Schlußanträge des Generalanwalts Herrn Karl Roemer

vom 23. Oktober 1968

Gliederung

Seite
 

Einleitung (Sachverhalt; Anträge der Parteien)

 

Rechtliche Stellungnahme

 

A — Zulässigkeitsfragen

 

I. Zu den Formerfordernissen einer Klageschrift

 

1. Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten

 

2. Bezeichnung des Klägers

 

3. Bezeichnung der beklagten Partei

 

4. Darstellung der Klagegründe

 

II. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen

 

1. Zur Klagebefugnis des Officio

 

a) Ist allein die italienische Regierung klageberechtigt?

 

aa) Zum Anwendungsbereich von Anhang F

 

bb) In welchem Verhältnis steht Anhang F zum Privilegien-Protokoll der Gemeinschaften?

 

b) Kann nur der Bürgermeister der Gemeinde Ispra bzw. das mit der Steuererhebung betraute Unternehmen klagen?

 

2. Zur Einhaltung der Klagefrist

 

3. Zur Entwicklung der Klageanträge

 

III. Zusammenfassung

 

B — Zur Hauptsache

 

C— Schlußanträge

Herr Präsident, meine Herren Richter!

In dem Rechtsstreit, zu dem ich mich heute äußere, geht es um die Definition der Vorrechte und Befreiungen, welche die Kommission für ihre Kernforschungsanstalt in Ispra genießt. Folgender Sachverhalt ist dafür maßgeblich.

Das Kernforschungszentrum Ispra (als Anlage der gemeinsamen Kernforschungsstelle gemäß Artikel 8 des Euratom-Vertrags von der Kommission errichtet) hat mit Mitteln der Gemeinschaft, die im Forschungshaushaltsplan vorgesehen waren, auf dem von ihr genutzten Gelände in der Gemeinde Ispra für ihre Bediensteten ein „Club House“ sowie Sporteinrichtungen (Tennisanlagen, Badeeinrichtungen) gebaut. Die Steuerbehörde der Gemeinde Ispra (das „Ufficio Imposte di Consumo“) ist der Meinung, auf das hierfür verwendete Baumaterial sei gemäß Artikel 20 des italienischen Dekrets Nr. 1175 vom 14. September 1931 eine kommunale Verbrauchssteuer zu erheben. Um die Steuer festsetzen zu können (die Steuererhebung erfolgt gemäß Artikel 76 des Dekrets Nr. 1176 durch eine beauftragte private Gesellschaft, einen „appaltatore“), wollte die Steuerbehörde den Wert des verwendeten Baumaterials durch einen von der Gemeinde gemäß Artikel 47 des Dekrets Nr. 1138 vom 30. April 1936 delegierten Techniker ermitteln lassen. Dies teilte sie der Verwaltung des Forschungszentrums durch Schreiben vom 5. Oktober 1965 mit, in dem als Tag des Besuches der 12. Oktober genannt wurde.

Die Verwaltung des Zentrums war damit jedoch nicht einverstanden. Sie antwortete dem „Ufficio“ in einem Schreiben vom 8. Oktober 1965 (von dem eine Durchschrift an das italienische Außenministerium gesandt wurde), nach dem Privilegien-Protokoll der Gemeinschaft und gemäß Anhang F zu dem von der italienischen Regierung und der Euratom-Gemeinschaft für die Einrichtung eines Forschungszentrums am 22. Juli 1959 abgeschlossenen Abkommen sei es italienischen Behörden nicht erlaubt, ohne Zustimmung der Kommission auf dem Gelände des Zentrums tätig zu werden. Die Verwaltung des Zentrums werde daher die Kommission befassen und der Steuerbehörde später noch einmal Bescheid geben. — Dies geschah in einem Schreiben vom 9. November 1965 (von dem gleichfalls eine Kopie an das italienische Außenministerium ging). In ihm ist ausgeführt, nach Rückfrage bei der Kommission ergebe sich als Standpunkt der Gemeinschaft, die für die fraglichen Einrichtungen verwendeten Baumaterialien seien von der Steuer befreit. Folglich sei das Verlangen, ihren Wert ermitteln zu können, rechtlich unbegründet, so daß eine Genehmigung zum Betreten der Einrichtungen nicht gegeben werden könne. Im übrigen seien die Räumlichkeiten der Gemeinschaft nach den einschlägigen Bestimmungen nur mit Genehmigung des Gerichtshofes einem Verwaltungszwang unterworfen.

Damit wollte sich die Steuerbehörde nicht abfinden. Sie leitete deshalb mit einem am 25. Januar 1968 beim Gerichtshof eingegangenen Schriftsatz ein Verfahren ein. In ihm stellte sie zunächst den Antrag, „den Widerruf der Verfügung anzuordnen, mit der dem von der Gemeinde Ispra beauftragten Sachverständigen die Feststellung des bei den genannten Bauten verwandten Materials untersagt worden ist“. In der Replik wurde der Antrag dahin umformuliert, die Entscheidung der Kommission aufzuheben und dem Antrag des „Ufficio“ auf Ermächtigung zur Wertfeststellung stattzugeben.

Die Kommission ist demgegenüber aus einer ganzen Reihe von Gründen der Auffassung, die „Klage“ (so nennt sie das eingereichte Gesuch) sei unzulässig. Entsprechend lautet ihr Hauptantrag. Hilfsweise beantragt sie, das Begehren des „Ufficio“ als unbegründet zurückzuweisen.

Zu diesem Sachverhalt, den ich im Laufe meiner Ausführungen noch verdeutlichen werde, will ich nunmehr meine

Rechtliche Stellungnahme

abgeben.

A — Zulässigkeitsfragen

Zunächst ist es notwendig, sich ein Urteil zu den von der Kommission aufgeworfenen Zulässigkeitseinwendungen und anderen, die sich von Amts wegen ergeben, zu bilden. Sie betreffen folgende Punkte:

I. Zu den für die Klageschrift geltenden Formerfordernissen

Gemäß Artikel 38 unserer Verfahrensordnung muß eine Klageschrift eine Reihe von formellen Bedingungen erfüllen, nämlich (soweit es hier interessiert) die Bezeichnung des Klägers und des Beklagten, eine kurze Darstellung der Klagegründe, die Angabe einer Zustellungsanschrift und den Nachweis der korrekten Vertretung juristischer Personen des Privatrechts enthalten. — Von ihnen gab nach Ansicht des Kanzlers im vorliegenden Fall die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten zu Bedenken Anlaß, während die Konimission der Meinung ist, den übrigen angeführten Formalien sei nicht genügt. Darüber hinaus vermißt sie die Vorlage einer Prozeßvollmacht.

