehende Vorrecht auf Versetzung, und er bat darum, die „Verkündung der Entscheidung an die Bewerber bis zur Klärung der strittigen Frage auszusetzen“. Auch damit blieb er jedoch erfolglos. Tatsächlich wurde die beanstandete Beförderung in einem internen Dokument der Kommission vom 16. Januar 1969 bekanntgegeben. Später erfuhr der Kläger in einem Schreiben der Generaldirektion Personal und Verwaltung vom 30. Januar 1969 lediglich, die Anstellungsbehörde habe seine Bewerbung nicht berücksichtigen können.

Daraufhin rief er am 5. März 1969 den Gerichtshof an.

In der Klageschrift beantragte er:

festzustellen, daß das Vorrecht des Artikels 8 der Verordnung 259/68 seinem Inhaber beim Nachweis der Eignung für eine bestimmte Stelle einen absoluten Vorrang anderen Bewerbern gegenüber einräume;

festzustellen, daß der Kläger die erforderliche Eignung für den unter dem Zeichen COM/161 ausgeschriebenen Posten besitze und daß er infolgedessen ein Recht auf Versetzung in diese Stelle gehabt habe.

Ferner beantragte er, die Entscheidung der Kommission aufzuheben, in der seine Versetzung in den ausgeschriebenen Posten abgelehnt und in der ein anderer Beamter in die Stelle eingewiesen wurde. Endlich beantragte er festzustellen, daß der ernannte Beamte verpflichtet sei, dem Rechtsstreit beizutreten.

In der Replik findet sich darüber hinaus noch der Antrag festzustellen, daß die Besetzung eines Postens, auf den ein Vorrecht geltend gemacht wird, nach genau definierten Regeln zu erfolgen habe, und zwar nach Regeln, die der Gerichtshof selbst wenigstens im allgemeinen bestimme oder zu deren Erlaß er die Kommission anweise.

Die Kommission bittet darum, wegen Fehlens einer entsprechenden Entscheidung, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, der auf Aufhebung einer die Ernennung des Klägers ablehnenden Entscheidung gerichtet ist. Sie beantragt außerdem, den in der Replik formulierten neuen Antrag für unzulässig zu erklären. — Im übrigen ist sie der Ansicht, daß die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen werden muß.

Wenn wir uns nunmehr fragen, welche rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts angezeigt erscheint, so muß zunächst auf einige Zulässigkeitsprobleme eingegangen werden.

I — Zulässigkeitsfragen

1.

Wie schon erwähnt, bestreitet die Kommission vorweg den Erlaß einer besonderen Entscheidung über die Zurückweisung der Bewerbung des Klägers. Sie macht geltend, es komme infolgedessen auch ihre Aufhebung nicht in Betracht.

Diese Auffassung dürfte in der Tat zutreffen. Für die Kommission handelte es sich offenbar um die Besetzung eines Postens gemäß Artikel 29 Absatz 1 a des Personalstatuts, also um ein Ernennungsverfahren, in dessen Rahmen eine Reihe von Kandidaten zu prüfen waren. Zweifellos gab es in diesem komplexen Verfahren einen auf den Kläger bezogenen Willensakt der Kommission mit dem Inhalt, seine Bewerbung nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich ist jedoch, daß er nicht in einer speziellen ausdrücklichen Entscheidung verlautbart wurde, daß es vielmehr — ebenso wie in der Rechtssache 16/64 ( 1 ) — nur eine ausdrückliche Entscheidung positiven Inhalts gab, nämlich die, einen anderen Bewerber in die ausgeschriebene Stelle einzuweisen. Dementsprechend kann auch die dem Kläger zugegangene Mitteilung vom 30. Januar 1969 allenfalls auf einen vorbereitenden Teilakt des Ernennungsverfahrens, nicht aber auf eine besondere Entscheidung über die Zurückweisung seiner Bewerbung Bezug genommen haben. Damit steht fest, daß sein Annullierungsantrag nur berechtigt ist im Hinblick auf die erwähnte positive Entscheidung über die Beförderung eines anderen Beamten. Im übrigen hingegen ist er — weil gegenstandslos — als unzulässig zurückzuweisen.

2.

