Schlußanträge

des Generalanwalts Herrn Joseph Gand

vom 25. Januar 1968 ( 1 )

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die sieben Vorabentscheidungsersuchen, zu denen ich heute Schlußanträge vorzutragen habe, sind nach Artikel 177 des Vertrages von Rom von vier deutschen Gerichten, darunter der Bundesfinanzhof, vorgelegt worden. Sie betreffen die Auslegung der steuerlichen Vorschriften, genauer der Artikel 96 und 97 des EWG-Vertrags. Die deutschen Gerichte ersuchen Sie, nahezu 50 Fragen zu beantworten, von denen einige in mehreren Rechtssachen wiederkehren oder sich überschneiden, und die umstrittenen Artikel enthalten praktisch keinen Ausdruck, über dessen Sinn und Tragweite Sie nicht befragt werden: Was ist z.B. eine mittelbare Abgabe, ein gleichartiges Erzeugnis, ein „substituierbares“ Erzeugnis? Was ist unter einem „Durchschnittssatz“ zu verstehen? Begründet Artikel 95 individuelle Rechte des einzelnen, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben? Gilt dies auch für Artikel 97? So wird das ganze Umsatzsteuersystem am Vertrag gemessen, insbesondere das der kumulativen Mehrphasensteuer, die in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 1. Januar dieses Jahres galt und möglicherweise in vier Mitgliedstaaten noch bis zum 1. Januar 1970 fortgelten wird. Damit sind Umfang und Schwierigkeit der Probleme, die Sie zu lösen haben und die in den Ihnen vorgetragenen mündlichen Erklärungen bereits beleuchtet worden sind, zur Genüge umrissen.

Man könnte daran denken, die gesamten von den einzelnen Gerichten vorgelegten Fragen zunächst danach zu ordnen, auf welche Vorschriften von Artikel 95 oder 97 sie sich beziehen und sie dann in dieser logischen Reihenfolge zu prüfen. Aus Gründen der Klarheit und Einfachheit habe ich mich jedoch entschlossen, genau die Reihenfolge einzuhalten, in der Sie die Rechtssachen verhandeln ließen. Daher beginne ich mit der Rechtssache 28/67, die Ihnen vom Bundesfinanzhof, dem höchsten deutschen Finanzgericht, vorgelegt worden ist und in der die wichtigsten Grundsatzfragen aufgeworfen werden.

I

Rechtssache 28/67 — Firma Molkerei-Zentrale gegen Hauptzollamt Paderborn

Die Vorlage beruht auf folgendem Sachverhalt: Von einem Unternehmen, das am 15. Juni 1962 Vollmilchpulver aus Belgien nach Deutschland einführt, wird neben dem Zoll eine Umsatzausgleichssteuer von 4 % angefordert. Es macht vor dem Finanzgericht erfolglos geltend, die Erhebung dieser Steuer verstoße gegen Artikel 95 des Vertrages, da das deutsche Umsatzsteuergesetz seit dem 1. Februar 1956 inländisches Vollmilchpulver von der Umsatzsteuer befreie und außerdem die Lieferung des Vorprodukts Milch gleichfalls umsatzsteuerfrei sei. Diese Argumentation greift die Klägerin vor dem Bundesfinanzhof wieder auf. Ihre These beruht also auf der Annahme, daß Artikel 95 des Vertrages unmittelbare Wirkungen erzeugt und unmittelbare Rechte des einzelnen begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben. Dies entspricht Ihrer Entscheidung im Urteil 57/65 (Lütticke, vom 16. Juni 1966, RsprGH XII, 258 ff.).

In diesem sehr wesentlichen Punkt hat der Bundesfinanzhof erhebliche Bedenken, die er in seinem Vorlegungsbeschluß sehr klar und vollständig darlegt. Diese Bedenken lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem staatlichen Recht werde an sich nicht bestritten, aber Ihre Rechtsprechung — insbesondere das Urteil Lütticke — sei in Deutschland dahin verstanden worden, daß der einzelne, wenn er die unmittelbare Wirkung einer einen Staat verpflichtenden Vertragsnorm behauptet, das Recht haben müsse, vor dem staatlichen Richter wegen einer Verletzung dieser Norm Klage zu erheben. Es sei aber Sache der Gemeinschaftsorgane, insbesondere der Kommission, die Staaten im Verfahren nach Artikel 169 zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. Räume man den einzelnen ein auf die Verletzung des Vertrages gestütztes unmittelbares Klagerecht ein, statt ihnen nur das Recht zu gewähren, vom Mitgliedstaat „im Weg der Verpflichtungsklage“ die Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes zu fordern, so erhielten sie in Wirklichkeit einen weitergehenden Anspruch, als ihn die Gemeinschaftsorgane selbst hätten. Diese Lösung wäre im übrigen hinsichtlich des Artikels 95 schlecht mit der Stellung der rechtsprechenden Gewalt im Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren, denn es sei nicht Aufgabe der Gerichte, in Tausenden von Einzelentscheidungen von den zuständigen Stellen unterlassene materiell-steuerrechtliche Gesetzgebungsakte zu ersetzen. Außerdem handele es sich weitgehend um Tatsachenfragen, die zu divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte rühren könnten, ohne daß der Bundesfinanzhof die Möglichkeit hätte, ausgleichend einzugreifen. Es könne sogar zu Widersprüchen zwischen der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte und Entscheidungen des Gerichtshofes nach den Artikeln 169 und 170 des Vertrages kommen. Man dürfe schließlich auch nicht außer acht lassen — dies ist das letzte Argument —, daß Ihre Rechtsprechung von Anfang an zu ungezählten Klagen vor den Finanzgerichten geführt habe, woraus in der Bundesrepublik ein bedauerlicher Zustand der Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Umsatzausgleichssteuer entstanden sei.

1.

Der Bundesfinanzhof fragt Sie also — dies ist seine erste Frage —, ob Sie an Ihrer Entscheidung zur Auslegung des Artikels 95 Absatz 1 des Vertrages festhalten. Er will ferner wissen, ob dieser Artikel dem einzelnen das Recht gewähren kann, vor den nationalen Gerichten zu verlangen, entgegen dem noch anders lautenden Gesetz so gestellt zu werden, als ob der Mitgliedstaat seine gesetzgeberische Verpflichtung aus diesem Artikel erfüllt habe, während nach den Artikeln 169 und 170 die Kommission oder die anderen Mitgliedstaaten nur die Vertragserfüllung durch den Mitgliedstaat verlangen können, ob infolgedessen durch Artikel 95 Absatz 3 EWG-Vertrag die Gesetzgebungshoheit der Mitgliedstaaten auch für das Gebiet der inneren Abgaben insoweit durchbrochen ist.

Dies ist das erstemal, daß der Gerichtshof ausdrücklich ersucht wird, eine früher gegebene Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift noch einmal nachzuprüfen. Zwar ist es vorgekommen, daß Gerichte Sie über den Sinn von Vorschriften befragt haben, zu denen Sie schon Stellung genommen hatten, doch wurden diese neuen Ersuchen entweder vorgelegt, ehe Ihr Vorabentscheidungsurteil erging (Da Costa, Rechtssachen 28 bis 30/62, RsprGH IX, 65 ff.), oder bevor Ihre Entscheidung in der Sammlung veröffentlicht wurde (Hessische Knappschaft, Rechtssache 44/65, RsprGH XI, 1268). Nach Ihrer Rechtsprechung ist aber der nationale Richter befugt, Ihnen eine Auslegungsfrage erneut zu unterbreiten, und es ist nicht nur normal, sondern sogar wünschenswert, daß ein hohes Gericht eines Mitgliedstaats von dieser Befugnis Gebrauch macht, wenn ihm aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Ihre Auslegung fragwürdig erscheint.

Nach dieser Vorbemerkung glaube ich jedoch nicht, daß Sie Veranlassung haben, Ihren seinerzeit eingenommenen Standpunkt zu ändern.

Denn der grundlegende Einwand des Bundesfinanzhofs trifft nicht Artikel 95 des Vertrages und berührt nicht den Gedankengang, der Sie dazu geführt hat, diese Vorschrift für unmittelbar anwendbar zu erklären. Er ist allgemeiner und zielt im wesentlichen darauf ab, daß ein zweispuriges Rechtsschutzsystem geschaffen wird, das zugleich die Klage der Kommission und der Mitgliedstaaten vor dem Gerichtshof und die Klage der einzelnen vor den staatlichen Gerichten vorsieht. Diese beiden Rechtswege unterscheiden sich voneinander: Wird der erste mit Erfolg beschritten, so ist der Mitgliedstaat, dessen Vertragsverletzung festgestellt wird, verpflichtet, die zum Vollzug Ihres Urteils erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der zweite Weg bewirkt folgendes: Stellt der nationale Richter auf die Klage eines einzelnen und unter Umständen nach Auslegung der herangezogenen gemeinschafts-rechtlichen Bestimmungen durch den Gerichtshof fest, daß das staatliche Recht mit diesen Bestimmungen nicht in Einklang steht, so wendet er das Gemeinschaftsrecht unmittelbar auf den ihm zur Entscheidung vorliegenden Einzelfall an. Die beiden Wege ergänzen daher einander und sind von gleichem Wert, denn man darf sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß in der Praxis alle möglichen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art Einleitung und Ablauf des Verfahrens nach Artikel 169 verzögern oder behindern. Es kann in der Tat dazu kommen, daß — wie der Bundesfinanzhof bemerkt — ein einzelner vor dem nationalen Gericht so gestellt wird, als ob das staatliche Recht bereits geändert wäre, aber ist dies nicht eine logische Folge des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, den der Bundesfinanzhof nicht in Zweifel zieht?

Auf einen ähnlichen auf die Artikel 169 und 170 gestützten Einwand sind Sie schon gestoßen, als Sie Ihre Rechtsprechung zu den direkt anwendbaren Bestimmungen des EWG-Vertrags auszuarbeiten begannen. Er war Ihnen in der Rechtssache 26/62 (Urteil vom 5. Februar 1963, RsprGH IX, 3) von der niederländischen, belgischen und deutschen Regierung entgegengehalten worden, und Sie haben ihn ausdrücklich zurückgewiesen mit Worten, die wir uns noch einmal in Erinnerung rufen sollten:

„Würden die Garantien gegen Verletzungen von Artikel 12 durch die Mitgliedstaaten auf die in den Artikeln 169 und 170 vorgesehenen Verfahren allein beschränkt, so wäre jeder unmittelbare gerichtliche Schutz der individuellen Rechte der einzelnen ausgeschlossen. Die Anwendung dieser Vorschriften wäre im übrigen wirkungslos, wenn sie nach dem Vollzug einer in Verkennung der Vertragsvorschriften ergangenen staatlichen Entscheidung erfolgte. Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle ergänzt.“

Meines Erachtens gibt es keinen rechtlichen Grund, einen Standpunkt aufzugeben, den Sie seit fünf Jahren ständig eingenommen haben.