Wenn wir bei diesen lästigen, aber auch notwendigen Vorfragen einen Augenblick verweilen, so soll fürs erste offenbleiben, ob wir tatsächlich eine Klage oder aber einen anderen Akt der Befassung des Gerichtshofes vor uns haben, denn man kann der Meinung sein, es seien in jedem Fall bei einem Streitgegenstand wie dem gegenwärtigen die für die Einleitung gerichtlicher Verfahren in Artikel 37 und 38 unserer Verfahrensordnung enthaltenen Bestimmungen zumindest entsprechend anwendbar. Sehen wir also näher zu.

1. Die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten

In der „Klageschrift“ selbst — um vorläufig bei dieser Bezeichnung zu bleiben — ist als Zustellungsanschrift der Sitz des Gerichtshofes angegeben. Da dies nach dem eindeutigen Wortlaut von Artikel 38 § 2 der Verfahrensordnung nicht möglich ist (verlangt wird bekanntlich die Benennung einer Person und deren Bereitschaftserklärung), setzte der Kanzler gemäß Artikel 38 § 7 der Verfahrensordnung dem „Ufficio“ eine Frist zur nachträglichen Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten, die am 9. Februar 1968 ablief. Als Zustellungsbevollmächtigter wurde daraufhin der Sekretär des luxemburgischen Ordre des Avocats benannt, jedoch erst in einem Telegramm, das am 2. Februar beim Gerichtshof einging.

Uns stellt sich daher die Frage, ob dieser Umstand dazu zwingt, die Klage gemäß Artikel 38 § 7 der Verfahrensordnung für unzulässig zu erklären. Das möchte ich nicht annehmen.

Tatsächlich kann man der Auffassung sein, die verspätete Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten mache eine Klage zumindest dann nicht unzulässig, wenn das Verfahren dadurch nicht aufgehalten wird. So war es aber im vorliegenden Fall, in dem die Klagebeantwortung, für deren Zustellung die Anschrift ja notwendig ist, erst am 20. März einzureichen war. Außerdem verdient wohl auch der Umstand Berücksichtigung, daß die vom Kanzler gesetzte Frist außerordentlich kurz bemessen war und daß die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht für Kläger aller Mitgliedstaaten eine geläufige Formalität darstellt.

2. Die Bezeichnung des Klägers

Was die Bezeichnung der klagenden Partei angeht, so konnte ihre Identifizierung, wie die Kommission mit Recht hervorhebt, nach der Klageschrift tatsächlich gewissen Schwierigkeiten begegnen. Unterzeichnet war die Klage zwar von dem Direktor des Ufficio Imposte di Consumo di Ispra. Daneben fand sich aber ein Stempel mit dem Inhalt „Ufficio Imposte Consumo Ispra, s.r.l. D.O.R.I.C.A. NOVARA“, womit auf die Gesellschaft hingewiesen sein konnte, der die Gemeinde Ispra die Erhebung der kommunalen Verbrauchssteuern übertragen hat.

Indessen dürfte nach dem Gesamtinhalt der Klage eine Identifizierung des Klägers dennoch in ausreichender Weise möglich sein. — So ist nämlich in der Klageschrift davon die Rede, das Ufficio habe sich an die Verwaltung des Zentrums gewandt. Weiterhin wird gesprochen von einem an den Kläger gerichteten Brief des Forschungszentrums vom 9. November 1965. Dabei handelt es sich um ein Schreiben, das an das Ufficio adressiert war. Schließlich heißt es in der Klagebegründung auch, das Ufficio sei überzeugt usw.

Demnach steht fest (was übrigens in der Replik noch ausdrücklich unterstrichen wurde), daß die Steuerbehörde von Ispra, also ein Organ der Gemeinde, das Verfahren eingeleitet hat. Darüber hinaus ist klar, daß das Ufficio im eigenen Namen handelte, also nicht etwa für die mit der Steuererhebung beauftragte juristische Person des Privatrechts, zu welcher der Direktor der Steuerbehörde offenbar gleichfalls in privatrechtlichen Beziehungen steht. — Damit erweisen sich aber auch die Bemerkungen der Kornmission zu Artikel 38 § 6 der Verfahrensordnung als bedeutungslos, d.h. zu der Notwendigkeit des Nachweises der korrekten Vertretung einer juristischen Person des Privatrechts. (Dieser Nachweis wird bekanntlich mit Hilfe einer Satzung, eines Handelsregisterauszuges und einer Prozeßvollmacht geführt, während im übrigen nach unserer Verfahrenspraxis in Anbetracht des Schweigens der Verfahrensordnung die Vorlage einer Prozeßvollmacht nicht unerläßlich ist.)

3. Die Bezeichnung der beklagten Partei

Eine ausdrückliche Bezeichnung der Gegenpartei ist in der Klageschrift nicht enthalten.

Sie beginnt vielmehr mit der Kennzeichnung des Streitgegenstandes, in der von der Weigerung der Verwaltung des Zentrums die Rede ist, eine Bewertung der für den Bau der uns interessierenden Einrichtungen verwendeten Materialien vornehmen zu lassen, und sie enthält darüber hinaus in der Begründung einen Hinweis darauf, daß die Verwaltung des Zentrums sich zu Unrecht auf die Privilegien der Gemeinschaft berufen habe.

Auch hier dürfte jedoch nach dem Gesamtinhalt der Klage kein Zweifel daran bestehen, daß in Wahrheit die Kommission, der ja auch die Klageschrift zugestellt wurde, als Gegenpartei anzusehen ist und nicht das Kernforschungszentrum, dem es an der Parteifähigkeit fehlt. Wird doch im einzelnen Bezug genommen auf einen Brief der Verwaltung des Zentrums vom 8. Oktober 1966, in dem von der Notwendigkeit einer Genehmigung der Kommission für das Betreten der Anlagen des Forschungszentrums die Rede ist, sowie auf einen weiteren Brief der Verwaltung des Zentrums, der mit Klarheit zum Ausdruck bringt, daß nach Befassung der Kommission diese selbst den klägerischen Antrag als unbegründet angesehen hat.

