Schlußanträge

des Generalanwalts Herrn Karl Roemer

vom 24. Juni 1965

Gliederung

Seite
 

Sachverhalt

 

Rechtliche Würdigung

 

1. Zur Notwendigkeit einer Zinsregelung im Schrottausgleich

 

2. Welches Zinssystem ist den Erfordernissen des Schrottausgleichs am ehesten angemessen?

 

3. Die einzelnen zum System der Entscheidung Nr. 7/61 vorgebrachten Rügen

 

a) Verletzung von Artikel 51 des Vertrages

 

b) Zu Artikel 5 der Entscheidung Nr. 7/61

 

c) Enthält das System der Entscheidung Nr. 7/61 unzulässige subjektive Elemente?

 

d) Verletzung des Diskriminierungsverbots

 

e) Zusammenfassung

 

4. Unzulässige Rückwirkung der Entscheidung Nr. 7/61

 

5. Begründungsmangel

 

6. Fehlende Zustimmung des Ministerrats

 

7. Ergebnis

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Im Rahmen der Liquidation der Brüsseler Ausgleichseinrichtung hat die Klägerin dieses Verfahrens wie andere schrottverbrauchende Unternehmen ein vom 8. April 1963 datierendes Schreiben der Hohen Behörde erhalten, in dem ihr gemäß der allgemeinen Entscheidung Nr. 7/63, bezogen auf den 31. Mai 1963, eine vorläufige Abrechnung von Forderungen und Schulden im Verhältnis zur Ausgleichskasse mitgeteilt wurde. Im einzelnen wies die Abrechnung auf eine Zusammenstellung aller Beitragsschulden der Klägerin, ihre Zahlungen an die Ausgleichskasse und umgekehrt Zahlungen der Kasse an die Klägerin, was einen ersten Saldo zu deren Lasten in Höhe von 1624471,27 FF ergab. Die Abrechnung faßte außerdem zusammen die für den Zinsendienst der Ausgleichseinrichtung notwendigen Beiträge und ein Zinsguthaben der Klägerin, eine Rechenoperation, die zu einem zweiten Debetsaldo in Höhe von 476997,65 FF führte.

Von diesen Beträgen entrichtete die Klägerin am 27. Februar 1964 den des ersten Saldos, also die Hauptbeitragsschuld. Sie bestritt jedoch die Rechtmäßigkeit des zweiten Saldos, d.h. ihre Zahlungspflicht hinsichtlich des Zinsbeitrages.

Daraufhin erließ die Hohe Behörde unter dem Datum des 22. Juli 1964 eine Entscheidung, die förmlich zur Zahlung des Zinsbeitrages in Höhe von 476963,47 FF aufforderte.

Diese Entscheidung bildet in erster Linie den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. — Daneben richtet sich die Klage mit Hilfe der Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die allgemeinen Entscheidungen Nrn. 21/58, 19/60, 20/60, 7/61 und 7/63, zumindest insoweit, als sie Zinsfragen (Gläubiger- und Schuldnerzinsen) regeln.

Alle diese Akte werden mit einer Fülle von Argumenten angegriffen, Argumente, die — soweit sie der Habenzinsenregelung der Entscheidung Nr. 7/61 gelten — im wesentlichen aus der Rechtssache 37/64 bekannt sind und jetzt nur zu der Frage Anlaß geben, ob neue Gesichtspunkte eine abweichende Beurteilung verlangen; Argumente aber auch, die zusätzliche Fragen in bezug auf die Regelung von Gläubigerzinsen in die Diskussion bringen.

Für ihre Behandlung ein übersichtliches und Wiederholungen vermeidendes System zu finden, ist nicht einfach.

Vielleicht ist es am sinnvollsten, sich zunächst mit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage zu befassen, ob eine Zinsregelung für die Ausgleichseinrichtung überhaupt unerläßlich erscheint. — Danach kann untersucht werden, was im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Zinssystems der Entscheidung Nr. 7/61 und der Vorschriften über Gläubigerzinsen vorgebracht wurde unter den Stichworten „Ermessensmißbrauch“ , „Verletzung allgemeiner Rechtsprinzipien“ und „Verletzung des Diskriminierungsverbotes“. — Schließlich sind noch Form- und Verfahrensfragen zu behandeln, nämlich die angebliche Verletzung der Begründungspflicht und die unterbliebene Beteiligung des Ministerrats am Erlaß der Entscheidung Nr. 7/61.