Ich verkenne indessen nicht die Beunruhigung des Bundesfinanzhofs wegen der Rechtsunsicherheit, die sich möglicherweise aus der Flut von Klagen ergibt, die vor den für die Ausgleichssteuer zuständigen deutschen Gerichten erhoben wurden. Übrigens verdient festgehalten zu werden, daß in keinem der anderen Mitgliedstaaten, die gleichfalls das System der kumulativen Mehrphasensteuer anwenden, ein ähnliches Phänomen zu beobachten war. Die Kommission hat zweifellos nicht Unrecht, wenn sie die Ursache für diese Klagenflut in den vielleicht übereilten Schlußfolgerungen sieht, die man aus Ihrem Urteil 57/64 gezogen hat: Man hat angenommen, das Urteil bedeute zwangsläufig, daß auch Artikel 97 — der von der kumulativen Mehrphasensteuer mit dem System der Durchschnittssätze handelt — unmittelbar anwendbar sei; daher rührt diese Fülle von Klagen. Dieses Problem bleibt aber, wie wir noch sehen werden, zu entscheiden und wird Ihnen im übrigen vom Bundesfinanzhof vorgelegt. Was den Artikel 95 betrifft, so besteht für Sie meines Erachtens keine Veranlassung, dieser Vorschrift eine neue, von der des Urteils 57/65 abweichende Auslegung zu geben.

2.

Bei der zweiten Frage geht es darum, ob Artikel 97 in dem Sinn unmittelbar anwendbar ist, daß er dem einzelnen Staatsbürger das Recht gibt, im Weg der Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid durch den nationalen Richter die Vereinbarkeit des gesetzlichen Durchschnittssteuersatzes mit den Grundsätzen des Artikels 95 EWG-Vertrag nachprüfen zu lassen.

Der streitige Artikel, der für diejenigen Mitgliedstaaten gilt, die das System der kumulativen Mehrphasensteuer anwenden, enthält zwei Absätze: Der erste ermächtigt diese Staaten, für inländische Abgaben, die sie von eingeführten Waren erheben, unter Wahrung der in Artikel 95 aufgestellten Grundsätze Durchschnittssätze für Waren oder Gruppen von Waren festzulegen; der zweite sieht vor, daß die Kommission geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an den betreffenden Staat richtet, wenn diese Durchschnittssätze nicht den genannten Grundsätzen entsprechen.

Sie haben in Ihrer Rechtsprechung Schritt für Schritt die Voraussetzungen festgelegt, unter denen eine Vertragsvorschrift als unmittelbar anwendbar angesehen werden kann. Ich habe in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache 57/65 versucht, diese Voraussetzungen dahin gehend zusammenzufassen, daß sie gegeben seien, wenn die Vorschrift, die dem Mitgliedstaat eine Verpflichtung auferlegt, klar und durch keinen Vorbehalt eingeschränkt ist, zu ihrer Durchführung keines Rechtsakts der Gemeinschaftsorgane bedarf und dem verpflichteten Staat in der Frage der Anwendbarkeit der Norm keinen wirklichen Ermessensspielraum läßt. Diese Voraussetzungen werden selbstverständlich sehr viel leichter erfüllt sein, wenn es sich um eine Verpflichtung, etwas nicht zu tun, um eine Unterlassung handelt (Rechtssachen 26/62 und 6/64), aber es ist nicht a priori ausgeschlossen, daß sie auch bei einer Verpflichtung zum Handeln gegeben sind.

Artikel 97 stellt sich aber vor allem — das ist etwas ganz anderes — als eine Ermächtigung dar, die den Mitgliedstaaten mit kumulativer Mehrphasensteuer erteilt wird. Bei diesem System ist es praktisch unmöglich, den Betrag der Umsatzsteuer genau zu bestimmen, die auf den voraufgegangenen Stufen von den Waren erhoben worden ist. Dieser Betrag kann z.B. schwanken, je nachdem die an der Herstellung des Erzeugnisses beteiligten Unternehmen mehr oder weniger integriert sind. Dies ist eine sich auf den ersten Blick aufdrängende Feststellung, die nicht dazu zwingt, schon jetzt zu der Frage Stellung zu beziehen, was als Vorsteuer anerkannt werden kann. Das ist der Grund für die Ermächtigung der Mitgliedstaaten, Durchschnittssätze einzuführen, die per definitionem von der tatsächlichen Belastung abweichen können.

Bei der Festsetzung dieser durchschnittlichen Belastung wenden die Mitgliedstaaten im übrigen verschiedene Berechnungsmethoden an, was die Kommission veranlaßt hat, dem Rat am 30. Juni 1967 den Vorschlag einer Richtlinie über eine gemeinsame Methode zur Berechnung der Durchschnittssätze vorzulegen. Dieser Vorschlag ist im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden. Sein Wortlaut zeigt zur Genüge, welche Schwierigkeiten mit der Festsetzung dieser Sätze verbunden sind. Die Staaten sind nicht nur befugt, diese Sätze festzusetzen, sondern auch zu bestimmen, ob der Satz auf Waren oder auf Gruppen von Waren anzuwenden ist und welche Waren eine Gruppe bilden. Sie werden im Zusammenhang mit anderen Auslegungsanträgen präzisieren müssen, was unter Gruppen von Waren zu verstehen ist und wie weit der Entscheidungsspielraum des Staates in dieser Frage geht. Hier genügt es festzustellen, daß er besteht.

Ohne Zweifel enthält Artikel 97 eine Beschränkung, soweit er auf die in Artikel 95 aufgestellten Grundsätze verweist, die einen Höchstbetrag der Ausgleichssteuern bestimmen, das genügt jedoch nicht, den Entscheidungsspielraum, auf den ich soeben hingewiesen habe, wieder zu beseitigen. Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, eine Ermessensentscheidung sei nach innerstaatlichem Recht nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Dies trifft zumindest in gewissem Umfang zu, jedoch scheint mir das Argument im Rahmen des Vertrages nicht besonders stichhaltig zu sein, denn hier geht es nicht um den Entscheidungsspielraum der Verwaltung, sondern um den des Gesetzgebers.

Dieser Entscheidungsspielraum, den man enger oder weiter bemessen, jedoch nicht völlig beseitigen kann, schließt meines Erachtens aus, daß Artikel 97 als unmittelbar anwendbar angesehen werden kann. Ohne dem entscheidende Bedeutung beizumessen, sei in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift von Artikel 97 Absatz 2 hingewiesen, wonach die Kommission geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an den Mitgliedstaat richtet, wenn die Durchschnittssätze nicht den Grundsätzen des Artikels 95 entsprechen. Dieses nur in Artikel 97, nicht in Artikel 95 vorgesehene Verfahren schließt — anders als bei Artikel 95 — die Möglichkeit aus, sogleich das Verfahren nach Artikel 169 einzuleiten. Es läßt sich wohl nur mit der Besonderheit der streitigen Vorschrift und den mit ihrer Anwendung verbundenen Schwierigkeiten erklären.

In dieser Beantwortung der zweiten Frage, die ich Ihnen vorschlage und die der Ansicht der Klägerin des Hauptprozesses widerspricht, sind auch die Regierung der Bundesrepublik und die Kommission weitgehend einig. Jedoch nicht vollständig, denn die Kommission mildert ihre Starrheit in gewissem Umfang ab. Um die richterliche Kontrolle auszuschließen, genüge es nicht, daß die beklagte Verwaltung vor dem staatlichen Gericht geltend macht, die Abgabe beruhe auf einem nach Artikel 97 zulässigen Durchschnittssatz. Das Gericht sei befugt zu prüfen, ob tatsächlich ein Anwendungsfall des Artikels 97 EWG-Vertrag vorliege, ob es sich also um eine Ausgleichsabgabe für eine nach dem System der kumulativen Mehrphasensteuer erhobene Umsatzsteuer und um einen Durchschnittssatz für Waren oder Gruppen von Waren handele.

3.

Mit der dritten Frage ersucht der Bundesfinanzhof Sie um Stellungnahme dazu, was unter Durchschnittssätzen im Sinn von Artikel 97 zu verstehen sei. Er fragt Sie ferner, ob danach der umstrittene Ausgleichssteuersatz von 4 %, der seinerzeit für Vollmilchpulver galt, ein solcher Durchschnittssatz ist.

In diesem letzten Punkt, der im Grunde die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf einen konkreten Fall betrifft, bin ich übereinstimmend mit der Bundesregierung und der Kommission der Auffassung, daß Sie für die Beantwortung dieser Frage nicht zuständig sind; sie ist Sache des staatlichen Richters.

Die Hauptfrage ist dagegen eine der heikelsten, die Ihnen vorgelegt sind, und selbst nach den Ausführungen, die ihr in dieser Rechtssache gewidmet worden sind, erscheint es mir schwierig, sie wirklich präzise zu beantworten.

Für die Bundesregierung ist die Sache indessen einfach: Durchschnittssätze seien ein notwendiger Bestandteil jedes kumulativen Mehrphasensteuersystems, denn aus all den Gründen, die Ihnen vorgetragen wurden, lasse sich die Belastung der inländischen Waren, insbesondere die mittelbare Belastung, die Gegenstand der fünften Frage des Bundesfinanzhofs ist, in aller Regel nur annäherungsweise berechnen. Daher müßten „mit Hilfe von Globalisierungen und Schätzungen“ Durchschnittssätze gebildet werden, die sich „nach den bei zumutbarem Verwaltungsaufwand zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen“ natürlich im Rahmen der durch die Grundsätze des Artikels 95 gesetzten Grenzen halten müßten (es fällt auf, wie unbestimmt diese Formulierungen sind).

In allen Fällen, in denen gleichartige oder substituierbare inländische Waren vorhanden sind, sei der Ausgleichssteuersatz ein Durchschnittssatz, wie es der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich bestimme. Zusammenfassend meint die Bundesregierung, unter Durchschnittssätzen im Sinn des Artikels 97 seien die in Mitgliedstaaten mit kumulativem Mehrphasensystem geltenden Sätze zu verstehen.