Folglich ist klar (und zwar nicht erst seit der Replik, in der dies ausdrücklich betont wird), daß der Antrag auf Aufhebung der Weigerung im Hinblick auf eine Weigerung der Kommission formuliert wurde. Damit entfällt auch die Notwendigkeit einer Umdeutung der Klage nach dem Muster der Rechtssachen 27/63 und 28/64.

4. Zur Darstellung der Klagegründe

Im gegenwärtigen Zusammenhang ist endlich noch ein Wort zur Darstellung der Klagegründe zu sagen, die die Kommission gleichfalls nicht für ausreichend hält.

Ich kann indessen auch hier ihre Meinung nicht teilen. Schon aus dem Vorverfahren wird nämlich deutlich, daß die Kommission selbst zur Rechtfertigung ihres Standpunktes lediglich mit einem Hinweis auf ihre Steuerfreiheit nach den verschiedenen Vorschriften über die Privilegien der Gemeinschaft operiert. Entsprechend sind die Rechtsausführungen des Klägers in der Klageschrift gehalten, d.h. er unternimmt eine Auslegung der einschlägigen Vorschriften im Hinblick auf die besondere Problematik seines Anliegens. Darin aber kann meines Erachtens eine ausreichende Antragsbegründung gesehen werden.

Somit ergibt sich, daß keiner der bisher behandelten Punkte Anlaß bietet, die Klage als unzulässig zurückzuweisen.

II. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Untersuchung der Zulässigkeitsfragen ist damit jedoch nicht abgeschlossen. Wir müssen vielmehr noch auf die Einwendungen der Kommission eingehen, die sich auf die Klagebefugnis des Ufficio, die Einhaltung der Klagefrist und die Entwicklung der Klageanträge beziehen.

1. Ist das Ufficio klageberechtigt?

Mit dieser Fragestellung beginnt die eigentliche Problematik des vorliegenden Falles. Sie gliedert sich auf in mehrere Unterfragen, deren erste zu prüfen aufgibt, ob der vorliegende Streitgegenstand tatsächlich — wie die Kommission meint — nur zwischen ihr und der italienischen Regierung, nicht aber nachgeordneten italienischen Behörden erörtert werden kann.

a) Ist allein die italienische Regierung klagebefugt?

Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, um was es geht: im Kern doch wohl um die Unverletzlichkeit („inviolabilité“) von Gebäuden und Einrichtungen des Kernforschungszentrums (also einer Anlage der Kommission), wie sie garantiert war im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Atomgemeinschaft und garantiert ist (nach dessen Aufhebung durch Artikel 28 des Vertrages zur Einsetzung eines Gemeinsamen Rates und einer Gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften) in einem neuen, diesem Vertrag als Anhang beigefügten Protokoll sowie in Anhang F zum Abkommen zwischen der Kommission und der italienischen Regierung vom 22. Juli 1959. Dabei bedeutet Unverletzlichkeit nach allgemeiner Auffassung (die bestätigt wird durch die ausdrücklichen Bestimmungen der Artikel 2, 3 und 16 von Anhang F), daß das Betreten der geschützten Einrichtungen zum Zweck der Vornahme von Amtshandlungen nur mit Zustimmung der Kommission möglich ist ( 1 ). Wie wir wissen, wurde diese Zustimmung ausdrücklich versagt. Letzteres mag nun für die rechtstechnische Ausgestaltung des Verfahrens von Bedeutung sein (wir kommen darauf zurück). Im gegenwärtigen Zusammenhang ist diese Seite der Frage indessen nicht interessant. Uns interessiert vielmehr folgender Gedankengang der Kommission. Die Kommission erklärt, die Versagung der Zustimmung sei unter Berufung auf den erwähnten Anhang F zum Abkommen mit der italienischen Regierung erfolgt. Ein derartiger Gebrauch der Privilegienvorschriften könne unter Umständen ein Mißbrauch sein. Für diesen Fall enthalte Anhang F aber besondere Vorschriften. Einmal bestimme Artikel 35, zur Verhinderung eines Mißbrauchs des Abkommens könnten auf Antrag der italienischen Regierung Feststellungsvisiten („visites de constatation“) durchgeführt werden. Sodann sei in Artikel 37 angeordnet, die Vertragsparteien (also Kommission und italienische Regierung) hätten sich zu konsultieren, wenn die italienische Regierung der Ansicht sei, bei der Anwendung des Abkommens liege ein Mißbrauch vor. Schließlich sehe Artikel 40 (unter stillschweigender Bezugnahme auf Artikel 163 des Euratom-Ver trages) vor, zur Entscheidung über Streitigkeiten bezüglich der Ausführung und Interpretation des Abkommens, wie sie sich zwischen der italienischen Regierung und der Kommission ergeben könnten, sei ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuständig. — Nach Ansicht der Kommission muß aus der Gesamtheit dieser Vorschriften geschlossen werden, daß es die Absicht der Vertragspartner war, jedem Streit über die Auslegung und Anwendung des Abkommens ein Konsultationsverfahren vorangehen zu lassen, also eine Art Schlichtungsverfahren, das ein Gerichtsverfahren erübrigen könnte. Es sei ferner ihre Absicht gewesen, das Konsultationsverfahren auf der nationalen Seite der italienischen Regierung vorzubehalten (vielleicht davon ausgehend, daß sie als Vertragspartei den Willen der Vertragschließenden besser kenne als nachgeordnete Behörden, vielleicht auch zu dem Zweck, schon im Konsultationsstadium für eine Einheitlichkeit der Interpretation zu sorgen und der Kommission die Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Behörden zu ersparen). Schließlich müsse es ihr Wille gewesen sein, auch die streitige Auseinandersetzung in einem Gerichtsverfahren nach demi Scheitern von Schlichtungsversuchen auf der nationalen Seite bei der Regierung zu konzentrieren.

Tatsächlich wird man nicht leugnen können, daß dies eine kohärente und sinnvolle Auslegung des Anhangs F darstellt. Wer sie anerkennt, wird aber auch nicht umhin können, im vorliegenden Fall gewisse Zulässigkeitsprobleme zu sehen im Hinblick auf das Fehlen der notwendigen Konsultationen und die Einleitung des Verfahrens durch eine Gemeindebehörde.

Indessen hieße es vorschnell urteilen, wollte man damit schon die Unzulässigkeit der Klage feststellen.