Bedenken ergeben sich gleichermaßen zur Zulässigkeit zweier Feststellungsanträge, nämlich des Antrags auf Feststellung, der Kläger besitze die erforderliche Eignung für den ausgeschriebenen Posten, sowie des Antrags zu erklären, der Kläger habe einen Anspruch auf Versetzung in diese Stelle.

Mit Recht wurde im Verfahren geltend gemacht, die Frage der Eignung impliziere ein Werturteil, das allein der Kommission zustehe und das der Gerichtshof nicht ersetzen könne. Wenn dem so ist, erscheint es aber prinzipiell ausgeschlossen, daß der Gerichtshof eine positive Feststellung von der Art trifft, wie sie der Kläger begehrt.

Dasselbe gilt für seinen Anspruch auf Ernennung. Der Gerichtshof könnte ihn selbst dann nicht feststellen, wenn die Eignung des Klägers für den ausgeschriebenen Posten unstreitig wäre. Aus dem Klagevortrag ergibt sich nämlich, daß sich außer dem Kläger zwei andere A-3-Beamte mit Vorrecht auf Versetzung um die ausgeschriebene Stelle beworben haben. Über ihre Eignung ist uns nichts bekannt. Selbst also wenn es nur um vorrangige Versetzung ginge, hätte die Kommission insoweit ein abwägendes Urteil zu fällen, das der Gerichtshof nicht vorwegnehmen kann. Für den Ernennungsanspruch fehlt es demnach an der Schlüssigkeit, was dazu zwingt, ihn ebenfalls als unzulässig zurückzuweisen.

3.

Zu dem prozessualen Antrag des Klägers auf Feststellung, der ernannte Beamte müsse dem Rechtsstreit beitreten, oder anders gesagt, zu seinem Beiladungsantrag, sind nur wenige Worte vonnöten. — Ganz gleich, wie man zu dem Rechtsinstitut der Beiladung steht und insbesondere zu der Frage, ob es in unserem Verfahrensrecht einen Platz haben könnte, entscheidend ist, daß es im gehenden Prozeßrecht des Gerichtshofs nicht vorgesehen ist. Der Gerichtshof kann also Streithilfe nicht anordnen, sondern er muß sie der freien Entscheidung der Interessierten überlassen. Daraus folgt, daß die vom Kläger begehrte Feststellung keine legale Basis hat und somit ebenfalls der Abweisung verfällt.

4.

Schließlich ist die Kommission noch der Ansicht, der in der Replik formulierte Feststellungsantrag des Klägers müsse als verspätet gestellt zurückgewiesen werden.

In diesem Punkte zögere ich jedoch, ihrer Meinung zu folgen. Zwar steht fest, daß sich der genannte Antrag in der Klageschrift nicht findet (und zwar auch nicht versteckt in der Form einer Klagebegründung). Man kann aber wohl sagen, daß er erst durch die Vorlage eines Sitzungsprotokolls der Kommission möglich gemacht wurde, weil sich aus ihm Einzelheiten des Ernennungsverfahrens und namentlich die Tatsache entnehmen lassen, daß es ohne speziell fixierte Durchführungsvorschriften vorgenommen wurde. Es liegt demnach nahe, insofern auf Artikel 42 der Verfahrensordnung zurückzugreifen, dessen Prinzipien der Gerichtshof wiederholt im Falle von Klageänderungen und Klageerweiterungen analog herangezogen hat. — Darüber hinaus halte ich es grundsätzlich auch für unbedenklich, daß der Gerichtshof gebeten wird, der Kommission gewisse Anordnungen zu geben. Auf rein rechtlichem Gebiet, d.h. solange nicht in einen Ermessens- oder Beurteilungsraum eingegriffen wird, dürfte dies nicht ausgeschlossen sein. — Damit steht fest, daß eine Untersuchung des in der Replik formulierten Klagepunktes nicht verweigert werden kann. — Ob ihr Ergebnis allerdings in den Urteilstenor aufzunehmen ist oder ob, weil es sich in Wahrheit nur um einen Klagegrund handelt, lediglich eine Behandlung in den Entscheidungsgründen angezeigt erscheint, ist eine andere Frage. Sie kann im gegenwärtigen Zusammenhang noch offenbleiben.