In so scharfer, apodiktischer Formulierung muß diese These zurückgewiesen werden. Wie die Kommission mit Recht bemerkt, erhält ein Satz die Eigenschaft eines Durchschnittssatzes im Sinn von Artikel 97 nicht schon dadurch, daß das nationale Gesetz ihn als solchen bezeichnet. Der den Mitgliedstaaten zuzubilligende Entscheidungsspielraum muß, will man nicht in reine Willkür verfallen, bestimmte Grenzen haben, die sich wie folgt abstecken lassen:

Für die Festsetzung der Durchschnittssätze muß zunächst die Umsatzsteuerbelastung gleichartiger inländischer Waren auf den einzelnen Verarbeitungsstufen bekannt sein. Sie darf daher nicht global und willkürlich geschätzt werden, sondern muß sich aus Berechnungen ergeben. Da die Produktionswege verschieden lang sind und die Ware je nach der Unternehmensstruktur eine unterschiedliche Zahl von Umsätzen durchläuft, liegt es nahe, Durchschnittspreise zugrunde zu legen, die diesen Unterschieden Rechnung tragen. Da andererseits einige Bestandteile der mittelbaren Belastung nur einen sehr geringen Prozentsatz der Gesamtbelastung ausmachen, dürfen insoweit auch Pauschalwerte eingesetzt werden. Jedoch ist daran festzuhalten, daß die auf gleichartigen inländischen Waren ruhende Belastung so genau wie möglich ermittelt werden muß und die Berechnungen nachprüfbar sein müssen, denn anderenfalls könnte z.B. die Kommission nicht die ihr in Artikel 97 Absatz 2 zugewiesene Aufgabe erfüllen, sich zu vergewissern, daß der Durchschnittssatz auf zutreffenden Grundlagen beruht. Hinzuzufügen ist, daß Berechnungen nicht allzu lange zurückliegen dürfen, damit sie noch wirklich repräsentativ sind, wenn der Satz der Ausgleichsabgabe bestimmt wird.

4.

Der Bundesfinanzhof fragt weiter, ob der einzelne auch dann noch aufgrund von Artikel 97 EWG-Vertrag ein Recht auf Nachprüfung eines Durchschnittssatzes durch die nationalen Gerichte hat, wenn die Kommission ihrer Verpflichtung, die Einhaltung des Vertrages zu gewährleisten, nachgekommen ist und der Mitgliedstaat dem Verlangen der Kommission entsprechend den Durchschnittssatz geändert hat.

Diese Frage setzt voraus, daß Artikel 97 des Vertrages dem einzelnen einen unmittelbaren Anspruch auf richterliche Nachprüfung der im Einzelfall angewandten Durchschnittssätze einräumt. Wenn Sie meinem Vorschlag folgend davon ausgehen, daß dem nicht so ist, wird die Frage gegenstandslos.

5.

Die letzte Frage des Bundesfinanzhofs lautet: Was ist unter mittelbarer Belastung inländischer Waren im Sinn von Artikel 95 Absatz 1 EWG-Vertrag zu verstehen?

Da im internationalen Warenverkehr in der Regel der Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsland gilt, haben die Mitgliedstaaten recht, wenn sie bei der Einfuhr den vollen Ausgleich der Belastung inländischer Waren herbeiführen wollen, deshalb ist der Begriff „mittelbare Abgabe“ im weitesten Sinn auszulegen.

Von dieser Feststellung ausgehend, kann man den streitigen Begriff wie folgt erläutern: Für die Herstellung eines Fertigerzeugnisses werden Ausgangsstoffe verwandt, die Rohstoffe oder Halberzeugnisse sein können. Verwendung finden aber auch Hilfsstoffe, die bei der Herstellung verbraucht werden (z.B. Leim bei der Herstellung von Büchern) oder Nebenstoffe (Verpackungsmaterial). Außerdem erfordert der Herstellungsprozeß Produktionsmittel sowie Dienstleistungen wie den Transport der Waren.

Alle diese Faktoren wirken bei der Herstellung des Erzeugnisses zusammen. Unter inländischen Abgaben, die eine Ware mittelbar belasten, sind also die Abgaben zu verstehen, die auf diesen verschiedenen Faktoren ruhen.

Diese Vorbelastung muß auf allen Stufen des Fertigungsprozesses berücksichtigt werden, selbstverständlich ist aber die Auswirkung der Abgabe auf den Preis des Enderzeugnisses um so geringer, je weiter man bei den Vorstufen zurückgeht. Deshalb kann die Anwendung von Pauschbeträgen bei der Bestimmung der Belastung der Grund- und Hilfsstoffe nicht ausgeschlossen werden.

Dieser Auffassung wird oft Ihr Urteil in der Rechtssache 45/64 (RsprGH XI/1965, 1126 ff.) zur Auslegung des die Ausfuhrrückvergütung behandelnden Artikels 96 des Vertrages entgegengehalten. Man beruft sich darauf, daß Sie dort ausgeführt haben, das Wort „mittelbar“ bezeichne diejenigen Abgaben, mit denen auf den einzelnen Fertigungsstufen „die für die Herstellung der Ware verwendeten Rohstoffe oder Halbfertigerzeugnisse“ belastet sind, und schließt hieraus, Sie hätten die Belastung der Produktionsund Transportmittel sowie des Energieverbrauchs ausschließen wollen. Ich bin hiervon nicht überzeugt, denn es kam damals vor allem auf die Abgaben an, deren Erstattung umstritten war und von Ihnen auch für unzulässig erklärt wurde. Es handelte sich insbesondere um Eintragungs-, Stempel- und Hypothekensteuern, von denen Sie feststellten, daß sie das Produktionsunternehmen in den sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen seiner allgemeinen kommerziellen und finanziellen Tätigkeit, nicht aber die Waren selbst auf ihren einzelnen Fertigungsstufen oder als Endprodukt belasten. Das gleiche läßt sich von Abgaben auf Lizenzen und Konzessionen sowie von Kraftfahrzeug- und Werbungssteuern sagen, die in dem Urteil ebenfalls genannt sind. Alle diese Abgaben haben offensichtlich mit der deutschen Umsatzsteuer nichts gemein. Daher schließt das Urteil 45/64 meines Erachtens die weite Auslegung des Begriffs mittelbare Abgabe, die ich Ihnen vorgeschlagen habe, nicht aus.

II

Rechtssache 31/67 — Firma Stier gegen Hauptzollamt Hamburg

Diese Rechtssache wird Ihnen vom Finanzgericht Hamburg vorgelegt. Sie betrifft Artikel 95 des Vertrages.

Die Firma Stier führte im Jahr 1966 aus Italien 3834 Kartons Zitronen ein. Das Zollamt forderte hierfür eine Umsatzausgleichssteuer in Höhe von 2,5 %. Die Firma machte vor dem Finanzgericht geltend, die Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes, nach denen diese Steuer von ihr verlangt wurde, verstießen gegen Artikel 95 des Vertrages. Nach dieser Vorschrift dürften nur solche eingeführte Waren mit einer Umsatzausgleichssteuer belastet werden, die auf dem deutschen Markt mit vergleichbaren inländischen Waren konkurrieren. Deutschland erzeuge aber weder Zitronen (Fall des Art. 95 Abs. 1) noch andere Früchte, die der Verbraucher anstelle von Zitronen wählen könne (Fall des Art. 95 Abs. 2).

1.

Aufgrund dieses Sachverhalts legt das Finanzgericht Ihnen drei Fragen vor, deren erste dahin geht, ob ein Mitgliedstaat inländische Abgaben auf aus anderen Mitgliedstaaten stammende Waren erheben darf, die weder mit gleichartigen noch mit substituierbaren inländischen Waren konkurrieren, oder ob dem das Recht des Vertrages entgegensteht.

Der Vorlagebeschluß läßt klar erkennen, aus welchen Gründen und aus welchen Vorstellungen heraus das Finanzgericht es für geboten hält, Sie anzurufen. Wie die Fassung der Frage zeigt, regelt nach Auffassung dieses Gerichts der Wortlaut des Artikels 95 die von ihm zu entscheidende Frage nicht: Es handele sich hier weniger um eine Auslegung des Vertrages als vielmehr um die Ausfüllung einer möglicherweise bestehenden Lücke. Hierfür sei der Gerichtshof zuständig. Der Rechtssatz, den das klagende Unternehmen aufstellt, um die Rechtswidrigkeit der Abgabe darzutun, läßt sich nach Meinung des vorlegenden Gerichts im Weg der Rechtsanalogie aus den Vertragszielen und insbesondere aus denjenigen Vertragsnormen herleiten, die den freien Warenverkehr innerhalb des Binnen-markts der Gemeinschaft gewährleisten und Hemmnisse im Warenaustausch unter den Mitgliedstaaten verbieten. Da somit „vertretbare Gründe“ für die These der Klägerin angeführt werden könnten, glaubt das Finanzgericht, Ihnen die Frage vorlegen zu sollen, obwohl es nach Artikel 177 Absatz 2 des Vertrages dazu nicht verpflichtet ist: Diese Einstellung kann man in der Tat nur begrüßen.

Welche Tragweite hat Artikel 95? Dies ist der Ausgangspunkt für die Beantwortung der vom Finanzgericht gestellten Frage.

Indem Artikel 95 Absatz 1 bestimmt, daß eingeführte Waren nicht mit höheren Abgaben belastet werden dürfen, als gleichartige inländische Waren zu tragen haben, stellt er nach Meinung der Klägerin des Hauptprozesses nicht nur ein Verbot auf, sondern gibt auch eine Erlaubnis. Während letztere eindeutig auf die mit inländischen Waren konkurrierenden Erzeugnisse beschränkt sei, ergebe sich das Belastungsverbot für die sonstigen aus den Mitgliedstaaten eingeführten Waren unmittelbar aus Artikel 95, und diese Auslegung der Vorschrift werde auch den Zielen des Vertrages gerecht, der ja namentlich den freien Warenverkehr gewährleisten solle. Dieser Gedankengang ist meines Erachtens mehr scharfsinnig als überzeugend, selbst wenn man Artikel 95 mit den sehr verwandten Vorschriften der Artikel II und III des GATT vergleicht, denn es ist eine Wortverdrehung, in Artikel 95 Absatz 1, der seinem Wesen nach Diskriminierungen zwischen eingeführten und inländischen Waren verbietet, eine Erlaubnisvorschrift sehen zu wollen.