Es ist nämlich nicht ohne weiteres klar, ob Anhang F auch für die jetzt im Streit befindlichen Einrichtungen gilt, und es ist zu fragen, in welchem Verhältnis Anhang F zum Privilegien-Protokoll der Gemeinschaft steht, dem offenbar eine Konsultationspflicht fremd ist und das auch eine ausdrückliche Beschränkung streitiger Auseinandersetzungen über die Auslegung des Protokolls auf Regierungsstellen und Organe der Gemeinschaft nicht kennt.

Lassen Sie uns also zusehen, welche Überlegungen sich unter diesen Gesichtspunkten noch ergeben.

aa) Zum Anwendungsbereich des Anhangs F

In Artikel 1 von Anhang F (französische Fassung) ist ausdrücklich bestimmt, die Unverletzlichkeit usw. gelte für das Zentrum „tel qu'il est défini, individualisé et clôturé, comme indiqué dans les tables, descriptions, plans et documents figurant à l'annexe I qui fait partie intégrante du présent Accord“. Auf diese Vorschrift hat sich zwar der Kläger nicht berufen. Sie mußte aber beim Studium der Akten auffallen, denn es könnte nach ihr den Anschein haben, es sei an eine geographische Begrenzung des Anwendungsbereichs von Anhang F gedacht, wozu vor allem der Hinweis auf Pläne und Beschreibungen Anlaß gibt. Deshalb hat der Gerichtshof in einem Beschluß vom 11. Juli 1968 an die Kommission die Frage gerichtet, wie es sich mit der Ausführung dieser Bestimmung, also mit der Erstellung von Beschreibungen, Plänen usw. verhalte. Wir haben daraufhin erfahren, daß derartige Beschreibungen und Pläne nie festgelegt worden sind. Somit stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus dieser Tatsache für unseren Fall ergeben.

Nach meiner Uberzeugung ist sicherlich nicht daran zu denken, die Anwendbarkeit von Anhang F schechthin in Abrede zu stellen, solange es an einer geographischen Spezifizierung seines Anwendungsbereiches fehlt. Immerhin erging rund ein Jahr nach Abschluß des Abkommens ein italienisches Zustimmungsgesetz (Nr. 906 vom 1. August 1960), durch das eine Transformierung in italienisches Recht stattfand, und offenbar wurde das Abkommen seitdem auch regelmäßig angewandt. — Man wird es mit der Kommission auch ablehnen müssen, im Wege der Auslegung die räumliche Umgrenzung des früheren staatlichen italienischen Forschungszentrums für maßgeblich zu erachten, denn diese Umgrenzung bestand schon vor Abschluß des Abkommens (es hätte auf sie also — wäre das beabsichtigt gewesen — ausdrücklich Bezug genommen werden können), und außerdem scheint festzustehen, daß wesentliche technische Anlagen des Forschungszentrums, die mit Sicherheit vom Abkommen erfaßt sein sollen, außerhalb dieser ursprünglichen Umgrenzung liegen.

Als einzig vernünftige Interpretation bleibt deshalb nur die Annahme, es seien in Ermangelung geographischer Spezifizierungen funktionelle Kriterien für die Anwendung von Anhang F ausschlaggebend. Das heißt, Anhang F ist auf alle Einrichtungen des Forschungszentrums anzuwenden, die zu seinem „fonctionnement“ gehören. Damit ist aber eine Anwendung auf die jetzt streitigen Einrichtungen nicht a priori auszuschließen.

Mehr ist im Augenblick zu dieser Frage nicht zu sagen; wir werden auf sie ausführlich zurückkommen bei der Behandlung der Hauptsache, in der es ja darum geht, was unter dem Begriff „fonctionnement“ für die Auslegung der Steuerprivilegien zu verstehen ist.

bb) In welchem Verhältnis steht Anhang F zum Privilegien-Protokoll der Gemeinschaft?

Lassen Sie uns statt dessen der weiteren Frage nachgehen, in welchem Verhältnis Anhang F zum Privilegien-Protokoll der Gemeinschaft steht (wobei es wegen der inhaltlichen Übereinstimmung keinen Unterschied macht, ob das frühere Euratom-Protokoll oder das jetzt geltende gemeinsame Protokoll herangezogen wird).

Ich glaube, auf diese Frage läßt sich leicht eine Antwort finden. Nach meinem Dafürhalten dürfte das angesprochene Verhältnis in ähnlicher Weise zu qualifizieren sein wie etwa das zwischen der Convention on the privileges and immunities of the United Nations vom 13. Februar 1946 und dem Headquarters agreement, das von der UNO und den USA am 26. Juni 1947 getroffen wurde, oder wie das Verhältnis zwischen dem Abkommen über Vorrechte der Spezialorganisationen der Vereinten Nationen und dem Abkommen zwischen der F.A.O. und Italien aus dem Jahre 1951, d.h. die besonderen Abkommen mit den Sitzstaaten sind jeweils als leges speciales anzusehen, die im Zweifel vorgehen ( 2 ). Dafür liefert auch die Betrachtung des Gemeinschaftsprotokolls gewichtige Argumente. Es fällt nicht nur die Tatsache auf, daß es verhältnismäßig wenig ausführlich ist, also vor allem Grundsätze enthält, die nach einer Präzisierung verlangen. Es ist in ihm auch mehr oder weniger deutlich an verschiedenen Stellen auf ergänzende Bestimmungen verwiesen, wie etwa in Artikel 3, wo davon die Rede ist, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten „geeignete Maßnahmen“ treffen, oder — noch bedeutsamer — in Artikel 19 (früher Artikel 18), wo zu lesen ist: „Bei der Anwendung dieses Protokolls handeln die Organe der Gemeinschaften und die verantwortlichen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten in gegenseitigem Einvernehmen.“ Damit dürfte sich nicht nur der Erlaß materieller Ergänzungsbestimmungen rechtfertigen, sondern auch solcher verfahrensrechtlicher Natur, und dies um so eher, als nirgends im Privilegien-Protokoll für Behörden oder Privatpersonen ausdrücklich ein Recht zur Anrufung des Gerichtshofes vorgesehen ist (sieht man ab von dem in Artikel 1 erwähnten Antrag auf Ermächtigung von Zwangsmaßnahmen, der im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht kommen dürfte, weil von Zwangsmaßnahmen nicht die Rede sein kann).

Demnach würden die bisherigen Überlegungen tatsächlich ergeben, daß die Klage des Ufficio mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Anhangs F (Nichteinhaltung der Konsultationsvorschriften; Nichteinschaltung der italienischen Regierung) als unzulässig anzusehen ist.