II — Zur Hauptsache

Nach diesen Bemerkungen zur Klagezulässigkeit können wir uns der Frage zuwenden, ob die gestellten Anträge begründet sind. Dabei steht der Klageantrag im Vordergrund, der sich mit der Nichtigerklärung der Entscheidung vom 18. Dezember 1968 befaßt, also mit der Aufhebung der Ernennung eines anderen Beamten in die ausgeschriebene Stelle. Gegen diese Ernennung wendet sich der Kläger hauptsächlich mit dem Argument, sie mißachte das ihm im Artikel 8 der Verordnung 259 verbriefte Vorrecht auf Versetzung. Dazu entwickelt er zunächst eine Reihe von prinzipiellen Erwägungen, deren Berechtigung — wie ich glaube — im wesentlichen nicht angezweifelt werden kann. Wir sollten sie daher ausdrücklich hervorheben. So dürfte tatsächlich nicht zu bestreiten sein, daß die Zurückstufung des Artikels 8 der Verordnung 259 (um einmal abkürzend so zu sagen), wie alle Sondermaßnahmen des Kapitels 2 dieser Verordnung, als Abweichung von den allgemeinen Statutsregeln über die Beamtenlaufbahn besonders strengen Grundsätzen zu gehorchen hat. Ihnen zufolge muß die Kommission darauf bedacht sein, also auch im Rahmen der Organisation ihrer Verwaltung dahin wirken, daß der an sich statutswidrige Zustand auf einen möglichst kurzen Zeitraum beschränkt bleibt. Dies ist zu verlangen im Hinblick auf das Grundanliegen des zweiten Kapitels der Verordnung 259, in dem von Rationalisierung und Verringerung der Planstellenzahl gesprochen wird (was weithin gleichbedeutend ist mit finanziellen Einsparungen). In der Tat läßt es sich damit schwerlich vereinbaren, A-3-Beamten Funktionen einer niedrigeren Gehaltsgruppe zu belassen und gleichzeitig Beamte der niedrigeren Gehaltsgruppe mit Hilfe von Beförderungen in freie Dienstposten der Gruppe A 3 einzuweisen. — Besondere Anstrengungen sind von der Verwaltung aber nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Interessen der zurückgestuften Beamten zu verlangen, denen ein Vorrecht auf Versetzung eingeräumt wurde, oder, wie der französische Text deutlicher sagt, ein „droit de priorité“. Es soll sicherstellen, daß ihre Situation möglichst schnell wieder mit dem in der Rechtsprechung ( 2 ) wiederholt betonten Grundprinzip des Beamtenrechts in Einklang gebracht wird, nach dem sich Dienstgrad und ausgeübte Funktionen entsprechen müssen. Das Vorrecht kann jedoch zweifellos nur dann zum Tragen kommen, wenn angenommen wird, daß ihm eine strenge Verpflichtung der Verwaltung entspricht. Insofern kommen mancherlei Gesichtspunkte in Betracht. Welcher Art sie sind, gilt es nunmehr zu prüfen, um danach festzustellen, ob die Kommission im gegenwärtigen Fall allen vernünftigen Anforderungen gerecht geworden ist.

1.

zunächst denkt der Kläger — wie wir gesehen haben — an die Notwendigkeit, ausführliche Regeln und genaue Kriterien für die Anwendung von Artikel 8 der Verordnung 259 festzulegen, damit beurteilt werden kann, ob die Kommission entsprechende Versetzungsansprüche korrekt gewürdigt hat.

Sieht man sich an, unter welchen Voraussetzungen gemäß Artikel 8 Absatz 2 ein Vorrecht auf Versetzung besteht, nämlich bei Vorhandensein einer freien Stelle und der erforderlichen Eignung für sie, so kann jedoch kaum der Eindruck gewonnen werden, daß es sich hier um eine Vorschrift handelt, die nach Ausführungsbestimmungen verlangt. Im Grunde ist für ihre Anwendung allein problematisch die notwendige Eignungsprüfung. Wie für sie aber bei der Vielfalt der zu regelnden Fälle und in Anbetracht der Rangunterschiede, die dabei begegnen, an die Fixierung allgemeiner Regeln gedacht (etwa die Durchführung eines Auswahlwettbewerbs angeordnet) oder gar das Gewicht der bei der Prüfung zu beachtenden Gesichtspunkte generell bestimmt werden könnte, sehe ich nicht. Ich bin deshalb der Meinung, daß auch ohne solche Durchführungsvorschriften die gerichtliche Kontrolle voll wirksam werden kann und daß im übrigen nur auf die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen Eignungsprüfung hinzuweisen ist. Ihr wird die Kommission am ehesten gerecht, wenn sie verfährt, wie Euler es in seinem Buch „Europäisches Beamtenstatut“ ( 3 ) für den ähnlich gelagerten Fall des Artikels 41 des Personalstatuts gutgeheißen hat, d.h. wenn sie den Akzent auf die Fachrichtung eines zu versetzenden Beamten legt und etwaige Spezialkenntnisse nicht überbewertet. Ob sich die Kommission in unserem Fall so verhalten hat, werden wir später sehen. Jetzt bleibt nur festzustellen, daß das Fehlen von Durchführungsvorschriften zu Artikel 8 der Verordnung 259 die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung nicht rechtfertigt.

