Schlußanträge des Generalanwalts Herrn Joseph Gand

vom 14. November 1968 ( 1 )

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Anläßlich eines zwischen einem italienischen Unternehmen und dem Außenhandelsministerium der Italienischen Republik vor ihm anhängigen Rechtsstreits wegen Schadensersatzes für die Verweigerung einer Einfuhrgenehmigung ersucht Sie die Corte di Appello Rom um Auslegung der die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten regelnden Artikel 30 ff. EWGV.

I.

Obwohl Sie natürlich im Rahmen von Artikel 177 in der Sache selbst nicht zu entscheiden haben, ist es nicht möglich, die vorgelegten Fragen zu erörtern oder die Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens und der. Kommission zu verstehen, ohne sich den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt wenigstens insoweit in Erinnerung zu rufen, wie er sich feststellen läßt.

Die Firma Salgoil, die ihren Sitz in Mailand hat, schloß am 23. September 1960 mit dem Baseler Unternehmen „Rohimpag“ einen Kaufvertrag über die Einfuhr von 4000 Tonnen fett- oder wachshaltiger Bleicherden aus den Ländern der EWG und/oder der OEEC nach Italien. Vertragsgemäß zahlte sie am 6. Oktober242000,— Dollar, die Hälfte des vereinbarten Preises. Die ersten Lieferungen der Ware trafen im Laufe desselben Monats in Italien ein. Unstreitig war während dieser ganzen Zeit die Einfuhr der Ware frei, obwohl bekanntlich die Meinungen der Firma Salgoil und der Kommission darüber auseinandergehen, ob diese Freiheit auf die Konsolidierung der OEEC-Beschlüsse von 1955 oder auf eine selbständige Entscheidung der italienischen Regierung zurückzuführen war. Wenig später wurde die Einfuhr der Ware aber durch das Gesetz Nr. 1407 vom 13. November 1960 verboten, „soweit dies nach den internationalen Vereinbarungen zulässig ist“ (Artikel 7) und durch ein Dekret vom darauffolgenden Tage, das am 29. November veröffentlicht wurde und am 14. Dezember in Kraft trat, einem Lizenzsystem unterworfen. Ein Rundschreiben des Finanzministers vom 7. Februar 1961 präzisierte außerdem, daß die Ware nur noch aus EWG-Ländern und nur im Rahmen der jährlich festgesetzten Globalkontingente eingeführt werden könne. Da das örtliche Zollamt die zollamtliche Abfertigung der ersten Lieferungen verweigerte, beantragte die Firma Salgoil beim Außenhandelsministerium eine Einfuhrgenehmigung; diese wurde mit Schreiben vom 23. Mai 1961 versagt.

Das Unternehmen klagte sodann vor dem Tribunale Civile Rom auf Wiedergutmachung des ihm hierdurch angeblich entstandenen Schadens und berief sich insbesondere auf die Verletzung der Artikel 31 und 33 des Vertrages. Dieses Gericht erklärte sich jedoch aus folgenden Gründen für unzuständig: In Ein- und Ausfuhrangelegenheiten habe der einzelne kein vollkommenes subjektives Recht, sondern nur ein bedingtes oder abgeschwächtes Recht; die Vorschriften des Vertrages hätten hieran nichts geändert, denn sie beträfen unmittelbar nur die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten; schließlich unterschieden sich die subjektiven Rechtsstellungen, die die einzelnen Angehörigen der Mitgliedstaaten erwerben könnten, qualitativ nicht von den den Bürgern bereits vom innerstaatlichen Recht durch generelle Normen eingeräumten.

Die Firma Salgoil blieb im Berufungsverfahren bei ihrer Auffassung, daß die von ihr herangezogenen Vertragsbestimmungen den Angehörigen der Mitgliedstaaten unmittelbar subjektive Rechte, nicht nur rechtlich geschützte Interessen verliehen; nach der italienischen Rechtsordnung müsse dies die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte begründen.