Rechtliche Würdigung

1. Zur Notwendigkeit einer Zinsregelung im Schrottausgleich

Ich gestehe offen, daß es mich gewundert hat, dieser Frage im Verfahren überhaupt zu begegnen, und zwar nicht, weil sie eingekleidet ist in die Rüge des Begründungsmangels — wohin sie systematisch nicht gehört —, sondern aus materiell-rechtlichen Gründen.

Insofern kann ich zunächst hinweisen auf den Ursprung der Ausgleichsregelung, die im Jahre 1953 mit kartellrechtlicher Genehmigung der Hohen Behörde geschaffen wurde von schrottverbrauchenden Unternehmen der sechs Mitgliedstaaten, also von Kaufleuten im Sinne des Handelsrechts, und zwar in der Form handelsrechtlicher Gesellschaften des belgischen Rechts „sans but lucratif“, die in das „Registre de Commerce“ eingetragen wurden. Diese Gesellschaften waren nach ihrem statutarischen Zweck befugt, umfangreiche kommerzielle und finanzielle Operationen im Schrotteinkauf und im Preisausgleich durchzuführen. Daß sie dabei für die Abwicklung und Verrechnung der Geschäfte im gemeinsamen Interesse nicht verzichten konnten auf ein System der Kontenführung über Guthaben und Schulden der einzelnen Beteiligten im Verhältnis zu den anderen Mitgesellschaftern und entsprechend — bezogen auf die einzelnen Abrechnungsperioden — auf ein System von Gläubiger- sowie Schuldnerzinsen, erscheint mir nach den für die Materie geltenden handelsrechtlichen Regeln selbstverständlich (vgl. den Handelsbrauch zum Kontokorrent im französischen Recht; § 353 des deutschen Handelsgesetzbuches).

Als der Schrottausgleich im Jahre 1954 obligatorisch wurde für alle schrottverbrauchenden Unternehmen der Gemeinschaf t und als solcher unter der Verantwortung der Hohen Behörde von den bekannten Brüsseler Instanzen hoheitlich zu verwalten war, hat sich an diesem Wesensmerkmal nichts geändert. — Es ging weiterhin darum, bezogen auf den jeweiligen Ausgleichsmonat, eine ungefähre Gleichstellung schrottverbrauchender Unternehmen herbeizuführen unabhängig davon, ob teurer Importschrott oder billiger Inlandschrott in der Fertigung verwendet wurde. Dieses Ziel mußte erreicht werden, ohne daß die Ausgleichseinrichtung über Eigenkapital verfügte und ohne daß die Hohe Behörde strenggenommen als Gläubigerin oder Schuldnerin auftrat. In idealer Weise hätte solch ein Mechanismus sicher funktioniert, wenn alle maßgeblichen Vorgänge äußerst schnell und genau zu erfassen gewesen wären und wenn der finanzielle Ausgleich effektiv kurze Zeit danach vollständig hätte durchgeführt werden können.

So verhielt es sich jedoch nicht in der Praxis aus Gründen, die in ihrer Vielgestalt wiederholt vor uns ausgebreitet worden sind. — Statt dessen kam es über Jahre hin zu Abrechnungen vorläufigen Charakters, aufgrund deren beitragspflichtige Unternehmen Beträge zur Verfügung stellten, die — wie später zu erkennen war — von anderen Unternehmen hätten aufgebracht werden müssen oder deren Begleichung gänzlich unterblieb und damit auch eine vollständige Befriedigung der ausgleichsberechtigten Unternehmen. — In Anbetracht dieser Situation die spätere Liquidation mit dem Ziele einer Gleichstellung der schrottverbrauchenden Unternehmen zu betreiben, hieß einerseits ein System von Gläubigerzinsen einführen für ausgleichsberechtigte Unternehmen sowie für Unternehmen, die irrtümlich zuviel zahlten, hieß aber auch die Notwendigkeit anerkennen, solchen Schuldnern, die ihre Zahlungen nicht rechtzeitig leisteten, den dadurch genossenen finanziellen Vorteil für die Bedürfnisse der Ausgleichseinrichtung zu entziehen.

Die Natur der Sache, die wir hier zu beurteilen haben, rechtfertigt also die Anwendung einer Zinsregelung.

Daß demgegenüber keines der klägerischen Argumente durchgreifen kann, ist meines Erachtens leicht nachzuweisen.

