Schlußanträge des Generalanwalts

HERRN KARL ROEMER

28. Mai 1963

GLIEDERUNG

Seite
 

Einleitung (Sachverhalt, Anträge der Parteien, Verfahren)

 

I. Zur Zulässigkeit

 

1. Anfechtungsklage

 

a) Können Entscheidungen, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind, von privaten Betroffenen angefochten werden?

 

b) Ist das Anfechtungsrecht nur gegeben, wenn eine Entscheidung zum Scheine an eine andere Person gerichtet ist?

 

c) Gehört die angegriffene Entscheidung zum Gebiet der Rechtsetzung?

 

d) Ist die Klägerin unmittelbar betroffen?

 

e) Ist die Klägerin individuell betroffen?

 

f) Zusammenfassung

 

2. Schadensersatzklage

 

a) Liegt eine unzulässige Änderung des Klageantrags vor?

 

b) Kann die Schadensersatzklage gleichzeitig mit der Anfechtungsklage erhoben werden?

 

c) Ist das Klagevorbringen ausreichend substantiiert?

 

II. Zur Begründetheit (Amtshaftungsklage)

 

1. Das Verhalten der Bundesrepublik

 

2. Ist ein besonderer Schaden nachgewiesen?

 

3. Wurde die Verletzung einer Norm behauptet, die den Schutz der Interessen der Klägerin bezweckt?

 

III. Ergebnis

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die Klägerin, eine deutsche Offene Handelsgesellschaft, die sich mit dem Import von Südfrüchten befaßt, hat sich mit einer Klage vom 27. Juli 1962 an den Gerichtshof gewandt, um eine zollrechtliche Entscheidung der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seiner Prüfung zu unterwerfen.

Wir wissen, daß die Regierung der Bundesrepublik am 16. Juni 1961 bei der Kommission schriftlich einen Antrag auf Ermächtigung zur teilweisen Aussetzung des Gemeinsamen Außenzolltarifs für frische Clementinen gestellt hatte. Mündlich wurde der Antrag abgeändert mit dem Ziel, die Bildung einer Ex-Position Clementinen (Zollhöhe 10 o/o) zu erreichen.

Die Kommission lehnte das Gesuch jedoch mit einem Schreiben vom 22. Mai 1962 ab; dieser Bescheid bildet den Anlaß für das gegenwärtige Verfahren.

Zwei Klageziele kennzeichnen den Prozeß:

Einmal begehrt die Klägerin die Annullierung des erwähnten Bescheids.

Zusätzliche Anträge im Zusammenhang mit diesem Begehren, die darauf gerichtet waren,

die Beklagte für verpflichtet zu erklären, die Bundesrepublik Deutschland zu ermächtigen, die Anwendung des geltenden Zollsatzes für Clementinen für die Zeit vom 1. 1. 1962 bis 31. 12. 1962 auszusetzen,

oder den Antrag der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Juni 1961 auf teilweise Aussetzung des Außenzolltarifs für Clementinen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Auslegung des Vertrages zur Frage der Zollaussetzung unverzüglich neu zu bescheiden;

hilfsweise: die Beklagte für verpflichtet zu erklären, der Bundesrepublik Deutschland für ihre Clementineneinfuhren aus dritten Ländern … ein Zollkontingent bis zu 11000 t zum Zollsatz von 10 % zu gewähren,

erklärte die Klägerin mit Zustimmung der Kommission in ihrem zweiten Schriftsatz für gegenstandslos.

Zum anderen bittet die Klägerin darum, die Kommission zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von DM 39414,01 zu verurteilen. Dieser Antrag ersetzt den ursprünglich in der Klageschrift, auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichteten Antrag. Er wurde im Schriftsatz vom 18. Januar 1963 erstmals gestellt, wobei der Schaden auf DM 43265,30 beziffert wurde. In der mündlichen Verhandlung vom 2. Mai 1963 hat die Klägerin die Schadenssumme in der genannten Weise ermäßigt und gleichzeitig ihren ursprünglich gestellten Feststellungsantrag hilfsweise aufrechterhalten.

Die Kommission beantragt, die Klage in vollem Umfang als unzulässig, in jedem Falle aber als unbegründet abzuweisen.

Im übrigen ist zum Verfahren zu sagen, daß die Klägerin einen Antrag auf Beiladung der Bundesrepublik Deutschland mit Zustimmung der Kommission zurückgenommen hat. — Abgesehen von zwei Anträgen auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (vom 8. 8. 1962 und vom 4. 12. 1962), die beide durch Verfügungen des Präsidenten des Gerichtshofes (vom 31. 8. 1962 und 21. 12. 1962) zurückgewiesen wurden, weist das Verfahren noch die Besonderheit auf, daß die Kommission beantragt hat, der Gerichtshof möge über die Zulässigkeit der Klage gemäß Artikel 91 seiner Verfahrensordnung vorabentscheiden. Nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin, die um Abweisung dieses Antrages, hilfsweise darum gebeten hatte, die Entscheidung über die Zulässigkeit dem Endurteil vorzubehalten, faßte der Gerichtshof am 24. 10. 1962 den Beschluß, die Entscheidung über die prozeßhindernde Einrede dem Endurteil vorzubehalten.

Wenn mir heute die Aufgabe zukommt, Schlußanträge in diesem Rechtsstreit zu stellen, so stehen naturgemäß — wie nach dem Verfahrensablauf nicht anders zu erwarten ist — Zulässigkeitsfragen zunächst im Vordergrund, und zwar sowohl für die Anfechtungsklage wie für die Schadensersatzklage. Sie haben in jedem Rechtsschutzsystem, folglich auch in dem der Europäischen Verträge, eine so hohe Bedeutung, daß sie unabhängig vom Vorbringen der Parteien von Amts wegen untersucht werden müssen. Ihre Klärung wird wesentlich dazu beitragen, die den privaten Betroffenen nach dem Vertrage offenstehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zu umgrenzen.

I — Zulässigkeit

1. ANFECHTUNGSKLAGE

Die Klage stützt sich auf Artikel 173 Absatz 2 des EWG-Vertrages. Dort ist festgelegt:

„Jede natürliche oder juristische Person kann unter den gleichen Voraussetzungen (zu lesen: wie in Absatz 1) gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.“

Die verschiedenen Voraussetzungen dieser Vorschrift hat die Kommission schriftlich und mündlich eingehend untersucht und daraus die Folgerung abgeleitet, die Klägerin sei zur Anfechtung nicht berechtigt.

a)

Sie wirft zunächst die Frage auf, ob „andere Personen“ im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 auch die Mitgliedstaaten seien oder nur private Adressaten einer Entscheidung.