Für den Fall, daß Sie dieser Auslegung nicht folgen, macht die Firma Stier geltend, die streitige Steuer sei als ein Zoll oder mindestens als eine Abgabe zollgleicher Wirkung anzusehen. Sie erfülle praktisch die Voraussetzungen eines Finanzzolls, denn ihr einziger Zweck sei es, dem Staat Einnahmen zu verschaffen. Dann aber hätten die Vorschriften über die schrittweise Herabsetzung der Zölle auf sie angewandt und der Steuersatz zum 1. Januar 1966 auf höchstens 1,6 % ermäßigt werden müssen. Man komme zum gleichen Ergebnis, wenn man die Steuer als eine zollgleiche Abgabe ansehe, eine Auffassung, die zu Ihrem Urteil 57/65 nicht im Widerspruch stehe.

Kehren wir nun zu Artikel 95 zurück, so ist mit der deutschen Regierung und der Kommission festzustellen, daß sich aus dieser Bestimmung keineswegs ein Verbot ableiten läßt, aus den Mitgliedstaaten eingeführte Waren, die mit inländischen Waren nicht im Wettbewerb stehen, mit inländischen Abgaben zu belasten. Der Vertrag wendet die im internationalen Warenverkehr übliche Regel an und unterwirft eingeführte Waren den im Bestimmungsland geltenden Abgaben. Artikel 95 verbietet es, diese Waren steuerlich weniger günstig zu behandeln als gleichartige oder substituierbare inländische Waren. Diese Vorschrift soll die Wettbewerbsgleichheit gewährleisten und gilt nur in diesen Grenzen. Für den Fall, daß weder gleichartige noch substituierbare Waren vorhanden sind, läßt sich aber aus Artikel 95 kein das Besteuerungsrecht des Einfuhrstaats beschränkender Rechtssatz ableiten. Denn es darf nicht übersehen werden, daß — anders als auf dem Gebiet der Zölle — der Vertrag nur in sehr begrenztem Maß in die Finanz- und Steuerhoheit der Mitgliedstaaten eingreift, wie die Artikel 95 bis 99 zeigen. Dies drückt auch die deutsche Regierung etwas apodiktisch aus, indem sie bemerkt, auf diesem Gebiet erlaube der Vertrag alles, was er nicht ausdrücklich verbietet. Die Verwirklichung von binnenmarktähnlichen Bedingungen muß daher in diesem Bereich wohl in erster Linie einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften überlassen bleiben, wie sie jetzt durch die Einführung der Mehrwertsteuer vorbereitet wird. Hier sei bemerkt, daß die Richtlinien des Rates vom 11. April 1967 die Erhebung dieser Steuer bei der Einfuhr von Waren, für die es keine gleichartigen oder substituierbaren inländischen Erzeugnisse gibt, nicht ausschließen.

Im übrigen läßt sich nicht generell sagen, die Belastung von Waren, die im Inland nicht erzeugt werden, mit inländischen Abgaben sei mit dem allgemeinen System des Vertrages unvereinbar. So gestattet Artikel 17 Absatz 3, Finanzzölle durch inländische Abgaben zu ersetzen, die den Bestimmungen des Artikels 95 entsprechen. Artikel 17 betrifft zwar nicht hauptsächlich, aber doch zu einem beträchtlichen Teil nicht im Inland erzeugte und nicht mit inländischen Erzeugnissen im Wettbewerb stehende Waren. Die von der Klägerin vertretene Auslegung der Vertragsziele würde seinen Absatz 3 eines großen Teils seines Inhalts berauben.

Aus diesen Gründen ist nach meiner Meinung die erste Frage des Finanzgerichts dahin zu beantworten, daß die Vertragsvorschriften einen Mitgliedstaat nicht hindern, aus anderen Mitgliedstaaten stammende Waren, die weder mit gleichartigen inländischen Waren im Sinn des Artikels 95 Absatz 1 noch mit substituierbaren inländischen Waren im Sinn des Artikels 95 Absatz 2 konkurrieren, mit inländischen Abgaben zu belasten.

2.

Das Finanzgericht fragt Sie sodann, ob ein aus dem Vertragsrecht zu entwickelnder Rechtssatz im Sinn der ersten Frage, der dem nationalen Besteuerungsrecht entgegensteht, unmittelbare Rechtswirkungen zugunsten des einzelnen hat.

Diese Frage setzt offensichtlich voraus, daß der Vertrag die Erhebung inländischer Abgaben auf die streitigen Waren ausschließt. Wenn Sie meinen Standpunkt teilen, wird sie gegenstandslos.

3.

Sie müssen dagegen die letzte Ihnen gestellte Frage beantworten, die dahin geht, ob ein Mitgliedstaat — sofern sein Besteuerungsrecht dem Grund nach bejaht wird — hinsichtlich der Höhe der inländischen Abgaben mit seinem Besteuerungsrecht Beschränkungen aufgrund des Vertrages unterliegt, wenn ja, welchen Beschränkungen.

Diese Frage bringt mich in einige Verlegenheit und läßt sich vielleicht nicht zur völligen Zufriedenheit beantworten. Sie hat zum Glück nur theoretische Bedeutung.

Man kann, wie es die Bundesregierung tut, davon ausgehen, daß der Vertrag die Erhebung innerer Abgaben bei der Einfuhr derartiger Waren nicht regelt, und hieraus folgern, daß das Besteuerungsrecht insoweit sowohl hinsichtlich der Entscheidung, ob solche Abgaben zu erheben sind, als auch hinsichtlich der Festsetzung ihrer Höhe uneingeschränkt fortbesteht. Die Bundesregierung fügt hinzu, falls sich auf diesem Gebiet Schwierigkeiten oder Mißbräuche ergäben, könne die Lösung im Weg der Harmonisierung der Rechtsvorschriften gesucht werden, und sie nennt als Beispiel die kürzlich erlassenen Richtlinien des Rates über das Umsatzsteuerrecht.

Die Kommission packt das Problem von einer anderen Seite an. Sie wiederholt ihre in der Rechtssache 20/67, zu der ich sogleich kommen werde, vorgetragene Argumentation und führt aus, wenn ein Mitgliedstaat eine Ware, die weder im Inland erzeugt wird noch mit einer anderen inländischen Ware im Wettbewerb steht, in exorbitanter Weise belaste, so könne er damit gegen das Verbot der zollgleichen Abgaben verstoßen. Es komme auf die Wirkung, nicht auf die Art der Abgabe an. Soweit eine solche Abgabe „das allgemeine Niveau der indirekten Belastung“ übersteigt, habe sie die gleiche Wirkung wie ein Zoll dieser Höhe, der zu einer normalen indirekten Belastung hinzutritt. Sie unterliege also dem Verbot zollgleicher Abgaben. Die Kommission räumt jedoch ein, daß diese Frage kein aktuelles Interesse habe, denn die deutsche Umsatzausgleichssteuer auf eingeführte Zitronen halte sich mit einem Satz von 2,5 % im Rahmen der in der Umsatzbesteuerung für Obst und Südfrüchte üblichen Sätze.

Diese Argumentation ist bestechend, obwohl sich Verschiedenes gegen sie einwenden läßt: Zunächst — der Vertreter der Bundesregierung hat in der Sitzung darauf hingewiesen —, daß sie den Unterschied zwischen inländischen und zollgleichen Abgaben verwischt. Sodann, daß die exorbitante Belastung fast nicht zu definieren ist: Für die Bundesrepublik wurden für Kaffee und Tee, beides Waren, die nicht mit deutschen Erzeugnissen im Wettbewerb stehen, Sätze von 100 bzw. 75 % des durchschnittlichen Preises genannt. Soll man annehmen, daß es sich dabei um exorbitante, wenn nicht gar prohibitive Belastungen handelt? Auf diesen Einwand läßt sich erwidern, daß die Kommission auf das allgemeine Niveau der indirekten Belastung abstellt, was wohl im Sinn der üblichen Abgabensätze für Waren der gleichen Art aufzufassen ist. Ferner, daß die von der Bundesregierung genannten Erzeugnisse unter Artikel 17 des Vertrages fallen und zu einer besonderen Kategorie gehören, für die der Abgabensatz immer hoch war.

Es ist noch auf einen weiteren Punkt hinzuweisen: Die Artikel 12 ff. regeln im einzelnen die Abschaffung der zollgleichen Abgaben, die vor dem Ende der Übergangszeit erfolgen muß. Wenn nach Ablauf dieser Frist festgestellt würde, daß ein Abgabensatz „exorbitant“ sei, wäre es Aufgabe der Kommission, den betroffenen Mitgliedstaat im Weg einer Richtlinie oder Entscheidung zur Herabsetzung dieses Satzes zu veranlassen. Aber dies geschähe natürlich außerhalb des Anwendungsbereichs und der Verfahrensvorschriften der Artikel 12 ff. des Vertrages.

Ich wiederhole es noch einmal, all das ist recht theoretisch, und zwar nicht nur im vorliegenden Fall, sondern ganz allgemein gesprochen. Wie die deutsche Regierung zu Recht bemerkt, sind prohibitive Sätze in sich widersprüchlich, weil sie nichts einbringen, und es ist deshalb nicht zu befürchten, daß die Mitgliedstaaten übertriebene Sätze anwenden, was dadurch bewiesen wird, daß die Kommission auf diesem Gebiet bisher noch nie einzugreifen brauchte. Außerdem scheint mir die Annahme, daß eine Abgabe mit ihrer Höhe ihr Wesen ändert, unnötig eine ohnedies schwierige Qualifikation zu erschweren. Obwohl ich nicht verkenne, daß es von Interesse sein könnte klarzustellen, daß die Befugnisse des Staates nicht unbegrenzt sind, schlage ich Ihnen daher nicht vor, die gestellte Frage im Sinn der Erklärungen der Kommission zu beantworten.

III

Rechtssache 25/67 — Firma Milch-, Fett- und Eierkontor gegen Hauptzollamt Saarbrücken

Die Firma Milch-, Fett- und Eierkontor ließ am 22. März 1967 beim Zollamt Saarbrücken eine Sendung geschlachtetes Geflügel holländischen Ursprungs abfertigen. Neben der Abschöpfung erhob das Zollamt die Umsatzausgleichssteuer nach einem Steuersatz von 4 %.