Dies gilt für ihre Ansicht, eine befriedigende Lösung sei möglich, indem sich die Hohe Behörde an die für die Verzögerungen im Schrottausgleich Verantwortlichen halte, etwa — mit Hilfe von Zivil- und Straf klagen (Entscheidungen Nrn. 20/58 und 7/63) — an Unternehmen, die in betrügerischer Weise oder sonst zu Unrecht in den Genuß von Ausgleichsvergütungen gelangt seien. — Daß die Hohe Behörde von dieser Möglichkeit mit Nachdruck Gebrauch gemacht hat und Gebrauch macht (vgl. ihre Berichte über die Abwicklung des Schrottausgleichs), und zwar mit dem Ziel einer Rückerstattung zu Unrecht ausgezahlter Summen inklusive Zinsen ab Zahlungstag steht wohl außer Zweifel. Ebensowenig ist aber zweifelhaft, daß so nur ein Teil der Phänomene erfaßt wird, welche die Ausgleichseinrichtung gestört haben, und daß — namentlich bei Gutgläubigkeit der Zahlungsempfänger — auf diese Weise ein vollständiger Ausgleich nicht zu erreichen ist.

Was die Möglichkeit angeht, nach Artikel 47 des Vertrages Unternehmen, die Meldungen nicht korrekt abgegeben haben, mit Geldbußen zu belegen, so muß die Hohe Behörde zwar sicher auch im Schrottausgleich von dieser Befugnis Gebrauch machen. Für das uns beschäftigende Problem bleibt aber zu bedenken, daß ihr nicht gestattet ist, mit Hilfe der so eingehenden Beträge die Ausgleichsrechnung zu ordnen, weil Geldbußen in das allgemeine Budget der Hohen Behörde fließen.

Schließlich dürfte es keinen Zweifel darüber geben, daß nicht in allen Fällen, in denen der Ablauf des Ausgleichsmechanismus gestört wurde (etwa aufgrund wenig präziser Texte in allgemeinen Entscheidungen, durch Verwaltungsfehler bei deren Anwendung — unzulässige Freistellung von Konzernschrott — oder durch unzulängliche Kontrollen), der Hohen Behörde selbst der Vorwurf eines Amtsfehlers gemacht werden kann mit der Folge, daß sie mit ihrem allgemeinen Etat Lücken im Ausgleich aufzufüllen hätte. Für eine Reihe von Sachverhalten gibt es dazu eine eindeutige Rechtsprechung (vgl. die Problematik der Freistellung des Konzernschrotts oder die unzulängliche Kontrolle der Schrottherkunft), auf die ich verweise.

Somit bleibt es bei der Feststellung, die Schrottausgleichseinrichtung könne im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Überbrückung von Zeiträumen, die zwischen dem Schrottverbrauch und der Leistung der Ausgleichsbeiträge sowie deren Weiterleitung an die Begünstigten liegen, auf eine Zinsregelung nicht verzichten.

2. Welches Zinssystem ist den Erfordernissen des Schrottausgleichs am ehesten angemessen ?

Wir erinnern uns aus der Darstellung des Sachverhalts in diesem und in anderen Verfahren, daß aufgrund eines Beschlusses des Beirats der Kasse aus dem Jahre 1955, der später erneuert wurde mit Wirkung bis zur Übernahme der Verwaltung der Ausgleichseinrichtung durch die Hohe Behörde, von solchen Beitragsschuldnern Verzugszinsen erhoben wurden, die ihre Zahlungsverpflichtungen nach einer Aufforderung durch die Kasse nicht erfüllten. — Als die Hohe Behörde die Einrichtung ab 1958 in eigener Regie fortführte, ordnete sie für diejenigen Abrechnungszeiträume, für die sie selbst die Beitragssätze fixierte, art, daß vom 25. Tag nach Veröffentlichung der allgemeinen Entscheidungen über die Beitragssätze Verzugszinsen fällig würden. — Für die Gläubiger der Ausgleichseinrichtung war die Leistung von Gläubigerzinsen von der Entscheidung Nr. 21/58 an vorgesehen.

Diese Regelung mochte anfangs für ausreichend erachtet werden; jedenfalls besteht im gegenwärtigen Verfahren — anders als es die Klägerin anstrebt — kein Anlaß, das geschilderte System — soweit Schuldnerzinsen zur Debatte stehen — mittelbar für rechtswidrig zu erklären, und zwar einmal deswegen, weil offenbar die Klägerin nie danach zur Zahlung herangezogen wurde, sowie zum anderen im Hinblick auf die Tatsache, daß das ursprüngliche System ausdrücklich durch die Entscheidung Nr. 7/61 aufgehoben und von einer neuen Regelung abgelöst wurde.