Da wir es aber insoweit mit heiklen Fragen zu tun haben, über deren Beantwortung sich gewiß streiten, läßt will ich meine Untersuchungen nicht an dieser Stelle abbrechen, sondern hilfsweise noch überlegen, wie zu verfahre uwäre, wenn sich aus Anhang F die aufgezeigten Zulässigkeitshindernisse nicht ergeben würden.

b) Ist das Ufficio klageberechtigt oder kann nur der Bürgermeister der Gemeinde Ispra bzw. das mit der Steuererhebung betraute Unternehmen klagen?

Es stellt sich dann die Frage, ob tatsächlich das Ufficio, vertreten durch seinen Direktor, den Gerichtshof anrufen und ein selbständiges Verfahren einleiten kann. — Wie Sie wissen, ist die Kommission der Auffassung, dem Ufficio fehle diese Befugnis, ein Klagerecht stehe entweder dem Bürgermeister als Vertreter der juristischen Person „Gemeinde“ zu, und zwar nach einem Beschluß des Gemeinderates und mit Genehmigung der „Giunta provinciale“ oder aber (wenn die Steuererhebung durch einen „appaltatore“ erfolgt) dem betrauten Unternehmen (eine Eventualität freilich, die wir jetzt außer Betracht lassen können, weil in der Replik ausdrücklich erklärt wurde, der Direktor des Ufficio handele nicht als Vertreter des „appaltatore“).

Damit ist eine diffizile Frage des nationalen Rechts aufgeworfen, die zu beantworten demjenigen nicht leicht fällt, für den das italienische Steuer- und Kommunalrecht eine fremde Materie darstellt. Wenn wir uns dennoch um ihre Beantwortung bemühen, so sollten wir uns aber entgegen den Anregungen der Kommission davor hüten, in die Einzelheiten des Streits nationaler Lehrmeinungen einzutreten und uns stattdessen fragen (wie es der nationale Richter bei der Anwendung ausländischen Rechts aufgrund des internationalen Privatrechts tut ( 3 ), ob eine feststehende italienische Rechtsprechung zu erkennen ist, um uns ihr anzuschließen. Verfährt man so, so erscheint die Lösung des gegenwärtigen Problems nicht übermäßig schwierig.

Seit einem Urteil der Vereinigten Kammern des Kassationshofes aus dem Jahr 1958 wird nämlich in der Rechtsprechung dieses obersten italienischen Gerichts ständig anerkannt, daß die kommunale Steuerbehörde, vertreten durch ihren Direktor (wenn auch wahlweise neben dem „appaltatore“), beklagte Partei in einem Verfahren sein kann, das sich gegen einen von ihr erlassenen Steuerbescheid richtet, also offenbar auch dann, wenn es um die Existenz der Steuerschuld oder eine Ausnahme von der Steuerpflicht geht (vgl. die Urteile des Kassationshofes vom 9. März 1957 und 6. Mai 1960). Schon daraus folgt an sich, daß die Parteifähigkeit der Steuerbehörde desgleichen angenommen werden muß, wenn sie in der Klägerrolle auftritt, d.h. wenn sie ein gerichtliches Verfahren in Ausübung der ihr nach dem Gesetz (Artikel 313 des Dekretes 1138 vom 30. April 1936) zustehenden Befugnisse zur Errechnung, Festsetzung und Beitreibung von Steuern einleitet. In der Tat lautet dahin auch ein Urteil des Kassationshofes vom 8. März 1960. Zwar wird in ihm einerseits ausgeführt, der „appaltatore“ sei klageberechtigt gegen einen Steuerschuldner, wenn es sich um die Veranlagung und Erhebung von Steuern handelt; andererseits heißt es in seiner Begründung aber auch, ein Klagerecht bezüglich der Veranlagung und Beitreibung von Steuern stehe ebenso dem Leiter des Steueibüros zu. — Nach dieser eindeutigen und feststehenden Rechtsprechung gibt es für uns offensichtlich keinen Anlaß, auf Feinheiten divergierender Lehrmeinungen einzugehen (wie sie enthalten sind in zwei von der Kommission vorgelegten Urteilsbesprechungen). Tatsächlich weisen sie darauf hin, die Steuerbehörde sei nur Organ der Gemeinde, also nicht juristische Person und Inhaberin des Steuerrechts; außerdem stellen sie für die Umgrenzung der Klagebefugnis auf die Frage ab, ob es um die Existenz des Steuerrechts geht (was im vorliegenden Fall, wie wir sehen werden, nach den Einwendungen der Kommission nicht auszuschließen ist). — Dessenungeachtet sollten wir also von der Auffassung ausgehen, das Ufficio sei in der Person seines Direktors klageberechtigt.

Darüber hinaus ist noch darauf hinzuweisen, daß nach unserem Verfahrensrecht ein besonderer Nachweis dafür, daß das Ufficio durch seinen Direktor vor Gericht vertreten werden kann, nicht verlangt zu werden braucht. Wäre es erforderlich, so könnte er wohl auch als geführt angesehen werden, denn es wurden uns eine Bescheinigung des Bürgermeisters von Ispra und ein von der Gemeinde ausgestelltes Patent vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß die Klage von einem Beamten der Steuerbehörde Ispra unterzeichnet wurde und daß dieser die Befugnis zur Steuererhebung und Steuerbeitreibung besitzt.

2. Zur Einhaltung der Klagefrist

Immer noch im Rahmen der Hilfserwägungen zur Klagezulässigkeit ist ferner zu prüfen, ob diese daran scheitert, daß für die Anrufung des Gerichtshofes vorgesehene Fristen nicht eingehalten worden sind. Daran scheint die Kommission zu denken, soweit sie den Aufhebungs- bzw. Annullierungsantrag des Klägers im Auge hat und als Rechtsbasis für ihn Artikel 146 des Euratom-Vertrages ansieht (also die allgemeine Vorschrift über die Erhebung von Nichtigkeitsklagen).

Gegen diese Auffassung lassen sich jedoch erhebliche Bedenken anmelden. Was Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, habe ich schon erwähnt: nämlich die Unverletzlichkeit der Einrichtungen des Zentrums und die zu ihrer Ausräumung notwendige Zustimmung der Kommission, also ein „Akt“ im Rahmen der Privilegien-Vorschriften. Diesen Akt einer Entscheidung im Sinne von Artikel 146 gleichzusetzen und bei seiner Versagung die Einleitung der gerichtlichen Klärung innerhalb der dort vorgesehenen Frist zu verlangen, halte ich aber nicht für angemessen.