Die Importfirma wandte sich mit einer Klage beim Finanzgericht des Saarlandes gegen diesen Bescheid des Zollamtes. Sie machte geltend, die Erhebung der Ausgleichssteuer zu einem Satz von 4 % verstoße gegen Artikel 95 des Vertrages und gegen Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 22 des Rates der EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Geflügelfleisch: Gegen die erste Vorschrift, weil nach deutschem Umsatzsteuerrecht gleichartige inländische Waren nicht oder nur zu einem sehr viel niedrigeren Satz mit dieser Steuer belastet seien, gegen die zweite, weil Artikel 11 der Verordnung Nr. 22 die Erhebung zollgleicher Abgaben bei der Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten verbiete. Für den Fall, daß Artikel 97 als entscheidungserheblich angesehen werden sollte, fügte das Unternehmen hinzu, dieser Artikel stelle eine Ausführangsbestimmung zu Artikel 95 dar, bei deren Anwendung die in Artikel 95 aufgestellten Grundsätze beachtet werden müßten. Außerdem sei keinesfalls bewiesen, daß der streitige Steuersatz von 4 % ein Durchschnittssatz sei, und für die Rechtmäßigkeit des angewandten Satzes trage die Zollverwaltung die Beweislast. Die Klägerin machte schließlich noch geltend, wenn bei dem anzustellenden konkreten Vergleich der Abgaben die mittelbare Belastung gleichartiger inländischer Waren überhaupt berücksichtigt werden könne, so dürfe jedenfalls die Umsatzsteuerbelastung der Produktionsmittel und Dienstleistungen nicht einbezogen werden.

Das Finanzgericht vertritt in seinem ausführlich begründeten Beschluß die Auffassung, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Auslegung der Artikel 95 und 97 des Vertrages und insbesondere von der Fragt: ab, ob Artikel 97 individuelle Rechte des einzelnen begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben. Es ersucht Sie deshalb, zwölf Fragen zu beantworten, von denen einige in mehrere Unterfragen aufgegliedert sind und einige auch Probleme berühren, denen wir in der Rechtssache 28/67 bereits begegnet sind, was mir erlauben wird, mich in diesen Punkten darauf zu beschränken, das bereits Ausgeführte zu präzisieren oder zu ergänzen.

Anstatt die Fragen der Reihe nach zu besprechen, werde ich sie um einige große Probleme gruppieren, und zwar nach einer Reihenfolge, die logisch einigermaßen begründet ist, denn die Bundesregierung und die Kommission haben sie übereinstimmend eingehalten.

1.

Der erste Problemkreis betrifft die Durchschnittssätze.

Was ist unter einem Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 EWG-Vertrag zu verstehen? Das ist die erste Frage.

Kann ein Regelsteuersatz, der im Jahr 1951 eingeführt und seitdem unverändert beibehalten worden ist, ein Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 EWG-Vertrag sein? So lautet die zweite Frage.

Schließlich behandelt die sechste Frage, die für den Fall gestellt ist, daß Artikel 97 individuelle Rechte begründet, eine Reihe von Schwierigkeiten, die sich bei den Durchschnittssätzen ergeben: Liegt ein zulässiger Durchschnitts-satz vor, wenn die kumulierte Umsatzsteuerbelastung gleichartiger inländischer Waren nicht anhand zuverlässigen statistischen Materials berechnet, sondern geschätzt worden ist; wenn zwar Berechnungen aufgrund statistischen Materials erfolgten, die sich jedoch auf Zeiträume beziehen, welche bis zum 31. Dezember 1961 abgeschlossen waren; wenn inländische Waren, deren Produktions- und Handelswege unterschiedlich sind oder deren kumulierte Umsatzsteuerbelastung um mehr als 0,5 % voneinander abweicht oder die nicht gleichartig sind, zu einer Warengruppe zusammengefaßt werden?

a)

Was die erste Frage anbelangt, verweise ich allgemein auf meine Ausführungen zur Rechtssache 28/67. Ich will jedoch zur Entgegnung auf eine vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der Sitzung gemachte Bemerkung hinzufügen, daß der Begriff des Durchschnittssatzes nach Gemeinschaftsrecht und nach den Artikeln 95 und 97 zu beurteilen ist. Für die vorliegende Rechtssache ergeben sich also keine zwingenden Schlußfolgerungen aus den Entscheidungen deutscher Gerichte — seien es auch die höchsten — über die Auslegung des Begriffs des Durchschnittssatzes, seine Anwendung und deren gerichtliche Nachprüfung nach Paragraph 29 des deutschen Einkommensteuergesetzes.

b)

Die zweite Frage des Finanzgerichts, ob ein 1951 eingeführter und seitdem unverändert gebliebener Regelsteuersatz ein Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 EWG-Vertrag sein kann, hat die Kommission zunächst in ihren schriftlichen Erklärungen verneint. In der mündlichen Verhandlung hat sie diesen Standpunkt jedoch abgeschwächt. Zu Recht, wie ich glaube. Man kann Artikel 97 nicht so auslegen, als ob er die Abschaffung aller vor seinem Inkrafttreten angewandten Abgaben erfordere und die Mitgliedstaaten ermächtige, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an Durchschnittssätze einzuführen. Die frühere Regelung der kumulativen Mehrphasensteuer konnte fortbestehen und weiter angewandt werden, sofern sie den Vertragsvorschriften entsprach. Es scheint mir daher nicht schon a priori völlig ausgeschlossen zu sein, daß ein im Jahr 1951 festgesetzter Abgabensatz als Durchschnittssatz angesehen werden kann. Es dürfte auf den Einzelfall ankommen.

c)

Es bleiben die verschiedenen in der sechsten Frage angesprochenen Fälle, die sich nur mit Einschränkungen beantworten lassen.

Aus meinen Ausführungen zur Rechtssache 28/67 geht hervor, daß man sich für die Bestimmung der kumulierten Umsatzsteuerbelastung gleichartiger inländischer Waren nicht mit einer bloßen „Schätzung“ begnügen darf. Aber es geht vielleicht etwas zu weit, wenn man — woran das Finanzgericht denkt — „zuverlässiges statistisches Material“ verlangt. Meines Erachtens sind nur ernst-zunehmende, nachprüfbare Berechnungen erforderlich.

Das Finanzgericht fragt Sie auch, wie der Fall zu beurteilen ist, daß zwar Berechnungen aufgrund statistischen Materials erfolgten, diese sich jedoch auf Zeiträume beziehen, welche bis zum 31. Dezember 1961 abgeschlossen waren.

Zweifellos ist es wünschenswert, für die Berechnung der Belastung gleichartiger inländischer Waren neuestes statistisches Material heranzuziehen, es läßt sich aber nicht allgemein ein Bezugszeitraum bestimmen. Es kommt nur darauf an, daß sich die Verhältnisse seit dem Ende des gewählten Zeitraums nicht erheblich geändert haben.

Das heikelste Problem ist die Definition der „Gruppen von Waren“, von denen in Artikel 97 die Rede ist. Der Bundesregierung zufolge hätte grundsätzlich der Gesetzgeber, dem hierbei mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Schranke eine erhebliche Bandbreite zuzumessen wäre, zu entscheiden, welche Warenarten bei der Festsetzung der Durchschnittssätze zu berücksichtigen sind.

Die Kommission ist mit Recht der Auffassung, es könne nicht der Sinn des Artikels 97 sein, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, auf diesem Umweg die Durchschnittssätze zu manipulieren. Sie bringt das Beispiel des Eisenbergwerks, einer Vorstufe für die Maschinenherstellung. Eisen und Maschine seien die verschieden belasteten äußersten Glieder einer Produktionskette, und die Kommission hält es zu Recht für unzulässig, aus beiden eine Warengruppe zu machen. Auch der Vorschlag der Klägerin, alle in einer Zolltarifnummer aufgeführten Waren als Warengruppen anzuerkennen, ist abzulehnen, da es für ihn keine vernünftige Grundlage gibt.

Das einzige Kriterium, das man vorschlagen könnte — es fehlt ihm jedoch an Präzision —, wäre, daß in einer Warengruppe nur vergleichbare, annähernd gleich belastete Waren zusammengefaßt werden dürften. Es erscheint mir aber jedenfalls entgegen der der Frage des Finanzgerichts erkennbar zugrunde hegenden Auffassung nicht möglich, eine starre Grenze von 0,5 % der kumulierten Umsatzsteuerbelastung festzulegen, jenseits deren Waren nicht mehr in ein und derselben Gruppe zusammengefaßt werden dürften.

2.

Die zweite Gruppe von Fragen, zu der ich nun komme — die dritte, vierte und fünfte Frage —, betrifft die Rechtsnatur des Artikels 97, zu der Sie schon in der Rechtssache 28/67 befragt worden sind. Die Besonderheit der vorliegenden Rechtssache besteht darin, daß das Finanzgericht von der Frage ausgeht, ob dieser Artikel ein Unterfall des Artikels 95 oder eine selbständige Norm ist.

Ich bin mit der Kommission der Meinung, daß diese Fragestellung zur Lösung der allein erheblichen Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikels 97 nichts beitragen kann. Selbst wenn diese Vorschrift eine Ergänzungsnorm zu der Grundnorm wäre, die in Artikel 95 zu sehen wäre, könnte die Frage ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit nicht allein nach Artikel 95 beurteilt werden. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 95 mag ferner eine unerläßliche Voraussetzung, sie kann für sich allein aber kein zureichender Grund dafür sein, auch Artikel 97 für unmittelbar anwendbar zu halten. Das Problem läßt sich nur im Rahmen der in Ihrer Rechtsprechung bereits herausgearbeiteten Grundsätze lösen. Zu diesem Punkt habe ich schon bei der Rechtssache 28/67 hinlänglich Stellung genommen. Ich kann mich daher hier mit der Bemerkung begnügen, daß die Frage meines Erachtens zu verneinen ist.

3.

Die dritte Gruppe von Fragen — die achte, neunte und zehnte Frage — betrifft die Auslegung des in Artikel 95 enthaltenen Begriffs der „mittelbaren“ Abgabe, von dem bei der Berechnung der zulässigen Ausgleichssteuer ausgegangen werden kann.

Ich habe schon in meinen Ausführungen zur ersten Rechtssache auf die ratio legis dieser Vorschrift des Artikels 95 hingewiesen, die dazu führen muß, den Begriff „mittelbar“ im weitesten Sinn zu verstehen. Dies ist im großen ganzen auch der Standpunkt des Finanzgerichts, das jedoch um eine Reihe näherer Angaben bittet. Die Fragen 8 und 9 glaube ich, schon bei der Rechtssache 28/67 beantwortet zu haben.

