Schlußanträge des Generalanwalts Herrn Joseph Gand

vom 11. Juni 1968 ( 1 )

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ein gewöhnlicher und zugleich folgenschwerer Verkehrsunfall bietet Ihnen Gelegenheit, aufgrund einer Vorlage der belgischen Cour de Cassation den Umfang der Befreiung von der Gerichtsbarkeit zu bestimmen, welche die Protokolle für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften „bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen“ vorsehen.

Der Sachverhalt ist einfach. Herr Claude Sayag, Ingenieur der Besoldungsgruppe A 6 im Dienst von Euratom, hatte gemäß einem Dienstreiseauftrag zwei Beauftragten von Privatunternehmen, den Herren Leduc und Van Hassen, die Anlagen in Mol zu zeigen. Für die Fahrt von Brüssel zum Dienstreiseort benutzten er und die beiden genannten Personen seinen privaten Kraftwagen, den er steuerte. In Herselt verursachte er durch Nichtbeachtung der Vorfahrt an einer Kreuzung einen Zusammenstoß, bei dem er und seine Mitfahrer verletzt wurden, einer davon sehr schwer. Nach Beratungen zwischen dem belgischen Außenministerium und den Dienststellen von Euratom über die Frage, ob Herr Sayag bei diesem Unfall in amtlicher Eigenschaft handelte, wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Das Brüsseler Tribunal correctionnel verwarf die von Herrn Sayag auf die Befreiung von der Gerichtsbarkeit gestützte Einrede der Unzulässigkeit der öffentlichen Klage mit der Begründung, daß die Kommission diese Befreiung aufgehoben habe. Die Cour d'Appel trat dieser Begründung nicht bei, sondern vertrat die Ansicht, die Befreiung habe im vorliegenden Fall gar nicht aufgehoben zu werden brauchen, weil sie sich nur auf Handlungen erstrecke, die die Beamten in tatsächlicher Ausübung ihres Amtes vornehmen, nicht aber auf solche, die sie anläßlich der Amtsausübung begehen. Die von Herrn Sayag auf dem Weg zu seinem Dienstreiseort begangene Handlung gehöre in die zweite Gruppe, denn Sayag sei Ingenieur, nicht Kraftfahrer im Dienst von Euratom. Hiervon ausgehend, verhängte die Cour d'Appel gegen den Angeklagten verschiedene Strafen und verurteilte ihn und seine Versicherung, die Aktiengesellschaft Zürich, zur Zahlung von Schadensersatz an den Geschädigten, Herrn Leduc, und an dessen Versicherung, die Aktiengesellschaft La Concorde.

Gegen dieses Urteil haben Herr Sayag und die Zürich Kassationsbeschwerde eingelegt, mit der sie als erstes die Verletzung der Artikel 11 und 17 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EAG vom 17. April 1957 geltend machen. Bei diesem Stand des Verfahrens ersucht Sie die Cour de Cassation durch Urteil vom 12. Februar 1968, ohne vorerst auf die beiden anderen Kassationsgründe einzugehen, um Auslegung von Artikel 11 Buchstabe a dieses Protokolls — jetzt Artikel 12 Buchstabe a des dem Brüsseler Vertrag vom 8. April 1965 als Anlage beigefügten Protokolls —, insbesondere um Entscheidung der Frage, „ob die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von der Gerichtsbarkeit für Beamte und Bedienstete der Gemeinschaft gilt, wenn sie die Handlungen, aufgrund deren ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird, in Ausübung ihres Amtes und im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit vorgenommen haben, oder ob die Befreiung sich nur auf Handlungen erstreckt, die die tatsächliche Ausübung ihrer gewöhnlichen oder statutarischen Amtstätigkeit darstellen“.

I.

1.

Wie im Vorlageurteil angegeben, findet sich die auszulegende Vorschrift mit gleichem Wortlaut in den beiden Protokollen von 1967 und 1966, von denen das letztere am 1. Juli 1967 in Kraft getreten ist, als das Verfahren schon bei der Cour de Cassation anhängig war. Unabhängig von der — hier nicht zu entscheidenden — Frage, welche Vorschrift im vorliegenden Fall anzuwenden ist, besteht über Ihre Zuständigkeit für die beantragte Auslegung kein Zweifel. Sie ergibt sich im Fall des erstgenannten Protokolls aus Artikel 150 in Verbindung mit Artikel 207 EAG-Vertrag, im Fall des zweiten Protokolls aus Artikel 30 des Vertrages vom 8. April 1965, der die Bestimmungen des EAG-Vertrags über Ihre Zuständigkeit und deren Ausübung auf die Bestimmungen des Vertrages vom 8. April 1965 und des diesem Vertrag als Anhang beigefügten Protokolls für anwendbar erklärt.