Nach meiner Auffassung besteht kein Anlaß, die zitierte Wendung in einem engen Sinn zu verstehen.

Auch die Mitgliedstaaten sind Personen, nämlich juristische Personen des öffentlichen Rechts, und werden als solche von dem sehr allgemein gehaltenen Wortlaut des Artikels 173 Absatz 2 erfaßt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Bestimmung von Artikel 34 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes, die das Interventionsrecht regelt. Dort sind mit der Formulierung „natürliche und juristische Personen“ alle Interessenten unter Einschluß der Mitgliedstaaten gemeint. Desgleichen werden in Artikel 39 der EWG-Satzung des Gerichtshofes als zur Erhebung von Drittwiderspruchsklagen berechtigt aufgeführt die Mitgliedstaaten, die Organe und „alle sonstigen natürlichen und juristischen Personen“. Es kann auch darauf hingewiesen werden, daß in anderen Bestimmungen der Verträge die Mitgliedstaaten ausdrücklich einer gesonderten Regelung unterworfen werden, wenn für sie eine Abweichung von den allgemeinen Vorschriften gewollt ist, so in Artikel 41 der EGKS-Satzung oder in Artikel 37 der EWG-Satzung des Gerichtshofes. In diesem Zusammenhang ist schließlich noch zu erwähnen, daß für Richtlinien, also für Akte, die einem Mitgliedstaat ein Ziel verbindlich vorschreiben, die Wahl der Formen und der Mittel aber den innerstaatlichen Stellen überlassen, ein Anfechtungsrecht privater Betroffener ausdrücklich nicht vorgesehen wurde.

Aus der unterbliebenen Differenzierung in Artikel 173 Absatz 2 muß daher zunächst geschlossen werden, daß Entscheidungen, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind, grundsätzlich der Anfechtung durch private Kläger nicht entzogen sind. Für eine solche Einschränkung des Anfechtungsrechts sind auch sachliche Gründe nicht ersichtlich. Am wenigsten zwingt dazu die Tatsache, daß bei einer an Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung Interessen im Spiele sein können, die auf einer anderen Ebene als private Interessen liegen. Abgesehen davon, daß in einem konkreten Fall — etwa wenn einem Mitgliedstaat die Regelung eines besonderen Sachverhaltes aufgegeben wird — durchaus Einzelinteressen privater Personen im Vordergrund stehen können, ist das Zusammentreffen privater Interessen mit hoheitlichen Allgemeininteressen gerade im Verwaltungsprozeß und in der Verfassungsgerichtsbarkeit ein häufige Erscheinung. Vom Anfechtungsrecht privater Personen bliebe nicht viel übrig, wenn es auf Fälle beschränkt wäre, in denen hoheitliche Interessen eine untergeordnete Bedeutung haben.

Zu fragen wäre außerdem, warum nur das hoheitliche Interesse der Mitgliedstaaten eine Sonderbehandlung erfordere, nicht aber das hoheitliche Interesse anderer öffentlich-rechtlicher Rechtsträger (Länder in einem föderalen Staat, Gemeinden). Auch sie können als Adressaten nach Artikel 173 Absatz 2 in Betracht kommen. In Ansehung derartiger Entscheidungen scheint aber die Kommission eine Einschränkung des Anfechtungsrechts nicht für erforderlich zu halten.

Schließlich kann auch der Hinweis auf einen möglicherweise durch die Initiative der Mitgliedstaaten vermittelten Rechtsschutz nicht zu einer anderen Bewertung führen, denn gerade der vorliegende Fall zeigt uns, wie unzulänglich dieser Weg ist, wenn für private Betroffene keine Möglichkeit besteht, ihre Heimatstaaten zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu zwingen. Ebenso wie nach dem Montanvertrag, der insofern rechtssystematisch keine Besonderheit aufweist und zu dem eine deutliche Judikatur existiert (vgl. die Urteile zu den nationalen Transportausnahmetarifen ( 1 ), wird auch nach dem EWG-Vertrag das Klagerecht privater Personen grundsätzlich nicht eingeschränkt werden können, wenn Entscheidungen zur Prüfung stehen, die an Mitgliedstaaten gerichtet sind.

b)

In zweiter Linie gibt die Kommission zu bedenken, ob die Wendung „an eine andere Person gerichtete Entscheidung“ nicht ebenso zu verstehen sei wie der Satzteil „Entscheidungen …, die, obwohl sie als Verordnung … ergangen sind“, was zur Folge hätte, daß ein Anfechtungsrecht lediglich gegeben wäre, wenn die angegriffene Entscheidung nur zum Scheine an die Bundesrepublik gerichtet wäre.

Ich halte auch diese Erwägung für verfehlt. Wenn die Römischen Verträge für das Anfechtungsrecht privater Personen zunächst auf die Unterscheidung zwischen Entscheidungen und Verordnungen abstellen und die Verordnungen grundsätzlich von der Anfechtung ausnehmen, so hat es einen guten Sinn, die Prüfung der wahren Rechtsnatur eines Aktes zu gestatten und die Anfechtung zuzulassen, sofern eine Verordnung nur der äußeren Form, nicht aber dem materiellen Gehalt nach gegeben ist. Denselben Gedanken auf die Adressierung von Entscheidungen zu übertragen, also auf eine Gruppe von Rechtsakten, die eindeutige Individualakte mit umfassen, hieße aber den Vertragsautoren die Absicht zu einer exorbitanten Einengung des Anfechtungsrechts unterstellen. — Anfechtungsberechtigt wäre nach dieser Auffassung nur der Adressat eines Verwaltungsaktes, und jeder Nicht-Adressat müßte nachweisen, daß in Wirklichkeit der Akt ihm gelte, während der tatsächliche Adressat nur als Scheinadressat anzusehen sei.

Wenn man diese These auf Verwaltungsakte, die gleichzeitig eine Person begünstigen und eine andere belasten, anwendet oder etwa auf Kartellgenehmigungen, also auf Fälle, in denen nach der gängigen Verwaltungspraxis häufig der Akt nicht an alle Personen gerichtet wird, für die nach allgemeinen Grundsätzen ein relevantes Betroffensein anzuerkennen ist, so zeigt sich sogleich ihre Unhaltbarkeit. Ich bin der Überzeugung, daß eine derartige Einschränkung des Anfechtungsrechts nicht gewollt sein kann, und ziehe sie daher nicht in Betracht.

c)

Die Kommission bringt weiterhin vor, die angegriffene Entscheidung gehöre in Wahrheit zum Gebiet der Rechtsetzung. Es gehe um die Einräumung oder Versagung einer Ermächtigung zur Änderung nationaler Rechtssätze, denn nach deutschem Recht könne eine Zollaussetzung nur im Wege der Änderung der gesetzlich festgelegten Zollpositionen vorgenommen werden. Folglich müsse das Anfechtungsrecht privater Personen in gleicher Weise ausgeschlossen sein wie gegenüber Verordnungen.