Das Zinssystem der Entscheidung Nr. 7/61, anwendbar für die gesamte Geltungsdauer der Ausgleichseinrichtung, besteht demgegenüber im wesentlichen darin, daß für jeden Beitragsschuldner vom Zeitpunkt der effektiven Zahlung an (analog einer bankmäßigen Wertstellung) Gläubigerzinsen gutgebracht und die dafür notwendigen Beträge (wie auch andere Gläubigerzinsen) auf die beitragspflichtigen Unternehmen nach Maßgabe ihres Schrottverbrauchs umgelegt werden. Für rechtzeitig zahlende Schuldner führt dies — was die Habenzinsen angeht — praktisch zu einem Ausgleich von Zinsbeiträgen und Zinsguthaben, während verspätet leistende Schuldner mehr zum Zinsendienst beizutragen haben, als ihnen an Zinsen für ihre Beitragsleistungen vergütet wird. Damit ist letzten Endes der Effekt eines Systems von Fälligkeitszinsen erreicht. Die von der Hohen Behörde gegebenen Beispiele lassen nach meiner Überzeugung insofern keine Zweifel; nötigenfalls ließe sich die Richtigkeit ihrer Behauptung mit Hilfe einer mathematischen Expertise nachweisen.

Wie ich im Verfahren 37/64 schon hervorgehoben habe, scheint mir ein solches System grundsätzlich dem öffentlich-rechtlichen Bereich, zu dem der Schrottausgleich zählt und in dem regelmäßig mit objektiven Versäumniszuschlägen, also mit automatisch eintretenden Rechtsfolgen gearbeitet wird, angemessener zu sein als ein System von Verzugszinsen. Es ist auch unbestreitbar allein geeignet, in befriedigender Weise die nach dem Verzugszinsensystem unvermeidbaren Lücken auszufüllen. Unschwer ist nämlich einzusehen, daß zumindest bis zum Jahre 1958, also während eines Zeitraumes, in dem Verzugszinsen erst nach Aufforderung durch die Kasse und bei schuldhafter Verzögerung der Beitragsleistungen fällig wurden, in vielen Fällen Zinsen nicht gefordert werden konnten, weil Schrottmeldungen und damit Zahlungsaufforderungen unterblieben oder weil Beitragsberichtigungen aus objektiven Gründen notwendig wurden. — Wollte man derartige Auswirkungen der Verzugszinsenregelung von den Begünstigten der Ausgleichseinrichtung, den Ausgleichsgläubigern fernhalten (und dazu war man im Interesse der Gleichbehandlung aller schrottverbrauchenden Unternehmen gezwungen), so blieb nur der Ausweg, die mit Hilfe von Verzugszinsen nicht auffüllbaren Lücken durch eine allgemeine Umlage auf alle schrottverbrauchenden Unternehmen zu decken. Das aber führte notwendig zu einer Doppelbelastung solcher Beteiligter, die ihren Zahlungsverpflichtungen rechtzeitig nachgekommen sind. — Das Gebot der Gleichbehandlung ist es also (evtl. in Verbindung mit den Erfordernissen der Verwaltungsvereinfachung, auf die die Klägerin zu Recht hingewiesen hat), das letzten Endes das Zinssystem der Entscheidung Nr. 7/61 als mit dem Ausgleichsmechanismus am ehesten vereinbar erscheinen läßt, während die von der Klägerin befürwortete Differenzierung nach der Gutgläubigkeit oder Bösgläubigkeit der Beitragsschuldner mit Rücksicht auf die objektiven Schwierigkeiten des Schrottausgleichs einen diskriminierenden Effekt haben müßte.

3. Trotz dieser grundsätzlichen Feststellung will ich es aber nicht versäumen, nunmehr im einzelnen auf die von der Klägerin vorgetragenen Bedenken einzugehen, um zu sehen, ob sie eine berechtigte Kritik enthalten

a)

Ein erster Vorwurf, demzufolge die Hohe Behörde mit der Einführung des bankmäßigen Zinssystems der Entscheidung Nr. 7/61 gegen Artikel 51 des Vertrages verstoßen habe, also gegen das Verbot, eine Banktätigkeit auszuüben, macht wenig Schwierigkeiten. Er könnte schon deswegen zurückgewiesen werden, weil er zum erstenmal in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde. — Darüber hinaus dürfte er auch einer sachlichen Nachprüfung nicht standhalten. Nach richtiger Auffassung liegt nämlich der Sinn von Artikel 51 § 4 des Vertrages darin, den bestehenden Bankeinrichtungen eine Teilnahme an den Geldgeschäften der Hohen Behörde zu sichern und andererseits deren Tätigkeit freizuhalten von bankmäßiger Verantwortung. Nicht dagegen verbietet Artikel 51 der Hohen Behörde, auf die von ihr verwalteten gegenseitigen finanziellen Verpflichtungen schrottverbrauchender Unternehmen eine Zinsregelung anzuwenden, wie sie auch im Geschäftsverkehr der Kaufleute und im speziellen der Banken üblich ist, wenn auf diese Weise allein ein korrekter und vollkommener Ausgleich ohne irgendwelche Gewinne oder Verluste für die Hohe Behörde gewährleistet ist.