2.

Obwohl die Bestimmung, um deren Auslegung Sie ersucht werden, eng und klar gefaßt ist, läßt sich ihr Anwendungsbereich doch nur abgrenzen, wenn man sie in den Gesamtzusammenhang des Protokolls stellt und die Gründe zu ermitteln sucht, aus denen sie geschaffen wurde. Als erste Quelle ist Artikel 191 Euratom-Vertrag heranzuziehen, der besagt: „Die Gemeinschaft genießt in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe eines besonderen Protokolls.“ Dieses Protokoll, das integrierender Bestandteil des Vertrages ist, enthält für die einzelnen Personengruppen, für die es güt, sehr unterschiedliche Vorschriften.

Es garantiert beispielsweise die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten und der Archive der Gemeinschaft selbst. Es verleiht den Mitgliedern der Versammlung eine Rechtsstellung, die praktisch mit den herkömmlichen parlamentarischen Immunitäten übereinstimmt. Es gewährt den bei der Gemeinschaft beglaubigten Vertretungen dritter Länder „die üblichen diplomatischen Befreiungen“, und in einer etwas anders gefaßten Bestimmung den Vertretern der Mitgliedstaaten, die an den Arbeiten der Gemeinschaftsorgane teilnehmen, sowie ihren Sachverständigen „die üblichen Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen“ während der Ausübung ihrer Tätigkeit und auf der Reise zum und vom Tagungsort. Für die Beamten und Bediensteten der Gemeinschaft jedoch kann die Vorschrift sich nicht mit einer bloßen Verweisung auf diplomatische oder andere Gepflogenheiten begnügen. Sie zählt in ihren Artikeln 11 bis 14 die einzelnen Vergünstigungen auf, die ihnen gewährt werden oder doch gewährt werden können, denn es ist Sache des Rates, die Gruppen von Beamten zu bestimmen, auf welche diese Vorschriften ganz oder teilweise Anwendung finden. Diese Vergünstigungen sind die Befreiung von der Gerichtsbarkeit, die Befreiung von den Einwanderungsvorschriften, die zollfreie Einfuhr ihrer Wohnungseinrichtung oder ihres privaten Kraftfahrzeugs, die Befreiung von innerstaatlichen Steuern auf die von der Gemeinschaft gezahlten Gehälter. Schließlich bestimmt das Protokoll in Artikel 17, daß Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen ausschließlich im Interesse der Gemeinschaft gewährt werden.

Man darf sich also nicht von den herkömmlichen Begründungen für die diplomatischen Befreiungen — Repräsentanteneigenschaft des Diplomaten, Exterritorialität, Gegenseitigkeit zwischen den Staaten — und von den sich aus ihnen ergebenden Lösungen beeinflussen lassen. Zweifellos können die Gründe, aus denen die verschiedenen Vergünstigungen den Beamten gewährt werden, verschieden sein. Bei den Steuern ist es die Sorge um die Gleichbehandlung aller Bediensteten, bei der Einwanderungsfreiheit und bei der Zollfreiheit bestimmter Einfuhren das Bestreben, alle Hindernisse für die Rekrutierung des Personals auf breiter geographischer Grundlage auszuräumen. Maßgebend bleibt für diese Vergünstigungen jedoch stets das Interesse der Gemeinschaft, das ihr einziger Rechtfertigungsgrund ist, auch wenn der Beamte nach dem Urteil Humblet (RsprGH VI/1960, 1195-96) den Anspruch auf diese Vergünstigungen unmittelbar und im eigenen Namen vor dem zuständigen Gericht geltend machen kann.

II.

Im Licht dieser Ausführungen ist nun die streitige Vorschrift zu prüfen.

Artikel 11 des Protokolls bestimmt, daß den Beamten im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen zusteht. Weiter heißt es, daß die Artikel 152 und 188 des Vertrages unberührt bleiben, die dem Gerichtshof die Zuständigkeit für alle Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten verleihen und für die persönliche Haftung der Bediensteten gegenüber der Gemeinschaft auf das Statut verweisen. In diesen Grenzen bleibt die Befreiung auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst bestehen. Andererseits bestimmt Artikel 17 Absatz 2, daß jedes Organ der Gemeinschaft die Befreiung eines Beamten in allen Fällen aufzuheben hat, in denen dies nach seiner Auffassung den Interessen der Gemeinschaft nicht zuwiderläuft.