Mir erscheint diese Argumentation — wie ich nicht verhehlen möchte — bestechend, erinnert sie mich doch an den Standpunkt, den ich in der Rechtssache 18/57 eingenommen habe, als es um die Beurteilung der kartellrechtlichen Genehmigung einer Handelsregelung ging. Ich habe es damals für richtig gehalten, in der Qualifizierung des Rechtsaktes die Auswirkungen auf die von der Handelsregelung betroffenen Käufer zu berücksichtigen, und bin so zu der Annahme einer allgemeinen Entscheidung gelangt. Der Gerichtshof ist meiner Anregung allerdings nicht gefolgt. Für ihn war ausschlaggebend, daß die Entscheidung der Hohen Behörde sich auf konkrete Beschlüsse einzelner Unternehmen bezog ( 2 ). Im Verhältnis zu den antragstellenden Unternehmen müsse daher von einer individuellen Entscheidung gesprochen werden. Eine solche Entscheidung könne aber nicht gleichzeitig im Verhältnis zu Dritten als allgemeine Entscheidung gelten.

Noch deutlicher ist der Standpunkt des Gerichtshofes in anderen Rechtssachen hervorgetreten. Ich denke an das Verfahren über die deutsche Bergmannsprämie, das von einem Unternehmensverband eingeleitet wurde. Obwohl der Gerichtshof betonte, in einem Rechtsstreit nach Artikel 35 des Montanvertrages sei die Ablehnungsentscheidung der Hohen Behörde in gleicher Weise zu qualifizieren wie die mit der Befassung der Hohen Behörde begehrte Entscheidung ( 3 ), und obwohl von der Hohen Behörde der Erlaß einer Entscheidung nach Artikel 88 des Vertrages im Verhältnis zu einem Mitgliedstaat und damit die Änderung eines nationalen Gesetzes verlangt wurde, ging der Gerichtshof davon aus, das Verfahren habe eine individuelle Entscheidung zum Gegenstand, da eine von einem bestimmten Mitgliedstaat ergriffene besondere Maßnahme zu beurteilen sei. Die Klage wurde also für zulässig erachtet.

Ich glaube, daß diese Rechtsprechung auch ihre Bedeutung haben wird für die Römischen Verträge, denn ich sehe insofern keinen Unterschied im System der Verträge. Kommt es für den Montanvertrag auf die Unterscheidung zwischen allgemeinen und individuellen Entscheidungen an, so ist nach den Römischen Verträgen für die Umgrenzung des Anfechtungsrechts in erster Linie der Unterschied zwischen Verordnungen und Entscheidungen, die beide in Artikel 189 des Vertrages definiert sind, maßgeblich. Wenn aber, zunächst jedenfalls, der Rechtscharakter eines Aktes im Vordergrund der Untersuchung steht, also seine Rechtsgeltung und Rechtsverbindlichkeit, nicht seine weiteren rechtlichen Auswirkungen — letztere mögen in der Frage des Betroffenseins eine Rolle spielen —, so wird der Gerichtshof nach seiner bisherigen Rechtsprechung nicht umhin können, die Entscheidung der Kommission als einen Einzelakt anzusehen, der an ein bestimmtes Rechtssubjekt (an einen Mitgliedstaat) gerichtet ist und die Regelung eines individuellen Rechtsverhältnisses, einer bestimmten anhängigen Einzelfrage, zum Inhalt hat. In dieser Beurteilung mag ihn die Tatsache bestärken, daß im deutschen Verwaltungsrecht ähnliche Vorgänge — etwa die Genehmigung kommunaler Satzungen durch die Aufsichtsbehörde — gleichfalls als angreifbare Einzelakte bewertet werden.

Es besteht dann aber im vorliegenden Fall keine Möglichkeit, das Anfechtungsrecht mit dem Hinweis auf den Rechtssatzcharakter der angegriffenen Entscheidung zu verneinen.

d)

Der Vertrag verlangt für die Zulässigkeit von Anfechtungsklagen weiterhin ein unmittelbares Betroffensein. Die Klägerin sieht diese Voraussetzung als erfüllt an, da die Entscheidung für sie von „einigem Gewicht“ sei. Für sie ist das Kriterium der Unmittelbarkeit nichts anderes als ein Maßstab für die Intensität des Betroffenseins. Nach meiner Ansicht wird seine Bedeutung damit aber nicht in zutreffender Weise erfaßt. Es muß vom System des Vertrages und von der Struktur der Gemeinschaftsordnung her in spezieller Weise verstanden werden. Wesentliches Merkmal der Gemeinschaft ist — wenn man so will — ihr föderaler Aufbau, d. h. der Umstand, daß über den staatlichen Instanzen die Gemeinschaftsorgane stehen mit Befugnissen, die zum Teil unmittelbar in den Bereich der Mitgliedstaaten hineinwirken, zum Teil aber auch begrenzt und in der Realisierung bestimmter Anliegen auf die Mitwirkung der Mitgliedstaaten angewiesen sind. Dieser Struktur soll in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes das Kriterium des unmittelbaren Betroffenseins Rechnung tragen. Es bedeutet insofern eine bestimmte, positive Konkretisierung des Rechtsschutzbedürfnisses, das für viele Rechtsordnungen in allgemeiner Form als Klagevoraussetzung festgelegt ist.

So gesehen hat die Kommission recht, wenn sie ausführt, es fehle an der Unmittelbarkeit dort, wo eine Entscheidung der Gemeinschaftsexekutive für einen Mitgliedstaat eine Ermächtigung oder Verpflichtung begründet. Hier folgt auf den Akt der Kommission noch eine Handlung des betreffenden Mitgliedstaates, und erst diese Handlung löst für die einzelnen Rechtsunterworfenen unmittelbare Wirkungen aus. Vor allem bei Ermächtigungen tritt dieses Verhältnis klar hervor: Erst wenn der Mitgliedstaat, was in sein Ermessen gestellt ist, von der Ermächtigung Gebrauch macht, werden Rechtswirkungen für die Individuen begründet. In der Kette der verschiedenen Rechtsakte ist also der Entschluß des Mitgliedstaates ein wesentliches Glied, das sich zwischen die Entscheidung der Kommission und die konkrete Rechtsauswirkung gegenüber den Einzelnen schiebt.