2.

Bewerben sich sowohl bevorrechtigte Beamte wie auch Beförderungsanwärter um eine freie Stelle (was in unserem Falle geschehen ist), so ist es der Kommission nach Ansicht des Klägers verwehrt, einen allgemeinen Vergleich der Fähigkeiten und Verdienste durchzuführen (wie ihn Artikel 45 für die Beförderung vorsieht). In einem solchen Fall sei vielmehr eine getrennte Prüfung zunächst der bevorrechtigten Beamten erforderlich, ja sogar ein getrenntes Verfahren, an das sich erst bei negativem Ausgang eine Prüfung der Beförderungsanwärter anschließen könne.

Damit dürfte der Kläger einen Punkt von ganz besonderem Interesse angerührt haben. Hält man sich nämlich vor Augen, daß das Vorrecht auf Versetzung wesentlich von der Eignungsfrage abhängt, also von einem Werturteil, das der gerichtlichen Kontrolle nur geringe Möglichkeiten läßt, und anerkennt man andererseits die Notwendigkeit, das genannte Vorrecht mit echten Garantien zu versehen, so bleibt (abgesehen vom Begründungszwang, auf den wir nachher eingehen) als wirksamstes Mittel tatsächlich nur eine verfahrensmäßige Absicherung. Niemand wird aber bestreiten wollen, daß die Eignungsprüfung am ehesten vor unzulässigen Einflüssen bewahrt ist, wenn im Zusammenhang mit ihrer Durchführung etwaige Beförderungsmöglichkeiten vollkommen außer Berracht bleiben. Obwohl Artikel 8 der Verordnung 259 eine derartige Trennung der Prüfungen nicht ausdrücklich vorschreibt, halte ich es also mit dem Kläger für vertretbar, auf ihre Notwendigkeit aus dem Wesen des in Artikel 8 verankerten Vorrechtes zu schließen. Dagegen kann man auch schwerlich — wie es die Kommission versucht — einwenden, dies führe zu einer unangemessenen Verzögerung in der Besetzung freier Stellen. In Wahrheit geht es ja nicht darum, getrennte Stellenausschreibungen durchzuführen, d.h. erst nach Abschluß der Prüfung bevorrechtigter Beamter Beförderungskandidaten zur Einreichung ihrer Bewerbungen aufzufordern. Vielmehr können durchaus alle an der Besetzung einer Stelle interessierten Beamten gleichzeitig ihr Interesse geltend machen. Zu verlangen ist nur, daß danach getrennte Prüfungen durchgeführt werden, und daraus allein kann sich schwerlich ein beträchtlicher Zeitverlust ergeben. — Folgt man diesem Gedankengang, so muß die angegriffene Entscheidung zweifellos aufgehoben werden, eben weil sie nach gemeinsamer Prüfung von Versetzungsansprüchen und Beförderungsanträgen zustande kam.

Wer in den verfahrensmäßigen Anforderungen nicht so weit gehen will, muß aber doch wenigstens den Grundsatz anerkennen, daß ein Vergleich aller Bewerber untereinander, d.h. ein Vergleich der bevorrechtigten Beamten mit den Beförderungsanwärtern, nicht stattfinden darf.