Bei diesem Sachstand legt Ihnen die Corte di Appello Rom zwei in den Gründen ihres Vorlegungsbeschlusses formulierte Fragen vor, weil sie der Auffassung ist, daß ihre Entscheidung von der Auslegung des Vertrages abhänge.

Die erste Frage ist sehr einfach gefaßt: Gelten die Vorschriften der Artikel 30 ff. des Vertrages, insbesondere Artikel 31, auch für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Mitgliedstaat und seinen Bürgern?

Die zweite Frage setzt voraus, daß die erste bejaht wird. Sie faßt zwei Hypothesen, zwei mögliche Rechtsstellungen ins Auge, zwischen denen Sie im Ergebnis wählen sollen: Entweder ist aus den genannten Normen ein unmittelbarer und sofortiger Schutz für die privaten Interessen des Bürgers herzuleiten und dem Staat in Gestalt der öffentlichen Verwaltung die Möglichkeit verschlossen, diese Interessen durch Ermessensentscheidungen zu beeinträchtigen, oder aber diese Normen (die dann in den Zusammenhang der Artikel 36, 224 und 226 des Vertrages zu stellen wären, worin den Staaten in bestimmten Fällen die Möglichkeit vorbehalten wird, von den Vertragsvorschriften abweichende Schutzmaßnahmen zu ergreifen) haben unmittelbar nur den Schutz der öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft zum Gegenstand und sollen somit in erster Linie und unmittelbar nur gewährleisten, daß deren Verwaltungshandeln diesen Interessen entspricht, woraus dann zu folgern wäre, daß jeder Mitgliedstaat im Verhältnis zu seinen Bürgern die Macht behalten hätte, Einfuhrbeschränkungen einzuführen, und daß die auszulegenden Vertragsvorschriften nur die rechtmäßige Ausübung dieser Macht, nicht aber ihren Bestand beträfen.

II.

Hier stellt sich zunächst eine Vorfrage, mit der sich die italienische Regierung sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung auseinandergesetzt hat. Ihre Zuständigkeit sei nach Artikel 177 des Vertrages, so führt die italienische Regierung aus, nur gegeben, wenn der Rechtsstreit eine Materie betreffe, „die dem Gemeinschaftsrecht unterliegt“. Genauer gesagt, da die Artikel 31 ff. die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten (und nicht gegenüber dritten Staaten) betreffen, könne das innerstaatliche Gericht Sie über den Sinn dieser Vorschriften nur befragen, wenn es zuvor dazu Stellung genommen habe, ob der Rechtsstreit tatsächlich um den durch die Vertragsvorschriften geregelten innergemeinschaftlichen Handel gehe. Nur wenn dies zu bejahen sei, stelle sich dem Gericht eine die Auslegung des Vertrages betreffende Frage, und nur dann seien Sie zur Vorabentscheidung zuständig. Diese positive Feststellung finde sich aber in dem Beschluß der Corte di Appello nicht, der vielmehr die These der Firma Salgoil, daß die Waren aus Mitgliedstaaten stammten, lediglich wiedergebe, ohne sie sich zu eigen zu machen. Einige Aktenstücke, auf die die italienische Regierung Bezug nimmt, bewiesen im übrigen, daß die Ware in Wahrheit aus Mittelmeerländern außerhalb der Gemeinschaft stamme und wegen ihrer technischen Merkmale auch nur von dort kommen könne.