b)

Eine zweite Bemerkung bezieht sich auf Artikel 5 der Entscheidung Nr. 7/61, wonach als Verzugszinsen gezahlte Beträge auf die Beitragshauptschulden angerechnet werden. — Die Klägerin glaubt dieser Vorschrift entnehmen zu können, das alte Zinssystem sei stillschweigend aufrechterhalten worden und Verzugszinsen, die von einigen Beteiligten geschuldet wurden, seien auf alle beitragspflichtigen Unternehmen aufzuteilen. Je länger sich ein Unternehmen im Verzug befunden habe, desto weniger Beiträge zahle es demnach und desto größere Summen müßten von seinen Konkurrenten aufgebracht werden.

Diese Deduktion beruht jedoch auf einer offensichtlich irrtümlichen Interpretation der Entscheidung Nr. 7/61. Die Bestimmung des Artikels 5 hat sich als notwendig erwiesen, eben weil das alte Zinssystem vollständig ersetzt werden sollte. Wollte man eine Doppelbelastung von Unternehmen vermeiden, die bereits Verzugszinsen entrichtet haben, so mußte eine Auflösung der alten Zinskonten angeordnet werden. Anstatt nun eine Rückzahlung der geleisteten Verzugszinsen vorzunehmen, ordnete die Hohe Behörde deren Anrechnung auf die nach der neuen Regelung noch offenen Beitragsschulden an. Dies sollte allerdings — was gleichfalls zu betonen ist — nur individuell, d.h. für jedes einzelne Unternehmen und dessen Konten getrennt erfolgen, nicht dagegen — wie die Klägerin glaubt — durch globale Einbeziehung der Verzugszinsen in die Beitragsabrechnung. Die Auflösung des Verzugszinsenkontos eines Beteiligten kann demnach keine nachteiligen Auswirkungen auf die Konten anderer Unternehmen haben.

c)

Weiterhin hebt die Klägerin hervor, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müsse die Grundlage für die Beitragsveranlagung im Schrottausgleich objektiver Natur sein. Demgegenüber bringe das System der Entscheidung Nr. 7/61 subjektive Elemente ins Spiel. Es komme nach ihm auf den Eifer an, mit dem die Schuldner ihre Beiträge entrichteten, sowie auf den Eifer, mit dem die Hohe Behörde die Auszahlung der im Schrottausgleich vorgesehenen Prämien vornehme und den endgültigen Rechnungsabschluß anstrebe.

Gegenüber dieser Kritik ist vorweg zu unterstreichen, daß die Grundlage für die Beitragsveranlagung tatsächlich objektiver Natur bleibt, weil allein die während der verschiedenen Ausgleichsabschnitte verbrauchten Schrottmengen maßgeblich sind, die jetzt im wesentlichen wohl feststehen.

Was die angeführten subjektiven Elemente angeht, so wird keine Zinsregelung völlig von ihnen absehen können. — Es läßt sich aber auch nachweisen, daß sie für die am Ausgleich Beteiligten letzten Endes nicht zu ungerechten Ergebnissen führen.

Um zunächst auf den Zahlungseifer der Beitragsschuldner einzugehen, von dem es abhängt, welche Beträge an Habenzinsen im Sinne der Entscheidung Nr. 7/61 aufzubringen sind: Nach meiner Ansicht wirkt sich der Umstand, ob ein Unternehmen früher oder später zahlt, allein auf seine eigenen finanziellen Verpflichtungen, nicht dagegen auf den Umfang der Zahlungspflichten anderer Unternehmen aus, denn die Zinsen, die den Beitragsschuldnern gutgeschrieben werden, müssen von ihnen selbst anteilig aufgebracht werden.

Was den Einfluß des Eifers der Hohen Behörde auf den Abschluß der Liquidation der Ausgleichseinrichtung angeht, so scheint mir die Bemerkung angebracht, daß das Tempo der Abwicklung vor allem vom Eifer und von den Zahlungsmöglichkeiten der Schuldner-unternehmen bestimmt wird.

Auch ist hervorzuheben, daß sich im Hinblick auf den Zeitpunkt der endgültigen Liquidation alle Unternehmen in der gleichen Situation befinden, so daß von einer Diskriminierung nicht die Rede sein kann.