Sachgerechter dürfte es vielmehr sein, im gegenwärtigen Zusammenhang von einem Feststellungsbegehren zu sprechen, das Gerichtsverfahren als einen Streit um die Auslegung der Privilegien-Bestimmungen anzusprechen und das in ihm ergehende Urteil als Interpretationsurteil oder Feststellungsurteil zu qualifizieren. Dafür spricht die Tatsache, daß es um eine Statusfrage, also um ein Dauerverhältnis geht. Dafür spricht, daß das Privilegien-Protokoll (wie auch Anhang F zu dem besonderen Abkommen mit der italienischen Regierung, ja sogar das frühere EGKS-Protokoll mit seiner Auslegungsklausel des Artikels 16) keine Fristen für die Herbeiführung einer gerichtlichen Klärung kennt. Dafür spricht nicht zuletzt die weitherzige Interpretation, die der Gerichtshof zu einem ähnlichen Fall, nämlich der Geltendmachung, von Schadenersatzansprüchen nach Artikel 43 der EWG-Satzung, gegeben hat. Wie wir wissen, wurde trotz des Wortlautes der genannten Bestimmung die Annahme verworfen, bei Ablehnung der Ansprüche müsse innerhalb der Frist des Artikels 173 (die der des Artikels 146 des Euratom-Vertrags entspricht) geklagt werden, und stattdessen allein die Verjährungsfrist für maßgeblich erklärt. Gilt dies schon für Leistungsansprüche gewichtiger Art, so sollte bei Feststellungs- und Interpretationsanträgen nach den Privilegien-Vorschriften nicht strenger verfahren werden.

Ich neige deshalb dazu, aus der Tatsache, daß die Klage erst rund zwei Jahre nach Mitteilung des ablehnenden Bescheides der Kommission eingereicht wurde, nicht auf ihre Unzulässigkeit zu schließen (vorausgesetzt immer, daß ein Recht auf Anrufung des Gerichtshofes für nationale Behörden überhaupt angenommen weiden kann, was sich — abgesehen von den Bedenken aus Anhang F — vertreten läßt in analoger Anwendung der Bestimmung des Privilegien-Protokolls, nach der jedermann die Genehmigung von Zwangsmaßnahmen gegen Gemeinschaftseinrichtungen beim Gerichtshof beantragen kann).

3. Zur Entwicklung der Klageanträge

Schließlich ist noch eine kurze Bemerkung zu der Entwicklung der Klageanträge im Laufe des Verfahrens zu machen. Bei der Schilderung des Sachverhalts habe ich schon hervorgehoben, daß ursprünglich nur die Aufhebung des Weigerungsbescheids verlangt wurde und daß sich erst in der Replik neben dem Antrag auf Annullierung der Entscheidung der Kommission auch der Antrag auf Genehmigung von Zwangsmaßnahmen findet. Dazu gibt die Kommission zu bedenken, ob wir es nicht mit einer gemäß Artikel 42 der Verfahrensordnung unzulässigen, weil verspäteten Einführung neuer Klageanträge zu tun haben und ob — deren Statthaftigkeit angenommen — nicht wenigstens gerügt werden müßte, daß der Antrag auf Genehmigung von Zwangsmaßnahmen nicht (in analoger Anwendung von Artikel 83 der Verfahrensordnung) in einem besonderen Schriftsatz formuliert wurde, weil er dazu bestimmt sei, ein besonderes, vom Streitverfahren verschiedenes Verfahren einzuleiten.

Mir will jedoch scheinen, daß die Kommission mit diesen Bemerkungen zu einem übertriebenen Formalismus neigt. Richtig verstanden ist nämlich von Anfang an absolut klar, worum es dem Kläger geht, nämlich um den Zutritt zu bestimmten Einrichtungen des Zentrums zum Zweck der Ermittlung von Steuerschulden. Dies ist auch sein einziges, bis heute unverändertes Anliegen; nur seine rechtstechnische Einkleidung hat gewechselt. Daran ist jedoch nichts Erstaunliches, handelt es sich doch um einen Vorgang, der auch für uns völlig neu ist und der folglich, was seine rechtsdogmatische Einordnung in das System des Vertrages angeht, zu größter Nachsicht Anlaß gibt. Wenn daher in der Klageschrift von einer Aufhebung der Weigerung der Kornmission die Rede ist unter ausdrücklicher Betonung, es handele sich nicht um einen Antrag auf Genehmigung von Zwangsmaßnahmen gemäß Artikel 1 des Privilegien-Protokolls, während die Replik von einer Annullierung der Entscheidung der Kommission und gleichzeitig einem Antrag auf Genehmigung von Zwangsmaßnahmen spricht, so sollte all dies höchstens Bemühungen um eine vernünftige Interpretation veranlassen, wie sie der Gerichtshof auch sonst schon bei Klageanträgen angestellt hat, es dürfte aber nicht zum Nachteil des Klägers verwertet werden; mit anderen Worten: wir sollten weder eine unzulässige Klageerweiterung feststellen, noch von der Notwendigkeit zweier getrennter Verfahren ausgehen, also in keinem Fall einem Formalismus ähnlich dem des Artikels 83 der Verfahrensordnung das Wort reden, von dem übrigens viele glauben, er sei nicht gerechtfertigt.

III. Zusammenfassung

Zu dem umfangreichen Kapitel der Klagezulässigkeit fasse ich meine Meinung wie folgt zusammen: Der Antrag des Ufficio, gerichtet auf die Feststellung, die Kommission berufe sich zu Unrecht auf die Unverletzlichkeit der Einrichtungen des Zentrums, muß als unzulässig angesehen werden, weil nach dem in erster Linie maßgeblichen und auf den gegenwärtigen Fall anwendbaren Anhang F zu dem besonderen Abkommen mit der italienischen Regierung jedem Streit über seine Anwendung eine Konsultation zwischen der Kommission und der italienischen Regierung vorausgehen muß und ein gerichtliches Verfahren nur von diesen Beteiligten in Gang gebracht werden kann.

Hält man diese Auffassung nicht für zutreffend, so ist gegen die Zulässigkeit der Klage nichts einzuwenden, weil die übrigen von der Kommission vorgebrachten Bedenken nicht durchgreifen.