Nach meiner Auffassung steht dieser Unzulässigkeitseinrede jedoch der von Ihnen mehrfach bekräftigte Grundsatz entgegen, daß es in den durch Artikel 177 gezogenen Grenzen ausschließlich Sache der staatlichen Gerichte ist, zu entscheiden, ob und womit sie gegebenenfalls diesen Gerichtshof befassen wollen. Jene Gerichte allein befinden über die Entscheidungserheblichkeit der gestellten Fragen für den ihnen vorliegenden Rechtsstreit, und wenn sie den Gerichtshof um Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift ersuchen, ist davon auszugehen, daß sie — beim jeweiligen Sachstande — der Auffassung sind, die fragliche Vorschrift könne den Ausgang des Rechtsstreits beeinflussen. Es braucht nicht verlangt zu werden, daß sie dies ausdrücklich feststellen. Wollten Sie sich im übrigen auf den Inhalt der dem Richter des Ausgangsverfahrens vorliegenden Akten stützen, um daraus herzuleiten, daß die streitigen Artikel im konkreten Fall nicht anwendbar seien, so würden Sie sich damit an die Stelle dieses Richters setzen, um für ihn eine nur den Sachverhalt des Rechtsstreits betreffende Frage zu entscheiden. Wenn ich das Plädoyer des Bevollmächtigten der italienischen Regierung recht verstanden habe, so ist die Vorlegung zur Vorabentscheidung beim italienischen Verfassungsgerichtshof nur zulässig, wenn der judex a quo zunächst den Sachverhalt festgestellt hat, auf den sich die dem Verfassungsgerichtshof unterbreitete Rechtsfrage bezieht; diese Rechtsprechung käme der des Bundesverfassungsgerichts sehr nahe (Beschluß des Ersten Senats vom 10. November 1964 in BVerfGE 18 [1965], S. 186 Nr. 24). Für das Verfahren des Artikels 177 kann aber wegen der Unabhängigkeit, mit der Gemeinschaftsrichter und staatliche Gerichte nebeneinander stehen, nichts dergleichen verlangt werden.

Aus allen diesen Gründen schlage ich Ihnen vor, die von der italienischen Regierung erhobene allgemeine Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen, und komme nun zur ersten Frage der Corte di Appello.

III.

Erste Frage

Ich will sie noch einmal im Wortlaut wiederholen: „Gelten die Vorschriften der Artikel 30 ff. des Vertrages, insbesondere Artikel 31, auch für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Mitgliedstaat und seinen Bürgern?“

A —

Die erste Schwierigkeit besteht hier darin, den Kern der Frage herauszuschälen. Von den mengenmäßigen Emfuhrbeschrän-kungen handeln die Artikel 30 bis 33 emschließlich (sowie Artikel 35, der im vorliegenden Fall ohne Interesse ist), die dort gegebenen Vorschriften sind aber verschieden, je nachdem es sich um Erzeugnisse handelt, die auf Grund der Beschlüsse des Rates der OEEC liberalisiert worden sind (Artikel 31), oder um nicht unter diese Beschlüsse fallende Waren (Artikel 33). Im Grunde brauchten also nur diejenigen dieser Vorschriften ausgelegt zu werden, die für fett- oder wachshaltige Bleicherden gelten. Unglücklicherweise ist über diesen Punkt keine Gewißheit zu erlangen.

Nach Meinung der Kommission hätte diese Ware auf Grund der Anmerkung V zu Kapitel XV des früheren italienischen Zolltarifs unter die nicht konsolidierte Tarifnummer 141 fallen müssen und wäre dann „selbsttätig“ liberalisiert worden, als sie unter die Tarifnummer „15.17 ex a — Oeldrass“ des im Jahre 1959 auf der Grundlage des Brüsseler Zolltarifschemas eingeführten neuen Tarifs eingeordnet wurde. Da die italienische Regierung demnach im Jahre 1960 die Liberalisierung eines nicht konsolidierten Erzeugnisses zurückgenommen hätte, könnten hierauf nur die Vorschriften des Artikels 33 anwendbar sein, diese wären demgemäß von Ihnen auszulegen.