Die Frage 10 enthält mehr Neues. Die streitige Abgabe — ich darf noch einmal daran erinnern — bezieht sich auf die Einfuhr von geschlachtetem Geflügel. Das Finanzgericht will nun wissen, ob auch die Umsatzsteuer zu berücksichtigen ist, die auf Vorprodukten von Urprodukten (z.B. Bruteiern für Geflügel, Saatgut für Pflanzen) ruht, und ob ein gleiches für die Steuer gilt, die auf Produktionsmitteln zur Gewinnung von Urprodukten ruht (z.B. auf Brutapparaten für Geflügel oder Bruthennen). Ausgehend von einer Unterscheidung, die ich für vernünftig halte, meint die Kommission, die Frage sei zu bejahen, weil es sich um die verschiedenen Produktionsstufen vor der Geflügelaufzucht handele. Grundsätzlich darf also die Umsatzsteuer, die auf der Legehenne oder dem Brutapparat ruht, berücksichtigt werden, es liegt jedoch auf der Hand, daß die Auswirkung der Belastung dieser Vorprodukte auf die allgemeine Belastung unbeachtlich ist.

4.

Die elfte und zwölfte Frage des Finanzgerichts gehen dahin, ob die Umsatzsausgleichssteuer ganz oder teilweise als eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinn von Artikel 11 der Verordnung Nr. 22/62 anzusehen ist — das Finanzgericht verneint diese Frage im übrigen selbst — und ob bejahendenfalls Artikel 11 dieser Verordnung unmittelbare Rechte des einzelnen begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.

Der genannte Artikel bestimmt, daß im Handel zwischen den Mitgliedstaaten sowohl bei der Einfuhr als auch bei der Ausfuhr mit der Anwendung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsregelung unvereinbar sind:

die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleicher Wirkung,

die Anwendung von mengenmäßigen Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung.

Sie bemerken, daß die Verordnung sich an die Terminologie des Vertrages hält. Es ist deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin des Hauptprozesses anzunehmen, daß dieser Begriff hier ebenso auszulegen ist wie im Vertrag.

Hiernach ist die in Deutschland anstelle der Umsatzsteuer erhobene Ausgleichssteuer in der Regel als inländische Abgabe, nicht als Abgabe zollgleicher Wirkung anzusehen, denn sie soll die Umsatzsteuerbelastung einheimischer Erzeugnisse ausgleichen.

Dies gilt, wenn die Steuer die auf gleichartigen inländischen Waren ruhende Belastung übersteigt, auch von dem über die entsprechende Belastung hinausgehenden Teil der Steuer, denn die Ausgleichssteuer ist, wie aus Ihrem Urteil 57/65 hervorgeht, rechtlich eine Einheit.

Die Frage, ob der einzelne sich vor den staatlichen Gerichten auf eine Verletzung des Artikels 11 der Verordnung Nr. 22 berufen kann, muß bejaht werden.

5.

Schließlich die letzte Frage des Finanzgerichts: Wer hat die Darlegungs- und Beweislast, wenn streitig ist, ob ein Steuersatz ein Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 EWG-Vertrag ist?

Die Bundesregierung und die Kommission haben verständliche Zweifel an der Zulässigkeit der Frage. Man kann sich fragen, ob es sich hier noch um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht oder nicht vielmehr um ein Problem handelt, das nach dem nationalen Recht des Gerichtes zu beantworten ist, vor dem über die wirkliche Rechtsnatur des angewandten Satzes gestritten wird. Ich für meinen Teil neige dieser zweiten Auffassung zu.

Sollte die Frage jedoch als zulässig angesehen werden, so würde ich mit dem Finanzgericht meinen, daß die Steuerverwaltung zumindest darlegen muß, nach welchen Gesichtspunkten und in welcher Weise der streitige Durchschnittssatz gebildet worden ist. Zuzugeben ist jedoch, daß diese Lösung nur auf sehr allgemeine Billigkeitserwägungen gestützt werden könnte: Wollte man diesen Nachweis nicht der Verwaltung aufbürden, so würde praktisch jedes Rechtsmittel des Importeurs illusorisch.

IV

Rechtssache 27/67 — Firma Fink-Frucht gegen Hauptzollamt München-Lands bergersiraße

In diesem Fall war die Einfuhr von Gemüsepaprika (oder Paprikaschoten) aus Italien nach Deutschland die Veranlassung dafür, daß die Klägerin des Hauptprozesses, die Firma Fink-Frucht, Umsatzausgleichssteuer zahlen mußte.

Die Importeurin klagte beim Finanzgericht München und machte die Verletzung von Artikel 95 des Vertrages geltend. Sie führte aus, die erhobene Ausgleichssteuer habe, verglichen mit der unmittelbaren oder mittelbaren Umsatzbelastung für ähnliche oder konkurrierende einheimische Erzeugnisse, diskriminierende Wirkung. Die Zollverwaltung erwiderte hierauf, weder Artikel 95 noch Artikel 97 des Vertrages seien anwendbar, denn in Deutschland werde Gemüsepaprika nicht erzeugt, er könne auch nicht durch andere einheimische Erzeugnisse ersetzt werden.

Aufgrund dieses Sachverhalts legt das Finanzgericht Ihnen fünf Fragen über Sinn und Tragweite des Artikels 95 vor.

1.

Das Gericht fragt zunächst, ob Artikel 95 Absatz 1 lediglich ein Verbot von Diskriminierungen zwischen Mitgliedstaaten enthält oder dahin zu verstehen ist, daß er die Erhebung der Umsatzausgleichssteuer nur für den Fall gestattet, daß gleichartige inländische Waren vorhanden und unmittelbar oder mittelbar mit Umsatzsteuer belastet sind, mit der Folge, daß die Erhebung der Umsatzausgleichssteuer mangels eines Ausgleichszwecks verboten ist, wenn den eingeführten Waren im Inland weder gleichartige noch konkurrierende Waren gegenüberstehen. Das Finanzgericht fragt ferner, ob im letzten Fall die Umsatzausgleichssteuer als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinn des Artikels 30 EWG-Vertrag anzusehen ist. Wir sehen, daß dieser ganze Fragenkomplex, obwohl er ausdrücklich nur auf Artikel 95 Absatz 1 Bezug nimmt, in Wirklichkeit Absatz 1 und Absatz 2 in gleicher Weise betrifft.

Wie ich schon zur Rechtssache 31/67 ausgeführt habe, ist von der Erwägung auszugehen, daß Artikel 95 ein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot enthält, aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Waren ungünstiger zu stellen als gleichartige oder konkurrierende inländische Waren. Gibt es aber in dem betroffenen Land weder gleichartige noch konkurrierende Waren, ist Artikel 95 nicht anwendbar. Da die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der durch die Vertragsbestimmungen eingeführten Beschränkungen bestehenbleibt, behalten die Mitgliedstaaten das Recht, mittelbare Abgaben auf die nicht im Inland erzeugten Waren zu erheben, wenn die Voraussetzungen des Artikels 95 nicht gegeben sind. Daraus folgt nicht notwendigerweise, daß sie keinen Einschränkungen durch den EWG-Vertrag unterliegen. Schließlich — und damit beantworte ich den letzten Teil der Frage — kann zwar jede Preiserhöhung der eingeführten Waren eine Beschränkung der Einfuhren zur Folge haben, eine Zoll- oder Steuererhöhung, die zu dieser Verteuerung führt, kann aber unter die Sondervorschriften der Artikel 12 und 95 fallen. Diese genügen sich selbst, ohne daß es einer Anwendung des Artikels 30 bedürfte, der für Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen gilt.

2.

Die zweite Frage betrifft den in Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages gebrauchten Begriff „gleichartige Waren“, sowie die Abgrenzung dieser Waren von den unter Absatz 2 fallenden.

Artikel 95 Absatz 1 ist anwendbar, wenn „gleichartige inländische Waren“ den aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Waren gegenübergestellt werden können, Artikel 95 Absatz 2 dagegen, wenn die Mitgliedstaaten auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten inländische Abgaben erheben, die geeignet sind, „andere Produktionen mittelbar zu schützen“. Es handelt sich hier also um den Fall, daß es im Inland keine „gleichartigen“, sondern nur mit dem eingeführten Erzeugnis im Wettbewerb stehende Waren gibt. Nach Inhalt und Stellung erscheint Artikel 95 Absatz 2 somit als eine Ergänzungsnorm zu Artikel 95 Absatz 1.

Trotzdem ist es — das zeigen die verschiedenen eingereichten Erklärungen — schwierig, die vom Finanzgericht erbetene präzise Begriffsbestimmung der „gleichartigen“ Waren zu geben und dieselben gegenüber den in Absatz 2 genannten Waren abzugrenzen. Die Schwierigkeit ist aber von untergeordneter Bedeutung, wenn Sie, wie ich es Ihnen vorschlagen werde, davon ausgehen, daß die unter die beiden Absätze fallenden Waren derselben Regelung unterliegen.

Nach Ansicht der Klägerin des Hauptprozesses sind, ohne daß eine absolute Gleichwertigkeit zu verlangen wäre, als gleichartig alle Waren anzusehen, die in einem engen Substitutionsverhältnis zueinander stehen, d.h. alle Waren, die nach ihren Eigenschaften und ihrem Nutzwert von der Verkehrsauffassung als austauschbar angesehen werden. Der Bundesregierung zufolge sind als gleichartig alle Waren zu betrachten, die entweder vollkommen gleich oder gleicher Art sind. Die Kommission führt aus, „gleichartig“ heiße nicht „gleich“, gehe vielmehr weiter.

Man sieht, es handelt sich um einen schwer zu fassenden Begriff. Überemstimmend wird aber allgemein angenommen, daß es für die Frage, ob Waren gleichartig sind, wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der streitigen Regelung hauptsächlich darauf ankommt, ob die Waren nach ihrer Art und ihren besonderen Eigenschaften gleiche Verwendungsmöglichkeiten bieten, ob sie einem und demselben Bedürfnis genügen oder geeignet sind, dem gleichen Geschmack zu entsprechen. Zu bemerken ist noch, daß die meisten Waren mehrere Verwendungsmöglichkeiten bieten, die sie im größeren oder geringeren Umfang mit anderen Waren teilen.

Was Absatz 2 anbelangt, so stellt er eine Ergänzungsvorschrift zu Absatz 1 dar. Er betrifft den Fall, daß ein eingeführtes Erzeugnis in irgendeiner Form mit einem inländischen Erzeugnis in Wettbewerb tritt, ohne daß es sich jedoch um gleichartige Waren handelt.