Im übrigen muß in dieser Frage unterschieden werden: Hinsichtlich der Habenzinsen der Entscheidung Nr. 7/61, also der Zinsen, die Beitragsschuldnern von der Zahlung an gutgeschrieben werden, ist der Zeitpunkt des Rechnungsabschlusses deswegen bedeutungslos, weil sich Zinsbeiträge und Zinsguthaben der einzelnen Unternehmen vom Tag der effektiven Zahlung an praktisch decken. Auswirkungen hat das neue Zinssystem demnach allein für die Vergangenheit, d.h. für den Zeitraum, der zwischen der Fälligkeit der Beitragsschulden und ihrer Begleichung verstrichen ist.

In Ansehung der Gläubigerzinsen (d.h. der Zinsen, die auf Ausgleichsvergütungen zu zahlen sind) sowie der Zinsen für die Prämien, die bestimmten Unternehmen (für Schrotteinsparungen) zustehen, ist die Situation anders. Diese Beträge und damit die Beitragsanteile, mit denen sie aufgebracht werden müssen, wachsen an, je länger sich der Rechnungsabschluß hinauszieht. Da es hier aber um Summen geht, die den Ausgleichsgläubigern zu Recht vom jeweiligen Ausgleichsmonat an zustehen und umgekehrt von den Schuldnerunternehmen seit diesem Zeitpunkt gleichsam als fremde Gelder genutzt werden konnten, erscheint es nicht unbillig, den Zinsvorteil, den die Schuldnerunternehmen durch verspätete Zahlung erzielen, zugunsten der Gläubigerunternehmen abzuführen.

Keines der angeführten subjektiven Elemente bringt demnach in Wahrheit eine Benachteiligung der am Ausgleich beteiligten Unternehmen mit sich.

d)

Bliebe somit im vorliegenden Zusammenhang noch zu untersuchen, ob — wie die Klägerin meint — tatsächlich von Diskriminierungen gesprochen werden kann, weil bestimmten Unternehmen unerwartete Vergütungen („boni“) gewährt würden, denen eine — gleichfalls unerwartete — zusätzliche Beitragsbelastung der Schuldnerunternehmen gegenüberstehe.

Die Klägerin sieht solche „Vergütungen“ in den Zinsleistungen an Ausgleichsgläubiger auf Ausgleichsansprüche und auf gewisse im Schrottausgleich vorgesehene Prämien sowie in den besonderen Habenzinsen der Entscheidung Nr. 7/61. Alle diese Begünstigten hätten ihre Preiskalkulation in früheren Jahren vorgenommen und ihre Buchführung darüber abgeschlossen; sie kämen somit jetzt in den Genuß zusätzlicher Summen, die sie für Investitionen und zur Verbesserung ihrer Produktionsbedingungen verwenden könnten.

Wenn wir uns zunächst den Gläubigerzinsen zuwenden, also den Zinsen auf Ausgleichsvergütungen und Prämien, so muß zwar anerkannt werden, daß ein Zeitpunkt für die Fälligkeit der Prämien ebensowenig ausdrücklich vorgesehen wurde wie eine Auszahlung von Gläubigerzinsen vor Erlaß der Entscheidung Nr. 21/58.

Dies erscheint mir jedoch nicht entscheidend, weil insofern alles Notwendige aus dem Wesen der Ausgleichseinrichtung selbst abzuleiten ist.

Wenn es ihr Ziel ist, eine Gleichstellung herbeizuführen für Käufer von Inlandschrott und für Käufer von Importschrott, und zwar bezogen auf den jeweiligen Ausgleichsmonat, so kann dieser Effekt bei verspäteter Leistung der Ausgleichsvergütungen eben nur erreicht werden durch entsprechende Verzinsung der Ausgleichsguthaben.

Dieselbe Überlegung trifft zu für die erwähnten Prämien, deren Sinn es gleichfalls ist, die Produktionsbedingungen im Ausgleichsmonat zu beeinflussen und die deshalb mit allen Konsequenzen hinsichtlich der Verzinsung auf den Ausgleichsmonat zu beziehen sind.

Was schließlich die besonderen Habenzinsen der Entscheidung Nr. 7/61 angeht, so habe ich schon nachgewiesen, daß sie deshalb nicht als ein Geschenk an die Beitragsschuldner angesehen werden können, weil diese entsprechend ihrem Schrottverbrauch zur Aufbringung der Zinslasten beizutragen haben.

e)

Zusammenfassend stelle ich somit fest, daß keine der unter dem Stichwort „Ermessensmißbrauch“ und „Verletzung des Diskriminierungsverbotes“ vorgebrachten Rügen der Klage zum Erfolg verhelfen kann.