Würde er erfolgen, so ginge die Kommission mit Sicherheit über die nach Artikel 8 allein zulässige Eignungsprüfung hinaus, und es käme zu einer Abwägung der Verdienste nach Maßgabe der Beförderungsvorschriften, d.h. letztlich zu einer Beeinträchtigung des Vorrechts auf Versetzung. Dem scheint auch die Kommission zuzustimmen. — Nach dem uns vorgelegten Protokoll über die Sitzung, in der die angegriffene Entscheidung getroffen wurde, ist indessen nicht völlig klar, ob die Kommission sich an das gesamte Prinzip gehalten hat. In dem Protokoll heißt es nämlich zunächst ganz allgemein: „Les actes de candidature des intéressés ont été diffusés. M. Levi Sandri présente un exposé détaillé des qualifications des candidats … Il donne à la Commission les éléments de l'examen qu'il a fait de leurs mérites“. Weiterhin ist ausgeführt: „La Commission prend note que chacun de ses Membres est en possession des notations des candidats et a procédé à l'examen desdites notations“. Damit scheint tatsächlich eine Prüfung beschrieben zu sein, wie sie gemeinhin vor Beförderungen durchgeführt wird, und dies namentlich, weil von den „mérites“ und den „notations“ aller Kandidaten die Rede ist, also von Bewertungen, die mit der Eignungsprüfung nicht unmittelbar zu tun haben. Erst auf Seite 2 des Protokolls ist dann im Hinblick auf die bevorrechrigten Beamten gesagt, „la Commission examine en premier lieu la possibilité pour des fonctionnaires de bénéficier de cette disposition“ (gemeint ist Artikel 8 der Verordnung 259). Was die Beförderungskandidaten angeht, lesen wir schließlich im vorletzten Absatz des Protokolls, „la Commission procède ensuite à un examen comparatif des mérites des autres candidats“. — Verständlicherweise legt die Kommission den Akzent auf diese Seite des Protokolls, um darzutun, daß sie die Untersuchung, wie es das Statut verlangt, in getrennten Etappen durchgeführt hat. Nimmt man jedoch eine objektive Prüfung vor, so kommt man zumindest an der Feststellung gewisser Widersprüche nicht vorbei. Insbesondere läßt sich nach dem Gesamtinhalt des Protokolls nicht ausschließen, daß selbst bei Einhaltung der von der Kommission angegebenen Reihenfolge der Prüfung von Anfang an der Eindruck eine Rolle gespielt hat, den die Kommissionsmitglieder aus der allgemeinen Beurteilung sämtlicher Kandidaten erhielten. Damit aber erscheint die Prüfung nicht in einer Weise unbeeinflußt und abgegrenzt, wie sie bevorrechtigte Beamte beanspruchen können.

Auch dies reicht meines Erachtens aus, von einer Fehlerhaftigkeit des Verfahrens zu sprechen und die daraus resultierenden Entscheidung aufzuheben.

3.

Wie ich schon angedeutet habe, ist eine weitere Absicherung des Vorrechts auf Versetzung durch das Erfordernis zu erreichen, bei negativem Ausgang der Prüfung eine eingehende Begründung im Hinblick auf Art und Gründlichkeit der angestellten Erwägungen zu geben. Lassen Sie uns also zusehen, ob die Kommission diesem Gebot gerecht geworden ist. Dabei wird man freilich nicht so weit gehen können, den Erlaß einer besonderen motivierten Entscheidung und ihre Zustellung an den Betroffenen zu verlangen. Dies hat der Gerichtshof in Ernennungsverfahren (was übergangene Bewerber angeht) nie für erforderlich gehalten; daß es gegenüber bevorrechtigten Kandidaten zwingend sei, wird man ebensowenig belegen können. Zu prüfen ist demnach allein, welche Begründung bei der Festlegung der angegriffenen Entscheidung in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurde und — entsprechend dem Urteil der Rechtssache Serio ( 4 ) — wie die Kommission dem Gerichtshof gegenüber ihre Entscheidung zu motivieren versucht.

Was zunächst die Begründung des Sitzungsprotokolls angeht, so kann mit dem Kläger gesagt werden, daß ihr jegliche Substanz fehlt. Tatsächlich finden wir dort nur den Satz „ayant pris en considération au vue de leur dossier, tant la formation universitaire que l'expérience professionnelle des intérressés, de même que l'ensemble de leur personnalité“, d.h. wir begegnen einer stereotypen Formel, aus der Besonderheiten des einzelnen Falles (immerhin standen drei bevorrechtigte Bewerber zur Beurteilung) nicht entnommen werden können. Käme es nur auf sie an, so müßte sich die Kommission also sicher den Vorwurf der Unvollständigkeit gefallen lassen.