Dieser Ansicht ist die Firma Salgoil in der mündlichen Verhandlung mit Nachdruck entgegengetreten. Das Unternehmen macht insbesondere geltend, die Anmerkung V des früheren Zolltarifs habe nur Walkerden betroffen, die sich von den streitgegenständlichen fett- oder wachshaltigen Bleicherden grundlegend unterschieden. Diese fielen deshalb unter die Tarifnummer 139 „fette Oele, flüssig oder fest, pflanzlichen Ursprungs, roh oder raffiniert, unter Ausschluß der unmittelbar oder mittelbar zu Nahrungszwecken bestimmten Öle“, die unstreitig konsolidiert worden sei. Daher müsse Artikel 31 angewendet und somit zunächst ausgelegt werden.

Ich habe diesen Streit nur deshalb kurz geschildert, um zu zeigen, daß die Frage offen geblieben ist. Ob eine Ware unter diese oder jene Tarifnummer fällt und ob ihre Liberalisierung konsolidiert ist, ist im wesentlichen, aber nicht ausschließlich, eine Frage des nationalen Rechts. Zwar ist es nicht unvorstellbar, daß dieses Problem unter bestimmten Gesichtspunkten zu einem Vorabent-scheidungsantrag Anlaß geben kann (vgl. das analoge Problem der Rechtssache 26/62, RsprGH IX/1963, 27). Aber dies ist nicht, was die Corte di Appello wissen will; ja, da sie auf die Artikel 30 ff. des Vertrages, „insbesondere Artikel 31“, abstellt, kann man sich sogar fragen, ob sie nicht die zwischen der Firma Salgoil und der Kommission schwebende Streitfrage stillschweigend entschieden hat. Dies berechtigt mich aber wohl nicht, die anderen die mengenmäßigen Beschränkungen betreffenden Vertragsartikel aus meiner Untersuchung auszuschließen.

B —

Um es gleich zu sagen, Artikel 30, der diese Materie einleitet, ist wegen seiner sehr allgemeinen Fassung meines Erachtens nicht geeignet, unmittelbare Wirkungen zu erzeugen. Er gilt nur, soweit die folgenden Artikel näheres bestimmen („unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen“) und nur in den durch diese Artikel gezogenen Grenzen.

C —

Anders verhält es sich mit Artikel 31, der den Mitgliedstaaten verbietet, neue mengenmäßige Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung einzuführen.

Es handelt sich um eine Stillhalteklausel, das Gegenstück zu der in Artikel 12 für Einfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung vorgesehenen Klausel. Sie haben in Ihrem Urteil vom 6. Februar 1963 (Rechtssache 26/62, Van Gend, RsprGH IX/1963, 7) entschieden, daß letztere Vorschrift ein klares und uneingeschränktes Verbot enthält und eine Verpflichtung begründet, die durch keinen Vorbehalt der Staaten eingeschränkt ist, der ihre Erfüllung von einem internen Rechtsetzungsakt abhängig macht, und daß sie deshalb unmittelbare Wirkungen erzeugt. Die gleiche Überlegung läßt sich hier anstellen und könnte auch für Artikel 32 gelten, der es untersagt, die bei Inkrafttreten des Vertrages bestehenden Kontingente und Maßnahmen gleicher Wirkung einschränkender zu gestalten.

Zwar gilt die in Artikel 31 Absatz 1 auferlegte Verpflichtung nach Absatz 2 nur für den Liberalisierungsstand, der auf Grund der Beschlüsse des Rates der. OEEC erreicht worden ist, genauer gesagt nur für die Waren, die in die Listen aufgenommen wurden, welche die Mitgliedstaaten binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages der Kommission notifizieren mußten. Ist diese Notifizierung aber erfolgt, so kann der unmittelbaren Geltung der genannten Vorschrift nichts mehr im Weg stehen.

D —

Viel heikler ist die Frage für Artikel 33, da seine Vorschriften sehr komplex und einige Begriffe, die er enthält, wenig bestimmt sind.