4. Unzulässige Rückwirkung

Zum Vorwurf der unzulässigen Rückwirkung der Entscheidung Nr. 7/61 ist zunächst daran zu erinnern, daß sie nicht die erste Entscheidung mit einer Zinsregelung darstellt, die beitragspflichtigen Unternehmen vielmehr schon seit 1955 und 1958 mit Zinssystemen im Ausgleich konfrontiert waren. — Im übrigen kann ich mich in diesem Zusammenhang begnügen mit einer Verweisung auf die Ausführungen im Verfahren 37/64. Dort habe ich gezeigt, daß gerade im Hinblick auf Änderungen von Einzelheiten der Schrottausgleichseinrichtung die Rechtsprechung im allgemeinen sehr liberal ist, wenn — und dies gilt besonders für die Zinsregelung der Entscheidung Nr. 7/61 — etwas völlig Neues in den Ausgleichsmechanismus nicht eingeführt, sondern nur eine Anpassung erstrebt wird an Prinzipien, die sich aus den Basisentscheidungen unmittelbar ableiten lassen.

Dazu kommt — wie gleichfalls schon betont wurde —, daß die Entscheidung Nr. 7/61 nicht nur zweckmäßiger, sondern auch weniger diskriminierend ist als die ursprünglich geltende Regelung, daß ihr eigentliches Ziel darin liegt, einigen am Ausgleich beteiligten Unternehmen einen ungerechtfertigten Vorteil zu entziehen, womit, wenn dies für normative Akte gelten würde, auch dem Erfordernis genügt wäre, eine rückwirkende Änderung nur bei Rechtswidrigkeit oder Unbilligkeit der zu modifizierenden Regelung vorzunehmen. — Dieser Wertung gegenüber bietet der Vortrag der Klägerin im gegenwärtigen Verfahren keine Argumente, die ein anderes Ergebnis veranlassen würden, so daß auch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rückwirkung die Klage nicht erfolgreich sein kann.

5. Begründungsmangel

Zum Vorwurf des Begründungsmangels, erhoben im Hinblick auf die Entscheidung Nr. 7/61, kann ich mich gleichfalls kurz fassen, da wesentliche zu ihm vorgetragene Argumente bereits in anderem Zusammenhang abgehandelt wurden und da er auch im Verfahren 37/64 eingehend zu besprechen war.

Danach steht fest, daß es der Entscheidung nicht an einer schlüssigen Begründung fehlt. Auch ist nach meiner Überzeugung zu erkennen, welches für die Hohe Behörde der tragende Gedanke bei der Festlegung der neuen Zinsregelung war, nämlich das Bestreben, für eine zeitliche Nichtdiskriminierung zu sorgen. — Darüber hinaus eine detaillierte Beantwortung der Frage zu verlangen, warum das frühere System befriedigende Ergebnisse nicht erlaubte, etwa warum die gegebenen Berichtigungsmöglichkeiten und andere schon erwähnte Wege nicht ausreichend erschienen für die korrekte Abwicklung des Ausgleichs oder inwiefern eine andere als die gewählte Regelung nicht in Betracht kommen konnte, scheint mir über das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes für den Begründungszwang notwendige Maß hinauszugehen.

Somit erweist sich auch die Rüge der Verletzung wesentlicher Formvorschriften als nicht stichhaltig.

6. Fehlende Zustimmung des Ministerrats

Sehen wir schließlich noch zu, mit welchen Argumenten die Klägerin ihre Ansicht begründet, zum Erlaß der angegriffenen Zinsregelung sei die Zustimmung des Ministerrats notwendig gewesen.

Schon in der Klageschrift hat sie dazu eine genaue Darstellung der Entwicklung der Ausgleichseinrichtung nach den verschiedenen allgemeinen Entscheidungen gegeben. Sie hebt hervor, von allen Entscheidungen über Zinsfragen sei lediglich diejenige des 24. Juli 1958 (Nr. 16/58) mit Zustimmung des Ministerrats ergangen; sie habe aber nur für wenige Monate gegolten und außerdem nur die Erhebung von Verzugszinsen vorgesehen. Eine spätere Bezugnahme auf sie zum Zwecke der Einführung einer die gesamte Geltungsdauer der Ausgleichseinrichtung umfassenden Zinsregelung rechtfertige sich daher nicht. — Des weiteren sei zu bedenken, daß die mit der Entscheidung Nr. 7/61 angeordnete Zinsregelung die Aufbringung erheblicher zusätzlicher Mittel verlange, also eine wesentliche Ergänzung der Ausgleichseinrichtung in Form eines zweiten Ausgleichsmechanismus bewirke. Die Richtigkeit der Ansicht, derartig weitreichende Modifikationen der Ausgleichseinrichtung seien dem Gesetzgeber der Gemeinschaft, dem Ministerrat, vorbehalten, lasse sich eindeutig aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu verschiedenen Problemen des Schrottausgleichs belegen.