Weitere Einzelheiten erfuhren wir anfangs auch im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof nicht. Erst in der Duplik ging die Kommission ausführlicher auf die Gründe ein, die gegen die Eignung des Klägers für den ausgeschriebenen Posten gesprochen haben sollen. Im wesentlichen entnehmen wir ihnen, der Kläger habe auf dem Gebiet der Betriebssicherheit vor allem technische Fähigkeiten, während über die juristischen Aspekte von ihm nichts gesagt worden sei. Deshalb habe er nicht für eine Stelle in Betracht gezogen werden können, die — der Ausschreibung zufolge — vertiefte Kenntnisse der Rechtslage auf dem Gebiet der Betriebssicherheit verlangt.

Dies stellt zweifellos eine sachliche Einzelbegründung dar. Indessen ist unsere Prüfung damit nicht abgeschlossen. Zu fragen bleibt vielmehr, ob die gegebene Begründung auch völlig überzeugungskräftig erscheint. Wenn wir dieser Frage nachgehen, berühren wir zwar das von der Kommission abgegebene Werturteil über die Eignung des Klägers. Da dies aber nicht in dem Bestreben geschieht, die Bewertung der Kommission zu ersetzen, sondern allein um festzustellen, ob gegen ihre Stichhaltigkeit schwerwiegende Indizien sprechen, dürften grundsätzliche Bedenken ebensowenig bestehen wie bei der Nachprüfung der Gründe in der — ähnlich gelagerten — Rechtssache 62/65 ( 5 ). Wesentlich ist im gegenwärtigen Zusammenhang zunächst einmal, was der Kläger selbst — ohne Widerspruch von seiten der Kommission — über seine frühere Tätigkeit auf dem Gebiete der Betriebssicherheit ausgeführt hat. Seiner Note vom 24. Oktober 1968 entnehmen wir, daß er jahrelang in einem großen Industrieunternehmen die Zentralabteilung „Betriebssicherheit“ geleitet hat. Er war ferner in verschiedenen Kommissionen, die sich mit einschlägigen Fragen befaßten. Er gab in der Berufsausbildung entsprechende Unterweisungen und publizierte auf diesem Gebiet. Nicht zuletzt interessiert insofern seine im Jahre 1958 erschienene Dissertation über Unfallast und Unfallverhütung im Ruhrkohlenbergbau. Auch im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Hohen Behörde spielte die Betriebssicherheit eine Rolle. Wir erfuhren, daß der Kläger stellvertretender Sekretär der Sachverständigengruppe für die Sicherheit in den Bergwerken war und daß er als Leiter der Abteilung Technische Forschung mit verschiedenen Forschungsprogrammen auf dem Gebiete der Betriebssicherheit und Arbeitshygiene beschäftigt war. — Für weitere Einzelheiten darf ich auf die bereits genannte Note hinweisen. Tatsächlich kann man nach ihr den Eindruck gewinnen, daß der Kläger gerade auf dem Gebiete der Betriebssicherheit eingehend bewandert ist. Dieser Eindruck wird im übrigen durch den Umstand bestätigt, daß der Leiter der Generaldirektion, zu der die ausgeschriebene Stelle gehört, also eine für die Beurteilung besonders kompetente Persönlichkeit, ausdrücklich im Hinblick auf sämtliche Bewerber, den Kläger eingeschlossen, erklärt hat, es handele sich um geeignete Kandidaten („candidats valables“).

Dem halt die Kommission im Gunde nur entgegen, es sei für die Besetzung der Stelle auch auf Umfang und Qualität der Rechtskenntnisse angekommen. Daß sie mit diesem Hinweis die Eignungsfrage eindeutig zum Nachteil des Klägers entscheiden konnte, erscheint jedoch in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft.