Ohne die getroffene Regelung im einzelnen zu untersuchen, kann man sogleich mit der Kornmission feststellen, daß die Vorschriften der Absätze 4 ff. für sich allein nicht als Rechte der einzelnen begründend angesehen werden können. Denn es handelt sich um Vorschriften, die entweder eine Entscheidung der Gemeinschaftsbehörden voraussetzen (Fälle, in denen die Einfuhr einer Ware während zweier aufeinander folgender Jahre geringer war als das eröffnete Kontingent) oder den Mitgliedstaaten bestimmte Befugnisse verleihen (Berücksichtigung des Wertes der selbsttätig liberalisierten Einfuhren bei der Berechnung der jährlichen Erhöhung der Kontingente, wenn der Staat in Vollzug der OEEC-Beschlüsse hinsichtlich des Liberalisierungsstandes über seine Verpflichtungen hinausgegangen ist). Diese Mitwirkung der Kommission wie auch die den Mitgliedstaaten belassene Beurteilungsfreiheit nehmen den genannten Vorschriften die Unbedingtheit, die nahezu automatische Wirksamkeit, die zum Wesen der unmittelbar anwendbaren Normen gehört. Auch können wir, ohne uns auf das Gebiet des Tatsächlichen vorzuwagen, feststellen, daß die in diesen Absätzen enthaltenen Sondervorschriften ebenfalls für die Entscheidung bedeutungslos sind.

Die Entscheidung ist weniger klar hinsichtlich der ersten drei Absätze, in denen insbesondere die allgemeinen Regeln für die Festsetzung der Kontingente aufgestellt sind.

Artikel 33 sieht eingangs die Zusammenfassung der bilateralen Kontingente zu Globalkontingenten ein Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages vor und bestimmt, daß gleichzeitig diese Globalkontingente insgesamt und jedes für eine Ware festgesetzte Globalkontingent um einen bestimmten Prozentsatz zu erhöhen sind. Sodann regelt er die Stufen der „nach denselben Regeln und dem gleichen Verhältnis“ aufeinander folgenden Erhöhungen. Dies ist Gegenstand des ersten Absatzes.

Absatz 2 betrifft den Fall der nicht liberalisierten Waren, deren Kontingente unter 3 % der inländischen Erzeugung liegen; hierfür wird ein Kontingent von 3 % festgesetzt, das dann in einer bestimmten Zeitfolge erhöht wird. Außerdem bestimmt Unterabsatz 2 dieses Absatzes, daß die Kommission durch eine Entscheidung ein angemessenes Kontingent festsetzt, wenn die Ware in dem betreffenden Staat nicht erzeugt wird.

Schließlich muß nach Absatz 3 am Ende des zehnten Jahres jedes Kontingent mindestens 20 % der inländischen Erzeugung betragen.

Abgesehen von der Bestimmung des Absatzes 2 Unterabsatz 2, der der Kommission die Festsetzung angemessener Kontingente überträgt, wenn die Ware in dem betreffenden Staat nicht erzeugt wird, verpflichtet Artikel 33 die Mitgliedstaaten, Kontingente einzuführen und schrittweise zu erhöhen. Damit sieht er eine Verpflichtung zu einem Handeln vor, die nach Ihrer Rechtsprechung Rechte der einzelnen begründen kann, vorausgesetzt, daß der Staat bei den ihm obliegenden Maßnahmen über keinen Entscheidungsspielraum verfügt.