1.

Die europäischen Beamten haben gewiß wie alle anderen Personen das Recht des Landes, in dem sie sich aufhalten, zu beachten. Aber sie können wegen der Befreiung von der Gerichtsbarkeit, solange diese nicht aufgehoben wird, für die von ihr gedeckten Handlungen nicht straf- oder zivilrechtlich belangt werden. Gerichtsverfahren können somit auf zwei aufeinander folgende Hindernisse stoßen, die auseinanderzuhalten sind.

Zunächst ist festzustellen, ob die dem Beamten zur Last gelegte Handlung ihrer Natur nach unter die Bestimmungen von Artikel 11 des Protokolls fällt. Dies ist eine Frage der Qualifizierung, die eine objektive Beurteilung erfordert. Wer ist aber hierfür zuständig? Die innere Logik der Regelung verbietet es, die Entscheidung den staatlichen Behörden zu überlassen. Zunächst wird das Organ, dem der Beamte untersteht, am ehesten wissen, in welcher Eigenschaft dieser gehandelt hat, und ob ein ausreichender Zusammenhang — den ich später näher zu bestimmen habe — zwischen seiner Handlung und der Aufgabe der Gemeinschaft besteht. So ist vorgesehen, daß die Organe der Gemeinschaft bei der Anwendung des Protokolls im Einvernehmen mit den verantwortlichen Stellen der beteiligten' Mitgliedstaaten handeln. Und wir wissen, daß die Kommission in der Tat von den belgischen Behörden stets zur Stellungnahme aufgefordert wird, wenn Ermittlungen oder eine Untersuchung gegen einen ihrer Bediensteten eingeleitet werden. Diese Regelung ist zweifellos der der Vereinigten Staaten vorzuziehen, wo sich die Gerichte anscheinend ganz einfach an die Entscheidung des State Department halten.

Das Gemeinschaftsorgan ist in seiner Beurteilung jedoch nicht souverän. Ergibt sich in diesem Punkt ein Streit zwischen ihm und einem Beamten, so kann dies zu dem Verfahren nach Artikel 90 des Statuts und danach zu einer Klage, vor Ihnen führen. Oder aber das mit der Sache befaßte innerstaatliche Gericht hegt hinsichtlich der vom Organ geäußerten Meinung Zweifel und ersucht Sie, wie im vorliegenden Fall, gemäß Artikel 150 EAG-Vertrag um Vorabentscheidung, weil auch von der Auslegung des Protokolls seine Zuständigkeit abhängen kann.

Noch entscheidender ist die Aufgabe des Organs, wo es um die Aufhebung der Befreiung geht, denn es ist nicht ersichtlich, wie hier eine wirksame gerichtliche Kontrolle seiner Entscheidung eingeschaltet werden könnte. Lehnt das Organ die Aufhebung ab, so kann daraus ein Konflikt mit den Behörden des beteiligten Staates entstehen, eine positive Entscheidung kann der Beamte anfechten. Aber die Ermessensfreiheit, die das Organ bei der Beurteilung der Interessen der Gemeinschaft praktisch hat, macht die ihm auferlegte Verpflichtung zu einer rein moralischen und läßt — zumindest was die Gründe anbelangt — keinen Raum für Beanstandungen durch den Gerichtshof.

2.

Wie ist hiernach die Ihnen gestellte Frage zu beantworten? Nach Ansicht der belgischen Cour de Cassation läßt der Ausdruck „von den Beamten in amtlicher Eigenschaft vorgenommene Handlungen“ die beiden folgenden Auslegungen zu: Nach der weiteren Auslegung bezeichne er die von den Beamten in Ausübung ihres Amtes vorgenommenen Handlungen, die mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen. In einem engeren Sinn umfasse er nur die Handlungen, die die tatsächliche Ausübung ihrer gewöhnlichen oder statutarischen Amtstätigkeit darstellen.

Sie haben in der dem belgischen Gericht vorliegenden Rechtssache keine Sachentscheidung zu fällen. Unverkennbar hat aber der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt, auf den auch im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung ausgiebig Bezug genommen wurde, entscheidenden Einfluß auf die Fassung der Ihnen gestellten Frage gehabt. Nach der weiten Auslegung greift die Befreiung schon deshalb Platz, weil das Delikt begangen wurde, während sich der Beamte am Steuer seines privaten Kraftwagens an seinen Dienstreiseort begab. Denn dieser Vorgang ist, unabhängig vom Wortlaut des Dienstreiseauftrags und von den Folgen, die sich nach dem Statut aus der Verwendung des eigenen Kraftwagens durch einen Bediensteten ergeben, offensichtlich nicht völlig von dessen Arbeit zu trennen. Nach der engeren Auffassung wird dagegen aus der Tatsache, daß der Urheber des Unfalls ein Ingenieur war, dessen Aufgabenbereich zwar nicht genau bekannt, aber jedenfalls nicht der eines Kraftfahrers ist, zu schließen sein, daß die Handlung dieses Beamten nicht unter die Befreiung fällt.