Es erhebt sich allerdings die Frage, ob der Sachverhalt anders zu beurteilen ist, wenn eine Ermächtigung abgelehnt wird, denn hier bleibt eine bestehende Regelung, deren Änderung beantragt wurde, unangetastet, ohne daß es eines weiteren Aktes bedarf.

Nach meiner Überzeugung kann dieser Aspekt in der Beurteilung zu keinem anderen Ergebnis führen. Es darf nämlich nicht der Umstand übersehen werden, daß wir auch hier einen Bereich staatlichen Ermessens vor uns haben, denn es hängt vom Entschluß des betreffenden Mitgliedstaates ab, ob er sein ursprüngliches Ziel mit Hilfe von Rechtsmitteln weiter verfolgen oder ob er sich der Entscheidung der Kommission, deren Begründung für ihn einleuchtend sein mag, beugen soll. — Es muß auch bedacht werden, daß selbst dann, wenn es einem Rechtsunterworfenen gelänge, die Entscheidung der Kommission zu beseitigen und statt dessen eine positive Entscheidung zu erwirken, ihre Realisierung von der Ausübung staatlichen Ermessens abhängig wäre, das aber mit Rücksicht auf tatsächliche Veränderungen oder eine Änderung des politischen Standpunktes nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne nicht notwendig in der gleichen Weise wie bei Einleitung des Kontingentverfahrens ausgeübt werden muß. Diese Tatsache schließt eo ipso jede Unmittelbarkeit im Verhältnis zwischen den Gemeinschaftsorganen und privaten Interessierten aus, wenn es um Zollfragen des Artikels 25 geht.

Damit erweist sich die Anfechtungsklage der Firma Plaumann als unzulässig.

e)

Wir werden aber dennoch auch die Frage untersuchen, ob die Klägerin von der angegriffenen Entscheidung individuell betroffen ist, was gleichfalls eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt.

Die Kommission ist der Auffassung, individuell betroffen seien nur solche Personen, die wegen ihrer Individualität oder wegen besonderer in ihrer Person begründeter Umstände von einer Entscheidung berührt werden.

Die Klägerin bemerkt dazu, sie sei durch die Ablehnung des Kontingentantrags in ihrem eigenen Rechtskreis betroffen, der Vertrag verlange aber nicht, daß sie allein betroffen sei.

Wenn man versucht, den Begriff des individuellen Betroffenseins zu bestimmen, so hat man sich zunächst vor Augen zu halten, daß die Römischen Verträge insoweit eine Besonderheit aufweisen, die dem Montanvertrag fremd ist. Für diesen steht in der Umgrenzung des Anfechtungsrechts die Rechtsnatur eines angegriffenen Aktes im Vordergrund. Es ist also ausreichend, daß eine individuelle Entscheidung vorliegt, die den Kläger betrifft.

Da in den Römischen Verträgen der Rechtsnatur der Akte in der Definition des Anfechtungsrechts schon durch die Gegenüberstellung von Verordnungen und Entscheidungen Rechnung getragen ist, muß aber — so folgert die Kommission richtig — mit dem Kriterium „individuell betroffen“ eine weitere Verengung des Anfechtungsrechts unter dem Aspekt der rechtlichen Auswirkungen eines Aktes gemeint sein.

Betrachtet man im vorliegenden Fall diese Auswirkungen, so ist festzustellen, daß die Ablehnungsentscheidung der Kommission, was die Frage des Betroffenseins angeht, den gleichen Charakter aufweist wie eine Ermächtigung zur Zollaussetzung, die eine Änderung des nationalen Zollrechts nach sich zieht.

Von den rechtlichen Auswirkungen her gesehen, die für die Bestimmung der Rechtsnatur des angegriffenen Aktes außer Betracht bleiben mußten, für die Frage des Betroffenseins dagegen im Vordergrund stehen, kann eine Übereinstimmung mit Rechtsetzungsmaßnahmen also nicht geleugnet werden. Betroffen sind alle diejenigen, die im Laufe des Jahres 1962 Clementinen einführen wollten. Es mag sein, daß sich nach Ablauf dieses Zeitraumes herausstellt, daß die Zahl der Betroffenen verhältnismäßig gering und überblickbar ist. Das aber kann nicht entscheidend sein. Bedeutsam ist, daß sich hier das Betroffensein nicht aus der Individualität bestimmter Personen ergibt, sondern aus der Zugehörigkeit zu der abstrakt definierten Gruppe all derer, die während der fraglichen Zeit Clementinen importieren wollten. Ihr Kreis ist im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung nicht bestimmbar, denn es liegt in seiner Natur, daß er sich ständig, wenn auch praktisch in begrenztem Umfang ändert.

Wenn aber die rechtlichen Auswirkungen der Entscheidung die gleichen sind wie bei einer Rechtsetzungsmaßnahme, die der Anfechtung durch einzelne nicht zugänglich ist, kann auch unter dem Gesichtspunkt des individuellen Betroffenseins ein Rechtsschutzbedürfnis nicht anerkannt werden.

f)

Somit muß ich zusammenfassend die Abweisung der Anfechtungsklage wegen Unzulässigkeit vorschlagen.

2. SCHADENSERSATZKLAGE

Die Schadensersatzklage stützt sich auf Artikel 215 Absatz 2 des EWG-Vertrages, also auf jene Bestimmung, nach der „im Bereich der außervertraglichen Haftung die Gemeinschaft den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen [ersetzt], die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“.