Aber hier ergibt sich eine Schwierigkeit. Diese Maßnahmen werden aufgrund in Zahlen ausgedrückter Daten getroffen, über die Streit entstehen kann. Erstes Beispiel: Der Staat muß zu Beginn ein Globalkontingent eröffnen, das nach dem Vertrag die Summe der bilateralen Kontingente darstellt. Dazu muß aber bekannt sein, was unter bilateralen Kontingenten genau zu verstehen ist. Die den Ausfuhrstaaten eingeräumten Kontingente waren im allgemeinen in Handelsabkommen festgelegt, sie konnten aber auch durch einseitige Zugeständnisse des Einfuhrstaates erhöht werden oder sich aus irgendwelchen anderen Ursachen ergeben. War nun der Staat bei der Berechnung, die er für die Globalisierung zwangsläufig vornehmen mußte, an präzise, starre Vorschriften gebunden, die keine Ausflucht offen ließen? Die Kommission erinnert daran, daß sie zur Klärung dieses und anderer Probleme Besprechungen mit Sachverständigen hat führen müssen, auf die hin sie dann den Mitgliedstaaten ihren Standpunkt in einem Schreiben vom 21. Dezember 1958 mitgeteilt hat, das zwar nicht bei den Akten, aber in großen Zügen im Zweiten Gesamtbericht 1958 - 1959 wiedergegeben ist (S. 57 ff.). Sie ging damals davon aus, daß die Bewertung dieser verschiedenen Zusätze zu den eigentlichen Kontingenten der Handelsabkommen „geschmeidig“ erfolgen könne, wobei der Teil der Kontingente auszuschließen sei, dessen Eröffnung nur für außerordentliche Bedarfsfälle gedacht gewesen sei. Damit wurde den Staaten ein gewisser Entscheidungsspielraum eingeräumt.

Ein noch bezeichnenderes Beispiel ist der Begriff der „inländischen Erzeugung“, der bei der Bestimmung der Kontingente zum Satz von 3 % eine Rolle spielt (Artikel 33 Absatz 2). Im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission — wie mir scheint überzeugend — die mit einem solchen, mehr wirtschaftlichen als juristischen Begriff verbundenen Unsicherheiten dargelegt. In dem Schreiben, auf das ich mich bereits bezogen habe, hat die Kommission ausgeführt, daß die beiden miteinander zu vergleichenden Größen inländische Erzeugung/Kontingente je nach Lage des Falles in Mengen- oder Werteinheiten ausgedrückt werden können; für letzteren Fall hat sie vorgeschlagen, die beiden Größen dadurch vergleichbar zu machen, daß die auf den Wert der eingeführten Waren erhobenen Zölle pauschal berücksichtigt werden.

Drängt sich hiernach nicht der Schluß auf, daß die Staaten sowohl bei der Festsetzung der Globalkontingente als auch bei der Berechnung der inländischen Erzeugung über einen gewissen Entscheidungsspielraum verfügen, der zumindest in diesen Punkten die Annahme ausschließt, daß die fraglichen Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind und die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen können?

In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß Ihr Urteil Molkereizentrale vom 3. April dieses Jahres (RsprGH XIV/ 1968, 234) die unmittelbare Wirkung der Vorschriften des Artikels 97 EWG-Vertrag mit der Begründung verneint, daß in diesem Fall zwischen die Gemeinschaftsnorm und ihren Vollzug weitere Maßnahmen treten, für deren Erlaß ein Entscheidungsspielraum besteht. Die Wahl, die die Mitgliedstaaten in dem uns beschäftigenden Fall zu treffen haben, ist zwar anderer Art, muß aber dennoch die gleichen Rechtsfolgen haben.

Es ist jedoch hervorzuheben, daß die Mitgliedstaaten zwar zu Beginn bei der Berechnung des Kontingents über einen gewissen Spielraum verfügen mögen, andererseits aber verpflichtet sind, ein Kontingent festzusetzen und es ohne Diskriminierung allen Mitgliedstaaten zu eröffnen. Sodann müssen sie es jährlich „nach denselben Regeln und dem gleichen Verhältnis“ erhöhen. In diesen Punkten ist die ihnen auferlegte Verpflichtung zwingend und unbedingt. Wenn daher ein Staat ein Kontingent nicht festsetzt, nicht allen Mitgliedstaaten zugänglich macht oder nicht gemäß den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen erhöht, kann meines Erachtens der Bürger insoweit vor dem nationalen Gericht die Verletzung einer unmittelbar anwendbaren Vorschrift rügen.