Die verehrten Anwälte der Herren Sayag und Leduc haben in der mündlichen Verhandlung die für beide Auffassungen sprechenden Gründe erschöpfend dargelegt. Ich gehe deshalb nicht noch einmal auf sie ein. Dagegen will ich die von der Kommission von Anfang an und besonders nachdrücklich in der mündlichen Verhandlung vertretene These näher untersuchen, weil sie den engen Zusammenhang zwischen den Artikeln 11 und 17 deutlich macht und weil hier nach meiner Ansicht der Kern des Problems liegt.

Das Bestehen der Gemeinschaften schmälert an sich grundsätzlich nicht die Souveränität, die der Staat auch weiterhin in seinem eigenen Bereich, in seinem Hoheitsgebiet, gegenüber jedermann ausübt: Ebenso wie die Polizeivorschriften ist auch der normale Gang der Rechtspflege zu respektieren. Diese Souveränität kann durch die Befreiung nur eingeschränkt werden, wenn dies erforderlich ist, um dem Organ die Möglichkeit zu geben, seine Aufgabe durch seine Bediensteten zu erfüllen, ohne durch Rechtsvorschriften oder Eingriffe innerstaatlicher Behörden behindert zu werden. Mit anderen Worten: Die Befreiung soll mögliche Konflikte zwischen der Erfüllung dieser Gemeinschaftsaufgabe und dem innerstaatlichen Recht regeln.

Die Kommission hat Ihnen unter Hinweis auf bereits eingetretene Fälle Beispiele solcher Konfliktmöglichkeiten genannt: Da ist der Fall des Vertrauensarztes, der seine Tätigkeit in einem Staat, dem er nicht angehört, ausüben können muß, ohne wegen rechtswidriger Ausübung des Arztberufs belangt werden zu können. Da sind weiter die Fälle — sie gingen kürzlich durch die Presse — der Beamten, die die Möglichkeit haben müssen, für die Gemeinschaft Verbindungen mit Beamten aus Ländern des Ostblocks zu unterhalten oder sich in diese Länder zu begeben, ohne anschließend der indiskreten Neugier von Polizeidienststellen ausgesetzt zu sein. Es lassen sich noch weitere Fälle denken: Wenn z.B. das Land Ihres Sitzes während der Suezkrise zum Zweck der Benzineinsparung den Kraftfahrzeugverkehr am Sonntag verbietet, so kann dieses Verbot jedenfalls nicht für Wagen gelten, die für die EGKS fahren.

Es ist also in erster Linie auf die Gemeinschaft abzustellen. Damit die Befreiung Platz greift, muß eine Handlung, eine mündliche oder schriftliche Stellungnahme vorliegen, die wirklich eine solche des Organs ist und dieses bindet. Das Organ soll geschützt werden, und die Befreiung kommt seinen Bediensteten gewissermaßen nur im Reflex insoweit zugute, als die Gemeinschaft sich durch diese Bediensteten Ausdruck verschafft, als diese Gemeinschaftshandlungen vornehmen und die Befugnisse des Organs ausüben.

Hiernach kann die Befreiung ersichtlich auf die Fälle beschränkt werden, in denen Beamte Handlungen vornehmen, die zum spezifischen Aufgabenbereich der Gemeinschaft gehören. Dies deckt sich weitgehend mit dem Gedanken, den Professor Mario Miele in seinem Werk über die Vorrechte und Befreiungen der internationalen Beamten (S. 40) äußert, wonach die Handlung, um unter die Befreiung zu fallen, dem „(Amts-)Bereich angehören“ muß, der dem Beamten übertragen ist, und vor allem festzustellen ist, ob zwischen der Handlung und dem Amt des Beamten ein notwendiger Konnex oder Kausalzusammenhang besteht.