Mit Rücksicht auf diese letztere Erkenntnis will ich auch in der subsidiären Prüfung des Sachverhaltes fortfahren und noch auf die Begründetheit der Klage eingehen.

B — Zur Hauptsache

In der Hauptsache stellt sich die Frage, ob die Kommission mit Recht einem Vertreter der Gemeinde Ispra den Zutritt zu bestimmten Einrichtungen des Zentrums verweigert hat. Da der Zutritt begehrt wurde zum Zwecke der steuerrechtlichen Bewertung dieser Einrichtungen und da als einziger Grund für die Haltung der Kommission die Steuerfreiheit des Zentrums angeführt wurde, ist somit zu prüfen, ob die steuerrechtlichen Privilegien der Gemeinschaft für Einrichtungen der hier in Frage stehenden Art gelten.

In Betracht kommt nach zutreffender Auffassung vor allem Anhang F zu dem Abkommen mit der italienischen Regierung, dessen Artikel 7 Absatz 3 in der französischen Übersetzung folgenden Wortlaut hat: „Pour l'installation et le fonctionnement du Centre, la Communauté jouit de l'exonération des impôts communaux de consommation“. Da unstreitig eine kommunale Verbrauchssteuer erhoben werden sollte, besteht unsere Interpretationsaufgabe darin, zu bestimmen, was „installation“ und „fonctionnement“ im Sinne der angeführten Bestimmung bedeuten.

Der Standpunkt des Klägers dazu ist klar. Nach seiner Überzeugung kann allein an die industriellen Einrichtungen des Zentrums gedacht sein, die der Forschungstätigkeit dienen und die das Wesen des Zentrums ausmachen. Nur was für ihr Funktionieren unerläßlich sei, könne in den Genuß der Steuerbefreiung kommen.

Mit der Kommission habe ich jedoch Zweifel, ob sich diese strenge Auffassung halten läßt. Mehrere Erwägungen drängen sich hier auf.

Zunächst ist festzuhalten, daß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs F keine Formulierungen enthält, welche die vom Kläger befürwortete Interpretation zwingend nahelegen, etwa Wendungen, in denen gesprochen würde von Einrichtungen, die für die Zwecke und Ziele des Forschungszentrums unerläßlich seien oder dergleichen. (Tatsächlich könnte man ja Zweifel haben, ob auch soziale Einrichtungen unter diese Definition fallen.) Statt dessen ist schlicht und einfach die Rede von „installation“ und „fonctionnement du Centre“, womit sich, berücksichtigt man gewisse Formulierungen der Präambel („faciliter“) und des Artikels 36 („bon fonctionnement“) ohne weiteres die Auslegung vereinbaren läßt, darunter falle alles, was zur Verbesserung des Funktionierens des Zentrums nicht unerheblich beiträgt. — Weiterhin fällt auf, daß einige Bestimmungen des Anhanges F zunächst ganz allgemein vom „Centre“ als dem durch die Befreiungen Begünstigten sprechen, um dann eine Ausnahme lediglich für den privaten Gebrauch („usage privé“) zu machen (vgl. etwa die Artikel 6, 8 und 10). Daraus könnte geschlossen werden, daß nach der Konzeption des Anhanges F zum „Centre“ alle Einrichtungen zu rechnen sind, außer rein privaten, und daß es folglich für die Anwendung der Privilegien-Vorschriften in erster Linie auf die Gegenüberstellung und Abgrenzung von „usage privé“ und „usage officiel“ ankommt, eine Folgerung, die auch durch gewisse Formulierungen des Privilegien-Protokolles nahegelegt wird, etwa durch Artikel 3, in dem auf den Dienstbedarf („usage officiel“) abgestellt ist. Damit würde aber tatsächlich ein wesentlich elastischeres als das vom Kläger empfohlene Kriterium in den Vordergrund gestellt, eben der „usage officiel“, und damit wäre ohne weiteres eine großzügigere Interpretation gerechtfertigt, als sie der Kläger für richtig hält (was indessen nichts mit unzulässiger Analogie zu tun hat).

Daß es sich bei dem streitigen Clubhaus und den streitigen Badeeinrichtungen tatsächlich um offizielle Einrichtungen handelt, dürfte anerkannt sein. Sie werden als Teil der sozialen Dienste von einer besonderen Abteilung im Rahmen der Kommissionsdienste verwaltet. Die Mittel für ihre Erstellung waren in dem vom Ministerrat festgelegten Forschungshaushalt, Kapitel IX „Foyers et cercles de personnel“, vorgesehen, also in einem Kapitel, das keineswegs die vom Kläger für richtig gehaltene Beschränkung auf Ausgaben außerkalb der Anschaffung beweglicher und unbeweglicher Güter verlangt. Außerdem wurde die Mittelverwendung von der Kontrollkornmission überwacht und der Rat davon in Kenntnis gesetzt. Es läßt sich auch nicht sagen, daß der Rat mit der so gebilligten Politik außergewöhnlich fortschrittlich wäre. Sie hält sich nämlich durchaus im Rahmen dessen, was bei der heutigen sozialen Entwicklung zumindest für Großbetriebe als normal gelten muß, hat sich doch längst die Erkenntnis durchgesetzt, daß ohne soziale Einrichtungen für Erziehung, kulturelle Betätigung, Sport und Erholung nicht auszukommen ist und daß derartige Einrichtungen wesentlich zur Verbesserung des Betriebsklimas und des Betriebsergebnisses beitragen. Dies muß — wie die Kommission mit Recht hervorhebt — in besonderem Maße für ein Forschungszentrum gelten, das fernab von den großen kulturellen Zentren liegt und in dem es darauf ankommt, Bedienstete aus sechs verschiedenen Ländern zu einer arbeitsfähigen Gemeinschaft zusammenzuführen. Gerade im Hinblick darauf hat der Rat in der Begründung des Haushaltsplanes soziale Einrichtungen der vorliegenden Art als „indispensables“ bezeichnet.

Wenn es aber nach alledem angezeigt erscheint, bei der Deutung der Privüegien-Bestimmungen das Gegensatzpaar „usage privé“„usage officiel“ in den Vordergrund zu stellen und auf die Frage abzuheben, welche Einrichtungen zu einer beträchtlichen Verbesserung des „fonctionnement“ beitragen, also den Grundsatz der „Funktionalität“ ( 4 ) hervorzukehren, müssen die sozialen Einrichtungen des Kernforschungszentrums als „installations“ im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 Anhang F angesehen werden mit der Folge, daß die Befreiung von kommunalen Verbrauchssteuern auch für sie gilt.