Auch in der Auseinandersetzung mit diesen Argumenten kann ich vorweg auf meine Konklusionen in der Rechtssache 37/64 verweisen, namentlich auf die Feststellung, eine Aüsgleichseinrichtung der hier zu beurteilenden Art umfasse denknotwendig eine Zinsregelung, so daß die Zustimmung des Ministerrats zur Schaffung des Ausgleichsmechanismus diejenige zur Einführung eines Zinssystems in sich schließe. Darüber hinaus ließ sich bei der Untersuchung der materiell-rechtlichen Fragen nachweisen, daß die in der Entscheidung Nr. 7/61 enthaltene Zinsregelung den Prinzipien der Ausgleichseinrichtung, wie sie aus den Basisentscheidungen zu entnehmen sind, am ehesten entspricht, weswegen auf die Zustimmung des Ministerrats beim Erlaß der Entscheidung Nr. 7/61 verzichtet werden konnte.

Diese Auffassung sehe ich durch keines der klägerischen Argumente erschüttert.

Namentlich bin ich nach wie vor nicht bereit, in der Tatsache, daß die Entscheidung Nr. 16/58 (sowie die zur Verlängerung ihres Anwendungszeitraumes erlassene Entscheidung Nr. 18/58) mit Zustimmung des Ministerrats erging, einen Beweis dafür zu sehen, daß die Zustimmung gerade zur Festlegung des Artikels 13 über die Verzugszinsenregelung für notwendig erachtet wurde. Vielmehr halte ich dafür, die Hohe Behörde habe die Zustimmung des Ministerrats nur deswegen einholen müssen, weil die Entscheidung Nr. 16/58 dazu bestimmt war, die Geltungsdauer der Ausgleichseinrichtung, deren Funktionieren durch die Entscheidung Nr. 2/57 bis zum 31. Juli 1958 befristet war, um weitere drei Monate zu verlängern.

Auch finde ich die Ansicht der Klägerin nicht überzeugend, die neue Zinsregelung habe die Grundlagen der Ausgleichseinrichtung verändert, da sie über die Umlage zur Deckung des Preisunterschiedes zwischen Inlandschrott und Importschrott hinaus eine Umlage für den Zinsendienst vorsehe. Grundlage für den Ausgleich bleibt nämlich nach wie vor der Schrott verbrauch, und ausschließlich nach ihm bemißt sich die Aufteilung der für das Funktionieren der Ausgleichseinrichtung unerläßlichen Zinsenlast.

Was schließlich noch die Rechtsprechungszitate der Klägerin angeht, so betreffen sie zum einen in ihrem Kern andersartige Probleme (Freistellung von Konzernschrott), deren Ordnung tatsächlich auf das Funktionieren und die Ergebnisse der Ausgleichseinrichtung erheblichen Einfluß haben mußte, zum anderen gestatten sie (so die Rechtssachen 4 — 13/59) mit Sicherheit nicht die Schlußfolgerung, welche die Klägerin in Form eines argumentum e contrario ziehen will, da dort lediglich eine spezielle Teilfrage des Ausgleichs (die Möglichkeit einer Rückforderung zu Unrecht bezahlter Ausgleichsvergütungen) behandelt wurde, die zum Gegenstand unseres Verfahrens keine Beziehung aufweist. — Ein vor kurzem ergangenes Urteil zu Artikel 50 des Vertrages (Rechtssache 21/64) schließlich äußert sich sogar deutlich in einem der klägerischen These entgegengesetzten Sinne.

Demnach leiden die kritisierten Entscheidungen auch nicht an einer Verletzung von Kompetenznormen oder — wenn man diese Charakterisierung des Vorwurfs für unzutreffend hält — an einer Verletzung wesentlicher Verfahrensregeln.

7. Zusammenfassung

Abschließend formuliere ich nach alledem folgenden Schlußantrag: Die Klage der Société des Aciéries du Temple ist zwar zulässig, aber weder in bezug auf die unmittelbar angegriffene individuelle Entscheidung noch in Ansehung der mit Hilfe der Einrede der Rechtswidrigkeit kritisierten allgemeinen Entscheidungen begründet. Die Kosten des Verfahrens hat folglich die Klägerin zu tragen.