Es ist jedoch unmöglich, die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften klar gegeneinander abzugrenzen: Gleichartige Waren und Waren, die, ohne gleichartig zu sein, trotzdem mit inländischen Waren im Wettbewerb stehen, unterscheiden sich nur nach Grad und Ausmaß der sie trennenden Verschiedenheiten.

Die anderen Fragen des Finanzgerichts betreffen ausschließlich Artikel 95 Absatz 2.

3.

Das Finanzgericht bittet Sie zunächst um Auslegung des in diesem Absatz verwendeten Begriffs „Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen“. Fällt darunter jede auch noch so geringe Abgabe, durch die inländische, in einem — auch entfernten — Wettbewerb mit der eingeführten Ware stehende Waren einen gewissen Schutz erhalten, oder erfaßt er nur solche Abgaben, die den Preis der eingeführten Ware so sehr verteuern, daß die inländischen Verbraucher die konkurrierenden inländischen Waren vorziehen? Absatz 2 ist meines Erachtens recht weit auszulegen. In Ihrem Urteil 34/62 (RsprGH IX /1963, 289) haben Sie z.B. ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Apfelsinen einerseits sowie Äpfeln, Birnen und Pfirsichen andererseits angenommen, so daß Apfelsinen nicht mit höheren Abgaben belastet werden können als die genannten inländischen Früchte.

Sobald ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Waren besteht, verbietet es Artikel 95 Absatz 2, die mit einheimischen Waren konkurrierenden Einfuhrwaren stärker zu belasten. Denn jede Preiserhöhung behindert den Absatz des belasteten Erzeugnisses und begünstigt die nicht belastete Ware. Diese Wirkung ist gewiß um so schwächer, je geringer die Preiserhöhung ist, es gibt aber keine Grenze, unterhalb deren sich sagen ließe, daß eine Preiserhöhung, die nur einige von mehreren demselben Bedarf genügenden Waren betrifft, sich auf den Absatz dieser Waren nicht auswirken.

4.

Das Finanzgericht will auch wissen, ob Artikel 95 Absatz 2 überhaupt verbietet, Abgaben zu erheben, oder ob er nur ein Verbot höherer Abgaben als der auf den konkurrierenden Inlandswaren ruhenden inländischen enthält.

Die Antwort ist nicht zweifelhaft. Die Frage ist im Sinn der zweiten vom Finanzgericht in Betracht gezogenen Alternative zu entscheiden.

Artikel 95 verfolgt nur das eine Ziel, zu verhindern, daß eingeführte Waren im Wettbewerb benachteiligt werden. Der mittelbare Schutz ergibt sich aber nicht aus jeder noch so geringen Belastung, sondern nur aus einer Belastung, die höher ist als die der inländischen Waren. Schließlich ist auch nicht einzusehen, weshalb der Vertrag die nur vergleichbaren Waren besser stellen sollte als die „gleichartigen“.

5.

Das Finanzgericht fragt schließlich noch, ob Artikel 95 Absatz 2 unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte des einzelnen begründet, die von den nationalen Gerichten zu beachten sind.

Aufgrund Ihrer Rechtsprechung glaube ich, daß diese Frage zu bejahen ist.

Dieser Absatz läßt den Mitgliedstaaten in der Tat keinen Entscheidungsspielraum. Die Schwierigkeiten, die bei seinem Vollzug entstehen können, sind rein rechtlicher Art und ergeben sich im wesentlichen aus den verwendeten Begriffen, die, wie wir sehen, eine Auslegung durch den zuständigen Richter erforderlich machen können. Da sich im übrigen eine klare Grenze zwischen Absatz 1 und Absatz 2 des Artikels 95 schwer ziehen läßt, vermag ich nicht zu erkennen, wie Absatz 1, nicht aber Absatz 2 unmittelbare Wirkungen erzeugen sollte.

V

Rechtssache 13/67 — Firma Becher gegen Hauptzollamt München — Landsbergerstraße

Das vom Finanzgericht München vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen 13/67 wird uns nicht lange aufhalten, denn die Fragen, die dieses Gericht stellt, haben uns alle schon in einigen der bereits erörterten Rechtssachen beschäftigt.

Die Firma Becher keß am 7. Dezember 1962 zwei Sendungen italienischen Mais zum freien Verkehr abfertigen. Hierfür sollte sie Umsatzausgleichssteuer zum Satz von 1,5 % bezahlen. Sie erhob zuerst Einspruch, dann Klage zum Finanzgericht und machte geltend, die deutschen Steuervorschriften, die auf sie angewandt worden waren, verstießen gegen Artikel 95 des Vertrages. In Deutschland ausgeführte Lieferungen von inländischem Mais seien nämlich umsatzsteuerfrei und hätten daher keine die inländischen Waren unmittelbar belastenden Abgaben zu tragen. Auch eine mittelbare Belastung sei nicht gegeben, denn als solche kämen die auf Hilfsstoffen ruhenden Abgaben nicht in Betracht. Das Unternehmen bestritt auch, daß der Steuersatz von 1,5 % ein wirklicher Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 sei.

Aufgrund dieses Sachverhalts legt das Finanzgericht München Ihnen drei Fragen vor.

1.

Die erste Frage geht dahin, ob Artikel 97 unmittelbar anwendbar ist.

Aus den Gründen, die ich zur Rechtssache 28/67 dargelegt habe, muß diese Frage meines Erachtens verneint werden.

2.

Die zweite Frage betrifft die Auslegung des Begriffs „Durchschnittssatz“.

Gelten bei einem kumulativen Mehrphasensteuersystem Umsatzausgleichssteuersätze generell als Durchschnittssätze im Sinn von Artikel 97? Dies ist die von der deutschen Regierung ständig vertretene These, die 1966 auch in § 7 des Umsatzsteuergesetzes einen Niederschlag fand und, wie ich im Zusammenhang mit der Rechtssache 28/67 ausgeführt habe, mit großem Vorbehalt aufzunehmen ist. Ist im Gegenteil, so fragt das Finanzgericht weiter, in jedem Fall zu prüfen, ob ein Steuersatz nicht über oder unter dem Durchschnitt der unmittelbaren oder mittelbaren Umsatzsteuerbelastung gleichartiger inländischer Waren liegt, z.B. wenn der Steuersatz nur der Belastung einer Umsatzphase einer gleichartigen inländischen Ware entspricht? Liegt schließlich ein Durchschnittssatz vor, wenn Waren verschiedener Fertigungsstufen, z.B. Getreide und daraus hergestellte Backwaren, unter den gleichen Steuersatz fallen?

Das Finanzgericht bemerkt, der im vorliegenden Fall angewandte Satz von 1,5 % entspreche dem Umsatzsteuersatz für die Lieferung von inländischem Getreide. Da diese Steuer aber nur für einen geringen Teil der Getreideumsätze gelte, sei die wirkliche Steuerbelastung erheblich niedriger als 1,5 %. Um den Ausgleichs-steuersatz als Durchschnittssatz im Sinn von Artikel 97 ansehen zu können, müsse man die mittelbare Belastung berücksichtigen und außerdem das Getreide zu den dem gleichen Steuersatz unterliegenden Backwaren in Beziehung setzen. Könne man aber eine Warengruppe bilden, indem man Rohstoffe, die überwiegend steuerfrei sind, mit den daraus hergestellten Waren zusammenfasse, die einen längeren Produktionsweg durchliefen und eine höhere Vorbelastung trügen?

Ich habe bereits ausgeführt, daß — soll verhindert werden, daß die Artikel 95 und 97 durch Manipulationen umgangen werden können — für die Bestimmung der Ausgleichssteuer Waren nur dann in einer „Gruppe“ zusammengefaßt werden dürfen, wenn die gleichartigen inländischen Waren im wesentlichen gleich belastet sind. A priori mutet es erstaunlich an, daß auf diese Weise Waren verschiedener Fertigungsstufen zusammengefaßt werden können, dies ist aber nicht rechtswidrig, wenn diese Waren annähernd die gleiche Belastung tragen. Es ist eine Frage des Einzelfalls, die sich nicht allgemein und absolut entscheiden läßt.

3.

Schließlich fragt das Finanzgericht Sie noch, ob der Begriff der mittelbaren Abgabe auch die Umsatzsteuer und die Beförderungssteuer umfaßt, die auf den bei der Herstellung und Lieferung der gleichartigen Waren verwendeten Hilfsstoffen, Verpackungsmaterialien, Betriebs- oder Produktionsmitteln und auf den von Dritten durchgeführten Transporten ruht. Diese Frage ist zu bejahen.

VI

Rechtssache 7/67 — Firma Wöhrmann gegen Hauptzollamt Bad Reichenhall

Rechtssache 20/67 — Firma Tivoli gegen Hauptzollamt Würzburg

Die beiden Rechtssachen, in denen ich noch Schlußanträge vorzutragen habe, sind beide Vorlagen des Finanzgerichts München und unterscheiden sich von den bereits erörterten Fällen darin, daß sie die Einfuhr von Waren nicht aus Mitgliedstaaten, sondern aus dritten Ländern nach Deutschland betreffen. Sie beziehen sich auf die Auslegung von Verordnungen über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation auf zwei landwirtschaftlichen Sektoren, und die vorgelegten Fragen sind verwandt. Sie lassen sich bei der Untersuchung, nach der sie verlangen, nicht voneinander trennen.

1.

Die Firma Wöhrmann führte im Jahr 1966 ungezuckertes Vollmilchpulver aus Österreich nach Deutschland ein. Neben der in der Verordnung Nr. 13/64 vom 5. Februar 1964 vorgesehenen Abschöpfung erhob das Zollamt Umsatzausgleichssteuer in Höhe von 3 % des Wertes. Es kam zur Klage beim Finanzgericht München, die darauf gestützt wurde, daß Milch und Milcherzeugnisse in Deutschland nicht der Umsatzsteuer unterlägen und deshalb die fragliche Ausgleichssteuer keine „inländische Abgabe“ im Sinn von Artikel 95 des Vertrages, sondern eine Abgabe mit zollgleicher Wirkung darstelle. Nach Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 13/64 sei aber bei Einfuhren aus dritten Ländern die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleicher Wirkung mit der Anwendung der Verordnung unvereinbar.