Die Aufgabe der Euratomgemeinschaft und ihrer Beamten ist es nun aber, Verordnungen oder Entscheidungen zu erlassen, Aufträge zu vergeben und Arbeiten in den Forschungsanstalten auszuführen. So verstanden, könnte man sich sogar fragen, ob selbst das Führen eines Dienstfahrzeugs durch einen Kraftfahrer des Organs in einem so notwendigen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Gemeinschaft steht, daß es die Befreiung zur Folge hat. Jedenfalls ist dieser Zusammenhang meines Erachtens zu verneinen, wenn ein Beamter seinen Privatkraftwagen benutzt, denn das Führen des Fahrzeuges gehört nicht zu den beruflichen Aufgaben, zur Amtstätigkeit des Bediensteten und ist Sache seines freien Entschlusses. Ich will hierauf nicht näher eingehen: Ein Vergleich des Anhangs VII zum Statut mit dem Dienstreiseauftrag zeigt, daß die Benutzung des Fahrzeuges erlaubt, aber nicht Pflicht ist und daß der Bedienstete sich eigenverantwortlich zu ihr entschließt. Sonach bedarf es für das Delikt, zu dem sie führt, keiner Aufhebung der Befreiung durch das Organ. Es fällt nicht unter die Befreiung.

3.

Der Kassationskläger Sayag hat Sie, wie hier bemerkt sei, ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt, daß er zwar der Ansicht ist, die Befreiung nach Artikel 11 des Protokolls zu genießen, jedoch meint, daß seine Befreiung gemäß Artikel 17 aufzuheben ist, womit er einräumt, daß er die gerichtlichen Folgen der von ihm begangenen Straftat zu tragen hat. Dieses Bestreben, den Vertrag um seiner selbst willen zu verteidigen und dieses Bestehen auf der Form erscheinen um so bemerkenswerter, als sie nicht von einem Juristen, sondern von einem Techniker ausgehen. Sie lassen aber erkennen, daß die Ihnen vorgelegte Frage nicht die einzige ist, die sich in einem solchen Rechtsstreit stellt, und in der Praxis auch nicht die wichtigste. Konkret geht es um das Problem des Verhältnisses zwischen den im Protokoll enthaltenen Vorschriften über die Befreiung von der Gerichtsbarkeit und den Vorschriften des Artikels 188 Euratom-Vertrag über die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft: Steht einmal fest, daß eine Handlung unter die Befreiung fällt, weil sie von einem Bediensteten in amtlicher Eigenschaft vorgenommen wurde, wie ließe sich dann bestreiten, daß die Handlung zwangsläufig als in Ausübung der Amtstätigkeit des Bediensteten begangen angesehen werden muß und daß der daraus entstandene Schaden die unmittelbare Haftung der Gemeinschaft begründet, die vor Ihnen geltend zu machen ist? Und selbst wenn das Organ glaubte, die Befreiung aufheben zu müssen, bliebe die Gemeinschaft dann nicht trotzdem haftbar?

Ich werde mich hüten, diese Frage des Verhältnisses zwischen den beiden Vorschriften, die in der mündlichen Verhandlung gestreift wurde, hier zu entscheiden. Bemerkt sei nur, daß nicht notwendigerweise eine Parallelität zwischen den beiden Begriffen bestehen muß und daß es keineswegs ausgeschlossen ist, daß eine Handlung, die nicht im Sinn von Artikel 11 des Protokolls als von dem Bediensteten in amtlicher Eigenschaft vorgenommen aner kannt wird, dennoch im Sinn von Artikel 188 EAG-Vertrag als in Ausübung seiner Amtstätigkeit vorgenommen zu gelten hat. Vielleicht werden Sie sich eines Tages mit diesem Problem zu beschäftigen haben. Sie werden dann die Lösung anhand der allgemeinen Grundsätze zu suchen haben, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

4.

Aus allen diesen Gründen glaube ich, mich auf die Ihnen vorgelegte Frage beschränken zu sollen, bin aber nicht sicher, daß diese Frage dadurch richtig beantwortet werden kann, daß Sie sich für eine der Ihnen von der Cour de Cassation zur Wahl gestellten Lösungen entscheiden. Meines Erachtens wäre es genauer und für das hohe belgische Gericht aufschlußreicher, der Kommission folgend zu entscheiden, daß die Befreiung nur Platz greift, wenn ein Beamter, der einer der nach Artikel 15 des Protokolls bestimmten Gruppen angehört, auf einem mit der Anwendung des Vertrages oder mit der Tätigkeit des Organs unmittelbar verbundenen Gebiet eine Handlung vornimmt, die zu seinem spezifischen Auf gaben-bereich gehört.

Abschließend beantrage ich, die Kostenentscheidung der belgischen Cour de Cassation vorzubehalten.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.