Die Richtigkeit dieses Ergebnisses können darüber hinaus einige zusätzliche Überlegungen bekräftigen. Ich erinnere einmal an die Tatsache, daß auch andere Mitgliedstaaten gegenüber sozialen Einrichtungen anderer Anlagen des Gemeinsamen Forschungszentrums großzügig mit Steuerbefreiungen verfahren, eine Tatsache, deren Bedeutung im Hinblick auf das Prinzip der Gemeinschaftseinheitlichkeit nicht unterschätzt werden darf. Die Kommission hat uns dies aufgezeigt für die Bundesrepublik, wo Zuschüsse der Kommission an die. Gesellschaft für Kernforschung zum Ausgleich für die Restaurant-Benutzung durch Euratom-Bedienstete und die Miete von Tennisplätzen für das Euratom-Personal steuerlich nicht erfaßt wurden. Ebenso verhält es sich in den Niederlanden hinsichtlich der Konstruktion eines „Guest-House“ und der Errichtung von Sportanlagen sowie selbstverständlich in Belgien, wo zahlreiche Vorgänge zugunsten sozialer Einrichtungen der Gemeinschaften steuerlich unangetastet blieben. — Sodann erscheint mir bemerkenswert, daß die italienische Regierung sich zu den gegenwärtig interessierenden Vorgängen nicht geäußert hat, obwohl sie durch das Zentrum unterrichtet wurde und obwohl es nach Anhang F ihre Angelegenheit wäre, etwaige Mißbräuche der Privilegien-Bestimmungen zu rügen. — Schließlich muß noch ein Gedanke berücksichtigt werden, der auch sonst bei der Auslegung derartiger Abkommen als gewichtig ins Feld geführt wird, nämlich der Grundsatz der finanziellen Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation. Seine Anwendung soll ausschließen, daß der Sitzstaat durch steuerliche Belastung gemeinsamer Einrichtungen sich gleichsam einen Teil seines Beitrages zurückerstatten läßt, wobei es übrigens unerheblich ist, in welche öffentliche Kasse eine Abgabe fließt ( 5 ). Dies alles zusammengenommen ergibt tatsächlich, daß die Kommission mit Recht die Steuerbefreiung des Anhanges F für die sozialen Einrichtungen des Kernforschungszentrums in Anspruch genommen hat, und daß der Antrag der Gemeinde Ispra, ihr den Zutritt zu diesen Einrichtungen zum Zwecke der steuerrechtlichen Bewertung zu gestatten, unbegründet ist.

Dasselbe Ergebnis müßte sich auch einstellen, würde man sich lediglich auf Artikel 3 des Gemeinsamen Privilegien-Protokolls stützen, nach dem bekanntlich die Gemeinschaften, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögensgegenstände von jeder direkten Steuer befreit sind und nach dem die Regierungen der Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für den Erlaß oder die Erstattung des Betrages der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben treffen, die in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffen sind, wenn die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf größere Einkäufe tätigen. Dies ist zumindest die Auffassung anderer Mitgliedstaaten, in denen es keine besonderen Sitzabkommen gibt, wie ich vorhin gezeigt habe.

Nun könnte allerdings noch gefragt werden — ich sage dies, um vollständig zu sein — ob der klägerische Antrag nicht mit einer anderen Begründung erfolgreich wäre. Dafür finden sich in der Replik gewisse Andeutungen insofern, als davon gesprochen wird, die Steuerbehörde habe nachforschen wollen, ob tatsächlich das fragliche Baumaterial für die Errichtung sozialer Einrichtungen verwendet wurde oder ob es — so ist sinnvoll zu ergänzen — für private Zwecke verbraucht wurde, also in einer Weise, für die eine Steuerbefreiung nicht in Betracht kommt und folglich auch nicht die Berufung auf die Unverletzlichkeitsbestimmungen. Diese Andeutungen möchte ich jedoch als lediglich nachgeschoben ansehen. Nach dem Wortlaut des ersten Schreibens an die Verwaltung des Zentrums, aber auch nach dem Inhalt der Klageschrift, erscheint nämlich klar, daß es für die Steuerbehörde von Anfang an keinen Zweifel daran gab, daß das fragliche Material zu dem von der Kommission angegebenen Zweck verwendet wurde und daß allein seine Bewertung, nicht dagegen die Kontrolle seiner Verwendung in Frage stand. Im übrigen fehlt es auch an Indizien für einen berechtigten Argwohn der Steuerbehörde. Demnach ist es angezeigt, jene zuletzt erwähnten, eher beiläufigen Bemerkungen der Replik jetzt außer Betracht zu lassen.

Wir könnten somit, was die Begründetheit der Klage angeht, unter keinem Aspekt zu einem positiven Urteil kommen.

C — Schlußanträge

Ich fasse für die Schlußanträge zusammen:

Die Klage des Ufficio Imposte di Consumo di Ispra, gerichtet auf die Feststellung, die Kommission sei verpflichtet, dem von der Gemeinde Ispra beauftragten Techniker den Zutritt zu den sozialen Einrichtungen des Zentrums zum Zwecke der Ermittlung ihres Steuerwertes zu gestatten, ist mit Rücksicht auf die Bestimmungen von Anhang F zum Abkommen der Gemeinschaft mit der italienischen Regierung als unzulässig zurückzuweisen.

In jedem Fall sind die Anträge des Klägers unbegründet.

Die Kosten des Verfahrens hat dementsprechend der Kläger zu tragen.


( 1 ) Vgl. Egger: Die Vorrichte und Befreiungen zugunsten internationaler Organisationen und ihrer Funktionäre, S. 79, 108, 190; Cahier: Étude des accords de siège conclus entre les organisations internationales et les États où elles résident, S. 249, 250.

( 2 ) Vgl. Euer, a.a.O., S. 134, 146.

( 3 ) Vgl. Pilandt-Lauterbach: Kommentar zum BGB, 21. Auflage, Vorbemerkung 17 vom EGBGB 7.

( 4 ) Vgl. Schroer: Zar Gewlhrung von Befrejungen an internationale Einrichtungen, Jahrbuch für internationales Recht, 12, S. 218.

( 5 ) Vgl. Egger, a.a.O., S. 109; Cahier, a.a.O., S. 222 f; Schroer, a.a.O., S. 217, 219, 222.