Wenn uns das vorliegende Verfahren veranlaßt, zum ersten Male auf diese Vorschrift einzugehen, so kann es sich zunächst nur darum handeln, die Grundidee von Artikel 215 Absatz 2 sichtbar zu machen, die den an den Gerichtshof gerichteten Auftrag kennzeichnet. Ich verstehe sie so:

Eine Reihe von Voraussetzungen für die Erhebung von Amtshaftungsklagen ist in Artikel 215 Absatz 2 selbst aufgeführt. Wenn die Entwicklung wesentlicher anderer Bedingungen der Rechtsprechung des Gerichtshofes überlassen ist, namentlich die Frage der Rechtswidrigkeit — Verletzung eines Rechtes, Verstoß gegen ein Schutzgesetz — und die Frage der Vorwerfbarkeit, so kann die Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten einmal — was nach Äußerungen im Schrifttum offenbar nicht selbstverständlich zu sein scheint — nur eine Verweisung auf das nationale Amtshaftungsrecht, nicht dagegen auf das allgemeine Schadensersatzrecht bedeuten, und sie kann nicht verstanden werden im Sinne einer engen Bindung an die Details der dogmatischen Ausgestaltung des Amtshaftungsrechts in den verschiedenen Staaten, sondern nur im Sinne einer Orientierung an den tragenden Grundsätzen, nach denen sich das Ausmaß der hoheitlichen Verantwortung im nationalen Bereich beurteilt. Es ist eine allgemeine Erfahrung in der Rechtsyergleichung, daß auch nahe verwandte Rechtsordnungen in den rechtstechnischen Methoden einer Problemlösung oft verschiedene Wege gehen, während die Ergebnisse dennoch im großen ganzen übereinstimmen. Ebenso verhält es sich mit der Amtshaftung.

Ich bin also der Meinung, daß der Gerichtshof nach Artikel 215 Absatz 2 in der dogmatischen Erfassung der Einzelprobleme verhältnismäßig frei ist, daß er aber im Ergebnis seiner Rechtsfindung für das Amtshaftungsrecht der Gemeinschaft einen Rahmen zu respektieren hat, der allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam ist.

So gesehen verliert Artikel 215 Absatz 2 viel von seiner ihm auf den ersten Blick anhaftenden Gefährlichkeit und Neuartigkeit. Er verlangt im Grunde für das Amtshaftungsrecht nur das, was der Gerichtshof angesichts zahlreicher Lücken im Gemeinschaftsrecht ständig in vielen Rechtsfragen prozessualer und materieller Natur an rechtsschöpferischer und rechtsvergleichender Tätigkeit zu bewältigen hat. Vor allem aber ergibt sich bei diesem Verständnis der Amtshaftungsnorm der Römischen Verträge, daß der Gerichtshof nicht vollständig unbestelltes Neuland vor sich hat. Auch die allgemeine Amtshaftungsvorschrift des Montanvertrages (Artikel 40) gibt nämlich genau betrachtet kein präziseres System an die Hand als der Text des Artikels 215 Absatz 2. Zwar taucht dort der Begriff des Amtsfehlers („faute de service“) auf. Der Gerichtshof hat aber — und, wie ich glaube, mit Recht — in den bisher zu behandelnden Anwendungsfällen eine enge Anlehnung an das französische Recht vermieden und unter Beachtung der Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten die Ansätze des Amtshaftungsrechts so gestaltet, als gelte auch für das Montanrecht eine Richtschnur ähnlich der des Artikels 215 Absatz 2. Wir werden daher namentlich aus der Rechtsprechung zum Montanvertrag nützliche Hinweise für die Behandlung von Amtshaftungsansprüchen nach den Römischen Verträgen gewinnen können.

Ebenso wie zur Anfechtungsklage hat die Kommission zur Schadensersatzklage eine Reihe von Bedenken vorgetragen, die ihre Unzulässigkeit deutlich machen sollen.

a)

Der erste Einwand bezieht sich auf die Entwicklung des Klageantrags, dessen Inhalt, wie ich eingangs gezeigt habe, im Laufe des Verfahrens wiederholt geändert wurde.

Es fragt sich, wie diese Änderungen zu beurteilen sind, insbesondere ob sie unzulässige Klageänderungen darstellen.

Über die Möglichkeit und Grenzen einer Klageänderung sagen uns die geschriebenen Verfahrensregeln der Gemeinschaft nichts. Wenn ich recht sehe, hat sich der Gerichtshof bisher nur einmal zur Zulässigkeit von Klageänderungen ausgesprochen, als im Verfahren 17/57 geltend gemacht wurde, die erhobene Klage solle, wenn sie nach Artikel 33 des Montanvertrages keinen Erfolg haben könne, als nach Artikel 35 erhoben angesehen werden. Er hat damals festgestellt, es sei nicht möglich, die Qualifizierung der Klage in der Erwiderung zu ändern ( 4 ). Die Besonderheit des Sachverhalts lag aber darin, daß Artikel 35 des Montanvertrages ein Vorverfahren vorsieht, das im konkreten Fall nicht eingehalten worden war. Dieses Judiz kann uns daher heute nicht von Hilfe sein.

Ohne auf die Frage einzugehen, was in einem Nichtigkeitsverfahren zu gelten habe, in dem, anders als für Schadensersatzklagen, die Einhaltung der Anfechtungsfrist eine Rolle spielt, möchte ich annehmen, daß in Amtshaftungssachen für die Modifizierung der Klageanträge grundsätzlich keine allzu strengen Maßstäbe angewandt werden sollten. Ein Blick auf das nationale Recht wird uns in dieser Auffassung bestärken. Im deutschen Verwaltungsgerichtsverfahren z. B. ist eine Änderung der Klageanträge ohne weiteres zulässig, wenn sie bei gleichbleibendem Klageziel und zugrunde liegendem Sachverhalt nur in einer Erweiterung oder Beschränkung besteht ( 5 ). Auch der Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage wird nicht als genehmigungsbedürftige Klageänderung angesehen. Eine Klageänderung schließlich, die auf eine Änderung des Streitgegenstandes, d. h. entweder auf eine Änderung des Klagebegehrens oder des Klagegrundes zurückgeht, kann auch ohne Einwilligung der Gegenpartei durchgeführt werden, wenn das Gericht sie für sachdienlich hält.

Lassen wir uns von diesen Gedanken im vorliegenden Fall leiten — ich glaube zu erkennen, daß sie auch im französischen Verwaltungsrecht in ähnlicher Form existieren ( 6 ) —, so ergibt sich folgende Beurteilung:

Beim Übergang vom Feststellungsantrag zum Leistungsantrag, der damit verbunden war, daß die Schadensberechnung anders als in der Klageschrift angekündigt für das ganze Jahr 1962 vorgenommen wurde, bestand die Änderung des Streitgegenstandes, da der Schadensersatzanspruch dem Grunde nach schon im Streit war, allein in der Bezifferung des Schadens und in der Ausweitung der tatsächlichen Begründung in zeitlicher Hinsicht.

Neu war demnach nur ergänzendes tatsächliches Vorbringen, das man — wenn man eine Parallele' zum Anfechtungsverfahren zieht — auf eine Stufe stellen könnte mit den zulässigen zusätzlichen Argumenten im Rahmen bereits vorgebrachter Klagegründe. Gegen eine derartige Ausweitung sollte nichts eingewendet werden. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Reduzierung der Schadenssumme in der mündlichen Verhandlung und für das Begehren, den Feststellungsantrag subsidiär aufrechtzuerhalten. Letzterer stellt gegenüber dem Leistungsantrag logisch nur ein Minus dar.