Ich komme also zu dem Ergebnis, daß nur die Vorschriften von Artikel 33 Absätze 1 bis 3, die den Mitgliedstaaten die Eröffnung und schrittweise Erhöhung ohne Diskriminierung zugänglicher Globalkontingente vorschreiben, unmittelbar gelten, und auch diese nicht, soweit sie die Berechnung der Globalkontingente und der einheimischen Erzeugung betreffen.

IV.

Zweite Frage

Diese Frage stellt sich nur, wenn die erste bejaht wird; sie bereitet hinsichtlich der Zulässigkeit erhebliche Schwierigkeiten.

Es geht darum, festzustellen, welcher Art der Rechtsschutz für die subjektive Rechtsstellung des Bürgers gegenüber dem Staat ist. Die Corte di Appello kleidet das Problem in die Form einer Alternative, die sich wie folgt zusammenfassen läßt: Entweder genießt der Bürger einen unmittelbaren und sofortigen Schutz, der jede Ermessensbefugnis des Staates ausschließt, oder aber die Vertragsnormen haben unmittelbar nur den Schutz der öffentlichen Interessen zum Gegenstand und belassen jedem Mitgliedstaat im Verhältnis zu seinen Bürgern die Macht, Einfuhrbeschränkungen einzuführen.

Selbst wer nur eine oberflächliche Kenntnis des italienischen Rechts besitzt, erkennt hinter der Fassung der Frage die im Rechtssystem Italiens bestehende Unterscheidung zwischen subjektiven Rechten und rechtlich geschützten Interessen, von der die Zuständigkeitsverteilung zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten abhängt. Über diese und verwandte Begriffe wie den der abgeschwächten Rechte haben uns der Prozeßbevollmächtigte der Firma Salgoil und der Bevollmächtigte der italienischen Regierung Interessantes und Nützliches mitgeteilt.

Die Corte di Appello hat sich gehütet, Sie um eine Entscheidung über diese Zuständigkeitsverteilung zu ersuchen, sie denkt aber ersichtlich an dieses Problem. So hat denn auch der Bevollmächtigte der italienischen Regierung die Fragestellung auf verschiedene Begriffe des italienischen Rechts bezogen und daraus hergeleitet, daß Ihnen eine Frage des innerstaatlichen Rechts vorgelegt worden sei, die zu entscheiden Sie sich für unzuständig erklären müßten.

Gewiß überlassen Sie dem nationalen Richter die Wahl der Binen zu stellenden Fragen und lehnen es ab, die Gründe nachzuprüfen, die für diese Wahl bestimmend waren. Aber ein anderer Grundsatz muß ebenso sorgfältig gewahrt werden, daß nämlich Ihre Auslegungszuständigkeit sich auf das Vertragsrecht beschränkt.

Sie können also die Frage nur entscheiden, wenn es Ihnen gelingt, ihr eine Bedeutung, einen Sinn zu geben, die sie als eine Frage des Gemeinschaftsrechts erscheinen lassen.

Dies ist nicht unmöglich, denn die zweite Frage des italienischen Gerichts ergänzt und erläutert im Grunde nur die erste, die unbestreitbar zulässig ist. Nachdem man Ihnen die Frage vorgelegt hat, ob die Vorschriften der Artikel 30 ff. des Vertrages auch für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Mitgliedstaat und seinen Bürgern gelten, wird nun eigentlich nur gefragt, welche Wirkungen sich aus dieser Geltung ergeben. Diese Frage gehört ebenso wie die erste dem Gemeinschaftsrecht an. Sie sind daher für die Entscheidung zuständig. Hierbei werden Sie es jedoch vermeiden müssen, sich in den Bereich des innerstaatlichen Rechts locken zu lassen, in dem das italienische Gericht mehr oder weniger verharrt hat.