Einmal ist nämlich schwer vorstellbar, der Kläger habe sich über Jahre hinweg mit dem Gebiet der Betriebssicherheit befaßt, ohne gleichzeitig mit den rechtlichen Aspekten ausreichend vertraut geworden zu sein. — Zum anderen halte ich folgenden Gedankengang für bedeutsam. In erster Linie wird nach der Stellenausschreibung eine „formation d'ingénieur“ verlangt. Daß der Kläger sie hat, ist offenkundig. Ob ein Gleiches für den ernannten Kandidaten zutrifft, der als Jurist ausgebildet ist, dürfte zumindest zweifelhaft sein. Den uns vorliegenden Unterlagen entnehmen wir jedenfalls, es sei ihm nur vorläufig (wegen Personalmangels) auch die Prüfung einzelner technischer Fragen anvertraut worden (so der Bericht für das Jahr 1963) bzw. er befasse sich, wenn notwendig, auch mit den technischen Aspekten auf dem Gebiete der Betriebssicherheit (so der Bericht für die Jahre 1964 und 1965). Daraus soll nun zwar nicht der Schluß gezogen werden, es fehle dem ernannten Kandidaten die Eignung für den ihm übertragenen Posten (was seine Ernennung zu Fall bringen müßte). Dieser Umstand macht aber doch deutlich, daß die Kommission offensichtlich die Erfordernisse der Stellenausschreibung nicht engherzig interpretiert hat. Wenn sie dies aber schon in Bezug auf einen Beförderungskandidaten für zulässig gehalten hat, schuldet sie zweifellos eine besondere Rechtfertigung dafür, daß die gleiche — oder eine noch liberalere — Einstellung (ich denke jetzt an die Rechtskenntnisse des Klägers) bei der Beurteilung seines Vorrechts auf Versetzung nicht angebracht war. Eine solche Rechtfertigung sehe ich nirgends.

In Anbetracht der strengen Erfordernisse des Artikels 8 der Verordnung 259 zwingt dies meines Erachtens zu der Feststellung, daß die negative Beurteilung der Eignung des Klägers für den ausgeschriebenen Posten Anlaß zu berechtigter Kritik gibt und daß es zumindest an einer überzeugenden Begründung für seine Nichtberücksichtigung fehlt. Auch damit ist ein Grund gegeben, die angegriffene Entscheidung aufzuheben.

4.

Zusätzliche Untersuchungen erübrigen sich danach. Dies gilt für den Antrag, der sich mit der Definition des Vorrechtes auf Versetzung befaßt. Er dürfte mit den bisherigen Ausführungen hinlänglich behandelt sein. Ihn im Tenor des Urteils mit besonderen Feststellungen zu bescheiden, halte ich nicht für notwendig. — Dies gilt weiterhin für den — subsidiär — gestellten Antrag auf Annullierung der Ablehnungsentscheidung, die mit Ablauf von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde des Klägers als stillschweigend erlassen angesehen wird. — Endlich gilt ein Gleiches für das hilfsweise vorgebrachte Argument, die angegriffene Entscheidung verletze Artikel 5 Absatz 2, Artikel 27 Absatz 1 und Artikel 45 Absatz 1 des Personalsratuts. Tatsächlich wäre darauf allenfalls einzugehen, wenn von einem Vorrecht auf Versetzung in dem bisher besprochenen Sinne abgesehen werden müßte.

III — Zusammenfassung

Ich kann demnach insgesamt folgende Schlußanträge formulieren:

Als unzulässig zurückzuweisen sind die Anträge des Klägers, die sich richten auf Annullieren der — nicht existierenden — Entscheidung, mit der seine Bewerbung zurückgewiesen worden sei, auf Feststellung, der Kläger sei für den ausgeschriebenen Posten geeignet und er habe ein Recht auf Ernennung sowie auf Feststellung, der ernannte Beamte habe dem Rechtsstreit beizutreten.

Unbegründet ist der Antrag des Klägers auf Feststellung, die Kommission sei verpflichtet, genaue Regeln für die Besetzung eines Postens zu erlassen, um den sich bevorrechtigte Beamten bewerben.

Dagegen erscheint die Klage begründet, soweit die Aufhebung der Entscheidung verlangt wird, mit der ein anderer Beamter in den ausgeschriebenen Posten eingewiesen wurde.

Was die Verfahrenskosten angeht, so halte ich es für gerechtfertigt, sie insgesamt der Kommission aufzuerlegen, da die Klage im wesentlichen erfolgreich ist.


( 1 ) Band XI, Seite 201.

( 2 ) Rechtssache 15/65 — Band XI, Seite 1389.

( 3 ) Band I, Seite 324.

( 4 ) Band XII, Seite 857.

( 5 ) Band XII, Seite 857.