Aufgrund dieses Sachverhalts legt das Finanzgericht Ihnen vier Fragen vor, die miteinander im Zusammenhang stehen und folgen-den Inhalt haben: Das Gericht fragt zunächst, ob sich der Charakter einer zollgleichen Abgabe im Sinn des Artikels 12 der Verordnung nach der protektionistischen Zweckbestimmung der Abgabe im allgemeinen oder nach der konkreten protektionistischen Wirkung der Abgabe im Fall einer bestimmten Ware richtet. Falls die zweite Alternative bejaht werden sollte, will das Gericht wissen, ob eine Ausgleichssteuer als Abgabe zollgleicher Wirkung anzusehen ist, wenn die Lieferung des gleichartigen inländischen Erzeugnisses nicht unmittelbar der Umsatzsteuer unterliegt, oder — für den Fall, daß diese Frage verneint werden sollte — ob eine Abgabe zollgleicher Wirkung vorliegt, soweit die Ausgleichssteuer die Belastung gleichartiger inländischer Erzeugnisse mit Umsatzsteuer übersteigt. Dies sind die beiden ersten Fragen, mit denen ich mich zunächst einmal beschäftigen will.

Bekanntlich unterscheidet der Vertrag zwischen Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung einerseits und inländischen Abgaben andererseits und unterwirft beide Abgabenarten verschiedenen Regelungen. Nach der Verordnung Nr. 13/64, um deren Auslegung Sie ersucht werden, ist bei Einfuhren aus dritten Ländern die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleicher Wirkung mit der durch die Verordnung geregelten Abschöpfung unvereinbar. Die Verordnung enthält dagegen keine entsprechende Bestimmung für inländische Abgaben. Insoweit behalten die Mitgliedstaaten freie Hand.

Dies wird dadurch bewiesen, daß nach Artikel 2 der Verordnung die Abschöpfung dem Schwellenpreis des einführenden Mitgliedstaats entspricht, jedoch abzüglich einiger Beträge, darunter des (nach der Verordnung Nr. 158/64 zu berechnenden) „Betrages, welcher der Auswirkung der bei der Einfuhr erhobenen inländischen Abgaben entspricht“. Ein weiterer Beweis ist darin zu sehen, daß nach Herabsetzung der Ausgleichssteuer für Milcherzeugnisse von vier auf drei Prozent durch das am 26. März 1965 ergangene Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes die Verordnung Nr. 158/64 geändert wurde, um der neuen deutschen Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Natürlich hat der Vertreter der Klägerin diese Vorschrift beanstandet, die nach seiner Ansicht mit dem Geist des Vertrages und der Marktorganisationen unvereinbar ist, aber ihre Gültigkeit ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Entscheidend ist die Übereinstimmung zwischen den Rechts-begriffen des Vertrages und der Verordnung: Diese benutzt sie im gleichen Sinn wie jener, und im Grunde kehrt die in den Artikeln 12 und 95 des Vertrages getroffene Unterscheidung in der Verordnung wieder.

Sie hatten sich in Ihrer Rechtsprechung bereits mit dieser Frage zu befassen. Ihren Urteilen 2 und 3/62 (RsprGH VIII /1962, 869) und 57/65 (RsprGH XII /1966, 258) ist der Gedanke zu entnehmen, daß eine Abgabe, die die Wirkung der auf gleichartigen inländischen Waren ruhenden inländischen Abgaben ausgleichen soll, eine „inländische Abgabe“ ist. Es wird also auf die allgemeine Zweckbestimmung abgestellt. Zweck der Umsatzausgleichssteuer ist nun aber, einen steuerlichen Ausgleich zwischen eingeführten und inländischen Waren herbeizuführen. Man könnte sich in der Tat fragen, ob es die Rechtsnatur dieser Steuer nicht beeinflußt, wenn sie in einem besonderen Fall durch die völlige Steuerbefreiung des gleichartigen inländischen Erzeugnisses ihres Zweckes und ihrer Berechtigung beraubt wird. Dies ist jedoch ein rein theoretischer Fall, denn das Erzeugnis hat, unterstellt, daß es selbst umsatzsteuerfrei ist, doch immer noch eine mittelbare Belastung zu tragen, die zu berücksichtigen ist.

Übersteigt aber, und hiermit komme ich zur zweiten Frage, in einem besonderen Fall der Betrag der Ausgleichssteuer die auf dem gleichartigen inländischen Erzeugnis ruhende Belastung, so ist daraus nicht zu schließen, daß der über diese Belastung hinausgehende Teil der Ausgleichssteuer eine Abgabe mit zollgleicher Wirkung darstellt. Die Steuer bleibt notwendig eine Einheit, wie aus Ihrem Urteil 57/65 hervorgeht, dessen Lösung ihre volle Bedeutung behält, auch wenn Artikel 95 hier nicht anwendbar ist.

Das Finanzgericht fragt dann noch, ob im Fall der kumulativen Mehrphasensteuer der Höhe der erhobenen Ausgleichssteuer auch die Umsatzsteuer gegenübergestellt werden kann, die auf den bei der Herstellung gleichartiger inländischer Waren verwendeten Hilfs- und Nebenstoffen, Produktionsmitteln, Betriebsstoffen, Brennstoffen, Energie usw. anteilig ruht. Nach meinen Ausführungen in den anderen Rechtssachen ist die Frage zu bejahen.

Die letzte Frage des Finanzgerichts geht dahin, ob Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 13/64 hinsichtlich des zollgleich wirkenden Teils einer ihrer Zweckbestimmung nach inländischen Abgabe unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte des einzelnen begründet. Diese Frage, die hilfsweise für den Fall gestellt ist, daß die Ausgleichssteuer als in mehrere Bestandteile zerlegbar angesehen werden sollte, ist nach dem Vorstehenden gegenstandslos. Im übrigen entspricht aber die Vorschrift, um deren Auslegung Sie ersucht werden, der Vorschrift des Artikels 12 des Vertrages, von dem Sie in Ihrem Urteil 26/62 festgestellt haben, daß er unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte des einzelnen begründet. Die gleiche Lösung muß notwendig auch für Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 13/64 gelten.

2.

Ich schließe mit der Rechtssache 20/67 (Tivoli), die gleichfalls Gegenstand eines Beschlusses des Finanzgerichts München ist.

Die Firma Tivoli führte im Jahr 1966 mehrere Partien Hartgrießweizen aus den Vereinigten Staaten ein. Hierbei wurde eine Umsatzausgleichssteuer zum Steuersatz von 1,5 % erhoben. Das Unternehmen machte vor dem Finanzgericht geltend, in Deutschland gebe es keine der eingeführten vergleichbare Ware, die streitige Abgabe stelle eine Abgabe mit zollgleicher Wirkung dar und verstoße gegen Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 19 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide.

Mit Beschluß vom 17. Mai 1967 legt das Finanzgericht Ihnen die Streitsache vor und ersucht Sie um Vorabentscheidung darüber, ob die für eine eingeführte Ware erhobene Umsatzausgleichssteuer eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinn der Verordnung Nr. 19 ist, .wenn im Inland weder gleichartige noch substituierbare Waren im Sinn des Artikels 95 Absätze 1 und 2 erzeugt werden.

Halten wir fest, daß die Parteien vor dem Finanzgericht darüber einig waren, daß Hartgrießweizen in der Bundesrepublik Deutschland nicht erzeugt werde und auch dem im Inland erzeugten Weichweizen nicht vergleichbar oder substituierbar sei. Zu dieser These, die die Möglichkeit der Anwendung des Artikels 95 Absatz 2 auf das Verhältnis dieser beiden Erzeugnisse zueinander ausschließt, äußert die Kommission Zweifel, die ich teile. Die beiden Weizenarten haben nämlich wichtige Verwendungsmöglichkeiten gemeinsam, insbesondere bei der Teigwarenherstellung. Ich halte es daher für das beste, die Frage dahinstehen zu lassen, weil ihre Lösung für die beantragte Auslegung nicht unerläßlich ist.

Die auszulegende Vorschrift ist Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 19, wonach die Anwendung der Abschöpfungsregelung gegenüber dritten Ländern zur Folge hat, daß die Erhebung aller Zölle und Abgaben gleicher Wirkung auf Einfuhren aus dritten Ländern unterbleibt. Unstreitig ist der Begriff der Abgabe gleicher Wirkung in Ermangelung einer abweichenden Definition hier im gleichen Sinn gebraucht wie im Vertrag.

Ich habe bereits bei der Rechtssache 7/67 ausgeführt, daß sich die Abgaben zollgleicher Wirkung von den inländischen Abgaben nur auf der Grundlage der für die jeweilige Abgabe kennzeichnenden allgemeinen Zweckbestimmung abgrenzen lassen. Die Ausgleichssteuer war deshalb den inländischen Abgaben zuzuordnen.

Dieser Grundsatz kann auch dann noch seine Geltung behalten, wenn die Steuer bei der Einfuhr eines Erzeugnisses erhoben wird, dem keine gleichartigen oder konkurrierenden inländischen Erzeugnisse gegenüberstehen, denn sie nimmt dadurch nicht den Schutzcharakter an, der das Wesen der Abgabe zollgleicher Wirkung ausmacht, und kann ihn nicht annehmen. Ich verweise hierzu auf Artikel 17 des Vertrages, der es den Mitgliedstaaten gestattet, ihre Finanzzölle — die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie einmal den Zweck haben, die Staatskasse zu füllen, und zum anderen fast immer auf nicht im Inland erzeugte Waren erhoben werden — durch inländische Abgaben zu ersetzen. Wenn Artikel 17 diese Umwandlung erlaubt, so wird damit anerkannt, daß inländische Abgaben nicht die gleiche Wirkung wie Zölle haben. Es ist daraus aber auch zu schließen, daß Artikel 95 der Erhebung inländischer Abgaben nicht entgegensteht, wenn es keine inländische Erzeugung gleichartiger oder substituierbarer Waren gibt. Wollte man dieser Auslegung nicht folgen, so würde Artikel 17 des Vertrages praktisch gegenstandslos.

Ich bin deshalb der Auffassung, daß die Mitgliedstaaten das Recht zur Erhebung der Ausgleichssteuer behalten, auch wenn es im Inland keine gleichartigen oder substituierbaren Waren gibt, und daß die Steuer in diesem Fall nicht den Charakter einer zollgleichen Abgabe annimmt. Diese Auslegung gilt im Bereich der Verordnung Nr. 19 auch für Einfuhren aus dritten Ländern. Die Frage, die Ihnen das Finanzgericht stellt, ist daher meines Erachtens zu verneinen.

Schließlich beantrage ich noch, die Kostenentscheidung in den sieben Verfahren den vorlegenden Gerichten vorzubehalten.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.