Der einzige wesentliche Einwand der Beklagten gegen dieses Vorgehen besteht in dem Hinweis auf die Beschränkung ihres Verteidigungsrechts, das sie, bei einer Erweiterung der Klageanträge in der Replik, nur in einem einzigen Schriftsatz ausüben könne. Er erledigt sich im Grunde mit der Feststellung, daß die Kommission keinen absoluten Anspruch auf Äußerung in zwei Schriftsätzen hat, etwa dann, wenn eine Klägerin selbst auf einen zweiten Schriftsatz verzichtet. Jedenfalls können wir nicht feststellen, daß die Beklagte im vorliegenden Verfahren in ihrer Verteidigung eingeengt gewesen wäre.

Ich möchte also annehmen, daß die Entwicklung des Schadensersatzantrags prozessualen Bedenken nicht begegnet, womit natürlich über die Zulässigkeit der verschiedenen Anträge abschließend nicht geurteilt ist.

b)

Ein zweiter Einwand der Kommission bezieht sich auf die Tatsache, daß der Schadensersatzantrag gleichzeitig und gleichrangig mit dem Nichtigkeitsantrag gestellt wurde. Die Kommission will damit — wie sie ausdrücklich betont — nicht auf das allgemeine Problem des Verhältnisses zwischen Anfechtungsklage und Schadensersatzklage eingehen, die beide den gleichen Rechtsakt zum Gegenstand haben, sondern die Besonderheit hervorheben, daß im vorliegenden Fall beide Anträge dasselbe Ziel verfolgen: Mit der Annullierung der angegriffenen Entscheidung erstrebe die Klägerin eine Ersetzung der Ablehnung des von der Bundesregierung gestellten Antrags durch eine positive Bescheidung mit dem Endeffekt einer Rückerstattung der infolge der verweigerten Zollaussetzung entrichteten Zollbeträge durch die Bundesregierung, Dieselbe Summe verlange die Klägerin — ohne von einem Subsidiaritätsverhältnis auszugehen — qua Schadensersatz von der Kommission, wodurch sie bei Erfolg beider Anträge mehr erhalte als ihr zustehe. Folglich müsse der Schadensersatzantrag als unzulässig angesehen werden.

Ich bin der Meinung, auch der Gerichtshof hat keinen Anlaß, im gegenwärtigen Verfahren in allgemeiner Weise das Problem abzuhandeln, ob ein Kläger gleichzeitig die Annullierung eines Aktes mit allen gesetzlich vorgesehenen Folgen und die Leistung des durch den Akt angeblich verursachten Schadens verlangen kann. Ich will nur andeuten, daß ich eine solche Verbindung zweier Klagebegehren in einem Verfahren nicht grundsätzlich für unzulässig halte, etwa wenn feststeht, daß die von der Verwaltung nach der Annullierung zu ergreifenden Maßnahmen zu einer vollen Wiederherstellung des alten Zustandes nicht führen.

Was die besondere Problematik unseres Falles betrifft, so ist es natürlich nicht angängig, daß das gleiche Ziel zweimal erstrebt wird. Man hat sich aber zu fragen, ob das Klagebegehren im vorliegenden Fall tatsächlich derart ausgestaltet ist.

Das Prozeßrechtsverhältnis erfaßt nur die Klägerin und die Kommission. Auch wenn denkbar wäre, daß ein für die Klägerin positiver Ausgang des Verfahrens mit einer Annullierung der angegriffenen Entscheidung für die Kommission nur die Möglichkeit einer vollständigen positiven Bescheidung des Kontingentantrages ließe, so wäre damit nichts über das Verhalten der ermächtigten Bundesregierung gesagt. Diese mag darauf verzichten, von der Ermächtigung nach Ablauf des Jahres 1962 rückwirkend Gebrauch zu machen. Sie lehnt es — wie die Klägerin nachgewiesen hat — mit Sicherheit ab, entrichtete Zollbeträge zurückzuerstatten. Es ist also mit anderen Worten die Rückerstattung der von der Klägerin bezahlten Zölle nicht die denknotwendige Folge eines positiven Urteils im Nichtigkeitsverfahren. Diese Erkenntnis verbietet uns aber, eine gleichzeitig gegen die Kommission erhobene Schadensersatzklage, die einen gleichartigen finanziellen Ausgleich erstrebt, als unzulässig anzusehen. Ob sie aus den erwähnten Gründen möglicherweise nicht gleichzeitig mit der Nichtigkeitsklage entscheidungsreif wäre, weil erst die Wirkungen des Nichtigkeitsurteils abgewartet werden müßten, ober ob sie aus diesem Grunde sich als unbegründet darstellen könnte, ist eine andere Frage, die uns im vorliegenden Zusammenhang nicht zu beschäftigen hat.

c)

Ein dritter Einwand der Kommission gilt der Substantiierung des Schadensersatzantrages, d. h. der schlüssigen Darlegung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs. Sie hat — wie Artikel 19 der Satzung und Artikel 38 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vorschreiben — in der Klageschrift zu erfolgen.

In den Schriftsätzen beruft sich die Klägerin im wesentlichen darauf, die Entscheidung der Kommission sei vertrags- und ermessenswidrig, und sie bringt vor, der Schaden errechne sich aus der Zollmehrbelastung einschließlich der Umsatzsteuer, die sie auf ihre Abnehmer nicht habe abwälzen können. In der mündlichen Verhandlung wurde zusätzlich ausgeführt, die Kommission habe ihre Sorgfaltspflicht verletzt, eine offensichtliche Vertragsverletzung begangen und in hohem Maße ermessensmißbräuchlich gehandelt.