Sie haben in Ihrer Rechtsprechung auch bereits entschieden, worin der dem einzelnen gewährte stete Rechtsschutz besteht. Wenn Sie in Ihren Urteilen feststellen, daß eine Vertragsbestim-mung unmittelbar anwendbar ist oder unmittelbare Wirkungen erzeugt, so sagen sie gewöhnlich, daß die Vorschrift individuelle Rechte des einzelnen begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben (z.B. die Urteile Van Gend vom 5.2. 1963, RsprGH IX/1963, 7; Costa vom 15.7. 1964, RsprGH X/1964, 1259; Lütticke vom 16. 6. 1966, RsprGH XII/1966, 258). Dies gilt sowohl, wenn der Staat zu einem Handeln, als auch, wenn er zu einem Unterlassen verpflichtet ist. Im einen wie im anderen Fall hat der Staat — dies ist im übrigen die Voraussetzung für die unmittelbare Geltung der Vorschrift — keine Ermessensbefugnis. Ihm wird ein bestimmtes Unterlassen oder Handeln vorgeschrieben, d.h. seine Zuständigkeit ist eine gebundene. Wie die Firma Salgoil zutreffend bemerkt, läge ein regelrechter Widerspruch darin, wollte man zwar annehmen, daß der einzelne unmittelbaren Rechtsschutz genießt, gleichzeitig aber dem Staat bei der Anwendung der im Vertrag getroffenen Regelung auf diesen selben Bürger eine Ermessensbefugnis zubilligen. Wir müssen uns also für die erste von dem italienischen Gericht zur Wahl gestellte Alternative entscheiden.

Da im übrigen das aus den einzelnen unmittelbar geltenden Vorschriften herzuleitende Recht des einzelnen stets den gleichen Inhalt hat, kann dieser Inhalt nicht durch Kriterien des innerstaatlichen Rechts beeinflußt werden. Denn jene Vorschriften werden „Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, ohne daß es hierzu staatlicher Maßnahmen bedarf“, und „das Gemeinschaftsrecht [beansprucht] in allen Mitgliedstaaten gleiche Geltungskraft“ (Urteil Molkerei-Zentrale vom 3. April 1968, RsprGH XIV/1968, 232). Dies hindert jedoch nicht, daß es — nach demselben Urteil — Sache der nationalen Gerichte ist, unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden Wegen diejenigen zu wählen, welche zum Schutz der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten individuellen Rechte geeignet erscheinen.

Um die andere Alternative zu stützen, die den dem einzelnen zuerkannten Rechtsschutz dadurch beschränken würde, daß sie als unmittelbaren Gegenstand der auszulegenden Normen nur den Schutz der öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten ansieht, vergleicht schließlich die Corte di Appello diese Normen mit den Artikeln 36, 224 und 226. Hier dürfte der Hinweis genügen, daß alle diese Artikel einen begrenzten Anwendungsbereich haben und für besondere Sachlagen geschaffen sind. Es handelt sich um Ausnahmebestimmungen, die eng auszulegen sind und aus denen nicht hergeleitet werden kann, daß nicht andere Vertragsbestimmungen Rechte verleihen könnten.

Nach allem sind meines Erachtens die Fragen der Corte di Appello Rom wie folgt zu beantworten:

Erste Frage:

Unmittelbar anwendbar sind nur die Vorschriften des Artikels 31 und, unter den Bedingungen und mit den Einschränkungen, von denen ich gesprochen habe, die der drei ersten Absätze des Artikels 33.

Zweite Frage:

Der Rechtsschutz, der der subjektiven Rechtsstellung des einzelnen gewährt wird, verleiht individuelle Rechte, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben. Er schließt jede Ermessensbefugnis des Staates aus, der Ausübung dieser Rechte entgegenzutreten.

Ich beantrage schließlich, die Kostenentscheidung der Corte di Appello Rom vorzubehalten.


( 1 ) Aus dem Franiöslschen übersetzt.