Nun verlangt zwar das Verfahrensrecht des Gerichtshofes nur eine kurze Darstellung der Klagegründe und nicht eine erschöpfende Behandlung aller Fragen. Dennoch aber sehe ich nicht, wie die wenigen Bemerkungen der Klägerin den geltenden Erfordernissen genügen könnten. Ich habe insbesondere Bedenken im Hinblick auf diejenigen Voraussetzungen ihres Anspruchs, die sich auf das Vorliegen eines Amtsfehlers beziehen. Sie lassen sich auch nicht zerstreuen mit dem Einwand, die Entwicklung des Amtshaftungsrechts der EWG stehe erst in ihren Anfängen. Der Klägerin mußte klar sein, daß für die Amtshaftung die bloße Rechtswidrigkeit eines hoheitlichen Aktes nicht ausreichen kann, da sonst eine Anfechtungsklage und eine Amtshaftungsklage trotz verschiedenartiger Rechtsfolgen in gleicher Weise zu begründen wären, was angesichts der unterschiedlichen Umgrenzung des Klagerechts vom Vertrag nicht gewollt sein kann. — Auch wenn von der Klägerin nicht eine eingehende rechtsvergleichende Untersuchung zur Ermittlung der allgemeinen Grundsätze des Amtshaftungsrechts erwartet werden konnte, hätte ihr doch die Kenntnis des deutschen Rechts, vielleicht auch des französischen Rechts, die Schlußfolgerung nahelegen sollen, daß ein Amtshaftungsanspruch nur gegeben sein kann, wenn ein Verschulden oder ein fehlerhaftes Verhalten im Sinne der „faute de Service“ nachgewiesen ist. Es fehlt aber in ihrer summarischen Darlegung jeglicher Hinweis auf dieses notwendige Element der Amtshaftungsklage.

Weiterhin hätte die Klägerin — wenigstens in groben Zügen — angeben müssen, wie sich ihre Schadensberechnung zusammensetzt. Dazu gehört eine Erklärung zu der Frage, in welcher Weise sich ihre Geschäftslage entwickelt haben würde bei Herabsetzung der Zölle, denn es ist nicht selbstverständlich, daß ihr in diesem Falle die gesamte Mehrzollbelastung als Gewinn verblieben wäre.

Sie hätte also darstellen müssen die Gestaltung ihrer Gewinnspanne in den vergangenen Jahren und die Marktsituation des Jahres 1962, die eine Abwälzung der Mehrzollbelastung angeblich nicht gestattete. Die Ermittlung derartiger, wesentlicher Tatsachen darf nicht einer etwaigen Beweisaufnahme vorbehalten bleiben, einer Beweisaufnahme überdies, deren Nutzeffekt nicht abgeschätzt werden kann, da die gemachten Beweisangebote nicht klar erkennen lassen, welche Aufklärung die erbotenen Beweismittel bringen sollen.

Insgesamt genügen somit die schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Klägerin nicht den Erfordernissen, die für einen substantiierten Klagevortrag gelten, was den Gerichtshof dazu zwingt, auch die Schadensersatzklage als unzulässig abzuweisen.

II — Begründetheit

Mit wenigen Worten will ich aber dennoch auf die Hauptsache eingehen und dartun, daß die Schadensersatzklage auch nicht als begründet gelten könnte.

1.

Zunächst erhebt sich die Frage, welche Rolle bei der Beurteilung des Amtshaftungsanspruchs das Verhalten der Bundesrepublik spielt.

Schon in der Prüfung der Zulässigkeitsfragen habe ich die Tatsache unterstrichen, daß bei zollrechtlichen Entscheidungen auf Grund von Artikel 25 Absatz 3 des Vertrages — mag es sich um Ermächtigungen oder um die Verweigerung von Zollaussetzungen handeln — private Personen nicht unmittelbar betroffen, sein können, da zwischen ihnen und der Kommission ein Raum wirtschaftspolitischen Ermessens, vorbehalten der nationalen Regierung, liegt, die die Rechtsmacht hat, den Ablauf der angeblich schädigenden Ereignisse wesentlich zu beeinflussen.

Wenn die Kommission einen Kontingentantrag oder einen Antrag auf Zollaussetzung ablehnt, so steht nur dem betroffenen Mitgliedstaat, nicht seinen Rechtsunterworfenen, ein Anfechtungsrecht zu. Ob er davon Gebrauch macht oder nicht, ist gleichfalls eine Frage seines politischen Ermessens. An dieser Erkenntnis können wir im Rahmen der Amtshaftung nicht vorbeigehen. Im Verhältnis zu den Rechtsunterworfenen ergibt sich demnach das Bild, daß nicht nur die Kommission, sondern auch der antragstellende Mitgliedstaat die Verantwortung trägt für das Unterbleiben einer Zolländerung. Damit aber stellt sich die Frage, ob nicht die Verantwortlichkeit dieses Mitgliedstaates jene der Kommission überwiegt. Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen mit der Folge eines Ausschlusses privater Schadensersatzansprüche, denn im Grunde unterscheidet sich die uns unterbreitete Situation nur unerheblich von derjenigen, in der ein Mitgliedstaat es entgegen den Wünschen seiner Rechtsunterworfenen unterläßt, einen Kontingentantrag zu stellen, oder in der er von einer erteilten Ermächtigung aus bestimmten Gründen keinen Gebrauch macht. Niemand würde aber daran denken, mit Rücksicht auf ein derartiges Verhalten einen Schadensersatzanspruch gegen den betreffenden Mitgliedstaat zuzuerkennen.

2.

Eine zweite Überlegung liegt auf einer ähnlichen Linie. Wie ich gezeigt habe, ist die Anfechtungsklage u. a. deshalb als unzulässig abzuweisen, weil es am individuellen Betroffensein fehlt. Die Entscheidung der Kommission muß, wenn sie auch nicht als solche zum Bereich der Rechtsetzung zu zählen ist, doch ihren rechtlichen Auswirkungen nach Gesetzgebungsakten gleichgestellt werden. — Das aber zwingt uns zu der Frage, ob Amtshaftungsansprüche auch in solchen Fällen möglich sind oder ob sie in Ermangelung eines besonderen Schadens entfallen. Ich bin der Meinung, der Gerichtshof sollte hier die Prinzipien anwenden, die, etwa im französischen Verwaltungsrecht, in Ansehung der „actes-règles“ gelten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Conseil d'Etat kann sich eine Amtshaftungsklage grundsätzlich nicht auf Rechtsetzungsakte stützen, die eine allgemeine, unpersönliche, nach abstrakten Kriterien zu beurteilende Rechtslage schaffen ( 7 ). Eine Durchbrechung dieser Regel ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen denkbar, nämlich wenn ein anomaler, besonderer und direkter Schaden verursacht, also eine Sonderlast begründet wird, die nur für einzelne Personen gilt.

In unserem Falle verhält es sich so, daß die Verweigerung der Zollaussetzung alle Clementinenimporteure, die Einfuhrgeschäfte in der Bundesrepublik vornehmen, gleichermaßen trifft. Sie trifft überdies, wenn eine vollständige oder teilweise Abwälzung der Mehrzollbelastung auf die Verbraucher stattfand — was offen, aber nicht ausgeschlossen ist — auch die Verbraucher. Demnach kann von einem besonderen Schaden der Klägerin nicht die Rede sein, und ihr Ersatzanspruch müßte auch aus diesem Grunde der Abweisung verfallen.

3.

Schließlich ist zu untersuchen, ob nicht nach dem Gemeinschaftsrecht ein Schadensersatzanspruch nur dann begründet ist, wenn die Gemeinschaftsorgane gegen Vorschriften verstoßen haben, die den Schutz des Klägers bezwecken.

Die Kommission hat darauf hingewiesen, daß nach deutschem Recht ein Ersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung nur zuerkannt werde, wenn eine Norm vorhanden sei, die gerade dem Schutz der Interessen des Klägers diene. Sie hat ähnliche Gesichtspunkte im belgischen Recht nachgewiesen. — Hinsichtlich des französischen und des luxemburgischen Rechts ist daran zu erinnern, daß ein Amtshaftungsanspruch die Verletzung eines individuellen Rechts, einer besonderen position („Situation juridique particulière“) voraussetzt. Vor allem aber darf verwiesen werden auf die Rechtsprechung zu Artikel 40 des Montanvertrages, also jener allgemeinen Amtshaftungsnorm, die derjenigen des Artikels 215 Absatz 2 entspricht.

In den Rechtssachen 9 und 12/60 ( 8 ) hat der Gerichtshof den Gedanken in den Vordergrund gestellt, eine Rechtsverletzung allein reiche zur Begründung eines Schadensersatzanspruches nicht aus; es müsse nachgewiesen sein, daß eine verletzte Norm gerade die Interessen des Klägers oder der Gruppe, welcher der Kläger angehört, zu schützen bestimmt sei. Ohne auf den Sachverhalt dieses Verfahrens näher einzugehen, möchte ich doch betonen, daß ich den damals angewandten Rechtsgrundsatz für außerordentlich nützlich zur sinnvollen Umgrenzung des Schadensersatzrechts halte. Er sollte daher auch für das EWG-Recht anerkannt werden. Demgemäß ist es angezeigt, die von der Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs angezogenen Normen auf ihren Schutzzweck zu überprüfen.

Keine Anhaltspunkte sind aus Artikel 25 Absatz 3 zu gewinnen, also aus der Vorschrift, welche die unmittelbare Basis für die angegriffene Entscheidung abgegeben hat. — Betrachtet man dagegen die Gesichtspunkte des Artikels 29, von denen die Kommission sich bei Entscheidungen auf Grund von Artikel 25 Absatz 3 leiten lassen muß, so ergibt sich folgendes Bild.

Nach Artikel 29 Buchstabe a ist der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, den Handelsverkehr mit dritten Ländern zu fördern. Diese Bestimmung wiederholt ein mehrere Male im Vertrag niedergelegtes Bekenntnis zu einer weltoffenen Handelspolitik der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten. Sie soll ferner den besonderen handelspolitischen Bedürfnissen einzelner Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Daß sie das Handelsinteresse und den geschäftlichen Vorteil von Importeuren fördern will, kann aber nicht behauptet werden. Zu ihren Gunsten kann allenfalls von einer mittelbaren, von einer Reflexwirkung gesprochen werden.

Buchstabe b schreibt die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der in der Gemeinschaft niedergelassenen Unternehmen vor. Er kommt für unsere Zwecke nicht in Betracht, weil im Verfahren nicht vorgebracht wurde, die Kommission habe diesen Gesichtspunkt zu Unrecht außer Betracht gelassen und damit einen Fehler begangen.

Buchstabe c von Artikel 29 handelt vom Versorgungsbedarf der Gemeinschaft an Rohstoffen und Halbfertigwaren. Er soll also ebenso wie ein Teil von Buchstabe d (Ausweitung des Verbrauchs) die Interessen der Verbraucher und Verarbeiter schützen, nicht dagegen die der Händler, die mit jenen nicht naturnotwendig konform sind.

Schließlich scheidet auch Buchstabe d von Artikel 29 aus, der von der Notwendigkeit spricht, ernsthafte Störungen im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten zu vermeiden und eine rationelle Entwicklung der Erzeugung zu gewährleisten, denn mit Erzeugung hat die Klägerin nichts zu tun, und die Verursachung ernsthafter Störungen infolge der Ablehnung des Kontingents hat sie nicht behauptet. Es ist zudem festzuhalten, daß die einzelnen Gesichtspunkte des Artikels 29, wie schon wiederholt auch in anderen Verfahren betont wurde, mit Rücksicht auf ihre auseinanderlaufenden Tendenzen nicht alle in gleicher Weise berücksichtigt werden können, daß vielmehr eine Abwägung der verschiedenen aufgeführten Interessen notwendig ist. Selbst wenn also aus einem der Absätze des Artikels 29 der Schutz von Händlerinteressen abgelesen werden könnte, so wäre damit noch nicht gesagt, daß gerade diesen Interessen im gegebenen Falle mit Vorrang Rechnung zu tragen war.

Artikel 25 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 29 kann somit unter keinem Aspekt als geeignete Schutznorm im Sinne der Amtshaftungsklage herangezogen werden, um einen Schadensersatzanspruch der klagenden Importgesellschaft zu begründen.

Auch aus diesem Grunde muß die Schadensersatzklage abgewiesen werden.

III — Zusammenfassung und Ergebnis

Wir kommen demnach zu dem Resultat, daß die eingereichte Klage keinen Erfolg haben kann. Sie ist unzulässig, soweit sie auf die Annullierung der angegriffenen Entscheidung gerichtet ist; sie ist gleichfalls unzulässig, zumindest aber unbegründet, soweit ein Schadensausgleich erstrebt wird.

Dementsprechend lautet mein Schlußantrag auf Abweisung. Die Kosten des Verfahrens hat nach den Vorschriften unserer Verfahrensordnung die Klägerin zu tragen.


( 1 ) Rechtssachen 3-18/58, 25/58 und 26/58 (RsprGH VI, 375); 27-29/58 (RsprGH VI, 515).

( 2 ) RsprGH V, 112.

( 3 ) RsprGH VII, 38.

( 4 ) RsprGH V, 27.

( 5 ) Koehler: „Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung“, 1960, Anm. II und III zu § 91.

( 6 ) Gabolde: „Traité pratique de la procedura administrative contentieuse“, 1960, Nr. 310.

( 7 ) Duez-Debeyre „Droit administratif“, 1952, S. 458 ff.

( 8 ) RsprGH VII, 467.